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Es war ein knallroter Kastenwagen mit einer knallgelben Schrift, die »Langtry's Wundermedizin« anpries.
Der Wagen hielt vor dem Pueblo im Angel Arch Canyon, und auf dem Wagen saß neben dem Fahrersitz ein Mädchen. Es hatte blauschwarzes Haar, das in der Sonne schimmerte wie das Gefieder eines Raben, doch seine Augen waren blau, leuchtend blau wie der Himmel, und standen weit auseinander. Auf seiner Nase waren einige Sommersprossen.
Ich sah es genau, denn ich hockte nur fünf oder sechs Schritte von dem Mädchen entfernt an der Canyonwand, und auch ich wartete.
Meinen Namen kann ich leider nicht sagen, ich kenne ihn selbst nicht. Die Leute, die mich damals als einzigen Überlebenden eines von den Indianern überfallenen Wagenzugs retteten, nannten mich Chattanooga Kid - nach der Stadt in Tennessee, aus der der Wagenzug gekommen war. Ich selbst nannte mich Ty - Ty Chattanooga.
Einmal fragte ich das Mädchen: »Warum kommen Sie nicht herunter in den Schatten, Ma'am?«
Es sah mich nur an und antwortete: »Mir macht die Sonne nichts aus - gar nichts.«
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Seitenzahl: 151
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Chattanooga Kid
Vorschau
Impressum
Chattanooga Kid
Es war ein knallroter Kastenwagen mit einer knallgelben Schrift, die »Langtry's Wundermedizin« anpries.
Der Wagen hielt vor dem Pueblo im Angel Arch Canyon, und auf dem Wagen saß neben dem Fahrersitz ein Mädchen. Es hatte blauschwarzes Haar, das in der Sonne schimmerte wie das Gefieder eines Raben, doch seine Augen waren blau, leuchtend blau wie der Himmel, und standen weit auseinander. Auf seiner Nase waren einige Sommersprossen.
Ich sah es genau, denn ich hockte nur fünf oder sechs Schritte von dem Mädchen entfernt an der Canyonwand, und auch ich wartete.
Meinen Namen kann ich leider nicht sagen, ich kenne ihn selbst nicht. Die Leute, die mich damals als einzigen Überlebenden eines von den Indianern überfallenen Wagenzugs retteten, nannten mich Chattanooga Kid – nach der Stadt in Tennessee, aus der der Wagenzug gekommen war. Ich selbst nannte mich Ty – Ty Chattanooga.
Einmal fragte ich das Mädchen: »Warum kommen Sie nicht herunter in den Schatten, Ma'am?«
Es sah mich nur an und antwortete: »Mir macht die Sonne nichts aus – gar nichts.«
Ich musste sie immer wieder ansehen.
Ich hatte sie von dem Moment an »Blauauge« getauft, da sie mich ansah, und ich wusste vom ersten Moment an, dass ich diese Augen nicht so leicht würde vergessen können.
Und Blauauge wartete schon Stunden.
Ich fragte zwei- oder dreimal während dieser Zeit: »Ma'am, kann ich etwas für Sie tun?«
Aber sie schüttelte immer nur stumm den Kopf.
Aber irgendwann hat jedes Warten mal ein Ende – so auch für das Mädchen.
Der Quacksalber im flaschengrünen Prinz-Albert-Rock kam aus dem Pueblo geflogen.
Das Mädchen sprang vom Wagen. Nun sah ich, wie leicht und geschmeidig sich dieses Blauauge bewegte.
Sie sprang vom Wagen, lief mit gerafften Röcken durch den knöcheltiefen Staub zu ihrem Vater und wollte ihm helfen, auf die Beine zu kommen.
Aber er war stolz und wollte nicht, dass sein Mädel ihm auf die Beine helfen musste.
Ich hörte das Mädchen sagen: »Können wir jetzt fahren, Vater?«
Aber er schüttelte heftig den grauen Kopf.
Ich hörte ihn sagen: »Sharon, mein gutes Mädchen, setz dich bitte wieder auf den Wagen und warte noch fünf Minuten. Nur fünf Minuten noch! Dort drinnen wurde mir Unrecht angetan, großes Unrecht. Ich gewann beim Poker mehr als hundert Dollar von einem dicken Burschen. Und dann beschuldigte er mich des Falschspiels und warf mich aus dem Saloon. Aber das geht nicht! Das macht man nicht mit John Langtry! Bitte, warte noch, Sharon, mein Mädchen. Es geht um meine Ehre.«
Ich seufzte. Denn ich wusste, mit wem er sich dort drinnen angelegt hatte. Es war Carlo Mohave, ein Harter unter Harten und überdies auch noch böse.
Ich schob meinen Hut zurück und sagte: »Einen Moment, Mister Langtry.«
Er war schon fast am Eingang. Er hielt kurz inne und griff in die Innentasche seines offenen Rockes.
Ich wusste, dass er dort eine kleine Waffe hatte. Seine Bewegung verriet es mir. Er wollte sich also mit einer Waffe drinnen Genugtuung verschaffen.
Er ging so schnell hinein, dass ich ihn nicht mehr aufhalten konnte.
Er kam dann auch schon bald wieder heraus.
Rückwärts!
Und zuvor hatte drinnen ein schwerer Colt gekracht.
John Langtry aber war mit seiner kleinen Waffe gar nicht zum Schuss gekommen. Er wandte sich zur Seite und fiel dann. Ich sah auf seiner Brust den großen Fleck.
Hinter ihm kam Carlo Mohave aus dem Pueblo. Er hielt seinen Colt noch in der Hand. Die Waffe rauchte leicht.
»Dieser Narr«, sagte er. »Erst spielt er falsch, und dann ist er zu stolz, um Prügel zu schlucken. Ich hätte ihn gleich ...«
»Er hat nicht falschgespielt«, sagte das Mädchen mit spröder Stimme. Sie kniete nun neben dem Toten. Ja, er war tot. Ich wusste es, weil ich mich auskannte.
Sharon Langtry sprach weiter: »Mein Vater hat niemals falschgespielt. Das war sein letzter Stolz. Sie konnten nur nicht verlieren, Mister.«
Carlo Mohave, der an einen schwarzen Kampfstier erinnerte, staunte stumm. Dann steckte er seinen Revolver weg, packte das Mädchen am Arm und fragte: »War er wirklich dein Vater, oder zogst du nur so mit ihm herum?«
Sie gab ihm keine Antwort, sondern wandte sich an mich.
»Sie fragten vorhin mehrmals, ob Sie etwas für mich tun könnten«, sprach sie ruhig. »Nun, jetzt könnten Sie etwas für mich ...«
Ich sagte: »Lass das Mädchen los und hau ab, Carlo!«
Er zuckte zusammen.
»He, wer bist du denn?« So staunte er grollend. »Du kennst mich? Sollte auch ich dich kennen?«
Hinter ihm kamen noch zwei Männer heraus. Einer sagte: »Das ist Chattanooga Kid, Carlo. Der sieht heute nur etwas anders aus als sonst. Aber er ist es. Das ist Chattanooga Kid.«
Ich grinste, und jetzt erkannte er mich wieder.
»Schleich dich, Mohave«, sagte ich.
Er schluckte, und er war wild, stolz und gewalttätig. Er war ein Bandit, ein Schläger und Revolverheld. Es juckte ihn, es zu versuchen. Überdies hatte er noch zwei erfahrene Hombres bei sich. Vor einigen Wochen hatten sie die Siedlung Santa Rosa terrorisiert, und in Santa Rosa lebten mehr als dreißig Menschen, darunter ein gutes Dutzend Männer. Aber sie hatten Angst vor diesen Banditen gehabt.
Ich nicht.
Mohave spuckte mir vor die Füße. Dann sagte er: »Bilde dir nur nicht ein, dass ich aus Angst nachgebe, Chattanooga. Ich sehe nur keinen Sinn darin, dass wir uns mit dir anlegen. Weißt du, es muss sich lohnen. Vielleicht lohnt es sich ein andermal. Dann bekommst du es schon.«
Er ging zu seinem Pferd, welches im Schatten bei einer Stange neben anderen Sattelpferden angebunden war. Seine beiden Hombres folgten ihm. Sie schielten nach mir.
Erst als sie weit genug fort waren, sah ich auf das Mädchen.
Sie kniete wieder am Boden und hatte den Kopf des Toten auf den Oberschenkeln, so als wollte sie wenigstens den Kopf nicht länger im Staub liegen lassen.
Ich war hier zur Pueblo-Station im Angel Arch Canyon gekommen, um auf die Quarry-Brüder zu warten, die mir meine Fuchsstute gestohlen hatten, die von dem Wildhengst El Capitan tragend war. In dieser Nacht jedoch dachte ich kaum noch an die Quarry-Brüder. Meine Gedanken waren bei dem Mädchen.
Wir setzten uns auf die Bank.
Eine Weile schwieg ich. Dann sagte ich: »Ihren Vater liebten Sie wohl sehr, nicht wahr?«
Ihre Stimme versagte ihr. Aber endlich konnte sie weinen.
»Ich verstehe«, murmelte ich. »Ich verstehe eine ganze Menge. Und es ist nur gut, dass Sie jetzt weinen können, Sharon Langtry. Mein Name ist Ty Chattanooga. Leider werde ich Ihnen nicht helfen können, denn ...«
»Schon gut«, sagte sie. »Ich komme schon zurecht. Sie haben mir schon sehr geholfen, Mister Chattanooga.«
Ich hätte ihr gerne gesagt, dass sie mich Ty nennen solle.
Aber dann dachte ich an die Quarry-Brüder, auf die ich hier wartete. Und da sagte ich es lieber nicht zu ihr. Denn es konnte sein, dass ich bald nicht mehr lebte.
Carlo Mohave hatte keinen Streit mit mir haben wollen, weil er klug genug war. Aber die Quarry-Brüder waren nicht klug. Sie waren zu wild, zu verwegen und glaubten zu sehr an ihr Glück. Deshalb würden sie nicht kneifen.
Und deshalb konnte ich dieser Sharon Langtry nichts versprechen – gar nichts.
✰✰✰
Bei Sonnenaufgang begruben wir ihn, und wir waren insgesamt nicht mal ein volles Dutzend Menschen am Grab.
Und noch während der Posthalter, der als Prediger fungierte, zum Schluss seiner kurzen Grabrede das Vaterunser sprach, sah ich die Quarry-Brüder auf der staubigen Poststraße mit meiner kostbaren Stute kommen.
Sie ritten vorbei und schenkten unserer Gruppe kaum Interesse.
Ich löste mich aus der sich jetzt ohnehin auflösenden Gruppe und machte lange Schritte.
Sie waren inzwischen abgesessen, hatten die Pferde und auch meine Stute angebunden und waren im Begriff, in den Gasträumen des Pueblos zu verschwinden.
Und da erkannten sie mich endlich. Ich war nur noch zwanzig Schritte von ihnen entfernt.
Sie zischten sich etwas zu und traten mir dann entgegen, wobei sie etwas auseinander gingen.
Als noch zehn Schritte uns trennten, verhielten wir.
Sie sagten nichts mehr. Sie zischten sich nur zu.
Das war ihr Signal.
Dann zogen sie.
Ich konnte sie im Ziehen schlagen. Sie waren zwar unheimlich schnell, und die Colts erschienen wie durch Zauberei in ihren Händen. Doch ich zog schneller.
Aber einer von ihnen war im Vorteil – und zwar der langsamere Mann. Denn auf den schnelleren schoss ich zuerst, traf ihn auch mit dem ersten Schuss, sodass er den Colt nicht mehr hochbekommen konnte.
Aber dann musste ich mit dem Colt fünf Schritte weiter nach links zielen. Da stand der andere Gegner.
Und er hatte Zeit genug gehabt. Denn auch er war ja schnell.
Ich sah sein Mündungsfeuer, als ich selbst abdrückte. Ich bekam seine Kugel, hielt mich auf den Beinen und traf ihn mit einer zweiten Kugel.
Auch der erste Mann lag am Boden. Doch sie waren zäh, diese beiden Brüder. Es war wohl Phil Quarry, der am Boden den Colt mit beiden Händen hielt, den Kolben in den Staub stützte und mit dem Lauf schräg nach oben zielte.
Ich musste ihn nochmals treffen.
Und dann endlich war es vorbei.
Ich spürte nun die Kugel von Vance Quarry. Der Schmerz lähmte meine linke Seite, und das Blut lief unter dem Hemd aus der Wunde.
Mir wurde plötzlich schlecht. Die Knie wurden mir weich. Und dann kam der staubige Boden auf mich zu. Wenigstens linderte der knöcheltiefe Staub meinen Aufprall.
Als ich erwachte, war da zuerst nur der böse Schmerz.
Und dann kam die Erinnerung an den Kampf.
Ich befühlte meine Wunde, so gut ich dies durch den Verband vermochte und meine Schmerzen unter den tastenden Fingerspitzen das aushielten.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, auf einem Schiff zu sein, dass sich in schwerem Seegang befand. Dann begriff ich, dass ich in einem Wagen lag, der fuhr.
Ich verfiel nun immer wieder kurzweilig in einen Dämmerzustand, wurde wahrscheinlich auch bewusstlos und erwachte wieder, wenn die Schmerzen zu schlimm wüteten.
Ich spürte auch, wie mein Fieber zunahm. Meine Lippen waren trocken und sprangen auf.
Irgendwann hielt der Wagen. Durch eine türähnliche Luke sah ich Sharon zu mir hereinkommen. Sie kniete sich neben mein Lager.
Durch die Fenster fiel genügend Licht herein. Wir konnten uns ansehen.
Sie ließ mich trinken und wusch auch mein schweißnasses Gesicht, auch den nicht weniger schweißnassen Hals.
Ich murmelte: »Danke, mein Engel. Wohin fährst du mich?«
Sie hielt ihre Unterlippe mit den Zähnen fest. Ihre Augen prüften.
»Nach El Paso zu Doc Barney«, sagte sie. »Der Posthalter von der Pueblo-Station gab mir den Rat. Als ich ihn fragte, was man für Sie tun könnte, sagte er nur, dass Sie vor Anbruch der zweiten Nacht bei einem Doc sein müssten – oder Sie würden keine Chance mehr haben. Und überdies könnten Sie keine sechs Stunden im Angel Arch Canyon in der Pueblo-Station bleiben, weil die Quarry-Brüder noch ein paar Verwandte und auch einige Freunde hätten, die bald kommen würden, um sich Ihren Skalp zu holen. Ich hielt es deshalb für gut, Sie einladen zu lassen und mich mit Ihnen auf den Weg nach El Paso zu machen.«
Sie sprach die letzten Worte sehr schlicht und wie selbstverständlich. Aber was für einen Mut besaß sie! Was wagte sie für mich! Denn der Weg nach El Paso war nicht nur ein verdammt langer Weg von mehr als fünfzig Meilen, es war auch ein Weg, auf dem man auf Banditen und wilde Apachen treffen konnte.
Irgendwann am Nachmittag erwachte ich wieder.
Der Wagen hielt. Ich hörte Sharons Stimme irgendwelche Worte sprechen, und die Stimme klang beruhigend, milde, sanft. Ich begriff, dass sie auf ein Tier einredete.
Aber dann verlor ich wieder die Besinnung. Das Fieber war jetzt schlimm in mir. Ich konnte kaum noch zwischen wirrem Fieber denken und die Tatsachen unterscheiden.
Irgendwann jedoch begriff ich, dass Sharon die Hintertür öffnete und dann ein Fohlen in den Wagen hob.
Aber obwohl ich es begriff, kam es mir wie ein böser Fiebertraum vor. Dann fuhr der Wagen wieder. Meine Schmerzen wurden sofort böse.
Und das Fohlen lag zappelnd neben mir im Stroh. Es reichte für uns beide, dieses Stroh.
✰✰✰
Nun, ich weiß nicht, wie Sharon es geschafft haben mochte.
Ich erwachte erst wieder im Schein einer Lampe. Und ich erkannte das seehundsbärtige Gesicht von Doc Barney über mir.
Er knurrte auf mich nieder: »Hombre, ich hatte drüben im Saloon einen Royal Flush und hätte den Pott hochgetrieben bis zum siebenten Himmel. Und da kam das Mädel. Ha!«
Als er das »Ha« machte, hatte er die Kugel gefasst. Er holte sie heraus und zeigte sie mir mitsamt der blutigen spitzen Zange.
»Du hattest ja noch mehr Glück als ich mit dem Flush«, knurrte er. »Wenn du heute nicht ohnehin Geburtstag hast, musst du ihn von nun an zweimal feiern und diesem Mädel vor Dankbarkeit zumindest in Gedanken die Hände küssen ...«
Als ich so richtig wieder bei Bewusstsein war und mein Verstand endlich zu funktionieren begann, lag ich in einem guten Hotelzimmer. Und da fiel mir Sharon Langtry wieder ein.
Als ob meine Gedanken sie gerufen hätten, kam sie aus dem Nebenzimmer und verhielt am Fußende des Bettes. Ihre Augen betrachteten mich fest und prüfend. Als sie erkannte, dass ich voll bei Bewusstsein war, lächelte sie.
»Ay, Hombre«, sagte sie. »Geht es dir heute besser?«
Ihre Stimme klang noch kehliger als vor Tagen, nachdem sie ihren Vater beerdigt hatte.
»Wie geht es dir?« So fragte ich, und meine Stimme war heiser, klang noch undeutlich und war mühsam. »Wer bezahlt das alles hier?«
»Ich«, sagte sie, »ich verkaufte die Maultiere und den Wagen. Auch den Rest von meines Vaters Wundermedizin konnte ich zu Geld machen. Jetzt reicht es eine Weile, und ich habe einen guten Job. Im El Paso Saloon bekomme ich zwanzig Dollar pro Abend. Und ich brauche nur zwei Lieder zu singen.«
Nun wusste ich es genau. Sie war klug genug, es mir von selbst zu sagen, weil ich ja ohnehin bald gewusst hätte, wie sie unseren Lebensunterhalt bestritt.
Sie hatte sich als Sängerin und Tanzmädchen im El Paso Saloon verdingt. Und ich kannte diese böse Amüsierhalle gut genug. Dort konnte ein Mädel schnell vor die Hunde gehen.
Nach drei Tagen konnte ich wieder ohne fremde Hilfe essen.
Und nach einer Woche saß ich schon im Bett.
Der Doc war bisher jeden Tag gekommen. Doch nun sagte er, dass dies nicht mehr nötig sei.
Ich war immer wieder viele Stunden allein und las alte Zeitungen, die Sharon mir brachte.
Ich hatte meinen Revolver schussbereit neben mir im Bett. Es war ein Remington Navy Colt. Ich hatte ihn schon gereinigt und geladen, und ich war an dieses Ding gewöhnt wie eine alte Tante an ihre Stricknadeln.
Ich fragte mich in diesen Tagen immer wieder, wie es weitergehen sollte. Doch das wusste ich nicht.
An diesem Nachmittag kam Sharon wieder zu mir. Sie brachte auf einem Tablett für uns den Kaffee und für mich ein paar belegte Brote und einen großen Apfel.
Sie schob den Tisch dicht an mein Bett und setzte sich.
Wie immer betrachtete ich sie genau. Und sie erwiderte meinen Blick auf eine Art, die mir sagte, dass sie immer noch ihren Stolz besaß und sich fest in der Hand hielt.
Oh, es war eine große Veränderung mit ihr vorgegangen! In dieser einen Woche hatte sie einen großen Schritt gemacht.
Sie hatte ein paar Kleider gekauft oder sich nähen lassen, wie man sie in den nobelsten Amüsierhallen am Mississippi nicht schöner trug. Sie pflegte sich sehr und bürstete jeden Tag lange ihr Haar.
Sie war schöner geworden, denn sie legte es darauf an, schöner zu sein.
Doch in ihren Mundwinkel hatten sich zwei kleine Fältchen gebildet. Ihr Mund mochte noch so weiblich sein – er hatte jetzt einen herben Zug. Und in ihren Augen war ein kritisches Prüfen. Sie war ständig auf der Hut.
»Du singst gewiss nicht nur zwei Lieder«, sagte ich, während ich den Kaffee trank und am belegten Brot kaute.
»Nein«, sagte sie. »Ich teile auch Karten aus und halte die Bank. Ich mache jede Nacht nicht weniger als hundert Dollar. Im Saloon arbeiten siebzehn Mädels außer mir. Aber ich gehöre nicht zu ihnen. Ich animiere keine Männer. Ich tanze auch nicht mit ihnen. Ich singe nur und halte die Bank im Spielraum. Der Saloonbesitzer behandelt mich wie eine Lady.«
Wir waren noch nicht fertig mit unserem Nachmittagskaffee, als wir Besuch erhielten. Es war ein höflicher Besuch, denn er klopfte an die Tür.
Ich nahm den Colt in die Hand und sagte, dass man eintreten möge.
Es kam ein älterer Mexikaner, der jedoch wie ein Boss aussah und sich auch so kleidete. Sein graues Haar bildete einen Kontrast zu seiner sonstigen noch sehr drahtigen und spannkräftigen Erscheinung. Er war einer jener Männer, die auch mit sechzig körperlich noch jung wirken.
Er sprach einwandfreies Englisch, wenn auch mit etwas Akzent. Und er nahm vor Sharon eine höfliche Haltung ein und sagte: »Bitte, entschuldigen Sie die Störung, Señorita. Mein Besuch gilt Señor Chattanooga. Ich bin Fernando Montanes, und Don Estevan de Coronado schickt mich.«
Nun wusste ich auch schon Bescheid. Es handelte sich um das Hengstfohlen, das der wilde Hengst El Capitan mit meiner Stute gezeugt hatte.
Denn der Wildhengst hatte während seines Lebens drei Männer getötet. Einer dieser Männer war der einzige Sohn von Don Estevan.
Er war auch der Mann, der den Quarry-Brüdern für die trächtige Stute fünfhundert Dollar gezahlt hätte.
Aber es war meine Stute. Und es war auch mein Fohlen.
»Sie kommen umsonst, Señor«, sagte ich zu Fernando Montanes, und ich wurde mir dabei bewusst, dass er zwei Revolver auf eine Art trug, die mir alles sagte. Dieser Vertraute eines mächtigen Landbesitzers und Rinderzüchters war ein zwar schon grauer, doch gewiss immer noch erstklassiger Revolvermann.
»Die Stute gehört mir«, sagte ich. »Und auch das Fohlen gehört mir. Den Hengst musste ich töten. Auch zwei Männer, die mir die trächtige Stute stahlen, sind bereits gestorben. Ich gebe das Hengstfohlen nicht mehr her.«
Er hörte mir geduldig zu und nickte sogar zu meinen Worten, so als könnte er meine Argumente gut begreifen.