G. F. Unger Western-Bestseller 2545 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Western-Bestseller 2545 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Die Mine hatte im Verlauf der Jahre viele Namen. Zuerst, als sie von den spanischen Dons - diesen Conquistadores mit ihren eisengepanzerten Soldaten - gegründet wurde, da hieß sie »Coronado-Mine«, obwohl sie der Krone Spaniens gehörte. Denn jener Francisco Coronado war ja im Auftrag Spaniens ins Land gekommen, um Schätze zu finden und nach den sieben goldenen Städten von Cibola zu suchen, die es gar nicht gab.
Im Verlauf der Jahrhunderte wechselte die alte Mine immer wieder den Besitzer. Doch niemand von den ständig wechselnden Besitzern kannte das Geheimnis der Mine. Denn das gab es seit Francisco Coronados Flucht vor den Apachen.
Der letzte Besitzer der Mine - sie heißt nun »Aurora Mine« - ist ein gewisser Lonnegan, dessen Vornamen niemand kennt und den sie alle in der kleinen Stadt deshalb Oldman Lonnegan nennen.
Doch bald wird eine gewisse Sally Bullock als einziger Mensch von Red Mesa erfahren, dass Oldman Lonnegans Vorname »Hannibal« ist. Mit seinem letzten Atem wird er es ihr sagen und sie zu seiner Erbin machen.
Doch das ist eine lange Geschichte.
Ich will sie erzählen.


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Seitenzahl: 158

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Sallys Mine

Vorschau

Impressum

Sallys Mine

Die Mine hatte im Verlauf der Jahre viele Namen. Zuerst, als sie von den spanischen Dons – diesen Conquistadores mit ihren eisengepanzerten Soldaten – gegründet wurde, da hieß sie »Coronado-Mine«, obwohl sie der Krone Spaniens gehörte. Denn jener Francisco Coronado war ja im Auftrag Spaniens ins Land gekommen, um Schätze zu finden und nach den sieben goldenen Städten von Cibola zu suchen, die es gar nicht gab.

Im Verlauf der Jahrhunderte wechselte die alte Mine immer wieder den Besitzer. Doch niemand von den ständig wechselnden Besitzern kannte das Geheimnis der Mine. Denn das gab es seit Francisco Coronados Flucht vor den Apachen.

Der letzte Besitzer der Mine – sie heißt nun »Aurora Mine« – ist ein gewisser Lonnegan, dessen Vornamen niemand kennt und den sie alle in der kleinen Stadt deshalb Oldman Lonnegan nennen.

Doch bald wird eine gewisse Sally Bullock als einziger Mensch von Red Mesa erfahren, dass Oldman Lonnegans Vorname »Hannibal« ist. Mit seinem letzten Atem wird er es ihr sagen und sie zu seiner Erbin machen.

Doch das ist eine lange Geschichte.

Ich will sie erzählen.

Wie immer am Ende einer Woche freut sich Oldman Lonnegan auf Sally Bullock in Red Mesa. Denn sie ist die große Freude seiner letzten Tage.

Ja, er rechnet nur noch von Tag zu Tag, nicht nach Wochen oder gar Monaten oder Jahren.

Er spürt mit dem untrüglichen Instinkt eines alten Falken immer stärker, dass er sich über jeden neuen Tag freuen sollte wie über ein Geschenk des Himmels.

Und so ist er auch an diesem Wochenende unterwegs nach Red Mesa, um den Sonntag bei Sally zu verbringen.

Er sitzt auf dem Ledersitz eines zweirädrigen Buggys, dessen Lederdach er zurückgeschoben hat. Die sinkende Sonne bescheint von Westen her sein zerfurchtes und lederhäutiges Gesicht. Sein weißes Haar lässt sein dunkles Gesicht noch dunkler wirken.

Neben sich hat er griffbereit eine schwere Buffalo-Sharps in der Halterung, und vorn im Hosenbund steckt ein schwerer Revolver. Er steckt schräg, sodass der Kolben leicht zu greifen ist und der lange Lauf ihn nicht stört.

Oh, er wusste und weiß mit dieser schweren Waffe umzugehen. Auf all seinen Wegen hinterließ er eine rauchige Fährte, musste immer wieder kämpfen und auch töten, um selbst davonkommen zu können.

Sein ganzes Leben war er ständig unterwegs – entweder auf der Flucht oder auf einer Fährte.

Doch dann fand er das Gold in der verlassenen Mine und wurde ihr neuer Besitzer.

Und dann fand er jene Sally.

Nun ist er sesshaft und glücklich über jeden Tag und die Wochenenden bei ihr.

Er lässt den Rappen traben. Bis nach Red Mesa sind es nur sieben Meilen.

»Hoiii, Blacky!« So ruft er dem Rappen zu. »Wenn du nicht ein Wallach wärst, dann würdest du wissen, was mich nach Red Mesa zieht, ohooo! Denn diese Sally macht mich alten Hengst um Jahre jünger, hahahaha!«

Der schwarze Wallach vor ihm wiehert heiser und schüttelt dann den Kopf, die Mähne fliegt wie die eines feurigen Hengstes.

Wenig später sehen sie Red Mesa im breiten Canyon vor sich liegen, umgeben von roten Felsen, die fast wie Kathedralen wirken.

Mitten dazwischen, da liegt die kleine Stadt, eigentlich ein armseliges Nest am Wagenweg nach Nogales, also zur Grenze hinunter.

Die kleine Stadt lebt vom Durchgangsverkehr. Alle Wagenzüge rasten hier. Und die Post- und Frachtlinie hat hier eine besonders große Station mit einer Schmiede und Corrals, in denen Gespanne in Bereitschaft gehalten werden. Und für die Wagenzüge gibt es hier Maultiere zum Tauschen.

In der Umgebung versuchen einige Rancher Rinder zu züchten. Und auch Wildpferdjäger versorgen sich hier.

Aber all das reicht nicht zum Wohlstand.

Und so ist Red Mesa ein armseliges Nest.

Das schönste Haus am südlichen Stadteingang gehört Sally Bullock.

Oldman Lonnegan hat es ihr gekauft und renovieren lassen. Es ist von einem schönen Garten umgeben, der von einem weißen Zaum umsäumt wird.

Der Brunnen mit der Pumpe gibt reichlich gutes Wasser. Es ist ein schönes Anwesen für eine Hure. Aber wahrscheinlich ist Sally keine Hure mehr. Vielleicht war sie es nie. Sie ließ sich nur mit zu vielen Männern ein, aber sie besaß niemals das Herz einer Hure.

Und das ist der Unterschied, auf den es ankommt.

Als Lonnegan vor der Veranda seinen Buggy anhält, da erwartet sie ihn in einem weißen Kleid und empfängt ihn mit jenem Lächeln, welches er an ihr so gerne sieht. Ihre blauen Augen leuchten. Und ihr weizengelbes Haar wirkt wie pures Gelbgold.

»Schön, dass du gekommen bist«, sagt sie mit ihrer etwas kehligen, doch melodisch klingenden Stimme. Es ist eine warme Stimme, die Stimme einer Frau, die das Leben kennt und der nichts mehr fremd ist auf dieser Erde.

Er grinst breit unter seinem grauen Sichelbart und zeigt Zahnreihen ohne Lücken, was in diesem Lande selten ist bei Männern seines Alters. Sie sind nur abgenutzt wie die Zähne im Fang eines alten Wolfes, welcher bald nicht mehr jagen kann.

Als er vom Buggy steigt, bewegt er sich etwas mühsam. Doch als er steht, da sieht man, dass er immer noch gut proportioniert ist und das richtige Gewicht hat.

Sally kommt nun die drei Stufen von der Verandatreppe herunter und in seine Arme.

Sie muss sich auf die Zehenspitzen stellen, um seine Wangen küssen zu können.

Eigentlich wirken sie wie Vater und Tochter in Wiedersehensfreude.

Aus einiger Entfernung und auch aus der Nachbarschaft der angrenzenden Häuser werden sie beobachtet. Und sie denken nicht daran, etwas zu verbergen, was sie alle längst in Red Mesa wissen. Was die Leute denken, ist ihnen gleichgültig.

Sein Kommen zu Sally Bullock an jedem Wochenende vollzieht sich stets auf die gleiche Art.

Und alle Männer von Red Mesa – auch die verheirateten – neiden dem alten Bock Oldman Lonnegan – wie sie ihn in ihren Gedanken nennen – das Glück mit der einstigen Hure Sally Bullock.

Ja, man kennt ihre Vergangenheit.

Ein Mann, der auf der Durchreise war, hat sie erkannt und wollte zu ihr in das schöne Haus, glaubte, sich etwas kaufen zu können, was sie nicht mehr verkaufen wollte. Und weil sie ihn abwies, betrank er sich im Saloon und schimpfte dort auf sie.

Nun, Sally und Lonnegan zeigen der kleinen Stadt also, wie sehr sie sich mögen.

Doch dann kommt alles ganz anders als sonst bei seinem Besuch.

Sie steigen Arm in Arm die drei Stufen zur Veranda hinauf. Den Buggy mit dem Rappen lässt er einfach stehen, denn er weiß, dass der Junge von der Schmiede und dem Mietstall kommen wird, um den Wagen abzuholen. Der Rappe wird gut versorgt werden.

Lonnegan und Sally wollen ins Haus treten, doch da hören sie einen scharfen Ruf.

Vom Saloon her nähern sich zwei Männer durch den Staub der alten Wagenstraße, die schon von den Spaniern geprägt wurde und hier in Red Mesa die einzige Straße ist, auf beiden Seiten von den Häusern gesäumt.

Ihre Füße wirbeln den rötlichgelben Staub auf, und ihre Sporen klirren und klimpern fast melodisch. Diese Art von Sporen tragen zumeist eitle Burschen, Revolverschwinger zum Beispiel, die sich für bedeutend und wichtig halten, weil sich jeder normale Mensch vor ihnen fürchtet oder zumindest vorsichtigen Respekt erkennen lässt, ja nicht einmal wagt, ihre herausfordernden Blicke zu erwidern.

Einer von ihnen ließ den scharfen Ruf hören.

Und so verharren Sally und Lonnegan, warten, bis die beiden Männer – es sind Fremde in Red Mesa – am Fuße der Veranda verhalten.

Sie grinsen blinkend zum verharrenden Paar empor.

Einer sagt: »Nun können wir wohl zum Geschäft kommen. Wir haben auf Sie gewartet, Oldman Lonnegan. So nennt man Sie doch hier, nicht wahr? Oldman Lonnegan. Und mächtig alt sehen Sie wirklich aus.«

Seine Stimme bekommt zuletzt einen höhnenden Klang.

Oldman Lonnegan schiebt Sally hinter sich, denn sein Instinkt sagt ihm, dass es Verdruss geben wird. Er spricht über die Schulter zu Sally zurück: »Geh ins Haus, mein Augenstern, geh hinein ins Haus!«

In seiner Stimme ist ein zwingender Klang. Und so gehorcht sie. Denn sie ist eine erfahrene Frau und weiß, dass er sich jetzt gewiss voll auf die beiden Revolverschwinger konzentrieren muss. Bliebe sie bei ihm, könnte er das nicht.

Aber sie lässt die Tür offen und greift drinnen nach der Schrotflinte in der Ecke.

Und dann wartet sie im Halbdunkel der Diele, hält die Schrotflinte im Hüftanschlag.

Indes sind draußen die Stimmen zu hören.

Lonnegan fragt ruhig: »Was für ein Geschäft, Jungs, an was denkt ihr da?«

Sie lachen leise, wirken spöttisch und amüsiert.

Dann sagt ihr bisheriger Sprecher: »Großvater, sie ist zu jung für dich, viel zu jung. Mit dir kann sie keinen wirklichen Spaß mehr haben als Vollblutfrau. Sie ist unserem Auftraggeber einfach weggelaufen. Aber sie war ihm eine Menge wert. Also möchte er eine Entschädigung. Er hatte einige Ausgaben wegen ihr. Die hat sie noch nicht wieder abgearbeitet in seinem noblen Etablissement der Schönen. Verstehst du, Großvater? Wir sollen sie entweder zurück zu ihm bringen oder fünftausend Dollar kassieren. Ist jetzt alles klar in deinem alten Kopf?«

Die Stimme zuletzt klingt verächtlich.

Lonnegan aber fragt mit trügerischer Freundlichkeit: »Und wenn aus diesem Geschäft nichts wird, Jungs – was dann?«

Sie lachen wieder verächtlich.

»Dann schießen wir dich von den Beinen und nehmen die Schöne mit. Wer will uns in diesem jämmerlichen Drecknest daran hindern?«

Die Frage zuletzt klingt hart.

Lonnegan versucht es nochmals mit Vernunft und spricht: »Jungs, legt euch nicht mit mir an. Und von dieser Stadt brauche ich keine Hilfe. Haut lieber wieder ab!«

Die Stimme klingt zuletzt väterlich.

Doch sie sind zu dumm und überheblich, um in seinen alten Falkenaugen die Härte erkennen und richtig einschätzen zu können.

Sie können sich nicht vorstellen, dass dieser alte Mann kämpfen wird.

»Großvater, gleich wirst du den Löffel abgeben.« Einer von ihnen grinst.

Und da weiß Lonnegan, dass er keine andere Wahl hat.

Er trägt ja seinen Revolver im Hosenbund. Da seine Jacke offen ist, können die beiden Revolverschwinger den Kolben schräg aus dem Hosenbund herausragen sehen.

Doch sie können sich einfach nicht vorstellen, dass er beim Ziehen schneller sein würde als sie, sollte er es wirklich wagen.

Doch er wagt es und hat plötzlich den schweren Colt in der Faust, deren Handgelenk fast so breit ist wie der Handrücken.

Sie schnappen nach ihren Waffen, versuchen seinen Vorsprung des Ziehens einzuholen.

Doch er schießt einen von ihnen von den Beinen. Dann erst trifft ihn der andere.

Und als er auf der Veranda rücklings auf die Dielen fällt, da schießt Sally aus dem Haus durch die offene Tür. Sie feuert beide Läufe ab. Es ist grobes Indianerschrot. Der Revolverschwinger hat nicht die geringste Chance.

Und dann ist es vorbei.

Als Sally neben Lonnegan kniet, da grinst dieser verzerrt und spricht heiser zu ihr empor: »Hast du ihn erwischt, mein Augenstern?«

Sie nickt auf ihn nieder.

»Gut gemacht«, knirscht er. »Du bist eine prächtige Frau. Warum musste ich erst so alt werden, um auf dich zu treffen? Hilf mir hoch, Sally. Ich will noch einmal in dein Bett.«

Er knirscht es wie ein Mann, der bis zur letzten Sekunde kämpfen will, obwohl er weiß, dass er keine Chance mehr hat.

Sie zieht ihn hoch, schiebt dann ihre Schulter unter seine rechte Achselhöhle.

So bringt sie ihn hinein. Einige Male stolpern sie.

Aber sie schaffen es.

Und draußen liegen die beiden Toten.

Hinter der Hausecke aber kommt der Junge von der Schmiede zum Vorschein, der den Buggy abholen will.

Nun weiß er nicht, ob er das jetzt noch tun soll.

Doch dann entschließt er sich. Denn der Rappe muss ja versorgt werden.

Der Junge bleibt auch nicht lange allein vor dem Haus.

Die Bürger und Besucher der kleinen Stadt kommen herbei.

Einer von ihnen – es ist der Storehalter – sagt anerkennend: »Hoiii, ich hätte nicht gedacht, dass Oldman Lonnegan noch so schnell wäre mit seinen alten Colt.«

Der Mann, zu dem er spricht, ist der Schreiner und Leichenbestatter von Red Mesa. Und der erwidert etwas besorgt: »Hoffentlich haben die beiden so viel in den Taschen, dass es für ihre Beerdigung reicht.«

Einige andere Hinzutretende lachen grimmig, und der Schmied spricht mit seiner Bassstimme: »Aus der Stadtkasse bekommst du nichts.«

Indes dies draußen vor Sallys Haus geschieht, liegt Lonnegan stöhnend auf dem Bett, in dem Sally es immer wieder fertigbrachte, ihm die letzten Lebensfreuden zu schenken.

Sie schneidet ihm Weste und Hemd auf und sieht dann die Wunde.

Es ist eine böse Bauchwunde. Vielleicht könnte ihm ein guter Chirurg das Leben retten.

Aber hier in Red Mesa gibt es nicht mal einen Doc, nicht mal einen Sanitäter, der während des Krieges bei der Armee war und sich deshalb besonders auf Schusswunden versteht.

Sie wird Lonnegan nicht helfen können, und er weiß es so gut wie sie.

Er starrt zu ihr hoch und grinst. Dann spricht er scheinbar ganz ruhig, so als hätte er keine Schmerzen und wüsste nicht, dass es mit ihm zu Ende geht: »Weine nicht um mich, Sally. Versprich es mir. Du warst ein Geschenk des Himmels für mich. Ich danke dir für alles. Du warst ein Licht in dunkler Nacht. Lass mir einen Stein auf mein Grab stellen und meinen vollen Namen einmeißeln.«

»Ja, sag mir endlich deinen vollen Namen«, flüstert sie. »Oldman habe ich nie sagen können.«

»Ich weiß.« Wieder grinst er verzerrt. »Mein Name ist Hannibal Lonnegan. Und als Junge habe ich jedem anderen Jungen was aufs Maul gehauen, der mich Hanni nannte.«

Er schließt einen Moment die Augen und muss wohl noch einmal Kraft sammeln. Gewiss spürt er höllische Schmerzen in seinem Leib. Die Kugel hat ihm die Gedärme aufgerissen. Er verblutet innerlich.

Dann aber hat er die Augen wieder offen und spricht: »Sally, mein Augenstern, sie werden versuchen, dir die Mine wegzunehmen. Doch das können sie nicht. Denn sie gehört schon eine Weile dir. Ich habe sie in Nogales auf dich umschreiben lassen. Die Urkunde und alle sonstigen Papiere findest du in der kleinen Ledertasche, die ich dir versiegelt zur Aufbewahrung gab. Nun darfst du das Siegel aufbrechen. Leb wohl, Sally, mein Augenstern. Es war schön mit dir.«

Die letzten Worte flüstert er nur noch.

Und dann atmet er nicht mehr.

Er wollte, dass sie nicht weint, doch die Tränen rinnen ihr nun über die Wangen.

Sie schließt ihm sanft die Augenlider.

Dann sitzt sie eine Weile mit gefalteten Händen auf dem Bettrand.

Nun ist sie wieder allein.

Doch jetzt ist sie einer reiche Frau, Besitzerin einer Mine.

Aber das bedeutet noch nichts.

Was wird kommen?

Ihr fällt jetzt am Bett und neben Lonnegans Leichnam wieder ein, wie sie und Lonnegan sich kennenlernten, wie er sie mit sich nahm und hierher nach Red Mesa brachte.

Das war ihr recht, denn sie war ja auf der Flucht und musste ihre Fährte verwischen, ein Versteck finden. Er wurde ihr Beschützer und verlangte nichts von ihr, was sie ihm nicht freiwillig geben wollte, sozusagen aus vollem Herzen heraus.

Alles fällt ihr wieder ein in diesen Minuten ...

Sie sieht sich noch einmal als Mädchen von vierzehn Jahren. Ihr Vater war schon zwei Jahre tot. Ihre Mutter konnte die kleine Farm allein nicht mehr halten. Und so nahm sie den erstbesten Mann. O ja, er war ein harter Arbeiter, verstand sich auf alles, was ein Farmer können muss, um aus einer armseligen Farm etwas zu machen, was sich sehen lassen konnte. In dieser Hinsicht hatte ihre Mutter den richtigen Lebenspartner gefunden. Auch Sally und deren beiden jüngere Brüder mussten hart arbeiten, und so war vorauszusehen, dass sie in etwa zehn Jahren eine prächtige Farm besitzen würden.

Doch dann wurde Sally von Monat zu Monat schöner, bekam die Formen eines reiferen Mädchens.

Ihr Stiefvater betrachtete sie auf eine Art, die ihr instinktiv nicht gefiel. Sie spürte immer stärker, dass in ihm etwas vorging, wenn er sie so ansah.

Es geschah dann irgendwann in der Scheune.

Ihre Mutter und die Brüder arbeiteten auf den Feldern.

Und ihr Stiefvater nahm sie in der Scheune.

Sie hatte keine Chance, als er ihr sagte: »Sally, du machst mich verrückt. Ich muss dich haben, und wir sind ja auch nicht richtig Vater und Tochter. Für mich bist du ein süßes Gift, welches ich kosten muss.«

Seine Stimme klang heiser. Er war von Sinnen wie ein Süchtiger.

Sie hatte keine Chance.

Noch in der Nacht lief sie weg. Sie wollte nur noch fort, weit fort.

Ganze sieben Dollar nahm sie mit. Mehr fand sie nicht in der Dose, die ihre Mutter im Küchenschrank stehen hatte.

Doch mit sieben Dollar kam sie nicht weit.

Ihr bitterer Weg begann. Sie war nichts anderes als eine Streunerin, zwar eine mehr als hübsche, aber eben doch ein Mädchentramp.

Und was ihr Stiefvater ihr angetan hatte, das taten ihr noch andere Männer an.

Sie musste auf diese Weise für alles zahlen, was sie bekam – also Unterkunft, Arbeit, Essen. Es hatte sich nicht viel geändert. Sie hätte auch daheim bleiben können.

Irgendwann aber begann sie berechnender zu werden. Sie begriff, dass ihre mädchenhafte Schönheit wie ein Zauber wirken konnte, wenn sie schlau und berechnend von ihr eingesetzt wurde.

Ja, sie wurde immer schöner, reizvoller und wirkte mit sechzehn älter als achtzehn.

Schließlich geriet sie an einen Spieler, den sie sogar mochte. Er war gut zu ihr und war ein gebildeter Mann, ehemaliger Offizier der Konföderierten-Armee während des Krieges, ein ehemaliger Baumwollplantagenbesitzer und Sklavenhalter aus Alabama.

Ja, er war gut zu ihr und machte aus ihr wie aus einem Rohdiamanten einen Brillanten. Sie fuhren auf den Luxusdampfern des Mississippi, gaben sich als Vater und Tochter aus. Ihre Tarnung war perfekt.

Doch dann wurde er bei einem Kartentrick erwischt: Es ging um eine große Summe, weil große Einsätze gemacht wurden.

Man kannte auf diesen Luxussteamern in solchen Fällen keine Gnade. Mit Falschspielern ging man gnadenlos um.

Also warf man ihn über Bord in den Strom.

Sicherlich hätte man Sally bei der nächsten Anlegestelle von Bord gewiesen. Doch sie sprang ihrem Gefährten hinterher. Nein, sie wollte ihn nicht im Stich lassen. Denn sie wusste, er konnte nicht schwimmen.

Doch sie war eine gute Schwimmerin.

Aber sie trug ein wunderschönes Kleid, dessen sie sich erst entledigen musste.

Es war eine helle Nacht, und der Strom trug sie mit einer Geschwindigkeit von sechs Meilen in der Stunde abwärts.

Fast wäre sie selbst ertrunken, weil sie das Kleid nicht schnell genug vom Körper bekam. Es klebte in der Nässe an ihrem schlanken, geschmeidigen Körper. Und es wurde schwer.

Als sie endlich im Strom nach ihrem Gefährten suchen konnte, da fand sie ihn nicht mehr.

Und so blieb ihr nichts anderes übrig, als an Land zu schwimmen. Dort gab es einige Lichter. Es musste eine Siedlung sein.

Als Sally Bullock in ihren Erinnerungen – immer noch auf dem Bettrand neben dem toten Lonnegan sitzend – so weit gekommen ist, hält sie inne.

Denn sie möchte und will sich nicht weiter erinnern.

Was sie in der Siedlung – die zu einem Holzplatz gehörte – erlebte, war die Hölle.

Denn sie geriet halb nackt unter die MacLanes. Das waren drei Brüder, die den Holzplatz betrieben und die Steamer mit Brennholz für ihre Kessel versorgten. Denn auf den Strömen wurden die Feuer unter den Dampfkesseln noch mit Holz genährt.

Als sie in die Hütte trat, da starrten die Brüder sie an wie ein Wunder.