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Jubal Colville will etwas erleben!
Im großen Saal des Good Night Saloons von Trail Town drängen sich die Männer. Auf der Bühne tanzen und singen sechs Mädchen: »Wir sind die sechs Schwestern von Golden Hill! Wir tanzen für euch, Jim, Tom, Larry und Bill!«
Eine heisere Männerstimme ruft dazwischen: »Teufel, ihr sollt für mich tanzen! Mein Name ist Shippoway Johnny!«
Der betrunkene Bursche mit einem Gesicht wie ein Comanche zerschießt eine Petroleumlampe am Rand der Bühne.
Das Petroleum läuft aus und beginnt zu brennen.
Die Mädchen reißen sich ihre Röcke vom Leib und ersticken das Feuer. Eines der Mädchen schreit: »Dieser Narr! Man sollte ihm einen Ring durch die Nase ziehen!«
Und dann kommen die Rauswerfer des Saloons ...
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Gesetz der Ehre
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Impressum
Gesetz der Ehre
Jubal Colville will etwas erleben!
Im großen Saal des Good Night Saloons von Trail Town drängen sich die Männer. Auf der Bühne tanzen und singen sechs Mädchen: »Wir sind die sechs Schwestern von Golden Hill! Wir tanzen für euch, Jim, Tom, Larry und Bill!«
Eine heisere Männerstimme ruft dazwischen: »Teufel, ihr sollt für mich tanzen! Mein Name ist Shippoway Johnny!«
Der betrunkene Bursche mit einem Gesicht wie ein Comanche zerschießt eine Petroleumlampe am Rand der Bühne.
Das Petroleum läuft aus und beginnt zu brennen.
Die Mädchen reißen sich ihre Röcke vom Leib und ersticken das Feuer. Eines der Mädchen schreit: »Dieser Narr! Man sollte ihm einen Ring durch die Nase ziehen!«
Und dann kommen die Rauswerfer des Saloons ...
Es sind drei Rauswerfer, die sich dem riesigen Burschen von drei Seiten nähern. Sie lassen sich Zeit, hasten nicht, und wie sie sich so durch den gefüllten Raum schieben, zwischen Tischen und Stühlen hindurch, machen sie einen sehr erfahrenen Eindruck.
Die Gäste beobachten andachtsvoll, und es ist so, als warteten sie auf einen ganz besonderen Kunstgenuss.
Irgendwo in der Ecke sagt eine Stimme: »Ich wette zehn Dollar, dass die drei Bullen diesen Texasrebellen nicht schaffen!«
»Ich halte dagegen!« So sagt eine andere Stimme schnell. Und dann setzt auch schon ein allgemeines Wetten ein. Die Tische in der näheren Umgebung des wilden Burschen werden nun verlassen. Auch die Gäste, die mit ihm am Tisch saßen, ziehen sich zurück. Er grinst nur, rollt mit den Schultern und blickt sich nach den drei Rauswerfern um.
»Jungs«, sagt er, »ich habe schon als kleiner Junge rohes Fleisch bekommen. Ich bin Shippoway Johnny Ringo. Versucht es nur mit mir! Das wird ein Spaß! Ich war drei Monate auf dem Chisholm Trail, und ich habe jeden Mann meiner Mannschaft verprügelt. Ich sehne mich schon drei Monate nach einem richtigen Männerkampf!«
Als er es gesagt hat, wartet er nicht länger, bis die drei Rauswerfer gleichzeitig bei ihm angelangt sind. Er stürmt vorwärts, fegt einen Tisch zur Seite, reißt einen Stuhl hoch und drischt den einen Rauswerfer zusammen, bevor die beiden anderen zwischen Tischen und Stühlen hindurch nahe genug an ihm sind.
Und dann geht es los.
Nun, es wird ein schlimmer Kampf, bei dem es viel Kleinholz gibt. Es wird ein wilder Kampf, denn der Texascowboy mit dem Comanchengesicht sieht nicht nur wie ein als Cowboy verkleideter Indianer aus, er ist auch so katzenhaft schnell, so wild und so stark wie ein Berglöwe.
Es dauert nicht lange, dann ist der Kampf auch schon beendet.
Der Bursche mit dem Indianergesicht steht immer noch auf den Beinen. Die drei Rauswerfer jedoch sind in der Runde unter Kleinholz verteilt und können nicht mehr aufstehen.
Im ganzen Raum herrscht eine Stille der Bewunderung, denn all die wilden und verwegenen Burschen, die mit ihren Treibherden tausend Meilen weit getrailt sind, bewundern nun mal den Sieg roher Gewalt. Das kommt sicherlich daher, weil auch sie sich in ihrem wilden Leben nur mit roher Gewalt gegen alle Tücken behaupten können – gegen einen angreifenden Stier zum Beispiel oder gegen Indianer oder weiße Pferdediebe oder gegen einen Schneesturm oder schwimmend in einem reißenden Fluss.
»Wer will es noch versuchen?«, fragt Ringo großspurig und drückt die mächtige Brust heraus. »Wer hat noch etwas gegen Shippoway Johnny? Ich bin der stärkste Mann von Texas! Und ich gehe jede Wette ein, dass ich auch der stärkste Mann von Kansas bin! Wer will noch was?«
Neben Jubal Colville, der sich ja noch bei der Schwingtür aufhält, entsteht eine Bewegung. Die Männer, die dort ebenfalls stehen, werden nun beiseite gestoßen.
Jubal erkennt einen untersetzten, bulligen und blonden Mann. Dieser Mann trägt einen sorgfältig gestutzten Schnurrbart, und sein weizengelbes Haar ist sehr lang. Er trägt einen schwarzen Prinz-Albert-Rock, darunter eine bestickte Weste und ein blütenweißes Hemd mit einer schwarzen Samtschleife.
»Da kommt der Marshal!«, sagt jemand im Saal.
Der Marshal bleibt dicht neben Jubal stehen und betrachtet alles ruhig und gelassen. Jubal studiert ihn von der Seite her, denn er hat selbst in dem weit entfernten Hinterland schon von Emmet Stedloe gehört. Und jetzt ist er einen Augenblick lang etwas enttäuscht, denn dieser Marshal erscheint ihm auf den ersten Blick nicht so beachtlich, wie die vielen Legenden und Geschichten behaupten.
Der Marshal blickt quer über den Raum hinweg auf Shippoway Johnny, der grinsend wartet.
Dann sagt der Marshal: »Dafür sperre ich Sie zwei Wochen ein, mein wilder Texasjunge! Kommen Sie her und bringen Sie mir Ihren Revolver! Schnell, bevor ich Sie hole, mein Freund!«
Der Riese lacht schallend.
»Ich fresse in jeder Stadt den Marshal zum Frühstück«, sagt er. »Und wenn es später Abend ist, vernasche ich ihn zwischen zwei Schluck Bier. Bruder, lass mich lustig sein und feiern! Ich will die Mädchen sehen! Sie sollen einen Vers auf Shippoway Johnny singen, dann ist alles wieder gut!«
Der Marshal sagt nun kein Wort mehr. Er setzt sich plötzlich in Bewegung, schweigend, doch mit einer deutlich sichtbaren Entschlossenheit. Jubal spürt, dass dieser Mann stets nur ein einziges Mal warnt. Und wenn das nichts nutzt, dann wird dieser Mann zu etwas Unabwendbarem, das sich in Bewegung setzt, etwa wie ein Felsbrocken, den niemand aufhalten kann.
Shippoway Johnny aber ist zu betrunken oder zu wild, um das zu spüren. Er ist ja auch mehr als einen Kopf größer und wiegt mit seinen zweihundertdreißig Pfund gewiss vierzig Pfund mehr als der Marshal.
Und dennoch gibt es für Jubal Colville plötzlich keinen Zweifel mehr, wer die Sache gewinnen wird, denn obwohl er den Marshal jetzt nur noch von hinten sieht, spürt er deutlich das Starke, das Unüberwindliche in ihm. Es ist da ein Wille vorhanden, der ständig starke Ströme aussendet, und zu diesem Willen ist sichtlich ein unzerstörbarer Glaube an sich selbst vorhanden. Das fühlt Jubal Colville deutlich.
Der Marshal hat sich dem Riesen bis auf fünf Schritte genähert.
Und Shippoway Johnny versucht wieder seinen ersten Trick. Er stürmt schnell und dabei doch so massig und fast unaufhaltsam wie ein Berg vorwärts. Er greift einen der noch heil gebliebenen Stühle und schmettert ihn auf den Marshal nieder. Es gibt in diesem Saloon nur schwere und solide gearbeitete Stühle, die sehr lange halten sollen. Mit solch einem Stuhl kann man einen Mann wirklich schlimm zurichten.
Es sieht so aus, als würde der Marshal in den Boden gerammt werden. Doch dann macht er eine Bewegung, die so schnell wie der Schatten eines Jagdfalken ist.
Der Stuhl streift ihn nur. Und Shippoway Johnny gerät durch die Wucht seines Kraftausbruches aus dem Gleichgewicht. Er taumelt an dem Marshal vorbei.
Und da bekommt er es!
Der Marshal hält plötzlich einen großen Revolver in der Hand. Er brachte ihn von irgendwo unter dem Prinz-Albert-Rock wie ein Zauberer zum Vorschein. Shippoway Johnny bekommt den Lauf zweimal über den Kopf gezogen. Und als er auf die Knie fällt, trifft ihn der Marshal nochmals mit einem genau und präzise abgemessenen Schlag. Dann steckt der Marshal die Waffe weg und deutet auf zwei Männer, die ihm am nächsten stehen.
»Tragt ihn ins Gefängnis«, sagt er. »Legt ihn in die erste Zelle links und hängt den Schlüssel an die Wand!«
Er betrachtet die beiden Männer fest. Sie gehorchen.
Der Marshal wendet sich um und nickt einem Mann zu, der aus einem Hinterzimmer kam.
Dieser Mann ist ebenfalls sehr nobel gekleidet, und er ist ebenfalls bullig, untersetzt, massig und muskulös. Er hat rote Haare und viele Sommersprossen. Dieser Mann sagt grimmig: »So geht das nicht weiter, Emmet Stedloe! Mir ist nicht damit geholfen, dass Sie die wilden Bullen ins Gefängnis werfen. Er hat Schaden für mehr als dreihundert Dollar angerichtet und hat vielleicht fünfzig Dollar in der Tasche. Marshal, ich verlange Schießerlaubnis für meine Hausordner! Und ...«
»Wenn in diesem Saloon jemand erschossen werden sollte, werde ich mich an die Stadtgesetze halten«, erwidert der Marshal knapp. Dann geht er hinaus, aber an der Schwingtür hält er nochmals an und sagt laut über die Schulter: »Es wäre einfacher und leichter gewesen, wenn die Mädels tatsächlich einen Vers für Shippoway Johnny gesungen hätten. Was wäre schon dabei gewesen? Das Lied ist ohnehin blödsinnig genug!«
Damit geht er.
✰✰✰
Jubal Colville erinnert sich wieder an seine Pläne und Absichten und damit auch an den Zug, der in fünfzig Minuten abfahren wird. Er schiebt sich durch den Saal und gelangt bald darauf durch einen Gang in die Spielräume des Saloons.
Es wird hier Roulett, Faro, Black Jack und Poker gespielt, und fast alle Spieler haben sich durch die Prügelei nebenan überhaupt nicht stören lassen. Jubal Colville, der große, wilde Junge aus den fernen Hügeln, verharrt erst einmal vor Staunen. Denn dieser große Spielsaal mit all den Seitennischen und Winkeln, in denen Spieltische stehen und wo die Spielrunden fast ungestört sind, imponiert ihm doch sehr.
Und dann die für einen wilden Jungen aus den fernen Hügeln so kostbar erscheinende Einrichtung und Ausstattung! Jubal staunt über die vielen Ölbilder, über die Portieren und Samtvorhänge, über Brokat und mehrflammigen Leuchter, über Teppiche, über weiche Polsterbänke und Sessel.
Er erinnert sich plötzlich daran, dass er schmutzige Stiefel hat, dass er seit drei Tagen nicht rasiert ist, dass er sich am frühen Morgen zum letzten Mal an einem Bach gewaschen hat und dass er nach Pferdeschweiß, Staub, Rauch und Tabak riecht.
Aber dann entdeckt er, dass sich in diesen Spielräumen noch mehr unrasierte und schmutzige Männer befinden, alles Treibherdenleute. Dazwischen sieht er Handelsvertreter, Viehaufkäufer, Rancher, Geschäftsleute, einige Berufsspieler und einige Fremde, denen man nicht ansehen kann, zu welcher Sorte Mensch sie gehören.
Ein Hausangestellter tritt zu ihm. Dieser Mann gehört nicht zu der Sorte der bulligen Rauswerfer. Dieser Mann hier, das spürt man, ist ein Revolverheld. Er fragt Jubal unpersönlich und knapp: »Wollen Sie spielen? Wir dulden in den Spielhallen nur Spieler, keine Neugierigen, die nur zusehen!«
Jubal Colvilles hübsches und dunkles Gesicht verzieht sich zu einem blitzenden Lächeln.
»Natürlich will ich spielen«, sagt er sanft. Seine Stimme ist angenehm und dunkel. Es ist eine klangvolle Männerstimme. Er zieht eine Rolle Geldscheine aus der Tasche. Der Aufpasser erkennt mit einem Blick, dass es etwa dreihundert Dollar sind.
»Ich war ein Jahr lang in den Hügeln und hütete Rinder«, sagt Jubal. »Und nun werde ich diesen Jahreslohn verzehnfachen!«
Er lässt den Aufpasser stehen, tritt an einen Farotisch und riskiert fünf Dollar. Er gewinnt, setzt wieder, verliert, schlendert weiter, riskiert beim Roulett, gewinnt, verliert, schlendert weiter und bleibt eine Weile bei einem Black-Jack-Tisch.
Eine halbe Stunde vergeht, und bis zur Abfahrt des Zuges sind es nun nur noch etwa zwanzig Minuten.
Jubal Colville steht jetzt unter einer Zuschauermenge, die die umliegenden Tische verlassen hat, die ihre eigenen Spiele unterbrach, um sich hier um einen Tisch zu versammeln.
Es ist ein Pokertisch, der von drei Seiten von Wänden umgeben wird. Die offene Seite wird von den Zuschauern geschlossen. Und am Tisch selbst sitzt eine Pokerrunde beisammen, die aus Ranchern, Viehaufkäufern und einem Berufsspieler besteht.
In jedem Spielsaloon gibt es einen Tisch, an dem sich die besonderen oder ganz großen Spieler zusammengefunden haben. Und so ist es auch hier.
An diesem Tisch dort wird hoch gespielt.
Jubal Colville betrachtet die Einsätze, die in der Mitte des Tisches liegen. Er wagt den Betrag nicht zu schätzen, denn er sah noch nie eine solch große Summe auf einem Haufen.
Dann betrachtet er die Spieler. Und er fragt sich, ob das, was er sich wünscht, jetzt schon klappt oder ob er noch viele Tage auf seine Chance wird warten müssen.
In diese Überlegungen hinein tönt weit entfernt ein Pfiff. Es ist das Pfeifen einer Lok. Einer der Mitspieler gewinnt indes den Einsatz mit vier Buben. Als er den Geldhaufen zu sich zieht und mitsamt dem anderen Geld in seinen Hut wischt, sagt er trocken: »Das war es wieder einmal, Gents! Wir hatten ausgemacht, dass wir bis zum ersten Pfiff der Lok spielen würden. Nun, dieser erste Pfiff ertönte soeben. Es ist nur noch eine Viertelstunde bis zur Abfahrt des Zuges. Und ich habe meine Herde verladen, weil ich sie auf eigene Rechnung zur Fleischfabrik schaffe. Gents, es war mir ein Vergnügen!«
Mit diesen Worten drängt sich der Mann durch die Gasse, die sich vor ihm öffnet. In seinen Händen trägt er den mit Geld gefüllten Hut. In diesem Behälter sind gewiss zumindest dreitausend Dollar. Dafür muss ein Cowboy etwa zehn Jahre arbeiten. Man kann für diesen Betrag eine kleine Ranch erwerben oder auch ein Geschäft damit anfangen.
Jubal folgt etwas später seinem wahrscheinlichen Opfer auf die Straße. Er sieht den Mann drüben im Hotel verschwinden. Jubal wendet sich nach rechts und schlendert langsam auf dem Plankengehsteig entlang. Einige Male hält er inne, lehnt sich an die Hauswände und lässt Passanten an sich vorbei.
Er biegt dann in die Querstraße ein, die zum Bahnhof führt. Die Häuserreihen enden bald. Es gibt hier bald nur noch einige Schuppen oder Bauholzstapel. Jubal Colville stellt sich im Schatten eines Bauholzstapels auf und wartet. Er blickt zu den Sternen hinauf und betrachtet den silbernen Mond, dessen bleiches Licht überall die Schatten der großen und kleinen Dinge begrenzt.
Seine Gedanken sind: Nun werde ich also den Mann überfallen und mir eine Menge Geld rauben. Es ist ein reicher Mann, dem es nicht viel ausmacht, ein Mann, der dieses Geld auch ebenso gut am Spieltisch hätte verlieren können und der deshalb nicht geweint hätte. Also, ich werde es ihm abnehmen, und es wird nicht viel anders sein, als wenn er es verloren hätte. Nun gut!
Er wischt sich über das Gesicht, und er lauscht auf das brausende Summen, welches aus der Stadt klingt.
Dann lauscht er gewissermaßen in sich hinein, doch verspürt er keinerlei Aufregung, keine Gewissensbisse.
Jetzt hört er leise und sehr schnelle Schritte. Bald darauf gerät ein Mann in sein Blickfeld, ein sehr schlanker und geschmeidig wirkender Mann.
Dieser Mann hält plötzlich inne und blickt herüber, sodass Jubal schon glaubt, er wäre im tiefen Schatten und trotz der Deckung des Bauholzstapels entdeckt worden. Doch sein Verstand sagt ihm fast zugleich, dass dies nicht möglich sein kann.
Der Mann tritt nun hinter die andere Ecke des Bauholzstapels.
Jubal beginnt zu begreifen. Doch er hat nicht lange Zeit, darüber nachzudenken, wie er den Straßenräuber-Konkurrenten ausschalten könnte. Es geht nun alles sehr schnell.
Die Lok beim Bahnhof pfeift nun zum zweiten Mal.
Von der Stadt her nähert sich schnellen Schrittes ein Mann. Doch es ist nicht der bewusste Rancher. Das kann man im hellen Mond- und Sternenschein gut erkennen. Es ist ein anderer Mann, der zu so später Stunde mit dem Zug fort möchte. Doch kaum ist dieser Mann vorbei und sein Schritt verklungen, da nähert sich ein zweiter Fußgänger.
Jubal kann schon bald darauf erkennen, dass es sich diesmal um den richtigen Mann handelt. Denn die breite, krummbeinige und etwas unbeholfen gehende Gestalt ist unverkennbar jener Rancher, der sich bis zur letzten Minute auf seine Art in der Stadt amüsierte. Er trägt in jeder Hand eine Reisetasche, singt brummend vor sich hin und verstummt dann plötzlich.
Denn hinter dem Bauholzstapel tritt ihm ein Mann entgegen.
»Benteen«, sagt der Mann, »ich glaube, Sie haben beim Poker betrogen. Vorsicht, Benteen! Sie wissen, wer ich bin! Vorsicht!«
»Yeah«, keucht der Rancher. »Einer von den Slaters bist du, mein Junge! Einer von den Slaters! Und jetzt seid ihr wohl sogar schon Straßenräuber geworden? Ich habe ehrlich gespielt. Scher dich zum Teufel, Jim Slater!«
»Erst das Geld her, Benteen!«
Der scheint zu zögern und zu überlegen. Dann atmet er hörbar aus und sagt grimmig und bitter: »Na schön! Aber das macht dich zu einem Banditen, Jim Slater!«
»Du bist ein Rancher, der gestohlene Rinder kauft, diese umbrändet und dann als Rinder der eigenen Zucht verkauft«, sagt Jim Slater kalt. »Wir kennen uns gut, Benteen. Meine Brüder verkaufen gestohlene Rinder an dich. Und es ärgert mich, dass du eine solche Menge Geld gewinnen konntest. Her damit!«
»Na schön!«, keucht Benteen wieder, lässt eine der beiden Taschen zu Boden fallen und greift unter seinen offenen Rock, so als wollte er die Brieftasche aus der Innentasche holen.
Da kracht der Schuss. Benteen, der nicht die Brieftasche, sondern einen Revolver unter der Jacke hervorbrachte, kommt nicht mehr zum Schuss. Er fällt auf die Knie.
Der Mann aber, den er Jim Slater nannte, taucht nun wieder in Jubal Colvilles Blickfeld auf, tritt an den Rancher heran und öffnet zuerst eine der beiden Taschen. Er scheint sofort Glück zu haben. Denn er stößt einen zufriedenen Laut aus und schließt die Tasche wieder.
Jubal Colville, der bis jetzt gewartet hatte und dem dieser Überfall zwar nicht unerwartet kam, für den jedoch der Schuss sehr unerwartet krachte, tritt nun in Tätigkeit. Dies geschieht ganz impulsiv und ohne jede Überlegung oder gar Berechnung.
Soeben war er noch ein wilder Junge aus den fernen Hügeln, der ein Bandit werden wollte.
Jetzt aber, da ein Mann in Not ist, wird er zum Retter. Er tritt schnell genug in Tätigkeit, um noch verhindern zu können, dass der Bandit nochmals auf den am Boden kauernden Rancher schießt, der sich erheben will. Gewiss hätte der Bandit den verwundeten Mann getötet, schon deshalb, um nicht steckbrieflich wegen Straßenraubes gesucht zu werden.
Als er den Revolver auf Benteen richtet, da sagt Jubal Colville scharf vom anderen Ende des Bauholzstapels her: »Hier, du Schuft!«
Seine drei Worte sind scharf und schneidend und wirken wie ein Befehl. Der Bandit wirbelt etwas herum und schießt sofort. Die Kugel splittert neben Jubals Wange etwas von einem Brett ab, und er spürt, wie ein Splitter schmerzvoll über seinem Backenknochen das Fleisch aufreißt.
Dann erwidert er das Feuer.
Und als er den Banditen fallen sieht, verspürt er einen jähen und heftigen Schock. Denn jetzt erst holen seine Gedanken wieder sein Handeln ein. Jetzt erst begreift er, dass er soeben auf einen Menschen schoss und diesen vielleicht tötete.
Ein Mann kommt herbeigelaufen, hält an und betrachtet den Banditen. Dann tritt der Mann zu dem stöhnenden Rancher, der sich nun mit eigener Kraft erhebt.
Jubal Colville aber erkennt den Mann sofort. Es ist der Marshal von Trailtown.
»Los, mein Junge!«, knurrt der Marshal grimmig. »Fass mit an! Der Rancher verblutet uns sonst! Bringen wir ihn schnell zum Doc!«
Jubal Colville gehorcht. Sie vergessen auch die beiden Taschen des Ranchers nicht. Wenig später treffen sie auf einige andere Männer, die von den Schüssen herbeigelockt wurden.
Sie übergeben diesen Männern – es sind Bürger und Eisenbahner – den stöhnenden Rancher und stehen dann einige Sekunden schnaufend da, denn der Verwundete wog schwer.