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Er erkannte mich sofort und begriff im selben Augenblick, dass ich nicht zufällig aufgetaucht, sondern seinetwegen gekommen war. Er zögerte nicht eine Sekunde.
Er warf sich rückwärts mit dem Stuhl zu Boden. Dabei zog er unheimlich schnell seinen kurzläufigen Revolver aus dem Schulterholster. Ja, er war schnell und entschlossen. Aber ich war darauf vorbereitet. Und so hatte auch ich zur Waffe gegriffen und so schnell gezogen wie vielleicht noch nie in meinem Leben.
Als ich abdrückte, blitzte sein Mündungsfeuer auf. Seine Kugel fetzte durch mein über dem Gürtel gebauschtes Hemd und streifte die Haut an der Hüfte.
Dann war es vorbei.
Ich lebte und hatte besser getroffen. Und ich hatte einen steckbrieflich gesuchten Killer zur Strecke gebracht.
Ich fühlte mich plötzlich ausgebrannt und müde, denn die Fährte war lang gewesen. Ich hatte sie oft genug verloren. Es war schwer gewesen, Rex Massey zu finden.
Dennoch verspürte ich kein Triumphgefühl, sondern Bitterkeit. In Gedanken nannte ich mich einen verdammten Revolverhelden ...
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Mann im Schatten
Vorschau
Impressum
Mann im Schatten
Er erkannte mich sofort und begriff im selben Augenblick, dass ich nicht zufällig aufgetaucht, sondern seinetwegen gekommen war. Er zögerte nicht eine Sekunde.
Er warf sich rückwärts mit dem Stuhl zu Boden. Dabei zog er unheimlich schnell seinen kurzläufigen Revolver aus dem Schulterholster. Ja, er war schnell und entschlossen. Aber ich war darauf vorbereitet. Und so hatte auch ich zur Waffe gegriffen und so schnell gezogen wie vielleicht noch nie in meinem Leben.
Als ich abdrückte, blitzte sein Mündungsfeuer auf. Seine Kugel fetzte durch mein über dem Gürtel gebauschtes Hemd und streifte die Haut an der Hüfte.
Dann war es vorbei.
Ich lebte und hatte besser getroffen. Und ich hatte einen steckbrieflich gesuchten Killer zur Strecke gebracht.
Ich fühlte mich plötzlich ausgebrannt und müde, denn die Fährte war lang gewesen. Ich hatte sie oft genug verloren. Es war schwer gewesen, Rex Massey zu finden.
Dennoch verspürte ich kein Triumphgefühl, sondern Bitterkeit. In Gedanken nannte ich mich einen verdammten Revolverhelden ...
Inzwischen war ich bis zur Wand zurückgewichen und hielt die Waffe noch in der Hand. Es roch nach Pulverrauch, und die Leute im Raum, die erst losgebrüllt und sich in Deckung geworfen hatten, nachdem schon alles vorbei gewesen war, starrten mich an wie ein Tier mit zwei Köpfen.
Dann kamen die Hauspolizisten. Auch die beiden Burschen, die vor dem Türvorhang gestanden hatten und mich nur ungern eintreten ließen, waren dabei. Der Expreiskämpfer sagte bitter: »Aha, der also! Den hätten wir doch nicht einlassen sollen. Jetzt haben wir den ...«
Er wollte wohl »Salat« sagen, doch inzwischen sahen er und die anderen, mit wem ich mich geschossen hatte.
Sie sahen Rex Massey am Boden liegen und stellten fest, dass er tot war. Als sie mich dann anblickten, taten sie es respektvoll und waren sehr vorsichtig.
Sie kannten Rex Massey sicher gut genug als Edeltiger. Vielleicht hatten sie ihn gefürchtet. Auf jeden Fall hatte er sich unter ihnen längst Respekt verschafft – und den hatten sie jetzt vor mir.
Nun tauchte ein Mann auf, der offensichtlich in diesem Laden etwas zu sagen hatte.
Es war ein dicker Mann, quallig und nicht besonders groß. Er hatte ein rotbäckiges Gesicht, einen kahlen Schädel und keinen Hals. Seine Arme waren lächerlich kurz und dick, und in seiner Linken hielt er ein blaues Taschentuch, mit dem er sich ständig den Schweiß aus dem Gesicht und vom Kopf wischte. Es sah so aus, als wollte er seine Glatze polieren.
Seine kleinen, tief in Fett gebetteten Augen waren hart wie Flintstein und kalt wie Gletschereis. Seine Stimme klang wie die eines Colonels. Er sah mich an und sagte: »Bleiben Sie dort stehen, Cowboy. Der Marshal wird geholt.«
Dann wandte er sich an die Gäste und fragte einen Mann, der mit am Spieltisch gesessen hatte und den er offensichtlich gut kannte, nach dem Verlauf der Sache.
Der Gefragte sah mich scharf an. Dann wandte er sich wieder zu dem Dicken und sagte: »Ach, das ging so schnell, Earl. Roy Madden warf sich plötzlich mit dem Stuhl nach hinten und zog den Revolver. Das ging blitzschnell, aber dennoch nicht schnell genug für diesen Fremden, bei dessen Anblick Roy Madden auch schon das Eisen in der Hand hatte. Mehr ist nicht zu sagen.«
»Er hieß Rex Massey«, sagte ich. »Roy Madden war nicht sein richtiger Name. Er hat in Warbluff den Sheriff getötet. Es gibt einen Steckbrief von ihm. Zweitausendfünfhundert Dollar Belohnung! Tot oder lebendig! Man soll einem Toten nichts Schlechtes nachsagen, doch er war der beste Falschspieler, den es jemals gab. Ich gehe jetzt. Ich bleibe in der Stadt. In einem Hotel kann der Marshal mich finden.«
»Gehen Sie gleich nebenan ins Royal Hotel«, sagte der Dicke. »Ich bin der Besitzer. Earl Dawson ist mein Name. Ich lasse Ihnen ein gutes Zimmer geben. Wenn das Play Rex Massey war, von dem ich schon viel hörte, dann bin ich Ihnen vielleicht zu Dank verpflichtet. Ich bemühe mich, meinen Spielsaloon sauber zu halten. Play Rex Massey hätte keinen Spieltisch bekommen, wenn ich gewusst ...«
»Schon gut«, sagte ich und ging. Ich hielt den Revolver immer noch in der Hand, wenn auch mit dem Lauf nach unten. Ich kannte mich aus.
Aber niemand hielt mich auf. Man machte mir Platz.
Erst im großen Spielraum steckte ich den Colt ein. Man starrte mich von allen Seiten an, und es öffnete sich eine Gasse durch die Leute, die vor dem Eingang des First Class Rooms standen.
Ich kam unbehelligt auf die Straße. Ein Stück weiter baumelte das Schild des Royal Hotel unter den beiden Lampen über dem Eingang.
Der Dicke hatte mir ein Zimmer angeboten. Sollte ich es nehmen?
Es würde schwer sein, in dieser überfüllten, turbulenten Stadt eine Bleibe zu finden. Ich war ausgebrannt und müde. Die Jagd war zu Ende – ich hatte Rex Massey getötet. Ich wollte allein sein, sehnte mich nach einem dunklen Zimmer und einem Bett. Ich musste nachdenken, um das, was geschehen war, zu bewältigen. Ich kannte diese schlimmen Stunden, denn Rex Massey war nicht der erste Mann, den ich im Zweikampf erschoss. Ich wusste, dass ich alles in meinen Gedanken und in der Erinnerung wieder und wieder erlebte. Schwarze Stunden lagen vor mir. Bei aller Müdigkeit würde ich keinen Schlaf finden.
Früher hatte ich versucht, mich mit Alkohol zu betäuben. Dabei wäre ich fast zum Säufer geworden, und die Ernüchterung danach war schlimmer gewesen als alles andere vorher.
Ich ging also ins Hotel, und auf wunderbare Weise wusste der Portier schon Bescheid. Ich bekam schnell ein Zimmer. Bald darauf lag ich auf dem Bett.
Das Fenster stand offen. Der Lärm der Stadt brauste unaufhörlich. Es war etwa so, als wenn man dicht bei einem Wasserfall sein Camp aufschlägt. Nach einer Weile hat man sich an das Brausen gewöhnt und nimmt es gar nicht mehr wahr.
Ich dachte an Rex Massey, den ich erschossen hatte.
Durfte ich das tun?
Das war die bohrende Frage.
Meine Gedanken wanderten zu dem Mann, den Massey getötet hatte, weil er ihn des Falschspieles überführte. Dieser Mann hieß Nathan Stone. Er war der Sheriff von Warbluff.
Ich war sein Gehilfe und hatte ihm nicht beistehen können. Ich konnte nur seinen Mörder verfolgen und stellen.
Sollte ich nach Warbluff zurückreiten? Würde man mir dort das Sheriffsamt geben?
Ich bezweifelte es. Für die Leute in Warbluff war ich ein Revolverheld, gut genug, um einem soliden und verantwortungsbewussten Sheriff gesetzteren Alters Waffenhilfe und Rückendeckung zu geben – doch mehr nicht. Ich war bestimmt, der Mann im Schatten zu sein. Welche Stadt wählt schon einen Revolverschwinger zum Sheriff und gibt ihm die Macht des Gesetzes? Nein, ich brauchte nicht nach Warbluff zurück. Was ich dort hatte oder bekommen konnte, konnte ich auch woanders haben. Ich wollte nicht mehr zurück.
Morgen würde ich überlegen, was ich tun sollte.
✰✰✰
Irgendwann war ich eingeschlafen. Als ich am späten Morgen erwachte, schien der vergangene Tag sehr fern zu sein. Es kam mir alles wie ein böser Traum vor – ein Albtraum, den man gern vergessen möchte.
Ich lag eine Weile still da.
Auch die Stadt war still. Es lärmte und tobte niemand mehr. Alles war regungslos, ruhte nach einer Nacht der Laster und Sünden.
Ich spürte Hunger, der mich immer mehr quälte. Oh, ich hatte ja vierundzwanzig Stunden nichts gegessen! Das Frühstück gestern war die letzte Mahlzeit gewesen. Danach hatte ich nur geraucht oder dann und wann einen Schluck Wasser getrunken.
Ich stand auf, wusch mich und säuberte meine Kleidung, so gut es ging. Mit einem scharfen Messer, das ich im Stiefelschaft trug, rasierte ich mich.
Danach betrachtete ich mein hageres, narbiges Sioux-Gesicht im Spiegel, und ich war ganz und gar nicht zufrieden mit dem Burschen, der mir entgegenblickte, der Cass Morgan hieß und in Texas auf einer Rinderranch geboren wurde.
Ich verließ das Zimmer, ging nach unten und durch einen Verbindungsgang zum Restaurant hinüber. An einem Ecktisch saß ein Mann, der einen Marshalstern trug. Er aß Spiegeleier, Schinken und Brot und trank pechschwarzen Kaffee, der bestimmt so stark war, dass er einen toten Indianer wieder munter gemacht hätte.
Er sah mich kauend an und nickte.
»Da sind Sie ja«, sagte er. »Sie sind doch der Mann, der gegen Rex Massey gewinnen konnte? Oder war es nicht Rex Massey? Ich glaube, Sie sind mir einige Erklärungen schuldig, Freund. Hoffentlich wissen Sie es zu schätzen, dass ich Sie nicht aus dem Bett holte!«
Es war Rufus Whitehead, Marshal von Sun Mesa. Ich trat an seinen Tisch, blickte auf ihn nieder und sah einen Ausdruck in seinen Augen, der mich in Erstaunen setzte.
In diesen Augen war ein heißes Flackern.
Der Mann war vielleicht nur äußerlich beherrscht.
Ich setzte mich und gab bei der Bedienung, die sich näherte, meine Bestellung auf. Dann kramte ich Rex Masseys Steckbrief und seinen Haftbefehl aus einer Tasche, außerdem eine Bescheinigung, die mich als Hilfssheriff auswies, der den Auftrag hatte, Rex Massey zu finden und tot oder lebendig einzubringen.
»Das wäre es wohl?«, fragte ich.
Und der Marshal, der sich alles sorgfältig durchlas, nickte.
»Selbst, wenn Sie ohne Haftbefehl gekommen wären«, sagte er, »hätte ich Ihnen nichts anhaben können. Zeugen sagten, dass er bei Ihrem Anblick zur Waffe griff. Man fand in seiner Kleidung ein halbes Dutzend neuer Kartenspiele, die zwar nicht gezinkt, doch auf eine besondere Art sortiert waren. Mit einem solchen Kartenspiel kann jeder geschickte Jongleur zaubern. Nun gut, Sie haben ihn also von Warbluff her verfolgt. Wie oft verloren Sie seine Fährte?«
»Ach, viele Male wollte ich schon aufgeben«, sagte ich bitter.
»Und warum taten Sie es nicht?« Seine Frage klang gespannt. Es war, als versuchte er, tief in mein Inneres einzudringen und zu ergründen, was da wohl vorhanden war.
Ich wollte ihm sagen, dass ihn das nichts anginge, hatte aber plötzlich das Gefühl, es würde mir guttun, wenn ich darüber sprechen konnte.
Und so sagte ich: »Der Sheriff in Warbluff war ein Mann, den ich achten musste. Ich hatte ihn gern, und ich war auch gern sein Deputy. Er war mehr als nur mein Boss. Als er Rex Massey beim Falschspielen erwischte, war ich nicht in der Stadt. Ich war hinter drei Indianern her, die aus dem Reservat ausgebrochen waren und eine kleine Farm überfallen hatten, deshalb konnte ich dem Sheriff nicht beistehen. Doch ich war es ihm schuldig, seinen Mörder zu finden. Ja, und das tat ich.«
Ich verstummte nachdenklich.
Die Bedienung brachte mein Essen. Mein Magen knurrte, doch ich hatte keinen Appetit und aß lustlos.
Der Marshal fragte: »Reiten Sie nach Warbluff zurück, Cass Morgan?«
Ich hatte ihm meinen Namen nicht gesagt. Er hatte ihn in den Papieren gelesen. Ich schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte ich. »Ich werde einen Brief an den dortigen Richter schreiben, einen Bericht geben und meinen Dienst kündigen. Ich kehre nicht nach Warbluff zurück. Es ist eine Stadt wie jede andere. Ich könnte doch nicht Sheriff werden. Sie machen dort keinen Revolverschwinger zum Gesetzesmann. Sie geben ihm nur einen untergeordneten Posten.«
Rufus Whitehead nickte wie ein Mann, der Bescheid weiß.
»Ja«, sagte er. »So ist das überall. Man braucht Männer, die das Gute vor dem Bösen schützen. Man lässt zu, dass diese Männer mit den Colts Gutes auf böse Weise tun. Dennoch sind sie nicht gesellschaftsfähig. Man hält sie für gewalttätig, für eine Sorte, die gern jagen will und einen Jagdschein dafür haben möchte. Man lässt sie für Recht und Gesetz kämpfen. Sonst bleiben sie im Schatten des Mannes, den man ehrenhaft nennt. Ich kenne das, Cass Morgan. Doch hier in Sun Mesa ist es anders. Sun Mesa ist eine wilde Stadt mit eigenen Gesetzen. Wir haben keinen Sheriff hier. Man schickte uns dann und wann einen Deputy Marshal aus Denver – doch der kehrte stets bald wieder um. Es gibt hier zu viele mächtige Leute, die keine Steuern zahlen und das auch in Zukunft nicht möchten. Darum halten sie das Gesetz aus dem Land. Ich vertrete die Stadtgesetze, sonst nichts. Ich bin angeworben, um hier in Sun Mesa für ein gewisses Maß an Ordnung und Sicherheit zu sorgen. Die Bürger der Stadt, die Kaufleute und die Besitzer der Lokale, sie alle wollen, dass es ihre Stadt bleibt. Deshalb warben sie mich an. Cass Morgan, ich biete Ihnen zweihundert Dollar im Monat und freie Unterkunft und Verpflegung für Sie und Ihr Pferd. Ich möchte Sie als Deputy haben.«
Ich sah ihn an.
Sein Vorschlag war gar nicht so ungewöhnlich, wie er sich vielleicht anhörte. So etwas gab es überall da, wo ein einzelner Mann für Ordnung sorgen sollte. Ein solcher Mann musste seine Rückendeckung sichern.
Das war wichtig.
Und nun hatte dieser Rufus Whitehead mich dazu bestimmt.
Ich sollte wieder der Mann im Schatten sein.
Zweihundert Dollar und alles frei.
In Warbluff hatte ich achtzig Dollar bekommen, und das war immer noch mehr als doppelter Cowboylohn.
Zweihundert Dollar?
Aber wie lange lebte man in dieser Stadt mit einem Stern an der Weste?
Während ich über diese Frage nachdachte, sagte Rufus Whitehead langsam und schwer: »Ich schaffe es nicht länger allein. Ich weiß, dass sie mich bald aus einer dunklen Gasse abknallen. Cass Morgan, ich brauche Hilfe. Oder ich werfe in einer Nacht alles hin und laufe davon. Wir sind von einer Sorte. Sie wissen, wie das ist. Ich brauche einen Partner, auf den ich mich verlassen kann. Und bei Ihnen weiß ich, dass man sich auch dann noch auf Sie verlassen kann, wenn man schon tot ist, wenn der Mörder entkommen konnte. Sie finden ihn. Darauf kommt es an. Helfen Sie mir. Ich kann hier nicht kneifen und fortlaufen. Wenn man etwas anfängt, muss man es zu einem Ende bringen. Wollen Sie mein Vertreter und Deputy werden?«
»Ihr Schatten!«, sagte ich bitter. Und ich sah ihm fest in die Augen. Da erkannte ich, dass er mit seinen Nerven am Ende war. Er fürchtete sich vor der Nacht, wenn die Stadt wieder lärmte und tobte, und wenn er sie unter Kontrolle halten musste. Ich hatte gestern zugesehen, wie er stolz zu Pferde ankam und eine Keilerei einfach zerschlug.
Aber er fürchtete die ganze Zeit, aus einer Gasse eine Kugel zu erwischen.
Oh, ich wusste, wie das war.
Er tat mir leid.
Wenn er aufgäbe und fortliefe, so wäre er für immer erledigt. Er hätte nie wieder Mut.
»Ich überlege es mir«, sagte ich.
Da drängte er mich nicht länger. Er war zu stolz dazu. Er beendete sein Frühstück, sagte noch einige belanglose Worte und ging hinaus. Er war etwas größer und schwerer als ich und hinkte leicht.
✰✰✰
Ich schlenderte später durch die Stadt, sah sie mir bei Tage an. Es gab mehr als zwei Dutzend Saloons, Spielhallen, Tingeltangels, die kleinen Spelunken in den Gassen gar nicht eingerechnet. Es gab ein Dutzend Hotels und einige Dutzend Pensionen. Dazu kamen Restaurants und Speiseküchen, Läden jeder Art, einige Handwerksbetriebe, die Postagentur, die Bank, die Minen- und Grundstücksgesellschaft, der Frachtwagenhof und Fair Marys Häuser, vor denen nach Anbruch der Dunkelheit die roten Laternen brannten.
Es gab außer der Mesa Street noch die Sun Street, das waren die beiden Hauptstraßen. In der Mesa Street lagen die Tingeltangels, in der Sun Street die ordentlichen, seriösen Geschäfte und die Wohnhäuser der Bürger, die nichts mit dem Amüsierbetrieb zu tun hatten. Die beiden Hauptstraßen, die von Nord nach Süd liefen, wurden durchkreuzt von vier Gassen, die Erste, Zweite, Dritte und Vierte Straße hießen.
Nördlich der Vierten Straße, zwischen der Sun und der Mesa Street, lag der China-Block. In Sun Mesa gab es ein China-Viertel. Viele der Minenarbeiter waren von gelber Hautfarbe.
Ich schlenderte also durch die Stadt und sah mir alles an. Ich sah es mir so gut und gründlich an, dass ich mich auch in stockdunkler Nacht zurechtfinden konnte.
Ich entdeckte mehr als ein Dutzend Winkel, von denen aus man einen Mann wie Rufus Whitehead, wenn er durch die Straßen ritt, leicht und ungesehen aus dem Sattel holen konnte.
Man wird vielleicht sagen, dass Whitehead lieber hätte zu Fuß gehen sollen, dann würde er nicht ein so großes Ziel bieten.
Nun, dies ging aus verschiedenen Gründen nicht.
Rufus Whitehead musste stets groß und imposant wirken, völlig furchtlos und ganz so, als könne er sich diese Stadt jederzeit in die Hosentasche stecken. Wenn er dahergeritten kam, musste er aussehen, als könne ihn nichts aufhalten. So wirkte er auf seinem großen Pferd.
Außerdem war die Stadt für einen Mann, der stündlich seine Runden machen musste, viel zu groß. In irgendeiner Ecke der Stadt war immer etwas los. Ein Marshal musste schnell dorthin gelangen, sonst hätte er immer im Laufschritt eilen müssen.
Nein, ein Mann wie er musste reiten. Diese Pose gehörte zu seinem Job – genau wie zu einem Offizier, der hoch zu Pferd seiner marschierenden Einheit vorausreitet.
Das war so.
Aber es war auch gefährlich.
Als ich an einer primitiven Spelunke vorbei wollte, trat dort ein gähnender Bursche aus der Tür. Er hatte rote Haare und tausend Sommersprossen. Als er mich sah, klappte er schnell seinen aufgerissenen Mund zu und staunte.
»Du verdammter Indianer«, sagte er. »Was machst du in dieser gefräßigen Stadt?«
Dabei kam er auf mich zu und boxte mir freundschaftlich in die Rippen. Er grinste von einem Ohr bis zum anderen.
Auch ich freute mich, Jessup Adams wiederzusehen. Wir hatten zusammen Krieg und Gefangenschaft überstanden. Dann hatten sich unsere Wege getrennt.
Ausgerechnet hier trafen wir uns wieder!
Ich knuffte und boxte ihn ebenfalls, und als wir uns dann anblickten, sagten wir zweistimmig, als hätten wir es zuvor eingeübt: »Darauf müssen wir einen Schluck trinken!«
Wir gingen in die Spelunke, traten an die roh zusammengezimmerte Theke und verlangten Pumaspucke. So hieß bei uns schon früher immer eine scharfe Sache.
Als wir getrunken hatten, bekam ich eine Weile keine Luft. Ein solches Feuerwasser hatte ich noch nie probiert. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn mir statt des Atems Flammen aus dem Mund geschlagen wären.