1,99 €
Er rollt sich aus dem Bett, reckt und streckt sich vorsichtig, wandert ein wenig im Zimmer hin und her und bleibt dann vor dem Spiegel stehen, der hinter dem Waschtisch an der Wand hängt. Aufmerksam betrachtet er sich.
Ja, die Narben an seinem Oberkörper sind jetzt verheilt, aber er wird sie sein ganzes Leben behalten. Mit diesen, damals noch unverheilten Narben ist er aus dem Kriegsgefangenenlazarett entlassen worden und hat einen Job gesucht, der einen noch ziemlich kranken Mann ernähren konnte. Es war vor genau einem Jahr.
Der County Sheriff hat ihn als Deputy nach Opal geschickt und dabei gesagt: »Es ist eine hübsche, kleine, ruhige Stadt. Du wirst dich dort in den nächsten Monaten prächtig erholen können, mein Junge. Aber irgendwann - und das weiß ich genau - wird sich dort alles ändern. Das kann noch lange dauern. Das kann aber auch ganz plötzlich kommen - wie eine Explosion. Ein einziger großer Silber- oder Goldfund, und die kleine, ruhige Stadt wird zu einem Höllenloch. Dann brauche ich dort einen besonderen Mann. Und dann erwarte ich, dass du nicht abhaust, sondern deinen Job tust. Wenn du mir das versprichst, mein Junge, dann gebe ich dir den Stern für den Opal-Distrikt. Willst du?«
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 159
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Impressum
Ein Mann gegen alle
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Salvador Faba / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0863-0
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Ein Mann gegen alle
Er rollt sich aus dem Bett, reckt und streckt sich vorsichtig, wandert ein wenig im Zimmer hin und her und bleibt dann vor dem Spiegel stehen, der hinter dem Waschtisch an der Wand hängt. Aufmerksam betrachtet er sich.
Ja, die Narben an seinem Oberkörper sind jetzt verheilt, aber er wird sie sein ganzes Leben behalten. Mit diesen, damals noch unverheilten Narben ist er aus dem Kriegsgefangenenlazarett entlassen worden und hat einen Job gesucht, der einen noch ziemlich kranken Mann ernähren konnte. Es war vor genau einem Jahr.
Der County Sheriff hat ihn als Deputy nach Opal geschickt und dabei gesagt: »Es ist eine hübsche, kleine, ruhige Stadt. Du wirst dich dort in den nächsten Monaten prächtig erholen können, mein Junge. Aber irgendwann – und das weiß ich genau – wird sich dort alles ändern. Das kann noch lange dauern. Das kann aber auch ganz plötzlich kommen – wie eine Explosion. Ein einziger großer Silber- oder Goldfund, und die kleine, ruhige Stadt wird zu einem Höllenloch. Dann brauche ich dort einen besonderen Mann. Und dann erwarte ich, dass du nicht abhaust, sondern deinen Job tust. Wenn du mir das versprichst, mein Junge, dann gebe ich dir den Stern für den Opal-Distrikt. Willst du?«
Er wollte damals. Und es wurde tatsächlich ein ruhiger Job, zunächst jedenfalls.
Als er an diesem Morgen am Waschtisch vor dem Spiegel steht und die alten Kriegsnarben betrachtet, da denkt er wieder an das Gespräch mit dem County Sheriff.
Es kamen in den vergangenen Monaten immer mehr Gold- und Silbersucher in die Täler, Canyons und Schluchten. Sie zogen von den Vorhügeln immer weiter hinauf in die Berge. Es gab einige kleine Funde – aber noch nichts, was einen Run in Gang gebracht hätte.
Doch er ahnt an diesem Morgen irgendwie, dass etwas in Gang kommen wird. Er spürt es, so wie er an seinen Narben spürt, wenn es anderes Wetter gibt.
Was wird er tun, wenn es so weit ist? Wenn es zu der Explosion kommen wird, von der der alte Sheriff sprach? Wenn sie alle hier verrückt spielen und viele Gute zu Bösen werden?
Indes er sich einseift und dann rasiert, fühlt er sich wie ein Mensch, der seine Seele dem Teufel verkaufte, um für eine Weile Vorteile zu genießen.
Er rasiert und wäscht sich bedächtig. Diese Vormittagsstunde in seinem Zimmer genießt er täglich. Dass er so spät aufsteht, hängt damit zusammen, dass er erst lange nach Mitternacht ins Bett kommt und die letzte Runde stets erst gegen zwei Uhr morgens geht.
Er hat sich daran gewöhnt.
Es ist dann etwa eine halbe Stunde später, als man ihm auf der Veranda des Hotel-Restaurants das Frühstück serviert, das zugleich ein frühes Mittagessen für ihn ist. Er sitzt gerne um diese Zeit hier, kann von seinem Platz aus die Hauptstraße in beiden Richtungen übersehen und erfreut sich an der ruhigen Geschäftigkeit dieser Stadt. Ja, es ist eine ruhige und nicht hektische Geschäftigkeit.
Er sieht Kate Langtry aus ihrem Schneiderladen treten und winkt ihr zu. Sie geht mit einem Korb am Arm zum Store, erwiderte dabei sein Winken und lässt ihn ihr blinkendes Lächeln erkennen. Oh, er kennt dieses blinkende, herausfordernde Lächeln, und er weiß auch, wie es dabei in ihren Augen funkelt. Ja, er könnte sie haben, wenn er es wollte.
Warum will er eigentlich nicht? Kate Langtry ist eine prächtige Frau. Nein, sie ist kein Mädchen mehr, obwohl noch jung. Ihre Wege waren gewiss oft sehr beschwerlich und rau. Ihr blieb nichts fremd auf dieser Erde. Wahrscheinlich kam sie in diese Stadt, um endlich Ruhe zu finden.
Sie verschwindet im Store.
Broderick Finnegan aber – denn dies ist sein Name – erhebt sich und macht sich auf den Weg zu seinem Office.
Er weiß, dort wird er seinen Deputy Windy Garret vorfinden, der zugleich der Stadtschreiber und Gefängniswärter ist. Windy hat nur noch eineinhalb Beine und bewegt sich mithilfe eines Unterschenkels aus Holz.
Einige Bürger der Stadt grüßen ihren Sheriff, so auch der Sattler und der Besitzer der Saatgut- und Futtermittelhandlung. Reiter sind auf der Straße da und dort zu sehen. Vor dem Store hält ein Wagen, von dessen Sitz der Koch der Topfhenkel-Ranch springt, um im Store die Monatseinkäufe zu machen.
Broderick Finnegan hat sein Office schon fast erreicht, als er Jube Scott auf seinem Maultier kommen sieht. Jube Scott schwankt im Sattel wie ein Betrunkener und kommt aus einer der Quergassen auf die Hauptstraße geritten. Er reitet geradewegs zum Office und rutscht dort vor der Haltestange aus dem Sattel. Einige Sekunden verharrt er bei dem Tier, hält sich daran fest, so als müsste er Kraft sammeln oder einen Schwindelanfall vorübergehen lassen.
Da er Broderick Finnegan den Rücken zukehrt, sieht dieser beim Näherkommen den blutigen Fleck auf Jube Scotts ausgebleichtem Hemd – und auch das Loch. Es ist ein Einschussloch.
Jemand schoss Jube Scott eine Kugel in den Rücken.
Als Broderick Finnegan neben den Mann tritt und ihm die Hand sachte auf die Schulter legt, da hustet Scott erst noch einige Male mühsam. Und es kommt Blut über seine Lippen, das er mit dem Handrücken abzuwischen versucht.
Dann aber wendet Jube Scott den Kopf und zeigt dem Sheriff ein triumphierendes Grinsen. Und in seinen Augen ist ein wildes Funkeln.
»Ich habe es gefunden«, ächzt er. »Oh, du lieber Vater im Himmel, ich habe es gefunden, Sheriff! Und sie wollten mich abschießen und somit verhindern, dass ich meinen Fund registrieren lassen kann. Dann wären sie an meiner Stelle gekommen. Gehen wir hinein, Sheriff, damit ich meine Fundstelle als Claim registriert bekomme, bevor ich aus den Latschen kippe. Denn ich habe Blut verloren, viel Blut. Gehen wir!«
Er stößt die beiden letzten Worte wie ein Mann hervor, der sich selbst einen Befehl gibt, um noch einmal einen letzten Funken Lebenskraft aus seinem innersten Kern heraufzuholen.
Sie gehen hinein. Finnegan stützt ihn.
Drinnen hockt Windy Garret hinter dem Schreibtisch in der Ecke und sagt: »Mrs Ellison hat von ihrem Mann die Geburt von Zwillingen anmelden lassen. Zwillinge, oha!«
Nachdem er dies gesagt hat, nimmt er die Brille ab, die er beim Schreiben tragen muss. Und da er jetzt wieder normal sehen kann, entdeckt er, in welch einem Zustand sich Jube Scott befindet.
»Oha, Jube«, sagt er, »was haben sie denn mit dir gemacht? Du siebst diesmal nicht so aus, als könntest du für eine Nacht die dicke Dolly besuchen.«
»Nein«, ächzt Jube Scott und lässt sich in einem Holzsessel nieder, streckt die krummen Beine in den alten Stiefeln von sich. »Diesmal kann ich nicht zu Dolly. Aber wenn ich wieder einigermaßen auf den Beinen bin, dann kann ich mir das ganze Freudenhaus mit allen Süßen darin für eine ganze Woche mieten, ich ganz allein. Und ich werde den Preis aus der Westentasche zahlen, oho!«
Nun wissen es Broderick Finnegan und Windy Garret ganz genau.
»Eine Goldader?« So fragt Windy ahnungsvoll.
Jube Scott nickt. »Und was für eine«, sagt er und grinst. »In der alten Spanier-Mine im Spanish Springs Canyon, keine sieben Meilen von hier. Ich habe in der alten Mine mit meinem Hammer nur mal so gegen die Stollenwand geschlagen. Und als ein paar Steinplatten abfielen, da sah ich es. Ich brach mir einige Pfund heraus und machte mich heute Morgen auf den Weg nach hier. Am Pikes Creek traf ich die Laffitter-Brüder. Und denen fiel auf, dass ich in so guter Stimmung war, denn sie hatten mich schon singen gehört, bevor sie mich zu sehen bekamen. Ich hatte das alte Lied von den großen Goldfunden am Sacramento in Kalifornien gesungen. Und sie sahen dann auch den Leinenbeutel an meinem Sattelhorn hängen, der so schwer wirkte wie ein Doppelzentnersack. Sie fragten mich, ob ich Gold gefunden hätte. Ich grinste sie nur an und ritt weiter. Sie brüllten hinter mir her, und weil ich mein Maultier antrieb, um möglichst schnell von ihnen wegzukommen, da riss der alte Leinenbeutel. Das losgebrochene Adergold fiel heraus. Ich musste anhalten und es einsammeln. Sie kamen herangeritten und sahen nun erst richtig, was es war. Oha, ich sah ihnen an, dass sie von einer Sekunde zur anderen verrückt wurden, gierig wie hungrige Wölfe nach einem langen Blizzard beim Anblick einer fetten Beute. Ich schnappte meinen Colt heraus und hielt sie in Schach. Sie boten sich an, meine Partner zu werden. Denn sie könnten mich beschützen. Aber ich ritt davon. Da schoss einer hinter mir her. Sie versuchten mich einzuholen, doch mein Maultier kann es mit jedem Pferd aufnehmen. Oh, was bin ich müde und erledigt. Tragt die alte Mine als meinen Claim ein. Und dann bringt mich in ein Bett und holt den Barbier. Er muss mir die Kugel herausholen, bevor sie mich umbringt.«
Nachdem er dies noch gekrächzt hat, wird Jube Scott im Holzsessel ohnmächtig.
Und Finnegan denkt in diesen Sekunden bitter: Jetzt ist es geschehen! Eine Goldader – und die Laffitter-Brüder, die ihn in den Rücken schossen. Jetzt wird die Hölle aufbrechen. O verdammt, warum bin ich hier nicht weg, solange es noch ruhig und friedlich war? Jetzt würde ich gewissermaßen Fahnenflucht begehen wie ein feiger Deserteur, würde ich abhauen. Denn der Alte hat mein Wort, dass ich auch bleibe, wenn die Hölle aufbricht.
Es ist noch am selben Tag und erst früher Mittag, als er aufbricht, um sich nach den Laffitter-Brüdern umzusehen.
Er kennt sie einigermaßen, denn sie kamen manchmal in die Stadt, um sich auszurüsten oder sich bei Mollys Mädchen zu amüsieren.
Die Laffitter-Brüder gelten als Wildpferdjäger, doch man munkelt, dass sie in anderen Distrikten auch Pferde und Rinder stehlen und in andere üble Dinge verwickelt seien.
Irgendwo in den Bergen sollen sie eine Hütte haben.
Doch dort wird er sie nicht suchen müssen. Sie haben Jube Scott zwar nicht vom Maultier schießen können, doch aber gesehen, wie böse sie ihn trafen. Zuerst verfolgten sie ihn, konnten sich dann aber ausrechnen, dass sie ihn erst kurz vor der Stadt einholen würden, weil er sich länger im Sattel hielt, als sie zuerst glaubten, und weil sein Maultier es mit ihren Pferden ohne Weiteres aufnehmen konnte.
Also hielten sie an und kehrten um.
Nun würden sie Jube Scotts Fährte zurückverfolgt haben. Die Hufspuren seines Maultieres sind leicht zu verfolgen. Broderick Finnegan ist sicher, dass er sie am Spanish Springs Canyon und in der alten Spanier-Mine finden wird.
Als Finnegan die Stelle erreicht hat, bis zu der sie Jube verfolgten und dann umkehrten, erkennt er die Hufspuren zweier Pferde in entgegengesetzter Richtung.
Und er denkt: Die müssen verrückt geworden sein. O Himmel, bald wird das ganze Land voller Verrückter sein. Sie werden in den Spanish Springs Canyon kommen und überall zu suchen beginnen – in allen Wasserläufen, in den Bergfalten und überall dort, wohin einst das flüssige Gold in grauer Vorzeit hineingelaufen sein könnte, als unsere Mutter Erde noch ganz anders war. O Himmel, diese Welt wird sich verändern wie ein unschuldiges Mädchen, das plötzlich zur Hure wird. Und ich bin der Sheriff hier. Verdammt!
✰✰✰
Als er die alte Mine erreicht, da erwarten ihn die beiden Laffitter-Brüder vor dem großen Maul des alten Stolleneinganges.
Es sind Zwillingsbrüder, dunkel und langhaarig wie Indianer, verwegen wirkend und zumeist herausfordernd grinsend, als wollten sie sich mit der ganzen Welt anlegen. Sie sind sich so ähnlich, dass Finnegan nicht weiß, welcher von ihnen Jock und welcher Jack ist.
Aber einer sagt: »Wir dachten uns, dass du kommen würdest, Finnegan. Also hat es Jube bis zu dir geschafft und konnte dir auch noch verraten, wo er das Gold fand. Ist er jetzt tot? Ja? Denn dann würde uns die Goldader gehören, uns drei Glückspilzen. Oder siehst du das anders, Finnegan?«
Es ist eine hinterhältig drohende Frage.
Aber sie macht Finnegan in diesem Moment erst so richtig bewusst, dass er nun die Wahl hat, ein reicher Mann zu werden oder ein vergleichsweise armer Sheriff zu bleiben mit sechzig Dollar Gehalt im Monat.
Er denkt: Deshalb haben sie so ruhig auf mich gewartet und darauf gesetzt, dass ich allein kommen würde, um erst einmal herauszufinden, was es mit der Goldader auf sich hat. Oha, sie sind sich ziemlich sicher, dass ich genauso goldverrückt bin wie sie.
Indes er dies denkt, lauscht er tief in sich hinein. Und er fragt sich tatsächlich in diesen Sekunden, ob er die Chance, reich zu werden, nicht nutzen soll.
Er würde sich gewiss nicht anders verhalten als Tausende von Menschen, die plötzlich die Verwirklichung ihrer Träume vom großen Geld greifbar vor sich sehen. Gold – das war schon immer das große Zauberwort, das die Guten zu Bösen machen konnte überall auf dieser Erde.
Er könnte als Sheriff mit den Laffitter-Brüdern gemeinsame Sache machen und alles in ihrem Sinn und zu ihrem Vorteil beeinflussen. Selbst wenn Jubal Scott wieder gesund werden sollte, könnte er ihn leicht um alles betrügen.
Denn er ist der Sheriff. Er führt die Registrierliste. Er macht alle Eintragungen. Und Jubal Scott wird noch viele Wochen krank sein und nichts gegen ihn unternehmen können. Sie könnten die Goldader in diesen Wochen leicht bis auf den letzten Krümel ausbeuten.
Ja, es wäre alles ein Kinderspiel.
Die große Verlockung und Versuchung wird mächtig in ihm und will von ihm Besitz ergreifen wie das Verlangen nach einer betörenden Frau, die ihm den Verstand raubt.
Die Laffitter-Brüder stehen neben ihren Pferden vor dem Stolleneingang und betrachten ihn mit blinkendem Grinsen, so als wären sie die Verkörperung der Versuchung oder zwei Teufel, die sich sicher sind, dass sie sich eine Seele für Gold gekauft haben.
Plötzlich hört er sich sagen: »O ja, ich sehe es anders, ihr Mistkerle. Vielleicht wird Jubal Scott sterben. Dann ist es Mord und ihr werdet hängen. Auf keinen Fall aber werdet ihr an seiner Stelle die Goldader in dieser Mine herausholen, auf keinen Fall.«
Seine Stimme ist nicht besonders laut, eher leise. Doch sie klingt sehr präzise und unversöhnlich.
Sie hören seiner Stimme an und sehen es auch in seinen Augen, dass sie ihn nicht auf ihre Seite holen können.
Er steht da als Sheriff mit dem Stern an der Weste.
Und so faucht einer der Brüder nur scharf.
Dieses scharfe Fauchen ist ihr Zeichen. Sie ziehen gleichzeitig. Und sie sind schnell, verdammt schnell. Sicherlich waren sie bisher unüberwindlich. Doch jetzt ist es anders.
Noch bevor sie ihre Läufe hochschwingen können, um die Mündungen der Waffen auf den Sheriff zu richten, sehen sie in Finnegans Mündungsfeuer. Und die Kugeln stoßen sie wie Huftritte, sodass sie zwar ihre Waffen noch abdrücken können, aber nicht mehr treffen.
Und dann fallen sie fast gleichzeitig nach vorn aufs Gesicht, strecken sich und atmen nicht mehr. Es ist vorbei.
Brod Finnegan steht bewegungslos da mit der rauchenden Waffe in der Faust. Und er denkt voller Bitterkeit: Das ist der Anfang. O Hölle, das ist erst der verdammte Anfang!
Er verspürt das bittere Gefühl einer lähmenden Hilflosigkeit.
Und er fühlt sich so verdammt ohnmächtig allem gegenüber, was mit absoluter Sicherheit kommen wird.
Vielleicht habe ich soeben wie ein Narr gehandelt, denkt er. Denn ich werde nun allein gegen alle stehen – jawohl, gegen alle, die das Gold verrückt machen wird, so wie das schon immer war, seit die Menschen nach Reichtum gieren.
✰✰✰
Er hat die kleine Stadt noch nicht erreicht, als ihm die ersten Menschen entgegenkommen. Manche sitzen auf Pferden, aber auch auf Fahrzeugen jeder Art. Und sie haben Hacken, Schaufeln und Spaten bei sich, sind also ausgerüstet, um die Erde umzuwühlen.
Als sie ihn erreichen und er anhält, da halten auch sie an, umgeben ihn und die beiden Toten, die er quer über deren Pferde legte, um sie nach Opal zu schaffen.
Er blickt in die Runde und erkennt die Ungeduld und die Gier in den Gesichtern. Die meisten Leute kennt er, denn sie sind Bürger seiner Stadt.
Auch der Barbier ist unter ihnen. Dieser Barbier ist zugleich der Doc von Opal, denn als einstiger Sanitätssergeant bei der Armee während des Krieges versteht er sich auf Schusswunden und Knochenbrüche, weil er oftmals die Arbeit eines Feldarztes verrichten musste.
Der Barbier nickt Finnegan grinsend zu und sagt: »Nachdem ich Jube die Kugel herausgeholt hatte, wurde er wieder wach und erzählte mir alles. Ich hatte ihm zur Stärkung ein wenig Feuerwasser eingetrichtert. Ich wollte ihn so betäuben, sodass er die Schmerzen nicht so spürte, als ich mit der Kugelzange in seiner Wunde stocherte. Er war wohl so betrunken, dass er mich für seinen Bruder hielt. Gold im Spanish Springs Canyon. Und die Laffitter-Brüder wollten es wohl für sich, nicht wahr?«
Er lacht laut. Auch alle anderen Leute, die den Sheriff und die beiden Toten im Halbkreis umgeben, lachen durcheinander.
Er sieht in diese Gesichter und denkt: Ja, sie haben es gewittert. Sie wissen Bescheid. Und sie wollen sich holen, was sie bekommen können.
Er deutet auf die beiden Toten und sagt: »Jubal Scott hat seinen Claim ordnungsgemäß registrieren lassen. Es ist die alte verlassene Spanier-Mine. Diese beiden Narren wollten sie für sich in Besitz nehmen. Nun sind sie tot. Ich werde morgen wieder zur Mine kommen, um nachzusehen, wer sich da widerrechtlich aufhält. Dann könnte es wieder Tote geben. Sucht nur nicht in Jubal Scotts Mine nach Gold. Sucht meinetwegen im ganzen Canyon. Der ist freies Land. Denkt immer daran, wer einem Claimbesitzer das Gold stiehlt, ist ein Goldwolf und wird wie ein Pferdedieb behandelt. Und jetzt Platz da!«
Er reitet wieder an, zieht die beiden Pferde mit den Toten an den Leinen hinter sich her.
Sie öffnen den Halbkreis, lassen ihn durch.
Hinter sich hört er dann eine Stimme rufen: »Aaah, Jungs, wo eine Goldader ist, da gibt es noch mehr Gold. Der ganze Canyon ist vielleicht voll davon! Wir müssen nur in der Nähe von Jubal Scotts Mine zu suchen beginnen!«
Sie alle johlen und brüllen.
Und dann reiten oder fahren sie weiter.
✰✰✰
Die Stadt wirkt wie ausgestorben.
Als Finnegan vor dem Haus des Schreiners und Leichenbestatters hält, tritt dessen Frau heraus.
»Sie sind alle fort«, sagt sie. »Auch unser Gehilfe. Wenn wir die beiden da bestatten wollen, Sheriff, dann müssen Sie mir helfen. Alle Männer sind fort. Auch der Totengräber.«
Er nickt grimmig und sitzt ab, hilft der Frau, die Toten hineinzutragen und in zwei Särge zu legen.
»Ich lasse euch die beiden Pferde als Bestattungsentgelt«, sagt er und geht wieder hinaus.
Vor seinem Office erwartet ihn ein Mann, der wie ein Frachtwagenboss aussieht. Ja, er erinnert sich jetzt wieder an ihn. Dieser Mann kommt zumindest zweimal jedes Jahr mit seinem Frachtwagenzug hier durch und rastet dann stets in der Nähe der Stadt am Creek.
Der Mann sagt böse: »Sheriff, ich brauche Ihre Hilfe. Mir liefen einige Frachtfahrer weg, obwohl sie Verträge mit mir haben. Sie sind fort, um nach Gold zu suchen. Aber ich verlange, dass sie ihre Verträge erfüllen. Also reiten Sie mit mir hinaus, um sie zurückzuholen. Ich kann nicht meinen halben Wagenzug mit Fracht hier stehen lassen, nur weil sie verrückt nach Gold wurden.«
Finnegan sieht den Mann achselzuckend an.