G. F. Unger Western-Bestseller 2555 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Western-Bestseller 2555 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Hinter der nächsten Schluchtbiegung springt Jesse Shane vom Pferd und drängt dieses und die beide schwer beladenen Packtiere dicht an die Felswand zurück. Dann zieht er den Colt und geht zur Felsenecke. Dort wartet er. Seine hellen Augen glitzern, und sein hageres Gesicht wirkt entschlossen und kalt.
Jesse Shane ist klein, krummbeinig und schiefrückig. Seine dunkle Weidekleidung ist abgenutzt. Nur sein schwarzer Stetson mit flacher Krone ist neu. Und weil er eine besondere Schwäche für gute Hüte hat, nimmt er ihn jetzt ab und betrachtet ihn mit zufriedenem Besitzerstolz.
Den Colt hält er dabei in der Rechten.
Als er dann die klappernden Hufschläge seines Verfolgers hört, setzt er sich den Hut schnell wieder auf.
Zuerst wird der Kopf des Rappwallachs sichtbar - denn der schlanke Hals des Tieres - und dann der Reiter selbst.
»Halt an, Bruder!«, ruft Jesse Shane, tritt vor und lässt den Reiter in die Coltmündung sehen.
Der Mann auf dem Rappwallach hält auch sofort an, grinst auf eine Art, die bitter und spöttisch zugleich ist und hebt die Hände bis in Höhe der Schultern.
Jesse Shane nickt zufrieden ...


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Inhalt

Cover

Wilde Camps

Vorschau

Impressum

Wilde Camps

Hinter der nächsten Schluchtbiegung springt Jesse Shane vom Pferd und drängt dieses und die beiden schwer beladenen Packtiere dicht an die Felswand zurück. Dann zieht er den Colt und geht zur Felsenecke. Dort wartet er. Seine hellen Augen glitzern, und sein hageres Gesicht wirkt entschlossen und kalt.

Jesse Shane ist klein, krummbeinig und schiefrückig. Seine dunkle Weidekleidung ist abgenutzt. Nur sein schwarzer Stetson mit flacher Krone ist neu. Und weil er eine besondere Schwäche für gute Hüte hat, nimmt er ihn jetzt ab und betrachtet ihn mit zufriedenem Besitzerstolz.

Den Colt hält er dabei in der Rechten.

Als er dann die klappernden Hufschläge seines Verfolgers hört, setzt er sich den Hut schnell wieder auf.

Zuerst wird der Kopf des Rappwallachs sichtbar – denn der schlanke Hals des Tieres – und dann der Reiter selbst.

»Halt an, Bruder!«, ruft Jesse Shane, tritt vor und lässt den Reiter in die Coltmündung sehen.

Der Mann auf dem Rappwallach hält auch sofort an, grinst auf eine Art, die bitter und spöttisch zugleich ist, und hebt die Hände bis in Höhe der Schultern.

Jesse Shane nickt zufrieden ...

»Komm herunter«, sagt er mit trügerischer Sanftheit und winkt dabei mit dem Colt. Er hält das Schießeisen sehr lässig und fast sorglos in der Hand – aber das beweist nur, wie sicher er damit umgehen kann. Ein Mann, der sich seiner Schießkunst nicht so sicher ist, hält den Colt anders – aber auf solche Männer ist auch zumeist keine hohe Belohnung ausgesetzt.

Der Fremde nickt ruhig und schwingt sein langes Bein über das Sattelhorn, ohne dabei die Hände sinken zu lassen. Langsam rutscht er aus dem Sattel und lehnt sich mit dem Rücken gegen das Pferd.

Jesse betrachtet den Mann genau – er studiert ihn sozusagen Zoll für Zoll. Und er kommt zu der Erkenntnis, dass er diesen Mann noch nie gesehen hat.

Er ist ein langer Bursche, der in seinen hochhackigen Stiefeln bestimmt sechseinhalb Fuß misst, und obwohl er hager und sehnig wirkt, sind seine Schultern ziemlich breit. Die schmalen Hüften und die leicht gekrümmten Beine verraten, dass dieser lange Mann einen großen Teil seines Lebens im Sattel zugebracht hat.

Der Kopf des Fremden wirkt fast zu klein – aber das liegt vielleicht nur an den breiten Schultern und dem kräftigen Hals. Er grinst und zeigt dabei blitzende Zähne, die zu der Bronzefarbe seines Gesichtes einen prächtigen Kontrast bilden. Und er hat ein Paar leuchtende und sehr blaue Augen von der Farbe der Kornblumen.

»Geh von deinem Gaul weg«, sagt Jesse zu ihm. »Und dann erzähl mir, warum du schon seit einigen Stunden hinter mir her reitest. Aber komm mir nur nicht mit dem Blödsinn, dass wir beide zufällig den gleichen Weg haben ...«

»Wir haben den gleichen Weg«, unterbricht ihn der Fremde und grinst wieder bitter und wie es scheint – freudlos.

»Es gibt genug Steckbriefe in diesem Land, nach denen mich jedes Kind erkennen kann. Bist du vielleicht ein Sheriff, Langer, der sich die ausgesetzte Belohnung verdienen will?«

»Nein, ich bin dir gefolgt, weil ich zu Ben Erin will. Du hast für die Erin-Mannschaft Proviant geholt und bist unterwegs zu eurem Camp. Ich weiß, dass du zu Erins Leuten gehörst. Nun, du kannst meinen Colt haben, aber du wirst mich zu Ben Erin bringen.«

»So? Werde ich das? Warum denn? He, Langer, warum sollte ich dich zu Ben Erin bringen?«

»Weil ich Bens Bruder bin.«

Obwohl Jesse Shane sonst misstrauischer als ein gehetzter Wolf ist, glaubt er diesem Mann, weil ihm plötzlich einfällt, wo er diese blauen Augen schon gesehen hat.

Nachdenklich kratzt Jesse Shane mit dem Coltlauf an seinem stoppelbärtigen Kinn herum und überlegt.

»Hm, es könnte sein, dass du sein kleiner Bruder bist, Langer. Mir fällt ein, dass ihr dieselben Augen habt. Du könntest Steve Erin sein. Aber bist du sicher, dass du ihm willkommen bist?«

»Es ist wichtig, dass ich mit ihm rede«, sagt Steve Erin nachdenklich. »Ich habe genug Zeit vertrödelt, bis ich Anhaltspunkte fand.«

»Und dabei hast du herausgebracht, dass es in der verlassenen Goldgräbersiedlung noch ein paar Menschen gibt, die unsere Freunde sind und uns mit den notwendigen Dingen versorgen, was?«

»Ja, das habe ich herausgefunden.«

Jesse Shane nickt wieder nachdenklich.

»Well, wenn du mit deinem Wissen zu einem US Marshal gerannt wärest, hättest du dir eine hohe Belohnung verdienen können. Nun, dreh dich um! Zur Sicherheit will ich mir doch deinen Colt holen. Ich nehme dich mit. Aber wenn mir dein Bruder Ben deshalb die Ohren abreißt, werde ich dir mein Zeichen in den Bauch schießen. Und denk nur nicht, dass dein großer Bruder dir helfen würde. Wir sind nämlich alle Tiger und Wölfe, und wenn wir untereinander kämpfen wollen, so tun wir es. Ich nehme dich mit! Aber wenn ich deshalb Ärger bekomme, wird es schlimm für dich!«

Während seiner Worte geht er an Steve heran, der sich umgedreht hat, und zieht ihm mit einem geschickten Griff den Colt aus dem Holster.

Er tritt mit der Waffe zurück und betrachtet sie sorgfältig, wiegt sie in der Hand, wirft sie in die Luft und fängt sie geschickt wieder auf.

»Das ist eine gute und prächtige Kanone«, sagt er dann und schiebt sich den langen Lauf in den Hosenbund.

»Verwahre sie sorgsam, denn sie gehörte meinem Vater«, sagt Steve Erin nachdrücklich und sieht ihn dabei fest an.

Daraufhin zieht der kleine Bandit die Waffe noch einmal heraus und sieht sie fast andächtig an.

»Was – das ist Royal Erins Colt?«

»Yeah, er hat damit so lange Menschen getötet und Überfälle verübt, bis sie ihn dafür aufgehängt haben«, sagt Steve Erin bitter.

✰✰✰

Am späten Nachmittag reiten sie auf einem schmalen Felsband hinauf und gelangen dann auf eine breite Bergterrasse, von der aus eine schmale Schlucht die mächtige Schulter des weiter aufragenden Berges durchbricht.

Neben dem Schluchteingang sitzt ein Mann auf einem Felsbrocken. Da er den Hut zurückgeschoben hat, sieht man eine haarlose Kopfhaut. Seine Nase gleicht einem Geierschnabel, und sein Mund wirkt, wenn er geschlossen ist, wie der scharfe Schnitt einer Messernarbe.

Steve Erin erkennt auch ihn nach den Beschreibungen vieler Steckbriefe.

Es ist Moonlight Bill.

»Hallo, Jesse, wen bringst du da?«, fragt Moonlight Bill mit einer Stimme, die so misstönig ist wie das Krächzen eines Geiers.

»Das ist Bens kleiner Bruder«, verkündet Jesse Shane und greift dann in die Satteltasche. Er zerrt ein großes Paket Kautabak hervor und wirft es Moonlight Bill zu.

Der fängt es mit einem schnellen Zupacken seiner großen Hand auf und nickt dann.

»Sicher«, sagt er, »reitet nur hinein ins Camp. Ben wird sich mächtig über euch freuen.«

Er erhebt sich und tritt an Steves Pferd heran. Er sieht Steve mit einer kalten Neugierde an.

»So klein ist er aber nicht mehr. Yeah, auch die kleinsten Hosenscheißer werden mal Männer. Reitet nur, denn die Jungs warten schon lange genug auf die guten Dinge. Und sag Kid, dass ich ihn in zwei Stücke reiße, wenn er mich heute auch nur eine Minute zu spät ablösen kommt.«

Die Schlucht führt steil bergab. Sie endet bald auf einem kleinen Plateau, das die Basis des großen Bergkegels im Osten bildet.

Unter den Föhren eines Bergeinschnitts steht eine Blockhütte. Zwei Corrals und ein Schutzdach sind zu sehen. In den Corrals bewegen sich prächtige Pferde – und sie sind ein Vermögen wert. Steve Erin hat noch nie ein volles Dutzend solch prächtiger Pferde beisammen in einem Corral gesehen.

Einige Männer kommen aus der Blockhütte und andere Männer hinter dem Schutzdach hervor.

Steve Erin zählt acht Männer.

Mit Jesse Shane und dem Wächter ist die Bande also zehn Mann stark.

Es ist aber auch möglich, dass noch weitere Aufstiegsmöglichkeiten zu diesem Plateau bewacht werden, sodass die Bande noch zahlreicher ist.

Sie reiten mit ihren Packtieren bis vor die Blockhütte und werden sofort von einem Kreis hartgesichtiger und scharfäugiger Burschen eingeschlossen, die Jesse Shane kurze Worte zurufen, Fragen stellen und immer wieder ihre Augen auf ihn richten.

Er fühlt sich scharf gemustert, abtaxiert und begutachtet.

»Ich habe alles, was auf dem Zettel stand«, knurrt Jesse Shane und erledigt damit alle weiteren Fragen.

Steve Erin, der die Mitglieder der Bande ebenfalls sorgfältig mustert, sieht, dass fast alle sehr abgerissen sind und wie hungrige Wölfe wirken.

Und plötzlich erscheint noch ein Mann in der offenen Hintertür.

Es ist Steves Bruder Ben Erin.

Steve hat den Bruder nun schon fast zehn Jahre nicht mehr gesehen.

Damals, als man seinen Vater aufhängte und Ben ins Gefängnis kam, war er noch ein Knabe.

Und als Ben dann nach vier Jahren entlassen wurde, kam er nicht nach Hause, sondern wurde bald einer der berüchtigtsten Desperados westlich des Pecos River, der schon viele Jahre sozusagen die Grenze zwischen Gesetz und Gesetzlosigkeit bildet.

Selbst den harten Texas Rangers ist es bisher noch nicht gelungen, Recht und Gesetz in das wilde Land westlich des Pecos zu bringen, obwohl es so aussieht, als wäre dies nur noch eine Frage von kurzer Zeit.

Steve Erin sieht den Bruder an, und obwohl er ihn zehn Jahre nicht gesehen hat, trifft immer noch das Bild der Erinnerung zu.

Sicher, Ben Erin ist älter geworden, aber er vollendet in diesem Monat erst sein drittes Jahrzehnt.

Er ist gut sechseinhalb Fuß groß, mächtig breit in den Schultern und schwergewichtig. Er muss mehr als zwei Zentner wiegen, obwohl keine Unze überflüssiges Fleisch an ihm ist. Eine federnde Kraft und eine zwingende Härte, gepaart mit mitleidloser Unduldsamkeit gehen von ihm aus.

Er ist im Gegensatz zu seinen Reitern sauber gekleidet und glattrasiert. Zwei Colts, deren Kolben mit Elfenbein ausgelegt sind, hängen in den Holstern eines Kreuzgurtes. Über dem grünen Hemd trägt er eine gelbe Wildlederweste, deren Nähte mit Fransen verziert sind.

Seine Augen, die wie die von Steve die Farbe dunkler Kornblumen haben, richten sich auf den Bruder.

Ganz plötzlich grinst er.

Es ist ein bitteres Grinsen – so grinst ein Mann, der keine richtige Freude auf dieser Welt mehr finden kann und deshalb alle Dinge mit einer Art verächtlichem Spott ansieht.

»Steve, hat Jesse dir den Colt weggenommen?«, fragt er, und in seiner Stimme ist nicht der geringste Klang von brüderlicher Wiedersehensfreude.

»Er ist mir nachgeritten, bis ich ihm den Colt unter die Nase hielt«, mischt sich Jesse Shane ein. »Dann hat er mir seine Kanone überlassen und verlangt, dass ich ihn zu dir bringe, Ben. Er sagt, dass er dein Bruder wäre. Aber das musst du besser wissen als ich.«

Jesse Shane rutscht bei seinen Worten aus dem Sattel und zieht dann Steves Colt aus dem Hosenbund.

»Hier! Er sagte, dass es die Waffe von Royal Erin wäre. Ben, wenn ich richtig unterrichtet bin, hat euer Vater niemals damit vorbeigeschossen. Er hat damit im ...«

»Halts Maul, Jesse – und gib ihm die Waffe zurück«, unterbricht ihn Ben Erin schroff.

»Sicher – hier!«, ruft Jesse Shane scharf und wirft Steve die Waffe zu.

Er wirft sie aber ganz ersichtlich und erkennbar so ungeschickt, dass Steve sie unmöglich schnappen kann.

Der Colt fällt auf den Boden.

Nun richten sich alle Augen auf Steve, der mitten in einer schnellen Handbewegung innehält, als er ihre Nutzlosigkeit erkannte.

Steve sieht den kleinen Revolvermann ruhig an und sagt: »Heb sie auf und gib sie mir, Jesse.«

»Da liegt sie doch«, grinst dieser und will sich abwenden, um sein Pferd wegzuführen.

Aber in diesem Moment verwandelt sich Steve Erin sozusagen in einen Blitz.

Schneller als der Schatten eines fliegenden Vogels gleitet er vorwärts, erreicht Jesse Shane, und obwohl dieser herumwirbelt und nach dem Colt greift, packt er ihn am Kragen und am Hosenboden. Er liftet ihn hoch, schwingt ihn herum und wirft ihn dorthin, wo die Waffe liegt.

»Bring sie mir! Du wolltest doch ausprobieren, wie rau ich werden kann, Jesse, was? Nun, probier es weiter aus – oder bring mir den Colt!«

Der Kreis der Männer löst sich. Sie alle gleiten zur Seite, um nicht in der Schusslinie der beiden Männer zu stehen.

Jesse Shane hockt keuchend am Boden. Er ist hart aufgeprallt, und das hat ihm die Luft weggenommen.

»Yeah«, krächzt er, »ich wollte es ausprobieren.«

Er bleibt immer noch am Boden hocken und wendet seinen Kopf zu Ben Erin, der unbeweglich stehen geblieben ist und kühl die Szene betrachtet hat.

»Ben«, krächzt er, »er war mir auf dem ganzen Ritt zu großspurig. Vielleicht will er hier die zweite Geige spielen, weil du sein großer Bruder bist. Aber vielleicht ist er wirklich so hart. Wie ist das, Ben, steht er unter deinem Schutz? Oder gilt auch für ihn das Gesetz unserer Mannschaft, nach dem jeder von uns seinem Groll auf einen anderen Luft machen kann?«

»Dieses Gesetz gilt auch für mich – warum sollte es dann nicht für meinen kleinen Bruder gelten, der auf eigene Gefahr hergekommen ist!«

Ben Erin grinst, und es ist wieder ein freudloses und bitteres Grinsen.

»Das ist gut«, krächzt Jesse Shane und greift nach Steves Colt. Er will die Waffe am Kolben fassen, doch da macht Steve eine schnelle Bewegung mit der Hand und plötzlich liegt in dieser Hand ein kleiner Derringer.

»Vorsicht, Jesse«, sagt er dabei, und der kleine Revolvermann sieht ziemlich erstaunt in die Doppelmündung der kleinen Waffe.

»Was, du hast die ganze Zeit noch eine Kanone bei dir gehabt?«, schnappt er.

»Das ist nicht meine Schuld, Kleiner«, sagt Steve kalt. »Jetzt haben wir beide eine Kanone in der Hand, Jesse. Du kannst dir jetzt einen Weg wählen. Bring mir die Waffe – oder schieß damit! Such dir's aus! Los jetzt!«

Lang, hager und sehnig, etwas vorgeneigt und mit der angespannten Wachsamkeit eines selbstsicheren Mannes, so lauert er darauf, was Jesse Shane nun beginnen wird.

»Ich passe, vorläufig passe ich«, sagt Shane heiser.

Er bringt Steve die Waffe und wendet sich schnell ab. Er tritt zu seinem Pferd und nimmt langsam dessen Zügel auf, und er tut es vorsichtig mit der linken Hand.

Steve hat indes seinen Derringer in der Kleidung verschwinden lassen und schiebt nun auch den großen Colt ins Holster. Aber aus den Augenwinkeln heraus beobachtet er den kleinen Revolverhelden.

Und als er an diesem eine schnelle Bewegung erkennt, zieht er mit jener Blitzesschnelle, die der alte Royal Erin seinen beiden Söhnen vererbt und beigebracht hat.

Er hat seinen Colt schneller heraus als der herumwirbelnde Jesse Shane.

Die Kugel reißt über Shanes Handrücken und Unterarm eine blutige Furche.

Shane drückt im selben Moment seinen Colt ab, aber die Kugel schlägt vor Steve in den Boden.

Der kleine Revolvermann kann die Waffe nicht mehr halten. Sie fällt dumpf polternd auf den Boden. Mit einem Fluch bückt sich Shane und schnappt mit der linken Hand danach.

Aber sein Pferd, das durch die Schüsse verrückt geworden ist und herumtanzt, stößt gegen ihn und wirft ihn um. So verfehlt seine zupackende Hand die Waffe.

Steve Erin ruft: »Hölle, muss ich dich erst richtig totschießen?«

Da gibt Jesse Shane endlich auf.

»Nun gut«, keucht er. Müde wendet er sich ab.

Ein fleischiger Mann, der sich einen schmutzigen Mehlsack umgebunden hat und sicherlich der Koch des rauen Rudels ist, nähert sich.

»Ich werde mich um deinen Arm kümmern, Jesse«, sagt er.

Steve Erin wechselt die abgeschossene Patrone aus und sieht sich nach seinem Bruder um.

Der hat sich immer noch nicht bewegt. Groß, mächtig wie ein Riese und wild und kühn wirkend, so steht er da, hält die Hände in die Hüften gestützt und hat ein seltsames Lächeln auf den Lippen.

Ben Erin nickt ihm nun ruhig zu.

»Du bist so schnell mit dem Colt, wie alle Erins es waren und sind. Junge, du bist so schnell wie ich. Nun, komm mit!«

Er wendet sich um und geht davon.

✰✰✰

Ben Erin geht jedoch nicht in die Hütte zurück, sondern an ihr vorbei und auf den bewaldeten Hang zu.

Nach etwa fünfzig Yards macht er vor einem umgestürzten Baumriesen Halt und setzt sich. Er sieht Steve gar nicht an, holt Rauchzeug hervor und dreht sich eine Zigarette.

Steve setzt sich neben ihn. Er wartet ruhig, und als Ben ihm den Tabaksbeutel reicht, sehen sie sich in die Augen.

Und jetzt erkennt Steve ganz klar und deutlich, dass Ben mit einer bitteren Verachtung angefüllt ist, die nicht nur der ganzen Welt, sondern wahrscheinlich auch sich selbst gilt.

Ben wartet, bis er eine Zigarette gedreht hat, dann schnippst er ein Zündholz am Daumennagel an.

Sie rauchen einige Züge, sitzen ruhig nebeneinander, starren missmutig auf das Camp, wo die Männer die Packlasten aufmachen, und schweigen noch eine Weile.

Endlich fragt Ben etwas heiser:

»Warum bist du gekommen, Kleiner?«

»Ich habe es unserer Mutter in die Hand versprochen – und sie hat mein Versprechen noch bei vollem Verstand gehört. Dann ist sie für immer eingeschlafen. Ihre letzten Worte waren: ›Ja, Steve, du wirst ihn auf den richtigen Weg bringen. Er hat schlimme Dinge getan, aber er ist mein ältester Sohn. Ich will nicht, dass er wie sein Vater endet.‹ Das waren ihre letzten Worte, Ben. Bruder, sie war alt, grau und faltig, ein kleines, runzliges Weiblein, das in den Himmel kommt, weil es gut war. Sie hat unseren Vater sehr geliebt, und damals war sie schön und stolz. Aber ihre Liebe war nicht mächtig genug, um Vater zu ändern. Und auch dich hat sie geliebt – vielleicht mehr als mich. Erfülle ihr den letzten Wunsch, Bruder. Mach Schluss mit diesem Leben! Reiten wir in ein fernes Land, wo man noch nie deinen Namen nennen hörte. Reiten wir endlose Meilen – dorthin, wo man ...«