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Mit fünfzehn Jahren ist er davongeritten. Jetzt, zehn Jahre später, kommt er in die Heimat zurück. Was können zehn Jahre aus einem jungen Burschen machen? Für Matt Oarson waren es zehn raue Jahre - eine lange Zeit, die ihm wie ein ganzes Menschenalter erscheint - und die ihn zu einem Revolvermann gemacht hat.
Revolvermann! Ein anrüchiges Wort ist das.
Vielleicht hätte sein harter Vater ihn anders anpacken müssen - aber vielleicht hätte auch das die Dinge nicht aufgehalten. Vielleicht ist es sein Schicksal, immer reiten zu müssen und die Unruhe des Blutes zu spüren wie ein Zugvogel. Matt Oarson sitzt auf einem großen Rappwallach und er ist selbst ein großer Mann. Seine Bewegungen sind glatt und geschmeidig. Alles an ihm erscheint wunderbar eingespielt. Auf seinem Gesicht haben die harten Kämpferjahre ihre Zeichen hinterlassen. Und am ganzen Körper trägt er noch die Spuren aus jener Zeit, da er ein Junge unter rauen und wilden Männern war und sich erst einen Platz unter ihnen erobern musste.
Eines Tages kamen dann bestimmte Nachrichten aus dem Long Rim Valley zu ihm. Da fühlte er, dass er heimreiten musste.
Nun hält er auf seinem großen Rappwallach oben auf einer Kehre des Passweges und späht in das Tal hinunter ...
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Männer der Weide
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0722-0
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Männer der Weide
Mit fünfzehn Jahren ist er davongeritten. Jetzt, zehn Jahre später, kommt er in die Heimat zurück. Was können zehn Jahre aus einem jungen Burschen machen? Für Matt Oarson waren es zehn raue Jahre – eine lange Zeit, die ihm wie ein ganzes Menschenalter erscheint – und die ihn zu einem Revolvermann gemacht hat.
Revolvermann! Ein anrüchiges Wort ist das.
Vielleicht hätte sein harter Vater ihn anders anpacken müssen – aber vielleicht hätte auch das die Dinge nicht aufgehalten. Vielleicht ist es sein Schicksal, immer reiten zu müssen und die Unruhe des Blutes zu spüren wie ein Zugvogel. Matt Oarson sitzt auf einem großen Rappwallach und er ist selbst ein großer Mann. Seine Bewegungen sind glatt und geschmeidig. Alles an ihm erscheint wunderbar eingespielt. Auf seinem Gesicht haben die harten Kämpferjahre ihre Zeichen hinterlassen. Und am ganzen Körper trägt er noch die Spuren aus jener Zeit, da er ein Junge unter rauen und wilden Männern war und sich erst einen Platz unter ihnen erobern musste.
Eines Tages kamen dann bestimmte Nachrichten aus dem Long Rim Valley zu ihm. Da fühlte er, dass er heimreiten musste.
Nun hält er auf seinem großen Rappwallach oben auf einer Kehre des Passweges und späht in das Tal hinunter ...
Es ist ein mächtiges Tal, und es krümmt sich wie ein Bumerang und endet vor dem mächtigen Long Rim, dessen gewaltige Westflanke von engen und tiefen Schluchten und schmalen Canyons durchbrochen wird. Alle diese Schluchten und schmalen Canyons führen zu den Hochtälern hinauf.
Matt Oarson sieht auch die kleine Stadt an der Krümmung des Tales. Valley Bend scheint in den vergangenen zehn Jahren nicht größer geworden zu sein.
Nachdenklich späht er über das Tal und zu einer mächtigen Bergfalte hinüber. Die Entfernung ist weit, doch die Luft ist klar. Ganz winzig und klein erkennt er die Gebäude der Oarson Ranch. Und er weiß, dass dort sein harter Vater und die Schwester leben.
May muss jetzt fast zwanzig sein, und ich wette, sie ist jetzt so schön wie unsere Mutter, denkt er.
Dann reitet er weiter, bezwingt die nervöse Ungeduld und behält ein langsames Tempo bei. Die letzten Jahre haben ihn gelehrt, dass ein Mann mitunter geduldig sein muss.
Eine Stunde später erreicht er den Grund des Tales. Der Passweg vereinigt sich hier mit einem anderen Weg zu einer staubigen Straße. Nach zwei Meilen windet sich die Straße um ein Gehölz und führt schnurgerade auf den Ort zu. Als Matt Oarson um die Biegung reitet, sieht er plötzlich zwei Reiter vor sich, die auch zur Stadt reiten. Er befindet sich nur eine halbe Meile hinter ihnen und kann sie gut im Auge behalten.
Langsam holt er auf, obwohl Black Eagle nur im leichten Trab läuft und sich überhaupt nicht anstrengt. Bald befindet er sich nur noch fünfzig Yards hinter den beiden Reitern. Der kleinere Mann sieht jetzt über die Schulter und sagt dann etwas zu seinem Partner. Dann verhalten sie ihre Pferde, wenden sie halb und warten.
Matt Oarson sieht in zwei scharfe und hohlwangige Gesichter. Die beiden Burschen sind arg abgerissen. Sicherlich haben sie auch gewaltigen Hunger. Aber sie haben kühle und ruhige Augen und einen festen Blick, wie ihn Männer haben, die über einen Stolz verfügen.
Er sieht ihre schlechten und müden Pferde, ihr geflicktes Sattelzeug und ihre zerrissenen Stiefel. Sie haben beide keine Gewehre bei sich. Der größere Bursche hat seinen Colt im Hosenbund stecken.
Satteltramps – oder Cowboys, die in einer Pechsträhne stecken, denkt Matt und verhält sein Pferd.
»Hallo«, grinst ihn der kleine Rotkopf an, dem man auf eine Meile den kratzbürstigen Irländer ansieht. »Ist das Valley Bend da vor uns?«
Matt Oarson nickt und holt seinen Tabaksbeutel hervor.
Die Augen der beiden Reiter funkeln sofort begierig, aber dann blicken sie beide wie auf Kommando in eine andere Richtung.
Der größere Bursche knurrt missmutig: »Mir ist es verdammt egal, wie dieses Kuhnest da vorn heißt. Ich frage mich nur, ob unsere Böcke die sieben oder acht Meilen bis dahin noch schaffen.«
Der andere brummt: »Sie schaffen es, denn sie stammen von den Ziegen ab – und die sind zäh. Reiten wir, Jorge! Vielen Dank für die Auskunft, Mister.«
Nach diesen Worten müssten sie eigentlich wieder weiterreiten, aber sie machen dennoch keine Anstalten dazu. Matt Oarson, der sich inzwischen mit zauberhafter Fertigkeit eine Zigarette gedreht und angeraucht hat, hört deutlich, wie sie gierig den Tabakrauch einsaugen.
Er lächelt unmerklich.
»Mein Tabak ist trocken geworden. Es ist Zeit, dass er alle wird. Wie wär's?«
Sie grinsen ihn hungrig an. Und der Kleine knurrt gedehnt: »Wir sind zwar nur den allerbesten Tabak gewöhnt, aber bevor Sie ihn wegwerfen – man soll auf dieser Welt nichts verkommen lassen!«
Mit schnellem Griff fängt er den Beutel auf und dreht sich eine Zigarre, ja, so dick ist das Ding! Sein Partner folgt seinem Beispiel. Dann gibt er den Beutel dem Kleinen zurück und knurrt: »Du tust jetzt das geklaute Zeug wieder hinein, Mike. Ich schäme mich immer mehr, mit dir zu reiten. Du wirst nie ein anständiger Kerl werden. Los!«
Der Rotkopf wird feuerrot im Gesicht. Seine tausend Sommersprossen werden mit einem Mal unsichtbar. Und er öffnet die Hand, in der eine Menge Tabak liegt, die er beim Zigarettendrehen unbemerkt darin verborgen hat. Vorsichtig schüttet er den Tabak in den Beutel zurück, bindet ihn zu und wirft ihn in Matt Oarsons Hand.
Sein Gesicht ist immer noch tiefrot.
»Danke, Jorge«, knurrt er bitter, »du hast mich eben wieder vorm Fegefeuer bewahrt. Es gibt nichts Besseres auf dieser Welt als einen wahrhaftigen Freund.« Und zu Matt Oarson gewandt sagt er zerknirscht: »Spucken Sie mich ruhig an, Mister!«
Matt Oarson lächelt nur. »Fang auf!«, ruft er plötzlich scharf und wirft ihm den Beutel zu. Der Kleine schnappt instinktiv zu.
Matt Oarson reitet schnell davon.
»He, Mister! Das geht nicht, Mister! Verdammt noch mal, ich kann auch noch einige Jahre ohne Tabak auskommen!«, brüllt ihm der Kleine nach.
Als Oarson sich umsieht, sieht er, wie der Lange dem Kleinen den Beutel aus den Händen reißt.
Lachend reitet er weiter und lässt die beiden halb verhungerten Burschen, die sicherlich in eine schlimme Pechsträhne geraten sind, schnell zurück.
✰✰✰
Valley Bend ist nicht größer – nur zehn Jahre älter geworden. Auch die Menschen sind älter geworden. Matt Oarson sieht den Schmied im Hof an einem Wagen arbeiten. Sein Haar ist grau, und er bewegt sich nicht mehr so kraftvoll.
Der Pik Ass Saloon hat immer noch die falsche Fassade als zweites Stockwerk, doch einen neuen Anstrich und unter dem vorspringenden Dach ein neues Schild.
Der dicke Barbier steht in der Tür seines Ladens und sieht ihn abschätzend an. Matt Oarson weiß, dass man ihn niemals erkennen kann. Als er vor zehn Jahren ausriss, war er ein magerer Junge, jetzt bringt er hundertachtzig Pfund auf die Waage. Sein Gesicht hat sich durch Kampfspuren sehr verändert.
Er reitet in den Mietstall.
Der alte Jeff Jenkins tritt ihm entgegen.
»Ich versorge das Tier selbst, Jeff«, sagt Matt Oarson.
Der Alte starrt ihn aus zwinkernden Augen an und macht ein nachdenkliches Gesicht, als ob er mühsam in Erinnerungen suchte.
»Woher kennen Sie mich, Fremder?«
»Ihr Name steht über der Stalltür«, lächelt Matt Oarson.
Der Alte blickt prüfend auf die betreffende Stelle.
»Die Schrift ist arg verwaschen, Sie müssen gute Augen haben, Fremder. Überhaupt, ich muss Ihre Augen schon einmal gesehen haben. Na, vielleicht fällt es mir noch ein. Kommen Sie!«
Er führt Reiter und Pferd in den langen Stall und deutet auf eine Box. »Hier. Da steht die Futterkiste. Das Heu liegt hinten.«
Matt versorgt das Pferd.
»Wollen Sie Ihren Colt gegen gutes Geld vermieten?«, fragt der Alte plötzlich.
Matt Oarson unterbricht seine Arbeit und wirft den Strohwisch weg, mit dem er sein Pferd abgerieben hat.
»Was ist hier los?«
»Als ob Sie das nicht wüssten, Fremder.«
»Ich habe nur einige Gerüchte unterwegs gehört.«
»Dann wissen Sie, dass sich hier in allernächster Zeit gute Coltmänner einen hohen Revolverlohn verdienen können. Wenn ich es mir so recht bedenke, hat Dirk Oarson wenig Chancen, obwohl er seine letzten Dollars zusammenkratzt, um die angeworbenen Schießer ...«
Der Alte verstummt plötzlich und wendet sich ab.
»Ich führe nur einen Mietstall«, brummt er und entfernt sich in den hinteren Teil des Stalles.
Matt Oarson steht eine Weile regungslos. Soeben hat er den Namen seines Vaters gehört. Und Dirk Oarson scheint wirklich arg in der Klemme zu stecken.
»Vielleicht sind meine rauchigen Jahre doch nicht nutzlos vertan«, murmelt er. »Ich habe immerhin kämpfen gelernt. Nun, wir werden sehen.«
Er nimmt sein Bündel, klopft seinem Pferd noch einmal auf die Hinterhand und verlässt den Stall.
Matt Oarson geht langsam zum Hotel hinüber. Vor dem Eingang stehen zwei Männer. Am Haltebalken ist ein leichter Zweispänner, und dahinter stehen eine Anzahl Sattelpferde.
Matt Oarson geht um den Wagen herum. Er wirft einen Blick auf die Flanken der Pferde und erkennt sofort das Brandzeichen der Oarson Ranch.
Also gehört der Wagen meinem Vater, denkt er. Er bückt sich unter dem Geländer hindurch. Als er sich auf dem Brettergehsteig aufrichtet, fühlt er die Blicke der beiden Männer fast körperlich.
Er sieht sie hart an und geht auf sie zu.
»Ich möchte hinein«, sagt er sanft.
Die beiden Männer bewegen sich nicht.
»Warten Sie«, murmelt der eine und bewegt dabei kaum seine schmalen, blutleeren Lippen.
Im selben Moment kommt ein junges Mädchen aus dem Hotel.
Und ein großer, hagerer, weißhaariger Mann humpelt an einem Krückstock hinterher.
Es trifft Matt Oarson wie ein Schlag. Unwillkürlich lässt er sein Bündel fallen.
Er hat schon in der ersten Sekunde erkannt, was die letzten Jahre aus seinem Vater gemacht haben.
Das ist nicht mehr der große, mächtige und harte Dirk Oarson, der mit einem Faustschlag einen Jungstier fällen und das wildeste Pferd brechen konnte. Das ist nicht mehr der harte Mann, der drei Tage im Sattel sitzen konnte und der keinen Gegner zu fürchten brauchte.
Dirk Oarson war einst ein mächtiger Mann, der in diesem Tal einen großen Schatten warf und lange Schritte machte.
Und jetzt gleicht er einem ausgehöhlten und morschen Baum, den schon der nächste Sturm umwerfen kann.
Matt Oarson erkennt dies mit einem Blick, und deshalb erschrickt er so sehr und lässt sein Bündel fallen.
Die beiden hartgesichtigen Männer reagieren jedoch auf besondere Art. Sie wirbeln herum, greifen nach den Colts und erkennen erst dann, dass Matt Oarson nichts Böses im Sinn hat.
Auch der Alte bleibt stehen.
»Was ist?«
Am Klang der Stimme erkennt Matt, dass in seinem Vater doch noch einige Härte vorhanden ist. Sein Körper mag wohl nichts mehr taugen, aber seine grimmige Energie ist noch vorhanden.
»Weiß nicht, Boss. Er zuckte plötzlich zusammen und ließ sein Bündel fallen. Aber sehen Sie ihn sich an – das ist wieder einer von der Sorte, die bald auf Wayne Tucks' Lohnliste stehen werden.«
Der scharfäugige Mann mit den blutleeren Lippen murmelt die Worte und lässt Matt Oarson dabei nicht aus den Augen.
»Schon gut«, murmelt der Alte. »Hier in der Stadt lässt Tucks noch nicht auf mich schießen – noch nicht!«
Er sieht Matt an.
Der erwidert den Blick ruhig, obwohl in seinem Innern viele Gefühle sind.
Einen Moment blitzt auch ein seltsamer Funke in den staubgrauen Augen des alten Ranchers, und er beugt sich etwas vor, um Matt genauer anzusehen.
Aber dann schüttelt er unmerklich den Kopf.
Er hat den Sohn nicht erkannt.
»Fremd hier?«, fragt er.
»Yeah«, sagt Matt rau.
»Suchen Sie Arbeit, Fremder?«
»Vielleicht, Mister.«
»Ich bin Dirk Oarson. Sie werden genug von mir hören. Meine Mannschaft ist noch nicht groß genug. Ich nehme jeden guten Mann für gutes Geld. Denken Sie daran, Fremder. Wie heißen Sie?«
»Kinney, Matt Kinney«, sagt Matt ruhig. Und dies ist der Name, unter dem er sich einen gewissen Ruhm und Ruf verschafft hat. Als er damals fortging, nahm er diesen Namen an.
Die beiden Leibwächter seines Vaters zucken zusammen.
»Oha, Boss! Jetzt kommen schon die ganz großen Coltschwinger ins Tal«, knurrt der Mann mit den blutleeren Lippen und tastet Matt mit vorsichtiger Achtsamkeit ab.
Dirk Oarsons Gesichtsausdruck wird bitter.
»Wenn Sie Matt Kinney sind, werde ich Sie nicht bezahlen können«, murmelt er und steigt mit Hilfe des Mädchens in den Wagen.
Sie hat sich zurückgehalten und stumm gewartet. Jetzt kann Matt sie genau ansehen und betrachten.
Es ist seine Schwester May. Und sie ist schön geworden. Sie ist frisch, jung, sauber und stolz.
Die beiden Leibwächter verlassen den Gehsteig und schwingen sich auf zwei herrliche Pferde. Matt beachtet sie nicht. Er sieht nur die Schwester an. Sie spürt seinen Blick, denn nun hebt sie den Kopf und blickt ihn voll an.
Er nimmt langsam den Hut ab und nickt ihr zu.
Und da sieht er, wie sich ihre Augen weit öffnen. Ihr Mund will einen Ruf ausstoßen, aber sie beißt sich auf die rote Unterlippe und legt mit einer schnellen Bewegung ihre schlanke Hand auf ihr Herz, als würde es zu heftig klopfen und Sprünge machen, und sie müsste es festhalten.
Der Alte hat sich indes mit den Zügeln seines Gespanns zu schaffen gemacht. Nun fährt er an. Er schenkt Matt keinen Blick mehr. Die beiden Reiter wirbeln hinter dem Wagen eine Staubwolke auf. Matt steht noch eine ganze Weile wie erstarrt. Dann setzt er langsam seinen Hut auf. Er fühlt, dass ihn die Schwester erkannt hat.
Er nimmt sein Bündel wieder auf und geht in die Hotelhalle. Ein langer und dünner Mann lehnt über dem Pult und mustert Matt Oarson aus schrägen Augen.
Matt nickt, dreht das Buch herum und trägt sich ein.
Matt Kinney, schreibt er hinein.
Der Lange dreht das Buch herum, liest den Namen und richtet sich dann in seiner ganzen Länge auf. Sein Gesicht nimmt den Ausdruck vorsichtiger Freundlichkeit an.
»Sind Sie der bekannte Matt Kinney?«, fragt er sanft.
»Ich weiß nicht, ob es noch andere Kinneys im Land gibt«, erwiderte Matt kurz und streckt die Hand aus.
Der Lange legt einen Schlüssel hinein.
»Zimmer drei, Mr Kinney.«
Matt nimmt sein Bündel auf und will sich der Treppe zuwenden, die im Halbdunkel des hinteren Raumes nach oben führt.
Im selben Moment kommt ein Mann hereingestürmt.
»Cleve«, ruft der Mann aufgeregt, »die Mackerson-Brüder sind wieder wild geworden! Sie haben den Long Rim Saloon gesäubert und für sich in Beschlag genommen. Wie die wilden Büffelbullen haben sie gehaust! Cleve, du bist der Town Marshal! Geh hin und bring sie zur Ruhe, bevor sie den ganzen Saloon abreißen!«
Cleve Rollis, so heißt der Hotelier, grinst seltsam. Und er sieht Matt dabei an. Dann senkt er den Blick und knurrt: »Ich bin kein Revolvermann, und ich möchte noch eine Weile gesund und lebendig bleiben. Wenn jemand meinen Stern haben möchte, so kann er ihn haben. Hier ist er!«
Er greift in die Tasche, bringt einen Marshalstern hervor und legt ihn aufs Pult.
Der andere Mann stößt einen Fluch aus und läuft wieder auf die Straße.
»Wer war das?«, fragt Matt ruhig.
»Hal Lindsey. Er kam vor fünf Jahren in die Stadt. Und er brachte viel Geld mit. Jetzt ist er Bürgermeister, und die halbe Stadt gehört ihm – auch der Long Rim Saloon.«
»Und wem gehört die andere Hälfte der Stadt?«, fragt Matt sanft.
»Mir«, sagt der Lange bescheiden. »Aber ich bin ein friedlicher Mensch ganz und gar kein Kämpfer. Ich habe aus purer Gutmütigkeit das Marshalamt übernommen. Die Zeiten werden jetzt rau und hart. Nun bin ich nicht mehr der richtige Mann für dieses Amt. Wollen Sie den Stern haben, Matt Kinney?«
Matt erkennt die lauernde Spannung in Cleve Rollis. Plötzlich begreift er, dass mehr hinter dieser Frage steckt.
»Nein«, sagt er. »Deshalb bin ich nicht hergekommen.«
»Es ist gut«, murmelt Cleve Rollis. »Ich dachte es nur – weil alles so schön passt. Nun, ich werde den Stern wohl behalten müssen, denn seit einiger Zeit gibt es keinen Mann in dieser Stadt, der ihn haben möchte. Weshalb sind Sie hier, Mr Kinney?«
»Sie fragen zu viel, Mister«, sagt Matt kurz. Er lässt sein Bündel neben dem Pult stehen und geht wieder auf die Straße hinaus.
Die Dämmerung hat sich auf die Stadt gesenkt.
Matt erreicht den Rand der Menschenmenge vor dem Saloon und bleibt am Geländer des Gehsteigs stehen. Dicht vor ihm halten zwei Reiter. Er erkennt sie sofort wieder. Es sind die beiden Satteltramps.
»Hallo«, sagt er. »Eure Pferde haben es also doch geschafft.«
Die beiden Burschen drehen sich um und erkennen ihn sofort.
»Ah, das ist der Tabakspender.« Der Rotkopf grinst und macht eine grüßende Handbewegung.
Sie sitzen ab, binden ihre Pferde etwas abseits an die Haltestange und kommen zu Matt auf den Gehsteig. Sie stellen sich neben ihn auf. Alle drei blicken nun über die Köpfe der Menschenmenge zum Saloon hinüber.
Dort fliegen soeben nacheinander drei Männer durch die krachende Schwingtür und landen auf dem Gehsteig oder gar im tiefen Staub der Fahrbahn.
»Ganz nett«, grinst der Ire neben Matt. »Wir sehen schon 'ne ganze Weile zu und begreifen die Sache immer noch nicht richtig.«
»Wir können ja mal jemanden fragen«, brummt sein langer Sattelgefährte, tritt zwei Schritte zur Seite und zieht einen kleinen Mann aus der Menschenmenge.
»Entschuldigen Sie, Mister, vielleicht sind Sie so freundlich und erklären uns mal die Sache.«
Das kleine Männchen grinst.
»Da kann ich den Gentlemen ganz genau Auskunft geben! Mein Name ist Dod Dod – Leichenbestatter – Luxussärge! Beerdigungen mit allem Komfort! Gentlemen, wenn Sie einen günstigen Vertrag abschließen möchten, so ...«
»Vielleicht informieren Sie uns erst einmal über den Sinn der Vorstellung da drüben«, unterbricht ihn der Lange ruhig.