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Als sie aus der Postkutsche stieg, traf es mich wie ein Blitz. Denn sie strahlte etwas aus, das mich sofort beeindruckte. Dazu kam der Blick ihrer grünen, schrägstehenden Augen. Sie war eine Pantherkatze.
Und für diese Sorte hatte ich etwas übrig.
Sie trug ein grünes Reisekostüm, das ganz und gar ladyhaft geschnitten war, aber dennoch ihre blendende Figur betonte.
Heiliger Rauch, was für eine Frau!
Sie hatte nur wenig Gepäck. Es bestand aus einem Koffer und zwei Reisetaschen. Eine Tasche trug sie selbst. Den Rest brachte der Hotelbursche hinein. Ich hörte sie fragen: »Und wann fährt die Post nach Old Fox?«
»Morgen bei Sonnenaufgang, Ma’am«, erwiderte der Posthalter von Rainbow Creek. Und dann fügte er hinzu: »Es sei denn, die Kutsche wird wieder einmal ...« Er zögerte, denn er war sich wohl bewusst, dass er die Lady erschreckte mit seiner Erläuterung. Doch als er ihre grünen Augen sah, wurde er sich schnell darüber klar, dass diese Klassefrau wohl nicht so leicht zu verunsichern war. Deshalb vollendete er hastig: »... von Banditen angehalten.«
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Seitenzahl: 152
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Fighter-Weg
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0122-8
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Fighter-Weg
Als sie aus der Postkutsche stieg, traf es mich wie ein Blitz. Denn sie strahlte etwas aus, das mich sofort beeindruckte. Dazu kam der Blick ihrer grünen, schrägstehenden Augen. Sie war eine Pantherkatze.
Und für diese Sorte hatte ich etwas übrig.
Sie trug ein grünes Reisekostüm, das ganz und gar ladyhaft geschnitten war, aber dennoch ihre blendende Figur betonte.
Heiliger Rauch, was für eine Frau!
Sie hatte nur wenig Gepäck. Es bestand aus einem Koffer und zwei Reisetaschen. Eine Tasche trug sie selbst. Den Rest brachte der Hotelbursche hinein. Ich hörte sie fragen: »Und wann fährt die Post nach Old Fox?«
»Morgen bei Sonnenaufgang, Ma’am«, erwiderte der Posthalter von Rainbow Creek. Und dann fügte er hinzu: »Es sei denn, die Kutsche wird wieder einmal …« Er zögerte, denn er war sich wohl bewusst, dass er die Lady erschreckte mit seiner Erläuterung. Doch als er ihre grünen Augen sah, wurde er sich schnell darüber klar, dass diese Klassefrau wohl nicht so leicht zu verunsichern war. Deshalb vollendete er hastig: »… von Banditen angehalten.«
Er drückte es trotzdem zurückhaltend aus. Denn ich wusste, dass dieses »Anhalten« zumeist ziemlich rau erfolgte und dass dann nicht allein die Passagiere ausgeraubt, sondern auch die Pferde mitgenommen wurden. Deshalb verzögerte sich die Weiterfahrt einer Kutsche in Rainbow Creek oft um einen ganzen Tag. Ich wusste das. Denn ich kannte dieses Land einigermaßen. Und nicht zuletzt aus diesem Grunde war ich hier.
Ich lehnte an der Ecke des Hotels und rauchte einen dieser langen, dünnen, schwarzen Zigarillos. Und ich hatte den hellwachen, abschätzenden Blick der Schönen aufgefangen.
Wer mochte sie sein?
Wohin wollte sie reisen?
Sie hatte Old Fox genannt. Das war früher mal ein Fort der Armee. Aber nun, da die Indianer besiegt und in Reservate gepfercht waren, brauchte die Armee viele dieser kleinen Forts nicht mehr.
So war aus dem einstigen Fort Old Fox eine kleine Stadt geworden, der freilich das besiedelte Umland fehlte, sodass sie nur vom Durchgangsverkehr lebte.
Die Kutsche fuhr weiter zum Wagenhof, wo sie ein frisches Gespann bekommen würde. Ausgestiegen war nur diese grünäugige Schöne. Nur sie wollte mit der kleinen Kutsche der wenig benutzten Seitenlinie weiterfahren.
Ich vergaß sie bald wieder.
Dann entdeckte ich die Manners-Brüder.
Und auf die hatte nicht nur ich, sondern schon ganz Rainbow Creek gewartet.
Sie kamen von Westen hereingeritten. Der Staub, den die Postkutsche aufwirbelte, hatte sich inzwischen wieder gelegt. Es war ein schöner Spätnachmittag im herbstlichen Wyoming, ein Tag, an dem sich alle ihres Lebens freuten.
Doch da kamen die drei Manners-Brüder.
Ich hatte sie noch nie gesehen, und dennoch erkannte ich sie nach der Beschreibung. Unverkennbar waren es Drillinge, und wenn man sich vorstellen sollte, dass sie einmal klein und winzig gewesen sein mussten, dann mochte man das gar nicht glauben. Denn sie waren Bullen, richtige Toros.
Ich seufzte tief und dachte bitter: Das also ist wieder einmal mein Job.
Sie hielten gegenüber vom Store an, saßen ab und banden ihre Pferde an die Haltestangen des einzigen Saloons. Dann stampften sie heftig auf, vertrieben so ihre Sattelsteifheit, zogen die Hosen hoch und rückten die Revolvergurte zurecht.
Einer von ihnen steckte noch seinen Kopf in den Wassertrog und setzte sich den Hut wieder auf das klatschnasse Haar.
Sie waren gut aufeinander eingespielt.
Einer wandte sich nach links, ein anderer nach rechts. Sie entfernten sich beide einige Schritte. Und es war klar, dass sie ihren Bruder gewissermaßen abschirmen wollten.
Dieser ging langsam über die Fahrbahn, bis er in deren Mitte anhielt. Er sah auf den Storeeingang und rief: »Komm raus, Walker! Hoi, komm raus! Oder wir holen dich! Los, du Wicht von einem Marshal! Lass mich nicht länger als zehn Sekunden warten!«
Jed Walker ließ sie nicht warten.
Denn er wusste mich in der Nähe. Dass er sich auf mich verlassen konnte, wussten er und die kleine Stadt ebenfalls. Denn ich hatte in dieser Hinsicht den Ruf absoluter Zuverlässigkeit.
Jed Walker war ein rundlicher, glatzköpfiger Mann. Wahrscheinlich hatte er in seinem Lagerraum gearbeitet. Denn er hatte einen Zuckersack als Schürze vor den Leib gebunden. Aber wie zu einer Amtshandlung hatte er sich den Stern eines Town Marshals angesteckt. Die Stadt war zu klein und deshalb auch zu arm, um sich einen hauptamtlichen Marshal leisten zu können. Jed Walker übte seine Tätigkeit ehrenamtlich aus. Und er war gewiss kein Revolvermarshal, sondern nur ein redlicher Bürger und Geschäftsmann.
Nun stand er vor drei bösen Pilgern. Denn die Männer hatten einen denkbar üblen Ruf. Sie galten als Banditen und Revolverhelden.
Dass sie nach Rainbow Creek gekommen waren, hatte seinen Grund.
Vor vier Tagen war hier ihr Bruder Blinky erschossen worden.
Walker starrte den Burschen an, der ihn herausgerufen hatte. Doch für einen winzigen Augenblick blickte er zur Seite und sah mich an der Ecke des Hotels. Das stärkte seinen Mut sichtlich. Denn er hob das Kinn und sah sein Gegenüber vom Rand des Plankengehsteigs kühl an.
»Wenn Sie einer der Manners-Brüder sind«, sagte er, »so lassen Sie sich sagen, dass Ihr Bruder Blinky seinen Tod selbst verschuldet hat. Er ließ sich von meiner Frau bedienen und kaufte Ware für siebenundfünfzig Dollar. Weil er jedoch nicht bezahlen konnte und meine Frau ihm keinen Kredit bewilligte, wurde er gemein. Er schlug sie ins Gesicht und wollte mit der Ware aus dem Store flüchten. Meine Frau rief um Hilfe. Ich war oben im ersten Stock, hörte die Schreie und trat ans Fenster. Ich hatte meine Schrotflinte schussbereit. Er wollte mit der Beute gerade davonreiten. Als ich ihn anrief, lachte er und zog seinen Colt. Als er auf mich anlegte, drückte ich beide Läufe ab. Das ist alles – abgesehen von den zwanzig Dollar für die Beerdigungskosten.«
Der Bursche staunte. Was er hörte, mochte er nicht glauben. Aber dann sagte er: »Du verdammte Laus von einem mickrigen Storehalter! Du hast wegen siebenundfünfzig Dollar unseren lieben Blinky getötet, unseren Prachtjungen, der schon als Kind süß wie ein Engel war. Weißt du eigentlich, warum wir hergekommen sind?«
Der Storehalter und ehrenamtliche Town Marshal erwiderte nichts. Aber er hatte jetzt Furcht. Am liebsten wäre er in seinen Store geflüchtet.
Doch das hätte ihm nichts genutzt. Die drei Banditen und Revolverhelden wären in der Lage gewesen, die ganze Stadt Rainbow Creek klein zu machen. Ich wusste inzwischen, dass in diesem kleinen Ort achtundvierzig Menschen lebten, darunter elf Kinder der verschiedensten Altersstufen. Es gab hier nur sieben kampffähige Männer. Einer von ihnen war der Storehalter. Die anderen sechs waren nicht zu sehen.
Denn sie hatten mich angeworben.
Für fünfhundert Dollar.
Das waren zwei Cowboy-Jahreslöhne.
Doch ich würde sie mir heute sauer verdienen müssen. Das wusste ich.
Der Storehalter gab immer noch keine Antwort.
Aber der Bursche wollte wohl auch keine. Denn er sagte: »Ich bin Job Manners, und ich werde dich jetzt gleich von den Beinen schießen. Meine beiden Brüder Tob und Bob passen auf, dass diese lausige Stadt sich nicht einmischt. Ay, wenn sie’s tut, machen wir sie klein. Dann gibt es Rainbow Creek nicht mehr. He, Walker, willst du dir nicht lieber selbst ‘ne Kugel durch den Kopf schießen? Du bist schon tot – tot – tot, und …«
Es wurde nun für mich allmählich Zeit einzugreifen. Denn der Bursche hatte sich in rachsüchtige Wut geredet. Dass er überhaupt so lange herumtändelte, lag sicherlich daran, dass ihn der Tod seines Bruders schmerzte und er sich abreagieren musste. Er wollte den Storehalter zittern sehen – vielleicht sogar um seine Haut winseln hören. Aber es konnte ebenso gut auch sein, dass er jetzt gleich blitzschnell zog und sofort schoss.
Ich stieß mich von der Hotelecke ab und ging ein paar Schritte auf dem Plankengehweg entlang, der hier vor dem Hotel zu einer Veranda ausgebaut war.
Als ich in die Nähe des einen Manners kam, der mich schon die ganze Zeit belauerte, hob dieser die Hand und sagte: »Halt, Buddy! Bleib stehen! Am besten wäre, wenn du ‘ne Staubfahne produzierst. Hau ab!«
Ich hielt inne.
Auch die beiden anderen Manners-Brüder sahen nun zu mir her.
Ich sagte laut genug: »Das ist heute kein besonders guter Tag für euch. Und ich will es euch gern ausführlich erklären.«
Nachdem ich das gesagt hatte, machte ich noch ein paar Schritte. Und so bekam ich endlich jenen Job Manners ins Schussfeld, der es auf Jed Walker abgesehen hatte. Denn auf diesen Mann musste ich zuerst schießen.
Wieder starrten sie alle zu mir her. Oh, sie witterten sicherlich schon die Gefahr. Sie waren erfahrene Wölfe. Und dennoch glaubten sie noch nicht, dass diese Gefahr allein von mir ausging.
»He, wer bist du denn?«, fragte Job Manners plötzlich rau. Und weil sich der Storehalter einige Schritte zurückzog und sich nun schon fast am Eingang des Stores befand, setzte er scharf hinzu: »He, bleib stehen, du Käsehändler!«
Jed Walker verharrte gehorsam. Und Job Manners wandte sich wieder an mich.
»Also, wer bist du?« Er wiederholte ungeduldig die Frage.
»Mein Name ist Spade«, sagte ich, »Lin Spade aus Laredo.«
Nun wussten sie Bescheid. Sie kannten mich nicht persönlich. Doch meinen Namen hatten sie schon gehört.
Job fragte mich: »Und du hast dich hier eingekauft?«
Ich nickte. »So ist es! Ich beschütze diese Stadt. Und nun könnt ihr es versuchen oder abhauen.«
Es war eine Herausforderung, doch ich wusste, dass die Manners jede Zurückhaltung als Schwäche auslegen würden.
Rechts von mir war ein offenes Hotelfenster. Ich erkannte eine leichte Bewegung im Speiseraum. Und ich riskierte einen schnellen Seitenblick.
Ja, hinter dem Fenster im Speiseraum des Hotels stand die schöne grünäugige Lady.
Sie hatte gewiss jedes Wort hören und alles beobachten können.
Ich konnte sie nur einen Sekundenbruchteil ansehen. Aber ich erkannte ihren prüfenden Blick.
Dann wandte ich meine volle Aufmerksamkeit wieder den Manners-Brüdern zu.
Und dazu war es auch höchste Zeit.
Denn sie hatten sich irgendwie verständigt.
Job Manners, der offensichtlich ihr Anführer war, sagte plötzlich heiser: »Na, dann fahr halt mit dieser Stadt zur Hölle, Lin Spade aus Laredo! Hoiii!«
Sein »Hoiii« war das Zeichen für die Brüder.
Sie schnappten die Colts heraus.
Und so schnell sie auch waren – ich schlug sie glatt.
Das Krachen unserer Colts füllte die staubige Fahrbahn zwischen den Häusern von Rainbow Creek.
Und als der letzte Schuss verhallt war, lagen sie im Staub.
Ich stand noch. Ich hatte nur zwei leichte Kratzer. Die Manners-Brüder – obwohl zu dritt – schossen zu hastig. Ich traf sie nacheinander.
Nun war es vorbei.
Die Leute aus Rainbow Creek kamen aus ihren Häusern. Einige waren bewaffnet.
Und es war so ähnlich wie nach einer Tigerjagd. Wenn die Bestie erlegt war, kamen die Dorfbewohner, die sich zuvor fürchteten, um sie zu schmähen.
Die drei Manners waren nicht tot. Aber ich hatte sie ziemlich schlimm angeschossen, sodass sie nicht mehr kämpfen konnten.
»Nehmt starke Knüppel und schlagt sie tot!«, kreischte eine Alte.
Ich musste nun die drei Manners schützen.
Der Storehalter und einige vernünftige Männer unterstützten mich dabei. Wir packten die Brüder auf ihre Pferde, banden sie fest und jagten sie davon. Es war anzunehmen, dass sie draußen vor der Stadt einige Freunde zurückgelassen hatten.
Ich war fertig hier in Rainbow Creek.
Mein Geld hatte ich verdient.
Ich würde noch vor Anbruch der Nacht weiterreiten.
Aber zuerst wollte ich noch das Abendbrot zu mir nehmen. Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen. Ein satter Magen macht träge.
So ging ich in das Hotel und betrat den Speiseraum.
Die grünäugige Schöne saß am Fenstertisch.
☆☆☆
Unsere Blicke begegneten sich. Ich nickte ihr zu und sagte: »Tut mir leid, dass sie dies alles miterleben mussten, Ma’am.«
Nach diesen Worten wollte ich an einen freien Tisch, um daran Platz zu nehmen.
Doch sie machte eine einladende Bewegung mit der Hand und sagte: »Hier ist der beste Platz, die Übersicht zu behalten. Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, bei mir zu sitzen …« Sie verstummte mit einem Lächeln, zeigte weiße Zahnreihen zwischen einem ausdrucksvollen Lippenpaar.
Ich begriff in dieser Sekunde, dass es eine dieser selbstbewussten Frauen war, die etwas in Gang brachten, wenn ein Mann ihnen gefiel.
Ich trat zu ihr an den Tisch, warf meinen Hut auf einen freien Stuhl und setzte mich.
Der Tisch war wirklich gut gewählt. Es war der einzige im Raum, von dem man durch das Eckfenster die Straße beobachten konnte.
Die Bedienung kam. »Es gibt heute Hammelbraten und grüne Bohnen, dazu Apfelkuchen und Kaffee«, sagte sie.
Ich nickte stumm.
Die grünäugige Schöne betrachtete mich wieder. Ich spürte ihre Ausstrahlung. Sie war wie ein geheimnisvoller Zauber.
»Ein Revolvermann …«, sagte sie, machte eine Pause und fügte dann als Frage an: »… den man mieten kann?«
Ihre Stimme klang ruhig und melodisch, hatte ein dunkles, reizvolles Timbre.
Als sie verstummte, grinste ich. Oha, ich wusste, dass jetzt in meinem dunklen, verwegenen Gesicht zwei weiße Zahnreihen blitzten. Und bisher hatte mir noch keine Frau, auf die ich es abgesehen hatte, widerstehen können, wenn ich dieses Grinsen anknipste.
»Ach«, sagte ich, »dies ist mein Weg. Und auf was man auch trifft, man muss damit zurechtkommen. Denn manchmal trifft man auch auf wunderhübsche Dinge – zum Beispiel eine Frau wie Sie. Wenn ich Sie ansehe, habe ich tausend Fragen. Nur eines weiß ich genau.«
»Was?«, fragte sie knapp, fast hart. In ihren schrägen, grünen Katzenaugen war ein kühles Funkeln.
»Irgendwie«, murmelte ich, »sind wir zwei artverwandte Seelen. Sie sind eine Glücksjägerin, ich ein Abenteurer. Und Sie sind eine schwarze Pantherkatze, ich ein zweibeiniger Tiger. Das ist sicher.«
Sie senkte ihren Blick, blickte auf ihre auf der Tischkante ruhenden Hände. Es waren geschmeidige, ausdrucksvolle Hände.
Sie schwieg, doch sie sah mich wieder an und nannte ihren Namen.
Dee Winters, so hieß sie.
Die Bedienung brachte uns nun das Abendessen. Auch Dee Winters hatte schon bestellt.
Indes sie das Tablett absetzte, sagte die Bedienung: »Ma’am, Ihr Zimmer ist jetzt fertig. Sie können also nach dem Essen hinauf. Der Schlüssel hängt hinter dem Anmeldepult am Brett. Nummer fünf.«
Dann ging sie wieder davon.
Wir begannen zu essen.
Dee Winters kaute einige Bissen. Dann fragte sie: »Warum wurde aus dem Jungen, der ja auch Sie mal waren, Lin Spade, solch ein Fighter, dessen Schutz man sich kaufen kann?«
»Das erzähle ich Ihnen vielleicht, nachdem wir zusammen geschlafen haben, Dee.«
☆☆☆
Irgendwann zwischen Mitternacht und Morgen wurde ich wach. Ich hielt Dee Winters in meinem Arm. Ihr Gesicht war mir zugewandt. Ihr Kopf lag an meiner Schulter. Ihr Haar kitzelte meine Nase.
Sie wurde plötzlich ebenfalls wach.
Und sie küsste meine Wange.
»Wohin wolltest du von hier aus reiten?«
»Weiter oben in Montana kämpfen Schafzüchter und Rinderleute um die Weide. Seit es keine Büffel mehr gibt und die Indianer in Reservate eingesperrt wurden, machen die Weißen unter sich Krieg. Denn die alte Büffelweide wird jetzt aufgeteilt. Warum fragst du?«
»Reite für mich nach Old Fox«, sagte sie. »Du kennst sicherlich verschwiegene Pfade.«
»Zu welchem Zweck?«, fragte ich langsam. Ich begann endlich zu begreifen, dass diese Dee Winters von Anfang an mehr von mir wollte als nur Zärtlichkeit.
Sie lachte leise in meinem Arm, küsste wieder meine Wange.
»Du sollst meine Reisetasche nach Old Fox bringen«, sprach sie dann. »Sie ist voller Geld. Ich brauche dieses Geld in Old Fox. Aber ich bin sicher, dass man es mir unterwegs abnehmen will. Ich habe gestern noch ziemlich verzweifelt nach einem Ausweg gesucht – bis – ja, bis ich dich kämpfen sah. Da entschloss ich mich, mir deine Hilfe zu sichern.«
☆☆☆
Schon eine Stunde nach Sonnenaufgang ritt ich los in Richtung Westen. Denn dort irgendwo lag Old Fox City. Der Wagenweg dorthin war etwa hundertsiebzig Meilen lang. Die Postkutsche wechselte unterwegs fünfmal die Gespanne.
Mein Pferd hatte sich gut erholt in Rainbow Creeks Mietstall.
Die Reisetasche mit dem Geld befand sich in meiner geteerten Segeltuchplane, mit der meine Siebensachen eingehüllt waren. Das Bündel hinter meinem Sattel war dadurch recht umfangreich geworden. Doch das war nicht ungewöhnlich in diesem Land.
Ich dachte immer wieder an all die Dinge, welche Dee dazu bewegt hatten, mir zwanzigtausend Dollar anzuvertrauen. Ja, sie hatte mir alles genau erklärt.
Ich ritt Meile um Meile.
Und schon nach zehn Meilen etwa – als ich von einem Hügelsattel auf meiner Fährte zurückblickte –, sah ich meine Verfolger.
So einfach war das.
Sie waren in Rainbow Creek gewesen. Und sie hatten die Ankunft der Postkutschen beobachtet. Ihnen war nichts entgangen – auch nicht, was Dee Winters sich ausgedacht hatte. Wenn sie über mich Bescheid wussten, dann würden sie mehr als vorsichtig sein.
Ich grinste, denn ich zählte drei.
Und wenn ich mich schon nicht vor den drei Manners gefürchtet hatte, dann brauchte ich das gewiss auch nicht vor diesen drei Verfolgern tun. Überdies besaß ich ein Dreihundert-Dollar-Pferd. Ich konnte ihnen davonreiten, ich konnte auch in der Nacht einen Haken schlagen und hinter sie gelangen. Dies würde ich mir noch überlegen.
Ich ritt also ziemlich sorglos weiter und war guten Mutes.
Aber am Nachmittag, da sah ich die Rauchzeichen hinter mir.
Und nun wusste ich, dass mir die drei Verfolger bald gar nicht mehr folgen würden. Sie waren nur bis zu einem Punkt geritten, von dem aus sie mit Rauchsignalen mein Kommen melden konnten.
Nun war die Sache plötzlich anders.
Ich hatte von jetzt an die Gefahr vor mir.
Irgendwo erwarteten sie mich.
Und es gab keine Möglichkeit für Umwege. Denn die Zeit drängte. Die Tasche mit dem Geld musste morgen Mittag um vierzehn Uhr in Old Fox City sein.
Verdammt, ich ritt vielleicht schon bald in eine Kugel aus dem Hinterhalt.
Dee Winters hatte mir da eine Menge Verdruss aufgehalst.
Ich ritt bis zum Abend, und auf meinem erstklassigen Pferd hatte ich dann schon an die fünfzig Meilen hinter mir. Mein Weg kreuzte einmal den Wagenweg, und ich sah die Lichter einer Station in der Nacht.
Wahrscheinlich war die Postkutsche, in der Dee saß, schon durch und hatte dort das Sechsergespann gewechselt.
Ich überlegte. Mein Pferd war eines von jener Sorte, die nach fünfzig Meilen – wenn andere Gäule nicht mehr können – erst richtig anfängt zu laufen. Und auch mir fiel es nicht besonders schwer, hundert Meilen den Sattel zu quetschen.
Also ritt ich weiter und war der immer stärker werdenden Dunkelheit dankbar. Denn sie schützte mich vor Schüssen aus dem Hinterhalt.