G. F. Unger Western-Bestseller 2544 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Western-Bestseller 2544 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Als Sheere Stevens in Thorpe mit fünf anderen Passagieren aus der Postkutsche steigt, da verharrt sie kurz am Rand des Plankengehsteigs und blickt sich um.
Sie sieht mehr als nur hübsch aus, obwohl eine lange Reise hinter ihr liegt und eine Menge Staub und Hitze in die Kutsche drang. Ihre schwarzen Augen funkeln in einem rassigen, eigenwillig wirkenden Gesicht. Sie hat ihr weizengelbes Haar hochgesteckt. Groß und schlank verharrt sie mit erhobenem Kinn und sieht sich um, indes der Begleitmann ihre beiden Reisekoffer aus dem Gepäckraum hebt und neben sie auf die Gehsteigplanken stellt.
Sie bedankt sich mit einem Lächeln, das ihr Gesicht noch schöner macht.
Dann blickt sie sich abermals um und denkt: Das ist eine hübsche, kleine Stadt westlich des Pecos. Hier also lebte meine Mutter die letzten Jahre, indes ich im Internat war.
Ein halbwüchsiger Junge tritt zu ihr und fragt: »Ma'am, darf ich Ihre Koffer irgendwohin bringen ‑ vielleicht zum Hotel?«
Sie lächelt und erwidert. »O ja, wenn du dafür nicht mehr als zehn Cents erwartest. Ich will zum Paradise Hotel.«
Der Junge weicht einen halben Schritt zurück und staunt zu ihr empor. »Oooh«, macht er. »Sie wollen zum Paradise House?«
»Genau.« Sheere nickt. »Und warum lässt dich das staunen?«
»Oooh«, macht der Junge wieder und kratzt sich verlegen am Kopf. »Das Paradise House ist nämlich kein Hotel für Ladys Ihrer Klasse, Ma'am. Wer es Ihnen auch empfohlen haben mag, er erlaubte sich einen üblen Scherz.«


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Seitenzahl: 164

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Paradise City

Vorschau

Impressum

Paradise City

Als Sheere Stevens in Thorpe mit fünf anderen Passagieren aus der Postkutsche steigt, da verharrt sie kurz am Rand des Plankengehsteigs und blickt sich um.

Sie sieht mehr als nur hübsch aus, obwohl eine lange Reise hinter ihr liegt und eine Menge Staub und Hitze in die Kutsche drangen. Ihre schwarzen Augen funkeln in einem rassigen, eigenwillig wirkenden Gesicht. Sie hat ihr weizengelbes Haar hochgesteckt. Groß und schlank verharrt sie mit erhobenem Kinn und sieht sich um, indes der Begleitmann ihre beiden Reisekoffer aus dem Gepäckraum hebt und neben sie auf die Gehsteigplanken stellt.

Sie bedankt sich mit einem Lächeln, das ihr Gesicht noch schöner macht.

Dann blickt sie sich abermals um und denkt: Das ist eine hübsche, kleine Stadt westlich des Pecos. Hier also lebte meine Mutter die letzten Jahre, indes ich im Internat war.

Ein halbwüchsiger Junge tritt zu ihr und fragt: »Ma'am, darf ich Ihre Koffer irgendwohin bringen - vielleicht zum Hotel?«

Sie lächelt und erwidert. »O ja, wenn du dafür nicht mehr als zehn Cents erwartest. Ich will zum Paradise Hotel.«

Der Junge weicht einen halben Schritt zurück und staunt zu ihr empor. »Oooh«, macht er. »Sie wollen zum Paradise House?«

»Genau.« Sheere nickt. »Und warum lässt dich das staunen?«

»Oooh«, macht der Junge wieder und kratzt sich verlegen am Kopf. »Das Paradise House ist nämlich kein Hotel für Ladys Ihrer Klasse, Ma'am. Wer es Ihnen auch empfohlen haben mag, er erlaubte sich einen üblen Scherz.«

Sheeres schwarze Augen werden schmal.

»Was ist es denn für ein Haus?«, fragt sie mit einem Klang in der Stimme, der erkennen lässt, dass sie trotz ihrer Schönheit eine Menge Härte besitzt.

»Es ist eine noble Puta Casa«, spricht der Junge. »Ein Edelbordell, kein Hotel für Sie, Lady.«

»Bring mich hin, mein Junge, bring mich hin«, fordert sie entschlossen. In ihrer Stimme ist ein noch härterer Klang, der keinen Widerspruch duldet.

Und so setzen sie sich in Bewegung, der Junge mit den beiden Koffern – und sie hinterher mit leichten, geschmeidigen Schritten.

Ein Reiter, der auf einem staubigen, schweißbedeckten Pferd in die Stadt hereingeritten kommt und dem man den langen Ritt deutlich ansieht, betrachtet Sheere staunend. Und als würde sie seinen Blick spüren, wendet sie den Kopf und sieht zu ihm hin. Sie tauschen einen langen, forschenden Blick aus, doch dann sieht sie wieder nach vorn. Dabei denkt sie: Was staunt der mich so an, als wäre ich ein Kalb mit zwei Köpfen?

Sie findet es dann sehr ärgerlich, dass der staubige und ein wenig indianerhaft wirkende Reiter sich im Schritt reitend neben ihr auf gleicher Höhe hält, so als würden sie dasselbe Ziel haben.

Und so ist es auch.

Als der Junge mit ihr in eine Querstraße einbiegt, folgt ihnen der Reiter.

Da hält sie inne und fragt böse: »Warum folgen Sie mir?«

Er grinst blinkend und greift an den Hut. »Ich glaube es zwar nicht«, spricht er, »aber wir müssen tatsächlich das gleiche Ziel haben. Man sagte mir, dass diese Querstraße zum Paradise House führt. Und genau dorthin will ich.«

Er schwingt sich vom Pferd und behält die Zügelenden in der Hand – in der rechten Hand. Sheere bemerkt, dass er seinen Revolver links trägt.

Sein blinkendes Grinsen hat sein so hart und männlich wirkendes Gesicht jäh verändert. Es sieht nun jungenhafter aus, so als besäße er zwei Seiten, eine harte, zähe und – tief in sich verborgen – eine weiche, duldsame, die zu guten und warmen Gefühlen fähig ist. Jetzt gefällt er ihr schon besser.

Er ist mehr als einen Kopf größer als sie.

»Sie wollen also zu einem Bordell?«, fragt sie ziemlich kratzbürstig. »Das Paradise House soll ein Edelbordell sein, kein normales Hotel.«

»Oh, ich weiß.« Er lächelt auf sie nieder. »Ich möchte nicht hinter Ihnen her reiten, Ma'am. Und wenn ich vorausreite, müssten Sie den Staub schlucken. Gehen wir also zusammen. Mein Name ist Jesse Adams.«

Sie blickt ihm in die rauchgrauen Augen und denkt: Der ist gewiss ein Viertel-Comanche – ein Bursche, der seine Waffe wie ein Revolverschwinger trägt. Und er will sich ein Mädchen kaufen. Oha, was für ein armer Kerl er doch ist, obwohl er wie ein richtiger Mann aussieht. Er will sich Liebe kaufen.

Sie setzt sich wieder in Bewegung und folgt mit schnelleren Schritten ihrem Kofferträger, der ebenfalls angehalten und gewartet hat, jetzt aber wieder vorauseilt.

Die kleine, enge Querstraße – es ist kaum mehr als eine Gasse – ist kaum belebt. Und sie endet vor einem großen Haus, dies sich gewiss einst ein spanischer Hidalgo erbauen ließ, ein weißes, schönes Haus mit einem Innenhof und einem Vorgarten.

An einem großen Wassertrog stehen einige Pferde. Es sind erstklassige Tiere mit wertvollen Sätteln. Reiter, die sich solche Tiere und Sättel leisten können, sind hier gewiss willkommene Gäste.

Als sie durch die Gartenpforte gehen, kommt ein großer, bulliger Schwarzer aus dem Innenhof heraus. Er ist schon grauhaarig, bewegt sich jedoch noch leicht und geschmeidig. In seinem Gesicht sind die Narben von Preiskämpfen. Er betrachtet Sheere ernst und forschend, so als müsste er ferne Erinnerungen wieder in die Gegenwart holen.

Dann fragt er: »Miss Sheere?«

»Du erinnerst dich also noch an mich, Waco?«, fragt sie zurück.

Der riesige Neger nickt heftig. »Und wie«, spricht er seltsam sanft, »und wie, Miss Sheere.«

Er tritt dann vor und nimmt ihre beiden Hände, bückt sich und küsst sie auf die Handrücken wie ein Diener seine Herrin, die er verehrt wie eine Heilige. Er deutet dann auf Jesse Adams und fragt: »Gehört er zu Ihnen, Miss Sheere?«

»Nein, Waco, der nicht«, erwidert sie. »Er will sich wohl hier etwas Liebe kaufen, denke ich. Warum wohl sonst kam er her?«

Der riesige Ex-Preiskämpfer sieht Jesse Adams an, und offenbar erkennt und wittert er etwas. Denn in seinen Augen ist plötzlich der Ausdruck von Vorsicht und Respekt. Es ist kein unterwürfiger Respekt, eher einer, den sich Männer zollen, die sich gleichwertig finden.

Und so fragt er höflich: »Was sind Ihre Wünsche, Mister?«

»Ach«, sagt Jesse Adams und grinst, »ich möchte mich nur mal wieder so richtig verwöhnen lassen. Und ich kann mir das leisten. Die Lady und ich, wir hatten nur zufällig das gleiche Ziel. Darf ich hinein?«

Der riesige Waco nickt. »Lassen Sie Ihr Pferd einfach stehen. Wir sorgen für alles. Gehen Sie nur.«

Und so setzt sich Jesse Adams in Bewegung. Als er an Sheere vorbei muss, wendet er den Kopf zur Seite und lächelt sie an. Es ist irgendwie ein herausforderndes und zugleich auch belustigt wirkendes Lächeln, so als würde er sagen: »Es ist mir völlig gleich, was du von mir denkst, Schöne.«

Dann aber verschwindet er im Durchgang zum Innenhof.

Sheere und Waco aber sehen sich erneut an.

»Ihre Mutter, Sheere, ist friedlich gestorben«, sagt der Schwarze merkwürdig sanft. »Wir hatten das Haus zwei Wochen geschlossen und haben wirklich um unsere Chefin getrauert. Aber dann begann das Leben wieder. Dies ist ein Haus für gehobene Ansprüche.«

Er spricht zuletzt mit einem Klang von Trotz in der Stimme.

Sheere aber sagt: »Meine Mutter ließ mich in ihren Briefen stets in dem Glauben, dass ihr alle eine reisende Theatertruppe wäret.«

»Das waren wir auch in den ersten Jahren. Doch dann gingen wir Pleite. Ihre Mutter musste sich umstellen. Aber sie achtete stets auf Niveau. Die neuen Ladys waren gebildet, richtige Künstlerinnen auf vielen Gebieten. Sie spielten Instrumente von der Geige angefangen bis zum Klavier und zur Harfe. Bei uns waren schon Gouverneure zu Gast und mächtige Magnaten.«

»Aber dann seid ihr hier gelandet«, spricht sie hart, »hier in dieser kleinen, armseligen Stadt am Pecos. Was ist geschehen?«

»Ihre Mutter wurde krank. Sie brauchte einen festen Platz. Hier gibt es einen zwar sehr alten, doch guten Doc. Er sagte uns, dass Ihre Mutter ruhig liegen müsse. Ihre Hauptschlagader sei rissig. Sie könnte bei der geringsten Anstrengung aufreißen. Dann würde die Kranke verbluten. Und weil das Haus günstig zu bekommen war, blieben wir. Unsere Gäste sind reiche Minenbesitzer, Rancher und erfolgreiche Banditen. Wir sind hier westlich des Pecos jenseits von Recht und Ordnung. Selbst die Texas Rangers wagen sich nicht her. Hier gelten besondere Regeln und Gesetze. Das Haus macht gute Umsätze.« Er verstummt mit einem Klang von Stolz in der Stimme.

Dann wirft er dem Jungen einen halben Dollar zu, den der Junge geschickt auffängt. Dann nimmt er die beiden Koffer und nickt Sheere zu.

»Nachdem wir Ihnen geschrieben hatten, Miss Sheere, haben wir lange auf Sie gewartet. Konnten Sie nicht so schnell kommen?«

»Es ist ein weiter Weg von Boston«, erwidert sie spröde. »Und ich hatte mit der Schule, in der ich als Lehrerin angestellt war, einen Vertrag. Es war eine noble Schule, ein Internat für Millionärskinder. Ich konnte erst weg, nachdem qualifizierter Ersatz für mich gefunden worden war. Aber gehen wir hinein. Ich werde wohl jetzt eine Menge lernen müssen.«

»Sie sind Ihrer Mutter sehr ähnlich«, erwidert er. »Als ich Sie ansah, erkannte ich Sie sofort. Damals waren Sie noch ein Kind ...«

»... das damals schon die Mutter verlor«, unterbricht sie ihn hart. »Als sie mich weggab, war ich stets unter Fremden. Das Internat war eine bessere Zuchtanstalt.«

»Ihre Mutter wollte Ihnen ein Leben mit uns ersparen«, murmelt er und wirkt mit den beiden Koffern in den Händen trotz seiner mächtigen Gestalt etwas hilflos. »Wir waren ständig unterwegs, lebten in Camps oder wilden Städten, und manchmal hungerten wir. Doch Ihre Mutter brachte stets das Geld für Ihre Erziehung in Boston auf. Sie sollten nicht undankbar sein und Ihre Mutter immer noch lieben.«

Sie geht nicht auf seine zuletzt etwas vorwurfsvollen Worte ein, sondern fordert: »Gehen wir, Waco. Damals, als ich noch ein Kind war, warst du gut zu mir. Ich habe oft an dich denken müssen. Nun bist du alt geworden. Deine Haare sind grau.«

»Aber ich kann Sie immer noch beschützen«, sagt er.

Dann gehen sie hinein.

Vom Innenhof, der von Arkaden umgeben wird und in dem es viele blühende Blumen und besondere Gewächse gibt, wo auch ein Brunnen sprudelt, der von einer unterirdischen Quelle gespeist wird, führt eine breite Tür in die große Halle.

Einige Paare sitzen da und dort. Es gibt fast ein Dutzend Sitzgruppen von schweren spanischen Möbeln. Irgendwo im Hintergrund klingt eine Gitarre. Alles wirkt gediegen, niveauvoll, mit den kostbaren Teppichen, den Bildern an den Wänden, den goldenen Leuchtern und Kunstgegenständen. In einer Ecke steht sogar die goldschimmernde Rüstung eines einstigen Hidalgos.

Sheere lässt den Blick aufmerksam in die Runde schweifen. Dann sucht sie Jesse Adams. Doch sie sieht ihn nicht.

Waco neben ihr murmelt: »Der Revolvermann, der mit Ihnen kam, Miss Sheere, wird wohl erst ein langes Bad nehmen, damit er nicht mehr nach Schweiß, Staub und Pferd riecht. Vorher gibt sich keine unserer Gastgeberinnen mit ihm ab.«

»Ein Bad will ich auch«, spricht Sheere spröde.

»Sicher.« Waco nickt. »Ich bringe Sie in die Wohnung Ihrer Mutter und lasse Ihnen dort die Badewanne füllen. Es ist eine wunderschöne Emaillewanne. Sie können darin liegend in aller Ruhe nachdenken. Unsere Ladys sind alle beschäftigt. Ich werde sie Ihnen später vorstellen. Aber ich schicke Ihnen Natascha. Sie war eine russische Gräfin. Und sie hat nach dem Tod Ihrer Mutter hier die Leitung übernommen. Von ihr erhielten Sie auch den Brief.«

✰✰✰

Ein Mexikanerjunge füllt ihm das Badefass, bis Jesse Adams das Wasser fast unter das Kinn reicht.

Jesse Adams raucht eine Zigarre und hat auf einem Schemel neben dem Badefass eine Flasche Tequila stehen, aus der er manchmal einen Schluck nimmt. Sonst ist er damit beschäftigt, ein Stück Fliederseife im warmen Wasser aufzulösen und Schaum zu erzeugen.

Als der Junge wieder einmal heißes Wasser nachgießt, fragt er ihn: »Chico, was für Hombres habt ihr hier als Gäste?«

»Alle Sorten, Señor«, erwidert der Junge, »gute und böse. Aber alle brachten es zu etwas und können sich den Spaß in unseren Haus leisten. Señor, sind Sie ein Revolvermann, der seinen Revolver für Geld vermietet? Oder sind Sie ein Kopfgeldjäger, der wieder einmal eine hohe Prämie kassiert hat? Ein Rancher sind Sie nicht. Und die Lassonarben auf Ihren Handrücken sind alt. Es kommen manchmal Hombres Ihrer Sorte zu uns und feiern hier ihre erfolgreiche Jagd. Aber westlich des Pecos ist es für Kopfgeldjäger gefährlich.«

»Ich weiß, Chico. Und ich bin auch nur hier, um einen alten Freund zu treffen, von dem ich weiß, dass er manchmal herkommt, um sich hier verwöhnen zu lassen.«

Der Junge will mit den beiden geleerten Eimern wieder gehen. Doch er hält noch einmal inne und fragt: »Wer ist Ihr Amigo, Señor? Wenn er öfter herkommt, kenne ich ihn bestimmt. Wir haben hier viele Gäste, die in regelmäßigen Abständen herkommen. Wer also ist Ihr Freund?«

Jesse Adams pafft nun stärker mit seiner Zigarre.

Dann spricht er leichthin: »Ach, der hat viele Namen. Was weiß ich, wie er sich hier westlich des Pecos nennt? Aber er hat rote Haare, trägt zwei Revolver und ist so groß wie ich. Ich könnte dir ein halbes Dutzend Namen von ihm nennen, aber wahrscheinlich ...«

»Hier nennen sie ihn Red Ringo«, unterbricht ihn der Junge. »Ja, das ist er gewiss. Der kommt alle zwei Wochen. Er soll eine Pferderanch haben, sagt man. Mit lauter gestohlenen Zuchtpferden. Sie werden aus Mexiko herübergetrieben und weiter im Norden an Züchter verkauft. Man sagt auch von ihm, dass er ein in mehreren Staaten steckbrieflich gesuchter Bandit und Ex-Guerilla ist, der mit Quantrill ritt. Und dieser Hombre ist Ihre Freund, Señor?«

Der Junge fragt es mit einem Klang von Verachtung in der Stimme und verlässt rasch den Baderaum.

Jesse Adams aber verharrt bewegungslos im warmen Wasser.

Seine Gedanken und Gefühle jagen sich.

✰✰✰

Als Sheere in der prächtigen Wanne liegt, schüttet Natascha noch einmal heißes Wasser hinein und setzt sich dann auf den Schemel.

Die beiden Frauen betrachten sich eine Weile schweigend.

Natascha ist schön, eine dunkelhaarige, blauäugige Frau, von der etwas ausgeht, was man nicht so leicht beschreiben kann, aber man spürt es und zollt ihr Respekt.

Sie fragt plötzlich: »Enttäuscht?«

Aber Sheere erwidert: »Ich müsste mir die Haare waschen. Wollen Sie mir dabei helfen, Natascha?«

»Sie sind der Boss«, erwidert die Russin kehlig. »Und Sie sehen Ihrer Mutter so ähnlich, wie eine Tochter ihrer Mutter nur ähnlich sehen kann. Ich habe die Truppe hier zusammengehalten und die Geschäfte nach den beiden Trauerwochen im Sinne Ihrer verstorbenen Mutter weitergeführt. Sie könnten sich dafür bedanken, Sheere Stevens. Ja, ich werde Ihnen die Haare waschen. Sie haben wunderschönes Haar. Aber ich möchte immer noch wissen, ob Sie enttäuscht sind. Wir sollten ehrlich zueinander sein und auch so miteinander umgehen. Reden Sie also! Mit wem könnten Sie hier sonst reden?«

Sheere seift sich langsam Arme, Brüste und Schultern ein, dann auch den Hals. Schließlich murmelt sie: »Ich bin kein dummes Huhn mehr. Und einige Dinge sind auch mir nicht mehr fremd. Ja, ich bin enttäuscht, denn ich erfuhr erst hier, dass meine Mutter längst nicht mehr die Prinzipalin einer Theatertruppe war, sondern eines Edelbordells, das wahrscheinlich schon aus einigen Städten ausgewiesen wurde. Denn warum sonst musste ich meine Briefe immer wieder an neue Adressen schicken? Und hier – so schrieb sie mir in einem ihrer letzten Briefe – hätte sie ein Hotel gekauft. Ja, ich bin enttäuscht, weil ich erst hier die Wahrheit erfuhr. Und ich weiß längst schon eines, meine liebe Natascha: Nicht die ist eine Hure, die es mit allen treibt, sondern jene, die das Herz einer Hure hat. Ich werde euch alle schon noch gründlich kennenlernen. Und dann erst werde ich wissen, zu welcher Sorte ich euch zählen muss. Enttäuscht bin ich nur von meiner Mutter. Hätte sie euch nicht auf einen anderen Weg führen können?«

Natascha lächelt nachsichtig. »Unsere Mädchen hier haben nur ein Ziel. Sie wollen nach einigen Jahren wohlhabend sein, sich irgendwo ein Geschäft kaufen können – oder eine Familie gründen. Einige haben jetzt schon Kinder, die irgendwo bei Pflegeeltern leben. Auch du musstest ja in ein Internat. Natürlich habe ich ebenfalls Pläne.«

»Bist du wirklich – wie Waco es mir sagte – eine russische Gräfin?« Sheere fragt es hart.

Und wieder lächelt Natascha nachsichtig.

»Was ich war, spielt keine Rolle mehr. Und was ich jetzt bin, werde ich irgendwann in einem neuen Leben vergessen. So denken wir alle. Und wir lassen uns nicht mit jedem Kerl ein. Er muss uns zumindest gefallen, sympathisch sein. Es gibt nicht wenige sogenannte ehrbare Frauen, die heiraten wegen des Geldes alte Männer und betrügen sie mit jungen Liebhabern. Das sind die wirklichen Huren. Wir geben unseren Gästen etwas, was ihnen das Leben lebenswerter macht.« Sie schaut Sheere an und fragt dann hart: »Was wird mit uns werden? Wirst du an Stelle deiner Mutter weitermachen? Die Mädchen werden mich das fragen. Du bist die Erbin. Was also wird sein?«

»Ich werde eine Nacht darüber schlafen. Morgen beim Frühstück werde ich es euch sagen. Und jetzt wasche mir bitte die Haare!«

Die schöne, dunkle und blauäugige Natascha gehorcht.

»Vielleicht siehst du deiner Mutter nicht nur ähnlich, sondern bist auch so wie sie«, murmelt sie einmal.

✰✰✰

Es ist schon später Vormittag, als sie sich alle im Speiseraum einfinden. Sheere Stevens sitzt am Kopfende des langen Tisches und rührt in ihrer Kaffeetasse. Sie hat längst gefrühstückt und dann warten müssen, bis endlich alle aufgestanden und heruntergekommen waren.

Sie sieht wunderschöne Geschöpfe, die man in seriöser Kleidung allesamt für Ladys halten würde, und sie begreift, wie sehr ihre Mutter auf Stil und Niveau achtete. Natürlich wirken sie jetzt noch verschlafen, einige auch leicht verkatert. Und ihre Kleidung ist nicht gerade züchtig. Sie sind nun mal Engel der käuflichen Liebe. Daran beißt keine Maus den Faden ab. Aber sie sind nicht primitiv oder gar vulgär.

Es herrscht Schweigen. Immer wieder betrachten sie die Tochter ihrer verstorbenen Prinzipalin. Und Sheere erwidert ihre Blicke.

Zuletzt kommt Natascha herunter und setzt sich geschmeidig auf ihren Platz. Der Chinakoch tritt aus der Küche und schenkt ihr Kaffee ein.

Sheere sagt plötzlich: »Also gut, wir haben uns jetzt angesehen und beschnuppert. Vielleicht stimmt die Chemie zwischen uns, vielleicht auch nicht. Aber ich sage euch, dass ich die Stelle meiner Mutter einnehmen werde. Ich weiß, dass ich noch eine Menge vom Leben zu lernen habe. Doch ich bin lernfähig und gewiss kein dummes Huhn. Deshalb sollten wir es miteinander versuchen. Ich war zuletzt Lehrerin in einem Internat und unterrichtete verwöhnte, arrogante und manchmal auch bösartige Kinder von Millionären oder Leuten, die sich für etwas halten und deshalb der Meinung sind, dass sie nach eigenen Regeln leben könnten. Ich bin mit diesen verdammten Kröten zurechtgekommen. Und ich schaffe das wohl auch mit euch. Versuchen wir es miteinander. Ich habe mir in der vergangenen Nacht im Office meiner Mutter die Buchführung angesehen und somit den ersten Überblick bekommen. Vorerst soll alles so bleiben und weitergehen wie bisher. Natascha hat meine Mutter gut vertreten. Und sie wird auch mich unterstützen. Wie ich schon sagte, ich lerne schnell. Habt ihr Fragen?«

Ihre Stimme klingt ruhig und selbstbewusst.

Die Mädchen schweigen noch, aber es weht keine feindliche Strömung. Sheere spürt weder Abneigung noch Trotz. Die Mädchen beginnen sie anzulächeln. Und eine von ihnen, die ihre gelbe Haarfülle kaum zu bändigen vermag, spricht für alle: »Es wird sich alles finden, Ma'am. Sie sind zwar nicht älter als wir, aber wir werden Sie respektieren als unsere Chefin, Prinzipalin oder Patrona. Ich denke, so könnten wir es versuchen. Auch wir sind keine dummen, ungebildeten Hühner. Wir wissen längst, dass hier in diesem Haus gewisse Regeln eingehalten werden müssen. Sonst gerät alles außer Kontrolle. Ihre Mutter hat uns immer gesagt, dass sie kein Stutenbeißen duldet, wie es ja oft unter Frauen stattfindet. Wir sind Schwestern. Doch wir haben ein Problem, das uns zunehmend mehr Sorge macht ...«

»Was für ein Problem?«, fragt Sheere. »Wie ist dein Name? Ich muss mir so schnell wie möglich eure Namen merken. Bisher kenne ich nur den von Natascha.«