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Dave Bringham glaubt wieder fest daran, dass er ein Glücksjunge ist. Er wird den Kampf gewinnen.
Johnny Mills, sein Gegner, kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Er torkelt. Sein Blick ist glasig, sein Gesicht von Treffern gezeichnet.
Es ist der härteste Kampf, den Dave bestritten hat, seit er als Preiskämpfer sein Geld verdient. Denn Johnny Mills ist nicht irgendwer. Man nennt ihn den »Hammer vom Mississippi«, und er schlug in den letzten beiden Jahren jeden Gegner.
Doch heute ist er an der Reihe.
Eine tobende, brüllende und pfeifende Zuschauermenge umgibt den Kampfplatz. Es ist eine schreckliche, entfesselte Menge, die kein Mitleid kennt.
Man wittert die Sensation.
Der große Johnny Mills, der Mann, der mehr als hundert Gegner besiegte, wird heute von Dave Bringham zerbrochen werden, endgültig und für immer. Denn die Regel dieses Preiskampfes lautet: Keine Gnade, bis einer der Gegner kampfunfähig ist ...
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Seitenzahl: 159
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Wer keine Gnade kennt
Vorschau
Impressum
Wer keine Gnade kennt
Dave Bringham glaubt wieder fest daran, dass er ein Glücksjunge ist. Er wird den Kampf gewinnen.
Johnny Mills, sein Gegner, kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Er torkelt. Sein Blick ist glasig, sein Gesicht von Treffern gezeichnet.
Es ist der härteste Kampf, den Dave bestritten hat, seit er als Preiskämpfer sein Geld verdient. Denn Johnny Mills ist nicht irgendwer. Man nennt ihn den »Hammer vom Mississippi«, und er schlug in den letzten beiden Jahren jeden Gegner.
Doch heute ist er an der Reihe.
Eine tobende, brüllende und pfeifende Zuschauermenge umgibt den Kampfplatz. Es ist eine schreckliche, entfesselte Menge, die kein Mitleid kennt.
Man wittert die Sensation.
Der große Johnny Mills, der Mann, der mehr als hundert Gegner besiegte, wird heute von Dave Bringham zerbrochen werden, endgültig und für immer. Denn die Regel dieses Preiskampfes lautet: Keine Gnade, bis einer der Gegner kampfunfähig ist ...
Dave Bringham hört Andy Baxter, der ihm immer wieder mit einem Handtuch den Schweiß abtrocknet, sagen: »Du brauchst ihn nur noch einmal richtig zu treffen. Nur noch einmal – dann fällt er um und steht nicht mehr auf. Du hast es geschafft, Dave! Du bist nun wirklich der große Mann.«
Davon ist Dave Bringham selbst völlig überzeugt.
Dave Bringham denkt jetzt an das viele Geld, welches er gewinnen wird. Denn er und sein alter Freund Andy Baxter haben ihr ganzes Geld auf Daves Sieg gesetzt. Und die Wetten standen mindestens zwei zu fünf gegen ihn. Er hat viertausend Dollar auf sich selbst gesetzt. Und er wird zehntausend erhalten.
Das ist gut, so denkt er. Ich war immer ein armer Hund – vom ersten Moment an, da ich auf der Welt war und atmete.
Er richtet seinen Blick auf den Gegner in der anderen Ecke, und er unterbricht deshalb seine Gedanken.
Als er Johnny Mills betrachtet, verspürt er tief in seinem Kern ein Gefühl von Bedauern, fast Mitleid. Johnny Mills ist älter als er. Und seine Karriere als Preisboxer dürfte nach diesem Kampf beendet sein.
Ob auch ich eines Tages von einem anderen Mann so geschlagen werde, dass ich die Narben des Kampfes ein Leben lang behalte?
Diese Frage stellt er sich heiß in seinen Gedanken.
Und er senkt den Kopf und betrachtet seine harten Fäuste.
Sie sind nackt. Denn man schreibt das Jahr 1867, und man kennt noch keine Boxhandschuhe. Man kämpft noch mit bloßen Fäusten, und deshalb werden die Gesichter der Preiskämpfer schrecklich gezeichnet, bei fast jedem Kampf.
Dave Bringham verdrängt nun tief in seinem Kern jeden Anflug von Mitleid und Bedauern. Er erinnert sich wieder an die Regel, die unter den Preiskämpfern gilt: Keine Gnade, bis der Gegner kampfunfähig ist! Dies ist die Regel. Und für Johnny Mills gilt sie ebenso. Auch er hätte gegen Dave Bringham keine Gnade gekannt.
Die Pause ist nun beendet. Der Gong ertönt. Dave Bringham erhebt sich leicht und federnd, geht aus seiner Ecke und beginnt, den Gegner langsam zu umkreisen.
Johnny Mills atmet schwer und mühsam, und er wirkt wie ein Betrunkener, der nicht richtig sehen kann, obwohl er soeben eine Verschnaufpause hatte.
In Dave Bringham ist plötzlich ein Gefühl der Beschämung. Er erkennt, dass er einen wehrlosen Mann zu Boden schlagen muss. Ja, er schämt sich deswegen.
Doch er muss es tun.
Denn er ist Preisboxer. Er kämpft für Geld. Und die Menschenmenge, die jetzt wieder tobt und heult und die immer wieder ruft, dass er den Gegner endlich fertigmachen soll, hat dafür bezahlt, eine richtige Ringschlacht zu sehen.
Diese Menge ist mitleidlos.
Wenn Dave Bringham jetzt nicht zuschlägt, dann werden sie glauben, er wollte sie alle betrügen, wollte die Wetter um ihre Chance bringen. Und sie würden den Ring stürmen und ihn, Dave Bringham, in Stücke reißen.
Und da schnellt er vor und trifft Johnny Mills noch einmal schwer – zum letzten Mal.
Als er dann in seine Ecke geht, da hat er das Gefühl, gemein und unmenschlich gewesen zu sein. Er denkt bitter: Warum gab er nicht auf, dieser Narr, warum stellte er sich noch einmal zum Kampf? Er wusste doch, dass er nicht mehr gewinnen konnte. Ich musste ihn so lange schlagen, bis er kampfunfähig war. Wir sind doch beide Preisboxer, und wenn wir kämpfen, geht es nicht nur um unsere Kampfbörse. Nein, es stehen gewaltige Summen auf dem Spiel. In diesem Geschäft gibt es keine Gnade. Ich musste ihn noch einmal so hart treffen.
✰✰✰
Dave Bringham zog sich nach diesem Kampf sofort ins Hotel auf ihr gemeinsames Zimmer zurück, und Andy Baxter ließ ihn in Ruhe. Er ließ das Abendbrot aufs Zimmer kommen.
Doch Dave rührt das Abendbrot nicht an.
Andy Baxter betrachtet ihn nun ernst. Er ist selbst einmal ein ziemlich bekannter Preisboxer gewesen, und dies sieht man ihm an. Er ist hässlich wie ein Affe, krummbeinig und muskulös. Und wo in seinem Gesicht keine Narben sind, gibt es Falten und Sommersprossen.
Doch seine verwaschen wirkenden Augen sind gut.
»Dave«, sagt er nun ruhig, »es ist ein harter Job. Und du musstest einen kranken Mann schlagen. Damit wirst du wohl nicht fertig, mein Junge. Aber du musst damit zurechtkommen. Du boxt für Geld. Und du hast dir geschworen, dass es dir eines Tages gut gehen soll. Du warst dein ganzes Leben lang hungrig, und erst seitdem du Preisboxer bist, wurdest du satt. Nun gut, jetzt bist du in der Lage, einige Zeit großes Geld zu machen. Doch du darfst nicht weich werden, mein Junge! Du musst jetzt ...«
»Das weiß ich, Andy«, murmelt Dave und erhebt sich. Er tritt an das offene Fenster und blickt auf die Hafenstraße von Saint Louis. Die Stadt ist besonders hier am Hafen lebhaft und bewegt, und dies ist kein Wunder. Von hier aus strömt alles nach Westen.
Und der Westen wird nun mehr und mehr erobert. Saint Louis ist eines der großen Ausfalltore für das große Abenteuer.
Dave Bringham denkt an all diese Dinge, während er aus dem Fenster blickt.
Er wendet den Kopf und fragt über die Schulter: »Andy, wo wohnt eigentlich Johnny Mills?«
Andy, der noch beim Abendbrot sitzt, verschluckt sich nun und hustet erst eine Weile.
»Willst du ihn vielleicht besuchen?«, fragt er dann rau.
»Warum nicht?«, fragt Dave zurück. »Während der letzten Runde hatte ich den Eindruck, als wäre er krank. Ich muss immerzu an diesen Johnny Mills denken. Vielleicht, wenn ich ihn besucht habe, wird dann in mir wieder alles ruhiger sein.«
»Mitleid?«, fragt Andy Baxter kehlig. Er schüttelt heftig den Kopf. »In diesem Geschäft gibt es kein Mitleid. Es geht einzig darum, den Gegner zu schlagen. Sonst schlägt er dich, und du bist wieder unten. Dave, hör auf damit, an deine Gegner zu denken, die von dir geschlagen wurden. Wenn du damit anfängst, bekommst du Nerven – und verlierst deine Härte.«
»Ich weiß«, murmelt Dave. »Doch ich möchte Johnny Mills dennoch aufsuchen.«
Andy Baxter sitzt still da. Dann nickt er langsam.
»Geh ins River Queen Hotel«, sagt er. »Eine halbe Meile den Fluss hinauf, da steht es gegenüber der Landebrücke der Star Company. Dort findest du ihn.«
Wenig später steht Dave Bringham vor dem River Queen Hotel. Er gelangte unerkannt bis hierher und er trägt die Kleidung eines Cowboys, denn Cowboy war er, bevor Andy Baxter ihn zu sich nahm und zu einem Preisboxer machte.
»Wir haben nichts mehr frei«, sagt der Portier.
»Ich möchte Johnny Mills besuchen«, erklärt Dave ruhig und schiebt den Hut aus der Stirn.
Er hat dunkle Haare und rauchgraue Augen. Sein Mund ist zwar voll, doch fest und männlich. Er ist nicht hübsch, doch er wirkt sympathisch.
Der Portier, der erst am Abend seinen Dienst begann und am Nachmittag beim Kampf zugegen war, erkennt ihn nun.
Er nickt ihm zu und sagt trocken: »Ah, Sie sind es! Wollen Sie Johnny Mills besuchen? Es geht ihm nicht gut. Johnny Mills ist am Ende. Sein Manager ist vor einer halben Stunde abgereist. Aber ob es ihn freuen wird, Sie zu sehen, Dave Bringham ...«
»Ich muss mit ihm sprechen«, erklärt Dave. »In welchem Zimmer finde ich ihn?«
»Zimmer fünf.«
»Danke.« Dave geht langsam hinauf, und er weiß, dass ein Boxer vollkommen am Ende ist, wenn sein Manager ihn verlässt.
Nun steht er vor der Tür und klopft. Die Tür wird geöffnet, und er steht einer Frau gegenüber. Er glaubt, sich in der Zimmernummer geirrt zu haben und murmelt: »Verzeihen Sie, Madam, ich wollte zu Mister Johnny Mills. Doch ...«
»Der wohnt hier«, sagt die Frau und betrachtet ihn fest. »Jetzt erkenne ich Sie«, sagt sie staunend. »Sie sind Dave Bringham, der boxende Cowboy, wie man Sie nennt, nicht wahr? Was wollen Sie?«
Als sie die Frage stellt, bekommt ihre Stimme einen bitteren Klang.
Dave begreift, dass die junge Frau irgendwie zu Johnny Mills gehört.
»Ich möchte mit Johnny Mills sprechen«, sagt er. »Es bedeutet mir viel, wenn ich mit ihm sprechen könnte.«
Er kann in ihren Augen für einen kurzen Moment den Ausdruck von Überraschung erkennen. Dann sagte sie ziemlich spröde: »Er ist nicht zu sprechen. Es tut mir leid. Gehen Sie, Mister Bringham.«
»Entscheiden Sie das nicht für ihn«, erwidert Dave. »Sagen Sie ihm, dass ich hier vor seiner Tür stehe und ihn sprechen möchte. Er soll das entscheiden.«
»Lass ihn herein, Jayne«, sagt eine heisere und gepresst klingende Stimme.
Da tritt sie wortlos zur Seite, lässt Dave eintreten und schließt hinter ihm die Tür.
Johnny Mills sitzt an einem Tisch. Er hat eine Schüssel mit einer hellen Flüssigkeit vor sich, in der er immer wieder ein Tuch befeuchtet und es sich auf das zerschlagene Gesicht legt. Dave weiß, dass es eine Flüssigkeit ist, die kühlende und abschwellende Wirkung hat.
»Was wollen Sie, Dave?«, fragt Johnny Mills, deutet zur Seite und sagt: »Setzen Sie sich.«
Aber dort, wohin er deutet, steht gar kein Stuhl.
Irrt er sich mit seiner Handbewegung, oder sieht er nichts? Dies ist die Frage, die Dave sich stellt. Er greift sich einen Stuhl, der am Fußende des Bettes steht, und setzt sich zu Johnny Mills an den Tisch.
»Nun?«, fragt Johnny Mills.
»Warum haben Sie nach der fünfzehnten Runde noch weiter gegen mich gekämpft?«, fragt Dave ernst. »Warum gaben Sie nicht auf, sondern zwangen mich dazu, Sie immer wieder so zu schlagen?«
»Ich hoffte immer noch auf einen Glücksschlag«, murmelt Johnny Mills. »Ich habe gelernt, dass ein Boxer nicht aufgeben soll, bevor er am Boden liegt. Ich konnte Sie leider nicht voll treffen. Das war Ihr Glück, Dave.«
Dave starrt ihn an, und nun wird sein Gefühl zur Gewissheit.
»Sie konnten mich nicht richtig sehen, Johnny«, sagt er. »Was ist mit Ihren Augen?«
Als er es gefragt hat, schluckt er mühsam.
»Nun«, murmelt Johnny Mills, »die Augen waren zugeschwollen.«
»Er lügt«, sagt Jayne von der Tür her, und es klingt sehr ruhig und sachlich. Sie spricht auch sofort weiter: »Sag ihm die Wahrheit, Johnny. Wenn du der Meinung bist, dass er fair mit dir kämpfte und du gegen ihn einige üble Tricks anwandtest, dann lüge ihn jetzt nicht an. Erzähle ihm von einem Mann, der nie Gnade kannte, wenn er in den Ring stieg, und der jetzt selbst keine Gnade haben wollte.«
Nun kommt sie näher an den Tisch.
»Sein Sehvermögen wurde von Woche zu Woche schlechter«, spricht sie. »Wir haben einige gute Ärzte besucht. Irgendwie wurde durch starke Kopftreffer sein Sehnerv in Mitleidenschaft gezogen. Die Ärzte vermuten ein Blutgerinnsel. Er konnte schon schlecht sehen, als er in den Kampf ging. Und durch Ihre Treffer, Mister Bringham, wurde er von Runde zu Runde blinder. Doch er hatte noch einmal sein ganzes Geld auf seinen eigenen Sieg gesetzt. Er musste noch einmal versuchen zu gewinnen. Deshalb kämpfte er weiter und hoffte auf einen Glückstreffer. Bringham, Sie brauchen auf Ihren Sieg nicht stolz zu sein. Denn Sie kämpften zuletzt mit einem Blinden. Aber Sie durften nicht gnädig sein, weil es im Ring unter Preisboxern keine Gnade gibt. Eines Tages trifft es jeden von euch – jeden von euch Narren, der mit den Fäusten das große Geld machen will und nicht rechtzeitig aufhören kann. Merken Sie sich das, Mister Bringham! Heute kannten Sie keine Gnade. Vielleicht morgen schon wird ein anderer Mann an Ihnen keine Gnade üben. Nun wissen Sie alles, Mister. Nun gehen Sie bitte!«
Dave Bringham erhebt sich langsam.
»Stimmt das alles, Johnny?«
»Genau«, sagt dieser.
»Und was werden Sie jetzt tun, Johnny?«
»Das geht Sie einen Dreck an, mein Junge!«, tönt die Antwort.
»Wir haben irgendwo eine kleine Ranch«, sagt die Frau. »Johnny wird mich jetzt endlich heiraten, und wir werden auf diese kleine Ranch gehen und endlich Ruhe finden und glücklich werden.«
Sie sagt es fast eigensinnig.
Da meldet sich Johnny Mills. »Ich habe noch Glück«, sagt er zu Dave. »Ich besitze immer noch die Liebe einer Frau. Nun, Dave, zieh deine Lehren aus dieser Sache. Ich selbst trage dir nicht nach, dass du mir den Rest gegeben hast.«
✰✰✰
Dave Bringhams Glück hält während der nächsten Monate an. Er hat einige große Kämpfe, besonders den gewaltigen Kampf gegen Hickory-Ben.
Dieser Kampf gegen Hickory-Ben zerbricht ihn fast, denn er dauert neununddreißig Runden. (Anmerkung: Dies erscheint uns heute fast unglaublich. Denn in unserer Zeit sind selbst die großen Weltmeisterschaftskämpfe nicht länger als fünfzehn Runden. Damals war es anders. Damals wurde bis zur völligen Aufgabe des Gegners gekämpft. Im Jahre 1882 brauchte John L. Sullivan, der erste Weltmeister, den es gab, fünfundsiebzig Runden, um den Titel gegen Kilrain durch Knockout zu gewinnen.)
Aber er gleicht einem Gladiator, der noch einmal schwer gezeichnet die Arena verlassen kann, doch nun ziemlich sicher weiß, dass er vielleicht schon beim nächsten Mal von einem Gegner endgültig geschlagen werden kann.
An einem Tag nach diesem Kampf beginnt Andy Baxter in seinem Notizbuch zu rechnen. Und nach einer Weile sagt er dann: »Nun, Dave, wir können aufhören, denke ich. Unser Leben ist zwar sehr teuer, und die Städte, in denen wir die Kämpfe austrugen, nahmen uns eine Menge Steuern ab, doch wir besitzen jetzt insgesamt mehr als fünfzehntausend Dollar. Das ist ein Berg Geld. Dave, wir können aufhören.«
Dave Bringham liegt auf dem Bett. Sein Oberkörper ist bis auf die Pflaster und Bandagen nackt. Sein Gesicht ist angeschwollen und hat einige blutverkrustete und verfärbte Stellen.
Nach einer langen Pause, als Andy es fast schon aufgegeben hat, auf eine Antwort zu warten, beginnt Dave wie zu sich selbst zu sprechen: »Fünfzehntausend Dollar, wenn wir zusammenbleiben, Andy. Aber wenn wir eines Tages auseinander gehen sollten, sind es nur noch siebeneinhalbtausend. Gewiss, dies ist viel Geld. Man kann damit eine kleine Ranch kaufen. Gut! Aber ich will keine kleine, ich will noch nicht aufhören. Wenn auf meinen Anteil fünfzigtausend Dollar fallen, dann steige ich aus dem Ring. Dann erst bin ich fertig mit diesem Geschäft. Hast du verstanden, Andy?«
Dieser nickt bekümmert.
»Sicher«, sagt er. »Hickory-Ben war ein besonders harter Brocken. Wir werden mit der Auswahl der nächsten Gegner vorsichtiger sein. Ich glaube, wir gehen wieder ein Stück östlicher und nehmen einige leichte Kämpfe an, sodass du zwar nicht einrostest, dich aber nicht bis ins Mark verausgaben musst. Na gut, wir machen weiter, aber ohne jedes Risiko.«
✰✰✰
Wieder vergehen einige Monate. Dave Bringham kämpft in Chicago und dann an der Ostküste in Boston, New York, Philadelphia, Baltimore und Charleston. Aber er macht kein großes Geld, denn seine Gegner sind nur zweit- oder gar drittklassig.
Es ist Dave klar, dass er sich wieder an große Gegner heranwagen muss, an erstklassige Boxer.
Am 17. Mai 1868 kämpft er in Boston gegen Paul McNamara. Die Wetten stehen eins zu eins, und die Kampfbörse beträgt für jeden der beiden Kämpfer zweitausend Dollar.
Doch Paul McNamaras Manager kommt am Abend vor dem Kampf noch zu Dave und Andy und schlägt vor, einen Vertrag zu machen, der dem Sieger auch die Kampfbörse des Verlierers sichert.
»Nein«, spricht Andy Baxter sofort.
Dave Bringham aber rechnet. Und diese Rechnung sieht etwa so aus: Er und Andy haben zwanzigtausend Dollar auf seinen Sieg gesetzt.
Wenn er gewinnt, werden sie also insgesamt vierzigtausend Dollar und die Kampfbörse haben.
Mit der Börse des Gegners werden es vierundvierzigtausend Dollar sein. Dave Bringham möchte auf keinen Dollar davon verzichten. Denn er fühlt sich sehr in Form, und er möchte wieder einmal alles auf eine Karte setzen, so wie damals gegen Hickory-Ben.
Und so wischt er Andy Baxters Nein mit einer Handbewegung zur Seite und nickt dem Manager des Gegners zu. »In Ordnung! Der Gewinner erhält die Börse des Verlierers. Wir machen das vertraglich fest.«
Als sie dann allein sind, sagt Andy nichts.
Dave betrachtet seinen väterlichen Freund.
»Ich will nicht ewig boxen«, sagt er. »Ich will einige große Kämpfe machen und jedes Risiko eingehen, bis ich für jeden von uns fünfzigtausend Dollar verdient habe. Ich werde McNamara schlagen, verlass dich darauf, Andy.«
✰✰✰
Am nächsten Tag macht Dave Bringham einen großen Kampf im Hafen von Boston. Man hat Lastkräne und große Flöße und sogar Seeschiffe rings um die Landebrücke verankert, auf der der Kampf ausgetragen wird. Und auf all diesen schwimmenden Untersätzen fanden etwa fünftausend Zuschauer Platz, die dem Kampf durch ihr Gebrüll eine tobende Kulisse geben. Dave Bringham macht wirklich einen großen Kampf bis zur siebzehnten Runde. Er hat den Sieg schon fast in der Tasche.
Dann bricht er sich den Mittelhandknochen.
Und seine Rechte ist von diesem Moment an unbrauchbar.
Er kämpft dann noch fünf weitere Runden nur mit der Linken gegen diesen Klassegegner.
Aber dann liegt er am Boden und ist geschlagen.
Und er ist wieder so arm wie damals, als Andy Baxter ihm den Vorschlag machte, sich von ihm zum Preisboxer schulen zu lassen.
Diesmal ist er noch schlimmer zerschlagen und gezeichnet als nach seinem Kampf mit Hickory-Ben.
Denn es ging ihm so ähnlich wie damals Johnny Mills. Er wollte nicht aufhören. Er hoffte auf einen Glückstreffer. Denn er hatte sein ganzes Geld auf seinen Sieg gewettet.
Und so wurde er gnadenlos zerschlagen.
✰✰✰
Es sind grausame Tage für Dave Bringham, aber es helfen keine Selbstvorwürfe.
Und Andy Baxter sorgt für ihn wie Mutter und Vater zugleich.
Es zeigt sich, dass Andy noch einen Notpfennig im Brustbeutel hatte, sodass sie einen Arzt und den Hotelaufenthalt bezahlen können.
»Warum tust du das für mich, Andy?«, fragt Dave gepresst. »Ich habe dich doch grausam enttäuscht. Ich war wie ein Spieler, der alles auf eine Karte setzte. Andy, ich bin erledigt als Boxer. Ich kann keinen Kampf um großes Geld mehr machen.«
»Vielleicht«, murmelt Andy. »Es war wohl Schicksal. Wenn bei einem Wagenrennen ein Rad bricht, kannst du nicht mehr weiter. Und so war es mit deiner Rechten. Sie konnte halten oder brechen, und sie brach. Das war vielleicht nicht zufällig. Vielleicht solltest du reifer werden, Dave. Lass nur nicht den Kopf hängen, Dave! Wir werden deiner Faust ein Jahr Zeit geben. Und dann fangen wir noch einmal an. Sobald es möglich ist, werden wir in den Westen gehen und als Holzfäller arbeiten. Das wird deinen Körper stark und ausdauernd halten.«
»Vierzigtausend Dollar wollte ich besitzen«, murmelt Dave heiser und wie im Selbstgespräch. »Und nur weil mir der Mittelhandknochen brach ...«
Er verstummt resigniert.
Nach einer Weile murmelt Dave: »Es ist, weil ich damals gegen den fast blinden Johnny Mills so grausam war und keine Gnade kannte. Irgendwann und irgendwie bekommt man alles einmal zurück.«
✰✰✰