1,99 €
Es war im Mai 1867, als ich meine Brüder zu suchen begann.
Im September hörte ich in El Paso, dass sie vor einigen Tagen aus Mexiko gekommen wären und sich in Maggy Persons Etablissement für längere Zeit niedergelassen hätten.
Es war in River Bend am Rio Grande, und die Stadt hatte damals einen sagenhaften Ruf. Dort gab es die schönsten Mädchen auf fünfhundert Meilen in der Runde.
Dass meine vier Brüder sich dort ein paar schöne Tage machten, hielt ich für angemessen, denn ich hatte eine hohe Meinung von ihnen, was ihre Männlichkeit betraf. Für meine vier Brüder war stets das Beste gut genug.
So ritt ich nach River Bend. Es waren ja nur siebenundfünfzig Meilen, und die schaffte ich auf meinem Red sozusagen in einem Rutsch. Ich ritt die ganze Nacht durch und passte auf, dass die Apachen mich nicht erwischten.
Am nächsten Vormittag klopfte ich an Maggy Persons Tür ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 143
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Fünf staubige Wagen
Vorschau
Impressum
Fünf staubige Wagen
Es war im Mai 1867, als ich meine Brüder zu suchen begann.
Im September hörte ich in El Paso, dass sie vor einigen Tagen aus Mexiko gekommen wären und sich in Maggy Persons Etablissement für längere Zeit niedergelassen hätten.
Es war in River Bend am Rio Grande, und die Stadt hatte damals einen sagenhaften Ruf. Dort gab es die schönsten Mädchen auf fünfhundert Meilen in der Runde.
Dass meine vier Brüder sich dort ein paar schöne Tage machten, hielt ich für angemessen, denn ich hatte eine hohe Meinung von ihnen, was ihre Männlichkeit betraf. Für meine vier Brüder war stets das Beste gut genug.
So ritt ich nach River Bend. Es waren ja nur siebenundfünfzig Meilen, und die schaffte ich auf meinem Red sozusagen in einem Rutsch. Ich ritt die ganze Nacht durch und passte auf, dass die Apachen mich nicht erwischten.
Am nächsten Vormittag klopfte ich an Maggy Persons Tür ...
Über der Tür war ein Fenster im oberen Stockwerk. Dieses Fenster wurde geöffnet, und der graue Lockenkopf einer dicken Frau sah auf mich herab.
»Junge«, sagte sie grollend, »doch nicht jetzt. Wenn du dich nicht schleichst, gieß ich meinen Topf über dir aus.«
Nein, diese Maggy Person war jetzt keine Lady. Aber das konnte man wohl von ihr auch nicht erwarten nach einer langen Nacht mit meinen Brüdern im Haus.
Und so lüftete ich meinen alten Hut, zeigte mein Lächeln und sagte artig: »Ma'am, ich weiß, dass es eine verdammte Zumutung ist, aber ich suche meine vier Brüder. Sie sollen hier in diesem wunderschönen Paradies sein. Wollen Sie mich zu ihnen lassen?«
Sie starrte einige Atemzüge lang zu mir nieder.
Dann fragte sie: »Du bist auch einer der Swarthouts? Ach ja, das hätte ich gleich erkennen sollen. Doch du bist so stoppelbärtig, staubig und verschwitzt. Du bist also wirklich einer der Swarthouts?«
»Ich bin Ty Swarthout«, sagte ich. »Und Sie entschuldigen sicher die Störung, Ma'am, ja?«
Wieder lächelte ich sanft.
Sie aber verschwand für einen Moment im Innern des Raumes.
Als sie wieder zum Vorschein kam, war dies nicht unten an der Tür, wie ich hoffte, sondern wieder oben am Fenster.
Sie hatte auch etwas mitgebracht – ihren Topf, den sie wahrscheinlich immer unter dem Bett stehen hatte.
Aber dann machte sie einen Fehler. Sie keifte los, bevor sie ihn ausleerte.
Und ihr Keifen erschreckte meinen Red, der auch nach siebenundfünfzig Meilen noch nicht zu müde war, wie eine erschrockene Katze zur Seite zu springen.
So entkam ich dem Guss.
Und dann hörte ich eine Menge Beleidigungen.
Heiliger Rauch, was war nur aus meinen Brüdern geworden? Das mussten ja ganz schlimme Strolche und Säufer sein, Wilde, die nur rohes Fleisch fraßen und dergleichen mehr.
Ich hörte nicht mehr länger zu, sondern zog meinen Red herum und ritt aus der Gasse wieder auf die Mainstreet zurück.
Wahrscheinlich hatten meine Brüder dieses Etablissement ziemlich stark beansprucht und trotzdem nicht genug bekommen von den Sünden dieser Erde. Und irgendwann hatte es dann Krach gegeben mit anderen Gentlemen, die ins Haus wollten, aber von meinen Brüdern wieder rausgeworfen wurden.
So etwa musste es gewesen sein, wie ich Maggys Flüchen entnehmen konnte.
Sie brüllte mir noch nach: »Zur Hölle mit euch Affen! Oder man müsste euch Ringe durch die Nasen ziehen und nur in Käfigen der Menschheit vorfuhren! Zur Hölle mit euch Swarthout-Brüdern!«
Sie tat zumindest mir unrecht.
Aber was konnte ich schon dagegen tun?
Ich war nun sehr neugierig auf meine Brüder. Immerhin hatte ich sie volle drei Jahre nicht gesehen.
Nun, ich fand meine vier Brüder einige Häuser weiter.
Sie lungerten auf der Veranda eines Saloons herum, rauchten Zigarren und jeder hatte ein Bierglas in der Hand.
Frische Luft hatten sie offensichtlich nötig, denn sie sahen ziemlich mitgenommen aus – so, als hätten sie drei Tage und drei Nächte ohne Pause gefeiert.
Ben war mein ältester Bruder. Er musste jetzt dreißig Jahre zählen. Er war schwarzbärtig und wirkte bärenhaft.
Er erkannte mich zuerst.
Er grinste sofort schief und stieß den neben ihm stehenden Jim an.
Ich hörte ihn heiser sagen: »He, Jim, sieh dir mal diesen Hombre an – kennst du den?«
Nun sah auch Jim zu mir her.
Jim war knochig wie ein Maultier, aber auch er war schwarzhaarig wie wir alle. Als er grinste, sah es aus, als zeigte ein Maultier tückisch die Zähne.
»Ja, den kenn- ich«, nickte er. »Das ist unser Kleiner, den wir in Colorado bei Mom gelassen haben. Was will der hier?«
Nun waren natürlich auch Art und Joe aufmerksam geworden. Sie alle starrten mich an wie ein Kalb mit zwei Köpfen.
Joe sagte nach einer Weile: »Wahrhaftig, dies ist Moms Liebling. Aber warum ist er nicht mehr bei ihr und sorgt für sie, so wie wir es abgemacht haben? He!«
Ich saß im Sattel meines braven Red und sah sie nur an.
Ja, sie waren älter geworden – aber auch härter. Nein, sie waren keine Cowboys mehr. Das sah ich gleich. Ihre Revolver trugen sie recht tief – jedenfalls anders als durchschnittliche Cowboys.
Ein Wolfsrudel mochte die gleiche Ausstrahlung haben wie meine vier älteren Brüder. Ich begriff schnell, dass sie Revolverschwinger waren.
Und dann kam Bens Frage: »Ty, was ist mit Mom?«
Ich nahm erst den Hut ab.
Und noch bevor ich das erste Wort sprach, nahmen auch sie ihre Hüte herunter.
»Sie wachte an einem schönen Morgen nicht mehr auf«, sagte ich. »Besser kann eine alte und kranke Frau nicht sterben. Ich ließ einen schönen Sarg machen und kaufte ein Grab unter einem schönen Baum. Und dann suchte ich euch.«
Damit hatte ich alles gesagt. Ich setzte meinen Hut wieder auf und stieg endlich von meinem Red. Denn er hatte es verdient, getränkt zu werden. Er schwitzte ein wenig und war staubig wie ich.
Meine vier Brüder starrten in ihre halb leeren Biergläser, mit deren Inhalt sie wahrscheinlich ihren Kater loszuwerden gedachten.
Doch nun hatte ich ihnen einen Schock versetzt, der sie verdammt munter machte.
Ich wusste, sie dachten jetzt an unsere Mom.
Damals, vor dem Krieg, als sie daheim in Texas so schlimm krank geworden war, dass sie Blut hustete, da hatte uns der Doc gesagt, dass wir sie bald verlieren würden, wenn wir mit ihr nicht in ein anderes Land gingen.
»Wohin?«, fragten wir damals fünfstimmig. Und da erklärte er es uns.
Also gingen wir mit unserer kranken Mom nach Colorado in die gesunde und trockene Höhenluft. Wir kauften in der Nähe einer Stadt ein kleines Haus mit Garten und machten es Mom sehr bequem. Dann wollten wir das Los entscheiden lassen, wer von uns bei ihr bleiben und sich um sie kümmern sollte. Aber da verlangte sie, dass ich, ihr jüngster Sohn Tyrone, bei ihr bleiben solle.
Diesem Wunsch fügten wir uns.
Ich selbst hatte alle Hände voll zu tun, um Mom das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Die Arztkosten waren nicht gering. Sie machten zumeist jeden Monat so viel aus, wie zwei Cowboys daheim in Texas verdienten. Aber ich hatte auch noch eine Pflegerin besorgt und musste den Unterhalt für uns drei bestreiten.
Meine vier Brüder schickten zwar manchmal Geld, doch das reichte längst nicht.
Zum Glück wurde damals in Colorado überall Gold gefunden. Und so fand ich immer wieder Verdienstmöglichkeiten, zumeist als bewaffneter Begleitmann von Gold- und Geldtransporten. Das brachte für mich den höchsten Lohn – und ich hatte zwischen den Fahrten stets einige Tage Pause und konnte mich um Mom kümmern.
Ich spürte eine gewisse Enttäuschung über meine Brüder.
Die hatten bei Maggy Person eine Menge Geld auf den Kopf gehauen und eine wilde Feier hinter sich. Wenn sie mir die Hälfte von diesem Geld für Mom geschickt hätten, würde ich ihr – aber nein, Mom war ja schon lange tot.
Doch das konnten meine Brüder nicht wissen.
Sie hätten mir Geld schicken müssen, bevor sie hier bei Maggy Person die große Feier machten.
Als ich mit meinen Gedanken so weit war, fragte Jim: »Kleiner, hast du noch das Geld bekommen, welches wir vor zwei Wochen von El Paso abschickten? Jeder von uns tat hundert Dollar in den Topf. Hast du es noch bekommen?«
»Nein«, sagte ich und war froh, dass sie an Mom gedacht hatten. »Ich suche euch schon seit Mai«, sagte ich. »Und nur durch Zufall hörte ich in El Paso, dass ihr in Mexiko gewesen seid.«
»Ja, wir halfen Juarez ein wenig«, grinste Art. »Stell dir vor, Kleiner, Ben war sogar Major. He, war das ein Leben! Zu unserem Regiment gehörten etwa siebenhundert barfüßige Soldaten, mehr als vierhundert Frauen und Mädchen und eine Menge Kinder. Wenn wir loszogen ...«
Er kam nicht weiter, sondern wurde von Jim unterbrochen.
»Er hat auch kein Geld«, sprach Jim dazwischen. »Versteht ihr, unser Kleiner hat auch kein Geld!«
Mich ärgerte es schon eine Weile, dass sie mich immer wieder Kleiner nannten. Dabei war ich größer als sechs Fuß und wog um die hundertachtzig Pfund, ohne auch nur ein Gramm überflüssiges Fleisch auf den Knochen zu haben.
Ich sagte: »Nennt mich nicht immer Kleiner. Die Zeiten sind vorbei. Ich hab es ziemlich hart gehabt in Colorado. Sie wollten Mom und mich sogar aus dem Haus vertreiben und in unserem Garten nach Gold graben. Wir waren mitten im Goldrun. Ich hatte alle Hände voll zu tun, um Mom den schönen Garten zu erhalten.«
Nun sahen sie mich schärfer an, und jetzt erkannten sie, dass ich ein Mann geworden war, der es auch mit ihnen aufnehmen konnte. Ich war nicht mehr ihr kleiner Bruder. Auch in den letzten sechs Monaten hatte ich eine Menge erlebt, indes ich überall nach ihnen suchte.
Sie nickten plötzlich. Ben sagte: »Richtig, Ty, du bist kein Kleiner mehr. Das sehen wir jetzt. Hast du wirklich kein Geld mehr, sodass wir uns wenigstens ein Frühstück kaufen können, bevor wir losreiten?«
Ich zögerte keine Sekunde mit dem Kopfschütteln.
Denn irgendwie war ich plötzlich verbiestert. Ja, ich besaß noch ein paar Dollars, denn ich hatte sehr sparsam gelebt und vor einigen Wochen in Tucson ein paar Pferde zugeritten, was mir pro Pferd fünf Dollar einbrachte.
Aber ich wollte das Geld nicht meinen Brüdern geben. Ich war zu wütend auf sie. Sollten sie doch mal knurrende Mägen spüren nach ihren Ausschweifungen.
»Ich bin blank wie ihr«, murrte ich.
Sie standen noch einige Sekunden lang still da, sahen mich an. Vielleicht spürten sie auch, dass ich von ihnen enttäuscht war, und trauten mir zu, dass ich sie absichtlich hungern ließ.
Aber sie sprachen kein Wort mehr über Geld, sondern setzten ihre Hüte auf und tranken die Biergläser leer. Sie stellten sie auf eine Fensterbank und pafften stärker an ihren Zigarren.
Ben steckte den Kopf durch das offene Fenster in den Schankraum und rief dem Mann hinter der Bar zu: »He, wir zahlen später, wenn wir wiederkommen!«
Dann gingen wir. Ich folgte ihnen, meinen Red an den langen Zügeln hinter mir herziehend.
Irgendwie wirkten meine Brüder plötzlich sehr entschlossen.
Wir gingen zum Mietstall, und auch dort sagte Ben, dass sie zahlen würden, wenn sie wiederkämen.
Der Stallmann sah meine Brüder nur schräg an.
Oh, er wusste genau, dass er Ärger bekommen hätte, würde er meinen Brüdern keinen Kredit eingeräumt haben.
Wir ließen unsere Pferde am Brunnen nochmals saufen, füllten auch unsere Wasserflaschen und ritten los.
River Bend blieb hinter uns – und ich hatte das Gefühl, als wären die Leute von River Bend froh, uns los zu sein.
✰✰✰
Drei Stunden später brieten wir in einer Senke unter Bäumen das Fleisch eines Bullkalbs. Auch Wasser war in der Nähe. Meine Brüder hatten auch noch etwas Kaffee. Ich steuerte Mehl und Zucker bei.
Wir alle lagen im Schatten und warteten, bis das Fleisch gar wurde. Der Kaffee und die Pfannkuchen waren schon fertig.
Art drehte den Braten über der Glut.
Wir alle waren mürrisch und müde – ja, auch ich, denn ich war die ganze Nacht geritten und hatte auch noch kein Frühstück bekommen.
Jetzt aber war es höchste Zeit für ein Mittagessen.
Art probierte den Braten. Er schnitt ein Stück davon ab und kaute.
»Ja, jetzt geht's«, sagte er dann. »Jetzt könnt ihr euch die Bäuche vollschlagen wie tausend Indianer nach einem Blizzard, wenn ihnen eine Büffelherde in den Weg gerät.«
Wir erhoben uns und holten unsere Messer.
Da hörten wir Hufschlag.
Reiter kamen.
Meine Brüder wurden sofort wachsam. Doch sie schnitten sich dennoch jeder ein Stück Fleisch ab. Auch ich tat es.
Wir kauten schon und beruhigten den schlimmsten Hunger, als die drei Reiter herangeritten kamen.
Sie sahen das Bullkalb, das wir getötet und dem wir die besten Stücke herausgeschnitten hatten.
Es waren drei harte Burschen, keine gewöhnlichen Cowboys. Ich hielt sie sofort für Reiter, die für Revolverlohn arbeiten.
»Das kostet euch zwölf Dollar – oder den Strang!«, sagte einer von ihnen. »Ihr könnt wählen.«
Da schüttelte Ben den Kopf, und er wirkte dabei nicht nur stur und bärenhaft, sondern auch gefährlich.
»Drei Dollar wäre ein fairer Preis«, sagte er. »Denn erst bei der Kansasbahn zahlt man zwischen zehn und fünfzehn Dollar für einen ausgewachsenen Longhorn-Stier. Ist hier vielleicht die Kansasbahn?«
In seiner Stimme war ein kaum merkliches Grollen. Und dann biss er wieder vom saftigen Fleisch ab und kaute.
Die drei Reiter waren gewiss nicht dumm, wirklich nicht. Doch sie fühlten sich zu sehr auf dieser Weide als die »Hausherren«, und überdies vertrauten sie auf ihre Revolverschnelligkeit. Sie überschätzten sich und hielten uns für Sattelstrolche, weil wir so ungepflegt und mitgenommen aussahen.
Das ließ sie falsch reagieren.
Denn ihr Sprecher sagte nun barsch: »Ihr verdammten Fleischdiebe, wir werden euch gleich klarmachen, auf wessen Weide ihr seid.«
»Na, dann fangt mal an damit«, sagte Jim.
Und Art, der sich gerade ein weiteres Stück Fleisch abschnitt, kicherte wie über einen guten Witz.
»Ja, habt nur keine Angst vor uns bösen Onkels. Macht uns mal richtig klar, auf wessen Weide wir sind. Na los, Jungs!«
Jetzt wussten es die drei Weidewächter dieser Ranch ganz genau: Wir hatten keine Angst vor ihnen, obwohl sie gewiss mehr als ein Dutzend Reiter herbeiholen konnten.
Ich konnte ihnen ansehen, wie sie erschraken und endlich begriffen, dass wir keine vergammelten Sattelstrolche waren, sondern gefährliche Sattelwölfe.
Mir schmeckte trotz des immer noch vorhandenen Hungers das Fleisch nicht mehr. Auch der zusammengerollte Pfannkuchen, den ich in der anderen Hand hielt, kam mir nun wie ein feuchter Fußlappen vor.
Denn ich begriff, was aus meinen vier Brüdern geworden war.
Ja, sie waren Sattelwölfe, die sich nahmen, was sie brauchten.
Aber war ich nicht daran schuld? Hätte ich ihnen nicht in River Bend für zwei Dollar ein gutes Essen kaufen können? Für zwei Dollar wären wir alle satt geworden.
Verdammt, ich wollte vortreten und fünf Dollar für das tote Bullkalb bieten. Denn fünf Dollar zu opfern, dies erschien mir sehr viel vernünftiger zu sein als das, was sonst gewiss kommen musste.
Doch es war zu spät.
Einer der drei Weidewächter hielt sich für schnell mit dem Colt und ließ sich dadurch täuschen, dass wir ja alle Fleisch, zusammengerollte Pfannkuchen oder Kaffeebecher in den Händen hielten und zumeist kauten, dass uns nur so die Ohren wackelten.
Er schnappte die Waffe heraus. Ja, er war schnell, das musste man ihm lassen. Doch wir hatten Jim.
Und Jim war schon als kleiner Junge stets in allen Dingen schneller als sonst wer gewesen. Jims Reflexe waren die eines Wildkaters, der in der Wüste Mäuse fangen muss.
Jim ließ seinen Kaffeebecher fallen und schnappte ebenfalls den Colt heraus. Er war etwas schneller und schoss auch sofort.
Und wieder wusste ich etwas mehr über meine Brüder, begriff, wie sehr sie sich in den vergangenen Jahren verändert hatten.
Und dennoch – ganz verloren konnten sie noch nicht sein. Denn Jim hätte den Narren auch vom Pferd schießen können. Da war ich ganz sicher.
Er tat es jedoch nicht.
Die Kugel streifte nur den Oberarm des Mannes, sie wirkte etwa wie ein Schwerthieb, und der Mann ließ die Waffe fallen.
Zugleich kreischte mein Bruder Joe los wie ein angreifendes Pumaweibchen. Es war ein uralter Apachentrick. Damit konnte man auch das zuverlässigste Pferd verrückt machen, das bei Gewehr- und Revolverfeuer kaum die Ohren bewegte.
Auch diese drei Gäule wurden verrückt. Sie überschlugen sich fast.
Und die Reiter purzelten aus den Sätteln wie Anfänger.
Als sie am Boden lagen, wussten sie, dass sie verloren hatten. Und sie wussten auch, mit wem sie sich angelegt hatten wegen eines Bullkalbes.
Bens Stimme klang immer noch grollend und bärenhaft, als er sagte: »Und nun will ich es euch mal genau erklären, Amigos. Passt schön auf, und lasst euch kein Wort entgehen. Denn der gute Onkel sagt nichts zweimal. Also, wir hatten einfach Hunger, versteht ihr? Und in River Bend nahmen uns Maggy Person und deren Girls zu sehr aus. Seid ihr vielleicht noch nie in solch einem Laden ausgenommen worden? He? Bis zu unserem nächsten Job müssen wir noch ein verdammtes Stück reiten. Ja, wir schlachteten dieses Bullkalb. Na schön, was macht das schon? Wollt ihr deshalb Streit mit uns?«
Sie fluchten nur als Antwort, aber sie wagten nichts mehr. Sie hatten begriffen, dass sie keine Chance hatten.
Auch ich hatte das begriffen.
Meine Brüder waren Revolvermänner.
✰✰✰
Wir verließen gegen Abend das Rio Grande Valley und ritten stetig bergauf in die San-Andreas-Kette hinein.
Gesprochen wurde nicht viel – auch nicht später im Camp, in dem wir die Nacht verbrachten. Fleisch hatten wir jetzt genug.