G. F. Unger Western-Bestseller 2564 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Western-Bestseller 2564 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Es ist fast schon Mitternacht, als die »Red Nelly« bei Standing Rock festmacht.
Gleich neben dem Holzplatz, von dem sie Feuerholz für ihre beiden Kessel übernehmen will, befindet sich der Standing Rock Saloon. Und dort herrscht Betrieb. Denn ein großes Holzfloß mit Edelhölzern aus dem Norden hat ein Stück weiter abwärts festgemacht.
Trige Kerrigan springt als Erster auf die Landebrücke.
Und dort erwarten ihn zwei Männer.
Der eine ist der Boss des Holzplatzes, den anderen Mann kennt er nicht. Aber als er ihn im Mond- und Sternenschein betrachtet, da wird er noch vorsichtiger, als er es ohnehin schon ist.
Der Boss des Holzplatzes grinst ein wenig schief, als er Trige Kerrigan zunickt und dann sagt: »Du bist ganz schön verwegen, Kerrigan. Auch in den hellen Nächten wagt sich kaum ein Kapitän hier herauf. Aber du kennst ja diesen verdammten Strom so gut wie sonst keiner.«
»Ich will Holz, Slater, gutes Holz. Was kostet es?«
Aber Slater, der Boss des Holzplatzes, schüttelt den Kopf.
»Ich habe an die Vereinigung verkauft«, sagt er. »Du musst mit diesem Gentleman verhandeln, Kerrigan. Das hier ist Mister John Joneson. Er vertritt die Interessen der Vereinigung.«


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Inhalt

Cover

Big-Muddy-Wolf

Vorschau

Impressum

Big-Muddy-Wolf

Es ist fast schon Mitternacht, als die »Red Nelly« bei Standing Rock festmacht.

Gleich neben dem Holzplatz, von dem sie Feuerholz für ihre beiden Kessel übernehmen will, befindet sich der Standing Rock Saloon. Und dort herrscht Betrieb. Denn ein großes Holzfloß mit Edelhölzern aus dem Norden hat ein Stück weiter abwärts festgemacht.

Trige Kerrigan springt als Erster auf die Landebrücke.

Und dort erwarten ihn zwei Männer.

Der eine ist der Boss des Holzplatzes, den anderen Mann kennt er nicht. Aber als er ihn im Mond- und Sternenschein betrachtet, da wird er noch vorsichtiger, als er es ohnehin schon ist.

Der Boss des Holzplatzes grinst ein wenig schief, als er Trige Kerrigan zunickt und dann sagt: »Du bist ganz schön verwegen, Kerrigan. Auch in den hellen Nächten wagt sich kaum ein Kapitän hier herauf. Aber du kennst ja diesen verdammten Strom so gut wie sonst keiner.«

»Ich will Holz, Slater, gutes Holz. Was kostet es?«

Aber Slater, der Boss des Holzplatzes, schüttelt den Kopf.

»Ich habe an die Vereinigung verkauft«, sagt er. »Du musst mit diesem Gentleman verhandeln, Kerrigan. Das hier ist Mister John Joneson. Er vertritt die Interessen der Vereinigung.«

Trige Kerrigan nickt. »Na gut, dann frage ich Sie nach dem Preis für den Kubikyard erstklassiges Feuerholz.«

Der Mann betrachtet ihn mit kalter Härte und sagt dann: »Sie sind doch einer von den Schiffseignern und Kapitänen, die sich nicht dazu entschließen können, der Vereinigung beizutreten. Hier aber dürfen nur noch Mitglieder der Vereinigung anlegen. Sie haben die Wahl. Entweder Beitritt mit allen Konsequenzen – oder Sie legen sofort wieder ab. Aber ich sage Ihnen gleich, es gibt nirgendwo mehr einen Holzplatz, der nicht zur Vereinigung gehört. Sie müssen sich dann irgendwo im Wald selbst Holz schlagen. Na, wie wollen Sie es haben?«

»Mit allen Konsequenzen ...«, wiederholt Trige Kerrigan einige der Worte und stellt dann die knappe Frage: »Und die wären?«

John Joneson zeigt einen Moment seine Zähne. Sie blinken im Mond- und Sternenlicht gefährlich scharf.

»Ach, es geht eigentlich nur um die Frachtpreise«, sagt er. »Die werden von der Vereinigung bestimmt. Es gibt keinen Konkurrenzkampf mehr. Die Vereinigung besitzt das Monopol und diktiert die Preise. Und alle Mitglieder zahlen natürlich einen fairen Beitrag, nämlich ein Drittel der Einnahmen. Das lohnt sich immer.«

»Aha«, erwidert Trige Kerrigan nach einigen Atemzügen. »Ihr wollt nun also auch den Big Muddy beherrschen so wie zuvor schon den Mississippi von New Orleans bis Saint Louis.«

»So ist es«, erwidert John Joneson knapp. »Und wer nicht mitmacht, der hat keine Chance mehr. Wir diktieren die Preise und dulden keine Konkurrenz. Kerrigan, Sie müssen sich jetzt entscheiden.«

Kerrigan blickt an ihm vorbei auf die paar Hütten und Häuser, auf die Holzstapel – und dann auf den großen Saloon, aus dem jetzt Musikklänge, lachende und kreischende Frauenstimmen und Männergejohle klingen.

Die Flößer feiern nach monatelanger Arbeit in den Wäldern nun ein Fest. Und es stehen auch Sattelpferde und einige Wagen rings um den Saloon. Aus dem Landinnern kamen Gäste, denn es gibt ja hier auch einen Store, dessen Besitzer zugleich der Posthalter ist.

Und alles hat nun die sogenannte Vereinigung übernommen.

Und die letzten freien Kapitäne und Eigner sollen jetzt wohl mit härtesten Maßnahmen zum Beitritt gezwungen werden.

»So einfach also ist das?« Trige Kerrigan fragt es nachdenklich.

»Sicher – wenn man es mit den richtigen Männern richtig anpackt«, erwidert John Joneson. »Und ich warte jetzt auf Ihre Entscheidung, Kapitän Kerrigan. Ich will Ihnen auch nicht verhehlen, dass Ihr Beitritt ein ganzes Dutzend anderer Kapitäne überzeugen wird, sodass sie ebenfalls beitreten. Also?«

»Na gut«, nickt Trige Kerrigan, »ich trete bei. Ich schließe mich also der Vereinigung an. Bekomme ich jetzt das Holz?«

»Sicher – und sogar zu einem fairen Preis. Aber wenn Sie in Fort Benton sind, wird ein Beauftragter der Vereinigung an Bord kommen und Ihre Ladeliste einsehen. Er wird Ihnen die Preise nennen, zu denen Sie die Ladung abgeben, und dann ein Drittel der Einnahmen kassieren. Keine Angst, Sie werden keinen Dollar dabei einbüßen. Denn was Sie an uns bezahlen, nehmen Sie durch die höheren Preise ein. Und diese wiederum sind möglich, weil wir das Monopol besitzen. Alles klar?«

»Alles klar!« Trige Kerrigan nickt, und seiner Stimme ist nichts anzumerken. Sie klingt fast gleichmütig.

Er wendet sich zu dem Schiff zu und ruft hinauf: »Also, wir übernehmen Holz!«

Kaum hat er ausgesprochen, da beginnt die Dampfwinde zu rattern. Der Ladebaum schwenkt aus und lässt den ersten Korb an Land nieder, dicht neben dem Holzstapel.

Die Deckleute der »Red Nelly« kommen an Land, um den großen Korb zu füllen, in den gewiss eine halbe Wagenladung hineingepackt werden kann.

Auf dem Sturmdeck der »Red Nelly« – gleich neben dem Ruderhaus – zeigt sich die massige Gestalt von French Pete, der Trige Kerrigans Steuermann ist und der den tückischen Strom ebenso gut kennt wie sein Kapitän.

Trige Kerrigan nickt Slater und Joneson zu und geht zum Saloon hinüber.

Noch bevor er sich dem Eingang bis auf ein Dutzend Schritte nähern konnte, bricht drinnen Lärm los. Männerstimmen brüllen fluchend los. Frauenstimmen kreischen wie verrückt.

Und dann krachen Schüsse. Es sind Revolverschüsse. Dazwischen kracht zweimal eine Schrotflinte. Es muss ein Ding mit abgesägtem Doppellauf sein, denn sie kracht fast so laut wie eine Kanone.

Trige Kerrigan hält inne – ja, er zieht sich sogar einige Schritte zurück.

Bald kommen Männer aus dem Saloon gelaufen oder gestolpert. Einige werfen sich brüllend durch die Tür oder gar durch die Fenster ins Freie.

Es ist klar: Wer dort drinnen ist, will weg, nur weg, nichts als weg.

Einige Männer – es müssen die Flößer und Holzfäller sein – schleppen Verwundete oder Betrunkene mit sich. Und sie alle heulen vor Wut. Sie bewegen sich dorthin, wo das lange, fünfgliedrige Floss festgemacht hat, auf dem sogar einige Hütten stehen und auch kleine Kielboote liegen. Es ist ein Riesenfloss, länger als hundert Yards und breit wie eine Straße in Saint Louis.

Eine Stimme heult: »Wenn die schießen – oho, das können wir auch! Holt euch die Gewehre! Und dann schießen wir den ganzen Laden in Klumpen!«

Es ist nun alles klar für Kerrigan.

Die Männer der Holzfäller- und Flößermannschaft bekamen mit den neuen Leuten der Vereinigung im Saloon Verdruss. Aber sie waren unbewaffnet. Nun wollen sie auf das Floss und dort in ihre Hütten, um sich ebenfalls mit Schusswaffen zu versorgen.

Dann aber wird es einen Krieg geben.

Trige Kerrigan seufzt. Er folgt ihnen bis zum Ufer, von dem aus einige Planken auf das Floss führen.

Und als Buck Haggerty als erster Mann mit einem Gewehr in der Hand zurück an Land will, da begrüßt er ihn mit den Worten: »Hoiii, du Holzspecht!«

Buck Haggerty, der Anführer der Flößer und Holzfäller, hält inne.

»He, Kerrigan, machst du mit deinen Witwentröstern mit? Wollen wir das ganze Ding dort auseinandernehmen? Das ist nämlich kein anständiger Laden mehr! Die haben Tate Brown beim Poker betrogen, und als er es merkte, schoss ihn der Kartenausteiler nieder. Und der Schnaps schmeckt jetzt schlimmer als Pumaspucke und ist doppelt so teuer wie voriges Jahr. Machen wir alles klein?«

Indes Buck Haggerty diese Worte spricht, kommen seine Männer an Land und umdrängen ihren Boss und den Kapitän.

Sie alle wollen die Antwort des Kapitäns hören.

Und sie hören Trige Kerrigan sagen: »Passt auf, ich habe da so eine Idee, die euch gewiss gefallen wird. Wir werden ...«

✰✰✰

Es ist im Morgengrauen – und die Nebel steigen aus dem Big Muddy –, als die Dampfwinde der »Red Nelly« endlich nicht mehr faucht und das Rattern verstummt. Die »Red Nelly« hat nun genug Holz übernommen. Sie ist voll damit bis über die Ohren. Es gibt keinen freien Platz mehr an Deck.

Die Männer der »Red Nelly« sind an Bord. Auch die Planken sind schon eingezogen. Nur die Leine an der Landebrücke hält das Dampfboot noch fest.

Weiter flussabwärts wird auch das Riesenfloss schon klar zum Ablegen gemacht. Die Flößer warten sicherlich nur auf das erste Grau des kommenden Tages. Dann werden auch sie ablegen.

Die »Red Nelly« löst sich von der Landebrücke, wird von der Strömung etwas flussabwärts getragen. Dann beginnt sich endlich das Heckrad zu drehen und schiebt das Dampfboot zur Strommitte hinaus.

Jäh tönt die Dampfpfeife, und die Glocke im Maschinenraum läutet das Zeichen für volle Fahrt. Das Schaufelrad am Heck beginnt kräftig zu drehen, lässt die Schaufeln durch das Wasser rauschen, ratternd und patschend.

Drüben an Land in der kleinen Siedlung schläft endlich alles.

Auch der Saloon hat geschlossen. Dort in den oberen Räumen des Saloons schlafen jetzt die Mädchen, die Barmänner, die Spieler und Rauswerfer.

Um das Floss und um das Dampfboot kümmert sich niemand mehr. Denn alle wissen sie ja, dass das Floss und das Schiff auf den grauen Morgen warten müssen.

Und so lange will hier niemand wach bleiben.

Auch Slater und John Joneson wollten das nicht.

Aus dem Wasser taucht jetzt ein dickes Seil auf.

Und dieses Seil spannt sich, und es wird klar, dass es vom Schiff an Land führt, den ganzen Saloonbau umschlingt wie ein Lasso und sich immer mehr strafft.

Es ist gewiss eine gewaltige Kraftleistung, die das Schaufelrad der »Red Nelly« vollbringen muss. Doch das Schiff ist so gebaut, dass es Tausende von Meilen gegen die mächtige Strömung des Missouri ankämpfen kann und dabei sogar noch ein anderes Schiff zu ziehen vermag.

Der Saloon aber ist aus Holz errichtet, provisorisch gebaut, eigentlich nur in Eile und für die erste Zeit zusammengehauen.

Es knirscht und bricht dort drüben an Land – und dann bewegt sich alles im ersten grauen Licht des Tages.

Die Flößer auf ihrem Riesenfloss brechen in johlenden Jubel aus und tanzen auf den Stämmen herum wie ein Indianerstamm bei einem wilden Fest.

Und auch die Männer der »Red Nelly« und das Dutzend Passagiere werden lebhaft und brüllen begeistert auf.

Das Dampfhorn der »Red Nelly« tutet.

Und die Schläfer im oberen Stockwerk des Saloons werden wach. Alle Fenster sind nun besetzt. Oberkörper beugen sich heraus. Eines der Mädchen ist völlig nackt und lässt die Brüste heraushängen, indes sie staunend feststellt, dass sich der ganze Saloon unaufhaltsam dem Flussufer zu bewegt.

Und das geht immer schneller.

Die »Red Nelly« zieht den ganzen Saloon in den Fluss. Und erst dort bricht er in einzelne Teile auseinander.

Da und dort klettern Männer und Mädchen aus den Fenstern, um im Fluss ein Bad zu nehmen.

Auch John Joneson gehört zu diesen Leuten. Als er ans Ufer kommt, wartet dort schon Slater auf ihn.

»Ich habe Ihnen ja gesagt, Joneson«, knurrt Slater, »dass dieser Trige Kerrigan anders ist als die anderen. Verdammt, ich sagte Ihnen doch, dass Kerrigan ein richtiger Big-Muddy-Wolf ist. Der hat von Anfang an nur das Holz haben wollen und niemals daran gedacht, sich der Vereinigung zu unterwerfen. Der nicht! Sie haben ihn trotz meiner Warnung unterschätzt.«

John Joneson steht mit nassen Kleidern da und betrachtet die Reste des zusammengebrochenen Saloons, von dem jetzt sogar einzelne Teile vom Fluss weggetragen werden.

Die Mädchen kreischen immer noch. Und einige Männer versuchen zu retten, was irgendwie gerettet werden kann.

»Wir haben den Saloon für fünftausend Dollar gekauft«, knirscht John Joneson. »Ich mache also Verluste in meinem Gebiet. Was sagten Sie, Slater, Kerrigan wäre ein Big-Muddy-Wolf? He, dann werde ich auf Wolfsjagd gehen!«

✰✰✰

Die Männer der »Red Nelly« und das Dutzend Passagiere lachen noch lange und teilen sich all ihre Beobachtungen mit, sprechen besonders auch über das barbrüstige Mädchen, welches ihre gewaltigen Brüste aus dem Fenster hängen ließ, indes der ganze Saloon unaufhaltsam zum Ufer gezogen wurde.

Es wird richtig Tag. Die Sonne kommt hoch, und die »Red Nelly« dampft stromauf mit einer Geschwindigkeit von etwa sechs Meilen die Stunde.

Trige Kerrigan bleibt noch eine Weile im Ruderhaus und verharrt wortlos neben seinem Steuermann, der das Ruder bedient.

French Pete kennt den Strom so gut wie er, und sie beide befuhren schon als kleine Jungen mit ihren Vätern den Strom mit Kanus, Flachbooten, Kielbooten und Dampfschiffen.

Als junge Burschen gehörten sie zu den Treckmannschaften, welche die Kielboote an Leinen stromauf schleppten, dabei manchmal bis zum Hals im Wasser watend und nicht selten von Indianern mit Pfeilen beschossen. Sie kennen den Strom.

Deshalb achtet Trige Kerrigan auch nicht darauf, wie Pete das Ruder führt und ob er auch all die Bäume kommen sieht, welche ihnen stromabwärts entgegentreiben oder mit ihren Wurzeln am Grunde hängen.

Nein, French Pete macht schon alles richtig.

Sie haben von hier aus dem Ruderhaus eine gute Sicht voraus.

Kerrigan ist ein dunkler, indianerhafter Bursche. Er könnte sich gewiss als Indianer verkleiden. Und wäre er nicht so groß geraten und hätte er nicht solch helle Augen – man würde ihn dann wirklich für einen Indianer halten können.

Nein, er ist kein hübscher Mann, aber er ist ein sehr männlich wirkender Bursche. Und noch niemals hatte er besondere Mühe, eine Frau zu erobern.

Als er sich neben French Pete eine Zigarre angesteckt hat und einige Züge pafft, sagt er ruhig durch all die Geräusche des Schiffes und in den leichten Wind, der durch das offene Fenster ins Ruderhaus streicht: »Pete, ich habe mich jetzt mit ihnen angelegt. Sie können das nicht hinnehmen. Ihr hiesiger Gebietsagent – oder wie sie John Jonesons Position auch nennen mögen – kann diese Niederlage nicht hinnehmen. Oder er wird gefeuert. Er wird es aber auch sehr persönlich nehmen, denke ich, denn er ist ein stolzer Bursche. Pete, wer jetzt noch auf der ›Red Nelly‹ fährt, der kann vielleicht schon bald mit ihr zur Hölle sausen.«

»Richtig!« French Pete nickt kurz, indes er dieses Wort spricht und dabei kaum die Zähne auseinander macht, weil er ja eine kalte Tabakpfeife festhalten muss, durch welche er dann schnorchelnd die Luft einsaugt. »Und was sonst noch?« So fragt er angriffslustig.

»Das solltest du den Männern sagen«, knurrt Kerrigan. »Und wer von ihnen aussteigen möchte, den ...«

»Es wird keiner wollen«, unterbricht ihn Pete. »Ich werde sie fragen. Bis Bismarck sind es noch fast achtzig Meilen. Erst kommt Fort Rice, dann Fort Lincoln und dann endlich Bismarck. Wenn du mich bei Fort Lincoln ablöst, werde ich herumgehen und jeden fragen, ihm auch sagen, dass er in Bismarck aussteigen kann. Aber ich wette mit dir, dass keiner aussteigen wird. Willst du wetten? Hundert Dollar für jeden Mann, der aussteigt, zahle ich.«

»Das ist keine Wette«, erwidert Kerrigan. »Denn dann müsste ich zwölfhundert zahlen, wenn alle bleiben. Willst du mich ausplündern?«

Er wendet sich ab, um den Niedergang abwärts zum Sturmdeck hinunterzurutschen, aber French Pete zischt aus dem Mundwinkel nach einer Kopfdrehung über die Schulter hinweg: »Halt, Trige! Da ist noch etwas!«

Er hält im letzten Sekundenbruchteil inne.

»Was ist noch?«

»Nelly kam die Nacht an Bord.«

»W-a-a-a-s?«

Er dehnt dieses W-a-a-a-s ächzend, ungläubig und völlig überrascht.

»Miss Nelly McClusky, genannt Red Nelly, kam an Bord. Die Namensgeberin dieses Schiffes ist in deiner Kabine. Habe ich mich jetzt deutlich genug ausgedrückt, Sir?« French Pete knurrt es scheinbar ärgerlich und grimmig. Aber damit tarnt er wahrscheinlich nur andere Gefühle.

Kerrigan aber verharrt eine Weile starr. Langsam und irgendwie feierlich sagt er: »Heiliger Rauch, das gibt es doch nicht.«

Dann aber rutscht er auf den Unterarmen das Geländer des Niederganges hinunter, schwingt unten die Beine vor und springt federnd auf das Sturmdeck.

Wenig später betritt er die Kapitänskabine, die über einen Sprachschlauch mit dem Ruderhaus und mit dem Maschinenraum verbunden ist.

Am Tisch sitzt Nelly McClusky, die Frau, nach der dieses Schiff benannt ist. Er schließt die Tür und lehnt sich von innen dagegen.

Eine Weile betrachten sie sich.

Dann sagt er: »Du bist immer noch so reizvoll wie damals. Du wurdest ein wenig reifer, doch dadurch auch schöner. Es war eine gute Idee von dir – aus welchen Gründen auch immer –, zu mir an Bord zu kommen. Ja, es war eine sehr gute Idee.«

Sie betrachtet ihn ernst.

»Ja, ich wusste es vorher schon, dass du genau diese Worte sprechen würdest.« Sie sagt es leise. Dann erhebt sie sich und läuft ihm entgegen. Er nimmt sie in seine Arme, und eine Weile hält er sie fest.

»Als ich dein Schiff sah«, flüstert sie an seiner Schulter, »da dachte ich, dass dich der Himmel zur rechten Zeit an diesen Ort schickte. Trige, sie jagen mich. Sie suchen mich auf den tausend Meilen zwischen hier und Fort Benton.«

»Wer sucht dich, Nelly?«

»Die Vereinigung«, flüstert sie und blickt zu ihm auf. »Ich kam in einem kleinen Kanu«, spricht sie weiter. »Ich ging auf der Flussseite bei dir längsseits und kletterte an Bord, schlich mich in deine Kabine. Nur French Pete sah mich. Ich wusste, dass mich von den Leuten an Land niemand sehen durfte. Denn Standing Rock wird auch schon von der Vereinigung kontrolliert.«

Er erwidert noch nichts, nimmt nur ihr Gesicht in beide Hände und küsst sie zart, erst auf beide Augen, dann auf den Mund.

»Du hast mir sicherlich eine lange Geschichte zu erzählen, Nellymädchen. Aber erst lasse ich das Frühstück kommen. Ich sehe, du trägst Männerkleidung. Wahrscheinlich möchtest du auch ein Bad nehmen. Ich habe eine wunderschöne Badewanne, und ich lasse sie dir mit heißem Wasser füllen. Gut so?«

Sie lehnt sich etwas zurück, sodass sie zu ihm empor und in seine hellen Augen blicken kann. Er hält sie in Taillenhöhe fest.

»Du bist verdammt nobel zu mir«, spricht sie leise. »Du hast wohl ganz vergessen, dass ich dir einst fortlief, weil ich glaubte, frei sein zu müssen, und weil ich es allein schaffen wollte. Du hast wohl vergessen, dass es mir nicht schnell genug ging an deiner Seite. Eigentlich ließ ich dich damals im Stich.«

»Aber ich wette«, grinst er auf sie nieder, »du hast die ganze Zeit nie wieder einen Mann so gerngehabt wie mich. Oder? Sei ehrlich.«

Sie sieht eine Weile zu ihm empor.

Und er kann erkennen, dass sie wahrhaftig tief in sich hineinlauscht und in all ihren Erinnerungen forscht.

»Nein«, sagt sie dann, »es gab wahrhaftig keinen, der so war wie du, keinen, den ich mit dem Herzen liebte so wie dich. Das ist ehrlich. Und dennoch war mir meine Freiheit lieber, lief ich dir weg und wollte selbst reich werden.«

»Bist du es geworden?« Er fragt es ruhig, gibt sie frei und wendet sich schon halb zur Tür, um zu gehen und dafür zu sorgen, dass sie das Frühstück und später dann im Waschraum nebenan die Badewanne mit heißem Wasser gefüllt bekommen.