G. F. Unger Western-Bestseller 2626 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Western-Bestseller 2626 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Mein Bruder Abe war aus El Paso gekommen. Obwohl er von allen Quens den weitesten Weg hatte und gewiss einige Male die Pferde wechseln musste, war er keine Sekunde zu spät eingetroffen. Das gab es bei uns Quens nicht, wenn unsere Mom rief.
Sie hatte uns an ihr Sterbebett gerufen. Und es war jedem von uns klar: Diesmal war es ernst.
Außer meinem Bruder Abe waren noch meine Brüder Pernel, Virgil und meine Vettern Alvares und Johnny da. Und in der Ecke saß Onkel Tate. Er war der Bruder meines Vaters. Einen Vater hatten wir nicht mehr - schon lange nicht. Aber hätte er noch gelebt, wir wären gewiss nicht anders geworden. Im Gegenteil. Auch unser Alter gehörte zu jener Sorte, die sich durch Kühnheit behauptete, die keinem Streit und keinem Wagnis aus dem Wege ging - und die deshalb nicht sehr alt werden konnte ...


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Seitenzahl: 158

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Die Quen-Sippe

Vorschau

Impressum

Die Quen-Sippe

Mein Bruder Abe war aus El Paso gekommen. Obwohl er von allen Quens den weitesten Weg hatte und gewiss einige Male die Pferde wechseln musste, war er keine Sekunde zu spät eingetroffen. Das gab es bei uns Quens nicht, wenn unsere Mom rief.

Sie hatte uns an ihr Sterbebett gerufen. Und es war jedem von uns klar: Diesmal war es ernst.

Außer meinem Bruder Abe waren noch meine Brüder Pernel, Virgil und meine Vettern Alvares und Johnny da. Und in der Ecke saß Onkel Tate. Er war der Bruder meines Vaters. Einen Vater hatten wir nicht mehr – schon lange nicht. Aber hätte er noch gelebt, wir wären gewiss nicht anders geworden. Im Gegenteil. Auch unser Alter gehörte zu jener Sorte, die sich durch Kühnheit behauptete, die keinem Streit und keinem Wagnis aus dem Wege ging – und die deshalb nicht sehr alt werden konnte ...

Mein Name? Ich heiße Ben, einfach Ben. Meine größeren Brüder hatten schon alle ihre Kriegsnamen und waren mehr oder weniger berühmt-berüchtigt.

Abe zum Beispiel hatte noch vor wenigen Monaten drüben in Mexiko für Juarez gegen die Franzosen gekämpft.

Pernel war der Führer von Guerillas gewesen, die bis vor einem Jahr den Yankees das Leben schwer machten.

Virgil war von New Orleans herübergekommen. Er hatte sogar eine Extra-Expresspost für sich fahren lassen. Er war elegant gekleidet – wie ein englischer Lord. Aber wir hatten schon gehört, dass er ein Spieler geworden war, der auf den noblen Saloonschiffen den Mississippi hinauf- und hinunterfuhr und auf sein Glück vertraute.

Unser Vetter Alvares Quen war ein schon fast legendärer Armee-Scout. Er hatte erst vor drei Monaten den gefährlichen Häuptling Bronco gefangen, einfach so mitten aus einem Kriegslager heraus. Alvares Quen hatte dadurch einen Apachenkrieg beendet, denn dieser Bronco war für seine Anhänger eine Art roter Messias gewesen, an dessen Wunderkraft sie glaubten. Als er verschwunden war, verzagten sie.

Dann war da noch unser Vetter Johnny Quen. Er galt zu dieser Zeit als einer der schnellsten Revolvermänner des Westens.

Das also waren wir jungen männlichen Quens: Abe, Pernel, Virgil, Alvares, Johnny und dann ich, Ben.

Wir waren groß, hager, dunkel und dabei blauäugig. Wir hatten alle die gleichen dunkelblauen Augen.

Nur Onkel Tate nicht. Onkel Tate, der ein Bruder unseres Vaters war, glich diesem überhaupt nicht. Wir Jungen aber glichen unserem Vater, der Alvares' und Johnnys Onkel gewesen war.

Und sie waren gekommen, weil Mom nach ihnen verlangt hatte.

Vor einigen Wochen hatte sie plötzlich angefangen, Briefe zu schreiben. Jeden Tag einen, denn die Schreiberei war Schwerstarbeit für sie. Dabei war sie nicht dumm. Sie hatte nur länger als zwanzig Jahre keinen Brief geschrieben.

Ihre Briefe waren offenbar alle in die Hände gekommen, für die sie bestimmt waren – und das war schon ein außergewöhnliches Glück, wenn man bedenkt, dass manche Adressen sehr unbestimmt waren.

Aber Mom hatte ja auch auf die Rückseite jedes Briefumschlags geschrieben: »Empfänger zahlt dem Überbringer 25 Dollar.«

Ja, unsere Mom wusste sich immer zu helfen.

Fünfundzwanzig Dollar waren der Monatslohn eines Cowboys, und so kurz nach dem Krieg konnte ein Mann mächtig froh sein, einen solchen Job zu haben. Tausende von Männern waren ohne Heim, ohne Job und Auskommen.

Nun, die Quens waren also alle gekommen.

Mom hatte ihnen Tag und Zeit genau angegeben.

Nur ich, Ben Quen, ich war daheim, denn ich war der jüngste Quen. Ich war daheim geblieben, nachdem ich aus dem Krieg gekommen war. Mom war alt geworden und brauchte jemanden. Sie konnte die kleine Ranch-Farm nicht mehr allein bewirtschaften.

Mom saß im Bett. Nell Carter, die Frau unseres Nachbarn, hatte sie gewaschen, frisiert und ihr das gute Bettjäckchen angezogen.

Sie wirkte gar nicht krank, aber vielleicht war ihre Erregung daran schuld. Sie war noch einmal angefüllt mit ihrer alten Energie, mit der sie es fertiggebracht hatte, uns ohne die Hilfe ihres Mannes großzuziehen.

Und sie hatte es geschafft.

Der Reihe nach blickte sie uns an.

Ich erinnerte mich daran, dass ich sie als kleiner Junge einmal ein Pferd hatte beschlagen sehen. Damals waren meine größeren Brüder wieder einmal fortgeritten und hatten sich wochenlang nicht blicken lassen.

Oh, wir alle erinnerten uns wohl in diesen Minuten des schweigenden Beisammenseins an viele Dinge, die zumeist für uns beschämend waren.

Plötzlich begann sie zu sprechen. Sie sagte mit ruhiger Stimme: »Ich sterbe heute. Und ich danke dem Herrn im Himmel, dass er es möglich machte, euch bei mir zu haben – alle Quens. Ich habe euch etwas zu sagen. Fast ein ganzes Jahr habe ich darüber nachdenken können. Ich weiß nur nicht recht, wie ich es euch sagen soll. Doch ich muss mich beeilen. Meine Kraft reicht nicht mehr lange.«

Nach diesen Worten musste sie sich wieder etwas ausruhen. Abermals sah sie jeden von uns mit ihren grauen Augen nachdenklich an.

Nachdem sie verschnauft hatte, kam sie zur Sache. Sie sagte: »Wir Quens sind doch eine lausige Bande von Raufbolden, Glücksrittern, Revolverhelden, Pferdedieben und Banditen. Stimmt das? Oder möchte mir jemand widersprechen?«

Niemand von uns sagte etwas. Wir alle dachten über unsere Vergangenheit nach, und sogar ich, der jüngste Quen, hatte einige dunkle Punkte in meinem Leben. Ich war im Krieg gewesen und ...

Nun, auch ich wagte nicht zu widersprechen.

Nur Onkel Tate sagte mild: »Mary, man könnte mit einigem guten Willen auch sagen, dass wir Quens eine stolze Sippe sind, die gerne dem Teufel ins Maul spuckt, dass wir es einfach im Blut haben und immer unterwegs sein müssen, um hinter den nächsten Hügel zu sehen. Was immer wir auch getan haben mögen, wir achteten stets die Frauen und vergriffen uns nie an Schwachen, sondern halfen den Hilflosen. Mary, was ist falsch an uns?«

»Alles«, schnappte sie, »einfach alles! Und dein lächerlicher Stolz, Tate, soll dich nur darüber hinwegtrösten, dass du ein Versager bist, der sein Leben nutzlos verschwendet – einfach vertan hat, so wie diese Jungs es vertun werden. Ihr Vater, der dein Bruder war, versuchte es. Er nahm sich eine Frau und setzte Kinder in die Welt. Doch er war zu schwach. Er schaffte es nicht. Seine Unstetigkeit war stärker als das Pflichtgefühl gegenüber seiner Familie. Er blieb der wilde Junge, auf den schon irgendwo eine Kugel wartete. Ihr alle habt bisher Glück gehabt. Vielleicht haben das meine Gebete bewirkt. Aber bald bin ich tot, und dann betet niemand mehr für euch. Ich will, dass es anders wird!«

Den letzten Satz stieß sie energisch aus. Und sie sah uns zwingend an.

»Für mich ist es zu spät, Mom. Ich bin dreißig Jahre alt und kann mich nicht mehr ändern«, sagte Abe.

»Und ich brauche nichts anderes als ein Pferd, einen Sattel und einen Colt. Das genügt mir. Dann bekommt man überall seinen Spaß«, stieß Pernel hervor.

Virgil aber sagte: »Auch ich fühle mich wohl. Schöne Kleidung, ein Leben unter den Noblen und Reichen – und überall schöne Frauen am Wege. Ich fühle mich wohl auf den Luxusschiffen des Mississippi. Ich besitze siebzehn Anzüge und achtunddreißig Seidenhemden. In meiner Luxuskabine ist eine Badewanne. Vor einem Monat hätte ich eine richtige Gräfin aus Germany heiraten können.«

Vetter Alvares begann zu lachen. Er machte dann den Mund auf, um seine Ansichten zu äußern. Nach ihm wären gewiss noch Johnny oder Onkel Tate an die Reihe gekommen.

Doch Mom sagte hart: »Hört auf, ihr Narren! Warum denkt ihr alle immer noch wie dumme Jungs? Warum könnt ihr nicht wie Männer denken, die den Unterschied begriffen haben?«

Wir staunten sie an.

»Welchen Unterschied?«, fragte Abe schließlich.

Mom saß jetzt einige Atemzüge lang mit geschlossenen Augen da. Man sah ihr an, dass sie Kraft sammelte, denn es kam ihr jetzt wohl sehr darauf an, uns zu überzeugen.

»Wenn ihr eines Tages tot seid wie euer Vater und Onkel«, sagte sie dann, »wird nichts von euch auf dieser Welt zurückbleiben – nichts! Ihr werdet zu Staub, zu Erde. Eure Namen wird man vergessen. Es wird von euch nichts geben außer einigen wilden Erinnerungen. Und nichts wird sein, auf das ihr stolz sein könntet. Nichts! Deshalb will ich, dass ihr mir an meinem Sterbebett einen Wunsch erfüllt. Versprecht es mir! Schwört es eurer Mom! Los! Ich will, dass ihr mir schwört, meinen letzten Wunsch zu erfüllen. Abe, du bist mein ältester Sohn. Fang an!«

Abe zögerte. Er witterte, dass Mom ein unsichtbares Lasso schwang, um ihn einzufangen. Aber ihre Augen waren fest, feierlich, zwingend und so merkwürdig weise und wissend. Wir glaubten damals, dass Mom über viele Jahre hinweg in die Zukunft blicken konnte.

»Mom, ich schwöre, dass ich dir deinen letzten Wunsch erfüllen will, so gut ich es kann«, sagte Abe plötzlich.

Sie nickte und sah Pernel an.

Auch dieser schwor.

Dann tat es Virgil, und nach ihm kam ich an die Reihe.

Alvares sagte dann: »Tante, wir sind nicht deine Söhne.«

»Aber ihr heißt Quen. Ihr seid Quens! Und was ich von euch will, ist nicht für mich. Ich will es für alle Quens. Die Quen-Sippe soll groß und geachtet sein. Schwört es mir, Jungs!«

Da schworen auch Alvares und Johnny.

Nur Onkel Tate schüttelte den Kopf. »Ich lasse mich nicht von dir reinlegen, altes Mädchen«, brummte er.

Mom lächelte weise. »Dein Schwur würde auch nichts gelten, Tate«, sagte sie. »Denn dir traue ich zu, dass du ihn brechen würdest. Du hast nie etwas getaugt, Tate, und wirst nie etwas taugen. Nur die Jungs hier sind vielleicht noch zu retten.«

Tate war nicht beleidigt.

»Und wie sind sie – wenn sie überhaupt verloren sind, was ich sehr bezweifle – zu retten?«

»Indem ich ihnen eine Aufgabe stelle«, erwiderte Mom und zeigte auf mich. »Er ist der Jüngste und der Sauberste. Er ist auch am wenigsten seinem Vater und diesem Onkel da nachgeraten. Seit er aus dem Krieg kam und bei mir blieb, habe ich ihn beobachtet. Er könnte es vielleicht schaffen, wenn ihr ihm ehrlich und mit ganzer Kraft helft.«

»Wobei?«, fragte Abe ungeduldig und scharf.

»Texas ist nicht gut für euch«, erwiderte Mom langsam und schwer. »Hier am Brazos und in der Brasada kommt ihr nie hoch. Ihr braucht weites Land – ein Königreich! Im Norden gibt es das. Also zieht aus und helft Ben, eine Ranch zu gründen – groß und weit! Helft ihm, dass aus einer wilden Sippe von Glücksrittern und Herumtreibern, Revolverhelden und Banditen genau das Gegenteil wird. Habt ihr mich genau verstanden? Ihr habt es mir geschworen. Vergesst dies nie! Ich werde aus dem Himmel auf euch nieder spucken, wenn ihr diesen Schwur brecht. Ich will, dass die Quens endlich eine gemeinsame Aufgabe haben, dass sie zusammenhalten, sich gemeinsam bewähren, dass sie begreifen, was eine Familie ist. Sie sollen erkennen, wie notwendig es ist, dass man seinen Nachkommen etwas hinterlässt, ein stolzes Erbe, etwas, das sie überlebt und das sich die Nachkommen stets neu verdienen müssen, um es behalten und weiterführen zu können. Ich kann es nicht mit besseren Worten sagen. Aber ich hoffe, ich habt mich verstanden, Jungs. Jetzt lasst mich allein. Ich bin müde und will schlafen – schlafen ...«

Wir standen da und hatten noch so viel zu sagen.

Aber es war nicht möglich.

Mom schlief ein und hatte unser Wort.

Nur in der Stunde des Todes konnte sie es bekommen.

Gewiss hatte sie auf diese Stunde gewartet, um uns zu vereinen und für eine Sache zu gewinnen, von der sie nichts mehr hatte.

Wie musste es sie all die Jahre geschmerzt haben, dass ihre Söhne und Neffen ein so nutzloses Leben führten. Und was musste sie überlegt habe, wie das zu ändern war.

Hatte es genügt, uns am Sterbebett einen Schwur abzunehmen?

✰✰✰

Sie wachte nicht mehr auf.

Zwei Tage später beerdigten wir sie. Ein paar Nachbarn waren zum Begräbnis gekommen. Schon bald waren wir allein in dem kleinen Haus am Brazos River.

Die ganze Zeit hatten wir nicht über Moms Verlangen und unseren Schwur gesprochen. Wir hatten ständig darüber nachgedacht – aber kein Wort darüber verloren.

Als wir spät in der Nacht auf der dunklen Veranda beisammen hockten, war es Onkel Tate, der plötzlich fragte: »Nun, Jungs, wie soll's denn weitergehen? Ich muss gestehen, dass ich mächtig neugierig bin.«

Nach seinen Worten schwiegen wir wieder lange.

Plötzlich begriff ich, dass es an mir allein lag, etwas zu sagen, und dass sie die ganze Zeit darauf warteten.

Ich räusperte mich.

Dann sprach ich: »Natürlich entbinde ich euch von eurem Schwur. Ich verzichte auf eure Hilfe beim Aufbau einer Ranch. Das schaffe ich ganz allein. Ich bin vielleicht der einzige Quen, dem der Aufbau einer großen Ranch Freude bereiten würde. Also kehrt ruhig in euer altes Leben zurück. Mom wollte mir eure Hilfe sichern. Doch ich verzichte darauf. Damit ist wohl alles klar, nicht wahr?«

Sie antworteten nicht sogleich. Sie mussten meine Worte erst überdenken.

Nur Onkel Tate lachte und sagte: »Er ist wirklich ein echter Quen, der sich nicht helfen lässt. Na, schön, ich reite morgen zurück nach Hills Boro. Ich werde dort wahrscheinlich eine reiche Witwe heiraten, die ihren Besitz allein nicht mehr richtig übersehen und verwalten kann. Ihr Saloon ist der größte und nobelste auf hundert Meilen in der Runde. Und im Keller lagern zwei Fässer alten Portweins, die wir gewiss nicht an die Gäste verkaufen, sondern selbst austrinken werden, hahaha!«

Er erhob sich, dieser alte Jagdfalke, der sich nach einem gemütlichen Nest umsah und glaubte, es gefunden zu haben.

Bevor er ins Haus ging, sagte Abe: »So geht das nicht! Damit bist du nicht gemeint, Onkel Tate. Ich meine die Jungs. Du hast keinen Schwur geleistet, Onkel, aber wir!«

»Als ob ich nicht auch ohne Schwur zu Ben halten würde«, empörte sich Onkel Tate. »Der Junge braucht nur zu sagen, dass er von mir Hilfe haben will. Aber er hat das Gegenteil gesagt. Habt ihr das vielleicht anders verstanden als ich?«

Sie knurrten grimmig.

»Zum Teufel!«, sagte ich. »Wenn ich Hilfe von euch brauche, dann werde ich euch das wissen lassen. Und damit ist die Sache erledigt! Verstanden? Ich will nichts mehr davon hören!«

Damit erhob ich mich und ging in die Nacht hinaus. Ich hielt mich eine Weile beim Corral und bei den Pferden auf. Bis auf Virgil waren die Quens auf herrlichen Tieren gekommen.

Ich dachte noch einmal über alles nach und kam abermals zu der Erkenntnis, dass Mom mir Hilfe geben wollte. Sie hatte mich sicherlich noch für ein Nesthäkchen gehalten, das Schutz und Hilfe braucht.

Da hatte sie sich getäuscht.

Ich traute mir zu, irgendwo im Norden – wo das Land noch frei war – ein weites Gebiet in Besitz zu nehmen und eine große Ranch zu gründen. Ich würde unsere Ranch-Farm hier verkaufen. Der Erlös sollte mein Anfangskapital sein.

Ja, so wollte ich es beginnen.

✰✰✰

Als ich erwachte, schien schon längst die Sonne. Es war reichlich spät am Morgen. Dass ich verschlafen hatte, war nicht verwunderlich. Ich hatte die ganze letzte Woche wegen Mom und dann wegen meiner Verwandtschaft und der Beerdigung kaum noch Schlaf gefunden.

Ich ging zum Brunnen und wunderte mich, dass alles so still war.

Als ich endlich einen Blick zum Corral warf, wusste ich es ganz sicher.

Ich war allein.

Sie waren fort – alle!

Ich ging zum Haus hinüber und trat an den großen Tisch in unserer Wohnküche.

Da lag ein Brief. Neben diesem Brief lag Geld – viel Geld.

Ich nahm das Papier, faltete es auseinander und begann zu lesen: »Little Ben, wir sind dir sehr dankbar, dass du es allein versuchen willst. Es traf sich gut, dass wir alle einigermaßen bei Kasse waren – ein Zeichen dafür, dass wir nicht schlecht für uns sorgen können in diesen miesen Zeiten. Deshalb lässt dir jeder von uns tausend Dollar zurück. Glaube nicht, dass wir dir dieses Geld schenken. Wir beteiligen uns damit nur an der geplanten Ranch. Wir nehmen dir als deine Teilhaber das Versprechen ab, uns sofort zu benachrichtigen, wenn du in eine Situation geraten solltest, die du allein nicht meistern kannst. Dann kommen alle Quens und helfen dir, so wie es Mom gewollt hat.«

Das war also der Brief. Ich las noch einmal langsam und bedächtig Wort für Wort.

Dann folgten die Unterschriften.

Und bei jeder Unterschrift stand, wo ich den jeweiligen Mann brieflich erreichen konnte.

Ich steckte den Brief ein und zählte das Geld.

Es waren tatsächlich sechstausend Dollar – oder vielmehr für sechstausend Dollar Geld und Goldstaub.

Ich wusste genau, woher das alles kam.

Die neuen Banknoten waren gewiss von Virgil. Die mexikanischen Pesos kamen bestimmt von Abe. Die goldenen Zwanzigdollarstücke stammten mit Sicherheit von Pernel. Das Gold war von Onkel Tate. Das Geld meiner beiden Vettern bestand aus mehreren Währungen.

Sie waren alle gut bei Kasse gewesen. Vielleicht wollten sie Mom oder sich gegenseitig imponieren. Vielleicht hatten sie geglaubt, etwas für die Sippe tun zu müssen, und sich deshalb reichlich mit Geld versehen, bevor sie hergekommen waren.

Sechstausend Dollar lagen also da. Für unsere Ranch-Farm würde ich gewiss ebenfalls tausend Dollar bekommen.

Was konnte ein junger Bursche wie ich mit siebentausend Dollar in Gang bringen?

Das war die Frage.

Die Antwort lag irgendwo im Norden in der Zukunft.

Ich war bereit und fest entschlossen.

✰✰✰

Eine Woche später ritt ich los.

Es war im frühen Herbst 1866. Ich war genau vierundzwanzig Jahre alt.

Unsere Ranch-Farm hatte ich für neunhundert Dollar an einen reichen Yankee verkaufen können, der in unserer Gegend schon eine Menge Land zusammengekauft hatte – zumeist auf Versteigerungen, die von den Steuereintreibern der Yankees in Gang gebracht wurden. Denn Texas war arm. Niemand konnte seine Steuern bezahlen. Die Steuereintreiber der Yankees spielten so manchen Besitz in die Hände dunkler Auftraggeber. Der Norden hatte den Krieg gewonnen. Das bekam Texas zu spüren.

Nun, ich war mit neunhundert Dollar besser weggekommen, als ich dachte.

Eine Woche nach meinem Aufbruch von daheim erreichte ich Fort Worth. Neben dem Fort war eine Stadt entstanden, in der schon etwas von dem Aufschwung zu spüren war, der eines Tages in ganz Texas einsetzen würde.

Ich versorgte mein Pferd und ging zum Barbier.

Dann kaufte ich mir ein neues Hemd und zog es im Umkleideraum des Store gleich an. Das alte warf ich in die Abfallkiste. Mit meinem neuen Hemd kam ich mir recht nobel und stattlich vor. Ich trug noch die alte Hose der ehemaligen Südstaatenkavallerie mit den gelben Streifen. Es war eine einst graublaue, nun sehr verblichene Hose. Ein anderer Mann an meiner Stelle, mit siebentausend Dollar im Geldgürtel, hätte sich vielleicht auch eine neue Hose gekauft. Doch mir war die alte gut genug. Über dem neuen grünen Hemd trug ich eine Lederjacke. Sie verdeckte den vollen Gürtel, den ich unter dem Hemd auf der bloßen Haut trug.

Es war schon Nacht geworden, als ich nach dem Abendessen in einen Saloon ging. Ich war ja kein Heiliger. Ich wollte ein Bier trinken und etwas von den Mädels sehen, die auf großen Plakaten vor dem Saloon angepriesen wurden. Die schönsten Mädchen westlich vom Mississippi sollten es sein.

Ich wollte mal das Lachen von Frauen hören.

Außerdem war mir nach zwei Wochen Einsamkeit nach Gesellschaft zumute. Ich war noch längst kein einsamer Wolf. Dazu war ich zu jung und hatte mit Mom zu ruhig leben müssen.