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Sie jagten mich nun schon den zweiten Tag. In der Nacht hatte ich sie etwas abschütteln können. Sie waren auf meiner Fährte zurückgeblieben, doch nicht sehr lange. Dann war die Nacht sehr hell geworden.
Mir ging es nicht gut, oh, verdammt, ganz und gar nicht.
Denn ich hatte einen Pfeil im Rücken, dessen Schaft ich nicht abbrechen konnte, sodass er ständig wippte. Überdies steckte eine Kugel in meinem rechten Oberschenkel, und ich hatte eine böse Streifwunde an der Seite wie von einem Schwerthieb.
Dass ich überhaupt noch im Sattel sitzen, mich also auf meinem grauen Wallach halten konnte, schien mir ein Wunder zu sein.
Doch ich wollte einfach am Leben bleiben.
Black Buffalo war hinter mir her, und er war ein kleiner Cheyenne-Häuptling, dem jetzt immer noch ein Dutzend Krieger folgten ...
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Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
River-City- Marshal
Vorschau
Impressum
River-City-Marshal
Sie jagten mich nun schon den zweiten Tag. In der Nacht hatte ich sie etwas abschütteln können. Sie waren auf meiner Fährte zurückgeblieben, doch nicht sehr lange. Dann war die Nacht sehr hell geworden.
Mir ging es nicht gut, oh, verdammt, ganz und gar nicht.
Denn ich hatte einen Pfeil im Rücken, dessen Schaft ich nicht abbrechen konnte, sodass er ständig wippte. Überdies steckte eine Kugel in meinem rechten Oberschenkel, und ich hatte eine böse Streifwunde an der Seite wie von einem Schwerthieb.
Dass ich überhaupt noch im Sattel sitzen, mich also auf meinem grauen Wallach halten konnte, schien mir ein Wunder zu sein.
Doch ich wollte einfach am Leben bleiben.
Black Buffalo war hinter mir her, und er war ein kleiner Cheyenne-Häuptling, dem jetzt immer noch ein Dutzend Krieger folgten ...
Am Anfang hatte er noch mehr Krieger bei sich gehabt. Einigen hatte ich die Jagd auf mich verdorben. Denn ich hatte mir zuerst den Weg freischießen müssen.
Dann musste ich meine drei Packpferde mitsamt der Pelzausbeute eines langen Jagdwinters zurücklassen. Dabei hatte ich gehofft, dass Black Buffalo sich damit zufriedengeben würde. Doch er wollte mehr, nämlich meinen Skalp.
Ich konnte ihm das nicht übel nehmen. An seiner Stelle wäre ich gewiss ebenso wild geworden und hätte seinen Skalp gewollt.
Dass er so böse und rachsüchtig wurde, lag an Maria. Ein Pater hatte sie mal so getauft. Ihr indianischer Name lautete anders.
Sie war eine Nez Percé, und Black Buffalo hatte sie weiter oben im Norden geraubt. Denn sie war sehr schön.
Aber weil sie Black Buffalo nicht mochte – was ich verstehen konnte, weil ich ihn ja kannte –, lief sie ihm fort, nein, sie ritt ihm fort auf seinem besten Pferd.
Und so tauchte sie eines Tages vor meiner Jagdhütte in den Bergen auf, irgendwo im Yellowstone-Land. Ja, ich pflegte sie zuerst wie ein Bruder, denn sie tat mir leid.
Sie war halb verhungert und krank gewesen.
Als sie dann gesund war mitten im tiefsten Winter, da wurde sie meine Gefährtin. Wir wurden ein Paar.
Doch dann im Frühling geriet sie einem Grizzly in den Weg, der nach seinem Winterschlaf hungrig aus seiner Höhle gekommen war.
Und so wurde ich »Witwer«.
Aber so war das Leben. Sie war vom Schicksal zu mir geführt worden auf ihrer Flucht und das Schicksal hatte sie mir wieder genommen.
Ich machte mich also mit meiner Pelzausbeute auf den Weg nach Fort Buford und geriet Black Buffalo in den Weg, der immer noch nach ihr suchte.
Jetzt hatte er mich fast schon. Denn lange würde ich mich nicht mehr auf meinem Wallach halten können. Er war ein gutes Pferd, doch schon ein wenig zu alt, um den Mustangs der Horde weglaufen zu können.
Ich bereitete mich innerlich darauf vor, mich zum letzten Kampf stellen zu müssen.
Da erreichte ich die Felskante über dem Yellowstone. Er floss dort unten und machte seinem Namen alle Ehre. Denn seine starke Strömung war gelb.
Mein Wallach stemmte die Vorderhufe ein und weigerte sich natürlich. Denn bis dort hinunter waren es ein Dutzend Yards.
Und so rief ich heiser auf seinen Kopf nieder: »Leb wohl, Grauer!«
Dann warf ich mich aus dem Sattel und sprang in die Tiefe.
Zum Glück kam ich mit den Füßen zuerst in den Strom, tauchte tief unter und wurde von der Strömung herumgewirbelt, tauchte irgendwann wieder auf und schnappte nach Luft. Ich kam in die Rückenlage und sah nach oben.
Dort ritt die Horde an der Kante des Steilabfalls entlang.
Black Buffalo winkte mir zu.
Er hoffte gewiss, dass ich ertrinken würde.
Denn das Wasser des Yellowstone war saukalt. Es war ja noch viel Schmelzwasser aus den Bergen heruntergekommen.
Meine Chancen waren so klein wie ein Hundefloh.
Das wusste Black Buffalo.
Deshalb war die Jagd auf mich für ihn nun beendet.
Der Strom trug mich mit einer Geschwindigkeit von fünf bis sechs Meilen in der Stunde abwärts. Aber was bedeutete das schon? Konnte ich es überhaupt länger als eine Stunde in diesem bitterkalten Wasser des Yellowstone aushalten?
Nur eines war nun besser: Der wippende Pfeilschaft war abgebrochen. Ich spürte nur noch die Pfeilspitze in meinem Rücken. Es wippte nicht mehr so schmerzvoll.
Auch die Kugel im Bein schmerzte, ebenso auch die Streifwunde.
Und alle Wunden bluteten gewiss immer noch oder wieder.
Irgendwann würde ich ausgelaufen sein.
Kam also bald das Ende meiner Tage auf dieser Erde?
Ich begriff endlich, dass ich resignieren und aufgeben wollte. Und so begann ich dagegen anzukämpfen. Verdammt, ich war kein Weichei, sondern ein harter Bursche, einer von der Sorte, die man Ironmen nannte.
Und so wurde es endlich Zeit, dass ich wieder zu kämpfen begann.
Bisher hatte es mir ein wenig geholfen, dass in meiner Lederkleidung noch etwas Luft war und mich das gelbe, schlammige Wasser noch trug.
Doch jetzt veränderte sich dieser Zustand. Ich wurde nasser und schwerer. Die Luft entwich aus meiner Kleidung, und das kalte Wasser kam auf meine Haut. Nun musste ich schwimmen und in den Strudeln und Wellen kämpfen.
Nackt hätte ich es leichter gehabt. Denn nasse Lederkleidung ist nun mal schwer.
Drüben am Ufer waren die Cheyennes nicht mehr zu sehen.
Ich war allein. Und ich wurde immer schwächer. Das war kein Wunder nach der langen Jagd, meinem Blutverlust und der Anstrengung in diesem saukalten Strom, der mich jedoch so schnell wie ein trabendes Pferd an Land abwärts trug und mich bald in den Missouri spucken würde.
Ich fühlte mich allein auf dieser Welt, so allein wie noch nie, selbst nicht in meinem Tal in der Hütte, wenn der Blizzard heulte.
Und dann hatte ich plötzlich einen guten Freund neben mir, ja, einen Freund.
Es war ein treibender Baum, der irgendwo in den Yellowstone gefallen war. Dieser treibende Baum wurde zu meinem Lebensretter. Denn meine Kraft war am Ende.
Ich schaffte es noch bis zu ihm.
Er trieb mit dem Wurzelwerk voraus. Ich zog mich auf den Stamm und blieb bäuchlings darauf liegen. Nun konnte ich mich ausruhen und meiner zunehmenden Schwäche endlich nachgeben.
Ich wusste nicht mehr, was mit mir geschah.
Erst später – sehr viel später – erfuhr ich, dass der Yellowstone mich tatsächlich in den Missouri gespuckt hatte und ich auf meinem Baum an Fort Buford vorbeigetrieben war. Niemand dort hatte mich bemerkt.
Und so war ich noch viele Meilen, unterkühlt und halb tot, ohne Bewusstsein und fast erstarrt, abwärts getrieben auf dem Big Muddy, der noch schlammiger war als der Yellowstone. Denn Big Muddy, so nannte man den oberen Teil des Missouri.
Ich erwachte an Bord eines talwärts fahrenden Steamers, der von Fort Benton herunterkam und bis nach Saint Louis wollte. Das Dampfboot war überfüllt von heimkehrenden Goldgräbern, die den harten Winter überstanden hatten, den zweibeinigen Goldwölfen mit ihrer Ausbeute entkommen waren und nun zu den Glücklichen gehörten.
Auch einige Frauen waren an Bord, die sich verkauft hatten und bald ein anderes Leben führen wollten.
Ich erfuhr, dass eine dieser Frauen es war, die mich auf dem treibenden Baum entdeckte und so der Anlass zu meiner Bergung und Rettung wurde.
Sie und ihre Freundin hatten schon in Fort Benton eine Kabine für sich gebucht. Und obwohl sie doch Huren waren, hatten sie nicht die Herzen von Huren. Sie waren mitleidige Samariterinnen. Und so legten sie mich auf eines ihrer Betten und sorgten für mich.
Irgendwann erwachte ich aus meinen Fieberträumen und erkannte dann ihre besorgten Gesichter über meinem.
Ich hörte mich nach einer Weile heiser fragen: »Seid ihr richtige Engel?«
Sie lachten zweistimmig. Dann sprach eine: »Sind wir nicht, mein Freund. Aber wir wollen irgendwann mal in den Himmel und tun deshalb Gutes an dir hier auf Erden, um unsere vielen Sünden zu tilgen.«
Sie lachten wieder zweistimmig jenes sarkastische Lachen von Frauen, denen nichts mehr fremd ist auf dieser Erde.
Dann sprach eine ernst: »Freund, wir werden dich bei der ersten Stadt ausladen, denn es ist niemand hier an Bord, der dir die Pfeilspitze und die Kugel herausholen könnte. Die nächste Stadt ist River City, eine kleine, schäbige und wilde Stadt, eigentlich nur ein Misthaufen am Strom. Doch es soll dort einen Doc geben. Der Kapitän behauptet das jedenfalls. Deine Wunden haben sich schon entzündet. Du würdest bald den Löffel abgeben müssen, bekämst du keine ärztliche Hilfe. Niemand hier an Bord wagt es, dir die bösen Dinger herauszuschneiden. Deine Lunge könnte verletzt und die Ader im Bein vielleicht aufgerissen werden.«
Ich hörte es zuletzt wie aus weiter Ferne.
Als ich irgendwann wieder erwachte, mein Blick wieder klarer wurde und die Schwärze dem Licht wich, da sah ich wieder ein Frauengesicht über mir – diesmal nur eines.
Und es war ein wunderschönes Gesicht, dies begriff ich sofort.
Wir sahen uns eine Weile schweigend an.
Dann lächelte das Gesicht, und eine melodische Stimme sprach auf mich nieder: »Jetzt geht es aufwärts. Sie haben es überstanden. Die entzündeten Wunden beginnen zu heilen. Haben Sie Hunger?«
Ich musste erst eine Weile nachdenken. Und dabei fühlte und lauschte ich in meinen Körper hinein.
Schließlich versuchte ich zu sprechen und schaffte es beim dritten Versuch, hörte mich mit misstöniger Stimme fragen: »Wie lange liege ich schon hier? Und wer sind Sie – vielleicht ein Engel?«
Wieder gebrauchte ich das Wort Engel. Doch das war mir in diesem Zeitpunkt nicht bewusst. Erst als sie lachte, begann ich mich schwach daran zu erinnern, dass schon mal Frauen über meine Frage, ob sie Engel wären, gelacht hatten.
Diese da, die auf mich niederblickte, hatte grüne Augen. Und ihr Haar leuchtete wie Rotgold.
»Nein«, sagte sie, »ich bin kein Engel. Mein Name ist Daisy Hackett, und diese Stadt bezahlt mich, damit ich Sie pflege. Sie lagen eine ganze Woche im Wundfieber, nachdem der Doc Ihnen die Pfeilspitze aus dem Rücken und die Kugel aus dem Bein herausgeholt hatte. Die tiefe Streifwunde musste genäht werden. Und überdies hatten Sie eine Rippe angebrochen. Haben Sie Hunger?«
Sie fragte es zum zweiten Mal.
Und nun spürte ich tatsächlich meinen Hunger und erwiderte: »Ich könnte einen ganzen Büffel vertilgen. Mein Name ist Hallaran, Pierce Hallaran. Ich bin Ihnen sehr dankbar, Lady.«
Sie lächelte wieder ihr wunderschönes Lächeln, welches ihr Gesicht so lebendig und noch schöner machte, als es ohnehin schon war.
Und so fragte ich: »Muss ich Mrs oder Miss Hackett zu Ihnen sagen?«
»O Vater im Himmel«, erwiderte sie. »Soeben sind Sie von den Toten auferstanden, und schon wollen Sie wissen, ob ich verheiratet oder ledig bin. Haben Sie keine anderen Sorgen?«
Sie erhob sich vom Bettrand und verschwand.
Weil ich ihr nachsah, konnte ich erkennen, wie prächtig sie gewachsen war und wie leicht sie sich bewegte.
Und so war ich plötzlich froh, dass ich noch am Leben war, noch froher als ohnehin. Denn das Leben hatte trotz aller Not und Schwärze doch auch schöne Momente.
Aber dann fiel mir wieder ein, was für ein armer Hund ich war.
Ich hatte alles verloren bis auf mein Leben.
Und wenn ich wieder gesund war, würde ich tief in der Schuld einiger Leute stehen.
Mir fiel wieder ein, dass Daisy Hackett sagte, sie würde von der Stadt für meine Pflege bezahlt. Also war sie auf Verdienst angewiesen, obwohl sie so wunderschön aussah und sich gewiss jeden reichen Mann hätte angeln können.
Doch ich wusste, es gab Frauen, die wollten das nicht.
Und so wanderten meine Gedanken, indes ich flach lag und der Hunger mich von innen auffressen wollte. Ja, dieser Hunger wurde immer stärker. Mein Körper lechzte nach Säften, die er in Kräfte umwandeln konnte.
Sie ließ mich nicht lange warten und kam mit einer Schüssel herein.
Als sie wieder auf dem Bettrand saß, sagte sie: »Pierce Hallaran, ich muss Sie füttern, denn Sie müssen noch still liegen. Die Wunden könnten sonst wieder aufbrechen. Also machen Sie den Mund auf. Es ist eine gute und kräftige Fleisch- und Mehlsuppe mit Kräutern, eine Schonkost vorerst. Einen Büffel könnten Sie längst noch nicht verspeisen. Waren Sie Pelzjäger? Ihre Lederkleidung – ich musste sie wegwerfen – ließ darauf schließen. Und die Pfeilspitze deutet darauf hin, dass Sie Indianern knapp entkommen konnten.«
Bevor ich etwas erwidern konnte, schob sie mir den gefüllten Löffel in den Mund. Ich schluckte, und wir waren eine Weile mit meiner Fütterung beschäftigt.
Aber die ganze Zeit sah ich in ihre grünen Augen.
Schließlich konnte ich endlich sagen: »Ja, Black Buffalo war mit einer Horde hinter mir her. Er nahm mir meine Pelzausbeute und die drei Packpferde ab. Die Pelze waren zwischen fünf- und siebentausend Dollar wert. Es waren besonders prächtige Pelze.«
Sie erhob sich mit der nun leeren Schüssel in den Händen.
Dann sprach sie mit einem Klang von verächtlichem Mitleid in der Stimme: »Wie kann man nur stolz auf prächtige Pelze sein, wenn man die Tiere zuvor töten musste, um sie bekommen zu können.«
Mit diesen Worten ging sie hinaus.
Ich aber war plötzlich sehr müde. Das Essen in mir musste verdaut werden. Und so schlief ich wieder ein.
✰✰✰
Eine Woche später wusste ich besser Bescheid – über Daisy Hackett, über die Stadt und eine Menge Dinge mehr.
Daisy war eine junge Witwe.
Ihr Mann war einer dieser wagemutigen Steamer-Kapitäne gewesen.
Aber sein Dampfboot war in die Luft geflogen, weil er ein freier Kapitän und Eigner bleiben wollte und sich dem mächtigen Trust nicht unterwarf, der das Monopol anstrebte auf den Handel auf dem Strom und zu seinen beiden Seiten.
Sie hatten Holzscheite ausgehöhlt und mit Sprengpulver gefüllt.
Und so waren die ohnehin mit gewaltigem Dampfdruck gefüllten Kessel der »Beauty Daisy« in die Luft geflogen.
Nur wenige Passagiere überlebten, darunter auch Daisy.
Sie war eine arme Witwe geworden und blieb in der Stadt hängen, eröffnete einen Schneiderladen und half immer wieder dem versoffenen Doc.
Aber diesen Doc mochte ich eigentlich – und nicht nur, weil er mich am Leben erhielt, obwohl er auch an jenem Tag, als sie mich zu ihm brachten, betrunken gewesen war. Er strömte nämlich etwas aus, was man nicht so einfach beschreiben konnte. Es schien mir aber so etwas wie Nachsicht für diese Welt und die Menschheit zu sein, so wie ein Vater sie für Kinder empfindet, weil er erkannt hat, dass sie nicht wissen, was sie tun, und er das nicht zu ändern vermag.
Nun, es vergingen etwa zwei Wochen. Dann endlich konnte ich mich mithilfe eines Stockes auf den ersten Weg durch die kleine Stadt am Strom machen.
Ich war verdammt dünn geworden. Mir fehlten etwa zwanzig Pfund an Gewicht.
Daisy Hackett hatte mir neue Kleidung besorgt, die mir einigermaßen passte. Es war Kleidung, wie Flößer oder Flussschiffer sie trugen. Und so sah man mir äußerlich nicht an, dass ich eigentlich ein Pelztierjäger war.
Ich stand immer tiefer in der Schuld dieser Stadt und fragte mich manchmal, wie ich diese Schuld begleichen konnte.
Denn noch niemals in meinem Leben war ich jemandem etwas schuldig geblieben, sei es im Guten oder im Bösen. Stets zahlte ich alles zurück.
Und so passte es mir von Tag zu Tag weniger, dass ich einem kranken Hund glich, der nun langsam wieder gesund wurde und zu Kräften kam, weil mitleidige Seelen ihn nicht verrecken ließen.
Ich verhielt einen Moment vor Daisy Hacketts kleinem Haus, in dem ich eine Kammer bewohnte. Vorn befand sich die kleine Schneiderstube mit dem Laden. Im Schaufenster lagen Hemden und Hosen, die von Daisy hergestellt worden waren.
Ich wandte mich nach links und kam zum Generalstore von Paul Brownsfield. Er war klein, aber sehr stämmig und hatte eine Glatze. Er stand in der offenen Tür und rauchte eine Zigarre.
Wir sahen uns an und nickten uns zu.
Er sagte schließlich: »Na, es geht ja schon wieder einigermaßen – oder?«
Ich nickte nur.
Da fragte er: »Wollen Sie etwas? Tabak vielleicht, auch Blättchen? Oder ... «
Er brach ab, weil ich den Kopf schüttelte und dann sagte: »Meine Schulden hier in dieser Stadt sind schon groß genug. Ich möchte sie nicht unnötig größer werden lassen. Und ich frage mich ständig, warum diese Stadt so nobel zu mir ist. Liegt es daran, dass ihr hier besonders gute Christenmenschen seid? Oder seid ihr mal so große Sünder gewesen, dass ihr euch Sorgen macht, nicht in den Himmel zu kommen und deshalb ... «
Er hörte nicht länger zu, sondern wandte sich ab, verschwand im Store und knallte die Tür hinter sich zu.
Und da stand ich nun und begann zu begreifen, dass ich mit meinen Worten wie mit einem Bohrer auf einen Nerv gestoßen war.
Was war mit dieser Stadt los?
Daisy Hackett hatte nicht mit mir darüber gesprochen. Wenn es hier ein Geheimnis gab, dann hatte sie es die ganzen zwei Wochen vor mir verborgen.
Und dabei verstanden wir uns doch eigentlich ganz gut. Für mich war sie eine Krankenpflegerin gewesen, der ich zu Dank verpflichtet war. Und wäre ich gesund und kein kranker Hund gewesen, hätte ich ihr den Hof gemacht. Ja, sie war genau die Frau, von der ich manchmal träumte und glaubte, dass es sie gar nicht gab auf dieser Erde.
Ich ging weiter und gelangte zur Sattlerei.
Der Sattler saß vor der Tür und arbeitete an einem Sattel, dessen Innenpolster besonders sorgfältig eingenäht werden musste.
Er sah zu mir hoch und grinste mich dann stoppelbärtig an.
»Glück gehabt«, sagte er.
Ich nickte und kam dann sofort mit meinen ersten Worten zur Sache, denn ich fragte: »Warum seid ihr alle hier in River City so gute Christenmenschen in dieser erbarmungslosen Welt?«
Er starrte mich eine Weile böse an. Sein Gesicht war eine harte Maske und wirkte verschlossen.
»Mann«, knurrte er dann, »das sollte Ihnen doch scheißegal sein. Hauptsache, wir ließen Sie nicht verrecken. Und damit Sie keine Schuldgefühle bekommen, sage ich Ihnen: Sie sind River City nichts schuldig – gar nichts!«
Die letzten Worte stieß er trotzig und wütend hervor.
Was sollte ich ihm erwidern? Jedes Wort wäre sinnlos gewesen. Das spürte ich genau.
Also ging ich weiter und wusste zugleich, dass es in dieser oder mit dieser Stadt ein Geheimnis gab.
Nun, ich humpelte und hinkte also weiter durch die kleine Stadt. Man nickte mir überall freundlich zu, wechselte Worte mit mir und ließ mich spüren, dass man sich über meine Genesung freute, so als wäre ich ein Bruder oder guter Freund, ein Bürger in ihrer Gemeinschaft und kein Fremder, den ein Steamer ausgeladen hatte, um nicht länger für ihn verantwortlich zu sein.
Ich machte auch nicht wieder den Fehler, jene Fragen zu stellen, die ich schon zweimal gestellt hatte.
Ich gelangte nun an den Uferweg, welcher hoch über dem Strom lag. Abfahrten führten zu den Landebrücken hinunter, welche so konstruiert waren, dass sie bei Hochwasser ebenfalls hochstiegen. Und die Stadt war so hoch oben erbaut, dass auch das schlimmste Hochwasser die Häuser nicht erreichen konnte.