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Gegen Mitternacht erreicht die Überlandpost die Roswell Station, um hier zum letzten Mal vor Blanca Rosa das Sechsergespann zu wechseln. Kirby Cheshire klettert als Erster aus der Kutsche. Er hilft der jungen Frau heraus, die seit dreizehn Stunden in der Kutsche sitzt.
Im Laternenschein wirkt sie noch reizvoller als bei Tageslicht. Vielleicht ist es kein schönes Gesicht. Und dennoch musste Kirby Cheshire es immer wieder betrachten. Ja, die Frau gefiel ihm von Anfang an.
Ob sie eine Glücksritterin ist, eine Abenteurerin?
Kirby Cheshire hätte gern mehr über sie gewusst. Doch er ist zu einem Ort unterwegs, in dem eine Menge Verdruss auf ihn wartet.
Er hilft ihr also aus der Kutsche, und sie nimmt seine Hilfe lächelnd an. Aber dann geht sie an ihm vorbei ins Stationshaus. Auch die anderen Fahrgäste gehen ins Haus.
Kirby Cheshire zögert. Ihn fröstelt. Denn die Nächte sind kalt im Bergland. Kirby kennt das Land. Er ist ein Mann, der ständig auf rauen Wegen ritt, und so hinterließ er vor längerer Zeit auch in diesem Land seine Fährten und Zeichen.
Jetzt kehrt er zurück.
Er riecht den Kaffeeduft aus dem Gastraum und sieht sich noch einmal um. Die Roswell Station wurde in einen schützenden Passeinschnitt gebaut. Kirby Cheshire scheint zu wittern wie ein Wolf. Warnt ihn sein Instinkt vor einer Gefahr oder einem nahenden Verdruss?
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Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Ein Mann wie Kirby
Vorschau
Impressum
Ein Mann wie Kirby
Gegen Mitternacht erreicht die Überlandpost die Roswell Station, um hier zum letzten Mal vor Blanca Rosa das Sechsergespann zu wechseln. Kirby Cheshire klettert als Erster aus der Kutsche. Er hilft der jungen Frau heraus, die seit dreizehn Stunden in der Kutsche sitzt.
Im Laternenschein wirkt sie noch reizvoller als bei Tageslicht. Vielleicht ist es kein schönes Gesicht. Und dennoch musste Kirby Cheshire es immer wieder betrachten. Ja, die Frau gefiel ihm von Anfang an.
Ob sie eine Glücksritterin ist, eine Abenteurerin?
Kirby Cheshire hätte gern mehr über sie gewusst. Doch er ist zu einem Ort unterwegs, in dem eine Menge Verdruss auf ihn wartet.
Er hilft ihr also aus der Kutsche, und sie nimmt seine Hilfe lächelnd an. Aber dann geht sie an ihm vorbei ins Stationshaus. Auch die anderen Fahrgäste gehen ins Haus.
Kirby Cheshire zögert. Ihn fröstelt. Denn die Nächte sind kalt im Bergland. Kirby kennt das Land. Er ist ein Mann, der ständig auf rauen Wegen ritt, und so hinterließ er vor längerer Zeit auch in diesem Land seine Fährten und Zeichen.
Jetzt kehrt er zurück.
Er riecht den Kaffeeduft aus dem Gastraum und sieht sich noch einmal um. Die Roswell Station wurde in einen schützenden Passeinschnitt gebaut. Kirby Cheshire scheint zu wittern wie ein Wolf. Warnt ihn sein Instinkt vor einer Gefahr oder einem nahenden Verdruss?
Er geht als letzter Fahrgast ins Haus hinein und nickt Roswells mexikanischer Frau zu, die ihm lächelnd eine Tasse Kaffee reicht.
Alle Fahrgäste stehen um den Tisch herum, halten ihre Tassen in den Händen und nehmen von den belegten Broten. Niemand will sich setzen, weil man doch all die vielen Stunden in der schwankenden Kutsche gesessen hat.
Man ist missmutig und mürrisch von der langen Reise und sehnt sich danach, endlich am Ziel zu sein.
Von der Tür sagt plötzlich eine heisere Stimme: »Bewahren Sie Ruhe, Ladys und Gentlemen! Es könnte sonst sein, dass wir jemanden von euch totschießen müssen!«
Kirby Cheshire wendet schnell den Kopf und sieht einen maskierten Mann in einem Regenumhang. Er steht neben der Tür und hält zwei Revolver schussbereit in den Händen.
Durch die Tür der Küche tritt ein zweiter Mann, ebenfalls maskiert und mit einem Regenumhang vermummt. Dieser Mann hält eine abgesägte Schrotflinte in den Händen.
Einer der männlichen Fahrgäste beginnt zu fluchen, doch der Maskierte an der Eingangstür sagt: »Dies ist ein Überfall, und fluchen ist sinnlos. Es beleidigt nur die Ohren der beiden Ladys. Vielleicht sollten die männlichen Fahrgäste bedenken, dass die Ladys verletzt werden könnten, sollten wir zum Schießen gezwungen werden. Also, packt alles aus, was ihr in den Taschen habt. Dazu gehören auch Geldgürtel, die auf der bloßen Haut getragen werden. Wir durchsuchen nachher jeden von euch, und unterschlägt er uns etwas, so geht es ihm schlecht.«
Ein mitleidloser Klang färbt jetzt die zuvor eigentlich nicht unangenehme Stimme. Doch nun hört man ihr an, wie hart ihr Besitzer sein kann.
Kirby Cheshire setzt langsam die Kaffeetasse ab und schiebt den Rest eines belegten Brotes in den Mund.
Kauend denkt er darüber nach, was dieser Überfall zu bedeuten haben könnte. Ist es ein Überfall einfacher Straßenräuber, die darauf hoffen, dass die Fahrgäste gut gefüllte Geld- und Brieftaschen bei sich haben?
Oder ...?
Nun, die andere Möglichkeit hängt dann sehr mit den Dingen zusammen, die einen Mann wie Kirby Cheshire in dieses Land geholt haben. Dann wären diese Maskierten keine gewöhnlichen, einfachen und normalen Straßenräuber.
Es sind überdies mehr als nur zwei. Draußen sind noch andere, und einer steckt seinen maskierten Kopf zur Tür herein und fragt: »Alles in Ordnung? He, wir durchsuchen jetzt die Kutsche und das Gepäck.«
Und dann verschwindet er auch schon wieder.
»Also los«, sagt der Maskierte, der mit den beiden Revolvern neben der Eingangstür steht. »Ich habe schon gesagt, was ihr tun sollt. Fangt an damit!«
Einer der Männer lacht bitter. »He, was kann mir schon passieren! Ich habe nur noch siebzehn Dollar in der Tasche. Die könnt ihr haben, und sie machen euch nicht reicher – hier!«
Er knallt das Geld – eine Hand voll Münzen – auf den Tisch.
»Geh hinaus«, sagt der Maskierte von der Tür her. »Doch du bist ein Narr, wenn meine Amigos mehr bei dir finden. Sie durchsuchen dich! Leg deinen Colt auf den Tisch, heb die Hände über den Kopf und geh hinaus!«
Der Mann gehorcht schweigend. Er muss sich fest auf die Unterlippe beißen, um nicht unbedachte Worte oder Flüche zu sagen.
Er geht hinaus.
Ihm folgen nacheinander die drei anderen Männer – ohne Barschaft und Waffen. Aber auch diese Männer haben keine Reichtümer bei sich.
Und nun ist Kirby Cheshire an der Reihe.
Kirby war schon immer ein Mann, der eine Chance erkennen kann, wenn es eine gibt – und wäre sie noch so klein.
Doch hier hat er keine Chance.
Vor ihm steht ein Bursche mit zwei schussbereiten Colts.
Hinter ihm befindet sich ein zweiter Bursche mit einer schussbereiten Schrotflinte.
»Vorwärts, Hombre«, sagt der Maskierte von der Tür her und winkt mit einem seiner Colts. »Vorwärts, Amigo! Und keine Tricks! Du siehst wie eine harte Nummer aus, Bruder. Doch versuch es nicht – nicht mit uns!«
Wieder kam jener harte, kalte, mitleidlose Klang in seine Stimme.
Kirby Cheshire gehorcht nun. Er tut es langsam.
Zuerst entledigt er sich seines Waffengurts. Er trägt seinen Colt tief im Holster, und er trägt ihn links.
Er ist ein großer, hagerer, dunkler Mann mit merkwürdig hellen Augen. In seinem Gesicht sind dunkle Linien, und es gibt einige Zeichen in diesem Gesicht, die von einem Leben auf rauen Wegen erzählen.
Kirby wendet sich zur Tür, und als er bei dem Maskierten ist, hält dieser ihn mit dem Lauf seiner rechten Waffe auf. Er legt ihm die Laufspitze in die Armbeuge.
»Bruder, hast du wirklich sonst nichts bei dir – zum Beispiel einen Geldgürtel unter dem Hemd auf der bloßen Haut?«
»Nein«, sagt Kirby trocken, schüttelt mit dem Arm den Revolverlauf zur Seite und tritt hinaus in die Nacht und in das Licht der Laterne.
Der Stationsmann und dessen Gehilfe stehen rechts von der Kutsche, deren Sechsergespann sie austauschten. Die vor Kirby hinausgegangenen Fahrgäste sitzen bereits wieder in der Kutsche.
Dort stehen auch zwei weitere Banditen, ebenfalls maskiert und vermummt mit Regenhäuten.
»Mach deine Jacke auf und zieh das Hemd aus der Hose«, sagt einer der beiden Banditen zu Kirby.
»Wozu?«
Mit einem Fluch tritt der Bandit auf ihn zu, in der einen Hand den schussbereiten Colt und die andere Hand vorschiebend und nach Kirby ausstreckend, um ihn vorn an der Hemdbrust zu fassen.
Kirby schlägt mit der Linken den Revolver zur Seite, achtet nicht auf die zufassende Hand des Banditen und holt mit der Rechten einen Haken herauf, der den Mann unter das Kinn trifft und ihm fast den Kopf von den Schultern reißt. Es ist ein explosiver Schlag, trocken und mit der Wirkung eines Huftritts.
Er springt dem zurückfliegenden Banditen nach und entreißt diesem mit einem schnellen Griff die Waffe. Indes der Bandit nun zu Boden geht und schwer auf dem Rücken landet, wobei er die Beine hochwirft, als wollte er rückwärts einen Purzelbaum schlagen, wirbelt Kirby mit dem Colt in der Hand geduckt herum.
Doch als Kirby herumwirbelt, bekommt er es. Es ist ihm, als hätte ihn ein Pferd in die Herzgegend getreten. Er muss auf die Knie, und dennoch drückt er noch dreimal die Waffe ab, bis ihn eine zweite Kugel, welche aus dem Gastzimmer durch die offene Tür kommt, endgültig umwirft.
Die Banditen sammeln sich bald darauf bei ihm.
Einer sagt: »Heiliger Rauch, der war so schnell wie ein Kugelblitz. Der hätte fast Glück gehabt, wenn ich ihn nicht sofort mit der ersten Kugel so voll getroffen hätte.«
Ein anderer Bandit kniet nun bei Kirby Cheshire nieder, öffnet diesem das Hemd und findet den auf die bloße Haut geschnallten Geldgürtel.
»Das ist unser Mann«, sagt er, sich schnaufend erhebend. »Das ist ein voller Geldgürtel. Das ist unser Mann. Wir haben Glück gehabt. Reiten wir!«
✰✰✰
Unterwegs erwacht Kirby Cheshire vom Rütteln und Rumpeln der Kutsche. Er braucht eine Weile, um sich an das Geschehen zu erinnern.
Dann begreift er, dass er mit angezogenen Knien auf der Rückbank der Kutsche liegt und sein Kopf auf dem Schoß einer Frau gebettet ist. Sie hält ihn an der Schulter fest, sodass er nicht von der Bank fallen kann.
Kirby Cheshire erwacht später erst wieder, als man ihn aus der Kutsche hebt und ins Haus des Doktors trägt.
Die Frau ist nun nicht mehr bei ihm, und er hat das Empfinden, etwas verloren zu haben.
Er verliert dann abermals die Besinnung, als der Doktor ihm die Kugel aus der Schulter holt. Nur wie aus weiter Ferne hört er den Arzt noch sagen: »Da hat nicht viel gefehlt, und sie hätte ihm die Hauptader durchschlagen.«
Indes dies alles geschieht mit Kirby Cheshire, trägt die grünäugige Frau sich in das Gästebuch des Hotels ein.
Stella Ulvalde, New Orleans.
So kann es Mike Harris, der das Hotel mit seiner Schwester führt, lesen.
Als sie dann wenig später in ihrem Hotelzimmer vor dem Waschtisch steht, sich den Staub der Reise abwäscht und ihr kupfernes Haar kämmt, da betrachtet sie sich ernst im Spiegel.
Ich bin siebenundzwanzig, denkt sie, und seit zehn Jahren wandere ich auf rauen Wegen, versuche, mich der Männer zu erwehren und sie mir nutzbar zu machen. Werde ich auch hier mein altes Spiel spielen können? Wird es mir auch hier gelingen, mit den Waffen einer Frau zu gewinnen, hier in diesem Männerland?
Ich muss morgen schon Ausschau nach dem besten Mann halten. Aber eigentlich habe ich ihn schon gefunden. Dieser Kirby Cheshire, der wäre wohl richtig gewesen für mein Zwecke. Doch er wurde schlimm verwundet.
Was mag ihn mit einem gefüllten Geldgürtel hergeführt haben? Wollte er hier Rinder kaufen und zu einer Treibherde zusammenstellen?
Sechs Stunden später kommt Stella Ulvalde zum Frühstück in den Speiseraum. Nell Harris, bei deren Anblick man stets an ein ständig eifrig beschäftigtes Eichhörnchen denken muss, bedient sie und fragt scheinbar beiläufig: »Sind Sie auf der Durchreise, Miss Ulvalde oder ...?«
»Oder«, sagt sie und lächelt. »Und wegen dieses Oder werde ich einige Tage bei Ihnen wohnen. Lassen Sie heute Nachmittag eine Badewanne auf mein Zimmer bringen und mit heißem Wasser füllen.«
Stella sucht bald darauf den Mietstall auf, zu dem auch die Schmiede und der Frachtwagenhof gehören. Die Postkutschen bekommen hier auch ihre frischen Gespanne.
Jake Farrel, der so aussieht, wie man sich einen alten Weidereiter vorstellt – krummbeinig, falkengesichtig und verwittert –, tritt ihr entgegen.
Sie erwidert seinen forschenden Blick ruhig und gerade, und dann lächeln sie sich an.
»Madam«, sagt Jake langsam, »was kann ich für Sie tun? Ich bin Jake Farrel. Dort steht mein Name auf dem Schild. Wenn Sie einen sommersprossigen Bengel sehen, dann ist das mein Sohn.«
»Ich brauche ein Pferd«, erklärt sie, »welches ich reiten oder auch vor einen leichten Zweispänner spannen kann. Haben Sie zufällig solch ein Tier?«
Er betrachtet sie fest.
»Sie wollen hier herumreiten oder herumfahren? Ja, ich habe solch ein Pferd. Eine braune Stute. Wenn Sie mitkommen – ich habe sie in einem der hinteren Corrals. Auch den leichten Zweispänner können Sie von mir bekommen.«
Sie nickt. Und dann folgt sie ihm. Bald darauf klettert sie in den Corral, wobei sie sich trotz des Kleides geschickt bewegt.
Die Stute kommt zu ihr, und der alte Jake Farrel steht dabei und sieht zu, wie sich diese grünäugige Frau mit dem Tier vertraut macht.
»Ich glaube«, sagt er nach einer Weile, »Sie kommen mit Tieren leichter und schneller zurecht als mit Menschen.«
Bald darauf begibt sie sich auf dem kürzesten Weg zum Stadthaus, in dem sich außer dem Marshal's Office auch das Gefängnis befindet.
Rechts und links des Eingangs lümmeln zwei Männer an der Hauswand. Sie sehen aus wie Cowboys – und zwar solche von der besonders hartbeinigen Sorte, die schnell mit dem Revolver ist. Sie sind hartgesichtig, scharfäugig.
Einer tritt ihr in den Weg, greift an die Hutkrempe und grinst.
»Madam, Sie dürfen jetzt nicht stören«, sagt er. »Und das tut mir sehr leid. Denn ich würde Ihnen gerne jeden Wunsch erfüllen – jeden.«
Sein Grinsen wird stärker, und in seinen Augen funkelt es. Er ist ein Bursche von jener Sorte, die es stets auf diese Art versucht.
Sie sieht ihn ruhig an.
»Ich werde erwartet«, erklärt sie ihm sachlich. »Treten Sie zur Seite, Revolverschwinger.«
Er möchte lachen, einen Witz reißen, der zweideutig ist. Er möchte herausfinden, zu welcher Sorte sie gehört.
Und da sieht er, dass sie inzwischen aus einer Falte ihres Kleides einen kleinen Derringer geholt hat. Sie hält die Waffe so, dass der andere Mann sie nicht sehen kann. Ihre Tasche, die sie auf der anderen Körperseite gegen die Brust gedrückt hat, versperrt ihm die Sicht.
»Treten Sie zur Seite!«, spricht sie härter und macht zugleich einen ruhigen Schritt auf ihn zu, stößt ihn leicht mit der Schulter an, sodass er in Richtung des zweiten Mannes ausweichen muss.
Er traut sich nicht, nach ihr zu greifen. In ihren Augen erkennt er nun die Härte einer Spielerin, die einen hohen Einsatz wagt. Er weiß, dass sie ein Recht hätte, die kleine Waffe zu benutzen, würde er nach ihr greifen. In diesem Land greift man nicht nach einer Frau.
Sie stößt die Tür auf und tritt ein.
Dem Mann, der hinter ihr nachdrängen will, schlägt sie die Tür vor die Nase, und drinnen wendet sie sich den drei Männern zu, die sich im Raum wie wartend verteilt haben.
Der Regierungsbeauftragte Tom Jenkins sitzt hinter dem Schreibtisch des Marshals. Der Marshal selbst lehnt in der Ecke neben dem Gewehrständer, in dem sich vier Gewehre befinden, darunter eine Büffelflinte und ein Parker-Schrotgewehr.
Auf der Fensterbank sitzt Jessup Ballinger, und dieser ist es, der staunend auf die Frau starrt und dann mürrisch sagt: »Sie stören jetzt, Madam. Kommen Sie in zehn Minuten wieder. Wir haben hier eine Amtshandlung vorzunehmen.«
»Ich weiß«, erwidert sie. »Heute bis elf Uhr vormittags ist der letzte Termin für die Grundsteuerschuld der Coronado-Schenkung. Falls bis elf Uhr niemand aufgetaucht ist, der die Grundsteuerschuld bezahlen kann, wird das Land beschlagnahmt und an Interessenten versteigert. Sie sind wohl der einzige Interessent, Mister?«
Sie sieht bei ihrer Frage den Mann auf der Fensterbank an, jenen rotblonden, helläugigen, klotzigen Bullen, der so wirkt, als würde er jedes Hindernis einfach niederrennen.
Dieser Mann, Jessup Ballinger, starrt sie an. Zuerst staunend und dann mit zunehmender Wut.
Der Marshal stößt einen seltsamen Husten aus. Es klingt so, als könnte er nur dadurch ein sarkastisches Lachen vermeiden.
Und der Regierungsbeauftragte Tom Jenkins, der schon seit drei Tagen in Blanca Rosa weilt, hat seine Augen, den Mund und die Nasenlöcher weit offen.
Stella Ulvalde tritt zu ihm an den Tisch, zieht einen Stuhl heran, setzt sich und öffnet ihre Tasche.
»Hier ist die Schenkungsurkunde, überschrieben auf mich, ordentlich beglaubigt und gesiegelt. Hier ist die Zahlungsaufforderung der Steuerbehörde. Und hier ist das Geld. Was wollen Sie noch, Mister?«
In ihrer Stimme ist nun ein Anflug von Spott und Verachtung. Sie sieht zu Jessup Ballinger hinüber.
Der starrt sie seltsam an. Seine hellen Augen sind wie Eis. Langsam und wie schwerfällig erhebt er sich von der Fensterbank. Man hat den Eindruck, als könnte sich dieser Klotz von einem Mann nur langsam bewegen, weil seine Muskeln so gewaltig sind.
Aber er könnte jeden Preisboxer blitzschnell zusammenschlagen.
Er wendet sich an den Regierungsbeauftragten.
»Jenkins, die Coronado-Schenkung gehörte einer Partnerschaft. Von wem hat diese Frau den Anteil erworben – von James Ford oder von Carlos Socorro?«
Jenkins blickt in die Schenkungsurkunde.
»Von James Ford«, sagt er dann. »Doch jeder Partner ist berechtigt, allein und für den anderen zu handeln. Das bedeutet auch, dass sie die gesamte Steuerschuld zahlen kann.«
Er blickt auf das Geld, welches Stella Ulvalde auf den Tisch zählte. Es sind neue Hundertdollarscheine, fast zweihundert Stück. Denn es ist die fällige Steuer für die vergangenen zehn Jahre. So lange nämlich schon wurde diese Grundsteuer nicht gezahlt.
Während des Krieges hatten die Behörden andere Sorgen, und selbst nach dem Kriege dauerte es noch drei Jahre, bis man den Besitzern der Landschenkung eine allerletzte Frist setzte.
Etwas verwirrt noch zählt Tom Jenkins das Geld.
Und indes er dies tut und Stella Ulvalde wartet, sagt Jessup Ballinger langsam und schwer: »Die Coronado-Schenkung – eine Schenkung des Königs von Spanien an die tapferen Ritter und Conquistadoren Felipe und Carlos Coronado –, sie ist mächtig groß, Madam. Wissen Sie ...«
»Ich weiß«, unterbricht sie ihn. »Es handelt sich um ein Stück Land von fünfzig Meilen Länge und dreißig Meilen Breite. Es sind eintausendfünfhundert Quadratmeilen Land – Täler, Ebenen, Hügelketten, Gebirge, Canyons, Mesas –, alles, was man sich denken kann in einem riesigen Gebiet. Dazu kommen eine Anzahl Creeks, die sämtlich in Richtung Pecos fließen. Ich weiß Bescheid über meinen Besitz, Mister.«
»Ballinger«, sagt dieser, »Jessup Ballinger.«
»Ja.« Sie lächelt. »Von Ihnen habe ich schon gehört, Mister Ballinger. Doch es ist ein Unterschied, ob man einen Mann mehrmals halb totschlagen lässt, bis er zerbrochen ist und wie ein verprügelter Hund aus dem Lande schleicht – oder ob man sich an einer Frau vergreift.«
»Na sicher, Madam.« Ballinger grinst und hat ein Funkeln in den Augen. »Da ist ein großer Unterschied. In diesem Land darf man selbst dem billigsten Flittchen nichts tun. Madam, ich frage mich wahrhaftig, wie Sie es anstellen wollen, diesen großen Besitz gewinnbringend zu verwalten. Sie haben richtig gerechnet. Es sind eintausendfünfhundert Quadratmeilen Land, zumeist wildes und raues Land mit tausend unübersichtlichen Winkeln und Verstecken. Ich glaube, es gibt vierzigtausend Rinder auf diesem Land, und überall sind ganze Mannschaften von Rustlern bei der Arbeit. In verborgenen Camps leben Geächtete, Verlorene. Es gibt einige Rancher, Siedler und mexikanische Bauern. Sie werden als Frau natürlich einigermaßen sicher sein. Aber in der Haut Ihrer Reiter möchte ich nicht stecken. Die einstigen Besitzer der Schenkung sind von hier fortgelaufen, und nun kommen Sie, eine Frau, und wollen ...«
Er schlägt fassungslos die Hände zusammen und tritt näher heran.
»Wissen Sie, Mädel, was Sie sich da geangelt haben?« So fragt er.
»Mein Name ist Stella Ulvalde«, spricht diese kühl. »Und ich weiß genau, was ich mir geangelt habe. Die Coronado-Schenkung wird bald eine Million Dollar Wert sein. Ich habe noch nie einen Einsatz gemacht, der es nicht wert gewesen wäre.«
Er staunt sie an. Dann wiegt er den massigen Kopf, schickt noch einen Blick zu Tom Jenkins hinüber und geht dann brummend hinaus.
Draußen hört man ihn mit seinen beiden Männern schimpfen.
Im Office ist es still.
Der Regierungsbeauftragte Tom Jenkins schreibt eine Quittung aus und macht eine Eintragung in die Urkunde.