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Damals gab es diese wilden Sippen und Clans. Sie waren irgendwann in ein raues Land gezogen, weil sie die Freiheit liebten, und sie mussten sich dann allein durch Kühnheit behaupten. Schon bald fühlten sie sich als die uneingeschränkten Herren ihres Machtgebietes.
Als dann die neue Zeit kam, konnten sie sich nicht anpassen. Sie waren zu wild, zu primitiv, zu kühn und zu hart. Sie hatten sich in einer Welt behauptet, in der es nur Jäger und Gejagte gab. Sie begriffen nicht, dass es in der menschlichen Gemeinschaft vor dem Gesetz und nach dem Recht keine Großen und Kleinen, keine Starken und Schwachen geben kann.
Deshalb waren sie zum Untergang verurteilt.
Dies ist die Geschichte des wilden McGillen-Clans ...
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Seitenzahl: 152
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Der wilde Clan
Vorschau
Impressum
Der wilde Clan
Damals gab es diese wilden Sippen und Clans. Sie waren irgendwann in ein raues Land gezogen, weil sie die Freiheit liebten, und sie mussten sich dann allein durch Kühnheit behaupten. Schon bald fühlten sie sich als die uneingeschränkten Herren ihres Machtgebietes.
Als dann die neue Zeit kam, konnten sie sich nicht anpassen. Sie waren zu wild, zu primitiv, zu kühn und zu hart. Sie hatten sich in einer Welt behauptet, in der es nur Jäger und Gejagte gab. Sie begriffen nicht, dass es in der menschlichen Gemeinschaft vor dem Gesetz und nach dem Recht keine Großen und Kleinen, keine Starken und Schwachen geben kann.
Deshalb waren sie zum Untergang verurteilt.
Dies ist die Geschichte des wilden McGillen-Clans ...
Als es draußen dunkel geworden ist, geht Ringo Kid gemächlich durch die Schwingtür auf den Stepwalk. Nur einige Laternen verbreiten ihr flackerndes Licht. Er wendet sich nach links, zum General Store Jed Sheldons, in dem die aufregende Ann Sheldon, die es schon mit vielen Männern der Stadt getrieben hat, in ihrem Zimmer vielleicht auf ihn wartet.
Langsam, jedes Geräusch sorgfältig vermeidend, schlendert er um die Ecke auf den Hof.
An der Hauswand hält Ringo Kid an.
Das Fenster oben ist offen. Er setzt sich rittlings auf die Fensterbank und sagt leise: »Honey-Ann, ich bin es. Hörst du mich, mein Engel?«
Während er die Luft anhält und auf eine Antwort wartet, hört er das tiefe und gleichmäßige Atmen des schlafenden Mädchens.
Er steigt in das Zimmer ein, bewegt sich zum Bett und beugt sich nieder.
»Wach auf, Honey!«, flüstert er. »Der gute, liebe Ringo ist da. Wach auf, mein Engelchen, jetzt wird es schön zwischen uns bei ...«
Er hört ihr Lachen und begreift, dass sie die Atemzüge einer fest Schlafenden nur vortäuschte.
Dann sagt sie: »Pack dich, Ringo! Ich gebe mich nicht mit jedem Lümmel ab, der zufällig in unseren Store kam und die Bekanntschaft auf diese Art fortsetzen möchte. Hau ab, Ringo, bevor ich laut werde. Ein Rindertreiber wäre so ziemlich das Letzte, mit dem sich ein Mädchen in dieser Stadt einlassen würde. Hau ab, Ringo Kid!«
In ihrer Stimme ist zuletzt unverkennbarer Hohn.
Ringo steigt eine brennende Röte ins Gesicht. Ihm ist, als wäre er rechts und links geohrfeigt worden.
Eine Weile sitzt er starr auf dem Bettrand.
Dann sagt er kehlig: »Du bist ein falsches Biest, Ann. Du hast mir am Nachmittag schöne Augen gemacht. Ich konnte also annehmen, bei dir Chancen zu haben. Du hast mich herausgefordert und ermutigt. Jetzt komm! Stell dich nicht so an. Mit mir kann man das nicht machen. Komm, Honey!«
Ringo Kid ist neunzehn Jahre alt und hat schon einige Erfahrungen mit Mädchen. In fast jedem Mexikanerdorf im Umkreis von fünfzig Meilen hatte er es schon mit heißblütigen Mädchen zu tun. Und diese hier hat ihn am vergangenen Nachmittag herausgefordert.
Nun will er sich nicht wie ein Dummkopf fortschicken lassen, zumal man sich in den Saloons und unter Cowboys erzählt, dass Ann Sheldon, die Tochter des Storehalters von Dragon City, einem süßen Abenteuer nicht abgeneigt wäre.
Ann zieht Ringo die Fingernägel durch das Gesicht, schlägt ihm ihre Faust auf die Nase – und dann bekommt sie Hilfe.
Die Tür ihrer Schlafkammer wird aufgerissen. Licht fällt vom Gang herein. Ein großer, starker Mann ist plötzlich da und greift sich Ringo Kid. Er nimmt ihn am Genick und hinten am Gürtel und schleudert ihn durch das Fenster. Er wirft ihn einfach hinaus, obwohl Ringo Kid gewiss mehr als hundertfünfzig Pfund wiegt.
Ringo Kid brüllt wild und voller Furcht. Er überschlägt sich und versucht, auf Hände und Füße zu fallen wie eine Katze. Aber er landet auf dem Rücken, und die Luft bleibt ihm weg. Er weiß sofort, dass er sich nichts gebrochen hat, und ist glücklich darüber. Aber für eine Weile kann er sich nicht rühren.
Es ist eine schlimme Minute für ihn.
Er sieht die Leiter an der Hauswand lehnen, er sieht den Lichtschein aus dem Fenster fallen – und dann sieht er den Storehalter, der früher ein erfolgreicher Preiskämpfer in den Städten zwischen New Orleans und Saint Louis war, die Leiter herabsteigen.
Er hört Jed Sheldon grollen: »Dich mach ich klein! Dich mache ich fertig! Dir breche ich sämtliche Knochen. Ich mache dich kaputt!«
Ringo Kid ist wie gelähmt, und eine heiße Furcht steigt in ihm auf, dass er vielleicht sein ganzes Leben lang gelähmt bleiben könnte.
Aber plötzlich kann er Hände und Arme bewegen. Er greift noch im Liegen nach dem Colt, doch die Waffe, die er so unwahrscheinlich schnell ziehen kann, ist natürlich fort. Sie war im Holster nicht gesichert und fiel vielleicht schon in Anns Zimmer aus dem Holster.
Ringo Kid ist ohne seinen Colt, mit dem er sich gegen jeden Mann hätte behaupten können. Er sieht, wie Jed Sheldon von der letzten Sprosse der Leiter steigt und sich nach ihm umwendet. Er weiß, dass der Ex-Boxer ihn schrecklich verprügeln wird – bedächtig und methodisch, aber gnadenlos und unversöhnlich.
Ringo Kid McGillen fällt sein Apachen-Messer im Stiefelschaft ein.
Er kann sich bewegen, sein Bein anziehen und mit zwei Fingern in den Stiefelschaft greifen. Als Jed Sheldon breitbeinig über ihm steht und ihn hochreißen will, bekommt Ringo Kid im selben Moment das Messer frei.
Und er stößt Sheldon, beherrscht von heißer Angst, den Stahl zwischen die Rippen. Er will sich nicht grausam verprügeln und die Knochen brechen lassen.
Er spürt, wie Jed Sheldon starr wird, und hört den mächtigen Mann bitter seufzen. Dann lässt Sheldon ihn los, schwankt gegen die Hauswand und sagt heiser: »Du – du hast mich – mit dem – Messer ...«
Weiter kommt er nicht. Er fällt auf die Knie und stöhnt: »Heilige Mutter Maria, erbarme dich meiner. Denn ich ...«
Dann stürzt er zur Seite und ist tot.
Ringo Kid fiel ebenfalls auf die Knie, als Jed Sheldon ihn losließ.
Nun hockt er noch einige Atemzüge lang da.
Dann begreift er, dass er fort muss – nichts wie fort.
Dieses verdammte Biest, denkt er mit seltsamer Klarheit. Sie hat mich im Store beim Bedienen angelacht, hat mir Hoffnungen gemacht, hat mich herausgefordert. Und nun ...
Er kommt endlich auf die Beine. Er hebt den Kopf und blickt zum Fenster hinauf, das blutige Messer noch in der Hand.
Er sieht das große Ding kommen und begreift noch, dass es eine schwere, irdene Wasserschüssel ist. Aber er kann den Kopf nicht mehr wegnehmen und bekommt die schwere Schüssel auf den Kopf. Er bricht zusammen, verliert das Bewusstsein und hört Ann Sheldons gellende Hilfeschreie nicht mehr.
✰✰✰
Er erwacht erst aus seiner Betäubung, als sie ihn hochreißen und von der Hofseite des Store- und Wohngebäudes nach vorn auf die Straße bringen.
Er begreift, dass sie ihn lynchen wollen. Und er denkt immer wieder: Das können sie doch nicht! Das tun sie auch nicht! Ich bin doch ein McGillen! Meine Sippe wird kommen und die ganze Stadt klein machen, wenn sie mir hier auch nur ein Haar krümmen. Ich muss ihnen nur sagen, dass ich ein McGillen bin! Sie haben mich nicht erkannt. Ich muss ihnen sagen ...
Aber als er den Mund öffnet und das erste Wort ruft, spürt er schon eine harte Faust. Sie zerschlägt ihm die Lippen und lässt ihn das eigene Blut schmecken.
Er hört die wilden Rufe der Leute, und dazwischen gellt die Stimme von Ann Sheldon: »Er ist in mein Zimmer eingedrungen! Ich habe mit ihm gekämpft, bis mein Vater kam! Dad warf ihn durch das Fenster, aber er wartete am Fuße der Leiter auf Dad und stach ihm das Messer in die Brust. Er hat meinen Vater ermordet, der mir zu Hilfe kam, als mich dieser verdammte Strolch in meinem Zimmer überfiel!«
Immer wieder hört er es Ann Sheldon rufen.
Und danach brüllt die Meute, die ihn von allen Seiten gepackt hat und zu einem bestimmten Ziel schleppt.
Es ist eine mächtige Burreiche.
Er will wieder den zerschlagenen Mund öffnen, will schreien, als sie ihm schon die Schlinge über den Kopf streifen. Aber er bekommt nochmals die harte Faust auf den Mund.
Sie lynchen mich, denkt er. Sie lynchen mich wahrhaftig, wenn kein Wunder geschieht. Und dieses Biest von einem Mädel ...
Weiter kommt er nicht, denn sie ziehen ihn hoch ...
Als er tot ist und sie ihn umringen, zu ihm aufblicken und langsam aus ihrem wilden Rausch erwachen, kommt ein Reiter aus dem Hintergrund geritten. Es ist ein alter Cowboy.
Im Schein der Fackeln und Laternen, im Licht der Lichtbarrieren, die aus Fenstern und Türen der Häuser fallen, betrachtet der Reiter den Toten. Alle sehen auf den Gelynchten. Es ist still. Nur das Pferd schnaubt.
Dann sagt der alte Cowboy über die Menge hinweg: »Wisst ihr auch, wer das ist? Das ist Ringo Kid McGillen, der jüngste Mann des Clans. Alles andere könnt ihr euch wohl ausrechnen, ihr Mörder?«
Nach diesen Worten zieht der Cowboy sein Pferd herum, gibt dem Tier die Sporen und jagt hinaus in die Nacht.
Dieser Cowboy reitet für die McGillens.
Er muss fast fünfzig Meilen reiten, um dem Clan die Nachricht zu bringen.
Die Leute von Dragon City stehen wie erstarrt. Nun ist es nicht nur das Erwachen aus einem Rausch von Gewalttat und Rache, das sie verharren lässt.
Nun ist es Schrecken. Nackte Angst vor dem Kommenden.
✰✰✰
Das Haupthaus der McGillens ist aus Felsbrocken gemauert. Es ist so fest wie ein Fort – ein starker Klotz im Spaniol Canyon, der hier fast eine Meile breit ist.
Wie immer finden sich die McGillens und die anderen Angehörigen des Clans am großen Tisch zum Frühstück ein. An dem mächtigen Eichentisch haben mehr als drei Dutzend Menschen Platz. Und in dem riesigen Kamin dieses Hauptraumes könnte man einen Ochsen am Spieß braten.
Es ist ein Zufall, dass an diesem Morgen der Clan fast vollzählig versammelt ist. Zuletzt erscheint May McGillen. Sie ist eine geborene Lane und soll früher einmal sehr schön gewesen sein. Heute ist davon nichts mehr vorhanden. Sie gleicht einem alten, verhutzelten Kräuterweiblein, und man sagt, dass die Lanes Apachenblut in den Adern hätten.
Sie geht am Stock und nimmt ihren Platz an der Kopfseite des Tisches ein, während sich alle erheben und geduldig warten, auch Rose, ihre einzige Tochter, die nur ein Jahr älter ist als Ringo Kid, also zwanzig.
Als May McGillen sitzt, betrachtet sie nacheinander alle Gesichter.
»So, seid ihr auch wieder da, Pat und Frank? Ihr wart drüben in Mexiko, nicht wahr? Bist du verwundet worden, Frank? Ich kann sehen, wo unter deinem Reithemd der Verband sitzt. Habt ihr einen Kampf mit den Rurales gehabt, die euch mit den Silberbarren nicht über die Grenze lassen wollten? Oder waren es ...«
Sie verstummt bitter und winkt ab. Dann richtet sie ihren Blick auf ihren Bruder Sloan Lane.
»An dir habe ich auch keine Hilfe«, sagt sie. »Es könnte uns viel besser gehen, wenn ihr alle nur halb so viel tun würdet wie unsere Reiter. Du kannst die Männer nicht mehr unter Kontrolle halten, Bruder Sloan. Wenn sie wollen, brechen sie dir aus und treiben sich wochenlang herum. Nur wenn sie abgebrannt, hungrig oder verwundet sind, kommen sie heim – oder wenn sie Schutz brauchen. Ihr seid eine lausige Bande, ihr Narren! Wenn doch euer Vater noch leben würde! Dann ...«
Sie unterbricht sich und wischt sich über Augen und Stirn. Ihr Gesicht ist ledern und fast so dunkel wie das einer Apachen-Squaw. Aber ihre Augen sind hell und zwingend.
»Setzt euch«, sagt sie. »Ihr müsst essen, um kräftig zu bleiben. Wenn ihr nur nicht immer wieder eure Kraft verschwenden würdet. Wir könnten ...«
Wieder bricht sie ab. Es gehört zu ihrer Art, Gedanken nicht ganz auszusprechen. Sie nimmt eine Scheibe Brot, bricht sie in kleine Brocken und tunkt sie in ihre Kaffeetasse.
Dann löffelt sie die aufgeweichten Brocken.
Plötzlich sagt sie: »Euren Vater haben die Apachen umgebracht. Wenn ihr nicht anders werdet, steht euch ein schlimmeres Ende bevor. Wir besitzen viel Land, mehr als zehntausend Rinder und tausend Pferde. Wir müssten noch viel mehr besitzen, würdet ihr alle fleißig an der Vermehrung unseres Besitzes mitgeholfen haben. Wir könnten jetzt schon hunderttausend Rinder besitzen. Ein Königreich könnten wir uns geschaffen haben. Jetzt sind wir nicht mehr stark genug. Die neue Zeit wird uns ihren Gesetzen unterwerfen. Und das bringt euch alle um. Denn ihr könnt ...«
Während dieser letzten Worte kam draußen der Hufschlag eines Pferdes auf. Die geschulten Ohren aller Anwesenden hörten, dass dieses Pferd mit letzter Kraft heranstolperte.
Als May McGillen verstummt, hören alle den zitternden Atem des Tieres.
Ben McGillen springt auf und knurrt: »Diesen Pferdeschinder werde ich ...«
Aber da taucht auch schon der alte Cowboy auf, der mitten in der Nacht von Dragon City fortgeritten war. Der Alte ist ebenfalls am Ende seiner Kraft. Er hat sein Pferd zuschanden geritten, und dieser Ritt ging über seine Kräfte. Pferdeschweiß bedeckt wie flockiger Schaum seine ledernen Chaps.
Neben der Tür lehnt sich der Mann erschöpft gegen die Wand.
»Seid auf alles gefasst, McGillens«, krächzt er. »Ich bringe euch eine schlechte Nachricht, und ich bitte euch, mich nicht dafür büßen zu lassen. Ich konnte Ringo nicht mehr helfen. Es war schon geschehen, bevor ich es überhaupt gewahr wurde.«
Er verstummt und wischt sich über sein faltiges Gesicht.
»Sie haben Ringo in der vergangenen Nacht drüben in Dragon City gelyncht«, sagt er dann langsam und mit letzter Kraft. Dann fällt er um.
Der McGillen-Clan aber sitzt erstarrt um den großen Tisch.
Niemand fragt, warum man Ringo Kid gelyncht hat.
Nur May McGillen flüstert langsam und tonlos: »Nun lynchen sie schon meine Söhne. Nun bringen sie meine Söhne schon um, noch bevor die neue Zeit kommt, die uns ohnehin vernichten wird.«
»Das werden sie büßen!«, ruft Patrick McGillen scharf und sieht zu seinem Onkel Sloan Lane hinüber, der wie ein in Leder gekleideter grauer Falke wirkt.
Sloan Lane ist ein Revolvermann, der es schaffte, noch am Leben zu sein. Er ist – was das Kämpfen und einige andere Dinge betrifft – ein erfahrener Falke. Und obwohl er kein McGillen ist, fühlt und denkt er nicht weniger wild und verwegen als diese.
Er nickt Patrick McGillen zu und sagt: »Wir werden Ringo Kid holen, um ihn neben seinem Vater, seinen Brüdern und Vettern zu begraben. Er soll auf unserem Friedhof begraben werden, der mit seinen Gräbern dafür zeugt, dass wir McGillens und Lanes unseren Preis an Blut und Toten in all den Jahren zahlten, da wir uns das Land erobern mussten. Und wenn wir schon nach Dragon City müssen, um Kid zu holen, dann werden wir gleich mal fragen, warum sie den Jungen lynchten. Ich denke, wir sorgen dafür, dass in dieser Stadt nie wieder ein McGillen oder Lane gelyncht werden kann.«
Nachdem er dies gesagt hat, nicken alle – auch May McGillen.
Sie und ihre einzige Tochter Rose bleiben jedoch sitzen.
Es sind: Patrick McGillen, der älteste Sohn – Ben McGillen, der zweitälteste – Frank McGillen – John McGillen – Sloan Lane, der Onkel und May McGillens Bruder – und Roy Lane, sein Sohn.
Roy Lane ist es, der beim Hinausgehen fragt: »Wie viele Reiter nehmen wir mit?«
Sein Vater blickt ihn nur schief über die Schulter an und sagt nichts. Da weiß Roy, dass sie es allein tun werden.
Die Stadt Dragon City hat einen McGillen gelyncht.
Nun betrachten sie die Vergeltung allein als ihre Angelegenheit.
Sechs Mann gegen eine Stadt, in der es gewiss an die dreißig kampffähige Männer gibt.
Doch sie wollen dem Land zeigen, was es bedeutet, sich an einem McGillen oder Lane zu vergreifen.
✰✰✰
Viele Stunden später sehen sie im letzten Schein der Abendsonne die kleine Stadt Dragon City in dem grünen Tal liegen, durch das sich der Wagenweg nach Westen windet.
Sie reiten vom Hügelsattel hinunter, erreichen den Wagenweg und folgen ihm, bis sie dicht vor der Stadt eine kleine Baumgruppe erreichen.
Hier ist ein leichter Wagen angebunden mit Ringos Pferd davor. Auf dem Wagen steht ein Sarg. Es ist ein guter Sarg, wahrscheinlich der beste, der beim Leichenbestatter zu haben war.
Auf dem Fahrersitz liegt ein Stück weiße Pappe, die mit einem Stein beschwert wurde, um nicht vom Wind weggeweht zu werden.
Im grauen Licht der Abenddämmerung liest Sloan Lane den McGillens die Nachricht vor, die auf dem Pappstück geschrieben steht. Eigentlich ist es keine Nachricht, sondern eine Drohung.
»Ihr McGillens!
Wir wussten nicht, wer der Strolch war, den wir hängten, weil er ein Mädchen überfiel und dessen Vater mit dem Messer umbrachte.
Wir wussten es nicht, aber selbst wenn wir es gewusst hätten, so hätten wir es dennoch getan und würden es immer wieder tun.
Hier habt ihr euren Strolch! Nehmt ihn und verschwindet! Kommt nie wieder nach Dragon City, oder es sterben noch mehr von eurer verdammten Sippe.
Die Bürger von Dragon City.«
✰✰✰
Nach diesen Worten verstummt Sloan Lane.
Sie schweigen alle, beißen ihre Zähne aufeinander und schlucken ihren wilden Zorn hinunter. Erst nach einer Weile stoßen sie Flüche aus und bewegen sich unruhig in den Sätteln, sodass ihre müden Pferde nervös werden.
Dann sagt Patrick McGillen knirschend: »Diese Drecksäcke von Dragon City! Ich denke mir, dass Ringo keine Chance hatte, um sich gegen die Anschuldigungen verteidigen zu können. Wir wissen, dass Ringo bei jedem Mädel Glück hatte. Ich denke mir weiter, dass dieses Mädchen ihn eingeladen hatte und dass sie dann von ihrem Vater überrascht wurden. Ringo war kein Messerheld. Er verachtete diese Sorte. Dass er zum Messer griff, ist für mich ein Zeichen von höchster Not. Er sah gewiss keine einzige Chance mehr, sein Leben zu verteidigen. Ich bin der Meinung, dass sie Ringo Kid ermordet haben. Die Stadt dort hat unseren Kleinen ermordet! Was werden wir tun?«
»Klein machen!«, schnappt Ben McGillen.
»Richtig!«, sagt John McGillen.
»Ich war nie dafür, am Rande unseres Gebietes eine Stadt wachsen zu lassen«, murmelt Frank McGillen.
»Sie soll es büßen!«, knirscht Roy Lane.
Sloan Lane sagt vorerst gar nichts.
Er sitzt ab und öffnet seine prall gefüllten Satteltaschen.
»Kommt, Jungs«, sagt er, »holt es euch. Jeder bekommt eine Zigarre und fünf Sprengstoffstangen, deren Lunten ich so kurz schnitt, dass sie in drei Sekunden zünden. Muss ich euch noch etwas sagen?«
Sie schweigen. Sie holen sich die Zigarren und die Sprengstangen.
Als sie ihre Zigarren anzünden, beleuchten die kleinen Zündholzflämmchen ihre harten, hageren und kühn geschnittenen Gesichter. In ihren Augen glitzert es.
Es ist inzwischen dunkel. Als die Zigarren brennen, sind die Glühpunkte zu erkennen, deren Widerschein schwach auf den Gesichtern glänzt.
»Sie werden natürlich auf uns warten«, sagt Sloan Lane.