G. F. Unger Western-Bestseller 2630 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Western-Bestseller 2630 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Nach der dritten Nacht in Dolly Bostons Etablissement saßen wir ziemlich verkatert beim Frühstück, als die Patrona die Treppe herunterkam und zu uns an den Tisch trat. Doch sie setzte sich nicht, sondern sagte nur: »So, Jungs, nach dem Frühstück ist hier Schluss für euch. Das Geld, das euer Alter mir gab, damit ihr euch mit meinen Engeln ein paar schöne Tage machen könnt, ist aufgebraucht. Alles im Leben hat mal ein Ende. Aber wenn ihr wieder bei Kasse seid, könnt ihr gern wiederkommen. Jetzt allerdings ...« Sie machte eine bedauernde Handbewegung und wirkte gar nicht lächerlich mit ihren Lockenwicklern und dem verschlissenen Morgenrock, der ihre Fettmassen nur notdürftig verbarg. Trotz ihres lächerlichen Aufzugs strahlte diese Frau Autorität aus, und überall im Land wusste man, dass die Patrona des Etablissements am Rio Grande mit eisernem Zepter über ihre Mädchen und deren Kunden herrschte.
Ja, wir waren hier am Rio Grande. Noch auf der texanischen Seite, und jenseits des Flusses lag Mexiko. Unser Alter war schon vor drei Tagen hinüber, denn er hatte einen großen Plan ausgebrütet. Und weil nur er wusste, was in der nächsten Zeit auf uns zukommen würde, hatte er uns bei Dolly Boston vor drei Tagen abgeladen, damit wir noch einmal ein wenig Spaß haben sollten, bevor es ernst wurde.
Und es würde ernst werden, höllisch ernst. Aber das wussten wir zum Glück noch nicht ...


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Seitenzahl: 158

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Stampede

Vorschau

Impressum

Stampede

Nach der dritten Nacht in Dolly Bostons Etablissement saßen wir ziemlich verkatert beim Frühstück, als die Patrona die Treppe herunterkam und zu uns an den Tisch trat. Doch sie setzte sich nicht, sondern sagte nur: »So, Jungs, nach dem Frühstück ist hier Schluss für euch. Das Geld, das euer Alter mir gab, damit ihr euch mit meinen Engeln ein paar schöne Tage machen könnt, ist aufgebraucht. Alles im Leben hat mal ein Ende. Aber wenn ihr wieder bei Kasse seid, könnt ihr gern wiederkommen. Jetzt allerdings ...« Sie machte eine bedauernde Handbewegung und wirkte gar nicht lächerlich mit ihren Lockenwicklern und dem verschlissenen Morgenrock, der ihre Fettmassen nur notdürftig verbarg. Trotz ihres lächerlichen Aufzugs strahlte diese Frau Autorität aus, und überall im Land wusste man, dass die Patrona des Etablissements am Rio Grande mit eisernem Zepter über ihre Mädchen und deren Kunden herrschte.

Ja, wir waren hier am Rio Grande. Noch auf der texanischen Seite, und jenseits des Flusses lag Mexiko. Unser Alter war schon vor drei Tagen hinüber, denn er hatte einen großen Plan ausgebrütet. Und weil nur er wusste, was in der nächsten Zeit auf uns zukommen würde, hatte er uns bei Dolly Boston vor drei Tagen abgeladen, damit wir noch einmal ein wenig Spaß haben sollten, bevor es ernst wurde.

Und es würde ernst werden, höllisch ernst. Aber das wussten wir zum Glück noch nicht ...

Wir waren keine Gentlemen, sondern eine ziemlich miese und üble Sippe, die man einst aus Kentucky verjagt hatte. Das war vor dem Krieg gewesen. Während des Krieges waren wir Guerillas auf der Seite des Südens. Unser Alter nannte sich stolz »Major«.

Dann wurden wir Gejagte.

Aber schließlich kam auch für die ehemaligen Guerillas des Südens eine Amnestie, und so waren wir dieser Sorgen wieder ledig.

Dafür hatten wir andere Sorgen. Denn wir wollten keine Banditen werden. Es musste einen Weg geben, es auf andere Weise zu etwas zu bringen. Und da hatte unser Alter die Idee.

Nun, ich will nicht vorgreifen in meiner Geschichte.

Wir hockten damals also verkatert beim Frühstück und starrten auf Dolly Boston, die so zu uns gekommen war, wie sie aus dem Bett stieg. Es herrschten nun mal freie Sitten in Dolly Bostons Etablissement.

Johnny und Bac waren meine Halbbrüder.

John war unser Onkel, und er war zwölf Jahre jünger als unser Vater, der sein Bruder war. Kevin war sein Sohn, also unser Vetter.

Und alle hießen wir Quincy.

Ich war Noel Quincy.

Dann gab es noch einen Burschen bei uns, der nicht mit uns verwandt war, der aber mit uns lebte wie ein Bruder.

Wir nannten ihn nur Shorty.

Nicht mal er selbst kannte seinen richtigen Namen. Damals in Kentucky, als wir alle noch Kinder waren, lief er uns zu. Unser Vater jagte ihn nicht weg. Und so blieb er bei uns.

Später dann, als wir in den Hügeln Schnaps brannten, da verlor er ein Auge, als mal eine Destillierblase explodierte.

Shorty war stets bestrebt, sich unsere Zuneigung oder zumindest unsere Duldung zu erhalten. Er war froh, zu einer Sippe zu gehören, und tat jedem von uns jeden Gefallen.

Bis auf unseren Alten, den man nur Old Man Quincy nannte, saßen wir also alle am Frühstückstisch und sahen auf Dolly Boston. Und weil wir nichts sagten, fragte sie schon mit ein wenig Ungeduld und Ärger in der Stimme: »Also, was ist? Habt ihr das verstanden? Oder rauchen eure Köpfe noch zu sehr? Gebt Antwort, verdammt! Ich spreche doch nicht Chinesisch – oder?«

Unser Onkel John erhob sich grinsend von seinem Stuhl. Er ging um den Tisch herum bis zu Dolly, ergriff deren Hand und küsste ihr den Handrücken wie ein Kavalier. Dann sagte er: »Ma'am, Sie könnten uns vielleicht etwas Kredit einräumen, dann würden wir noch eine Woche bleiben. Haben Sie nicht bemerkt, dass Ihre Engelchen in unserer Gesellschaft so richtig aufblühen und jeden Tag schöner werden? Sie werden die Preise erhöhen können und ...«

Aber Dolly Boston hörte nicht länger zu. Sie wandte sich ab und sagte über die Schulter: »In einer Stunde seid ihr weg. Draußen wartet schon eine ganze Mannschaft, die über den Rio Grande kam. Ihr habt keinen Kredit hier. Niemand hat hier Kredit. Ich bin doch nicht loco!«

Sie verließ den Raum. Wir hörten, wie sie ihre dreihundert Pfund die ächzende Treppe hinaufstemmte.

Wir sahen uns an. Dann sagte John: »Nein, die hat gewiss kein Locokraut gefressen, die ist nicht verrückt. Wir könnten gewiss noch bleiben, wenn wir das nur wollten. Wer würde uns daran hindern können in diesem miesen Nest hier? Aber unser Alter wartet gewiss schon. Der reißt uns die Köpfe ab, wenn wir zu spät kommen. Also, dann steckt eure Bumsköpfe draußen in den Wassertrog. Reiten wir!«

Nun, wir kletterten also fluchend und mit Brummschädeln in die Sättel und ritten zum Rio Grande hinunter, der keine halbe Meile entfernt war. Zurzeit führte er Niedrigwasser, und so konnten wir ihn mühelos durchreiten, wobei unsere Pferde sich nur wenig die Bäuche nass machten.

Als wir drüben waren, sahen wir unseren Alten unter einer Baumgruppe hocken, das Pferd hinter sich angebunden. Er sah uns grinsend entgegen. Dann sagte er: »Na gut, jetzt habt ihr den einen Spaß gehabt – nun kommt der andere. Jetzt werden wir endlich mal was für unsere Zukunft tun.«

Er erhob sich, saß auf und ritt davon.

Wir folgten ihm, wie wir ihm schon immer gefolgt waren – damals in Kentucky, dann auf einer Zickzackfährte in den Süden, dann als Guerillas und jetzt wieder hier in Mexiko. Ich hatte mal von den Irrfahrten eines gewissen Odysseus gelesen, der sogar ein König war, der King von Ithaka. Nun, unser Vater war so eine Art Odysseus im Sattel. Und seine Irr-Ritte waren meiner Meinung nach auch nichts anderes als jene Irrfahrten des Ithaka-Kings. Nur eine Penelope gab es nicht. Auf unseren Alten wartete keine Gattin. Zum Glück. Er war körperlich noch sehr gut beieinander und konnte es mit fast jedem jüngeren Mann aufnehmen. Er sah auch recht gut aus. Als Kapitän auf der Back eines Piratenschiffes hätte er sich prächtig gemacht.

Nun, wir ritten also hinter ihm her. Mit ihm waren wir sieben Mann. Aber bei uns kam es nicht so sehr auf die Zahl an. Wir konnten es mit jeder doppelt so starken Mannschaft aufnehmen.

Wir ritten vom Rio Grande landeinwärts nach Süden.

Dann erreichten wir den Rand einer Talsenke und hielten an zwischen Bäumen und roten Felsen. Unten war eine Wasserstelle so groß wie ein kleiner See. Und überall in der Talsenke standen Rinder. Ich schätzte die Zahl der Rinder auf mehr als dreitausend.

Unser Alter deutete auf die Herde und sagte: »Es ist ganz einfach. Wir jagen sie durch den Rio Grande. Und drüben gehören sie uns.«

Er hatte schon immer eine Vorliebe dafür gehabt, die Dinge zu vereinfachen und jede Schwierigkeit herunterzuspielen. Und weil wir seine Söhne waren, weil Onkel John sein Bruder und Kevin sein Neffe war, dachten wir alle wie er. Auch Shorty war immer auf unserer Seite. Selbst in die Hölle wäre der mit uns geritten, auch wenn er die Wahl gehabt hätte, in den Himmel zu kommen.

Wir sahen uns also die ganze Sache an. Dann fragte Onkel John: »Und was sollen wir mit dreitausend gehörnten Karnickeln?«

Unser Alter lachte leise. »Was wir damit sollen? Oha, wir müssen ja wohl endlich mal an unsere Zukunft denken. Dort drüben in Texas gibt es eine Menge freie Weide. Noch ist es Regierungsland. Aber irgendwann wird es verteilt werden müssen. Man kann solches Land beanspruchen, wenn man Rinder darauf weiden lässt. Man muss eine Herde besitzen. Dann darf man das Land und alle Wasserstellen besetzen. So einfach ist das. Noch sind die Rinder nicht viel wert. Aber das wird sich bald ändern. Die Welt braucht Fleisch. Also, wir werden Herdenbesitzer und nehmen in Texas Weideland in Besitz. Dann sind wir wer und brauchen nur noch zu warten, bis die Rinder was wert sind.«

Wieder hatte er einen Klang in der Stimme, als wäre das alles nur eine Kleinigkeit.

Wir aber sahen hinunter und zählten die Männer im Camp.

Es waren nicht viele.

Unser Vater sagte: »Die Mannschaft ist zu Dolly Boston geritten. Da sind nur der Koch und vier Herdenwächter. Seht ihr, sie haben das Camp am nördlichen Ausgang der Talsenke. Wir setzen die Herde diese Nacht in Stampede. Sie wird über das Camp rasen und verdammt schnell am Rio Grande sein. Wir jagen sie auf die andere Seite und halten sie in Bewegung, solange sie noch laufen kann. Es ist also ganz einfach.«

Wir starrten ihn an. Dann schluckten wir mehr oder weniger mühsam. Gewiss, wir waren harte Burschen. Und besonders als Guerillas während des Krieges hatten wir überall gekämpft. Wir hatten auch schon Rinder und Pferde in größeren Mengen gestohlen, um die Truppen der Konföderiertenarmee damit zu versorgen. Jetzt aber würden wir richtige Rinderdiebe sein. Und wenn es dort im Camp Tote geben sollte ...

Ich wusste in diesen Sekunden, da ich dies dachte, dass auch alle anderen die gleichen oder ähnliche Gedanken hatten.

Unser Vater sagte schnell: »Man muss sich was erobern in diesem Land. Es gilt das Recht des Stärkeren. Hier ist alles noch auf dieser Basis aufgebaut. Und nachdem wir erfolglos für den Süden kämpften, will ich, dass wir auch mal zu den Gewinnern zählen. Also, so wird es gemacht. Basta.«

Es gab nichts mehr zu sagen. Wenn unser Alter basta sagte, dann war alles entschieden.

Als er uns nach Mitternacht in die Sättel klettern ließ, da gehorchten wir. Denn auf seine Söhne, auf den Bruder und Neffen, da muss sich ein Mann ja wohl verlassen können.

Wir ritten ein Stück nach Süden und dann von Süden her in die Talsenke. Nun hatten wir die Rinder genau vor uns. Auch das rote Feuerauge des Campfeuers neben dem Küchenwagen war vor uns. Es war eine stille Nacht. Wir waren leise und im Schritt geritten.

Nun, da wir anhielten, hörten wir die vielen Stimmen der ruhenden Herde. Es war ein Grunzen, Schnauben, Schnaufen. Man spürte, dass da an die dreitausend Tiere vorhanden waren. Wir verharrten sekundenlang.

Unser Alter stieß dann den wilden Rebellenschrei aus, der einem Pumaschrei so ähnlich war. Auch wir brüllten los. Mit den Colts begannen wir zu ballern. Die nächtliche Stille unter den leuchtenden Sternen und dem Silbermond wurde grausam gestört.

Für die ruhende Herde brach die Hölle auf, und es war, als wollten sich tausend Teufel auf sie stürzen. Die Rinder befanden sich innerhalb weniger Sekunden in Stampede. Sie rasten nach Norden, wir hinterher. Zwölftausend Hufe donnerten gewaltig und ließen den Erdboden beben. Dreitausend Rinder brüllten. Hörner klapperten. Ja, es war eine richtige Stampede, und es konnte sein, dass die Rinder dreißig, vierzig oder noch mehr Meilen rannten. Der Rio Grande mit seinem Niedrigwasser konnte und würde sie nicht aufhalten.

Wir hatten die Herde.

Aber indes auch ich den Triumph eines Sattelpiraten verspürte und mein Brüllen dies erkennen ließ, kamen mir doch bald schon ein paar Gedanken, die mein Triumphgefühl mächtig dämpften. Denn ein Teil der losbrechenden Herde donnerte auch über das Camp hinweg.

Der Küchenwagen stürzte um, fiel in oder auf das Feuer.

Ich jagte auf meinem Pferd über das Camp hinweg und sah einen Mann am Boden liegen und sich nur noch schwach bewegen. Und so begriff ich, dass wir eine Menge Schuld auf uns luden.

Da wir jetzt keinen Krieg mehr hatten, sah die ganze Sache anders aus. Während des Krieges wären wir durch unsere Tat zu Helden geworden, hätten Belobigungen erhalten. Denn seltsamerweise verlangt der Krieg das Töten und macht Mörder zu Helden. Jetzt aber waren wir Banditen, Sattelpiraten, Rinderdiebe, Mörder.

Indes ich an der Flanke der donnernden Herde ritt, sah ich vor mir immer wieder den Mann am Boden, der sich noch bewegte, obwohl die Rinder ihn fast zu Brei getrampelt hatten.

In mir waren sich widerstreitende Gedanken und Gefühle. Ich begriff mehr und mehr, dass mit uns Quincys etwas völlig anders geworden war.

Ja, das wurde mir in jener Nacht bewusst, indes wir die Stampede in Schwung hielten, den Rio Grande erreichten, die Herde hindurchjagten und immer weiter und weiter nach Norden scheuchten, bis die Rinder nicht mehr konnten und jedes Tier gewiss viele Pfunde an Gewicht verloren hatte.

Wir hielten erst gegen Mittag am Lon Creek an. Und die meisten Tiere waren jetzt sogar zu schwach, um Wasser zu nehmen. Die Herde war für mindestens zwei Tage erledigt.

Aber wir hatten sie während der Stampede gut zusammengehalten und vielleicht nur zwei- oder dreihundert Tiere verloren.

Wir wussten also, dass unsere Rinder – ja, wir betrachteten sie nun als unsere Rinder – die nächsten zwei Tage nicht zu bewegen waren. Sie würden ausruhen, den Creek leer saufen und alles Grüne wegfressen.

Für uns dagegen gab es keine Pause, kein Ausruhen. Denn wir mussten an unsere Verfolger denken. Der größte Teil der Mannschaft war ja zu Dolly Bostons Etablissement geritten. Aber inzwischen waren die Jungs sicherlich von Dolly Bostons Schönen weggeholt worden. Es war klar, dass die Mannschaft auf der breiten Fährte der Stampede kommen würde.

Auf unseren erschöpften Pferden ritten wir einige Meilen zurück nach Süden, bis wir an einen Canyon kamen.

Unser Vater hielt an und sagte nach rechts und links: »Also, dann verteilt euch gut. Ich brauche euch ja wohl nichts zu erklären. Ich werde mit den Hombres ganz freundlich und friedlich reden und ganz bestimmt nicht zuerst zur Waffe greifen. Da verlasse ich mich ganz auf euch, besonders auf Shorty.«

Warum er sich auf Shorty ganz besonders verließ, war schnell zu erklären. Shorty hatte ein Sharpsgewehr im Sattelholster. Es war ein Riesending, und er konnte damit auf dreihundert Yards noch einen Büffelbullen umlegen. Der kleine Bursche war mit dem Riesengewehr ein Künstler. Und er würde sich einen besonders guten Platz aussuchen, von dem aus er mit der Sharpskanone alles beherrschte.

Nun, wir warteten zwei oder drei Stunden. Uns und unseren Tieren tat das Ausruhen gut. Der hitzeflimmernde Tag ging dem Ende zu, und von der Westseite her wurden im Canyon die Schatten länger und länger. Sie reichten bald bis hinüber zur Ostseite, und dort wanderte das Sonnenlicht die steilen Hänge empor.

Aber dann kamen sie.

Unser Alter hockte auf einem großen Stein unter einem Baum dicht beim fast trockenen Canyon Creek und schnitzte an einem faustgroßen Pferdekopf.

Er konnte das Schnitzmesser blitzschnell werfen. Es war fast wie Zauberei. Ich hockte nicht weit von ihm hinter einem anderen Felsen, auf dem einige Büsche wuchsen, die meinem Kopf Deckung gaben und auch mein Gewehr verbargen, das ich auf dem Felsen liegen hatte wie auf einer Brustwehr.

Dann hielten die Reiter vor meinem Vater.

»Hallo, Gentlemen!« Er grinste sie freundlich an. »Wo kommt ihr denn her? Und wohin wollt ihr?«

Aber sie waren nicht so freundlich. Sie waren in böser Stimmung. Ihr Anführer war fast so alt wie unser Vater. Wahrscheinlich war er sogar der Herdenbesitzer, nicht nur der Vormann oder Trailboss. Er deutete auf die breite Fährte und sagte grollend: »Wir sind hier, um die durchgegangene Herde zurückzuholen. He, wer sind Sie denn?«

Es war eine barsche Frage.

Unser Vater grinste immer noch freundlich. Er zeigte den Reitern den geschnitzten Pferdekopf.

»Dieser hier ist mir besonders gut gelungen«, sagte er. »Dieser Pferdekopf hat richtig Ausdruck. So als hätte das Pferd eine Seele. Hier!«

Er warf den faustgroßen Pferdekopf dem Reiter zu. Die Entfernung betrug etwa sechs Yards.

Der Mann fing den Kopf über den Ohren seines Sattelpferdes, griff ihn einfach so weg, betrachtete ihn und nickte dann. »Ja, der ist wunderschön. Aber ...«

»Behalten Sie ihn als Andenken«, unterbrach ihn unser Vater. »Ich bin Jeremy Quincy. Man nennt mich auch Old Man Quincy. Dies hier ist mein Weideland. Und ich lasse hier keine Fremden herumreiten. Also ...« Er deutete mit einer wegscheuchenden Bewegung nach Süden.

Die Reiter hinter dem Herdenboss fluchten. Sie blickten sichernd nach allen Seiten und hielten ihre Waffen bereit. Der Atem bevorstehender Gewalttat wehte plötzlich durch den Canyon.

Die Reiter witterten endlich die Falle. Sie blickten noch unruhiger und nervöser umher. Alles stand auf des Messers Schneide.

»Zum Teufel, ich hole mir meine Herde zurück«, sagte der Mann an der Spitze der Mannschaft. »Ich bin Thor Jackson. Mir hat noch nie jemand etwas wegnehmen können. Weiter, Jungs!«

Er wollte anreiten. Und er warf dabei den kleinen geschnitzten Pferdekopf achtlos weg wie einen faulen Apfel.

Aber unser Vater erhob sich vom Felsen, hob auch die Hände und zeigte seine Handflächen.

»Halt, Mister Jackson!« Nun war seine Stimme nicht mehr freundlich, sondern sehr präzise und schneidend.

»Halten Sie mich nicht auf, Quincy!«

»Doch! Dies ist meine Weide. Alle Rinder auf ihr gehören mir! Hauen Sie ab, Jackson! Hauen Sie ab und bleiben Sie jenseits des Rio Grande!«

Es war sicherlich für den Herdenboss eine unerträgliche Herausforderung. Er begriff, dass er die Herde verlieren würde, wenn er sich einschüchtern ließ. Und so schnappte er seinen Colt heraus und rief: »Vorwärts, Jungs!«

Dabei wollte er den Colt auf meinen Vater richten. Es war unverkennbar seine Absicht, ihn zumindest niederzureiten. Wahrscheinlich wollte er nicht schießen, nur drohen.

Aber unser Vater warf nun das Schnitzmesser. Es war ein Comanchenmesser. Thor Jackson bekam es in die Schulter des Revolverarms. Er ließ die Waffe fallen und fiel fast vom Pferd.

Seine Reiter wollten auf unseren Vater schießen. Aber dann betrachteten sie die Sache doch als persönliches Duell. Sie sahen sich um, suchten nach Gegnern.

Wir zeigten uns endlich hinter den Deckungen.

Und da begriffen sie es.

Mit ihrem im Sattel schwankenden Boss, der sie nicht mehr anführen konnte, wollten sie nichts mehr wagen.

Thor Jackson zog jetzt das Messer aus seiner Schulter. Bis zum Heft war es in die Schulterkuhle eingedrungen. Er blutete, der Arm hing ihm leblos nieder, so als wären Muskeln und Sehnen verletzt. Der Mann konnte sich zwar noch im Sattel halten, doch gewiss nicht mehr kämpfen und seine Mannschaft anführen.

Er wandte sein Pferd. Dabei knirschte er: »Ich komme wieder! Quincy, mir kann man nicht dreitausend Rinder stehlen – mir nicht!«

Einer seiner Reiter zog plötzlich in wildem Zorn den Colt und wollte die Mündung auf unseren Vater richten.

Da krachte die schwere Sharps.

Shorty hatte abgedrückt. Und die schwere Kugel stieß den Mann vom Pferd wie eine unsichtbare Riesenfaust.

Denn Shorty war als einziger Mann von uns in Deckung geblieben, hatte weiter über Kimme und Korn gezielt. Shorty schützte unseren Vater, der ihn mit seinen Söhnen hatte aufwachsen lassen. Shorty war treu und fragte nicht nach Recht und Unrecht. Shorty war wie ein treuer Hund. Und so gab es nun doch einen Toten.

Die Jackson-Mannschaft sagte nichts mehr – kein Wort. Sie luden den Toten auf sein Pferd und ritten schweigend davon.

Wir wussten alle, dass sie wiederkommen würden – irgendwann.

Doch vorerst hatten wir gewonnen.

Auch in mir legte sich die Anspannung. Aber dafür kam ein anderes Gefühl aus meinem Kern. Ich vermochte es noch nicht zu deuten. Es war ein unbehagliches Gefühl. Ich wusste noch nicht, dass es ein Schuldgefühl war. Nein, in diese Richtung vermochte ich es nicht zu deuten, noch nicht.