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Eigentlich bin ich nicht der Typ, der Streit sucht, aber als ich in den Longhorn Saloon kam, versuchten die harten Hombres dort drinnen gerade, die beiden Bucket-Brüder klein zu machen. Und das konnte ich nicht zulassen.
Die Buckets waren feine Kumpel, auf die man immer zählen konnte. Warum sie hier im Longhorn Saloon zu Abilene drei Stunden nach Mitternacht Streit bekamen, wusste ich nicht. Aber sie wurden jetzt schlimm bedrängt von einer Übermacht. Ich sagte nichts. Ich griff schweigend an.
Aber die beiden Bucket-Brüder merkten es augenblicklich.
Sie brüllten begeistert meinen Namen: »Finnegan!« Und es klang wie ein Kampfruf. Wir waren aufeinander eingespielt und gaben es den harten Jungs.
Wir hätten es vielleicht geschafft.
Aber da warf einer der Barmänner eine volle Flasche. Sie kam wie eine indianische Kriegskeule. Ich sah sie nicht, denn sie kam von der Seite und traf mich gegen Ohr und Schläfe.
Oh, ich fiel um wie ein Baum!
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Seitenzahl: 150
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Sterben für Virginia
Vorschau
Impressum
Sterben für Virginia
Eigentlich bin ich nicht der Typ, der Streit sucht, aber als ich in den Longhorn Saloon kam, versuchten die harten Hombres dort drinnen gerade, die beiden Bucket-Brüder klein zu machen. Und das konnte ich nicht zulassen.
Die Buckets waren feine Kumpel, auf die man immer zählen konnte. Warum sie hier im Longhorn Saloon zu Abilene drei Stunden nach Mitternacht Streit bekamen, wusste ich nicht. Aber sie wurden jetzt schlimm bedrängt von einer Übermacht. Ich sagte nichts. Ich griff schweigend an.
Aber die beiden Bucket-Brüder merkten es augenblicklich.
Sie brüllten begeistert meinen Namen: »Finnegan!« Und es klang wie ein Kampfruf. Wir waren aufeinander eingespielt und gaben es den harten Jungs.
Wir hätten es vielleicht geschafft.
Aber da warf einer der Barmänner eine volle Flasche. Sie flog heran wie eine indianische Kriegskeule. Ich sah sie nicht, denn sie kam von der Seite und traf mich gegen Ohr und Schläfe.
Oh, ich fiel um wie ein Baum!
Ich erwachte, weil ein Hund mir über das Gesicht leckte. Ich erinnerte mich schwach mit meinem schmerzenden Schädel daran, dass ich solch einen Hund gestern im Hof des Mietstalles mit einem Stück Rauchfleisch fütterte, welches ich noch als Notproviant in der Satteltasche hatte.
Als ich den Kopf wandte, sah ich Larry und Early Bucket neben mir schnarchen. Sie sahen aus, als wären sie unter eine Stampede geraten.
Man hatte uns durch die Hintertür des Saloons geschleift und in die Gasse geworfen.
Und dann waren ein paar Fledderer gekommen und hatten uns bis aufs Unterzeug ausgeplündert.
Das musste mir passieren, mir, Fess Finnegan!
Ein Mann kam bald darauf in die Gasse und blieb vor uns stehen. Er wippte auf den Sohlen und betrachtete uns. Unter seiner Lederweste blinkte auf der linken Hemdtasche der Stern eines Deputy Town Marshals. Er war kaum älter als wir, und ganz gewiss war er wegen seiner Revolvergeschicklichkeit Deputy geworden. Denn nur schnelle Revolverschwinger konnten sich hier in Abilene durchsetzen.
Der Deputy Marshal war hart. Das sahen wir.
Und nachdem er uns lange genug betrachtet hatte, sagte er: »Landstreichern ist der Aufenthalt verboten. Also haut ab! Oder ich sperre euch ein. Dann lasse ich euch Holz hacken bei Bohnensuppe. Ich will euch nicht mehr sehen. Schleicht euch!«
Ja, so war diese Stadt – gierig nach Verdienst, wild, böse, erbarmungslos. Er dachte nicht daran, uns zu helfen.
Mit uns verschwendete solch ein Marshal keine Zeit.
Aber dennoch schnappten die Bucket-Zwillinge jetzt nach Luft. Sie erhoben sich schnaufend.
»Du verdammter Hundesohn«, sagte Larry. »Du stolzierst hier wie der große Meister umher und bist nicht mal imstande, diese lausige Stadt von Fledderern freizuhalten! Ich werde dir ...«
Jetzt zeigte uns der Deputy grinsend seinen Colt, der ihm wie durch Zauberei in die Hand gesprungen war.
»Mit Affen wie euch habe ich es jeden Tag zu tun«, sagte er. »Haut ab! Dort geht es lang!«
Wir trotteten aus der Gasse.
Und der Marshal folgte uns ein Stück.
»Kommt nur nicht in Unterhosen und ohne Geld wieder, Jungs!« So rief er uns noch nach.
Wir gingen schweigend ein Stück und hockten uns dann unter eine halb offene und schon arg verfallene Zweighütte, welche gewiss einmal von einer hier lagernden Herdenmannschaft errichtet worden war, weil der Regen unaufhörlich prasselte. In dieser Hütte fanden wir eine alte Hose und einen grünspeckigen Hut.
Die Hose passte nur mir, denn die beiden Bucket-Bullen hatten zu dicke Hintern.
Early Bucket grollte: »Da du nun eine Hose hast, kannst du ja auch etwas für uns tun, nicht wahr? Du könntest zum Mietstall gehen, dort unsere Gäule verkaufen – vielleicht auch die Sättel. Es sind gute Pferde und gute Sättel. Wenn wir uns dann schlechte kaufen, bleibt noch genug übrig von dem Geld für Kleidung. Und dann zeigen wir es den Hombres im Longhorn Saloon noch einmal.«
Larry, sein Bruder, nickte sofort begeistert. »Und dann fangen wir uns diesen Deputy und versohlen ihm den nackten Hintern«, sagte er.
Und so machte ich mich auf den Weg in die Stadt und hoffte, dass ich diesem Deputy nicht gleich in die Arme laufen würde.
Als ich von hinten in den Mietstall kam, ging ich durch den Gang nach vorn und fand den Stallmann im Gespräch mit zwei scharfgesichtigen Reitern, die lässig auf der Futterkiste hockten.
Der Stallmann sah mich an und grinste. Denn er hatte mich sofort wiedererkannt.
»He«, sagte der Stallmann, »hat Abilene Ihnen so sehr das Fell abgezogen? Bei Ihnen hätte ich das nicht erwartet.«
Ich drehte den Kopf und zeigte ihm meine Seite. Nun konnte er das zerquetschte Ohr und die blutunterlaufene Schwellung an der Schläfe besser erkennen.
»Eine volle Flasche aus vier Schritt Entfernung«, sagte ich erklärend. »Danach kann kein Mann mehr auf sich achten – oder?«
Er nickte. Und auch die beiden verwegen wirkenden Burschen auf der Futterkiste nickten beipflichtend.
Ich grinste nur. Dann wandte ich mich an den Stallmann.
Als ich mit drei Durchschnittspferden und drei alten McClellan-Sätteln den Stall verließ, saßen die beiden scharfgesichtigen Burschen immer noch auf der Futterkiste.
»Viel Glück«, sagte einer. Und der andere fragte: »Sind deine beiden Partner auch von deiner Art, Texas?«
Ich nickte. »Habt ihr nicht von dem Spaß im Longhorn Saloon gehört?« So fragte ich.
Da nickten sie eifrig. »So, ihr wart das? Oha. Nun, ihr werdet schon nicht untergehen. In dieser miesen Zeit muss jeder für sich selbst sorgen. Und so schlecht ist Abilene gar nicht, wenn man nicht nur hier ist, um tausend Sünden zu begehen für gutes Geld. Man muss die anderen Sünden begehen – jene, welche Geld einbringen, Bruder.«
Ich sah ihn an und wusste, dass er ein Bandit war.
Auch sein Nachbar war einer dieser Sattelpiraten, die auf schnelles Geld aus waren, auf viel Geld mit einem Schlag.
Ich nickte. »Ja, so ist das wohl«, sagte ich.
Draußen vor dem Mietstall saß ich auf.
Die beiden anderen Tiere zog ich an den langen Zügeln mit. Und weil ich Hunger hatte, blickte ich nach allen Seiten, hielt Ausschau nach einem billigen Bratstand, bei dem ich für einen Vierteldollar ein Frühstück bekam.
Aber ich sah keinen Bratstand.
Dafür erblickte ich in einem Hotelfenster den Oberkörper eines Mädchens, welches sich weit herauslehnte, um die Straße entlang zu blicken.
Ich hielt an.
Denn etwas an diesem Mädchen – oder war es schon eine junge Frau? – kam mir bekannt vor.
Sie sah zu mir nieder. Und sie erkannte mich. Denn sie rief plötzlich: »Fess! Fess Finnegan!«
Nun wusste ich es wieder. Aber es war ja auch mehr als sieben Jahre her, als ich von daheim fortritt.
»He, Virginia Anderson!« Ich rief es überrascht und freute mich zugleich darüber, dass ich sie nun doch so schnell erkannt hatte.
Ich ritt näher unter das Fenster.
»Grünauge, es tut gut, dich wieder zu sehen«, sprach ich zu ihr hinauf. »Du bist noch schöner geworden, als ich glaubte, dass du es werden könntest. Geht es euch gut?«
Sie sah ernst auf mich nieder, nagte an ihrer vollen Unterlippe. Ich ahnte jetzt endlich, dass sie irgendwelche Sorgen hatte. Und es war ja auch nicht normal, dass eine Frau zu so früher Morgenstunde sich so weit aus dem Fenster eines Hotels lehnte.
»Bitte, komm herauf«, sagte sie. »Ich glaube fast, dich schickt der Himmel. Komm herauf, Fess.«
Mit einem Mal spürte ich, dass sie Hilfe brauchte. Sie war irgendwie in der Klemme, in Not. Ich erkannte es in ihrem Gesicht.
Und so lenkte ich mein Pferd an die Haltestange, zog die anderen Tiere mit und saß ab. Als ich die Tiere anband, wurde ich mir bewusst, wie wenig erfolgreich ich auf Virginia wirken musste. Ich hatte nicht mal mehr einen Colt.
Wir Finnegans aus Texas waren ohne Revolver wie nackt in der Sonne, zumal wir in Texas damals wirklich mit dem Colt in der Hand zu Bett gehen mussten.
Ich ging ins Hotel.
In der Halle lag ein Mann in einem dicken Sessel, hatte die Stiefel auf einem Stuhl und eine Zeitung über dem Gesicht. Er schnarchte leise.
Der Portier war nicht zu sehen.
Ich ging hinauf, und als ich unerwartet von der Treppe aus über die Schulter blickte, da konnte ich erkennen, dass der scheinbar schlafende und immer noch hörbar atmende Mann mich unter der Zeitung hervor beobachtete.
Das gab mir zu denken. Warum stellte der Bursche sich schlafend, wenn er so neugierig war?
Als ich oben im Gang nach dem Zimmer suchte, welches meiner Meinung nach zu dem Fenster gehörte, aus welchem Virginia Anderson zu mir gesprochen hatte, da öffnete sie schon die Tür. Sie wartete, bis ich bei ihr war.
Ich erinnerte mich plötzlich daran, dass ich sie früher schon einmal küssen durfte. Nun war mir plötzlich wieder danach. Denn trotz meiner armseligen Ausstattung hatte ich keine Komplexe.
Aber sie wandte den Kopf, noch bevor ich ihr Gesicht in meine Hände nehmen konnte. Ich hörte aus dem Zimmer eine betrunkene Männerstimme sagen: »Nun, warum kommt er nicht herein, der prächtige Fess, der schon damals unter uns allen die große Nummer war?«
Ich trat ein und sah Robert Dale auf einem Doppelbett liegen.
Und auch Robert Dale war eine Erinnerung an meine Jugendzeit.
Mit Robert war ich viele Fährten geritten. Wir hatten gejagt und gekämpft. Manchmal hatten wir uns auch um ein Mädchen geschlagen.
Und nun lag er hier in einem Doppelbett. Auch die andere Seite des Bettes war benutzt worden.
Virginia sagte: »Wir sind verheiratet. Vor einem Jahr heirateten wir daheim in Texas.«
Ich zuckte leicht zusammen. Aber warum sollten sie nicht geheiratet haben? Er war immer ein prächtiger Bursche gewesen. Und jetzt hatte er sogar etwas Löwenhaftes an sich.
Aber er war betrunken. Die leere Flasche stand neben dem Bett.
✰✰✰
»He, Robert«, sprach ich.
Er starrte mich an, und er bemühte sich, nüchterner zu werden. Plötzlich grinste er und zeigte mit dem Finger auf mich.
»Sieh ihn dir an, Virginia«, sagte er fast zufrieden. »Sieht er so aus wie ein Bursche, dessen Schritte lang waren? Er trägt nicht mal mehr einen Colt. He, Fess, soll ich dir hundert Dollar schenken?«
Ich nickte sofort. »Das könntest du tun – wenn du sie entbehren können solltest. Und ich würde sie nicht geschenkt, sondern nur geliehen haben wollen.«
Er grinste noch breiter.
»Ich schenke sie dir«, sagte er. »Dort in der ledernen Reisetasche. Nimm sie dir raus. Wir haben genug Geld! Jede Menge!«
Virginia nickte plötzlich. »Ja, sieh mal nach, was wir da haben«, sagte auch sie mit einem Anflug von Eigensinn oder Trotz, und ich wusste noch nicht, was es zu bedeuten hatte.
Aber ich ging zu dem Sessel, in welchem eine lederne Reisetasche lag. Ich öffnete sie und sah Geld.
Viel Geld!
Es waren nagelneue Scheine der verschiedensten Sorten. Sie waren sauber gebündelt. Jedes Geldpäckchen trug einen roten Siegelstreifen der Kansas-Bank. Es handelte sich also um nagelneue Banknoten, die erstmalig ausgegeben wurden.
Ich fragte: »Habt ihr die Bank ausgeraubt?«
»Nein, Mister! Dafür habe ich ehrliche Männerarbeit geleistet! Ich habe mehr als fünftausend Longhorns den Trail hinaufgetrieben.«
Robert Dale rief es herausfordernd und stolz. »He, was hast du denn eigentlich gemacht in dieser miesen Zeit nach dem Krieg? Wer hat dir denn den Schädel einschlagen wollen?«
Er erhob sich plötzlich. In Strümpfen ging er zum Fenster und beugte sich hinaus. Ich wusste, dass er die Pferde vor dem Hotel betrachtete.
Als er sich wieder ins Zimmer wandte, grinste er verächtlich.
»Auf solch armseligen Kleppern bist du früher nie geritten, Fess«, sagte er. »Mit dir ist es wohl sehr bergab gegangen. Nun, dann nimm dir die hundert Dollar. Hast du deinen Colt versoffen oder verspielt?«
Ich gab ihm keine Antwort. Das hatte keinen Sinn. Mit einem Betrunkenen konnte man nicht streiten.
Ich nickte Virginia zu und wandte mich zu Tür.
»War nett, euch zu sehen«, sagte ich.
»Bleib!« Sie sagte es scharf. »Wir brauchen deine Hilfe, Fess! Bleib und hilf uns!«
Ich sah von ihr auf Robert Dale.
»Dieser große Mann braucht keine Hilfe«, sagte ich. »Der frisst alles, was ihm in den Weg gerät. Das ist ein Mann, der fünftausend Longhorns von Texas heraufbrachte und jetzt mehr als fünfzigtausend Dollar in der Reisetasche liegen hat. Ein solcher Mann braucht keine Hilfe von einem armseligen Tramp. Virginia, wie kannst du Robert so beleidigen?«
Sie betrachtete ihren Mann. Und dieser stierte etwas dumm und dumpf wirkend ins Leere, so als sähe er da irgendwelche Bilder vor seinem geistigen Auge.
»Robert fürchtet sich«, sagte Virginia schlicht. »Robert konnte gegen Alvarez Shayne nie gewinnen. Und Shayne will uns das Geld wieder abnehmen. Shayne hat ein paar Revolverschwinger bei sich. Irgendwo zwischen hier und Texas wird er uns das Geld abnehmen. Robert fürchtet sich, die Reise anzutreten. Er verlor ein wenig die Nerven. Er fühlt sich zu sehr allein und ohne Chance.«
Nun staunte ich.
Und es gab viele Fragen.
Robert Dale ging wieder zum Bett und hockte sich darauf. Er strich sein wirres, löwengelbes Haar aus der Stirn und grinste. »Ach, auch er wird sich wieder auf die Socken machen, sobald er erst weiß, wie die Dinge stehen. Fess, ich rate dir, nimm die hundert Dollar und hau ab! Oder nimm gleich tausend, bevor Alvarez Shayne sie mir abnimmt.«
»Was hat es mit dem Geld für eine Bewandtnis?« So fragte ich. »Sagt es mir klipp und klar!«
Dale grinste wieder. Und dann machte er zu Virginia eine einladende Bewegung.
Diese sagte schlicht: »Steuergelder! Unheimlich viel Steuergelder! Auf unserer Heimatweide zahlte man seit Ausbruch des Krieges keine Steuern mehr. Die Jahre vergingen. Nach dem verlorenen Krieg kamen die Steuereintreiber der Union eines Tages auch zu uns. Mit den Steuereintreibern kam auch der Yankee Otis Halloway. Er kaufte auf, was zu kaufen war. Oh, es kam schon eine Menge unter den Hammer. Oder die Steuerschuldner gaben einfach auf, weil sie dann ein paar Dollar mehr bekamen als bei einer Versteigerung. Otis Halloway bekam alles für einen Bruchteil des wirklichen Wertes an Land und Rindern.«
»Ich verstehe«, sagte ich. »Das findet überall im besiegten Süden statt. Ich weiß auch schon, wie es weitergeht. Ihr habt euch einen Kredit verschafft und müsst diesen bis zu einem bestimmten Termin zurückzahlen. Gehörte die Herde euch allein oder war es eine Sammelherde?«
»Eine Sammelherde«, sprach nun Robert Dale müde. Aber er wirkte jetzt etwas nüchterner. »Wir haben uns mit den Nachbarn zusammengetan und eine Sammelherde gebildet. Ich übernahm es, die Herde nach Kansas zu treiben. Jetzt sitzen wir hier schon eine Woche fest. Ich wage mich nicht fort. Denn ich weiß, ich kann das Geld nicht durchbringen. Sie töten mich und nehmen das Geld. Ich wage nicht mal, mir ein paar Revolvermänner als Begleitung anzuwerben. Denn ich muss befürchten, dass es Alvarez Shaynes Männer sind. Weißt du eigentlich, Hombre, was aus diesem Shayne während des Krieges wurde?«
Ich nickte. Und ich musste schlucken. Denn nun verstand ich Robert Dale schon etwas besser. Er steckte wahrhaftig mächtig in der Klemme.
Ich begriff auch, dass er das Geld nicht mit der Post nach Texas schicken konnte. Die Postgesellschaften ließen keine Geldtransporte durch das Indianer-Territorium gehen. Die Geldtransporte waren zu oft überfallen worden.
Die entlassenen Soldaten streunten noch da und dort zu Tausenden herum. Es gab Viehdiebe, Pferdediebe und Banditen in jeder Menge, Einzelgänger und starke Banden.
So mancher Treibherdenboss, der es schaffte, mit seinen Longhorns Kansas zu erreichen, versagte bei der Aufgabe, das Geld heimzubringen.
Auch über diesen Alvarez Shayne wusste ich Bescheid.
Robert und ich, wir kannten ihn genau. Er war ein paar Jahre älter als wir. Damals eiferten wir ihm nach, und er lehrte uns sogar einige Tricks. Sein Ruf als Revolverkämpfer war so übel, dass sich selbst die ehrgeizigen und ruhmsüchtigen Burschen davor hüteten, ihn zum Duell zu fordern. Er war bisher mit den schnellsten Revolvermännern zurechtgekommen.
Ja, ich wusste nun, wovor Robert Dale sich fürchtete.
Ich lauschte in mich hinein und fragte mich, ob auch ich an seiner Stelle die gleiche Furcht spüren würde. Aber da konnte ich mir keine Antwort geben.
Ich sah Virginia an, und mir wurde bewusst, wie stolz, wie gefasst und mutig sie wirkte. Aber vielleicht war ihre schöne und reizvolle Herbheit nur eine Maske. Vielleicht war sie unter ihrer Oberfläche voll Feuer und Lebensfreude.
»Was wollt ihr denn von mir?« So fragte ich.
»Nichts!« Robert Dale sagte es fast froh, aber zugleich mit einem bitteren und resignierten Beiklang.
Doch Virginia sprach ruhig und fest: »Begleite uns nach Texas, Fess. Vielleicht kannst du ein paar zuverlässige Männer auftreiben, bei denen wir sicher sind, dass sie nicht zu Shayne gehören. Robert muss sich mit dem Geld auf den Weg machen. Wir müssen es versuchen. Denn daheim warten sie auf uns. Sie vertrauen uns. Hilf uns, Fess! Wir waren einmal gute Freunde. Auf dich könnten wir uns gewiss verlassen. Und von dir bin ich sicher, dass du auch einen Alvarez Shayne nicht fürchtest.«
»Er hat nicht mal einen Colt«, sagte Robert Dale vom Bett her. »Geh lieber, Fess!«
Ich sah ihn an und nickte. Dann trat ich noch mal an die offene Reisetasche und entnahm dieser tausend Dollar.
»Das ist mein Honorar«, sagte ich. »Dafür helfe ich euch bis Texas. Wo befindet sich eurer Meinung nach Alvarez Shayne?«
»Was weiß ich?« So fragte er grob. »Irgendwo zwischen hier und Texas wird er darauf warten, dass ich ihm vor den Colt gerate. Seine Leute jedenfalls sind überall. Sie belauern uns. Sie sind beim Bahnhof, beim Mietstall – hier unten in der Hotelhalle. Sie haben mir alle Schlupflöcher versperrt. Wie und womit ich auch nach Texas aufbrechen würde, ich hätte sie auf dem Hals. Sie würden im Zug zum Mississippi mitfahren – in einer Postkutsche nach Süden –, und sie würden auch zu Pferd folgen, wenn ...«
Er brach ab und winkte nur müde.
Ich begriff ihn. Es war deprimierend für ihn.
Sie belauerten ihn nur. Aber er kam unbemerkt nicht weg. Und er konnte nicht mehr länger warten. Er musste mit dem Geld heim nach Texas. Die Zeit drängte.
Es war ein gemeines Spiel. Es genügte ihnen vorerst sogar nur, dass er um einen einzigen Tag zu spät ankam. Vielleicht belauerten sie ihn deshalb überall so offensichtlich. Er sollte zögern, Zeit verlieren.
»Macht euch fertig«, sagte ich. »Wir reiten in einer Stunde.«