G. F. Unger Western-Bestseller 2546 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Western-Bestseller 2546 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Der Schienenstrang stieß unaufhaltsam nach Westen vor. Mit der Schienenspitze aber zog eine Stadt nach Westen, ein wanderndes und fahrendes Camp mit allen Sünden, Lastern und Leidenschaften, das die zehntausend Bahnarbeiter begleitete.
So war es damals, als sie die Schienen der Union Pacific legten. Er war seinerzeit die größte Ingenieursarbeit der Welt, jener Schienenstrang, der zwei Ozeane miteinander verbinden sollte. Und es war ein Wettlauf zwischen der Central Pacific, die von der Westküste her nach Osten vordrang, und der Union Pacific, die von Osten her über die Ebene von Nebraska stürmte und dann in das weite Indianer‑ und Büffelland vorstieß, um vor der Central den Endpunkt Salt Lake City zu erreichen ...


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Seitenzahl: 154

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Ruhelose Camps

Vorschau

Impressum

Ruhelose Camps

Der Schienenstrang stieß unaufhaltsam nach Westen vor. Mit der Schienenspitze aber zog eine Stadt nach Westen, ein wanderndes und fahrendes Camp mit allen Sünden, Lastern und Leidenschaften, das die zehntausend Bahnarbeiter begleitete.

So war es damals, als sie die Schienen der Union Pacific legten. Er war seinerzeit die größte Ingenieursarbeit der Welt, jener Schienenstrang, der zwei Ozeane miteinander verbinden sollte. Und es war ein Wettlauf zwischen der Central Pacific, die von der Westküste her nach Osten vordrang, und der Union Pacific, die von Osten her über die Ebene von Nebraska stürmte und dann in das weite Indianer- und Büffelland vorstieß, um vor der Central den Endpunkt Salt Lake City zu erreichen ...

Wenn man daran denkt, erinnert man sich an die Namen von Männern, die das alles vollbrachten.

Da war der Chefingenieur General Dodge, und da waren die Brüder Dan und Jack Casement, die den Kontrakt für das Schienenlegen hatten und zehntausend Arbeiter beschäftigten.

Und da waren all die anderen Männer, die sich einsetzten, damit das Werk gelingen konnte: Scouts, Landvermesser, Brückenbauer, Ingenieure, Planer, Rechner, Organisatoren, Politiker, die das Geld beschafften, Mäzene, die ihr Vermögen einsetzten, um der Nation zu dieser Verbindungslinie zwischen zwei Küsten zu verhelfen, und all die vielen großen und kleinen Streiter für das Werk.

Und da war auch der Mann Kirby Adams. Er war kein Ingenieur, kein Brückenbauer, Schwellenleger oder Schienenleger.

Er war kein Saloonwirt, Kartenhai, kein Spekulant, Anwalt oder Politiker, kein Soldat, Scout, Arzt oder Händler.

Kirby Adams war ein Texaner, ein großer, ruhiger, braunhaariger und grauäugiger Mann.

Er war der Bahn-Marshal, den die Union Pacific angestellt hatte, um in ihren Camps und Kopfstationen für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Das war seine Arbeit.

Er tat sie, weil jemand sie tun musste, weil er das große Werk ebenso heiß liebte und sich ihm verschrieben hatte wie jene anderen verantwortlichen Männer.

Und seine Verantwortung war nicht klein, sie war riesengroß.

Dies ist die Geschichte des Bahn-Marshals Kirby Adams, der in den ruhelosen Camps des vorwärts stürmenden Schienenstrangs die Ordnung aufrechterhielt.

Hätte er das nicht getan, nun, die Schienen der Union Pacific hätten wohl eines Tages nicht bei Salt Lake City geendet, sie hätten irgendwo auf der Büffelprärie oder in den Bergen ihr Ende gehabt. Und die Union Pacific hätte sich der Central unterwerfen müssen.

An einem Haltesignal kommt der Zug zum Stillstand. Von vorn her leuchtet Feuerschein, und das Geräusch von Hämmern und Pickeln wird hörbar. Eine laute Stimme erteilt Kommandos.

Jemand läuft mit einer Laterne an der Wagenreihe entlang und ruft:

»Bleibt nur drinnen, Jungs. In zwei Minuten geht es weiter! Bleibt nur drinnen! Paddy Mikes Schienenleger machen das binnen zwei Minuten fertig! Es sind die letzten Schienen! Dann ist die Strecke wieder in Ordnung bis hinter Laramie! Ihr kommt noch vor Tagesanbruch zur Kopfstation!«

Mit diesen Worten beantwortet der Mann die vielen Fragen, die ihm zugerufen werden.

Und dann ertönt auch schon wieder ein schriller Pfiff. Das Haltesignal zeigt nun freie Fahrt, und die Lok ruckt wieder an.

Drüben auf einem rasch geschaffenen Abstellgleis steht der Bauzug. Von dort kommt nun ein Telegrafist angelaufen.

»Mister Adams!«, ruft der Mann und läuft neben der Wagenschlange entlang, die ihn nun langsam überholt.

»Hier, Jeffry!« Kirby Adams ruft es scharf. Er steht nun auf dem untersten Trittbrett. Und der schnaufend laufende Mann drückt ihm ein Telegramm in die ausgestreckte Hand.

Kirby Adams geht damit in den Wagen zurück und setzt sich in seine Ecke. Dann glättet er den Zettel und sieht, dass es kein richtiges Telegramm ist, sondern nur ein Formular, auf welches der Telegrafist mit Bleistift geschrieben hat:

Paradies-Palast, Kopfstation

DER TIGER IST UNTERWEGS

Cheyenne, 19. April 1868,

1.30 Uhr.

Kirby liest das, und er weiß sofort, was es zu bedeuten hat. Diese Mitteilung ist die Abschrift eines Telegramms, das von Cheyenne zur Kopfstation durchgegeben wurde.

Und mit dem Tiger ist er, Kirby Adams, gemeint. Die vier Worte sind nichts anderes als eine Warnung. Jemand, der ihn in Cheyenne beobachtete, warnt seine Freunde vor der Rückkehr des Bahn-Marshals. Vielleicht ist es mehr als eine Warnung.

Kirby zerreißt das Papier langsam. Dann dreht er sich eine Zigarette, zündet sie an und starrt durch das Fenster hinaus in die Nacht, durch die der Zug nun über die Laramie-Prärie stürmt, mit vierzig Meilen in der Stunde, um die Verspätung wieder aufzuholen.

Kirby Adams springt etwa dreihundert Yards vor den Bahnhoflichtern ab, und er hofft, dass er es richtig macht. Als er seinen Sprung abfedert, sticht der Schmerz wieder durch seine vernarbten Wunden.

Dann wird er sich darüber klar, dass er es falsch machte. Zwei Gewehre beginnen von zwei verschiedenen Punkten aus zu feuern, und er gerät sofort in das Kreuzfeuer. Die Kugeln fliegen dicht an ihm vorbei, und eine dieser Kugeln zupft sogar leicht an seiner Kleidung.

Er wirft sich zu Boden und rollt sich zur Seite. Nun hebt er sich nicht mehr gegen den helleren Nachthimmel und die Lichter der Stadt und des Bahnhofes ab. Die beiden Gewehrschützen können seine Silhouette nicht mehr sehen. Sie hatten ihre Chance, doch jetzt ist sie vorbei.

Das Gewehrfeuer verstummt sofort.

Dann hört er Hufschlag von zwei verschiedenen Seiten. Ein lauter Pfiff ertönt. Er kann die beiden Reiter nicht sehen, denn nach Süden und Westen zu ist alles dunkel. Dort heben sich keine Körper gegen einen helleren Hintergrund ab.

Er wartet noch eine Weile. Dann erhebt er sich und stapft durch den tiefen Schlamm zum Bahnhof hin.

Die letzten Yards muss er schnell laufen, denn der Zug fährt nun wieder weiter. Er erwischt noch den letzten Wagen und schwingt sich hinauf. Es ist ein offener Arbeitswagen, der einige schwere Kisten und Arbeiter transportiert.

Er geht zum vorderen Ende des Wagens, klettert hinüber auf den nächsten und so fort, bis er den letzten Personenwagen erreicht hat.

Obwohl der kalte Nordwind Hagelschauer auf Hagelschauer auf das Land prasseln lässt, die für eine kurze Zeit immer wieder alle Dinge mit einer weißen Decke bedecken, ist hier am Schienenende alles in Betrieb.

Hier sind mehr als zweitausend Männer an der Arbeit.

Ja, das ist das Baucamp der Union Pacific, die Kopfstadt, die Kopfstation des Bahnbaus, die alle Tage um einige Meilen nach Westen wandert.

Kirby blickt sich wütend um.

Ein Eisenbahner tritt zu ihm und sagt: »Mister Adams, Sie möchten sofort in den Wagen der Bauleitung kommen. Es findet dort eine Besprechung statt.«

»Ich komme«, murmelt Kirby.

Er nimmt seine Reisetasche und will gehen. Da sagt eine etwas kehlige, doch sehr melodische Stimme hinter ihm: »Willkommen, Kirby! Willkommen, obwohl ich nicht weiß, ob ich weinen oder lachen soll.«

Er wendet sich langsam um.

Belle Roberts hat einen solch großen Regenumhang und eine solch große Kapuze umgelegt und übergestülpt, dass sie darunter sehr zierlich und klein wirkt. Dabei ist sie für ein Mädchen mittelgroß und wiegt sicherlich hundertzwanzig Pfund. Es mangelt ihr also an nichts. Aber in dieser Verkleidung hat er sie nicht erkannt.

»Ich dachte schon«, sagt sie, »dass du mich übersehen hast. Deshalb musste ich dich ansprechen, obwohl sich das für eine Lady nicht schickt, nicht wahr?«

Ihr Atem geht etwas heftig, und daran erkennt er, dass sie rasch gelaufen ist.

Er lächelt und sagt: »Du kamst zu spät, Mädel. Ich hätte dich bestimmt nicht übersehen. Du hast meine Rückkehr ganz einfach verschlafen. Das ist es! Und ich wüsste nicht, was es da zu weinen geben könnte.«

Sie ist nun nahe bei ihm, ganz dicht. Sie hat ihre Hände auf seine Arme gelegt und blickt zu ihm auf. Ihr Gesicht ist klar und dennoch etwas eigenwillig.

Sie ist eines der beiden Bilder, die Kirby Adams manchmal vor Augen hatte, wenn er an Frauen dachte. Er dachte während der langen Wochen auf dem Krankenlager dann und wann an Frauen wie Belle Roberts.

Sie stellt sich plötzlich auf die Zehenspitzen und küsst ihn ohne jede Scheu auf die Wange.

»Das ist es«, sagt sie. »Nun werde ich mich wieder fürchten und Sorgen haben. Kirby, warum kannst du nicht damit aufhören? Du weißt, dass keine Glückssträhne ewig währt. Warum kommst du in dieses schlimme Camp zurück? Warum willst du diesen höllischen Kampf wieder neu beginnen? Du weißt doch, dass du leicht ein gutes und sicheres Glück finden könntest. Es kostet dich nur einen Entschluss, ein Wort und ein Versprechen, ein einziges Versprechen! Warum ...?«

Sie bricht ab, tritt zurück und macht eine abschließende Bewegung.

»Verzeih mir«, sagt sie schlicht, »ich bin nicht hergekommen, um dich zu bedrängen oder dir gar um den Hals zu fallen und dich einzuwickeln wie eine Schlange. Ich wollte dich nur sehen. Du bist schmal geworden, Mister. Komm nach der Besprechung in unseren Wagen. Du sollst ein gutes Frühstück haben, bevor du hinüber in die Sündenhölle gehst und mit der Peitsche zu knallen beginnst. Komm nur, ich begleite dich bis zum Wagen der Bauleitung.«

Kirby blickt auf das Mädchen nieder.

»Ich komme zum Frühstück«, sagt er. Dann klettert er hinauf und betritt bald darauf nass und übernächtigt, unrasiert und hungrig den Wagen.

Drei Männer sitzen in den weichen Sesseln um einen Rauchtisch herum, der voller Pläne und Zeichnungen liegt, ja, fast darunter begraben wird. Auf einem größeren Tisch daneben sind noch mehr Zeichnungen und Pläne. Sie bedecken auch die Wände.

Die drei Männer erheben sich bei Kirbys Eintritt, und das ist eine Geste der Achtung und eine wirkliche Auszeichnung für ihn.

Denn einer der drei Männer ist General Dodge selbst, der Chefingenieur des Bahnbaus der Union Pacific.

Er schüttelt Kirby die Hand. Er ist ein mittelgroßer, untersetzter und scharfäugiger Mann mit einem braunen Backenbart. Er ist der Mann, der das Vertrauen des Präsidenten besitzt und auch der Nation.

»Willkommen, Kirby Adams«, sagt er herzlich. »Wir haben auf Sie gewartet.« Mehr sagt er nicht. Er setzt sich auch wieder und wartet ruhig, bis auch die beiden anderen Männer den Bahn-Marshal begrüßt haben.

Es sind zwei wichtige Männer. Es sind die beiden Männer, die den Bahnbau füttern, jawohl füttern mit Material jeder Art, mit Ausrüstung und Proviant und den zehntausend notwendigen Dingen.

Diese beiden Männer sind die Brüder Jack und Dan Casement. Kirby Adams weiß es zu schätzen, dass sogar Dan Casement, der doch sonst von Omaha her den Nachschub gen Westen schickt, zur Kopfstation gekommen ist.

Jack Casement sagt zu ihm: »Gut, Kirby, dass Sie wieder zur Verfügung stehen. Denn der Frühling ist da. Es geht wieder los. Wir stürmen nach Westen, jede Minute um dreißig Yards! Niemand darf uns aufhalten. Wir stürmen nach Westen, Kirby. Und wir brauchen Sie, Kirby Adams!«

Der Chefingenieur General Dodge nickt.

»Die Central sollte von San Francisco bis zur Ostgrenze von California bauen«, sagt er schlicht. »Doch sie hielt nicht an. Sie baut weiter und will Salt Lake City vor der Union Pacific erreichen. Sie will uns dann von Salt Lake City entgegenkommen. Und das bedeutet, dass die Union Pacific irgendwo in der Prärie oder in den Bergen von Wyoming oder Utah enden wird. Und damit wäre die Union Pacific der Central ausgeliefert. Es gibt einige einflussreiche Männer, die spekulieren darauf und stellen sich schon jetzt mit all ihren Plänen und Dispositionen darauf ein. Wenn es hart auf hart gehen sollte, werden diese Spekulanten nicht davor zurückscheuen, die Union Pacific mit den hinterhältigsten und gemeinsten Mitteln aufzuhalten. Genauer gesagt, Kirby: Es werden Sabotagen jeder Art zu erwarten sein. Eine mächtige Interessengruppe will mit allen Mitteln erreichen, dass die Central bedeutender wird als die Pacific. Dabei spielt nicht nur eine große Rolle, dass die Regierung für jede gebaute Bahnmeile an die jeweilige Gesellschaft einen Betrag von sechsundvierzigtausend Dollar zahlt. Hier spielen noch ganz andere Spekulationen eine Rolle.«

»Das leuchtet mir ein«, sagt Kirby.

General Dodge erhebt sich nun und geht im Wagen auf und ab.

Dann wendet er sich Kirby wieder zu. »Ein großer Teil des Kummers wird von dieser Amüsierstadt ausgehen«, sagt er. »Die Saloon-Besitzer, die Spieler und all die vielen Glücksritter und Abenteurer, die Tanzmädchen, Revolverhelden, Rauswerfer und wer sonst noch in der fahrenden Stadt arbeitet, lebt, Geschäfte macht, das ganze Rudel, das wir die ›Wilde Horde‹ nennen, ist noch straffer organisiert. Abe Mervile ist dort der große Boss, sozusagen der Geschäftsführer eines Vereins für gegenseitigen Schutz und gegenseitige Hilfe. So ist das! Und sie haben uns schon genug Schwierigkeiten gemacht und werden uns weiterhin Schwierigkeiten machen. Was den Bahnbau betrifft, so habe ich meine Aufseher und Ingenieure, meine Vorleute, Scouts und Soldaten. Im Osten habe ich meine Freunde und Gönner, den Präsidenten, Senatoren, Generäle und Bankiers. Sie werden mich stützen und mir helfen, so gut sie es können.«

Er macht eine Pause und sagt dann schlicht: »Aber drüben in diesem Amüsiercamp, da brauche ich Ihre Hilfe, Kirby. Und ich habe Sie zu mir gebeten, um Ihnen zu sagen, was ich von Ihnen erwarte. Noch etwas sage ich Ihnen, Kirby: Was Sie auch tun werden oder tun müssen, ich werde Sie decken. Ich werde Sie vor dem Präsidenten und, wenn es sein muss, vor der Gesetzgebenden Versammlung vertreten und schützen, was Sie auch tun. Sie haben meine volle Unterstützung hinter sich. Halten Sie also Ordnung im Camp! Fahren Sie dazwischen! Schützen Sie, wo Sie schützen müssen. Und zerstören Sie, wo zerstört werden muss. Ich will den Bahnbau nicht eine einzige Stunde später beenden, als es notwendig ist.«

Kirby erhebt sich.

»Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, General«, sagt er ruhig und schlicht.

Kirby öffnet die Tür des Postwagens und befindet sich sogleich in der warmen und gemütlichen Wohnküche der Roberts, denen dieser Wagen nun schon das dritte Jahr als Heim und Wohnung dient.

Belle steht am Herd. Sie sagt über die Schulter: »Setz dich, großer Mann! Ich beeile mich sehr!«

Er setzt sich, schnuppert die guten Gerüche und beobachtet sie.

Es tut ihm gut zu sehen, wie geschickt sie hantiert und wie harmonisch ihre Bewegungen sind. Er bewundert die Linie ihres Nackens und ihr klares Profil. Er spürt, wie gut es ist, ein Heim zu haben, Häuslichkeit und die gute Wärme und Geborgenheit, die eine Frau schaffen kann.

Dies alles könnte ich schnell bekommen, denkt er.

Für einen Moment träumt er mit offenen Augen. Er sieht die Bilder einer Ranch, in einem schönen Tal Rinder auf der Weide, und er sieht all die vielen Wünsche und Hoffnungen klar und deutlich.

Er erwacht, als sie das Frühstück auf den Tisch bringt.

Der Kaffee, der Schinken, die Spiegeleier und die frischen Biskuits duften köstlich.

»Iss dich satt, großer Mann«, sagt sie und setzt sich zu ihm.

Er lässt es sich nicht zweimal sagen. Sie langt ebenfalls tüchtig zu, so wie es sich für ein natürliches und gesundes Mädel gehört, das noch keine Rücksicht auf ihre schlanke Linie zu nehmen braucht, weil sie so jung, so frisch und so gesund ist.

Aber sie beobachtet ihn. Nun wird ihr klar, dass seine zähe Hagerkeit nicht nur davon herrührt, dass er den durch die Verwundung hervorgerufenen Gewichtsverlust immer noch nicht wieder völlig ausgeglichen hat. Nein, seine Hagerkeit im Gesicht ist von anderer Art. Sie erkennt es nun deutlich: Es ist die Härte eines Mannes, den seine Gegner aus dem Hinterhalt von den Beinen schießen ließen. Fast wäre er an diesen hinterlistig hinausgeschickten Kugeln gestorben. Ganz bestimmt wäre er verblutet, wenn ihm Lily Bangtry nicht geholfen und ihm die blutenden Wunden notdürftig verbunden hätte.

Belle wird sich wieder einmal darüber klar.

Er verdankt ihr sein Leben, denkt sie. Und sie muss ihn sehr lieben, denn sonst hätte sie ihn nicht gerettet und sich gegen die Wilde Horde gestellt, in deren Mitte sie lebt, weil sie dazugehört.

Als Belle mit ihren Gedanken so weit ist, hält sie inne. Sie zwingt ihre Gedanken und Gefühle in eine andere Richtung.

»Komm öfters zum Essen«, sagt sie. »Und ich kann wohl nichts anderes tun als dir Glück wünschen, nicht wahr?«

»Das ist genug«, sagt er und sieht in ihre Augen. »Eines Tages wird die Bahn fertig sein«, spricht er weiter. »Dann ...«

Damit setzt er den Hut auf und geht hinaus.

Als er draußen die drei Stufen hinunter ist, sieht er einen großen, kräftigen, hellblonden Mann. Es ist ein noch ziemlich junger Mann mit einem Schnurrbart und leuchtenden Blauaugen, ein zuversichtlicher, sieghafter und zielstrebiger Mann. Kirby weiß, dass es so ist, denn er kennt Jim Shanninghan gut genug.

»Hallo!«, sagt er.

»Ich wollte nicht stören«, sagt Jim Shanninghan. »Doch damit du es genau weißt, Kirby, ich bewerbe mich um sie. Ich werde alles tun, um dich bei ihr auszustechen.«

»Da brauchst du nicht viel zu tun, Jim«, murmelt Kirby. »Viel Glück, Mister!«, fügt er hinzu und will weiter.

Doch Jim Shanninghan streckt seinen langen Arm aus und hält ihn an der Schulter fest.

»Ich komme gut vorwärts«, sagt er. »Meine Frachtwagen versorgen die Holzfäller, Schwellenleger, Planierer und Brückenbauer. Meine Frachtwagen versorgen mehr als dreitausend Männer, die dort bis zu hundertzwanzig Meilen weit von hier entfernt im Westen der Bahn den Weg bereiten.«

»Ja, du kommst gut vorwärts, Jim«, sagt Kirby. »Viel Glück!«

Er macht sich los, will weiter, doch Jim Shanninghan sagt: »Die Wilde Horde wartet auf dich. Ich weiß es. Sie werden noch mal im Guten mit dir verhandeln. Sie werden mit dir einen Vergleich suchen. Aber wenn du ihnen nicht entgegenkommen willst, werden sie ...«

Er bricht ab, und vor seinen leuchtenden Blick scheinen sich Schleier zu senken. Seine Augen werden stumpf und ausdruckslos.

»Wie gut, Jim, dass dies nicht dein Kummer ist, weil du stets mit aller Welt gut auskommst und immer eine Möglichkeit findest, dich mit jemandem zu vergleichen, der sonst dein Gegner sein würde.«

Mit diesen Worten geht Kirby davon.

Neben einem Restaurant steht ein Mann, dunkel gekleidet und scharfäugig. Sein Hemd unter der Weste und dem Prinz-Albert-Rock ist blütenweiß. Er lächelt, zeigt dabei zwei blendend weiße Zahnreihen und sagt:

»Willkommen daheim, Kirby Adams! Hören Sie die Hammel hinter dem Restaurant? Sie wittern, dass man sie schlachten wird. Und sie blöken und würden fortlaufen, wenn sie nur könnten. Tiere sind den Menschen ja in so vielen Dingen überlegen. Denn sie ...«

»Oh, auch ich weiß, dass man mich schlachten möchte«, unterbricht Kirby den Spieler Chip Oven London, einen Mann, der aus England kam und dessen richtiger Name gewiss ganz anders lautet.

Er grinst ihn an und fügt trocken hinzu: »Doch ich bin kein Hammel, Freund.«

Dabei geht er an dem Spieler vorbei, und er wird sich wieder einmal klar darüber, dass er über diesen Chip Oven London immer noch kein endgültiges Urteil gefällt hat. Gewiss, der Mann ist ein Spieler, und doch unterscheidet er sich von der Berufsspieler-Gilde. Er hält sich sehr zurück, scheint ehrlich zu spielen und hat auch seine Frau mit dabei.