1,99 €
Als der rothaarige Mann gerade seine Hände im Proviantsack hat, gleitet Cole Younger hinter dem Busch hervor und sagt kurz und trocken: »Tot oder lebendig steht auf Ihrem Steckbrief, Brandon! Und mir ist es gleich, wie ich Sie nach Laramie bringe!«
Der Rotkopf ist in seiner kauernden Haltung erstarrt.
»He?«, fragte er. »Kopfgeldjäger oder Sheriff?«
»Kopfgeldjäger«, erwidert Cole Younger kalt und gefühllos.
Sie betrachten sich einige Atemzüge lang. Cole Younger wirkt sehr dunkel und indianerhaft, der rothaarige Clyde Brandon irgendwie löwenhaft und hart. Doch nicht böse.
»Sie hätten mir in den Rücken schießen können«, sagt er nun langsam. »Und als Sie mich anriefen, da dachte ich, Sie hätten einen schussbereiten Colt oder eine Schrotflinte in der Hand.«
Cole Younger nickt. »So habe ich es immer gehalten, Clyde Brandon. Immer gleiche Chancen! Seit sechs Jahren jage ich Burschen, auf deren Steckbrief ›Tot oder lebendig‹ steht. Und ich lebe noch. Also, Brandon, wie wollen Sie es haben? Kommen Sie lebend oder tot mit mir nach Laramie zurück?«
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Blaueis-Blizzard
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0518-9
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Blaueis-Blizzard
Als der rothaarige Mann gerade seine Hände im Proviantsack hat, gleitet Cole Younger hinter dem Busch hervor und sagt kurz und trocken: »Tot oder lebendig steht auf Ihrem Steckbrief, Brandon! Und mir ist es gleich, wie ich Sie nach Laramie bringe!«
Der Rotkopf ist in seiner kauernden Haltung erstarrt.
»He?«, fragt er. »Kopfgeldjäger oder Sheriff?«
»Kopfgeldjäger«, erwidert Cole Younger kalt und gefühllos.
Sie betrachten sich einige Atemzüge lang. Cole Younger wirkt sehr dunkel und indianerhaft, der rothaarige Clyde Brandon irgendwie löwenhaft und hart. Doch nicht böse.
»Sie hätten mir in den Rücken schießen können«, sagt er nun langsam. »Und als Sie mich anriefen, da dachte ich, Sie hätten einen schussbereiten Colt oder eine Schrotflinte in der Hand.«
Cole Younger nickt. »So habe ich es immer gehalten, Clyde Brandon. Immer gleiche Chancen! Seit sechs Jahren jage ich Burschen, auf deren Steckbrief ›Tot oder lebendig‹ steht. Und ich lebe noch. Also, Brandon, wie wollen Sie es haben? Kommen Sie lebend oder tot mit mir nach Laramie zurück?«
Er fragt es mit ruhiger Stimme, in der bei aller Ruhe und Sanftheit ein Klang von unversöhnlicher Härte ist.
Und wieder betrachten sich die beiden Männer, studieren sich, schätzen sich ab und belauern sich.
»Sie sind ein merkwürdiger Kopfgeldjäger«, murmelt Clyde Brandon dann. »Es hat wohl keinen Sinn, dass ich Ihnen sage, dass ich unschuldig bin?«
Cole Younger schüttelt auf eine sehr unversöhnliche Art den Kopf. »Nein«, sagt er. »Es hätte keinen Sinn. Das können Sie dem Richter und der Jury erzählen. Ich halte mich nur daran, dass ein Kopfpreis auf Ihre Einbringung ausgesetzt ist.«
»Tot oder lebendig«, fügt Clyde Brandon bitter hinzu. Dann schüttelt er den Kopf. »Sie werden mich weder tot noch lebendig bekommen, Mister Kopfpreisjäger!«
»Mal sehen«, murmelt Cole Younger. Er blickt den Geächteten einige Atemzüge lang an, mit schmalen Augen, und sein indianerhaftes Gesicht ist ganz unbeweglich.
Dann nickt er und sagt ruhig: »Brandon, kämpfen Sie!«
Und als er es gesagt hat, wartet er noch genau drei Sekunden. Dann bewegt sich seine Hand. Er zieht seinen Colt. Dieses Ziehen ist jedoch für das Auge kaum sichtbar. Es ist eine blitzschnelle Bewegung. Ein Wolf, der zuschnappt, ist gewiss nicht schneller.
Aber auch Clyde Brandon zieht die Waffe. Auch er ist so unwahrscheinlich schnell wie ein Zauberkünstler, der diese eine Bewegung sein ganzes Leben lang geübt hat.
Nur einen winzigen Sekundenbruchteil ist Cole Younger schneller. Doch als er abdrückt, beginnt sein Pech. Dass sich der Schuss nicht löst, liegt nicht an einer schlechten Patrone, denn Cole Younger ist ein Mann, der seine Munition stets sorgfältig prüft und seine Waffe auch mit sehr großer Sorgfalt pflegt.
Und doch ...
Irgendwann bricht auch mal eine Feder. Als Cole Younger beim Ziehen mit dem Daumen den Hammer der Waffe zurücklegt, bricht etwas ab. Es ist die Feder, die den Hammer sonst auf die Patrone schlagen lässt. Diese Kraft zerbricht nun, und weil das so ist, kann der Hammer nicht auf die Patrone hacken.
Der Colt ist wertlos und unbrauchbar.
Und Cole Younger bekommt Clyde Brandons Kugel. Sie fährt durch seine rechte Schulter, lässt ihn drei Schritte rückwärts taumeln und ihn zum Schluss einmal um sich selbst drehen. Doch dann steht er wieder breitbeinig und fest.
Er blickt zu Clyde Brandon hinüber und senkt dann den Blick, um die wertlose Waffe in seiner Hand zu betrachten. Er lässt sie fallen und blickt wieder auf Clyde Brandon.
»Glück gehabt, Bandit!«, sagt er gepresst.
Dann fällt er auf die Knie und mit einem heiseren Stöhnen aufs Gesicht.
Clyde Brandon seufzt jetzt bitter. Er wischt sich mit dem Ärmel über das Gesicht. »Verdammt«, sagt er, »verdammt noch mal! Muss ich denn zehntausend Meilen reiten?«
Er setzt sich in Bewegung und tritt zu dem Gefallenen. Er nimmt einen Moment dessen Colt in die Hand und erkennt sofort, dass der Hammer ohne Spann- und Federkraft ist. Er begreift, warum sich der Schuss nicht löste.
Dann dreht er Cole Younger auf den Rücken und betrachtet ihn einige Sekunden bitter. Plötzlich aber springt er auf, eilt zu seinem Bündel, sucht darin herum und kommt schnell wieder zurück.
Es dauert dann etwa zwanzig Minuten, bis er die beiden Kugellöcher verstopft, die Blutung zum Stillstand gebracht und den Mann verbunden hat.
Dann entfernt er sich und kommt nach abermals zwanzig Minuten mit Cole Youngers Pferd zurück. Er arbeitet nun schnell, nimmt dem Tier Sattel und Bündel ab und bereitet für den Verwundeten ein Lager.
Dann erhebt er sich und sattelt sein eigenes Pferd.
Bevor er abreitet, geht er noch einmal zu dem Verwundeten. Cole Younger ist jetzt wach.
»Pech gehabt, Kopfgeldjäger«, sagt Clyde Brandon zu ihm.
»Es sollte nicht sein«, ächzt Cole Younger matt. Sein vorhin noch so dunkelbraunes Gesicht wirkt nun sehr bleich und blutleer, und er hat auch wahrhaftig viel Blut verloren.
»Sie haben mich verbunden, Brandon, das war fair!«
»Auch Sie waren fair, Kopfgeldjäger«, erwidert Clyde Brandon grimmig. »Sie hätten mich aus dem Busch dort in den Rücken schießen können. Ein anderer Kopfgeldjäger hätte es wahrscheinlich getan. Diese Burschen riskieren nichts. Es macht ihnen wenig aus, wie sie sich das Kopfgeld verdienen. Der Steckbrief, auf dem ›Tot oder lebendig‹ steht, ist ihr Jagdschein. Nun gut, Mister. Ich habe Sie verbunden. Hier ist Ihre Wasserflasche. Da ist Proviant, Sie werden einige Tage liegen müssen. Wird Ihr Pferd fortlaufen?«
»Ich glaube nicht«, ächzt Cole Younger.
Er blickt seltsam ernst zu Clyde Brandon auf.
»Wenn ich wieder reiten kann, werde ich Ihrer Fährte folgen, Brandon. Mein Name ist Younger, Cole Younger. Black Cole Younger. Und Sie sind ein Narr, Brandon, dass Sie mich versorgten. Denn ich werde Sie eines Tages wieder gestellt haben. Mir ist noch nie ein Wild entkommen. Sie hätten mich töten müssen, Brandon.«
»Vielleicht wäre das gut gewesen«, murmelt dieser bitter. »Ich habe auch schon von Ihnen gehört. Cole Younger. Ich dachte mir fast, dass Sie Black Cole Younger sind. Aber ich bin kein Mörder, Mister. Und ich sage Ihnen nochmals, dass ich unschuldig bin.«
Nach diesen Worten erhebt er sich, geht zu seinem Pferd und sitzt auf. Vom Sattel aus blickt er noch einmal auf Cole Younger nieder und sagt dann verächtlich: »Ich achte jeden Gesetzesmann, der auf Verbrecher Jagd macht, weil dies seine Pflicht ist. Aber ich verachte Kopfgeldjäger. Younger, Sie und alle Burschen von Ihrer Gilde, ihr seid nicht ehrenwert. Ihr seid schlecht, denn ihr jagt Menschen für Geld.«
✰✰✰
Clyde Brandon reitet stetig nach Norden. Sein Pferd hat sich während der Nacht gut erholt.
Weit und breit des Bozeman-Weges rührt und bewegt sich nichts. Nur die Furchen der schweren Wagen sind da und die Hufspuren von Rindern und Pferden. Rinder- und Pferdeschädel und Gerippe liegen manchmal am Weg. Auch Gräber gibt es.
Denn dieser Bozeman-Weg nach Montana hat eine raue und blutige Geschichte. Er führt mitten durch das Indianerland.
Clyde Brandon kommt sich sehr einsam und verlassen vor.
So legt er einige Meilen zurück.
Dann hält er plötzlich an. Es ist, als hätte ihn ein Warnsignal erreicht. Er fragt sich einige Sekunden lang, was es sein kann.
Plötzlich weiß er es.
Er spürt den Wind aus dem Süden nicht mehr im Rücken. Er sieht nicht mehr die Wogen im hohen Büffelgras, die der Wind bisher erzeugte. Er hört nicht mehr das Rascheln der Halme.
Es ist plötzlich alles still und leblos. Es ist eine seltsame und unwirkliche Stille, als hätte jemand eine riesige Glocke über den Reiter gestülpt.
Das ist seltsam. Denn das ganze Land und die ganze Umwelt scheinen mit dem Atmen aufgehört zu haben.
Unter dem Reiter erzittert das Pferd. Es bewegt seltsam die Ohren, und dann wirft es schnaubend den Kopf hoch und wittert nach Norden. Clyde Brandon nimmt seinen Hut ab und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Es ist ein alter Stetson mit flacher Krone. Die ehemals schwarze Farbe des Hutes ist ausgebleicht.
»He«, sagt Clyde Brandon. »Was ist das?«
Sein Pferd wiehert nun und beginnt erregt unter ihm zu tänzeln.
Als Clyde Brandon es etwas beruhigt hat, sieht er das zweite Zeichen einer Warnung. Das Büffelgras bewegt sich nämlich wieder. Doch die Wellen laufen nun entgegengesetzt. Dann trifft ihn der Wind, und nun kommt er von vorn.
Jetzt kommt er von Norden und ist wie der Hauch aus einer riesengroßen Eisgruft.
»Oha!«, sagt Clyde Brandon trocken, und dann muss er sich im Sattel vorbeugen, denn der Wind bläst nun heftig.
Clyde Brandon starrt zu der breiten Kerbe eines Passes hin.
»Nord-Blizzard«, murmelt er, denn er erblickt hinter der Kerbe des Passes eine dunkle Wand, in der gelbe Lichter zucken. Doch plötzlich erscheint diese Wand auch über den Bergkämmen. Sie wälzt sich darüber hinweg.
Dann setzt der Wind wieder aus. Es ist wie ein Atemholen zu größerer Gewalt. Als der kalte Stoß dann wiederkommt, ist er noch eisiger, noch schneidender, und der Schweiß unter Clyde Brandons Kleidung und im Fell des Pferdes gefriert plötzlich. Clyde Brandons Hemd und Hose sind plötzlich aus einem steif gefrorenen Material.
Da weiß ein Mann wie Clyde Brandon, was da aus dem Norden auf ihn zugebraust kommt. Er weiß, dass der eisige Wind jetzt noch harmloses Streicheln gegen das ist, was noch kommen wird.
Ja, er weiß, dass da kein einfacher Nord-Blizzard kommt.
Es ist ein Blaueis-Blizzard, der Blizzardgott selbst, wie die Indianer ihn nennen. Der Vater aller Blizzards kommt dort!
Als Clyde Brandon sich darüber klar ist, reißt er sofort sein Pferd halb herum und reitet auf die zerklüfteten Hügel im Westen zu.
Denn was er jetzt finden muss, das wäre zumindest eine Höhle und genügend Feuerholz.
Er findet diese Höhle in den nächsten fünf Minuten. Es ist eine prächtige Höhle, und es ist, als wäre sie irgendwann nur deshalb geschaffen worden, um einen Mann vor einem Blaueis-Blizzard zu schützen. Auch Holz ist da, denn dicht vor dem Höhleneingang liegt ein mächtiger Baum. Er muss im vergangenen Winter von der Terrasse dort oben gestürzt sein, wo ihn ein Nordwind entwurzelte.
»Nun gut«, sagt Clyde Brandon zufrieden. Doch er hört seine Worte nicht, denn sie gehen in dem brausenden Heulen des dritten Windstoßes unter.
Er will absitzen, doch da erspäht er eine dunkle Bewegung zwischen Büschen und Felsen.
Dann kommt ein Bär zum Vorschein. Es handelt sich um einen richtigen Silvertip. Und wer nicht weiß, was ein Silvertip ist, also ein Silberfleck, dem sei gesagt, dass man in diesem Lande bis hinauf an die Nordgrenze einen Grizzly so nennt.
Clyde Brandons Pferd steht wie festgenagelt vor Schreck. Doch es zittert jetzt bestimmt nicht wegen der eisigen Kälte.
Der Bär will ganz klar in die Höhle. Denn was einem weißen Mann gut genug ist, um einen Blaueis-Blizzard zu überstehen, das ist einem Bären erst recht angenehm.
Er läuft leicht und gleitet am Reiter vorbei und auf die Höhle zu. Dabei wendet er den mächtigen Schädel und starrt Clyde Brandon an. Der aber spürt, dass sein Pferd gleich den Schrecken überwunden haben und wie eine Sprengladung unter ihm explodieren wird.
Ein Mann in seiner Lage muss schnell handeln.
Und Clyde Brandon ist ein Mann, der zum schnellen Handeln befähigt ist. Er griff schon zuvor instinktiv zum Gewehrkolben, der neben seinem Knie aus dem Sattelfutteral ragt. Eine halbe Sekunde später schießt er auch schon. Es ist, als wollte der Grizzly die Kugel mit dem Rachen auffangen oder zerbeißen.
Dann wirft sich der Bär herum, um mit dem Reiter um den Besitz der Höhle zu kämpfen. Bevor das Pferd unter Clyde Brandon explodiert, trifft dieser den Bären zum zweiten Mal.
Dann macht Clyde eine Luftreise, knallt schwer auf den Boden, rollt zur Seite und taumelt hoch. Er hat das Gewehr noch in der Hand und schießt sofort wieder. Eine Winchesterbüchse ist nun einmal kein Bärentöter. Eine Mücke ist ja auch keine Hornisse, und so verhält es sich auch mit den Kugeln.
Als der Grizzly bei Clyde Brandon ist, gleitet dieser einen Schritt zurück und schießt noch einmal in das linke Auge der Bestie.
Und das reicht. Eine Tatzenkralle reißt ihm zwar noch die Hose entzwei, ritzt ihm aber kaum die Haut.
Er blickt sich nach seinem Pferd um.
Und das kommt jetzt. Auch ein Pferd weiß, wie gut eine Höhle in den nächsten Stunden oder Tagen sein wird.
Das Tier kommt ziemlich nahe heran. Clyde Brandon geht ihm entgegen. Er führt es um den Grizzly herum und in den Höhleneingang.
»Wir haben es geschafft«, sagt er, »Bruder, wir haben es geschafft.«
Doch als er es gesagt hat, da denkt er plötzlich an Cole Younger, der verwundet und hilflos wenige Meilen von dieser Stelle von dem heranbrausenden Blaueis-Blizzard getötet werden wird.
Dieser Cole Younger hat die Chance eines Schneeballes in einem glühenden Ofen, nämlich keine!
Und nun beginnt für Brandon ein innerer Kampf, den nur ein guter und richtiger Mann gewinnen kann.
Dieser innere Kampf dauert drei Sekunden.
Dann weiß Clyde Brandon, was er tun muss, um seine Selbstachtung behalten zu können.
✰✰✰
Cole Youngers Bewusstlosigkeit hält nicht sehr lange an, denn er ist ein harter Mann. Aber als er die Augen öffnet, da wird ihm bald klar, dass er Besuch hat. Es sind einige rote Gentlemen vom Stamm der Oglalas. Sie hocken im Kreis um den Verwundeten herum und starren ihn an.
Cole Younger, der sich mit Indianern auskennt, grinst, so gut er kann, und sagt mühsam: »Hokahe, willkommen in meinem Tipi!«
Obwohl er es mühsam sagt, begreifen auch diese Sioux seinen bitteren Humor. Dafür haben sie ein feines Gefühl. So etwas schätzen sie sehr. Sie grinsen. Jawohl, sie grinsen.
Dann sagt einer kehlig: »Mut hast du, Schwarzhaar! Und höflich bist du auch. Es tut uns fast leid, dass wir dich erschlagen werden. Doch wir werden dein Pferd bei dir lassen. Mit ihm kannst du dann mühelos zum Sammelplatz aller Seelen reiten.«
»Ihr seid sehr gütig, richtig vornehm und nobel«, krächzt Cole Younger, und er gebraucht die indianischen Worte für diese Begriffe. Oh, er kann sich mit Apachen, Comanchen und Sioux gut verständigen. Das hat er gelernt, und er ist auch begabt dafür.
Sie nicken wieder zufrieden, weil er doch so anerkennende Worte für sie findet. Man sieht ihnen die Zufriedenheit an, dass er jetzt nicht zu weinen, zu bitten beginnt. Sein Skalp ist deshalb für sie wertvoller, denn es ist der Skalp eines richtigen Mannes und keines heulenden Feiglings.
Das ist nun einmal Indianermeinung.
»Du bist sicher ein Häuptling«, sagt einer von ihnen kehlig. »Wir werden dir zu deinem Pferd auch noch die Waffen lassen. Wie ein Häuptling sollst du ins Schattenreich reiten. Woyuonihan, wir ehren dich! Aber du wirst einsehen, dass wir dich töten müssen. Es ist Krieg zwischen unseren Völkern.«
»Fangt nur an«, krächzt Cole Younger grimmig. »Ihr könnt stolz sein, wenn ihr mich getötet habt. Es macht gar nichts aus, dass ich kaum einen Finger bewegen kann. Es gehört schon großer Mut dazu, wenn ein Oglala einen kranken Mann wie mich tötet.«
Als er dies gesagt hat, kann er ihnen ansehen, wie wenig ihnen seine Worte gefallen. Dass er so gesprochen hat, passt ihnen ganz und gar nicht. Der Sprecher der Roten bekommt auch sofort einen sehr finsteren Gesichtsausdruck.
»Ich bin Napaka Kesela«, sagt er trocken. »Und das hier sind He-Luta und Mato-si! Wir sind Häuptlinge! Jeder von uns könnte dich auch dann töten, wenn du nicht krank am Boden lägest, sondern kämpfen könntest.«
»Ich würde euch mit der blanken Faust die Köpfe abschlagen«, sagt Cole Younger bitter.
Er weiß nun, wer diese drei Gentlemen sind. Er kann die drei indianischen Namen übersetzen. Diese drei Burschen gehören wirklich zum roten Salz der Erde.
Denn Napaka Kesela, das heißt American Horse oder auf gut deutsch Amerikanisches Pferd, und He-Luta heißt Rothorn, und Mato-si heißt Gelber Bär.
Und wer lange genug hier in diesem Lande weilt und sich auskennt, der weiß sofort, dass diese drei Gentlemen unter den Ihren etwas ganz Besonderes darstellen.
Als Cole Younger nun sagt, dass er ihnen mit der bloßen Faust die Köpfe abschlagen würde, wäre er nur gesund, da nicken sie anerkennend.
Und dann winkt Amerikanisches Pferd einem sehr jungen Krieger zu, der sich bescheiden im Hintergrund hielt.
»Hakada«, sagt er und das bedeutet Letztgeborener, weil dieser junge Bursche noch so jung ist, dass er keinen richtigen Namen hat.
»Hakada, dies ist eine Sache für dich«, sagt er.
Der junge Mann, der noch keinen Kriegernamen hat, tritt herbei. Er zieht sein Messer und betrachtet Cole Younger ernst. Er betrachtet ihn lange. Dann kniet er nieder und berührt Cole Youngers Kehle mit dem Messer. Man nennt die Sioux ja auch Halsabschneider.
Der Junge berührt den Weißen also mit dem Messer. Dann erhebt er sich und sagt stolz: »Keine Ehre ohne Kampf! Ich töte keinen Hilflosen.« Und auch das wieder klingt echt indianisch.
Amerikanisches Pferd nickt anerkennend. Seine dunklen Augen funkeln.
»Das ist dein Name, Hakada«, sagt er. »Er-tötet-keinen-Hilflosen, dies sei dein Name.«
Cole Younger erlebt diese Namensverteilung mit gemischten Gefühlen, und er fragt sich, was nun kommen wird. Denn er glaubt immer noch nicht daran, dass ihm die Roten den Skalp lassen werden.
Vielleicht haben sie eine Squaw zur Hand, die keine Ehre zu verlieren hat und die ihn mit einem Stein erschlägt.
Doch dann kommt es anders.
Die Indianer erstarren plötzlich. Dann wittern sie nach Norden.
Sie verharren lange so.
Dann sagt Rothorn kehlig ein einziges Wort: »Waniyetula!«
Selbst Cole Younger wird es klar, was damit gemeint war. Nun verspürt sogar er den eisigen Hauch aus dem Norden.
»Hopo!«, ruft Amerikanisches Pferd scharf. Und dann schwingen sich die Roten auf ihre scheckigen Pferde. Amerikanisches Pferd reitet nur noch einmal kurz zu dem Verwundeten hin.
»Wir brauchen dich nicht zu töten«, sagt er. »Du wirst einschlafen und unter der tiefen weißen Decke liegen. Dein Tod wird gut und friedlich sein. Ich wünsche dir einen guten Weg, Schwarzhaar!«
Und Cole Younger, der begriffen hat, dass ein Blizzard kommt, erwidert schlicht und doch nicht ohne Wärme: »Alle Flöhe und Läuse an dir sollen erfrieren, Vetter.«
Dies ist wirklich ein guter Wunsch von einem weißen Mann für einen roten Mitmenschen.
Doch Amerikanisches Pferd hört ihn nicht mehr. Er kann sich nicht mehr dafür bedanken. Denn er ist mit seinem Rudel schon unterwegs, um irgendwo Schutz zu finden.
Cole Younger aber ist sich darüber klar, dass er erledigt ist.
Der Blizzard wird ihn bald mit seiner weißen Schnee- und Eisdecke zugedeckt haben. Doch zuvor wird Cole Younger erfrieren.
Cole Youngers Pferd kommt herbei und stößt ihn mit dem weichen Maul gegen die Wange. Das gute und treue Tier schnaubt ihm ins Gesicht, und es ist eine Aufforderung.