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Wir, die Bannerhans, waren von Süden her über den Pass in das große Tal gekommen. Siebzehn Männer waren wir, fünf Frauen und zwölf Kinder. Wir besaßen etwa hundert Pferde und zweitausend Rinder. Unsere Habe fuhren wir auf fünf guten Wagen, die von erstklassigen Maultieren gezogen wurden.
Jeder unserer Reiter war ein Mann, der sich überall behaupten konnte. Big Joe Bannerhan, mein Vater, war stolz auf seine Sippe. Wir hatten Texas verlassen, um uns in Wyoming ein viel größeres Königreich zu erobern als jenes, das wir daheim besessen hatten. Dafür waren wir bereit, dem Teufel ins Gesicht zu spucken.
Schon von der Passhöhe aus sahen wir in der klaren Luft von Wyoming, dass von Norden her ebenfalls Menschen in dieses große Tal gezogen kamen: Reiter, Wagen, eine Pferdeherde und Rinder, viele Rinder.
Es war ein geradezu teuflischer Scherz des Zufalls. Da hatte dieses paradiesische Tal wohl Jahrtausende nichts anderes als Indianer und Büffel gesehen und nur Frieden und Ruhe gehabt, und jetzt kamen aus zwei Richtungen weiße Menschen hereingezogen wie durch zwei riesige Tore in eine gewaltige Arena. Und der Kampf der Titanen begann ...
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Seitenzahl: 160
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Titanenfehde
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0720-6
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Titanenfehde
Wir, die Bannerhans, waren von Süden her über den Pass in das große Tal gekommen. Siebzehn Männer waren wir, fünf Frauen und zwölf Kinder. Wir besaßen etwa hundert Pferde und zweitausend Rinder. Unsere Habe fuhren wir auf fünf guten Wagen, die von erstklassigen Maultieren gezogen wurden.
Jeder unserer Reiter war ein Mann, der sich überall behaupten konnte. Big Joe Bannerhan, mein Vater, war stolz auf seine Sippe. Wir hatten Texas verlassen, um uns in Wyoming ein viel größeres Königreich zu erobern als jenes, das wir daheim besessen hatten. Dafür waren wir bereit, dem Teufel ins Gesicht zu spucken.
Schon von der Passhöhe aus sahen wir in der klaren Luft von Wyoming, dass von Norden her ebenfalls Menschen in dieses große Tal gezogen kamen: Reiter, Wagen, eine Pferdeherde und Rinder, viele Rinder.
Es war ein geradezu teuflischer Scherz des Zufalls. Da hatte dieses paradiesische Tal wohl Jahrtausende nichts anderes als Indianer und Büffel gesehen und nur Frieden und Ruhe gehabt, und jetzt kamen aus zwei Richtungen weiße Menschen hereingezogen wie durch zwei riesige Tore in eine gewaltige Arena. Und der Kampf der Titanen begann ...
Mein Bruder Jeff, unser Onkel Clay und auch wir, wir sahen Big Joe an, der mit uns zu Pferd auf einer Felsterrasse hielt.
Mein Vater war ein großer Mann, weißblond wie wir alle und hager wie ein Wüstenwolf. Er besaß die Schnelligkeit und unermüdliche Kraft und Ausdauer einer Stahlfeder.
Er war ein besonderer Mann.
Als er lange genug über das Tal gespäht hatte, sah er uns an.
»Das ist ein dummer Zufall«, sagte er. »Doch wir werden die Leute natürlich zum Teufel jagen. Dies ist unser Tal!«
Mehr sagte er nicht. Und es gab auch nicht mehr zu sagen. Wir waren seiner Meinung.
Ruhig folgten wir ihm, ritten mit ihm talwärts und überließen es unseren anderen Reitern, mit der Herde, den Pferden und Wagen langsamer zu folgen.
Das Tal war gewiss fünfzig Meilen lang und dreißig Meilen breit, ein riesiges Stück Land also, umgeben von bewaldeten Bergen.
Von Westen nach Osten zog ein Fluss, den viele Zuflüsse speisten. Im Tal gab es Senken, Bodenwellen, Waldinseln.
Wir ritten erstklassige Pferde und schafften die etwa fünfundzwanzig Meilen zum Fluss bis kurz vor Sonnenuntergang.
Als wir am Flussufer hielten, tauchten auch auf der anderen Seite drei Reiter auf – und dann kam noch einer.
Also waren uns die anderen Männer zahlenmäßig gleich.
Es war ein kleiner und herrlich lockender Fluss, nicht zu sandig, sondern mit Kieseln in seinem Bett. Gewiss gab es prächtige Fische darin.
Big Joe, unser Vater und Onkel Clays Bruder, trieb sein Pferd ins Wasser. Wir folgten ihm.
In der Flussmitte gab es eine Insel. Sie war flach, kaum mehr als eine Sandbank, auf der es einiges Grün und ein Dutzend Büsche gab. Das Wasser reichte unseren Pferden bis zu den Bäuchen. Offensichtlich war dies hier eine Furt.
Auch die vier fremden Reiter kamen von drüben her durch den Fluss zur Insel geritten.
Die Sonne berührte mit ihrem unteren Rand die Bergkämme im Westen, als wir voreinander die Pferde verhielten und uns betrachteten.
Wir konnten uns sehen lassen, dies wusste ich. Wir waren vier große, beachtliche Texaner. Unser Selbstvertrauen war unerschütterlich. Wir hatten vor nichts Respekt außer vor Gott, an den wir glaubten.
Aber wir waren immer der Meinung, dass wir uns selbst helfen mussten und alles auf dieser Welt seinen Preis hatte.
Als wir die vier anderen Reiter betrachteten, da erkannten wir sehr schnell, dass es noch mehr Exemplare von unserer Sorte gab – zumindest noch vier, nämlich diese vier uns gegenüber. Und auch dies war wohl wieder ein besonderer Spaß des Zufalls oder des Schicksals – je nachdem, wie man es ansehen wollte.
Das waren vier harte und großartige Nummern. Eigentlich unterschieden sie sich nur wenig von uns. Sie hatten blauschwarzes Haar und graue Augen. Aber sonst war kaum etwas anders an ihnen.
Big Joe hob lässig seine Rechte und tippte an die Hutkrempe.
»Ich bin Joe Bannerhan«, sagte er. »Dies sind mein Bruder Clay und meine Söhne Jeff und Ringo. Ich habe dieses Tal schon vor einigen Tagen für mich ausgesucht. Kehren Sie um, Gentlemen! Hier ist schon alles besetzt bis zu den Bergen in der Runde. Das ganze Tal ist besetzt.«
Er sagte es schlicht und unmissverständlich.
Und jeder Mann, der ihn in Texas kannte, wäre umgekehrt und hätte aufgegeben, wie ein Spieler, der begreifen musste, dass der Gegner eine bessere Karte hatte.
Doch die Fremden kannten ihn nicht.
Überdies – ich sagte es schon einmal – waren sie von unserer Sorte.
Nun griff der ältere Mann von ihnen, der offensichtlich ihr Anführer war, zum Hutrand. Und dann sagte er ganz trocken und schlicht: »Ich bin Bill McClellan. Dies sind meine Söhne Sean und Cash, und dies ist mein Vormann Chip Hondo. Aber er gehört zur Familie wie ein Onkel. Was ich Ihnen sonst noch zu sagen hätte, Gentlemen, haben Sie schon gesagt, Mister Bannerhan. Und so brauche ich nur noch festzustellen, dass wir beide dieses Tal haben möchten. Wie wollen Sie es haben? Kopf oder Zahl? Oder einen Kampf? Auf jeden Fall bin ich der Meinung, dass wir es sofort klären müssen. Denn wir McClellans sind nicht von Kentucky hergekommen, um solch ein Tal mit einer anderen Sippe zu teilen. Was schlagen Sie vor?«
Als er es gesagt hatte, war alles klar.
Auch sie wollten alles oder nichts, genau wie wir.
Und selbst wenn es nur hundert Meilen weiter ein gleiches Tal gegeben hätte, würde keiner aufgeben und weiterziehen wollen.
Denn wir alle waren zu stolz.
Mein Vater Big Joe Bannerhan richtete sich auch sofort gerade im Sattel auf und sagte trocken: »Nun, Mister, ich denke, wir sollten ein Blutvergießen vermeiden. Kommen Sie vom Pferd herunter, und dann werden wir es miteinander auskämpfen. Wollen Sie?«
Es war ein faires Angebot, wenn man bedenkt, dass wir als Eroberer in ein wildes Land gekommen waren, in dem es weder Gesetz noch Gerichtshöfe oder irgendwelche Maßstäbe und Richtlinien gab. Dies alles hatte es dort gegeben, woher wir kamen – aus Texas und Kentucky.
Deshalb waren wir Bannerhans und auch die McClellans fortgezogen.
Und nun wollte es Big Joe mit Big Bill austragen.
Aber Bill McClellan schüttelte bedauernd den Kopf.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Ich bekam vor zwei Wochen einen Indianerpfeil in den Oberschenkel. Mein Bein ist noch krank. Um mit einem Mann wie mit Ihnen zu kämpfen, Mister Bannerhan, brauche ich zwei gesunde Beine. In zwei oder drei Wochen vielleicht – aber so lange können und wollen wir nicht warten, nicht wahr? Vielleicht erlauben Sie, dass einer meiner Söhne ...«
»Sie sind jünger!« Damit unterbrach ihn mein Bruder Jeff. Und er wandte sich an meinen Vater: »Lass mich mit einem seiner Söhne kämpfen – mit dem Revolver oder den Fäusten. Es ist mir gleich, Big Joe! Aber lass mich an deiner Stelle mit dem Mann kämpfen, den sie auswählen mögen unter sich.«
Jeff war zwei Jahre älter als ich, und als er zu Vater sprach, leuchtete in seinen Augen das Verlangen nach der Chance, sich zu bewähren. Er wollte der Mann von uns sein, der die große Tat vollbrachte und das Tal für uns Bannerhans eroberte.
Das passte zu ihm. Er wollte immer der beste Mann sein – überall. Und fast immer war er es auch auf allen Gebieten. Er war ein prächtiger Berglöwe, der fast die Zeit für gekommen hielt, sich zum König zu machen.
Mein Vater betrachtete ihn nachdenklich.
Dann wandte er sich an Bill McClellan.
»Wollen wir je einen unserer Söhne mit den Fäusten gegeneinander um das Recht kämpfen lassen, dieses Tal in Besitz nehmen zu können?«
Dies fragte er schlicht.
Und McClellan erwiderte: »Da wir keine Spieler sind und ein unnötiges Blutvergießen vermeiden wollen, ist dies die einzige Möglichkeit für Menschen unserer Sorte.«
Er wandte nach diesen Worten seinen Kopf zur Seite und sprach: »Du bist besser mit den Fäusten als Cash, Sean. Also vertrittst du unseren Anspruch.«
Sean McClellan war groß, geschmeidig und nicht nur stark, sondern gewiss auch ausdauernd. Er trug zwei Revolver. Doch als er absaß, schnallte er den Waffengurt ab und hängte ihn über das Sattelhorn. Sein Bruder Cash hatte mit keiner Wimper gezuckt.
Die McClellans zogen sich mit Seans Pferd einige Schritte zurück, um für den Kampf Raum zu geben.
Sean McClellan entledigte sich indes seines Hemdes und warf es zur Seite. Dann wartete er.
Und wir Bannerhans wussten immer noch nicht, wen unser Vater dazu bestimmen würde, für unsere Sippe um das Tal zu kämpfen. Denn obwohl sich mein Bruder Jeff angeboten und ihn geradezu bedrängt hatte, hatte er sich noch nicht entschieden. Dies sahen wir ihm an.
Er betrachtete uns abwechselnd.
Und vielleicht verglich er zum ersten Mal seit unserer Geburt Jeff und mich miteinander, wog unsere Schwächen und Stärken einander ab, maß uns.
»Zum Teufel, Vater, ich bin der älteste Sohn!«, sagte Jeff plötzlich scharf. »Und ich bin besser als Ringo! Bestimmt!«
Ich spürte einen Zorn aufsteigen. Gewiss, Jeff war älter als ich. Und er war all die Jahre immer zwei Jahre voraus. Ich hatte mir fast immer von ihm alles zeigen lassen müssen. Denn er konnte alle Dinge stets zwei Jahre früher als ich.
Doch irgendwann hatte das einmal aufgehört. Ich fühlte mich ihm durchaus gewachsen, aber weil er mein Bruder war, hatte ich niemals daran gedacht, mich wie mit einem Gegner mit ihm zu messen.
Und auch jetzt, als er behauptete, dass er besser wäre als ich, sagte ich nichts. Ich beherrschte meinen Zorn. Doch ich spürte den Blick meines Vaters und begriff, dass er ganz genau wusste, was in mir vorging.
Plötzlich sagte er: »Ringo, du wirst für uns kämpfen, du, Ringo!«
Ich atmete überrascht ein und hörte Jeff einen heiseren Laut ausstoßen vor Enttäuschung.
Aber die Entscheidung des Vaters war getroffen. Weder Jeff noch ich hatten es bis zu jenem Tag gewagt, eine Entscheidung des Vaters ändern zu wollen.
Er war absolut das Familienoberhaupt. Natürlich gab er uns oft Aufgaben, die von uns verlangten, eigene Entscheidungen zu treffen. Aber in besonderen Situationen übernahm er allein die Verantwortung.
Und so war es auch jetzt.
Er schickte mich, seinen jüngeren Sohn, in den Kampf – nicht Jeff, den älteren Sohn. Ich konnte nicht darüber nachdenken, wie Jeff sich fühlte und wie er es aufnahm. Mein Gegner wartete schon. Ich musste herunter vom Pferd und mich bereit machen.
Das tat ich. Auch mein Waffengurt und das Hemd hingen bald am Sattelhorn meines Pferdes. Onkel Clay nahm die Zügel des Tieres, und indes er sich etwas zu mir herabbeugte, murmelte er: »Du kannst ihn schaffen, Ringo. Er ist nicht ganz so zäh wie du.«
Diese Worte taten mir wohl. Auf Onkel Clay konnte man sich verlassen. Er sprach nie viel, und er gab auch niemals ein vorschnelles Urteil ab oder unverlangte Ratschläge.
Onkel Clay war jünger als unser Vater, genau fünf Jahre jünger, also einundvierzig. In vielen Dingen war er unser Lehrmeister gewesen. Und nun hatte er mir gesagt, dass ich diesen Sean McClellan schaffen konnte. Das gab mir Mut.
Ich trat Sean McClellan entgegen. Wir betrachteten uns, und langsam begannen wir, uns zu umkreisen.
Jeder von uns kämpfte für seine Sippe.
War es richtig, auf diese primitive Art den Anspruch auf ein Stück Land zu erkämpfen?
Heute denkt man sicherlich anders darüber, als wir es damals taten. Doch wir waren irgendwie Piraten, fühlten uns als eine Art Eroberer und glaubten, dass man um fast alle Dinge auf dieser Welt kämpfen müsste.
Ich war an jenem Tag zweiundzwanzig Jahre alt. Ich war sechs Fuß und drei Zoll groß und wog um die hundertachtzig Pfund. Es war alles richtig an mir. Ich konnte einer zustoßenden Klapperschlange von oben herab mit der Handkante das Genick brechen. Ich hatte also ein sicheres Auge und besaß eine unheimliche Reaktionsschnelligkeit.
Aber dieser Sean McClellan konnte solche Dinge gewiss auch. Er war vielleicht noch schneller. Denn als er mich nun ansprang, erwischte er mich gleich mit dem ersten Schlag auf die Leberpartie und mit einem Aufwärtshaken am Kinn.
Ich fiel hintenüber, rollte mich zur Seite und entging so seinen Füßen.
Dies war kein sportlicher Kampf, wie ich solche später als alter Mann sehen konnte. Nein, dies hier war ein anderer Kampf. So wurde an der Grenze gekämpft, und jedes Mittel, das zur Vernichtung des Gegners dienlich war, wurde angewandt.
Ich will deshalb hier all die Einzelheiten des Kampfes nicht beschreiben, nicht all die Schläge schildern, die wir uns gaben.
Doch es gehört zu der Geschichte, dass ich hier berichte, wie schlimm wir uns schlugen, Schmerzen zufügten, einander in Not brachten und bald völlig unsere Umwelt vergaßen.
Nur wir allein waren noch auf dieser Welt, so schien es uns.
Und für jeden von uns war das Gegenüber schon sehr bald etwas Gewaltiges und Schreckliches, eine Art Albtraum, den es zu überwinden und besiegen galt, um dann wieder frei und stolz sein zu können für das weitere Leben.
Wir spürten irgendwie tief in unserem Kern, dass dies für uns der Kampf des Lebens war. Jeder Mann kommt irgendwann einmal in eine Situation, die er meistern muss, in der er Sieger bleiben muss, koste es, was es wolle.
Und dies war unser Kampf.
Ich weiß nicht, wie lange wir kämpften, aber es war sehr lange. Und es wurde Nacht dabei.
Zuletzt waren wir so erschöpft, dass wir nicht mehr stehen konnten, sondern voreinander knieten.
Und dann fielen wir beide um, ruhten aus, und sobald sich einer von uns aufrichtete, tat dies auch der andere. Dann kämpften wir weiter.
Es war grausam.
Und längst hatten wir vergessen, warum wir eigentlich kämpften. Es war uns gleich. Nur eines war für jeden von uns wichtig: nicht geschlagen zu werden.
Aber irgendwann dann in der Nacht konnten wir nicht mehr.
Ich wusste plötzlich von nichts mehr. Es war mir, als sänke ich in bodenlose Tiefen.
✰✰✰
Als ich zu mir kam, sah ich flackernden Feuerschein. Und Vater, Bruder und Onkel waren um mich herum. Sie hatten mich entkleidet und rieben meinen zerschlagenen und zerschundenen Körper mit Alkohol ein, den mein Vater stets als Medizin in der Satteltasche bei sich führte.
Ich wollte mich wehren, denn sie kneteten und massierten mich. Der scharfe Alkohol brannte in all den Rissen und Abschürfungen. Doch sie hielten mich fest und machten weiter.
»Hört auf!«, keuchte ich. »Ich habe den Kampf verloren. Es tut mir leid, Sean McClellan war eben besser. Aber jetzt lasst mich zufrieden!«
»Du hast den Kampf noch nicht verloren – noch nicht. Als du nicht mehr konntest, konnte auch er nicht mehr. Es steht unentschieden, mein Junge. Und bei Sonnenaufgang geht es weiter. So haben wir es beschlossen.«
Mein Vater sagte es ruhig und sehr sachlich, so, als hätte er gesagt, dass ich morgen einen Zaun weiterbauen sollte oder irgendeine andere nicht vollendete Arbeit beenden müsse.
Ich erschrak tief in meinem Innersten.
Dann spürte ich Angst.
Ich sollte bei Sonnenaufgang weiterkämpfen!
Ich sollte abermals all die furchtbaren Schläge und Stöße aushalten und mich mit aller Kraft und Zähigkeit mühen, dem Gegner möglichst noch schlimmere Schläge und Stöße zu geben.
Ich wollte nicht mehr. Dies war mein erstes Gefühl.
Und es war nicht nur Angst in mir – nein, es war auch Abscheu. Ich hätte es nicht recht mit Worten formulieren können, doch ich spürte irgendwie, dass dieser Kampf uns auf die Stufe von Steinzeitmenschen stellte, dass er unzivilisiert und für Christen unwürdig war.
Ja, dies war damals mein erstes Gefühl.
Doch dann drängten wieder andere Dinge auf mich ein.
Da war wieder der Stolz, und es machte sich auch die Treue zur Familie immer stärker bemerkbar.
Ich war ausersehen, meiner Sippe dieses Tal zu erkämpfen. An mir allein lag es, ob wir weiterziehen mussten oder bleiben konnten.
Und all diese Dinge wurden allmählich wieder stärker und besiegten meine Furcht und meinen Abscheu. Das instinktive Gefühl, dass an der Sache etwas nicht richtig war, wurde wieder verdrängt.
Die Behandlung tat nun auch allmählich gut. Die Schmerzen der Massage und das Brennen des Alkohols verwandelten sich in ein wohliges Gefühl. Meine verkrampften und schmerzenden Muskeln lockerten sich. Ich konnte ruhig atmen, ausruhen.
Dann hörte ich meinen Vater sagen: »Wir hüllen dich in Decken, damit du warm bleibst. Und dann kannst du noch länger als vier Stunden schlafen bis zum Sonnenaufgang. Dann wirst du deinen Gegner schlagen, Ringo. Du kannst und musst es. Hast du verstanden?«
»Sicher«, grinste ich müde, »ich werde uns dieses Tal erkämpfen.«
Dann schlief ich ein.
✰✰✰
Die vier Stunden waren für mich vorbei wie vier Atemzüge.
Dann begriff ich, dass man mich wach gerüttelt hatte.
Als ich mich erhob, schmerzte alles an mir – einfach alles.
»Du musst dich bewegen, musst dich warm machen und wieder geschmeidig werden, Ringo«, sagte mein Vater zu mir.
Ich stand nackt am Feuer. Onkel Clay reichte mir eine Hose. Mein Bruder Jeff hielt sich im Hintergrund.
Wir waren nicht mehr auf der Insel, auf der wir gekämpft hatten, sondern auf der Südseite des Flusses.
Und unsere Wagen waren inzwischen angekommen und zu einer Burg aufgefahren, die nur zum Wasser hin offen war.
Irgendwo war die Pferdeherde. Die Rinder hatte man gewiss im Tal einfach freigelassen. Sie trugen unser Brandzeichen und würden sich die ersten Tage nach diesem langen Treiben ohnehin nur an den Bächen oder beim Fluss aufhalten, wo die Weide besonders saftig war und die Baumgruppen Schutz vor der Sonne und bei Nacht vor der Kälte boten.
Im Camp schlief noch alles. Das war kein Wunder, denn die Wagen und die Treiber hatten zuletzt ein langes Stück hinter sich bringen müssen und waren gewiss erst nach Mitternacht hier angelangt.
Ich sah zu dem Wagen hinüber, in dem meine Mutter und meine Schwester wohnten. Auch dort war es still.
Im Osten aber war der Himmel merklich heller geworden. Der Tag würde bald kommen.
Und ich musste mich in Form bringen. Zuerst sprang ich mit der Unterhose, die mein Onkel mir gegeben hatte, zum Fluss, zog sie dort nicht an, sondern ging baden. Das Wasser war kalt. Ich glaubte am Anfang, dass meine erstarrten und verkrampften Muskeln nun noch schlimmer reagieren würden. Doch nachdem ich eine Weile ruhig schwamm, wurde mir besser.
Ich lief dann draußen auf dem Ufersand auf und ab. Mir wurde warm, ich kam wieder richtig in Gang und fühlte mich bald besser.
Als ich mit der Hose ans Feuer trat, reichte man mir einen großen Becher voll kräftiger Fleischbrühe. Es war eine Suppe mit viel Knochenmark. Sie gab mir Kraft.
Ich kleidete mich an.
Ich hatte keine Furcht mehr vor dem Kampf, sondern war von dem Willen beseelt, heute meinen Gegner Sean McClellan zu schlagen.
Einige unserer Reiter kamen nun von irgendwoher aus dem Halbdunkel der Morgendämmerung. Sie hatten vielleicht nur eine oder zwei Stunden geschlafen, doch sie wollten es sehen. Sie wollten diese Sache nicht versäumen.
»Bleibt hier am Ufer zurück«, sagte mein Vater zu ihnen.
Dann gingen wir zu den Pferden, saßen auf und ritten durch das klare Wasser des Flusses zur Insel hinüber – mein Vater, Onkel Clay, mein Bruder Jeff und ich.
Die anderen, soweit sie wach waren, standen am Ufer.