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Man nannte sie damals auch »Drifters«, denn sie waren ruhelos mit ihren Schafherden unterwegs. Sie waren wandernde Schafzüchter, die kein eigenes Land besaßen und deshalb ihre Herden von einer freien Regierungsweide zur anderen trieben.
Zwischen ihnen und den Rinderzüchtern bestand eine unerbittliche Fehde, denn Schafe und Rinder, das war zugleich der Unterschied zwischen Männern, die stolz im Sattel saßen, und Männern, die zu Fuß durch den Staub gingen. Zwischen ihnen gab es eine tiefe Kluft, gab es Verachtung, Hass, Feindschaft - und die ganze Mitleidlosigkeit von Menschen.
Und wohin die wandernden Schafherden auch kamen, es waren vor ihnen immer die Rinderzüchter da, die auch die Regierungsweide besetzt hatten und keine Schafe ins Land lassen wollten.
So war es auch damals in Wyoming. Dieser Schaf-Rinder-Krieg ist ein bitteres und trauriges Kapitel in der Geschichte des einst so wilden Westens.
Auch an dieser historischen Situation kann ich als Autor, der Westerngeschichten in abenteuerlicher Form schreibt, nicht vorbeigehen.
Deshalb beginne ich mit der Geschichte der »Ruhelosen«, und der Leser weiß nun, dass damit die wandernden Schafherden und ihre Besitzer, jene »Drifters«, gemeint sind.
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Seitenzahl: 160
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Die Ruhelosen
Vorschau
Impressum
Die Ruhelosen
Man nannte sie damals auch »Drifters«, denn sie waren ruhelos mit ihren Schafherden unterwegs. Sie waren wandernde Schafzüchter, die kein eigenes Land besaßen und deshalb ihre Herden von einer freien Regierungsweide zur anderen trieben.
Zwischen ihnen und den Rinderzüchtern bestand eine unerbittliche Fehde, denn Schafe und Rinder, das war zugleich der Unterschied zwischen Männern, die stolz im Sattel saßen, und Männern, die zu Fuß durch den Staub gingen. Zwischen ihnen gab es eine tiefe Kluft, gab es Verachtung, Hass, Feindschaft – und die ganze Mitleidlosigkeit von Menschen.
Und wohin die wandernden Schafherden auch kamen, es waren vor ihnen immer die Rinderzüchter da, die auch die Regierungsweide besetzt hatten und keine Schafe ins Land lassen wollten.
So war es auch damals in Wyoming. Dieser Schaf-Rinder-Krieg ist ein bitteres und trauriges Kapitel in der Geschichte des einst so wilden Westens.
Auch an dieser historischen Situation kann ich als Autor, der Westerngeschichten in abenteuerlicher Form schreibt, nicht vorbeigehen.
Deshalb beginne ich mit der Geschichte der »Ruhelosen«, und der Leser weiß nun, dass damit die wandernden Schafherden und ihre Besitzer, jene »Drifters«, gemeint sind.
G. F. Unger
Broderick Kane weiß genau, dass er keine Chance mehr hat – und er macht sich auch keine Hoffnungen mehr. All seine wilden und heißen Wünsche nach einem Entkommen, nach Sicherheit und irgendwelchen Möglichkeiten, sie sind gestorben.
Nun nimmt er die Entscheidung hin.
Jefferson Kilrain und die große Mannschaft der Kilrain Ranch haben ihn auf eine felsige Kuppe des langen Hügelkammes gejagt, haben ihn eingekreist und werden bald angreifen.
Und Jefferson Kilrain wird die ganze Sache gewinnen. Daran gibt es keinen Zweifel.
Broderick Kane sieht ihn nun, den großen Rivalen, den Feind seit seiner Kindheit, als sie beide noch in Texas lebten und gemeinsam zur Schule gingen.
Jefferson Kilrain kam aus seiner Deckung hervor. Doch er ist weit genug entfernt, sodass sich ein Schuss mit einem Revolver nicht lohnt. Broderick Kane könnte jedoch gar nicht auf ihn schießen.
Sein Revolver ist leer. Er kann seine alte Waffe nur noch als Keule oder als Wurfgeschoss verwenden.
Kilrain hat gewonnen, denkt er. Kilrain ist jetzt fein heraus. Niemand mehr wird anzweifeln, dass er der große Mann im Land ist. Er wird der König sein, der Boss, in dessen Schatten sie alle leben – alle! Und er wird eines Tages sicherlich auch Ginger bekommen, Ginger Logan, um die beide warben und die sich nicht entscheiden konnte. Er wird sie bekommen, denke ich. Es ist alles aus und vorbei! Es ist beendet!
Dann sieht er, wie Jefferson Kilrain die Hand hebt, und er hört ihn dann mit seiner kräftigen Stimme rufen: »He, Brod! Hörst du mich, Brod?«
»Ich höre dich, Jeff!« Er ruft es kühl und ruhig zurück.
»Dann mach deine Ohren richtig auf, Brod! Du kannst deine Chance bekommen! Ich will mir nicht nachsagen lassen, dass ich dich nur mithilfe meiner Mannschaft erledigen konnte! Komm heraus aus deinem Loch! Du bekommst freien Abzug, wenn du mich schlagen kannst. Komm, mein Junge! Wir waren von Anfang an füreinander bestimmt!«
Er ist schwarzhaarig, so groß wie Broderick Kane, doch gewiss dreißig Pfund schwerer als dieser. Seine Augen sind ebenfalls rauchgrau. Er ist der größte Rancher im Land, doch er kleidet sich wie ein einfacher Cowboy. Aber unter hundert Cowboys würde man ihn sofort als den Boss erkennen.
Es gehört zu seiner Art, nun mit seinem persönlichen Feind den Zweikampf zu suchen. Dies ist er auch seinem Prestige schuldig. Denn für das ganze Land war Broderick Kane der einzige Mann, der Jefferson Kilrain ebenbürtig war.
Broderick Kane saugt den letzten Zug aus der Zigarette. Und er weiß, dass es wahrhaftig der letzte Zug sein wird.
Er verlor seine kleine Ranch. Er verlor seine Freunde. Er verlor die Treue aller Männer, die ihn zu ihrem Anführer gemacht hatten. Er wurde verraten und betrogen.
Und wenn Jefferson Kilrain wüsste, dass er keine Kugel mehr im Revolver hat, so würde er sicherlich darauf verzichten, mit ihm zu kämpfen. Er würde sich abwenden und davongehen. Er würde seinem Vormann Sol Kehoe die Sache überlassen.
Und Sol Kehoe würde ihn, Broderick Kane, als Viehdieb behandeln. Und in diesem Land hängt man Viehdiebe noch an einen Ast.
Er tritt zwischen den Felsen hervor und geht Jefferson Kilrain entgegen. Er bewegt sich ganz ruhig.
Und obwohl in der Runde viele Männer lauern, ist es ganz still.
Es ist ein schöner Morgen in Wyoming. Es ist genau acht Uhr, und man schreibt den 9. Juni 1881. Broderick denkt daran.
»Hast du keine Angst, Brod?«, fragt Kilrain.
»Du bist ein Glücksjunge, Jeff«, erwidert Broderick Kane sanft.
Er zieht die Waffe wie einer der ganz großen und unüberwindlichen Revolvermänner, und er schlägt Jefferson glatt um jenen Sekundenbruchteil, der ausgereicht haben würde.
Doch er drückt nicht ab – wozu auch! Er wirft die Waffe mit einer lässigen Bewegung vor sich auf den Boden.
Und Jefferson Kilrain, der so schnell gezogen hatte wie noch nie in seinem Leben, drückt ab, bevor er erkennen und begreifen kann, was Broderick Kane tut.
Die Kugel trifft Broderick Kane in die Seite. Er zuckt schmerzvoll zusammen und fällt auf ein Knie. So kniet er nun und blickt Jefferson Kilrain an, mit einem Lächeln, welches bittere Ironie verrät.
»Du bist schon ein großer Bursche, Jeff«, sagt er gepresst. »Jetzt konntest du mich sogar von den Beinen schießen! Du bist schon wahrhaftig eine Wucht! So groß wie ein Berg bist du! Wahrhaftig, jetzt hast du es geschafft, mein Junge!«
Jefferson Kilrain steht da. Sein Revolver raucht. Doch er lässt ihn sinken und fragt: »Warum hast du nicht geschossen?«
»Keine Kugel mehr«, erwidert Broderick Kane müde. »Und du Stümper hast mich nicht einmal richtig treffen können. Du musst noch einmal schießen, Mister! Es langt noch nicht!«
»Du hast mich reingelegt«, sagt er. »Du wusstest, dass du erledigt bist, und da wolltest du dir den Spaß machen, mich auf einen unbewaffneten Mann schießen zu lassen! Oha, du wolltest meinen Ruf zerstören! Aber ...«
Broderick Kane kniet immer noch und presst die Hand gegen die Seite. Es mangelt ihm nun an Luft, und der Schmerz in der Seite breitet sich wie eine Lähmung aus.
Jefferson Kilrain hat nun lange genug nachgedacht. Er nickt und grinst breit: »Du wolltest mich zum Gespött des Landes machen«, sagt er. »Aber ich zahle dir das zurück!«
Er wendet den Kopf und ruft scharf: »Sol! He, Sol Kehoe!«
Auch Broderick Kane wendet den Kopf. Und er sieht dem Vormann der Kilrain Ranch entgegen. Sol Kehoe ist ein harter Mann, ungeheuer stark und genügsam.
Er stellt sich neben Jefferson Kilrain und blickt ausdruckslos auf Broderick Kane nieder.
»Seine Wunde wird verbunden«, sagt Jefferson Kilrain. »Und dann setzt ihn wieder auf sein Pferd. Ich schenke ihm das Leben. Er hat es zwar verwirkt, doch ich schenke es ihm!«
Er tritt vor, greift in Broderick Kanes rotes Haar und reißt den Kopf zurück.
So zwingt er Kane, ihm in die Augen zu sehen.
»Komm nie wieder in mein Land zurück, Brod – nie wieder! Denn beim nächsten Mal töte ich dich!«
Und dann lässt er los, wendet sich ab, geht zu seinem Pferd, das einer seiner Männer mit den anderen Tieren herbeibringt, sitzt auf und reitet davon – wie ein König, der seine Schlacht gewonnen hat und der nun beruhigt heimkehren kann.
Sol Kehoe blickt auf Broderick Kane nieder und sagt: »Du weißt genau, Brod, wie du ihn behandeln musst. Es war die einzige Möglichkeit, davonzukommen. Nun gut!«
Sie verbinden ihn und setzen ihn auf sein Pferd. Er darf reiten.
Und Brod Kane reitet nach Süden, immer nach Süden. Vielleicht kann er es bis zu einem Siedler schaffen.
✰✰✰
Als er erwacht, spürt er die Schmerzen in der Seite, böse und peinigende Schmerzen.
Doch dann begreift er, dass jemand die Wunde behandelt, mit irgendeiner scharfen Flüssigkeit.
Broderick Kane wird sich darüber klar, dass sich zwei Personen um ihn bemühen. Er hört die ruhige Stimme eines älteren Mannes sagen: »Nun, jetzt sind wir gleich fertig mit ihm. Halte die Wundränder gut zusammen, mein Täubchen! Ich lege jetzt das breite Pflaster auf. Es wird die Wunde über der Rippe zusammenhalten und zugleich die angebrochene Rippe versteifen. Das ist besser, als hätte ich genäht. Diese Wunde wäre gar nicht so schlimm, wenn er nicht so viel Blut verloren hätte ...«
Der Sprecher, der an Broderick Kane arbeitet, blickt nun zur Seite und entdeckt, dass Brod die Augen geöffnet hat.
»Ay, buenas noches, Señor! Sie sind wach? Das ist gut!«
Broderick Kane versucht etwas zu erwidern, doch er schafft es erst beim dritten Versuch, und dann klingt seine Stimme sehr heiser und kaum verständlich. Er sagt: »Ich mache Ihnen viel Mühe. Es tut mir leid, und ich ...«
Er hat nun den Kopf etwas zur Seite gedreht, und da verstummt er. Denn er sieht nun das Mädchen, welches der alte Mann »mein Täubchen« nannte.
Der Schein des Feuers leuchtet ihr ins Gesicht, und sie erscheint Kane so schön, zauberhaft und anziehend, dass er seine eigene Not vergisst und staunen muss. Er hätte nie geglaubt, dass es auf dieser Welt so etwas gibt.
»Oooh!«, macht er unwillkürlich, denn er hat seine Beherrschung und seine kühle Selbstkontrolle noch nicht wieder.
Er sieht sie lächeln, und noch bevor sie spricht, weiß er, dass er eine jener Irinnen sieht, die aus Milch und Blut gemacht zu sein scheinen und die dabei so stark und energisch sein können bei aller mädchenhaften Lieblichkeit.
Sie hat grüne Augen, groß und weit auseinanderstehend. Und ihr Haar, das sie dicht am Hinterkopf zu einer Art Pferdeschwanz zusammenband, ist so rot wie der Feuerschein.
»Sie machen uns keine Mühe, Cowboy«, sagt sie, und ihre Stimme klingt kehlig und dunkel. »Fernando Salvadore ist glücklich, wenn er sein Können als Wundarzt wieder einmal anwenden kann. Und es ist sehr selten, dass wir Gelegenheit haben, einem Rindermann etwas Gutes zu tun.«
Dann lassen sie ihn allein.
Das Mädchen klettert in einen der fünf oder sechs Wagen, die rings um zwei Feuer aufgefahren sind. Broderick Kane sieht jetzt, dass es ein großes Camp ist. Einige Männer, zumeist Mexikaner, sind dabei, das Camp einzurichten.
Der Wagen des Mädchens ist rot lackiert, hat gelbe Räder und eine weiße Plane. Er ist gewiss ihr rollendes Heim.
Dann hört er aus der Ferne ein leises Blöken, und er weiß, dass er in einem Schäfercamp liegt.
Stinkende Schafe, denkt Broderick Kane mit der ganzen Verachtung des Rindermannes. Und wenn diese hier nach Norden ziehen, dann ...
Nun stockt er in seinem langsamen und schweren Gedankengang.
Denn mit einem Mal ist eine wilde Schadenfreude in ihm. Und er vollendet seine Gedanken: ... dann bekommt der jetzt so große und sieghafte Jefferson Kilrain, der nun glaubt, dass niemand ihm mehr die Rinderweide streitig machen könnte, den schönsten Verdruss auf den Hals. Dann bekommt er diese Schäfer auf den Hals wie ein Indianerhund Flöhe ins Fell.
Jetzt sieht er das Mädchen aus dem Wagen klettern. Sie trägt ein Kleid und eine blaue Schürze.
Er verfolgt sie mit seinen Blicken, und er sieht, wie sie nacheinander mit einigen Männern spricht und dann an das große Feuer tritt, wo jener Fernando Salvadore, der ihn wie ein geschickter Arzt behandelt hat, mit zwei Gehilfen das Abendbrot bereitet. Sie haben einen Hammel über der Glut eines zweiten Feuers. Und sie haben einige holländische Öfen. Es ist alles fast so wie im Camp einer Treibmannschaft von Rinderleuten, nur werden hier keine Rindersteaks zubereitet, sondern ein Hammel am Spieß gebraten.
Das Mädchen kommt zu ihm herüber, und es trägt auf einem Brett einige Dinge, die ein kranker, hungriger Mann nötig hat.
Sie kauert sich bei ihm nieder. Er betrachtet die Speisen in den irdenen Schüsseln.
»Hammelfleisch mit Bohnen«, sagt sie. »Dazu Apfelmus und zum Nachtisch Brot mit Schafskäse. Ist Ihnen das gut genug, Cowboy?«
»Sie mögen keine Cowboys?«, fragt er geradeheraus.
Sie erwidert: »Wohin wir auch kommen auf unserer ständigen Wanderung, Mister, wir haben überall Verdruss mit Cowboys und deren Bossen. So verlor ich auch nacheinander meine beiden Brüder. Sie wurden von Revolver-Cowboys getötet. Und ich könnte Ihnen ...« Sie verstummt und murmelt sanft: »Sie wissen es ja selbst. Es ist die alte Fehde. Sie ist überall, wo Rinder und Schafe sich begegnen.«
Sie setzt ihm das Brett mit den Schüsseln auf die Oberschenkel, gibt ihm dazu Messer und Gabel und lässt ihn wieder allein.
Broderick Kanes Hunger ist gewaltig. Trotzdem isst er langsam und kaut die Speisen sorgfältig. Nach einer Weile spürt er, wie ihm die Mahlzeit gut tut. Er ist ein harter und zäher Mann und zu außergewöhnlichen Leistungen befähigt. Doch nun braucht sein sehr geschwächter Körper neue Kräfte.
Aber dann kann er plötzlich nicht mehr weiter essen. Er hört nun die Herde deutlicher. Sie hat gewiss einen langen Tagesmarsch hinter sich und blieb auch noch in Bewegung, als die Sterne zu leuchten begannen. Ihr Ziel ist dieser Creek hier.
Und nun stürzen sich die blökenden Tiere in die Senke und in das seichte Wasser. Es muss sich um eine sehr große Herde handeln, die eine Fläche von einigen Quadratmeilen bedeckt und die nun auf Meilen entlang den Creek besetzt.
Dieses Blöken ist schrecklich für einen Cowboy. In allen Stimmlagen klingt es ständig: »Bääh!«
Und der Schafgeruch wird streng. Der Wind trägt ihn über das Camp. Reiter und Fußgänger kommen in das Camp. Die zu Fuß gehenden Hirten tragen jene langen Stangen, an deren Enden Schaufeln befestigt sind. Sie werfen damit Steine und Erdklumpen auf große Entfernungen und mit unwahrscheinlicher Treffsicherheit.
Und Hunde bellen, werden mit scharfen Rufen kommandiert.
Die Reiter aber, die da bei einem Seilcorral absitzen und dann an das Feuer beim Küchenwagen kommen, diese Reiter unterscheiden sich nicht sehr von Rinderleuten.
Denn es sind Revolverreiter. Broderick Kane erkennt es sofort.
Und damit ist die Sache klar.
Ein mächtiger Schafzüchter mit einer Kampfmannschaft ist ins Land gekommen.
Broderick Kane weiß, dass es in den vergangenen Jahren einige Schafzüchter versuchten, hier im Wyoming-Territorium mit ihren Schafherden Fuß zu fassen. Doch sie wurden von den Rinderleuten, die einige Jahre vor ihnen gekommen waren und die im mächtigen Rinderzucht-Verband zusammengeschlossen sind, mit Gewalt vertrieben.
Aber die freie Weide im Süden bis hinunter zur Mexiko-Grenze wird knapper und knapper. Überall werden Zäune errichtet.
Jene Ruhelosen, jene »Drifters«, müssen immer weiter nach Norden wandern. Und nun versucht es wieder einmal einer.
Er muss mächtig, reich und entschlossen sein, ein harter Mann, der bereit zum Kampf ist.
Broderick Kane isst nun langsam weiter. Schließlich sieht er einen Reiter kommen, den zwei große schwarze Wolfshunde begleiten.
Es ist ein schwerer und schon äußerlich wie ein Boss wirkender Mann. Er kommt auf einem riesigen grauen Wallach, der wie für einen solchen schweren Mann geschaffen wirkt, ins Camp.
Der Mann sitzt leicht ab. Er verfügt über eine gute Beweglichkeit bei aller Schwere und Größe. Und er kann gewiss auch nicht mehr jung sein, näher den Fünfzigern als den Vierzigern.
Man nimmt ihm das Pferd ab. Die beiden Hunde halten sich dicht bei Fuß, als er an das Feuer tritt und der Koch ihm einen großen Becher Kaffee reicht.
Es ist ein starker Kaffee, und mit einem Zug trinkt er den Becher leer. Dann tritt er an den Küchenwagen und bekommt dort sein Essen wie jeder andere Mann.
Der Koch spricht zu ihm und deutet mit der großen Fleischgabel einmal in Broderick Kanes Richtung.
Das Mädchen tritt dann zu ihnen und bringt dem riesigen Mann eine dicke Zigarre. Sie hat auch einen brennenden Span in der Hand, und es ist irgendwie symbolisch, wie sich dieser Mann nun nach dem langen Tag die Feierabendzigarre ansteckt.
Sie kommen dann beide herüber zu Broderick Kane. Sie bleiben vor ihm stehen – ein graziles Mädchen und ein Riese. Und doch ist etwas an ihnen, was sie als Vater und Tochter erkennen lässt.
Kane betrachtet den Mann sehr genau, so gut es ihm bei seiner Müdigkeit möglich ist. Er hat grau-gelbe Haare, doch Broderick Kane glaubt, dass seine Haare einmal so rot waren wie die des Mädchens. Auch seine Augen wirken gelblich.
»Nun, Cowboy, können Sie mir etwas über dieses Land dort im Norden sagen?«, fragt er. Er stellt keine Fragen danach, wie Broderick Kane verwundet wurde – und warum.
Aber Broderick Kane weiß, dass dies nicht aufgehoben ist.
Er beantwortet die Frage mit den sanften Worten: »Dort im Norden gibt es jetzt nur einen einzigen Mann, der beachtenswert ist. Er hat soeben einen Weidekrieg gegen seine kleineren Nachbarn gewonnen und sich damit zum König gemacht. Er wird ...«
»Wie heißt dieser Mann denn, junger Freund?«, fragt der Riese ruhig.
Broderick Kane presst seine Lippen gegen die Zähne. Es entsteht so ein Lächeln, welches nichts Freundliches hat.
»Ich bin Ihnen sicherlich zu Dank verpflichtet, Mister«, sagt er. »Doch ich bin nicht Ihr Freund. Bitte, nennen Sie mich nicht so. Der große Mann dort im Norden heißt Jefferson Kilrain. Wenn Sie mir gestatten würden, bis morgen früh hier im Camp zu bleiben – morgen kann ich sicher wieder in den Sattel kommen.«
Er verstummt müde, und er hat deutlich genug gesagt, dass er mit Schafzüchtern nichts zu tun haben möchte.
Doch der Riese gibt sich damit nicht zufrieden. Er hockt sich nach Cowboyart auf die Absätze, um Broderick Kane näher sein zu können. Auch das Mädchen hockt sich nieder.
»Ich bin Barton Perritt«, sagt er. »Big Barton Perritt. Und damals, als ich so jung war wie Sie, Mister, da züchtete ich Rinder. Ich war ein Cowboy, ein Rindermann, obwohl mein Vater in Irland noch Schafe gezüchtet hatte – und mein Großvater und dessen Vater – und so fort. Aber ich, ich fing hier in Amerika als Rindermann an, als Cowboy. Denn ich wusste, dass es hier anders ist als bei uns daheim in Irland. Hier gibt es Männer, die im Sattel reiten, die die Nachfolger der einstigen Feudalherren sind, der prächtigen Hidalgos und Conquistadores, die damals die Neue Welt eroberten. Und dann gibt es die armen, zerlumpten und zu Fuß durch den Staub gehenden Bauern und Knechte. Und die Schäfer gingen seit Urzeiten immer zu Fuß. So ist das in Mexiko, in Texas und überall bis hinauf in den Norden.«
Er macht eine kleine Pause, fährt sodann pulvertrocken fort: »Ich war so wie Sie, junger Mann, ein Cowboy, der dann Rancher wurde. Oh, es war eine bescheidene Ranch! Aber ich war Rancher. Doch mein großer Nachbar wollte meine Weide, meine guten Wasserstellen. Er begann mich zu bedrängen. Ich hatte einige Freunde. Ich begann zu kämpfen. Und ich konnte gut kämpfen – damals schon! Aber ich wurde geschlagen. Meine Freunde verließen mich. Ich wurde verwundet und zum Teufel gejagt. Ich hatte wieder alles verloren.«
Er verstummt und betrachtet Broderick Kane.
»Es sollte mich nicht wundern«, sagt er, »wenn es bei Ihnen nicht viel anders ist. Ich hörte es irgendwie am Klang Ihrer Stimme, als Sie davon sprachen, dass jener Jefferson Kilrain dort im Norden der große Mann wäre. Die Art, wie Sie das sagten, sagt mir mehr als hundert Worte. Sie wurden besiegt und verjagt. Und vielleicht hatten Sie eine Ranch. Vielleicht hat sich bei Ihnen alles wiederholt, was ich damals erlebte und was überall und zu jeder Zeit andere Männer ebenfalls erlebten.«
Broderick Kane staunt nicht besonders. Er findet es natürlich, dass dieser Riese so gut über ihn Bescheid weiß. Es ist vielleicht auch gar nicht schwer zu erraten und zu erkennen.