G. F. Unger Western-Bestseller 2644 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Western-Bestseller 2644 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Als sie die tausend Lichter von Golden City in der Nacht erblicken, halten sie an und betrachten schweigend das große Goldgräber- und Minencamp.
Der alte Mann wendet sich an das Mädchen.
»Das ist es. Und George Prouster ist dort der große Boss. Einst hat er mich reinlegen können, und deshalb ist er mir noch etwas schuldig. In einer Stunde werde ich mich revanchieren. Bell, wir landen jetzt den großen Coup, und du weißt, was du zu tun hast.«
Das Mädchen neben ihm im Sattel des etwas kleineren Pferdes erwidert vorerst nichts. Dieses Mädchen ist wie ein junger Bursche gekleidet. Es sitzt locker im Sattel, so, als hätte es das Laufen und das Reiten zu gleicher Zeit erlernt.
»Na schön, Onkel Jones«, sagt es nach einer Weile. »Nachdem ich dich nicht davon abbringen konnte, will ich dir helfen bei deinem Coup. Ja, ich glaube dir, dass George Prouster dir etwas schuldig ist. Aber es ist doch wohl so, dass ein alter Fuchs einem Wolf ein Stück Beute wegnehmen will. Das könnte dir schlecht bekommen, Onkel Jones. Pass nur gut auf dich auf.«


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Seitenzahl: 151

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Der Wolf von Gol‍den City

Vorschau

Impressum

Der Wolf von Gol‍den City

Als sie die tausend Lichter von Golden City in der Nacht erblicken, halten sie an und betrachten schweigend das große Goldgräber- und Minencamp.

Der alte Mann wendet sich an das Mädchen.

»Das ist es. Und George Prouster ist dort der große Boss. Einst hat er mich reinlegen können, und deshalb ist er mir noch etwas schuldig. In einer Stunde werde ich mich revanchieren. Bell, wir landen jetzt den großen Coup, und du weißt, was du zu tun hast.«

Das Mädchen neben ihm im Sattel des etwas kleineren Pferdes erwidert vorerst nichts. Dieses Mädchen ist wie ein junger Bursche gekleidet. Es sitzt locker im Sattel, so, als hätte es das Laufen und das Reiten zu gleicher Zeit erlernt.

»Na schön, Onkel Jones«, sagt es nach einer Weile. »Nachdem ich dich nicht davon abbringen konnte, will ich dir helfen bei deinem Coup. Ja, ich glaube dir, dass George Prouster dir etwas schuldig ist. Aber es ist doch wohl so, dass ein alter Fuchs einem Wolf ein Stück Beute wegnehmen will. Das könnte dir schlecht bekommen, Onkel Jones. Pass nur gut auf dich auf.«

George Prousters Blick ist immer noch so offen und fest und sein Lachen hört sich immer noch so herzlich und ehrlich an wie früher.

Und auch der Händedruck ist von der Art der redlichen Burschen.

»Schön, dich mal wiederzusehen, Jones. Ich erinnerte mich manchmal an dich und fragte mich dann stets, wie es dir wohl gehen mochte. Auf unserer Welt verliert man sich manchmal schnell aus den Augen, nicht wahr? Brauchst du einen Job? Ich hätte in einem meiner Spiel-Saloons gewiss einen Rouletttisch für dich mit Beteiligung am Gewinn. Recht so?«

Jones Hackberry setzt sich unaufgefordert in den bequemsten Sessel des noblen Zimmers, von dem aus George Prouster die Geschicke von Golden City lenkt.

»Es war schwer, zu dir vorzudringen, George«, sagte Hackberry. Er legt seine Hände gefaltet auf den Bauch, streckt die Beine von sich und beginnt Daumen zu drehen.

Die beiden Satteltaschen, die er mitbrachte, liegen neben ihm auf dem recht kostbaren Teppich.

»Du solltest mir einen guten Whisky und eine gute Zigarre anbieten, George«, redet er weiter. »Denn ich bin gekommen, um mit dir ein Geschäft zu machen – ein großes Geschäft.«

Sie betrachten sich – und es wirkt so, als beschnupperten sich ein alter, schlauer Fuchs und ein erfahrener Wolf.

George Prouster trägt einen Maßanzug. An ihm wirkt alles gepflegt, solide, seriös. Er ist immer noch prächtig proportioniert. Trotz seiner grauen Haare wirkt er in seinen Bewegungen jugendlich. Seine Zähne sind noch makellos. Nur die Narben im Gesicht verraten, dass sein Leben gewiss nicht immer friedlich verlaufen ist.

Seine etwas schrägen Augen haben eine grüngelbe Farbe – und sie sind es, die fast immer das Gegenüber beherrschen.

Jones Hackberry ist älter, grauer, kleiner, ein Mann, der seine besten Jahre hinter sich hat.

Als er hereinkam, hinkte er leicht.

Schließlich murmelt Prouster: »Ich mach nur noch große und lohnende Geschäfte. In welcher Größenordnung würde sich denn unser Geschäft etwa bewegen. Na?« Er fragt es gönnerhaft, dabei schon die Grenze deutlich aufzeigend.

Aber Jones Hackberry grinst mit seinen braunen Zahnstummeln. Sein Gesicht wird noch faltiger. Doch es wirkt triumphierend. Und dies wieder erzeugt in George Prousters Kern Warnsignale.

Oha, Prouster hat noch niemals einen Mann unterschätzt, selbst dann nicht, wenn er diesen eigentlich für einen kleinen Pinscher hielt.

»Hm, die Größenordnung?«, fragt Jones Hackberry zurück. »Nun, sagen wir mal fünfzigtausend Dollar. Die müsste ich von dir bekommen. Dann kämen wir zu einem Abschluss. Na?«

Die Warnsignale in Prouster werden stärker. Ja, nun sagt ihm sein Instinkt ganz deutlich, dass eine Gefahr auf ihn zukommt.

»Gib mir erst von deinem guten Whisky und eine deiner vorzüglichen Zigarren«, verlangt Jones Hackberry. »Bei Fünfzigtausend-Dollar-Geschäften sollte man nicht knickrig sein, nicht wahr?«

George Prouster macht den Eindruck, als habe er eine Kröte schlucken müssen. Aber dann schnauft er wie ein Mann, der damit zugleich warnend sagen will: »Nun gut, dies will ich noch tun. Doch dann wird meine Geduld am Ende sein, und das schreib dir hinter deine Segelohren, Jones Hackberry.«

Sie schweigen.

Dann prostet Hackberry dem Boss von Golden City zu und leert das Glas.

»Der ist wirklich gut«, sagt er. »Das ist der richtige Besiegelungstrunk für unser Geschäft. Und nun zur Zigarre – aaah, was kostet das Stück? Einen Dollar? Nobel, nobel! Ja, am Whisky und an den Zigarren erkennt man den erfolgreichen Geschäftsmann. Ja, ja, du brauchst gar nicht so ungeduldig zu schauen, alter Freund und Partner. Ich komme zur Sache, sobald diese Zigarre richtig brennt. Bei solch einer Zigarre dauert das seine Zeit. Das ist eine geradezu heilige Handlung. Für einen Dollar das Stück. Du lieber Vater im Himmel, dass ich dies noch erleben darf – für einen Dollar das Stück ...«

George Prouster setzt sich halb auf die Ecke seines mächtigen Schreibtisches, dessen Transport hierher in die Berge ein Vermögen gekostet haben muss. Er lässt ein Bein lässig baumeln und wirkt gelassen.

Doch Jones Hackberry kennt ihn gut genug. Er weiß, dass er seinen Triumph nicht zu lange auskosten darf.

Er raucht nur drei Züge. Dann öffnet er eine der Satteltaschen, entnimmt dieser einen hühnereigroßen Steinbrocken und wirft ihn Prouster ohne jede Warnung zu.

Doch Prousters Reflexe sind bestens. Er fängt das Ding auf.

Dann wiegt er es in der Hand und betrachtet es schließlich genau. Er geht damit sogar hinter den Schreibtisch und kratzt mit einem Messer an dem Steinbrocken, der allerdings keiner ist.

Schließlich sieht er Hackberry an und fragt: »Wo?«

Aber Jones Hackberry grinst nur.

»Warum kommst du her und zeigst mir das?«, will Prouster knirschend wissen. Hackberry aber hält ihm das leere Glas hin.

»Solch einen Whisky werde ich mir auch bald leisten können«, sagt er dabei. »So oder so kann ich ihn mir bald leisten. Was glaubst du, George?«

Dieser kommt mit der Flasche und füllt das Glas. Er gießt es doppelt so voll wie zuvor. Vielleicht hofft er, dass der Whisky Hackberry die Zunge löst.

Aber Hackberry hat jetzt listig glitzernde Augen. Er nippt nur an dem bernsteinfarbenen Stoff, grinst dann wieder.

»Deine Geschäfte hier, George«, spricht er dann, »würden aber schnell schlechter gehen, wenn es etwas leerer würde in diesem Land rings um Golden City, nicht wahr? Stell dir vor, wenn all deine Lokale, die Tingeltangel, die Spielhallen, die Freudenhäuser und was alles sonst noch dir gehört oder an dich Beteiligungen zahlt, nur noch zur Hälfte gefüllt wären – oder sogar nur zu einem Drittel! Stell dir vor, was dann wäre. Ja, kannst du dir das vorstellen?«

George Prousters schräge Augen werden schmal.

»Willst du mir Angst machen, Jones?«, fragt er scheinbar lässig. Doch in seinen Augenschlitzen glitzert es nun gelb.

»Ach«, sagt Hackberry, »wir waren doch mal vor vielen Jahren als Artisten gute Partner am Trapez. Weißt du noch? Und dann die Jahre danach. Aaah, es täte mir leid, wenn Golden City plötzlich so leer sein würde wie mein Geldbeutel. Dabei ließe sich das mit meinem Geldbeutel schnell ändern. Ich brauche mit den Erzproben nur zum Claimbüro zu gehen und das Ding zum Laufen zu bringen. Und noch in dieser Nacht wären Hunderte unterwegs zu den neuen Fundstellen – morgen sogar schon Tausende. Nur die guten Claims und Minen hier würden in Betrieb bleiben. Die vielen anderen Claims, auf denen man in zehn oder zwölf Stunden harter Arbeit nur für wenige Dollars Gold herausholt, wären rasch verlassen. Denn die neuen Fundstellen würden größere Chancen versprechen. Deine Stadt hier, George, brächte nicht mehr viel Gewinn. Sie wäre nicht mehr viel wert. Seh ich das richtig?«

George Prouster nickt und betrachtet nochmals den Erzbrocken.

Dann erhebt er sich, kommt hinter dem Schreibtisch hervor und tritt zu Hackberry, beugt sich nieder zu diesem und stützt sich rechts und links auf die Lehnen des Sessels.

»Seit ich dich damals nicht halten konnte am Trapez als Fänger nach deinem doppelten Salto und du in die Manege stürztest vor vielen, vielen Jahren, hab ich deinen Hass immer gespürt, Jones«, murmelt er. »Und ich wusste immer, dass du mich auch mal gern sehr tief fallen sehen würdest. Richtig?«

»Richtig, George«, erwidert Hackberry und sieht zu ihm auf ohne Furcht.

Prouster nickt langsam. »Aber, Jones«, sagt er schließlich, »du weißt doch genau, wie einfach das ist für mich. Meine Jungs brauchen dir nur ein wenig die Haut abzuziehen oder dich mit den Füßen nach Indianerart in ein Feuer zu legen. Dann erzählst du alles, was ich hören möchte. Oder zweifelst du wirklich daran?«

»Nein, daran nicht«, pflichtet ihm Hackberry bei. »So viel könnte ich gewiss nicht ertragen, wenn deine harten Jungs mich erst mal haben und klein machen. Nein, ich hielte das wirklich nicht aus. Aber da ist noch etwas, was du wissen solltest, George. Ich hab 'nen Partner. Den kennt ihr aber nicht. Und wenn mich mein Partner zum Beispiel in der nächsten Stunde nicht umherspazieren sehen sollte – nun, dann wird er in irgendeinem Saloon auf einen Tisch springen, seine Goldbrocken zeigen und in die Gegend brüllen, wo er das Zeug gefunden hat. Es ist zweihundert Meilen weit weg von hier. Du müsstest deine ganze Stadt verlegen, zumindest jedoch dort eine neue bauen. Das alles kannst du dir ersparen. Und das müsste dir fünfzigtausend Dollar wert sein, nicht wahr?«

Er nippt wieder am Glas.

Dann beugt er sich zur Seite und stellt es auf den Schreibtisch.

Wieder faltet er die Hände über dem Bauch und dreht die Daumen.

»Ich hab dich«, sagt er zufrieden. »Diesmal hab ich dich. Weißt du, ich könnte vielleicht auch auf der Fundstelle aus meinem Entdecker-Claim Fünfzigtausend rausholen. Doch was für eine Arbeit würde das machen. Und dann ist das Gebiet auch ziemlich unzugänglich. Es gäbe keine Zivilisation bis zum nächsten Frühjahr. Es wäre alles schrecklich primitiv, so wie vor mehr als zwei Jahren hier. Ich habe auch gar keine Zeit mehr zu verschenken. Also, gib mir die Fünfzigtausend für die Gefälligkeit, dass in dieser Stadt niemand etwas von den neuen Fundstellen erfahren wird und hier alles so bleibt, wie es jetzt läuft. Dann reise ich bald schon über die Bitter Roots zur Westküste. Ich bin alt und möchte keinen einzigen Tag länger fern der Zivilisation leben. Und selbst Golden City ist mir noch zu mies, zu primitiv, zu stinkend. Na, hast du dir das also alles überlegt? Du hast nicht mehr viel Zeit. Du musst fünfzigtausend Dollar rausrücken – oder du wirst hier einen neuen Goldrun erleben, der die große Hammelherde, der du die Wolle scherst, in eine andere Gegend lockt. Es gab hier in den letzten Monaten keine weiteren Funde mehr. Viele Leute wären schon weg, wüssten sie nur, wohin. Das weißt du alles genau, mein Guter. Ich hab dich in der Klemme. Und wenn mir etwas zustoßen sollte, wird mein Partner handeln. Mein Tod nützt dir nichts. Im Gegenteil.«

Er verstummt wie ein Mann, der alles gesagt hat.

In seinen Augen funkelt es hart und entschlossen.

George Prouster denkt mit fast völlig geschlossenen Augen nach.

Ja, vor vielen Jahren gehörten sie zu einer berühmten Artistengruppe, die am Trapez arbeitete. Er war der Fänger, und einmal konnte er den Flieger Jones Hackberry nicht halten. Dadurch wurde Hackberry berufsunfähig. Und weil er nicht bei der Truppe bleiben konnte, verlor er auch jede Chance bei Stella.

Und jetzt will ihm Hackberry das Fell abziehen.

Fünfzigtausend Dollar!

So viel wirft eine gute Goldmine nach Abzug der Unkosten vielleicht in einem halben Jahr ab. Prouster rechnet, wie viele Monate er Golden City in Betrieb halten muss, um diesen Reingewinn zu haben. Gewiss, er macht hier viel Geld. Doch er muss auch viele Leute bezahlen. Auf seiner Lohnliste steht zum Beispiel der Revolverheld Harvey Spade, und der kostet allein schon mehr als tausend Dollar im Monat.

Nein, so schnell kann er fünfzigtausend Dollar auch nicht verdienen, wie Jones Hackberry sich das vorstellt.

George Prouster war schon immer ein Mann klarer Entscheidungen.

Und so geht er um den Schreibtisch herum, setzt sich und zieht die Schublade auf.

»Ich kauf dir dein Wissen für Dreißigtausend ab und geb dir jetzt gleich einen Vorschuss von Zehntausend«, sagt er.

Doch Jones Hackberry schüttelt den fuchsgesichtigen Kopf.

»Fünfzigtausend sofort«, sagt er. »In großen Scheinen, die ich leicht transportieren kann. Ich muss gleich auf die Straße hinaus, damit mein Partner mich sehen kann und nicht den Goldrun wie einen Präriebrand entfacht. Los jetzt!«

Seine Stimme ist zuletzt hart.

»Du hast mich damals zum Krüppel gemacht«, flüstert er tonlos. »Und du konntest mir Stella wegnehmen. Sie wurde unglücklich bei dir. Ich hätte sie glücklich gemacht. George, heute musst du bezahlen.«

George Prouster nickt langsam.

Er greift in die Schublade, doch er bringt daraus kein Geld zum Vorschein, sondern einen kurzläufigen Colt.

»Du bist verrückt, George«, sagt Jones Hackberry schnell und hebt beschwörend seine Hände. »Du kannst mich nicht bluffen. Wenn du mich erledigst, kostet es dich mehr als fünfzigtausend Dollar.«

»Vielleicht«, sagt George Prouster ruhig, »aber vielleicht auch nicht. Ich war eigentlich immer ein Spieler, Jones. Du aber, du warst immer ein Narr.«

Nachdem er dies gesagt hat, drückt er dreimal ab. Die Schüsse krachen laut. Doch in der Amüsierhalle nebenan lärmt die Musik.

Prousters Leibwache, die draußen vor der Tür steht, stürzt herein.

»Schafft diesen Narren fort«, sagt Prouster zu den beiden Männern. »Doch durchsucht vor der Beerdigung seine Kleider. Ich will alles haben, was er bei sich hatte, alles. Los, hinaus mit ihm! Er wollte mir fünfzigtausend Dollar stehlen.«

✰✰✰

Auch Bell Hackberry hört die Schüsse nicht. Golden City lärmt zu sehr.

Sie hat ihr Pferd an eine Haltestange gelenkt, angebunden und ist dann in den Schatten einer Hausnische getreten. Die Männerkleidung ist ihr etwas zu weit, aber das ist gut. So bleibt ihre Figur verborgen. Auch der Hut ist ihr etwas zu groß. Er verbirgt die langen Haare und lässt ihr Gesicht noch kleiner und schmaler erscheinen.

Onkel Jones kommt nicht mehr zum Vorschein – auch nicht nach reichlich einer Stunde.

Sein Pferd steht verlassen an der Haltestange zwischen anderen Tieren. Es ist müde und erschöpft. Man sieht ihm den Zweihundert-Meilen-Ritt an.

Bells Gedanken jagen sich. Gewiss, Onkel Jones hat ihr genau gesagt, was sie tun soll, wenn er nach einer Stunde nicht mehr zum Vorschein kommt. Sie denkt: Er ist bei diesem George Prouster nicht mit seinen Forderungen durchgekommen. Prouster ließ sich gewiss nicht erpressen.

Bells Wege waren rau genug. Sie kennt sich aus.

Doch was soll sie tun?

Bitterkeit und Resignation wollen sie lähmen.

Sie geht schließlich langsam weiter.

Immer wieder muss sie an Onkel Jones denken.

Was ist ihm zugestoßen? Was haben sie mit ihm gemacht?

Oder hält George Prouster ihn nur in Gewahrsam, um aus ihm das Geheimnis zu pressen wie den Saft aus einer reifen Frucht?

Vor Bell kommt ein Mann aus einer Hauslücke. Sie verhält, doch er beachtet sie kaum. Offenbar hat er es sehr eilig.

Er pocht nach einigen Schritten gegen die Tür des Hauses, um dessen Ecke er bog. Bell verhält immer noch. Und sie weiß eigentlich nicht so recht, warum sie hier wartet.

Oben öffnet sich ein Fenster. Jemand streckt seinen Kopf heraus und fragt: »He, was ist denn?«

Der Mann tritt einen Schritt zurück und blickt nach oben.

»Arbeit für dich, Ballinger«, ruft er. »Wir haben einen Toten in deinen Schuppen gelegt. Du kannst ihn morgen einsargen und beerdigen. Ein namenloser Toter. Der Boss bringt alles morgen mit dem Marshal in Ordnung. Verstanden?«

»Dann bekomm ich die fünfzig Dollar aus der Stadtkasse?«

»Sicher, Ballinger, sicher. Es ist doch ein namenloser Toter, den man irgendwo in einem Hof fand. Die Stadtkasse zahlt die Beerdigung. Er ist völlig ausgeraubt worden.«

Nach diesen Worten wendet sich der Mann ab und kommt zurück. Er streift den scheinbar schmächtigen Jungen nur mit einem schnellen Blick.

Bell aber verharrt. Ein namenloser Toter, denkt sie. Wer mag es sein? Doch nicht etwa ...

Sie weigert sich, den Gedanken weiter zu verfolgen.

Und dennoch kommt sie nicht davon los.

Sie wendet sich zur Gassenmündung zurück, aus der jener eilige Bursche kam. Als sie der Gasse folgt, erreicht sie die Einfahrt zum Hof. Unter einem Schutzdach steht hier eine noble Leichenkutsche.

Sie geht daran entlang und erreicht einen Schuppen.

Einen Moment zögert sie, und sie muss mehrmals hart schlucken. Der Puls klopft ihr am Hals und dröhnt in den Ohren.

Aber sie überwindet sich.

Sie öffnet die kleine Tür im rechten Torflügel und schiebt sich in den Schuppen. Ein Toter soll hier liegen. Sie betet zum Himmel, dass dieser Tote nicht Onkel Jones ist.

Da sie unterwegs stets das Kochen besorgte, befinden sich in einer ihrer Taschen auch noch einige Schwefelhölzer. Sie streicht eines an der Innenwand des Tores ab.

Der Schuppen ist gewissermaßen die Leichenhalle des Bestattungsunternehmens.

Der Tote liegt auf einem der Tische.

Noch bevor das kleine Flämmchen erlischt, kann sie erkennen, dass es sich um Onkel Jones handelt.

Dann ist es wieder dunkel im Raum.

Sie steht still da, spürt, wie ihr die Tränen über die Wangen rinnen. Nach einer Weile geht sie wieder hinaus. Sie kann für Onkel Jones nichts tun.

Und was kann sie für sich tun?

Als sie später dort vorbeigeht, wo ihres Onkels Pferd stand, ist das Tier verschwunden.

Sie denkt: Sie haben also schon herausgefunden, auf welchem Pferd er geritten kam. Es entgeht ihnen nichts in ihrer Burg, gar nichts. George Prouster hat seine Stadt fest unter Kontrolle. Und gewiss fanden sie schon heraus, dass es noch ein zweites Pferd gibt, welches einen ähnlichen Weg hinter sich hat. Sie werden es beobachten.

Sie lehnt wieder an einer Hauswand. Wenn sie schräg über die Straße blickt, kann sie drüben ihr eigenes Pferd zwischen anderen Tieren an einer der Haltestange stehen sehen.

Ihr Blick wird schärfer, und weil sie die Nische kennt, in der sie lange genug gewartet hatte auf den Onkel, richtet sich ihr Blick dorthin.

Sie kann in der dunklen Ecke die Silhouette eines Mannes erkennen. Er raucht eine Zigarette und schirmt den Glühpunkt dabei nicht gut genug ab.

Sie weiß nun Bescheid: Sie bewachen mein Pferd. Vielleicht durchsuchen sie schon mein Gepäck. Dann suchen sie nach einer Frau. Morgen schon werden sie mich finden. Nein, da ist es schon besser, wenn ich den Stier bei den Hörnern packe. Denn ich will überleben.

Sie geht zielstrebig auf den Eingang der Golden Hall zu.

✰✰✰