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Die Verhandlung findet im Saloon zu San Cielo statt, denn der reisende Richter des Territoriums erklärte kraft seines Amtes den Raum zum Gerichtshof. Nun stellt er den beiden von Sheriff Mort Cabe vorgeführten Gefangenen die Frage, ob sie sich schuldig bekennen.
»Unschuldig«, erwidern beide zugleich wie einstudiert.
Einer spricht dann weiter: »Euer Ehren, es muss sich um eine Verwechslung handeln. Der Sheriff war auf der Suche nach zwei Reitern, die uns ähnlichsehen und auch Pferde ritten, die die gleiche Farbe wie unsere Tiere hatten. Doch er irrt sich, wenn er glaubt, dass wir die kleine Ranch überfallen, den Rancher erschossen und dessen Frau vergewaltigt hätten. Wie kommt er auf die Idee, euer Ehren? Wo sind die Augenzeugen, die einen Eid darauf leisten, dass sie uns wiedererkennen?«
Als der hartgesichtige Bursche verstummt, wendet sich Richter James Parker an Sheriff Mort Cabe.
»Also, Sheriff, wo ist die Zeugin, die als Betroffene die Täter am sichersten wieder zu erkennen vermag? Herein damit!«
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Seitenzahl: 161
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Mort Cabes Gesetz
Vorschau
Impressum
Mort Cabes Gesetz
Die Verhandlung findet im Saloon zu San Cielo statt, denn der reisende Richter des Territoriums erklärte kraft seines Amtes den Raum zum Gerichtshof. Nun stellt er den beiden von Sheriff Mort Cabe vorgeführten Gefangenen die Frage, ob sie sich schuldig bekennen.
»Unschuldig«, erwidern beide zugleich wie einstudiert.
Einer spricht dann weiter: »Euer Ehren, es muss sich um eine Verwechslung handeln. Der Sheriff war auf der Suche nach zwei Reitern, die uns ähnlich sehen und auch Pferde ritten, die die gleiche Farbe wie unsere Tiere hatten. Doch er irrt sich, wenn er glaubt, dass wir die kleine Ranch überfallen, den Rancher erschossen und dessen Frau vergewaltigt hätten. Wie kommt er auf die Idee, euer Ehren? Wo sind die Augenzeugen, die einen Eid darauf leisten, dass sie uns wiedererkennen?«
Als der hartgesichtige Bursche verstummt, wendet sich Richter James Parker an Sheriff Mort Cabe.
»Also, Sheriff, wo ist die Zeugin, die als Betroffene die Täter am sichersten wieder zu erkennen vermag? Herein mit ihr!«
Mort Cabe erhebt sich. Er ist ein dunkelhaariger, grauäugiger und indianerhaft wirkender Mann mit geschmeidigen Bewegungen.
»Euer Ehren«, spricht er ruhig, »es gibt nur eine einzige Zeugin, nämlich die Betroffene selbst. Und sie ist verschwunden. Mrs Sally Callahan muss die kleine Ranch verlassen haben, indes ich die beiden Angeklagten verfolgte und herbrachte, was vier Tage dauerte. Niemand hat sie fortgehen sehen. Ich müsste sie suchen oder suchen lassen. Deshalb möchte ich hiermit beantragen, dass die beiden Gefangenen in Haft bleiben, bis Mrs Callahan gefunden und hergebracht werden kann.«
Richter James Parker starrt den Sheriff eine Weile an. Dann fragt er: »Gibt es sonst noch Zeugen oder irgendwelche Beweise?«
»Nein, Euer Ehren«, erwidert Sheriff Mort Cabe. »Aber die Personenbeschreibung von Mrs Callahan passt genau auf diese beiden Männer, und « Der Sheriff verstummt hart.
»Wo ist sie?« So fragt Richter James Parker scharf. Und nach einer kleinen Pause fügt er hinzu: »Ich kann die Anklage ohne Beweise oder Zeugen nicht anerkennen. Die beiden Angeklagten haben auch keine besonderen Merkmale – zum Beispiel körperliche Abnormitäten oder irgendwelche Narben –, worauf sich die Beweisführung stützen ließe. Reiter dieser Sorte ähneln sich alle irgendwie. Ich muss die beiden Gefangenen leider laufen lassen.«
Er wendet sich an die Zuschauer.
»Oder gibt es noch einen Zeugen oder irgendwelche Hinweise, die dartun können, dass diese beiden Männer die Täter sind?«
Er erhält keine Antwort, nur das Gemurmel wird lauter und auch böser.
Da nimmt Richter James Parker den Holzhammer in die Hand und spricht: »Die beiden Angeklagten sind aus Mangel an Beweisen freizulassen. Die Verhandlung ist geschlossen.«
Und dann klopft er mit dem Hammer auf den Schanktisch, hinter dem er auf einem erhöhten Sitz hockt, irgendwie an einen alten Adler erinnernd, der von oben auf die Erde blickt – also hoch über allen Dingen schwebt.
Er erhebt sich, klemmt sich das Gesetzbuch unter den Arm und nimmt den Hammer in die andere Hand.
Und dann geht er hinaus.
Draußen wartet schon ein leichter, zweirädriger Wagen, denn er will heute noch weiter in die nächste kleine Stadt, wo ein Pferdedieb auf seine Verhandlung wartet.
Sheriff Mort Cabe aber tritt zu den beiden Gefangenen, um diesen die Handschellen abzunehmen.
Sie grinsen ihn an und kichern leise.
»Nun, großer Sheriff?«, fragt jener, der sich Johnny Laredo nennt, »siehst du ein, dass du eigentlich eine große Pfeife bist, die uns nichts anhaben kann?«
Und der andere Mann, dessen Name Ringo Duane ist, fragt mit scheinheiligem Bedauern: »Jetzt bist du wohl sehr traurig, großer Meister?«
Mort Cabe erwidert nichts, kein einziges Wort.
Er sieht sie nur aus schmalen Augen an, tritt langsam mit den Handschellen zurück und wendet sich ab.
Shorty, der das Office in Ordnung hält, bei Bedarf als Gefängniswärter fungiert und auch die Schreibarbeiten erledigt, wartet an der Schwingtür zur Straße. Cabe gibt Shorty die beiden Handschellen und sagt: »Händige ihnen ihre Siebensachen aus. Du hast ja gehört, sie sind frei.«
Dann tritt Mort Cabe hinaus auf die staubige Straße der kleinen Stadt und wendet sich in Richtung Mietstall. Er bewegt sich ruhig. Und niemand sieht ihm an, was tief in seinem Kern für Gefühle sind.
Er ist ein großer, sehniger und dabei sich geschmeidig bewegender Mann.
Hinter ihm drängen die vielen Zuschauer aus dem Saloon und machen dann für Shorty und die beiden freigelassenen Gefangenen eine Gasse frei. Niemand sagt etwas, aber es weht der Atem von Feindschaft, von drohender Gewalt. Johnny Laredo und Ringo Duane spüren diesen Atem deutlich, und so drängen sie vorwärts und zischen dem kleinen Shorty zu: »Los, du Zwerg, wir haben es eilig! Schneller, denn wir wollen raus aus dieser verdammten Stadt! Lauf schneller, du Krummbein!«
Da bleibt der kleine Mann stehen. »Ihr kommt euch wohl wie die großen Sieger vor«, sagt er grimmig. »Aber seid da nur nicht so sicher. Mort Cabe bekommt schon noch heraus, warum Mrs Callahan so plötzlich verschwand. Und dann ...«
Er verstummt und beißt sich auf die Unterlippe, so als hätte er fast zu viel gesagt und sich im letzten Moment noch bremsen können.
Er geht weiter. Und nun folgen sie ihm schweigend. Und während er ihnen im Office gegen Quittung ihre Siebensachen aushändigt, darunter auch ihre Waffen, sattelt Sheriff Mort Cabe im Mietstall sein Pferd und verlässt bald darauf durch eine der Gassen die Stadt.
Eine halbe Stunde später durchfurtet er den Pecos und verschwindet in den Hügeln, durch die sich auch der Wagenweg windet.
Es wurde inzwischen Nachmittag. Ein heißer Tag nähert sich dem Ende.
✰✰✰
Johnny Laredo und Ringo Duane reiten bis spät in die Nacht hinein in Richtung Carrizozo in die Sacramento Mountains hinauf, an Roswell vorbei und immer nach Westen.
An einem kleinen Creek halten sie schließlich an und schlagen ein Camp auf. Da sie sich im Store Proviant gekauft hatten, beginnen sie Speck und Pfannkuchen zu braten und auch Kaffee zu kochen.
Die ganze Zeit – auch während des Rittes – schwiegen sie.
Nun aber, als sie am Feuer hocken, das Essen kauen und den heißen Kaffee schlürfen, beginnen sie endlich zu reden.
Laredo lacht leise auf und sagt dann heftig: »Schwein gehabt! Aber wo mag unser guter Lefty diese Sally Callahan hingeschafft haben?«
»Gewiss über die Grenze nach Sonora hinüber«, erwidert Duane. »Die war hübsch genug, dass er sie an ein Bordell verkaufen konnte. Der hat mit dieser Süßen nicht weniger als fünfhundert Dollar oder gar tausend Pesos verdient. Und dafür konnte er uns den Gefallen tun. Ein Glück für uns, dass er in der Stadt war, als der Sheriff uns einbrachte. Überhaupt, dieser Hurensohn von Sheriff – ich gehe jede Wette ein, dass er uns nicht geschafft hätte, wären wir in Rosa nicht so betrunken gewesen. Wir hätten auch nicht schon in Rosa anhalten sollen. Das war ein Fehler.«
Er ist kaum verstummt, da hören sie eine Stimme sagen: »Ihr macht immer wieder Fehler, denn auch jetzt seid ihr nicht weit genug geritten in der Nacht – auch diesmal war es leicht, euch zu finden.«
Sie kennen die Stimme.
Es ist Mort Cabes Stimme, und sie klirrt gnadenlos.
Nun ist es eine Weile still. Man hört nur das Knistern der Flammen an den trockenen Kakteen, die an Stelle von Holz als Brennmaterial dienen.
Dann und wann schnauben auch die Pferde in der Nähe.
»O Mann«, stöhnt Johnny Laredo schließlich, »was willst du denn noch von uns? Der Richter ließ uns laufen, nicht wahr? Und nur ein Richter kann Recht sprechen. Oder gibt es noch ein anderes Gesetz – vielleicht deines?«
»Ich konnte soeben jedes Wort verstehen«, erwidert Mort Cabe. »Ihr habt es getan, und ein Freund von euch schaffte die Zeugin der Anklage fort. Lefty heißt er. Er rettete eure Hälse. Ihr seid schuldig. Nun weiß ich es noch sicherer als vorher. Ihr habt es getan.«
»Na und? Wie willst du es beweisen, Cabe?« Ringo Duane heult es fast, so wild vor Wut ist er.
Sie erheben sich, lassen die Kaffeebecher und die zusammengerollten Speckpfannkuchen fallen. Langsam wenden sie sich Mort Cabe zu.
Ja, da steht er vor ihnen, keine sechs Schritte entfernt. Er muss hinter den Felsen, die den Creek begrenzen, hervorgekommen sein. Die Geräusche des Creeks, des Feuers und der Pferde haben seine Geräusche übertönt.
Sie staunen, denn er hat seinen Revolver im Holster, nicht schussbereit in der Faust. Als sie dies erkennen, da fühlen sie sich sehr viel besser, sicherer, ja fast schon überlegen.
Als er sie vor mehreren Tagen in dem kleinen Ort Rosa schnappte, da waren sie zu betrunken. Als sie aus dem Gasthaus kamen, konnte er sie mit dem Revolver zusammenschlagen und quer über die Sättel ihrer Pferde legen.
Hier wird es anders sein.
»Oh, du Narr von einem Sheriff, du hast heute keine Chance gegen uns«, faucht Johnny Laredo. »Heute schaffst du es nicht so wie in Rosa, als wir betrunken waren wie hundert Apachen. Hau ab, bevor wir dich von den Beinen schießen!«
Seine Stimme wurde immer böser und wilder.
Ringo Duane aber schüttelt den Kopf und beginnt zu lachen. Seine langen blonden und lockigen Haare fliegen nur so in seinem Nacken.
»Willst du wirklich hier dein eigenes Gesetz durchsetzen, nachdem ein Richter uns laufen ließ?« So fragt er höhnend.
»Ihr seid zwei gegen mich«, erwidert Mort Cabe kühl. »Und wenn ihr mich nicht schaffen könnt, dann fahrt ihr hier zur Hölle.«
Nun begreifen sie, dass er gekommen ist, um mit ihnen zu kämpfen.
Sie befinden sich diesseits des Pecos nicht mehr in seinem Distrikt. Hier hat er keine Amtsgewalt mehr. Hier hat er nur noch seinen Colt.
Und so zischen sie beide fauchend wie Wildkater und schnappen nach den Revolvern. Aber als sie die Läufe hochschwingen und die Mündungen auf ihn zu richten versuchen, da sehen sie sein Mündungsfeuer. Seine Kugeln treffen sie gnadenlos, und sie können nur noch vor sich in den Boden schießen, bevor sie fallen und tot sind.
Er verharrt einige Atemzüge lang bewegungslos, hält den noch rauchenden Colt mit der Mündung zu Boden. Mit der freien Hand wischt er sich über das Gesicht.
Erst nach einer Weile bewegt er sich und tritt zu den beiden reglos am Boden liegenden Männern. Er kniet nieder und untersucht sie. Aber es ist kein Leben mehr in ihnen. Seine Kugeln trafen sie voll.
In ihm ist Bitterkeit.
Das Gesetz, welches von Richter Parker vertreten wurde, ließ sie laufen.
Und nun holte Mort Cabes Gesetz sie wieder ein.
Ja, sie waren schuldig. Er hatte ihre Unterhaltung gehört, und so gab es keinen Zweifel mehr für ihn, dass sie schuldig waren.
Er gewährte ihnen die Gunst eines fairen Duells. Ja, es war mehr als fair, denn sie zogen zwei gegen einen. Sie hatten ihre Chance.
Als er sich erhebt, da fällt ihm wieder ein, was sie von einem gewissen Lefty erzählten, der die von ihnen missbrauchte Sally Callahan, deren Mann sie töteten, entführte und wahrscheinlich über die Grenze nach Mexiko schaffte. So konnte Sally Callahan vor dem Richter nicht gegen sie aussagen.
Dieser Lefty hatte sie vermutlich nicht nur fortgeschafft, damit sie nicht als Zeugin vor Gericht aussagen konnte. Sicher war er mit ihr noch aus einem anderen Grund unterwegs nach Mexiko: um sie dort an ein Bordell zu verkaufen.
Diese Sally Callahan ist jung und mehr als nur hübsch. Es gibt solche Bordelle in Sonora, in denen Mädchen und Frauen verschwinden und keine Chance mehr haben, zu entkommen.
Als Mort Cabe daran denkt, wird er sich darüber klar, dass er sich auf den Weg machen muss, um Sally Callahan zu retten.
Ja, er, Mort Cabe, der Sheriff von San Cielo – was so viel wie Heiliger Himmel heißt –, muss Sally Callahan vor einem schrecklichen Schicksal bewahren.
Doch erst muss er noch einmal zurück in die Stadt, um sich besser auszurüsten.
Und er wird den einbeinigen Hurtado Sanches fragen, der sich drüben in Sonora bestens auskennt und früher einmal ein Bandolero war, bevor er sein Bein verlor. Die mexikanischen Banditen raubten nicht deshalb, weil sie schlecht waren, sondern fast immer nur aus Not. Und hier, in San Cielo, reinigt Hurtado die Aborte und verrichtet andere niedrige Dienste.
Gewiss wäre er lieber noch ein Bandit gewesen. Aber sein Bein war weg.
Cabe duldet ihn in San Cielo.
Er weiß, dass er von ihm eine Menge über verborgene Städte, Camps und Bordells in Sonora erfahren wird.
✰✰✰
Drei Tage später findet er die erste Spur in El Paso, schon auf der mexikanischen Seite. Immer wieder fragte er unterwegs da und dort nach einer rothaarigen Frau, die mit einem Mann ritt, wahrscheinlich auf einem Pferd mit einem C-Brand.
Denn solch ein Tier – ein Brauner – fehlte auf der kleinen Callahan Ranch, die aus einer Siedlerstelle entstand.
In El Paso fragt er den mexikanischen Schmied, der seine halb offene Schmiede dicht am Wagenweg betreibt. Er wartet geduldig, bis der Schmied das Eisen wieder ins Feuer legt und der Junge den Blasebalg tritt, damit es erneut kirschrot glühend wird. Er hat dann kaum seine Frage gestellt, da nickt der muskulöse Schmied und spricht: »Si, Señor, dieses Paar war hier. Ich musste ein loses Hufeisen festmachen. Die rothaarige Frau war prächtig. Doch sie kaute Locoblätter. Fortwährend kaute sie Locoblätter. Die war nicht mehr richtig bei Sinnen.«
Mort Cabe weiß sofort, was der Schmied meint. Dieser Lefty hat der Entführten die Blätter eines Strauches zu kauen gegeben, mit deren Hilfe die Indios sich in einen entrückten Zustand versetzen, um ihre schlechten Lebensverhältnisse besser ertragen zu können.
»Und dabei war diese Señora so schön«, spricht der Schmied weiter. »Rote Haare und grüne Augen – aber ...«
»Und wann war das?«, unterbricht Mort Cabe ihn.
»Vor drei Stunden«, erwidert der Schmied und wendet sich ab, um das Eisen aus dem Feuer zu nehmen, bevor es sprühend wie eine Wunderkerze zu verbrennen beginnt. Denn Letzteres kann leicht geschehen, wenn man es zu lange im Feuer lässt.
Mort Cabe aber reitet weiter.
Drei Stunden nur, denkt er. Nun kann mir dieser Lefty mit ihr nicht mehr entkommen. Denn er hat einen großen Fehler gemacht, dass er Sally Callahan die roten Haare nicht unter einem Hut oder Tuch verstecken ließ. Eine Frau mit roten Haaren merkt sich jeder hier in Mexiko.
✰✰✰
Es ist noch am Abend des selben Tages, als Mort Cabe ein kleines Dorf erreicht, welches von Äckern und Feldern umgeben wird.
Man hat Feierabend gemacht.
Vor der Fonda stehen einige Pferde, die meisten mit mexikanischen Sätteln. In der Fonda werden nun die Lampen angezündet, doch hier im Freien ist das letzte Licht des Tages noch nicht gestorben.
Dann sieht er den Braunen mit dem C-Brand der kleinen Callahan Ranch.
Und so hält er an, sitzt ab und rückt seinen Hut zurecht.
Einige Müßiggänger auf der Veranda beobachten ihn. Einer, der auf dem Verandageländer hockt und mit einem Bein schlenkert, spricht warnend: »Señor, gehen Sie lieber nicht hinein.«
Cabe hält inne. »Und warum nicht, Amigo?« So fragt er freundlich.
»Es wäre nicht gut für Sie, Señor«, erwidert der Mexikaner. »Dort drinnen ist El Lobo mit seinen Muchachos. Sie haben uns rausgeworfen, weil sie das immer tun, wenn sie hier anhalten, um sich bewirten zu lassen.«
Mort Cabe nickt. »Ist eine rothaarige Señora auch dort drinnen?« So fragt er sanft.
Der Mexikaner nickt.
»Si«, sagt er. »Die kam schon vor El Lobo und dessen Muchachos hier mit ihrem Begleiter an. Er bot sie uns an für fünf Pesos die halbe Stunde. Und ihr schien das gleich zu sein. Sie begann sofort Tequila zu trinken. Nun aber gehört sie ihm nicht mehr. El Lobo und dessen Hombres werden ...«
Mort Cabe hört nicht länger zu, sondern setzt sich wieder in Bewegung.
Es geht plötzlich etwas von ihm aus, was die Männer hier auf der Veranda sofort deutlich spüren – so wie einen kalten Lufthauch.
Als er in der Fonda verschwindet, da bekreuzigt sich einer von ihnen und murmelt fast tonlos, aber dennoch für alle verständlich: »Oh, du heilige Jungfrau, was wird nun geschehen? Dieser Gringo kam auf einer Fährte her – aber auf wessen Fährte? Was wird geschehen?«
»Geh doch hinein, Roberto«, sagt ein anderer Mann, »dann wirst du es sehen und kannst es uns später erzählen.«
»Nein.« Jener Roberto schüttelt den Kopf und streicht sich über den Schnurrbart. »Nein, da gehe ich nicht hinein – nicht jetzt.«
Mort Cabe tritt indes durch die Schwingtür in den großen Gastraum der Fonda und hält nach einem weiteren Schritt inne, wartet mit leicht gesenktem Kopf, bis sich seine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt haben. Seinen Sheriffstern trägt er in der Hosentasche. Er wäre hier wertlos.
Als er sich umsieht, ist die Situation für ihn sofort völlig klar.
Jener Lefty, dessen Nachnamen er noch nicht kennt, sitzt in einer Ecke und fühlt sich ganz gewiss nicht wohl. Dies sieht man ihm an. Er dreht ständig das Glas in seinen Händen auf dem Tisch und fasst nach der Flasche, um es erneut zu füllen.
Er ist ein pockennarbiger und sommersprossiger Bursche mit sandfarbenem Haar, das schon sehr dünn wurde auf seinem Kopf. Bald wird er eine Glatze haben. Doch gewiss ist er noch nicht älter als dreißig Jahre.
Wahrscheinlich würde er lieber aufspringen und aus der Fonda laufen. Doch dann müsste er Sally Callahan aufgeben wie eine Beute oder einen geraubten Wertgegenstand.
Und so hält er aus und hofft, dass es irgendwie für ihn glimpflich abgehen wird.
Sally Callahan aber sitzt teilnahmslos neben ihm am Tisch. Auch sie hält ein Glas in der Hand, in das sie starrt.
Am langen Schanktisch stehen El Lobo und dessen Pistoleros.
Ja, sie sind eine Bande, ein wildes Rudel, das von Beute lebt. Dies sieht man ihnen unschwer an. Sie strömen die Gnadenlosigkeit eines Wolfsrudels aus.
Nun starren sie auf den eingetretenen Gringo. Sie sind alle schnurrbärtig, mit langen, zotteligen Haaren, die ihnen unter den Hüten hervor bis auf die Schultern hängen. Sie tragen gekreuzte Patronengürtel vor der Brust und an den mexikanischen Vaquero-Stiefeln gewaltige Sporen. An ihren Waffengürteln hängen Revolver und machetenähnliche Messer.
Sie sind sechs.
Aber das beeindruckt Mort Cabe nicht. Er erwidert ihre böse starrenden Blicke hart und kalt.
Dann sagt jener, den er für ihren Anführer hält: »Gringo, was willst du? Haben dir die Hombres draußen nicht gesagt, dass wir sie rausjagten? Warum kommst du dann herein?«
Nun grinst Mort Cabe, aber es ist ein Grinsen ohne jede Spur von Freundlichkeit. Es ist ein blinkendes Zähnezeigen.
Er deutet auf jenen Lefty in der Ecke. »Aber dieser da ist ja auch noch hier. Oder gehört er zu euch?«
Da schüttelt El Lobo den Kopf. Und unter seinem gewaltigen Schnurrbart blinken nun auch die Zähne. Er spricht: »Nein, der gehört nicht zu uns. Doch er hat uns seine Frau geschenkt. Das macht ihn zu unserem Freund. Deshalb darf er bleiben. Du aber gehst. Sonst erschieße ich dich.«
Als er die letzten Worte spricht, klatscht seine Hand gegen den Revolverkolben.
Im nächsten Moment ist er tot. Denn in Mort Cabes Faust ist plötzlich sein schwerer Colt. Wie durch Zauberei taucht er darin auf. Und im selben Sekundenbruchteil leuchtet das Mündungsfeuer auf, dröhnt das Krachen im Raum.
El Lobo bekommt die Kugel mitten ins Herz. Er stirbt stehend, bevor er zusammenbricht.
Seine fünf Lobos – ja, er nannte seine Hombres stets so – heulen auf vor Schrecken. Sie schnappen nach ihren Revolvern und wissen nicht, was sie tun in ihren Reflexen, welche schneller sind als ihre Gedanken.
Und sie bekommen es von zwei Seiten.