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Als Ringo Lee zwischen den schweren 50er Büffelgewehren das schnelle und peitschende Knallen zweier Winchester-Karabiner vernimmt, begreift er, dass jenseits des Hügelkamms ein Büffeltöter-Camp von Indianern angegriffen wird.
Wenig später blickt er über den Rand des Kammes. Die Roten haben das Camp umzingelt. Sie liegen überall in guter Deckung und warten sicherlich nur auf den Anbruch der Dämmerung. Dann werden sie das Camp niedermachen.
Ringo Lees schärfe Augen sehen da und dort tote Weiße. Einer liegt halb im Wasser des Creeks. Ein anderer liegt ein Stück vom Camp entfernt im Gras und hat eine Lanze im Rücken.
Die beiden Winchester-Karabiner peitschen immer wieder auf. Selten wummert die 50er Büffelflinte dazwischen.
Und jetzt wechselt einer der drei Verteidiger seine Position. Er erhebt sich, nachdem er rückwärts unter einem der Wagen hervorkroch, und läuft zur anderen Seite hinüber, wo er sich unter den dort stehenden Wagen wirft und sofort zu schießen beginnt.
Dabei verliert er seinen Hut. Sein unter diesem Hut verborgenes Haar löst sich, fällt lang über die Schultern.
Es ist weizengelbes Haar. Solche Haare hat nur eine Frau.
Es ist also eine Frau dort unten im Camp, und sie kämpft wie ein Mann. Und für Ringo Lee gibt es plötzlich kein Zögern und keine Bedenken mehr ...
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Seitenzahl: 161
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Büffelweide
Vorschau
Impressum
Büffelweide
Als Ringo Lee zwischen den schweren 50er Büffelgewehren das schnelle und peitschende Knallen zweier Winchester-Karabiner vernimmt, begreift er, dass jenseits des Hügelkamms ein Büffeltöter-Camp von Indianern angegriffen wird.
Wenig später blickt er über den Rand des Kammes. Die Roten haben das Camp umzingelt. Sie liegen überall in guter Deckung und warten sicherlich nur auf den Anbruch der Dämmerung. Dann werden sie das Camp niedermachen.
Ringo Lees scharfe Augen sehen da und dort tote Weiße. Einer liegt halb im Wasser des Creeks. Ein anderer liegt ein Stück vom Camp entfernt im Gras und hat eine Lanze im Rücken.
Die beiden Winchester-Karabiner peitschen immer wieder auf. Selten wummert die 50er Büffelflinte dazwischen.
Und jetzt wechselt einer der drei Verteidiger seine Position. Er erhebt sich, nachdem er rückwärts unter einem der Wagen hervorkroch, und läuft zur anderen Seite hinüber, wo er sich unter den dort stehenden Wagen wirft und sofort zu schießen beginnt.
Dabei verliert er seinen Hut. Sein unter diesem Hut verborgenes Haar löst sich, fällt lang über die Schultern.
Es ist weizengelbes Haar. Solche Haare hat nur eine Frau.
Es ist also eine Frau dort unten im Camp, und sie kämpft wie ein Mann. Und für Ringo Lee gibt es plötzlich kein Zögern und keine Bedenken mehr ...
Er muss seinen Skalp riskieren. Er bekommt schmale Augen und einen hartlippigen Mund. Sein dunkles, kühles Indianergesicht wird ausdruckslos.
Ringo hat die Roten dort unten schon längst als Sioux vom Stamm der Hunkpapa erkannt. Er weiß auch, dass dieser Stamm der Sioux-Nation hier im Land jagt und dass Häuptling Gall starke Kriegstrupps unterwegs hat, die keine andere Aufgabe haben, als alle Büffelcamps zu überfallen und möglichst jeden Büffeljäger zu erschlagen.
Ringo Lee hat schon seit Wochen Angst davor, dass die Hunkpapa bei dieser Gelegenheit einen Mann töten, hinter dem auch er her ist. Er weiß jedoch, dass dieser Mann nicht dort unten im Camp sein kann. Denn er soll in Fort Buford sein. Deshalb ist Ringo Lee dorthin unterwegs.
Und nun wird er durch diese Sache hier aufgehalten.
»Was für ein Narr mag das wohl sein, der eine Frau mit in dieses Land nahm?« Dies fragt er sich ziemlich laut. Aber er weiß zugleich, dass es nicht wenige Frauen bei den Büffeltöter-Mannschaften gibt.
Ringo Lee blickt auf die sinkende Sonne. Dann schaut er noch einmal in die Runde. Er hat von hier oben gute Sicht und kann einigermaßen gut die in Deckung liegenden Hunkpapa erkennen. Es hätte jedoch keinen Sinn, von hier oben auf sie zu schießen. Er würde dann nur einen einzigen Schuss abgeben können, dann hätten sie ihn ausgemacht. Ein halbes Dutzend würde sich beritten machen und ihn auf dem Hügel umzingeln.
Nein, er muss hinunter ins Camp. Er gleitet zu seinem grauen Wallach Nachez, schwingt sich in den Sattel und reitet an der Basis des Hügels entlang bis zu der sich nach Westen öffnenden Lücke.
Er kommt ziemlich weit. Das liegt an der Schnelligkeit seines grauen Wallachs, aber auch an dem weichen Boden, der den Hufschlag schluckt, und an der Art, wie das große Pferd es versteht, sich leise zu bewegen.
Er muss etwa vierhundert Yards zurücklegen.
Fast zweihundert schafft er glatt, und es ist eigentlich nur ein wilder Ritt.
Dann tönt ein schriller Schrei, der sofort in weiter Runde vielstimmiges Echo findet. Ein Indianer springt keine sechs Schritte rechts von Ringo Lee aus einem Busch.
Er hat die Bogensehne bis zu Nasenspitze und Kinn gezogen und lässt den Pfeil fliegen. Aber in diesem Moment trifft ihn Ringos Kugel, und der Pfeil verfehlt sein Ziel.
Auch Ringo Lee stößt nun einen schrillen Schrei aus. Es ist der Rebellenschrei aus dem Süden. Der Schrei, den damals schon fünftausend Mexikaner zu hören bekamen, als sie Alamo stürmten. An diesem Schrei erkennt man, dass er Texaner sein muss. Und er weiß, dass die Hunkpapa diesen Schrei kennen.
Häuptling Gall wird bald wissen, wer hier eingriff und gegen seine Krieger kämpfte. Und das wird nicht gut sein für Ringo Lee, den die Sioux Rothaar nennen. Dies hier macht ihn zum Feind der Hunkpapa.
Er treibt seinen Nachez noch schärfer an und duckt sich noch tiefer nieder, denn er bekommt nun von zwei Seiten Feuer. Aber er ist zu schnell. Er bringt es fertig, durch den Ring zu brechen, und galoppiert auf das Camp zu.
»Hoiii, schießt nur nicht auf mich, Jungs! Brennt mir nur kein Loch ins Fell!«
Einige Pfeile zischen dicht an ihm vorbei. Aber er bietet in so schneller Bewegung und gegen die flammende Sonne ein zu ungünstiges Ziel.
Es gelingt ihm, zwischen die drei Wagen zu kommen. Er wirft sich vom Pferd, rollt über den Boden bis unter einen der Wagen und liegt dann ganz still dicht neben der gelbhaarigen Frau. Er hat auch sein Gewehr mitgenommen und keucht nicht einmal besonders.
Die Frau hockt zwischen den Vorderrädern. Sie hält einen Revolver auf ihn gerichtet.
Und er hält sie plötzlich nicht mehr für eine Frau, sondern für ein Mädel.
»Ich bin kein Indianer«, sagt er. »Ich habe rote Haare, nicht wahr? Haben Sie schon mal einen Indianer mit roten Haaren gesehen? Warum zielen Sie mit dem Revolver auf mich, Schwester?«
Indes er dies sagt, betrachtet er sie, so gut er es im Halbdunkel hier unter dem Wagen kann.
Sie ist schmutzig und zerzaust. Und sie hat auch Angst, heiße Angst. Doch sie hat sich immer noch eisern unter Kontrolle und spricht nun kühl: »Es könnte ein Trick sein. Es gibt einige weiße Schufte unter den Roten, nicht wahr?«
»Ja«, sagt er, »es gibt eine Menge Renegaten und Squawmänner.«
Er beugt sich weiter vor, sodass ihre Gesichter sich näher sind.
»Doch ich bin weder ein Renegat noch ein Squawmann. Mein Name ist Ringo Lee.«
Sie nickt plötzlich. »Ja«, sagt sie, »dieser Name sagt mir etwas. Und ich hörte, dass der berühmte Scout und Wagenzugführer Ringo Lee rote Haare hat. Nun gut, Mister, Sie werden es bestimmt bald bedauern, sich in diesen Verdruss hier eingekauft zu haben. Oder gibt es dort hinter den Hügeln eine Armeepatrouille, der Sie nur vorausgeritten sind?«
Ihre Stimme wird ganz spröde bei dieser Frage. Er begreift, wie sehr sie sich wünscht, dass Hilfe und Rettung käme. Und sie hat sich bis jetzt auch so tapfer gehalten.
Unter einem der anderen Wagen hervor ruft eine heisere Stimme: »He, Sue, wer ist da gekommen? Warum haltet ihr so eine lange Konferenz?«
»Oh, wir haben noch etwas Zeit, mein Freund«, erwidert Ringo Lee. »Die Roten kommen erst, wenn die Sonne vollkommen untergetaucht ist. Und wir können nichts anderes tun als abwarten. Mein Name ist Ringo Lee, und ich bin allein zu euch gekommen. Wie geht es denn?«
Einige Sekunden lang ist es still. Dann sagt die heisere Stimme dankbar: »Ringo Lee – nun, das hört sich gut an. Wenn Sie Rothaar-Lee sind, dann wird es für die Roten ziemlich schwer. Danke, Lee, dass Sie das Mädchen herausholen wollen. Oder warum sind Sie sonst gekommen?«
»Wegen des Mädels«, erwidert Ringo Lee schlicht. »Sie haben es erfasst, mein Freund.«
Es ist eine Weile still. Nun hört man von der anderen Seite des Camps ein Stöhnen.
»Das ist Bean Bear«, sagt die heisere Stimme. »Er hat einen Pfeil in der Hüfte, ein zerschossenes Bein und einen zerschmetterten Arm. Aber mit der Rechten kann er noch den Revolver abfeuern. Ich wette, dass er noch zwei Rote erledigen wird, bevor sie bei ihm unter dem Wagen sind. Bis nach Sonnenuntergang hält der gute Bean Bear schon noch aus. Ich selbst bin Hugh Murphy, der beste Büffelabhäuter weit und breit. Doch dies zählt wohl jetzt nicht mehr ...«
»Nein«, unterbricht ihn Ringo Lee. »Das zählt nicht mehr. Jetzt zählt nur noch, wie viele Indianer Sie umbringen können, mein Freund.«
»Nicht sehr viele, fürchte ich«, krächzt der Mann, der sich Hugh Murphy nennt. »Vielleicht schaffe ich einen oder zwei. Ich sehe in der Nacht nicht sehr gut. Überdies riss mir eine Lanze das Fleisch von einer Rippe und brach sie. Und mein Knie wurde von einer Kugel zerschmettert. Es sieht nicht gut aus, Ringo, nicht wahr?«
»Nein«, sagt dieser hart. »Es sind ein Dutzend Hunkpapa. Selbst wenn Bean Bear dort drüben und du, Hugh Murphy, je zwei Burschen schaffen könnten, blieben immer noch sieben oder acht für mich. Und sie verstehen ihr Kriegshandwerk zumindest genauso gut wie ein Büffeltöter das Abschießen von Büffeln. Es sieht nicht gut aus, Hugh Murphy. Ich kann für dich und diesen Bean Bear gar nichts tun. Ich nehme jetzt das Mädchen und versuche durchzubrechen.«
Nach diesen harten und trockenen Worten bleibt es eine Weile still. Die Sonne aber ist indes schon zur Hälfte im Westen eingetaucht wie ein glühender Golddollar in den Schlitz einer Sparbüchse. Von Osten her kommen nun schon allmählich die ersten blauen Schatten der Nacht heran – dort aus den Canyons.
»Ich gehe hier nicht fort«, sagt das Mädchen schrill. »Ich kann kämpfen wie ein Mann und ...«
Nun versagt ihr die Stimme. Irgendwie ist es ihr, als presste ihr eine unsichtbare Hand die Kehle zu.
»Es war eine vollkommen verrückte Idee, Sie in dieses Land mitzunehmen«, spricht Ringo Lee grimmig. »Welcher Narr ist denn dafür verantwortlich?«
»Ich selbst«, sagt sie. »Ich begleitete meinen Bruder. Hören Sie, ich musste ihn begleiten. Aber jetzt liegt er dort am Bach. Er wollte Wasser holen, als der Angriff kam. Er hielt die Bande mit seinem Revolver einige Sekunden lang auf, sodass wir hier im Camp zu den Waffen greifen und in Deckung gehen konnten. Aber jetzt liegt er dort und ...«
Abermals versagt ihr die Stimme. Ihren Vornamen kennt Ringo schon, denn jener Hugh Murphy sprach ihn aus. Sie heißt Sue, und so sagt er zu ihr: »Sue, ich bin nicht in dieses Camp gekommen, um einigen weißen Büffelschlächtern aus der Patsche zu helfen. Ich bin nicht der Bursche, der sich für einige Narren skalpieren lässt, nur weil diese Narren zufällig meine Hautfarbe haben. Sie wussten schon vorher, dass die Indianer in diesem Land, das ihnen die Regierung der Vereinigten Staaten garantierte, jeden Büffeltöter totschlagen. Aber sie kamen dennoch her und versuchten ihr Glück. Nun gut, jetzt haben sie verloren. Mädel, ich kam über den Hügel und in dieses Camp, um Sie herauszuholen. Und ich möchte nicht nur Sie, sondern auch meinen Skalp retten.«
»Dann gehen Sie nur wieder«, spricht sie. »Ich möchte lieber bei Hugh und Bean hier bleiben. Sie sind verwundet und brauchen Hilfe. Und vielleicht ...«
»Es gibt keine Wunder«, unterbricht er sie grimmig. »In wenigen Minuten werden ein Dutzend Hunkpapa über uns herfallen. Sie können sich unbesehen bis auf wenige Schritte heranschleichen. Und wenn Sie ihnen lebend in die Hände fallen, so werden Sie ganz gewiss die zweite, dritte oder gar vierte Squaw eines Hunkpapa werden. Dies wird Ihnen gar nicht gefallen, Mädel. Wenn Sie jetzt nicht genau das tun, was ich von Ihnen verlange, binde ich Sie und entführe Sie mit Gewalt aus diesem Camp. Es ist mir nicht möglich, Sie hier den Roten zu überlassen. Sie sind eine Frau. Dies allein zwingt mich dazu, alles für Ihre Rettung zu tun.«
Zuletzt wurden seine Worte hart und scharf.
Und sie wurden auch von den anderen Männern gehört.
Hugh Murphys Stimme klingt sofort: »Tu, was er sagt, Sue! Für mich und Bean gibt es keine Chance mehr. Wir können nicht mehr reiten und auch nicht mehr laufen. Wir können nur noch versuchen, den Roten einen einigermaßen guten Kampf zu liefern. Es gibt nur noch eine Chance für euch. Also nutze sie! Wenn du wegen uns hier aushalten willst, Mädel, dann werde ich mir gleich eine Kugel durch den Kopf schießen. Hast du verstanden, Sue?«
Sie gibt keine Antwort. Doch sie zittert am ganzen Körper.
Dafür meldet sich jetzt die gepresste und schon etwas zitternde Stimme des dritten Mannes.
Er sagt: »Hau ab, Sue, hau ab! Wenn du auch nur eine Minute bleibst, werden Hugh und ich uns töten. Doch wir würden lieber kämpfend gegen die Roten sterben. Tu uns doch den Gefallen, Mädel! Warum bist du mit uns in dieses Büffelland gekommen, wenn du jetzt nicht hart genug sein kannst?«
Der Mann spricht es mit letzter Kraft. Man hört ihm an, dass er nun eine Weile ausruhen muss.
»Also los, Mädel«, sagt Ringo Lee hart und fasst sie am Arm. Er zerrt sie hinter sich her unter dem Wagen hervor.
»Komm her, Nachez«, sagt er dann, scharf flüsternd.
Der große, hagere, graue Wallach schiebt sich heran.
»Sie sitzen hinter mir und klammern sich fest an mich«, sagt er zu Sue. »Ich werde das Pferd mit den Schenkeln lenken und mit beiden Revolvern schießen. Wenn Sie mir helfen wollen, dann senden Sie einige Gebete zum Himmel. Sonst können Sie nichts anderes tun, als sich an mich zu klammern.«
Er schwingt sich in den Sattel. Dann beugt er sich nieder und reicht Sue eine Hand. Sie hebt ihren Fuß, schiebt ihn in den Steigbügel, den er ihr zu diesem Zweck frei ließ, und lässt sich von ihm hinauf und hinter sich aufs Pferd ziehen.
Sie schiebt ihre Arme an seinem Gürtel entlang, bis sich ihre Hände rechts und links der Gürtelschnalle um diesen Gürtel krallen wie um ein Seil. So sitzt sie fest und sicher, und es wird ihr jetzt erst bewusst, wie groß und stark er ist und auf welch einem großen Pferd sie sitzen.
Die Sonne ist untergegangen, und die einsetzende Dämmerung wird immer schneller von den heraneilenden dunkelblauen Schatten der Nacht überdeckt.
Es ist gerade die richtige Zeit für einen Angriff. Und es ist die allerhöchste Zeit für die Flucht.
»Viel Glück«, sagt Bean Bears Stimme heiser unter einem Wagen hervor.
»Bring sie durch, denn sie ist ein gutes Mädel«, sagt Hugh Murphys heisere Stimme unter dem anderen Wagen.
Das große, graue Pferd springt an und stürmt nach Osten zu in die dunkle Nacht hinein.
✰✰✰
Es geschieht genau im richtigen Moment. Die Hunkpapa sind inzwischen nahe genug herangeschlichen. Sicherlich warten sie nur noch auf irgendein Signal.
Doch bevor sie dieses Signal – es wäre vielleicht der Schrei eines Nachtfalken gewesen – zu hören bekommen und aufspringen können, stürmt das große Pferd aus dem Camp und ist mit wenigen Sprüngen bei ihnen.
Gelbvogel und Elchfuß sind zwei erfahrene und gefährliche Hunkpapa-Krieger. Sie liegen dicht beieinander und warten auf das Angriffssignal.
Als sie das große Pferd kommen hören, springen sie auf.
Doch da ist das Tier auch schon bei ihnen, und sie werfen sich nach rechts und links, um nicht niedergeritten zu werden. Sie schnellen sofort wieder auf.
Gelbvogel wirft seinen Tomahawk, und Elchfuß schleudert sein Messer.
Aber sie sehen das große, graue Pferd und dessen zwei Reiter nur noch als kaum erkennbare Silhouette. Das Kriegsbeil und das Messer finden kein Ziel.
Im selben Moment kommt auch das Signal, und die ganze Kriegshorde fällt nun über das Camp her.
Etwa eine halbe Stunde nach Beginn des Überfalls nimmt die Horde dann die Verfolgung auf.
Und sie wissen, hinter wem sie herreiten. Sie erkannten das große graue Pferd, und sie erkannten auch die roten Haare von Ringo Lee. Sie wissen also ganz genau, hinter wem sie her sind.
Es ist Rothaar. Und er hat Hirschbruder getötet, der ihm den Weg zum Camp verlegen wollte. Und er hat die Frau mitgenommen, die im Camp war. Aber sie reiten beide auf einem Pferd.
Man wird nicht nur die Frau mit dem gelben Haar bekommen.
Nein, auch Rothaars Skalp wird ihre Beute sein. Und Rothaars Skalp ist eine Menge wert. Er wird seinen Besitzer ehren wie die höchste Tapferkeitsmedaille, die ein Soldat bekommen kann.
✰✰✰
Ringo Lee späht zurück über die im silbernen Mond- und Sternenlicht liegende Prärie. Da sich das Gelände nach Westen hin senkt, hat er weite Sicht.
Er sieht mehr als ein halbes Dutzend Punkte. Sie werfen Schatten, und diese Schatten bewegen sich mit ihnen. Die Entfernung ist noch sehr weit.
»Sie sind da«, murmelt Ringo Lee. Und dann stellt er die überraschende Frage: »Können Sie schwimmen, Sue?«
»Sogar sehr gut«, erwidert sie schlicht.
»Ich glaube«, murmelt er. »Sie sind überhaupt ein recht tüchtiges Mädel. Wenn Sie nur nicht die Idee gehabt hätten, im Indianerland auf Büffeljagd zu gehen.«
»Mein Bruder war ein Revolverheld«, erwidert sie herb und spröde. »Ich war froh, dass ich ihn dazu bringen konnte, Büffeljäger zu werden. Da er immerzu schießen konnte und damit viel Geld verdiente, war er mit dieser neuen Beschäftigung zufrieden. Ich konnte hoffen, dass mein Einfluss auf ihn stärker werden und er sich auch sonst durch das so völlig andere Leben ändern würde. Er hatte in Laramie einen ziemlich berühmten Mann im Zweikampf getötet. Wir mussten verschwinden, untertauchen. Und ich musste bei ihm bleiben. Sonst wäre er richtig vor die Hunde gegangen. Jetzt ist er tot. Und er hat sich den Roten allein am Bach entgegengestellt. Er hat uns zu einer Chance des Überlebens verholfen!«
»Wie heißen Sie außer Sue?«, fragt Ringo Lee, indem er immer noch auf die fernen Verfolger späht.
»Keith, Sue Keith. Mein Bruder war Jesse Keith.«
»O ja, ich erinnere mich an die Geschichte eines Revolverkampfes in Laramie«, murmelt Ringo Lee. »Da war von einem Jesse Keith die Rede. Das also war Ihr Bruder.«
Ringo zieht das Pferd herum und lenkt es in einen der dunklen Canyons hinein. Nachez hat die kurze Verschnaufpause gut getan. Er atmet wieder ruhiger, und sein Schritt ist wieder leichter geworden.
»Wenn Sie gut schwimmen können, Sue, dann werden wir es vielleicht schaffen«, sagt Ringo Lee über die Schulter zu ihr. »Dass Sie Mut besitzen, weiß ich schon.«
Sie reiten nun schweigend durch den langen Canyon. Es ist sehr dunkel darin. Ringo Lee hält die Ohrenspitzen seines Pferdes ständig unter Beobachtung, weiß er doch, dass er an diesen Ohrenspitzen wird erkennen können, ob Gefahr vor ihm lauert.
Aber sie kommen glatt und ohne jeden Zwischenfall durch den Canyon. Vor ihnen sind Hügelketten. Sie durchreiten sie und befinden sich auf jenem dreieckigen Stück Büffelweide, das nach Osten zu dort endet, wo der Yellowstone in den Missouri fließt.
Und jenseits des Missouri – nun, dort liegt Fort Buford. Dort wäre das Mädchen Sue Keith in Sicherheit.
Sie müssen nur noch wenig mehr als zwanzig Meilen reiten und den Strom durchschwimmen.
Nachez ist zäh und stark. Doch das Mädchen – obwohl nur mittelgroß, schlank und geschmeidig – wiegt mit der Kleidung gewiss um die hundertzwanzig Pfund. Dies ist auch für einen starken und zähen Wallach aus dem Panhandle von Texas ein zu hohes Gewicht. Da könnte es wahrhaftig sein, dass ihn die sieben- oder achthundert Pfund schweren Mustangs der Hunkpapa schlagen.
Ringo Lee lässt ihn tüchtig traben, und er weiß, dass dieser Trab so schnell ist, dass die kleineren Indianergäule galoppieren müssen, wollen sie aufholen.
Es wird Mitternacht, und die Nacht ist so strahlend und wunderbar, dass man den Eindruck hat, als tönte sie wie der allerletzte Klang einer verstummenden Riesenglocke, wie jenes allerletzte Verhallen eines wunderbaren Klanges.
Etwa eine Stunde nach Mitternacht wird Nachez langsamer. Sein Atem geht schwerer, und sein Trab wird schwerfälliger. Er stolpert manchmal, wenn der Boden gar zu uneben wird.
Ringo Lee spricht zu ihm, immer wieder und wieder.
»Kämpfe Nachez«, sagt er. »Du bist ein Comanchen-Wallach aus Texas! Kämpfe, Nachez! Zeige es Ihnen! Kämpfe!«
Aber zwei Stunden nach Mitternacht ist es dann so weit.
Die Verfolger sind in Sicht, keine fünfhundert Yards weit zurück. Man hört das dumpfe Trommeln der unbeschlagenen Pferdehufe. Man hört den Jagdruf der Hunkpapa, den Wolfsschrei.
Ringo Lee stößt dem grauen Wallach die Absätze in die Weichen, nicht sehr fest, doch deutlich fordernd.