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Ich stieß einen Pfiff aus, als ich das Mädchen zum Store eilen sah. Das volle, weizengelbe Haar und die braunen Augen erregten meine Bewunderung. In diesem Augenblick wäre ich gern der Storekeeper gewesen. Ich hätte mich nicht so abweisend und breitbeinig vor der Ladentür aufgebaut.
»Dir verkaufe ich keinen Hufnagel, schon gar nicht auf Kredit, Nancy Britt!«, rief er unfreundlich und drängte das Mädchen von der Tür.
Das Mädchen öffnete die Hand, hielt dem Grobian mehrere Dollars unter die Nase und entgegnete unerschrocken: »Mister, wenn Sie mir nichts verkaufen, hole ich den Sheriff, und der schließt dann Ihren Laden!«
Der Keeper lief rot an und keuchte: »Sag deinem Vater, ihr sollt hier verschwinden, sonst wird Hank Ringloke euch helfen, dieses County rasch zu verlassen.«
Das Mädchen schien zuerst entgeistert von der Drohung des Mannes, doch dann explodierte es und schleuderte dem Storekeeper die Dollars ins Gesicht ...
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Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Golden Gulch
Vorschau
Impressum
Golden Gulch
Ich stieß einen Pfiff aus, als ich das Mädchen zum Store eilen sah. Das volle, weizengelbe Haar und die braunen Augen erregten meine Bewunderung. In diesem Augenblick wäre ich gern der Storekeeper gewesen. Ich hätte mich nicht so abweisend und breitbeinig vor der Ladentür aufgebaut.
»Dir verkaufe ich keinen Hufnagel, schon gar nicht auf Kredit, Nancy Britt!«, rief er unfreundlich und drängte das Mädchen von der Tür.
Das Mädchen öffnete die Hand, hielt dem Grobian mehrere Dollars unter die Nase und entgegnete unerschrocken: »Mister, wenn Sie mir nichts verkaufen, hole ich den Sheriff, und der schließt dann Ihren Laden!«
Der Keeper lief rot an und keuchte: »Sag deinem Vater, ihr sollt hier verschwinden, sonst wird Hank Ringloke euch helfen, dieses County rasch zu verlassen.«
Das Mädchen schien zuerst entgeistert von der Drohung des Mannes, doch dann explodierte es und schleuderte dem Storekeeper die Dollars ins Gesicht ...
»Die Bezahlung für Ihre Warnung!«, rief es empört. »Sie wagen es, uns mit diesem Revolverhelden zu drohen, der schon einige Siedler auf dem Gewissen hat?« Lange aufgespeicherter Groll brach aus Nancy Britt hervor. »Ja«, rief sie, »wir kennen diesen Ringloke! Die Rinderzüchter haben ihn angeworben, obwohl sie das natürlich abstreiten. Und weil mein Vater zum Sprecher und Anführer der Siedler gewählt wurde, steht er wahrscheinlich an erster Stelle auf Ringlokes Liste. Aber mein Vater ist unbewaffnet. Das wissen alle. Selbst ein Mann wie Ringloke wird sich davor hüten, einen unbewaffneten ...«
Sie verstummte jäh. Ihre Augen weiteten sich vor Schrecken.
Der Storehalter und ich sahen wie sie zur anderen Straßenseite hinüber.
Schräg gegenüber lag die Filiale der Nebraska-Bank. Dort war ein Mann aufgetaucht, den ich kannte, der Siedler Tom Britt. Das Mädchen war seine Tochter.
Tom Britt sah aus wie fast alle Siedler: arm, etwas krumm von der schweren Arbeit und müde. Sein müdes Aussehen hing wohl damit zusammen, dass er soeben vom Bankleiter eine Absage wegen eines Kredites erhalten hatte.
Aber plötzlich straffte er sich, stieß die geballte Linke in den rechten Handteller und machte eine Schulterbewegung, als wollte er ausdrücken: Na schön, dann schaffen wir es eben ohne die Hilfe dieser lausigen Bank.
Er kam über die staubige Fahrbahn und ging zu dem leichten Wagen, der etwa zwanzig Schritte vom Storeeingang entfernt am Rand des Gehsteigs abgestellt war.
Vor den Wagen war ein typisches Siedlerpferd, ein Zwanzig-Dollar-Gaul, eingespannt. Es war ein Tier, das auch den Pflug ziehen musste und gleichzeitig als Reittier diente.
Tom Britt beachtete uns nicht. Wahrscheinlich hatte er schon begriffen, dass man seiner Tochter im Store nichts verkaufte. Er erwartete wohl, dass sie kommen würde, sobald er auf dem Fahrerbock saß.
Er band das Pferd vom Haltebalken los, als plötzlich ein Mann auftauchte. Er kam um einen Wagen herum und rief: »He, Mister!«
Ich hielt Nancy Britt zurück, die davonstürzen wollte. Sie wehrte sich etwas, aber sie war noch so zart, dass ich sie mühelos halten konnte.
»Das ist Hank Ringloke«, sagte ich. »Deinem Vater wird es nicht recht sein, wenn du ihm jetzt dazwischenkommst. Und wenn er unbewaffnet ist, brauchst du dir ja keine Sorgen um ihn zu machen. Selbst ein Schießer wie Hank Ringloke kann ihm dann nichts tun.«
Das Mädchen hörte auf, sich zu wehren.
Wir standen da und sahen schweigend zu. Nur der Storehalter neben uns schnaufte schwer, vielleicht weil er besser wusste als das Mädchen und ich, was nun kommen würde.
Tom Britt wandte sich dem Revolverhelden zu.
»Meinen Sie mich, Mister?«, fragte er höflich.
»Sicher«, antwortete Hank Ringloke und grinste. »Es ist wegen des Pferdes«, fügte er hinzu. »Das Tier wurde mir vor einiger Zeit gestohlen. Ich muss Sie für den Dieb halten, Mister. Wissen Sie, was ich mit einem Pferdedieb mache?«
Tom Britt stand steif und still.
Dann erwiderte er: »Ich bin unbewaffnet. Und ich kann beweisen, dass ich dieses Tier ordnungsgemäß kaufte. Ich habe sogar noch den Kaufvertrag in der Jackentasche. Hier ...«
Er unterbrach sich und griff in die Innentasche seiner Jacke.
Da krachte auch schon der Schuss. Hank Ringloke hatte zauberhaft schnell gezogen und geschossen.
Tom Britt brachte seine Hand gar nicht mehr aus der Tasche, so schnell starb er. Er machte einen Schritt nach vorn und fiel vor Hank Ringlokes Füße.
Nancy Britt neben mir schrie wie verrückt. Als sie sich von mir losriss, ließ ich sie laufen. Sie rannte zu ihrem toten Vater und kniete neben ihm nieder.
Ich aber starrte auf Hank Ringloke. Er hielt den rauchenden Colt noch in der Hand und sah zu mir und dem Storehalter hinüber.
»Ihr habt es gesehen, nicht wahr?«, fragte er kalt. »Und auch gehört. Als ich ihn des Pferdediebstahls bezichtigte, griff er nach seiner Waffe. Ich musste ihn erschießen. Was macht man sonst mit einem gestellten Pferdedieb, der zur Waffe greift?«
Ich sah den Storehalter an. Er war Stadtrat und sang im Kirchenchor, wenn in der großen Scheune des Frachtwagenhofes Gottesdienst gehalten wurde. Er war ein geachteter Mann.
Jetzt sah er starr auf Hank Ringloke und bestätigte wie ein gehorsamer Junge.
»So war es, Mister. Sie nannten ihn einen Pferdedieb, und er griff in die Tasche. Sie mussten glauben, dass er mit einem Derringer durch seine Jacke schießen würde. Ja, das kann ich bezeugen.«
Hank Ringloke grinste freudlos. Er war sandfarben und hager wie ein Wüstenwolf. Man konnte sich auf den ersten Blick in ihm täuschen, bis man in seine Augen sah. Dann wusste man Bescheid.
Er wandte sich an mich. »Und du, Junge?« Ich war schon so groß wie er, doch gewiss noch fünfzig Pfund leichter.
»Sie haben ihn ermordet«, sagte ich. »Er hatte keine Waffe, und er sagte das auch. Er wollte Ihnen den Kaufvertrag für das Pferd zeigen. Sie hatten keinen Grund, daran zu zweifeln. Es war Mord! Ich werde das meinem Vater berichten.«
»Und wer ist dein Vater, Junge?«, fragte er lässig, wobei er schief lächelte.
»Der Sheriff«, bekannte ich stolz, denn ich bildete mir viel auf meinen Vater ein.
Hank Ringlokes Lächeln gefror augenblicklich.
Er höhnte: »Sag es ihm nur, Junge, und du wirst bald keinen Vater mehr haben. Sag es ihm nur. Bill Shannon hat keinen schlechten Namen als Revolverkämpfer, ich weiß. Doch er ist alt. Gegen mich hat er keine Chance. Du hast es in der Hand, Junge, ob dein Vater sterben oder leben wird.«
Nach diesen Worten ging er.
Er verschwendete keinen Blick mehr auf den Mann, den er getötet hatte.
Ich sah auf Nancy Britt, die mit zuckenden Schultern im Staub kniete. Langsam ging ich zu ihr. Als ich mich neben sie hocken wollte, sah ich meinen Vater kommen.
Hank Ringloke war im Saloon verschwunden.
Mein Vater hatte den etwas schwerfälligen, stelzbeinigen Gang eines Mannes, der im Sattel daheim ist. Er hatte schon an vielen Orten den Stern getragen und hatte für die Eisenbahn und für Wells Fargo gearbeitet.
Als er auf uns zukam, fiel mir erst richtig auf, wie grau er geworden war. Ich hörte Hank Ringloke wieder sagen: »... doch er ist alt. Gegen mich hat er keine Chance. Du hast es in der Hand, Junge, ob dein Vater sterben oder leben wird.«
Da überfiel mich plötzlich Furcht.
Es liefen natürlich auch andere Leute herbei. Nachdem Ringloke im Saloon verschwunden war, wagten sie es.
Die Anwesenheit des Sheriffs ermutigte sie zu diskutieren. Ein paar mitleidige Frauen nahmen sich des weinenden Mädchens an.
Ich hörte meinen Vater fragen: »Wer war Augenzeuge? Sie, Storeman?«
Der Storehalter nickte, schluckte und sah einen Moment unsicher auf mich.
Und dann hörte ich ihn lügen, wie es Hank Ringloke von ihm verlangt hatte. Mein Vater hörte schweigend zu.
Dann untersuchte er den Toten.
Als er sich aufrichtete, stellte er fest: »Aber der Siedler hatte keine Waffe bei sich.«
»Er griff jedoch in die Tasche«, erwiderte der Storehalter gereizt, wandte sich um und verschwand in seinem Laden.
Mein Vater blickte mich an.
Ich schwieg.
Aber dann fragte er vor allen Leuten: »Cash, du bist mein Sohn. Sag mir die Wahrheit! Wie war es?«
Ich zögerte und musste würgend schlucken.
Aber dann loderte der wilde Zorn in mir hoch. Ich kannte ja die Feigheit der Menschen noch nicht.
Ich hörte mich wild und heftig sagen: »Es war Mord, richtiger Mord! Der Storehalter ist eine feige Ratte. Er hat genau das gesagt, was Ringloke ihm befohlen hat. Ringloke beschuldigte den Siedler, ihm ein Pferd gestohlen zu haben. Der Mann sagte, dass er unbewaffnet wäre und außerdem den Kaufvertrag zeigen könnte. Er wollte das Papier aus der Tasche holen. Da erschoss ihn dieser Mörder. Und wenn du dir das bieten lässt, dann ist ...«
»Schon gut, Cash«, beschwichtigte mich mein Vater. Er wandte sich um und ging zum Saloon hinüber, in dem Hank Ringloke verschwunden war.
Ich aber wandte mich an die Umstehenden.
»Lasst ihr ihn allein gehen? Los doch, steht ihm bei! Es ist eure Stadt. Dieser Mord geht euch alle an. Mein Vater braucht eure Hilfe. Nun geht doch schon mit ihm! Hank Ringloke ist ein besonders gefährlicher Revolverheld. Er hat vor unseren Augen einen Mord begangen und ...«
Sie gingen – aber nicht hinter meinem Vater her. Sie verschwanden alle dort, von wo sie gekommen waren.
Ich lief meinem Vater nach, aber ich kam nur bis zum Eingang des Saloons.
Schüsse krachten.
Mein Vater kam rückwärts heraus.
Er schwankte, der Colt entfiel ihm und polterte auf die Bretter des Gehsteiges. Er taumelte rückwärts bis zu einem Stützbalken des vorgebauten Obergeschosses. Daran lehnte er sich. Er stöhnte schmerzvoll.
Ich sah das Blut auf seinem Hemd und die beiden Einschusslöcher dicht beim Herzen.
Er schaute mich an und wollte noch einmal zu mir sprechen. Aber er konnte es nicht mehr.
Er starb und fiel vor meine Füße.
Ich bückte mich nach dem Colt und stürmte in den Saloon. Als ich durch die Schwingtür kam und mit wilden Augen nach Ringloke suchte, flog eine Flasche durch die Luft und traf meinen Kopf. Während ich zu Boden ging, hörte ich noch wie aus weiter Ferne eine Stimme tönen: »Das ist wohl besser für den Jungen.«
✰✰✰
Ich war einige Tage krank. Durch die Flasche hatte ich eine Gehirnerschütterung bekommen, die mich lange zwischen Bewusstlosigkeit und Dämmerzustand schwanken ließ. Als ich zu begreifen begann, was geschehen war, wurde ich noch mal krank. Ich bekam Fieber und träumte immer wieder die gleiche Szene. Ich sah meinen Vater sterben und erlebte, wie er zu mir sprechen wollte und es nicht mehr konnte. Und ich hörte mich diese lausige Stadt Sundown Valley anklagen und beschimpfen.
Nach einer guten Woche kam ich endlich wieder in Ordnung. Die Frau meines Meisters hatte sich um mich gekümmert und mich in eine Kammer ihres Hauses legen lassen. Aber sie konnte mir nur leibliche Pflege geben. Ich stand allein. Denn meine Mutter war schon vor Jahren gestorben.
Ich hätte damals jemanden gebraucht, mit dem ich über diese lausige Welt und über ihre armseligen Menschen hätte reden können. Mir hätte jemand erklären müssen, warum die Menschen so feige waren, nur an sich selbst dachten, heuchelten und logen. Warum sie meinen Vater im Stich gelassen hatten.
Auch mein Meister sprach nicht mit mir darüber, als ich nach einer Woche wieder in der Werkstatt zu arbeiten begann. Doch er konnte mir nicht mehr in die Augen sehen.
Mir machte der Beruf eines Waffenschmiedes und Büchsenmachers keine Freude mehr. Ich verachtete die Stadt und ihre Menschen viel zu sehr, um hier noch länger leben zu können.
Die Stadt hatte inzwischen einen neuen Sheriff. Er war ganz und gar ein Mann der mächtigen Rinderzüchter, die sich zu einer Vereinigung zusammengeschlossen hatten und von Pierce Ives, der die größte Ranch besaß, angeführt wurde. Eigentlich waren sie nur seine Vasallen, die sich ihm bis in die Hölle und zurück verschrieben hatten.
Sie hatten inzwischen ihr Ziel erreicht. Auch die letzten mutigen Siedler waren nach dem Mord an Tom Britt fortgezogen.
Auch der Revolverheld und Mörder Ringloke war unbehelligt geblieben. Er hatte seinen Auftrag erfüllt, war gewiss reich belohnt worden und irgendwohin verschwunden.
Die Siedler aber wussten, dass die mächtigen Rinderleute immer wieder solche Mörder bezahlen konnten, und verließen deshalb das County.
Als ich eines Abends zum Friedhof ging, sah ich das Mädchen wieder.
Nancy Britt stand am Grab ihres Vaters. Sie bemerkte mein Kommen nicht. Da die Gräber unserer Väter dicht beisammen lagen, musste ich mich ihr nähern. Als ich nahe genug war, hörte ich sie sprechen. Ich verhielt, wollte hüsteln oder ein anderes Geräusch machen, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Aber dann konnte ich nicht anders. Ich musste lauschen.
Das Mädchen sagte: »Ich gehe fort, Vater, weit fort. Ich stehe jetzt zum letzten Mal an deinem Grab. Ich will nicht länger in einer Stadt bleiben, die deinen Mörder ungestraft fortreiten ließ. Ich will auch nicht länger als eine arme Waise gelten, der man aus Mitleid oder Schuldbewusstsein Obdach und Arbeit im Hotel gibt. Ich will nicht so werden wie meine Mutter, die einen armen Burschen heiratete, der dann auf die Idee kam, im Westen als Siedler sein Glück zu versuchen. Als ich noch klein war, Vater, erzähltest du mir die Geschichte von der Golden Gulch, von jener geheimnisvollen Schlucht, die mit Gold gefüllt wäre und die es nur zu finden gelte, wollte man reich und glücklich sein. Nun, ich will mich auf den Weg machen, um diese Golden Gulch zu finden. Ich will damit sagen, Vater, dass ich begriffen habe, wie man versuchen soll, sein Glück zu machen. Ich gehe in dieser Nacht. Ich werde ein Pferd stehlen und fortreiten.«
Nach diesem Schwur wandte sie sich um, sah mich und erschrak. Sie stand einen Moment starr da, nagte an ihrer Unterlippe und betrachtete mich fest. Mir fiel auf, dass sie in den vergangenen zwei Wochen älter und reifer geworden war.
Sie wirkte jetzt wie sechzehn.
Ich staunte. Wie schnell konnte sich doch ein Mädchen in ihrer Situation verändern.
Dann hörte ich sie sagen: »Du wirst mich nicht verraten, Cash Shannon, nicht wahr? Du bist der Sohn des einzigen Ehrenmannes hier. Ich achte ihn. Aber diese Stadt, die ihm den Stern gab, verriet ihn. Du musst doch die Menschen hier nicht weniger verachten als ich – oder?«
Ich sah sie an und nickte.
»Wir fliehen zusammen«, sagte ich. »Und wir brauchen nicht mal Pferde zu stehlen. Mein Vater besaß zwei. Wir treffen uns unten am Friedhofshügel um Mitternacht. Ich bringe die Pferde. Willst du ein Stück mit mir reiten?«
»Ein Stück nur«, entgegnete sie und betrachtete mich nachdenklich. »Du konntest mich vorhin belauschen. Du weißt, dass ich eine Golden Gulch finden will. Du bist zu jung für mich – viel zu jung. Du wirst dich noch lange von Burschen herumstoßen lassen müssen, die mir vielleicht schon die Füße küssen. Ich hatte eine Tante, die war viele Jahre die Königin in jedem Tingeltangel. Ich erbte ihr Tagebuch, als sie vor einem Jahr mit einem reichen Mann für immer nach Europa fuhr und dort drüben ein neues Leben begann. Sie sandte mir ihr Tagebuch, damit ich nicht so dumm bleiben sollte wie ihre Schwester, meine Mutter. Ich weiß, wie man es machen muss. Hast du mich verstanden?«
Ich nickte und schluckte mühsam.
Ja, ich war ein oder zwei Jahre älter als sie, doch sie hatte mir eine Menge voraus.
✰✰✰
An diesem Abend sah ich jenen Mann, den ich für alles verantwortlich machte: Pierce Ives. Er war der größte Rancher im Land. Er gab die Befehle. Er leitete die Rinderzüchtervereinigung. Selbst die größeren seiner Nachbarn fürchteten ihn.
Pierce Ives war unter den Großranchern ein noch ziemlich junger Mann, kaum mehr als dreißig Jahre alt. Bei seinem Anblick dachte man sofort an einen prächtigen Löwen. Er war schon äußerlich ein beachtlicher Bursche.
Als ich ihn sah, saß er mit seinem Vormann und drei Ranchern im Saloon beim Poker. Mein Meister, der eine dringende Arbeit erledigen musste, die bis in die Nacht dauern würde, hatte mich mit einem Krug in den Saloon nach Bier geschickt.
Es waren nur wenige andere Gäste im Raum. Der Betrieb war noch nicht richtig in Gang gekommen.
Als ich am Tisch der Pokerspieler vorbei musste, sah ich auf Pierce Ives. Er musste meinen Blick gespürt haben, denn er blickte von seinen Karten auf. Ich konnte nicht anders, ich musste stehen bleiben und ihn anstarren.
Er fragte: »Bist du der kleine Shannon?«
Ich nickte. »Cash Shannon ist mein Name«, sagte ich langsam. Meine Stimme war rau und schon sehr männlich. »Der Sheriff, auf den Sie Hank Ringloke hetzten, war mein Vater. Eines Tages, Mister, werden Sie dafür bezahlen. Darauf können Sie wetten. Männer wie Sie, die durch Revolverhelden die schmutzige Arbeit verrichten lassen, muss man bestrafen. Dann können Sie keinen Revolverlohn mehr zahlen.«
Ich schaute ihn immer noch an. Was ich sagte, drückte meine Gefühle nur unvollkommen aus. Aber er erkannte in meinen Augen alles.
Einen Moment sah es so aus, als wollte er zornig werden, böse und gemein, wie es seine Art war, wenn jemand es wagte, ihm so zu kommen wie ich.
Aber dann lächelte er seltsam.
»Sicher«, sagte er, »Bill Shannons Sohn kann nicht anders sein. Ich wäre an deiner Stelle auch so. Aber du wirst schon noch klüger werden, Junge. Und dann wirst du begreifen, was für einen Blödsinn du eben geredet hast. Du hast Glück, Junge, dass du noch so jung bist, und ich berücksichtige, dass du deinen Vater verloren hast, den ich achtete und schätzte. Bill Shannon war ein Mann. Aber er hatte das Pech jedes Revolverkämpfers. Einmal verliert jeder.«
Ich nickte.
»Sie auch«, sagte ich. »Das gilt auch für Sie. Ich bin jetzt sechzehn. In acht Jahren werde ich Sie töten, Mister. Sie brauchen sich nicht vor einer Kugel aus dem Hinterhalt zu fürchten. Ich werde Ihnen gegenübertreten. Sie werden gegen mich die gleiche Chance haben wie mein Vater gegen Hank Ringloke. In acht Jahren etwa ...«
Ich trat an den Schanktisch. Der Barmann füllte wortlos den Krug.
Als ich wieder ging, sagte Pierce Ives: »Einen Moment noch, Cash.«
Ich blieb stehen.
Er betrachtete mich nachdenklich.
»Warum hältst du dich nicht an Hank Ringloke?«, fragte er.
»Sie bezahlten ihn«, erwiderte ich. »Er war nur ein wilder Bursche, der seinem Herrn gehorchte. Natürlich werde ich auch ihn töten. Doch es gibt viele von seiner Sorte. Ein Mann wie Sie, Mister, würde immer wieder welche finden und durch sie morden lassen. Von Ihnen geht das Böse aus.«
»Das ist deine fixe Idee, Cash«, murmelte er. Aber er war zu stolz und fühlte sich zu groß und zu mächtig, um abzustreiten, was ich behauptete.
»Ich werde dich in acht Jahren wieder erkennen«, sinnierte er. »Du wirst deinem Vater dann sehr ähnlichsehen. Ein dunkelhaariger Mann mit grünen Augen und einer scharfen Nase über einem breiten Mund. Ja, so wirst du aussehen.«
Ich ging wortlos hinaus.