1,99 €
Es war nicht schwer für Truck Haggertys Männer. Binnen einer Woche hatten sie es geschafft.
Nun floss der Creek nicht mehr durch die Hügel und unser schönes Grasland. Er bog jetzt vorher nach Osten ab und füllte die weite Senke auf Truck Haggertys Land. Irgendwann würde dort ein großer See entstehen.
Ich begriff, dass ich verloren hatte - und mit mir alle anderen kleinen Rancher und Siedler, die sich in der weiten Ebene des Green Grass Creek niedergelassen hatten. Ja, wir alle hatten verloren.
Haggerty hatte uns die Lebensader, das Wasser, genommen.
Für ihn war das ein Kinderspiel. Er brauchte nur einen kleinen Damm zu bauen und ein neues Creekbett über eine Länge von knapp zweihundert Yards auszuschachten. Dann war bereits wieder natürliches Gefälle vorhanden.
Indes ich mir das alles ansah, kam Stag Pinalto angeritten. Sein roter Hengst war ein Vierhundert-Dollar-Pferd, und nur sein Boss Truck Haggerty ritt ein noch besseres Tier.
Stag Pinalto war Haggertys Vormann - besser gesagt sein »Erster«. Denn die H-im-Kreis-Ranch hatte stets drei oder vier Vormänner, die mit ihren Mannschaften überall auf den Weiden verteilt waren ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Blutiges Gras
Vorschau
Impressum
Blutiges Gras
Es war nicht schwer für Truck Haggertys Männer. Binnen einer Woche hatten sie es geschafft.
Nun floss der Creek nicht mehr durch die Hügel und unser schönes Grasland. Er bog jetzt vorher nach Osten ab und füllte die weite Senke auf Truck Haggertys Land. Irgendwann würde dort ein großer See entstehen.
Ich begriff, dass ich verloren hatte – und mit mir alle anderen kleinen Rancher und Siedler, die sich in der weiten Ebene des Green Grass Creek niedergelassen hatten. Ja, wir alle hatten verloren.
Haggerty hatte uns die Lebensader, das Wasser, genommen.
Für ihn war das ein Kinderspiel. Er brauchte nur einen kleinen Damm zu bauen und ein neues Creekbett über eine Länge von knapp zweihundert Yards auszuschachten. Dann war bereits wieder natürliches Gefälle vorhanden.
Indes ich mir das alles ansah, kam Stag Pinalto angeritten. Sein roter Hengst war ein Vierhundert-Dollar-Pferd, und nur sein Boss Truck Haggerty ritt ein noch besseres Tier.
Stag Pinalto war Haggertys Vormann – besser gesagt sein »Erster«. Denn die H-im-Kreis-Ranch hatte stets drei oder vier Vormänner, die mit ihren Mannschaften überall auf den Weiden verteilt waren ...
Stag Pinalto kam gemächlich herangeritten.
Und wieder einmal dachte ich bei seinem Anblick: Warum haben ihn seine Eltern nur Stag – Hirsch – getauft. Verdammt, was ist das für ein Name für einen Bullen, der eher an einen Toro, einen Kampfstier, denken lässt?
Stag Pinalto hielt nun auf der anderen Seite des schon fast trockenen alten Creekbettes und grinste.
»Na, Sohn, wie gefällt dir das?« Es klang gönnerhaft.
Dass er mich »Sohn« nannte, war natürlich ein Witz, denn er war im besten Falle drei oder vier Jahre älter als ich – keinesfalls älter als fünfunddreißig.
Ich nickte ihm zu.
»Diese Idee ist sicherlich nicht auf deinem Mist gewachsen«, sagte ich. »Denn es ist eine gute Idee. Nur hätte ein redlicher Mensch sie nicht in die Tat umgesetzt. Um so etwas zu tun, muss man schon ein ziemlicher Hundesohn sein. Und dass du für solch einen Burschen reitest und die Dreckarbeit erledigst, das macht dich nicht gerade ehrenwert. Auf was eigentlich bist du so stolz, Bulle?«
Er knirschte so stark mit den Zähnen seines Nussknackergebisses, dass ich es bis zu mir herüber hören konnte.
Dann sagte er: »Ich glaube, wir steigen erst mal von unseren Pferden und tun das, was wir schon immer tun wollten. Jedenfalls ich wollte dir schon immer mal gern das Maul breitschlagen, sodass du nur noch wie ein Frosch quaken kannst. Na, wie ist es?«
Ich nickte ihm zu. »Es ist mit deinem Kopf sicherlich so wie mit einem trockenen Kürbis: Er muss geschüttelt werden, bevor die Kerne klappern. Ja, steigen wir ab. Komm, Bulle, komm nur!«
Er rutschte aus dem Sattel und ging die paar Schritte bis zur Mitte des Creekbettes. Hier wartete er grinsend.
Ich überlegte noch, und ich bedauerte schon, die Herausforderung angenommen zu haben. Denn selbst wenn ich diesen Bullen schlug, so musste ich doch ganz zwangsläufig eine Menge abbekommen. Er würde mir wahrscheinlich wirklich die Lippen breitschlagen. Die Narben dieses Kampfes würden Zeichen fürs ganze Leben bleiben.
Sollte ich kneifen?
Ich konnte mein Pferd herumziehen und wortlos fortreiten.
Wahrscheinlich hätte ein kluger Bursche das getan. Denn mit einer Schlägerei ließen sich keine Probleme lösen.
Aber ich konnte nicht fortreiten. Ich war ein dickköpfiger Hammel, und ich dachte einen Moment an das Bild, wenn Widder immer wieder mit ihren Köpfen gegeneinander rennen.
Schließlich rutschte ich vom Pferd.
Nein, ich konnte nicht anders. Ich musste wenigstens jetzt einen Sieg erringen. Dann würde die Niederlage mit der Ranch vielleicht nicht bis in alle Ewigkeit auf meinem Stolz lasten.
Denn ich hatte mit meiner kleinen Ranch eine Niederlage erlitten. Ohne Wasser war sie erledigt. Der Creek war trocken. Die Weide würde nur nach längeren Regenzeiten grün und frisch sein. Meine Rinder würden kein Wasser finden. Gewiss, ich konnte sie aus dem Brunnen tränken, wenn ich jeden Tag einige Stunden Wasser schöpfte. Doch bald schon würden sie die Weide in Ranchnähe kahlgefressen haben und kein Futter mehr finden.
Eine kleine Herde war so vielleicht mit Wasser und Futter zu versorgen. Aber ich wollte ja eines Tages eine große Herde haben. Und die konnte ich ohne Wasser nicht halten. Ich hätte dann überall auf der Weide Brunnen abteufen müssen. Und an jedem Brunnen hätte dann jemand täglich viele Stunden schöpfen müssen.
Aber wer tat das schon ohne Lohn?
Denn Lohn konnte ich noch nicht zahlen. Erst mussten sich meine Rinder vermehren. Und ohne Wasser konnte ich meine kleine Ranch nicht zu einer großen machen.
Ich hatte verloren.
Und mit mir hatten ein halbes Dutzend anderer Leute verloren. Die weite Green-Grass-Ebene war trockengelegt worden. Auch Felder, Gärten und Äcker konnten nicht mehr aus dem Creek bewässert werden.
Die Haggerty Ranch hatte sich eine »Pufferzone« geschaffen, die nun alle Siedler und Klein-Rancher aufhielt. Denn ein wasserloses Land blieb unbesiedelt.
Ich überdachte dies alles, indes ich mein Pferd verließ und mich Stag Pinalto näherte, der mich erwartungsvoll ansah.
»Das wird ein Fest«, sagte er. »Nachher wird selbst Sue dich nicht mehr wiedererkennen, die schöne Sue, ha!«
Plötzlich dachte auch ich an Sue.
Ich würde auch Sue verlieren, aufgeben müssen, denn meine Zukunft sah finster aus.
»Vielleicht werde ich jetzt Sue bekommen«, sagte Stag Pinalto. »Denn ich bin ein Mann, der ihr etwas bieten kann.«
Er griff plötzlich an, und obwohl er mehr als zweihundert Pfund wog, war er so schnell wie ein Leichtgewicht. Ich dachte vielleicht noch zu sehr an Sue und war deshalb nicht schnell mit meinen Reflexen. Wenn er mich voll getroffen hätte, wäre dies wahrscheinlich schon das Ende gewesen. Aber ich nahm dem Schlag durch mein Zurückzucken doch etwas die Wirkung.
Dennoch fiel ich auf den Rücken und warf die Beine hoch.
Dann rollte ich mich im allerletzten Moment zur Seite. Dort, wo soeben noch mein Bauch gewesen war, wuchtete Pinalto mit beiden Füßen in den noch feuchten Sand des Creekbettes.
Ich warf mich herum und trat ihm von der Seite in Kniehöhe gegen das Bein.
Er brüllte auf und fiel.
Als er hochkam, erwartete ich ihn schon. Nein, ich brachte es nicht fertig, auf ihn niederzuspringen.
Ich konnte es nicht tun. Aber es war üblich in diesen wilden Grenzkämpfen. Wenn man hier an der Grenze kämpfte, dann wollte man den Gegner möglichst schnell erledigen und selbst ungeschoren bleiben.
Stag Pinalto kam hoch – aber sein Bein knickte unter ihm ein. Er brüllte vor jähem Schrecken und hilfloser Wut.
Denn er war sozusagen einbeinig geworden, und er wusste, was das für ihn bedeuten konnte.
Oha, ich hatte den Sieg jetzt so gut wie in der Tasche! Ich konnte ihn jetzt klein machen, weil ich sehr viel beweglicher war. Ich konnte ihn umtanzen. So schnell würde er sich gar nicht drehen können. Ich würde ihn immer wieder treffen. In Stücke konnte ich ihn jetzt hämmern.
Ich umkreiste ihn, sprang vor, traf ihn mit langen Geraden auf die Ohren und den Kinnwinkel. Denn er konnte sich nicht schnell genug drehen. Ich war immer an einer geraden ungedeckten Seite.
Aber dann machte es mir keinen Spaß mehr.
Ich trat zurück und ließ die Fäuste sinken.
»Lassen wir's«, sagte ich. »Du bist wohl doch nicht mehr fit für einen richtigen Männerkampf. Eigentlich täte ich jetzt ein gutes Werk, wenn ich einen Knüppel nähme und dich erschlüge. Doch das ist nicht mein Stil. Hau ab, großer Bulle, hau ab!«
Er erstickte fast an der Schmach, die ich ihm dadurch zufügte, dass ich ihn nicht mehr für fähig hielt, mit mir zu kämpfen. Und dass ich ihn gehen ließ, ohne ihn zu zertrümmern, machte es für ihn noch schlimmer.
Er versuchte noch mal einen Schritt gegen mich. Es sollte ein Sprung werden, doch es wurde nur ein Stolpern daraus. Und der Schmerz in seinem Bein ließ ihn aufjaulen.
Er fiel auf sein gesundes Knie und stützte sich mit den Händen und steifen Armen ab. So sah er zu mir empor.
Ich sah auf ihn nieder – und dabei erinnerte ich mich an all die vielen kleinen Begebenheiten, die uns zu Feinden gemacht hatten. Sein Boss hatte mich immer zum Vormann haben wollen – und wenn ich es geworden wäre, hätte Pinalto mit dem Rang des zweiten Vormannes vorliebnehmen müssen.
Er wusste das. Und dass ich mehr Glück bei Sue hatte als er, vertiefte die Feindschaft noch. Ja, wir waren Feinde von Anfang an. Bei jeder Begegnung war die Gegnerschaft nur noch gewachsen.
Jetzt kauerte er vor mir am Boden und konnte nicht mehr kämpfen. Das konnte er kaum ertragen. Er erstickte fast daran.
»Hau ab«, sagte ich nochmals. »Glaub nur nicht, dass ich dir den Rücken zuwende, bevor du außer Schussweite bist. Hau ab, Bulle!«
Wir trugen noch unsere Waffengürtel mit den Colts. Allerdings waren die Waffen von Schlaufen gesichert.
Ja, ich traute ihm zu, dass er auf mich schießen würde, sollte ich ihm den Rücken zudrehen und zu meinem Pferd gehen.
Er sah mich nicht mehr an. Auf seinen Händen und einem Bein kroch er davon. Ich ging zu meinem Pferd, saß auf und zog das Gewehr aus dem Sattelschuh.
Auch er hatte nun sein Pferd erreicht. Noch bevor er sich umsah und nachdem er sich an seinem Pferd hochgezogen hatte, griff er nach dem Gewehr, riss es aus der Sattelschuh.
Ich rief: »Wenn du dich damit umdrehst, kriegst du was! Schieb es wieder ins Futteral und sitz auf! Dann kannst du zum Doc reiten, damit er dir das Knie wieder einrenkt!«
Er blickte über seine massige Schulter zu mir her.
Er sah, dass ich das Gewehr in den Händen hielt. Auf diese Entfernung war ein Gewehr schon sicherer als ein Colt.
Er saß mühsam auf und ritt davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Auch gedroht hatte er mir nicht. Das war ein böses Zeichen.
Ich musste zusehen, dass ich aus dem Land kam.
✰✰✰
Als ich meine Ranch erreichte, hatte ich schon Besuch von einigen meiner Nachbarn. Wir alle hatten zwar jeweils einige Meilen Raum zwischen uns, doch waren wir alle Creek-Anlieger.
Sie empfingen mich ernst, und der grauköpfige Jim Peters fragte: »Nun, Elroy Cashmoore, hast du schon nachgesehen, warum der Creek kein Wasser mehr führt?«
Elroy Cashmoore, das war mein Name.
Ich nickte ihnen zu, blieb noch im Sattel, weil ich dann von oben besser in alle Gesichter sehen konnte.
Und dann erzählte ich ihnen, was ich gesehen hatte.
Als ich verstummte, schwiegen sie – und sie wirkten auf mich in diesem Moment sehr hilflos.
Ich konnte ihre Gedanken lesen wie die Worte in einem Buch. Ich wusste auch über ihre Empfindungen Bescheid. Da war Hoffnungslosigkeit, Bitterkeit, Resignation – aber auch hilfloser Zorn.
Und dann kam plötzlich die Erkenntnis, dass sie verloren hatten und aufgeben mussten. Denn um den Creek wieder in sein altes Bett leiten zu können, würden wir erst die Haggerty-Reiter schlagen müssen. Ohne Weidekrieg ging das nicht.
Denn einen Sheriff gab es nicht. Wir waren drei Tagesritte von Elkhorn und damit auch vom Gesetz entfernt. Und selbst der Sheriff in Elkhorn – wenn er sich für uns hier überhaupt zuständig fühlen sollte – würde es sich überlegen, mit Truck Haggerty einen Streit anzufangen. Haggerty war schon zu mächtig – und er war auch als absolut rücksichtslos bekannt. Mit Haggerty legte sich niemand an.
Und deshalb erkannte ich in den Gesichtern meiner Nachbarn jetzt nur noch Hoffnungslosigkeit.
»Was machen wir?« Diese Frage stellte Sam Fisher. Er war nicht älter als ich und hatte schon eine Frau und fünf Kinder. Er war ein typischer Siedler, der Schweine züchtete und das Fleisch einpökelte.
»Ja, was machen wir?«, fragte auch Jake Wells.
Sie alle starrten zu mir hoch, denn ich saß ja immer noch im Sattel.
Ich begriff, dass sie einen Anführer suchten, einen Mann, um den sie sich scharen konnten und der ihnen Hoffnungen machte und sagte, was sie tun mussten. Unter ihnen war kein Anführer. Sie waren alle gleichwertig. Sie alle waren zu mir auf die kleine Ranch gekommen, um sich Rat zu holen. Denn für sie war ich ein Bursche, der sich immer zu helfen wusste.
Ich schüttelte den Kopf.
»Die Quelle des Creeks liegt auf Haggertys Gebiet. Es ist sein Creek. Er will nicht, dass das Land an seinen Grenzen dicht besiedelt wird, dass die Stadt wächst und wir eines Tages ein selbstständiges County werden, dessen Behörden auch er sich unterordnen muss. Der Creek war die Lebensader dieser weiten Grasebene. Nun ist er tot. Wer hierbleiben will, wird mit Brunnenwasser auskommen müssen – und natürlich dem Regenwasser. Aber das ist nicht genug und auch nicht sicher. Wer von uns klein bleiben will, der wird hier weiterhin sein Auskommen finden. Wer aber größer werden möchte, hat ohne reichlich Wasser keine Chance. Diese Ebene ist größer als tausend Quadratmeilen. Und der Creek war die Lebensader. Jetzt wird diese Ebene bald Prärie sein, die nur nach Regenfällen grünt. Aus euren Brunnen könntet ihr gewiss einige Dutzend Tiere und auch eure Gärten versorgen. Wer damit zufrieden ist, mag bleiben. In ihm wird Truck Haggerty auch keine Bedrohung mehr sehen. Er will nur ein weiteres Aufblühen des Landes an seinen Grenzen verhindern. Ich selbst werde aufgeben.«
✰✰✰
Es war schon Nacht, als ich nach Green Creek kam. Die Lichter des kleinen Ortes leuchteten warm und freundlich. Sie waren nicht so unirdisch kalt wie die blanken Sterne am Himmel.
Dort in der kleinen Stadt waren Menschen, die gewiss nicht weniger eingesetzt und gewagt hatten als ich. Da waren Handwerker und Geschäftsleute, die daran geglaubt hatten, dass die mächtig weite Blaugras-Ebene in den kommenden Jahren von fleißigen Menschen besiedelt und erschlossen würde. Nun wussten sie vielleicht schon, dass sie in dieser Stadt keine Zukunft mehr hatten.
Der kleine Ort war heute ruhiger als sonst.
Eigentlich wollte ich am Saloon vorbei und gleich zu Sue reiten, doch ich sah den schwarzweißen Pinto von Pete Jacks vor dem Saloon stehen. Und so lenkte ich meinen Red neben den Pinto.
Pete Jacks spielte Billard in der Ecke. Er hatte das Glas auf der Kante des Billardtisches stehen. Er sah mir ernst entgegen.
»Na«, sagte er, »was hab ich dir immer prophezeit?«
Ich nickte nur. Dann nahm ich sein noch halb volles Glas und trank es leer.
Mac Mullen, der Wirt, nickte, als ich zwei Finger hob. Er begann zwei Gläser zu füllen.
»Ich treibe morgen meine Rinder zusammen«, sagte ich zu Pete Jacks. »Hilfst du mir? Ich will die Herde nach Elkhorn treiben und dort verkaufen.«
Er starrte mich an.
»Und dann?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Mal sehen«, erwiderte ich. »Reiten – irgendwohin, nichts anderes, weit und lange reiten.«
Er legte den Billardstock hin.
»Das hört sich gut an«, sagte er. »Ich bin ohnehin zu lange in diesem Land. Die Haggerty-Reiter würden mich eines Tages doch mal erwischen und aufhängen. Es wird immer gefährlicher, Haggertys Vieh zu stehlen. Ich helfe dir treiben. Die alten Zeiten kommen wieder. Wir reiten wieder zusammen. Willst du dich darauf mit mir besaufen oder erst Abschied von Sue nehmen? Denn das musst du wohl – oder?«
Ich presste die Lippen zusammen und nickte.
Dann traten wir an den Schanktisch.
Der Wirt hatte die Gläser gefüllt. Er fragte: »Was soll nur werden, wenn das ganze Land austrocknet? He, was soll aus Green Creek werden – Sand Creek vielleicht?«
Wir tranken ihm zu. Er braute das Bier selbst, und es war gutes Bier.
»Green Creek«, sagte ich zu ihm, »ist tot – oder so gut wie tot. Es wird nur noch von der Haggerty Ranch leben können. Aber was ist das für ein Leben?«
Ich stellte das leere Glas hin, warf fünfzig Cent auf den Tisch und nickte Pete Jacks zu.
»Bis morgen«, sagte ich.
Er nickte grinsend.
Dann ging ich hinaus. Draußen nahm ich meinen Red an die Zügel. Es lohnte ein Aufsitzen nicht mehr.
Ich dachte an Pete Jacks' Grinsen. So grinste er immer, auch wenn er in der Klemme saß, vor einem Kampf stand – oder großen Spaß hatte. Pete Jacks ging grinsend durchs Leben.
Seit zwei Jahren stahl er Truck Haggertys Rinder. Es war gut, dass er von dieser Weide ritt. Sonst würden sie ihn tatsächlich eines Tages aufhängen.
Er hatte zwar einen Grund, Truck Haggerty die Rinder zu stehlen, doch darüber redete er nicht. Das ging nur Truck Haggerty und ihn etwas an, so meinte er. Denn er war ein stolzer Dickschädel, dieser Pete Jacks. Ich kannte ihn gut genug. Denn wir waren lange zusammen geritten.
Ich hatte Sue Wagoners kleines Haus erreicht, das ihr die Stadt zur Verfügung stellte. Unten war der Schulraum. Oben wohnte sie in zwei kleinen Räumen.
Als ich mein Pferd anband, sah sie oben aus dem Fenster.
»Die Tür ist offen, Elroy. Komm nur herauf. Ich hab das Abendbrot fertig.«
Ich staunte nicht. Nein, Sue wusste viel von mir. Sie konnte mich fast immer ausrechnen. Und so wusste sie wahrscheinlich auch, dass ich um diese Zeit zu ihr kommen würde. Denn meine Probleme waren auch ihre. Schließlich wollten wir ja heiraten, sobald meine Ranch uns ernährt hätte.
Aber das war jetzt wohl nicht mehr möglich.
Als ich hinaufging zu ihr, war in mir ein tiefes Bedauern.
Oben kam sie in meine Arme. Wir küssten uns – aber es war anders als sonst.
Sie löste sich von mir und sah zu mir auf.
Für eine Frau war sie etwa mittelgroß, und sie wog gewiss nicht mehr als einhundertzehn Pfund. Es war alles richtig an ihr, ja, es war prächtig. Es konnte gar nicht besser sein. Sie war blond, hatte schwarze Augen und einen lebendigen Mund.
»Verletzter Stolz ...«, sagte sie. »Das ist es wohl, was dich so spröde macht, Elroy. Am liebsten würdest du Truck Haggerty einen Kampf liefern um das Wasser. Ja, das würdest du gern tun. Doch dann müsstest du Blut vergießen. Es würde Tote geben. Das schreckt dich. Du möchtest nicht wieder ...«
»Nein«, unterbrach ich sie. »Ich möchte nicht wieder mit einem rauchenden Colt reiten. Aber ich kann auch nicht in Haggertys Schatten bleiben als kleiner Mann, der sein Wasser nur aus einem Brunnen schöpft. Sue, ich treibe morgen meine Rinder zusammen und bringe sie nach Elkhorn zum Verkauf. Und dann reite ich irgendwohin – ohne dich. Verstehst du?«
O ja, sie verstand mich sofort.
Einen Moment kam ein zorniges Funkeln in ihre Augen, und ihr lebendiger Mund verriet mir eine Menge von ihren Gedanken. Aber dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck – und in ihren Blick kam der Ausdruck von Mitleid, Nachsicht und Verständnis. Sie nickte stumm.
»Sicher – ich verstehe dich gut«, sagte sie. »Du weißt, du könntest ihn zerbrechen. Aber du fürchtest dich vor deinem Colt, vor dem Blut auf der Weide. Und so willst du aufgeben – alles, auch mich. Du willst dich dafür auch noch selbst bestrafen, indem du auch mich aufgibst. Oh, Elroy, wie stur ist dein verdammter Stolz?«
Sie wartete keine Antwort ab, sondern ging in die kleine Küche nebenan, um das Abendbrot auf den Tisch zu bringen.