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Die fünf Reiter kommen aus dem tiefen Schatten einer der engen Schluchten und halten kurz vor deren Ausgang an. Jeder führt ein Packpferd mit sich.
Vor ihnen liegt die weite Ebene. Und jenseits dieser Ebene muss die Grenze zum Arizona-Territorium sein.
Doch auch jenseits dieser Grenze - das wissen sie genau - wird es keine Sicherheit für sie geben. Auch dort im Norden jenseits der Grenze sind sie noch längst nicht entkommen.
Nun starren sie mit schmalen Augen über die hitzeflimmernde Ebene. Sie lassen sich nicht täuschen. Auf dieser Ebene gibt es tausend verborgene Winkel. Da sind Senken, Arroyos, Kakteengruppen, Felsen, Bodenwellen. Und überall können tödliche Gefahren lauern.
Die fünf Reiter kennen alle Zeichen. Sie sind erfahren in diesem Land. Und ihre unguten Ahnungen verstärken sich, je länger sie über die Ebene spähen.
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Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Sonora Hombre
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Impressum
Sonora Hombre
Die fünf Reiter kommen aus dem tiefen Schatten einer der engen Schluchten und halten kurz vor deren Ausgang an. Jeder führt ein Packpferd mit sich.
Vor ihnen liegt die weite Ebene. Und jenseits dieser Ebene muss die Grenze zum Arizona-Territorium sein.
Doch auch jenseits dieser Grenze – das wissen sie genau – wird es keine Sicherheit für sie geben. Auch dort im Norden jenseits der Grenze sind sie noch längst nicht entkommen.
Nun starren sie mit schmalen Augen über die hitzeflimmernde Ebene. Sie lassen sich nicht täuschen. Auf dieser Ebene gibt es tausend verborgene Winkel. Da sind Senken, Arroyos, Kakteengruppen, Felsen, Bodenwellen. Und überall können tödliche Gefahren lauern.
Die fünf Reiter kennen alle Zeichen. Sie sind erfahren in diesem Land. Und ihre unguten Ahnungen verstärken sich, je länger sie über die Ebene spähen.
Sam Burke knurrt heiser: »Ich sage euch, sie sind da. Deshalb wurden wir seit drei Tagen nicht mehr verfolgt. Sie wussten genau, dass wir über diese Ebene reiten müssen. Und so ritten sie voraus auf Wegen, die wir nicht kennen. Sie haben ein paar Indianer bei sich. Und vielleicht hat El Toro seine ganze Bande aufgeboten. Dann könnten es mehr als hundert Mann sein. Unsere Chancen sind kaum größer als die von fünf Schneebällen in der Hölle.«
Sie brummen und knurren Zustimmung.
Denn so wie Sam Burke es sieht, sehen sie es auch.
Dort draußen sind Zeichen. Es gibt keine Bewegung auf der Ebene. Nicht einmal Vögel lassen sich darin nieder.
Vance Clayton sagt nach einer Weile: »Ja, es ist sicher, dass El Toro sich den Goldschatz der alten Spanier nicht entgehen lässt. Es ist völlig sicher. Und da er uns zuletzt nicht mehr jagte, wird er uns erwarten. Es kann nur hier diese Ebene sein. Machen wir uns nichts vor. Wenn El Toro unseren Schatz erwischt, rüstet er wieder eine Armee aus, ernennt sich zum General und macht Revolution in Sonora und ganz Mexiko. Der will immer noch Präsident werden wie Santa Anna. Was machen wir? Uns durchschlagen? Umkehren? Einen anderen Weg suchen – oder was sonst?«
Sie denken über seine Fragen nach.
Ihre Gesichter sind stoppelbärtig, hohlwangig, mit einer schmierigen Schicht aus Schweiß und Staub bedeckt, und ihre Augen sind gerötet, zumeist aber nur schmale Schlitze. Ihre Nasenflügel scheinen sich bei jedem witternden Atemzug auf besondere Art zu blähen oder vibrierend zu bewegen. Ihr Instinkt sagt ihnen immer stärker, dass dort draußen Gefahr auf sie lauert.
Vor einigen Tagen triumphierten sie noch in einer alten Spanier-Mine. Dort fanden sie den Goldschatz von spanischen Eroberern, von dem schon seit mehr als zweihundert Jahren die Legenden erzählen. Und viele Schatzsucher suchten all die Jahre nach diesem Schatz.
Aber sie fanden ihn durch Zufall, sie, fünf Glücksjäger. Sie waren die glücklichen Finder. Dabei suchten sie nicht mal gezielt nach diesem Schatz. Sie stöberten nur in den alten Minen herum, um vielleicht ein wenig Gold zu finden, welches andere Glücksjäger übersahen. Dabei fanden sie dann den Spanierschatz.
Heiliger Rauch, was für ein Glück das war!
Doch dann kam El Toro, ein Bandit, der weite Gebiete in Sonora beherrscht. El Toro entgeht nichts in Sonora. Er ließ die fünf Gringos unbelästigt in den alten Minen suchen. Doch als sie die schweren Packlasten auf ihre Packpferde luden, schickte El Toro einen Boten zu ihnen, der ihnen anbot, dass sie zehn Prozent des Goldes als Finderlohn behalten könnten – und ihr Leben dazu.
Aber sie gingen auf dieses Angebot nicht ein.
Und dann kämpften sie auch schon gegen einige von El Toros Reitern. Sie blieben Sieger, denn sie sind Revolvermänner. Dann waren sie auf der Flucht. Seit drei Tagen und drei Nächten aber wurden sie nicht mehr verfolgt. Darüber wunderten sie sich. Denn sie konnten nicht glauben, dass El Toro die große Beute nicht mehr haben wollte.
Jetzt aber – da sie über die Ebene blicken – wissen sie Bescheid.
Sie denken über Vance Claytons Fragen nach.
Schließlich sagt Jocker Maggen: »Wenn er mit hundert Mann dort draußen ist, haben wir keine Chance. Ein Dutzend seiner Banditen genügt, um uns lange genug aufzuhalten, bis die anderen zur Stelle sind. Sie brauchen ja nur unsere Packpferde abzuschießen. Diese Nacht wird nicht dunkler sein als die anderen. Was also machen wir? Umkehren? Selbst wenn wir umkehren, haben wir die ganze Horde wieder auf den Fersen. Und da sie das Land besser kennen als wir, können wir ihnen niemals entkommen. Drüben in Arizona, ja, da könnte ich ihnen einige Tricks zeigen – aber hier ist ihr Jagdrevier, nicht unseres.«
Und wieder schweigen sie.
Zwei von ihnen haben noch nichts gesagt. Einer ist Morg Bennet, der ihr Anführer ist und es schon war, als sie noch für Juarez ritten. Der andere Bursche heißt Jube Calhoun, der Jüngste von ihnen.
Morg Bennet denkt eine Weile nach. Seine geschmeidigen Hände kneten das Sattelhorn, er starrt mit schmalen Augen über die Ebene, wittert und prüft. Schließlich sagt er: »Wir sitzen in der Falle. Denn sie sind da. Ich spüre es. Sie warten auf uns. Diese Ebene ist nicht leer. Die wissen sogar, dass wir hier in diesem Schluchtmaul verharren. Wollt ihr, dass wir aufgeben und mit nur zehn Prozent zufrieden sind?«
»Nein!«
Sie sagen es einstimmig ganz spontan.
»Aber wenn wir hinausreiten und sie uns erwischen, dann bekommt El Toro alles.« Morg Bennet gibt dies ganz ruhig und sanft zu bedenken. Und dann setzt er noch hinzu: »Es gibt noch eine andere Möglichkeit.«
Sie starren ihn fragend an.
»Dann sag sie uns«, verlangt Sam Burke.
»Wir verstecken unser Gold, füllen unsere Ledersäcke mit Steinen und warten auf die Nacht. Dann versucht es jeder auf eigene Faust. Es werden gewiss nicht alle durchkommen. Denn wenn sie den ersten von uns erwischen und es genügend Krach dabei gibt, werden sie alle dorthin reiten, weil sie glauben, wir wären noch zusammen. Deshalb werden vielleicht sogar einige von uns eine Chance bekommen. Habt ihr begriffen?«
Sie nicken. Denn es ist leicht zu begreifen. Einer muss sich opfern. Aber gibt es denn eine andere Möglichkeit für sie?
✰✰✰
Am Anfang ist die Nacht sehr dunkel, denn der Himmel ist noch nicht klar. Die Sterne werden erst später zu funkeln beginnen. Und auch der Mond muss erst noch hinter den fernen Bergen hervorkommen. Aber dann wird es ein samtblauer Sonorahimmel mit Sternen, die wie funkelnde Türkise auf blauem Samt anmuten.
Die fünf Revolvermänner und Glückssucher haben keinen Sinn für solche Dinge. Denn es geht um ihr Leben.
Sie haben ihren Schatz gut versteckt, die Spuren verwischt. Nicht mal ein erfahrener Indianer könnte diese Spuren und Zeichen finden.
Die groben Ledersäcke sind nun mit Steinen gefüllt. Denn sonst wäre schon an den Fährten im Staub zu erkennen, wo die Pferde keine Last mehr trugen.
Sie haben sich in der Dämmerung in die Schlucht zurückgezogen und das gute Versteck gefunden. Nun halten sie wieder im Canyonmaul wie schon einmal bei Tage.
»Wir trennen uns jetzt«, sagt Morg Bennet. »Wir reiten jeder einzeln nach Norden. Wenn wir uns mit den Fingern einer Hand vergleichen, dann bin ich der Daumen einer rechten Hand. Ich reite also am weitesten westlich. Jube, du bist der kleine Finger, du reitest den östlichen Weg. Die anderen reiten zwischen uns. Wer von uns entkommt, dem gehören unsere Anteile. Die Überlebenden beerben die Toten. Das ist ja wohl immer so auf dieser Erde. Also, dann los! In der Hölle sehen wir uns eines Tages wieder. Vorwärts!«
Er reitet an, zieht das Packpferd mit sich.
Die anderen folgen seinem Beispiel. Ja, sie alle sind entschlossen. Und jeder hofft, dass er durchkommt. Dann wird er eines Tages zurückkehren, um den Schatz zu holen – irgendwann, wenn El Toro und dessen Banditen nicht mehr auf der Lauer liegen oder es irgendwelche anderen günstigen Umstände geben wird.
Jetzt gilt es erst einmal zu entkommen, am Leben zu bleiben.
Auch Jube Calhoun reitet nach Norden. Zuerst hält er sich nordöstlich. Doch nach zwei oder drei Meilen hält er die Nasen seiner Pferde genau nach Norden zugewandt.
Er reitet langsam, fast zögernd. Immer wieder hält er inne, lauscht, und er nutzt alle Deckungsmöglichkeiten aus. Als dann der Himmel klar wird, die Nacht sich zu einer strahlenden Pracht wandelt und der Mond für Schatten sorgt, da wird er noch vorsichtiger.
Als er wieder einmal anhält, um zu lauschen, da hört er Schüsse in der Ferne, links von sich. Es sind viele Schüsse. Dort im Westen wird gekämpft.
Wer von ihnen mag in die Falle geritten sein?
Und werden die anderen ihm zu Hilfe kommen?
Auch er ist versucht, nach Westen zu reiten. Denn sie waren angeworbene Söldner. Sie ritten für Benito Juarez wie so viele andere Gringos, denen man eine Menge versprach. Sie halfen Juarez, die Franzosen und Maximilian zu besiegen. Doch dann erhielten sie keinen Lohn, wurden Abenteurer ohne Ziel.
Aber verlassen konnten sie sich stets aufeinander. Niemals ließen sie einander im Stich. Stets kamen sie sich wie Brüder zu Hilfe. Deshalb möchte Jube Calhoun auch jetzt so handeln.
Seine Pferde sind einen kurzen Moment lang still. Und deshalb hört er auch die Geräusche hinter sich. Er dreht sich im Sattel um, hält schon den Colt in der Hand. Wie von selbst schien die schwere Waffe in seine Hand zu springen.
Im Mond- und Sternenlicht sieht er die Reiter.
Sie kamen aus einer Felsengruppe, ritten langsam im Schritt durch den sandigen Seengrund, kommen nun den leichten Hang aufwärts. Sie können erkennen, dass er sie wahrnimmt, und so geben sie ihren Tieren die Sporen und stoßen dabei scharfe Schreie aus. Ihre Jagd beginnt.
Aber sie sind nur ein kleiner Trupp.
El Toro – der mit richtigem Namen Fernando de Gonzales heißt – hat seine ganze Bande zwar eingesetzt, doch musste er sie in viele Gruppen aufteilen. Diese Gruppe besteht aus vier Mann.
Jube Calhoun ergreift nicht die Flucht. Er lässt die Zügel des Packpferdes los und beginnt zu schießen. Sein vierundvierziger Colt kracht mächtig und übertönt die scharfen Schreie der Angreifer. Und er trifft. Vielleicht ist sein erster Treffer mehr ein glücklicher Zufall. Zwar ist er ein Schütze, der es mit jedem anderen aufnehmen kann. Aber anfänglich ist die Entfernung doch sehr weit.
Und er trifft auch mit dem zweiten Schuss.
Das aber kann kein Zufall mehr sein.
Die restlichen zwei Reiter begreifen dies schnell. Sie wissen plötzlich, dass sie dabei sind, gegen einen überragenden Revolvermann anzureiten, der umso sicherer treffen muss, je näher sie ihm kommen.
Und so biegen sie ab, versuchen wegzukommen aus seiner Nähe.
Aber er schießt weiter und trifft sie beide ebenfalls. Er holt sie wie durch Zauberei aus den Sätteln. Gewiss, sie sind nicht tot. Man sieht es, weil sie mit verzweifelter Eile in Deckung rollen oder kriechen. Doch er hat vier Mann kampfunfähig gemacht.
Er weiß noch nicht, dass dies alles jetzt der Anfang zu einer Legende wird. Aber was er weiß, ist, dass die Schüsse weitere Banditen heranlocken werden. Sie sind gewiss schon unterwegs.
Und so treibt er sein Pferd an. Das Packpferd mit den mit Steinen gefüllten Ledersäcken lässt er zurück. Es würde ihm nur hinderlich sein bei der Flucht. Denn er weiß, dass er sich jetzt mit einem Rudel von Verfolgern wird messen müssen.
Doch Jube Calhoun sitzt auf einem erstklassigen Pferd, das er sich selbst aus einer Wildpferdherde fing und zuritt. Dieser rote Hengst unter ihm ist so leicht nicht zu schlagen.
✰✰✰
Zwei Tage später – irgendwo einige Dutzend Meilen östlich von Nogales – ist er sicher, dass er die Grenze überquert hat und seine Verfolger abschütteln konnte.
Doch sein Pferd ist jetzt ziemlich am Ende. Es wird auch bald ein Hufeisen verlieren. Er hört es an dem klirrenden Klang, wenn es auf felsigem Boden trabt oder gegen einen Stein stößt.
Er stößt am Nachmittag auf einen Weg, der ins San Pedro Valley führt, und er folgt diesem Weg, weil er glaubt, so auf eine Ortschaft zu stoßen.
Denn er braucht einen Schmied für sein Pferd und noch einige andere Dinge mehr. Es fehlt ihm an Proviant. Seine Kleidung ist verbraucht. Sein Pferd muss auch mal längere Zeit ausruhen und Kornfutter bekommen.
Dieser rote Hengst ist ein zäher Kämpfer.
Doch jetzt hat er sich Erholung verdient und allerbeste Pflege und Betreuung.
Als das San Pedro Valley mit dem fast trockenen Fluss eine Biegung macht, da sieht er die Adobehäuser und -hütten eines Ortes in der Abendsonne.
An der Stadtgrenze steht ein Schild, auf dem er lesen kann: Rosa.
Das Wort ist spanisch und bedeutet so viel wie Rose. Der Ort heißt also Rose.
Jube reitet darauf zu, und als er die Einfahrt zum Wagenhof, dem Mietstall und der Schmiede erreicht, verliert das Tier sein Eisen. Mit einem singenden Klang fliegt es gegen den Stein, der den Pfosten des Tores vor den Wagenrädern schützt.
Er hält an, denn er hört nun etwas, worüber er staunt. Es sind Musikklänge. Er hört eine Trompete, eine Trommel, Gitarren – und dann noch eine Fiedel. Zu diesen Instrumenten tönen jauchzende Rufe, hört er Gesang.
Jube Calhoun grinst.
Er ist müde, hungrig, staubig und stinkt nach Schweiß – auch nach dem seines Pferdes, nicht nur seinem eigenen. Er ist bärtig geworden. Seine dunkelblonden Haare kräuseln sich über dem verschwitzten Halstuch und dem Kragen seines Reithemdes.
Er rutscht in der Einfahrt aus dem Sattel, hebt das abgefallene Hufeisen aus dem Staub und behält es in der Hand, als er den Hengst an den langen Zügeln hinter sich herzieht und zur halb offenen Schmiede hinübergeht.
Niemand ist zu sehen im weiten Viereck des Wagenhofes, bei den Gebäuden, Werkstätten, Schuppen und Corrals. Die Feuerstelle unter der Schmiedeesse ist kalt. Sie sind alle beim Fest, denkt Jube Calhoun.
Er legt das abgefallene Eisen auf den Amboss, kehrt zu seinem Hengst zurück und führt ihn zum Stall hinüber. Denn dort im Stall wird es Futter geben.
Als er in den Vorraum kommt, hört er das Schnarchen eines Mannes. Der Mann liegt im sauberen Stroh einer leeren Box und hat den Mund weit offen. Er schnarcht tief in der Kehle.
Jube Calhoun stößt mit seiner Stiefelspitze gegen die Sohlen des schnarchenden Schläfers, den er für den Stallmann hält. Aber der Schnarcher dreht sich nur auf die Seite und grollt im Schlaf: »Geh zur Hölle! Hau ab!« Und dann schnarcht er auch schon wieder, diesmal anders, weil er ja nun auf der Seite liegt.
Jube Calhoun grinst. Er findet eine weitere leere Box und führt sein Pferd hinein. Es sind zwar viele Sattelpferde in Rosa, aber die Tiere sind alle in den Corrals und auf den Weidekoppeln, ein Zeichen, dass das Fest einige Tage und Nächte dauert. Die Tiere sollten Bewegungsfreiheit haben.
Jube Calhoun versorgt sein Pferd, redet mit ihm und legt seinen Sattel mit all dem Gepäck über die Stange, welche die Box von der nächsten trennt.
Als er sich dann am Wassertrog beim Brunnen wäscht, da hält er immer wieder inne und lauscht den Klängen des Festes.
Wenig später macht er sich auf den Weg.
Er folgt der Straße und gelangt auf einen Platz, der eine richtige Plaza ist, umgeben von Häusern mit Arkaden. Die eine Seite des Platzes wird ganz und gar von einer Mischung von Fonda, Bodega und Saloon eingenommen.
Auf dem Platz brennen Feuer, stehen Tische und Bänke, gibt es eine Tanzfläche aus Bohlen. Die Musiker sind auf einem Flachwagen postiert. Über feuriger Glut drehen sich Braten. Es wird getanzt, getrunken, gegessen. Es herrscht ein buntes Durcheinander.
Jube Calhoun kommt zu der Erkenntnis, dass das Fest bald zu Ende gehen wird. Sie alle hier sind fast völlig betrunken. Er beschließt, sich ebenfalls einen Humpen zu besorgen und nachzuholen, was die anderen ihm voraushaben.
Aber er ist klug genug, sich erst ans Essen zu machen und für eine solide Grundlage zu sorgen. Als er dann zum großen Fass geht, um sich einen Krug voll Wein zu füllen, da stößt er auf die Braut.
Ja, es muss die Braut sein. Denn sie trägt noch das Brautkleid. Sie ist jung und mehr als hübsch. Sie ist rassig und gefällt ihm auf Anhieb.
Er prostet ihr mit dem Krug zu und sagt dabei: »Viel Glück! Alles, was Sie sich erhoffen und erträumen, Señora! Sie sind die schönste Braut, die ich jemals sah!« Die letzten Worte meint er ehrlich, denn er sah tatsächlich noch nie eine so schöne Braut.
Sie lächelt ihm zu, und in ihren Augen erkennt er ein Funkeln, das ihm unter die Haut geht, denn er glaubt etwas zu spüren, was er zuerst gar nicht glauben mag, weil es ihm unmöglich zu sein scheint.
Aber dann hört er sie sagen: »Aaah, da ist ja ein Hombre, der noch nicht betrunken ist wie ein ganzer Indianerstamm. He, Hombre, dich kenne ich noch gar nicht. Wer bist du? Und woher kommst du?«
»Aus Sonora – ja, von Sonora kam ich herüber, Señora«, erwidert er. »Und mein Name ist Calhoun, Jubal Calhoun.«
»Gut, Jube«, sagt sie. »Dann komm!«
Sie streckt die Hand nach ihm aus.
Er will es immer noch nicht glauben. Er blickt über die Schulter auf den Platz, hinüber zur Tanzfläche und zu den Musikern.
Aber es ist nicht mehr viel Bewegung auf dem Festplatz.
Die Sonne ging inzwischen unter. Es wurde später Abend. Die Feuer und einige Laternen verbreiten Lichtschein. Und überall hocken und liegen die Betrunkenen umher, Männer, Frauen und sogar größere Kinder.
Die Braut sagt indes: »Komm, Jube! Die sind alle hin! Wir feiern jetzt schon eine ganze Woche. Eine Woche, verstehst du? Und sie alle sind schon eine ganze Woche lang Tag und Nacht beschlaucht! Jube, du bist der einzige nüchterne Mann in der ganzen Stadt. Komm!« Wieder streckt sie ihm die Hand hin.
Er aber leert den Krug, und er spürt, wie ihm der rote Wein schnell zu Kopf steigt. Oh, das ist wahrhaftig ein Teufelswein, denkt er.
Als er ihre Hand ergreift, fragt er: »Und dein Bräutigam, du schöne Braut?«
»Aaah«, sagt sie, »den zeige ich dir gleich. Komm, Hombre! Ich bin Anita.« Sie zieht ihn in den Eingang mit und sie gehen hinein in das lang gestreckte Gebäude, in dem sich Fonda, Bodega und Saloon befinden.
Sie gehen zum Saloon hinüber, welcher ganz nach angloamerikanischer Art eingerichtet ist und auch in Kansas City kein anderes Aussehen haben müsste.
Auf einem Billardtisch liegt ein Mann. Er trägt keine Jacke mehr. Doch zu seiner schwarzen Hose hat er ein weißes Rüschenhemd angezogen, das jetzt allerdings voll roter Weinflecken ist. Der Mann ist groß und schwer.
»Das ist er«, sagt Anita. »Das ist der Bräutigam, der Mann, den ich vor einer Woche geheiratet habe und der seitdem noch nicht nüchtern wurde. Der ist auch morgen noch nicht nüchtern. Sag mir, Jube, habe ich das verdient?«