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Es war am Morgen des 12. April 1865 bei Appomattox, und es war ein kalter und grauer Morgen. Ich ritt an der Spitze meines Regimentes, denn ich war Captain. Der Haufen hinter mir bestand nur noch aus siebenundfünfzig Mann. Meine Vorgesetzten waren alle gefallen. Unsere Pferde stolperten. Wir waren halb verhungert, zerlumpt - ausgebrannt von einem langen und grausamen Krieg.
Doch dann geschah etwas. Unsere Fahnen bewegten sich plötzlich über unseren Köpfen im Morgenwind. Und da ging in uns allen eine unglaubliche Veränderung vor. Wir spürten wieder unseren alten Rebellenstolz. Und so ging ein Ruck durch unsere grauen Reihen, während wir zwischen den blauen Reihen der Unionstruppen hindurch ritten, um unsere Waffen und Fahnen abzugeben. Die Sieger bildeten sozusagen Spalier. Wollten sie uns auf diese Art nochmals demütigen? Nein, denn noch etwas geschah. Die blauen Reihen nahmen Haltung an und präsentierten ihre Gewehre. Die Offiziere grüßten, indem sie die Säbel vor uns senkten.
Da zog auch ich meinen Säbel und senkte ihn. So ritt ich vorbei, hinter mir meine Männer mit erhobenen Köpfen. Dann sah ich den Mann, der dies alles befohlen hatte. Es war General Chamberlain. Er hielt mit seinem Stab auf einem Hügel. Ja, er ließ seine Armee vor uns salutieren, erwies den Besiegten militärische Ehren. Ich verspürte Stolz, aber mir war auch klar: Bald würden wir Rebellen des Südens keine Ehre mehr erwiesen bekommen. Die Zukunft vor uns war düster und hoffnungslos, aber ich, Doug Jackson, den General Lee einst zum Captain beförderte, war entschlossen, mich nicht unterkriegen zu lassen ...
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Seitenzahl: 149
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Rebellen-Trail
Vorschau
Impressum
Rebellen-Trail
Es war am Morgen des 12. April 1865 bei Appomattox, und es war ein kalter und grauer Morgen. Ich ritt an der Spitze meines Regimentes, denn ich war Captain. Der Haufen hinter mir bestand nur noch aus siebenundfünfzig Mann. Meine Vorgesetzten waren alle gefallen. Unsere Pferde stolperten. Wir waren halb verhungert, zerlumpt – ausgebrannt von einem langen und grausamen Krieg.
Doch dann geschah etwas. Unsere Fahnen bewegten sich plötzlich über unseren Köpfen im Morgenwind. Und da ging in uns allen eine unglaubliche Veränderung vor. Wir spürten wieder unseren alten Rebellenstolz. Und so ging ein Ruck durch unsere grauen Reihen, während wir zwischen den blauen Reihen der Unionstruppen hindurch ritten, um unsere Waffen und Fahnen abzugeben. Die Sieger bildeten sozusagen Spalier. Wollten sie uns auf diese Art nochmals demütigen? Nein, denn noch etwas geschah. Die blauen Reihen nahmen Haltung an und präsentierten ihre Gewehre. Die Offiziere grüßten, indem sie die Säbel vor uns senkten.
Da zog auch ich meinen Säbel und senkte ihn. So ritt ich vorbei, hinter mir meine Männer mit erhobenen Köpfen. Dann sah ich den Mann, der dies alles befohlen hatte. Es war General Chamberlain. Er hielt mit seinem Stab auf einem Hügel. Ja, er ließ seine Armee vor uns salutieren, erwies den Besiegten militärische Ehren. Ich verspürte Stolz, aber mir war auch klar: Bald würden wir Rebellen des Südens keine Ehre mehr erwiesen bekommen. Die Zukunft vor uns war düster und hoffnungslos, aber ich, Doug Jackson, den General Lee einst zum Captain beförderte, war entschlossen, mich nicht unterkriegen zu lassen ...
Es war ein halbes Jahr später, als man mich aus dem Offiziersgefangenenlager entließ. Ich ritt auf einem alten Gaul, dem zwei Eisen fehlten.
Ja, man hatte mir ein Pferd geben müssen. Das lag daran, dass wir Texaner damals auf unseren eigenen Pferden für den Süden in den Krieg ritten. Unsere Pferde waren also unser persönliches Eigentum. Und so hatte man mir zwar nicht meinen prächtigen Wallach gegeben, auf dem ich durch den ganzen verdammten Krieg geritten war, sondern irgendeinen Klepper, der froh war, dass er noch lebte. So war dem Kapitulationsvertrag Genüge getan.
Ich hätte verdammt gern meinen Wallach zurückgehabt. Aber wahrscheinlich würde ich ihn nie mehr wiedersehen. Den hatte sich gewiss ein Offizier der Union angeeignet. Denn er war ein besonderes Pferd, jetzt bestimmt mehr als dreihundert Dollar wert, Yankeedollars, versteht sich. Denn unser Südstaatengeld war aus dem Verkehr gezogen. Yankeedollars waren das einzige Zahlungsmittel.
Uns so war der ganz Süden arm wie eine Kirchenmaus.
Der alte Gaul, auf dem ich ritt, tat mir leid, zumal ihm auch noch zwei Eisen fehlten. Aber der Heimweg von Virginia nach Texas war verdammt weit. Ich wollte ihn nicht laufen. Auf diesem Tier würde ich viele Wochen brauchen. Aber vermutlich würde es mich nicht lange tragen können.
Und dann? Ja, dann würde ich mir ein Pferd stehlen oder laufen müssen.
Ich ritt die nächsten drei Tage nach Südwesten, also in Richtung Tennessee. Jenseits des Mississippi lag Arkansas. Und irgendwann musste ich nach Texas gelangen. Und auch von Texas aus war es noch weit bis San Antonio, sehr weit.
Am Abend des dritten Tages gelangte ich an den Rand einer Senke, in der sich auch ein kleiner See befand.
Über einem großen Feuer wurde Jungrind gebraten. Und etwa fünfzig hungrige Heimkehrer und Kriegsveteranen hockten im Kreis um den Braten und warteten darauf, dass sie sich einen Batzen abschneiden konnten. Doch noch war alles nicht einmal halbwegs gar.
Auch ich spürte einen wahnsinnigen Hunger, hatte ich doch in den vergangenen Tagen nur einige Maiskolben gehabt.
Ich saß ab und führte meinen Old Pete – so nannte ich den Gaul inzwischen – den Hang hinunter.
Einer der hungrigen Burschen, der noch die Sergeantwinkel an der Jacke trug, wandte sich mir zu. Er sah an meiner Uniform – so abgerissen sie auch sein mochte –, dass ich Offizier gewesen war.
»Auf welche Anrede legen Sie Wert, Sir?«, fragte er feixend.
Ich fixierte ihn sekundenlang und erwiderte: »Freund, lass die Scherze lieber sein. Ich habe Hunger wie ihr. Und das macht uns gleich.«
Nun grinsten alle, die meine Worte hörten.
Einer sagte: »Bruder, du hast ein hübsches Pferd. Ich denke, du wirst es bald tragen müssen.«
Sie lachten. Ich setzte mich zu ihnen.
Mein Old Pete wanderte zum See, wo schon einige andere armselig wirkende Pferde waren. Einige standen bis zu den Bäuchen im Wasser und ließen ihren Urin darin ab.
Aber das störte niemanden.
Irgendwann rief einer der beiden Burschen, die den Riesenbraten am Spieß drehten – dieser Spieß war ein dicker Pfahl – mit aufgeregter Stimme: »Jetzt könnt ihr!«
Und so erhoben wir uns und bildeten auf jeder Seite eine Schlange, schnitten uns Stücke vom Riesenbraten ab und begannen uns die Mägen zu füllen.
Nun konnte man sehen, zu welcher Sorte sie gehörten.
Da gab es welche, die schlangen und würgten, kauten und stopften, dass ihnen die Ohren wackelten. Andere aßen bedächtig, kauten sorgfältig, ließen sich Zeit, so sehr in ihnen auch der Hunger biss.
Dann aber veränderte sich alles jäh.
Denn eine Abteilung Blauröcke kam plötzlich über den Rand der Senke herunter. Es war ein Patrouille der Besatzungstruppe. Sie jagten ins Camp, ritten alles nieder, was sich nicht durch Sprünge in Sicherheit bringen konnte und schlugen mit den flachen Säbelklingen zu.
Die Stimme ihres Offiziers rief scharf und schneidend: »Ihr verdammten Rinderdiebe! Eigentlich müsste man euch aufhängen, ihr verdammtes Rebellenpack!«
Ja, nun waren wir Rebellenpack. Unsere ehrenvolle Kapitulation bei Appomattox war vergessen. Die Realität hatte alles verändert. Und der Hass war stärker als die Ehre.
Sie jagten uns in alle Richtungen auseinander, schlugen uns zusammen, ritten uns nieder. Ich rettete mich mit einem Hechtsprung in den See und tauchte dort unter, schwamm in die Mitte, wo er tief genug war, sodass sogar die Pferde keinen Grund mehr unter den Hufen hatten.
Von da aus konnte ich alles gut beobachten im letzten Licht des sterbenden Tages.
Dann aber sah ich etwas, was mich alles andere vergessen ließ.
Der Offizier ritt auf meinem Wallach. Es gab keinen Irrtum. Ich sah meinen prächtigen, treuen Wallach wieder. Der Offizier war ein Captain. Wahrscheinlich war er während des Krieges Major oder gar Colonel gewesen und dann wie alle Offiziere in der reorganisierten Armee der Union zurückgestuft worden.
Er hatte sich meinen Wallach angeeignet, meinen Brazos. Denn das war der Name meines narbigen vierbeinigen Gefährten.
Noch als ich bis zum Kinn im Wasser steckte, wurde ich mir darüber klar, dass ich mir meinen Brazos zurückholen würde.
Sie zogen dann ab, die verdammten Blaubäuche, und sie nahmen auch unsere paar Pferde mit. Mein Old Pete war auch dabei. Sie prügelten ihn vorwärts.
Und dann waren wir wieder allein.
Es war Nacht, als wir uns sammelten. Einigen von uns ging es schlecht.
Aber ich blieb nicht bei dem armseligen Haufen.
Ich folgte der Fährte der Doppelpatrouille.
Irgendwann und irgendwo würde sie anhalten.
Und dann ...
✰✰✰
Es war nach Mitternacht, als ich die Feuer an einem Creek erblickte. Sie waren fast schon erloschen. Und es waren die typischen Kochfeuer einer Patrouille. Zu jedem Feuer gehörten drei Kavalleristen. Das war so üblich. Solche Patrouillen hatten keinen Koch bei sich. Und so taten sich die Soldaten zusammen, bildeten kleine Gruppen.
Nun aber schliefen sie.
Es war dann für mich alles sehr einfach.
Die Pferde standen nebeneinander angebunden an einem ausgespannten Seil. Es waren fünfundzwanzig Pferde und sechs Pack-Maultiere.
Der Captain schlief im einzigen Zelt. Es war ein Offizierszelt.
Zwei Wachen machten die Runde ums Camp. Die Nacht war nicht besonders hell, aber ich konnte alles ziemlich gut sehen.
Ich schlug einen Halbkreis um das Camp und gelangte unter die Bäume am Creek. Hier war das Seil gespannt, und hier standen auch die Pferde angebunden in einer Reihe.
Ich wartete im Schatten eines Baumes, bis der Posten an mir vorbei musste auf seiner Runde, und gab ihm mit einem Knüppel was auf die Feldmütze. Als er friedlich am Boden lag, nahm ich seinen Waffengürtel mit dem Hartford-Dragoon an mich und besaß nun endlich wieder eine Waffe. Auch ein langes Messer fand ich in seinem Stiefelschaft.
Nun fühlte ich mich schon besser.
Denn mit dem langen Messer schnitt ich die Pferde und Maultiere los. Das ging sehr schnell. Der andere Posten befand sich auf der gegenüberliegenden Seite.
Aber als er einen Ruf ausstieß, weil er nach seinem Halbkreis nicht auf den Kameraden stieß, da hatte ich meine Arbeit schon getan.
Ich schwang mich auf den Rücken meines Wallachs, der mich sofort erkannt hatte und zufrieden schnaubte, und jagte die losgemachten Pferde der Doppelpatrouille mit einem wilden Rebellenschrei in die Flucht, ritt ihnen nach und jagte sie immer weiter in die Nacht hinein.
Heiliger Rauch, was für eine Freude war in mir! Endlich konnte ich den Blaubäuchen etwas zurückzahlen.
Hinter mir im Armeecamp, da brüllten sie. Auch einige Schüsse krachten und Kugeln flogen.
Ich stieß immer wieder den Rebellenschrei aus und trieb die Pferde und Maultiere in der Nacht noch einige Meilen weit.
Die Blaubäuche würden verdammt lange und weit laufen müssen.
Als ich den See in der Senke erreichte, da ließ ich die Tiere verschnaufen und auch saufen. Ich fand neben dem erloschenen Feuer, wo noch der Riesenbraten lag, einen alten Sattel, auch Zaumzeug.
Von den hungrigen Burschen war keiner mehr da.
Ich konnte meinem Wallach endlich einen Sattel auflegen. Es war kein guter Sattel, sondern ein altes Ding. Aber ich musste nicht auf dem bloßen Pferderücken reiten.
Wenig später machte ich mich wieder auf den Weg. Ich trieb die Pferde noch einige Meilen bis zum Morgengrauen. Dann ritt ich allein weiter.
Es war ein gutes Gefühl in mir. Ich hatte mir einen Spaß gemacht.
Und auch mein Wallach freute sich unter mir. Immer wieder wandte er den Kopf zurück und sah zu mir hoch, zeigte mir wie grinsend seine Zähne.
Sein Schnauben klang glücklich.
Ich klopfte dann seinen Hals und sprach zu ihm nieder: »He, Brazos, alter Junge, jetzt geht es heim nach Texas! Freust du dich, dass wir wieder zusammen sind? Das Schicksal hat uns wieder zusammengebracht, und das muss ein gutes Zeichen sein, denke ich. Also muss in der Zukunft nur Gutes auf uns warten.«
Er schnaubte und wieherte zurück.
Ich war unterwegs nach Texas und saß wieder auf meinem Brazos.
Und ich hatte noch einmal einen letzten Sieg über die Blaubäuche errungen. Ja, für mich war das wie Balsam auf meinen verletzten Stolz.
Aber ich war immer noch ein Satteltramp, wenn auch auf einem wertvollen Pferd.
✰✰✰
Ich ritt in diesen Tagen abseits der Straßen und größeren Wagenwege. Denn dort zogen die entlassenen Kriegsgefangenen in Rudeln. Und manche bildeten richtige Horden, weil es ihnen an allem fehlte und sie Hunger litten.
Keiner von ihnen besaß gültiges Geld. Sie konnten also nichts kaufen, und nur wenige hatten etwas zu tauschen. Manchmal belagerten die Horden kleine Ortschaften und zogen erst weiter, wenn man ihnen Nahrung gab.
Die Solidarität des Südens war zusammengebrochen. Jeder war sich selbst der Nächste. Es ging ums Überleben nach einem verlorenen Krieg.
Und überall ritten die Patrouillen der Blaubäuche. Sie waren jetzt Besatzungstruppen und kannten keine Gnade, wenn ihnen etwas nicht gefiel.
Ich hielt mich von allem Verdruss möglichst fern.
Doch ich litt Not. Ich brauchte Proviant und zumindest ein paar dieser neuen Yankeedollars. Denn die waren – was die Kaufkraft betraf – so groß wie Wagenräder.
An einem Nachmittag stieß ich auf einen schmalen Reit- und Wagenweg. Da er in meiner Richtung verlief, folgte ich ihm und verspürte eine gewisse Neugierde, wohin er wohl führen würde.
Als ich eine verkommene Baumwollplantage erreichte, da sah ich das imposante Herrenhaus und ein Stück weiter die Unterkünfte der einstigen Sklaven, die ja durch den Sieg der Union über uns Konföderierte freie Menschen wurden.
Ich fragte mich wieder einmal mehr, was die befreiten Sklaven wohl ohne Herren mit ihrem Leben und ihrer Zukunft anfangen würden. Denn nun zwang sie niemand zur Arbeit, sagte ihnen keiner, was sie tun sollten. Sie würden das genießen. Und das konnte gewiss nicht gut gehen. Natürlich würde es Ausnahmen geben, denn die gibt es immer. Aber sonst war es unverantwortlich, diese Menschen einfach sich selbst zu überlassen.
Es regte sich nichts in dem Dorf der einstigen Sklaven. Auch beim großen Herrenhaus war kein Leben zu erkennen. Dennoch ritt ich darauf zu.
Ich machte mir keine großen Hoffnungen. Wenn dort keine Exsklaven mehr waren, wenn diese fortgezogen waren, dann hatten sie gewiss alles, was auch nur einigermaßen wertvoll war, mitgenommen. Dann war dort alles ausgeräumt und geplündert.
Ich war in den letzten Tagen schon an einigen Plantagen und deren Häusern und Hütten vorbeigekommen. Und selbst dort, wo es noch Angehörige der Besitzerfamilien gab, war alles mehr oder weniger geplündert und verwüstet gewesen.
Die Schwarzen mussten sich nach Kriegsende wie in einem Rausch befunden haben, einem Rausch der Freiheit.
Ich konnte sie gut verstehen. Aber ich war ja auch nur ein einfacher Cowboy gewesen, Vormann auf einer Ranch zwar, aber im Grunde doch nur ein Cowboy oder Rindermann, der ein wenig mehr Bildung besaß als normale Cowboys.
Nun, ich ritt also auf das einst so noble Herrenhaus zu und hörte dann das typische Meckern einer Ziege.
Also gab es doch noch Leben hier.
Ich hatte angehalten, sodass der Hufschlag meines Wallachs das Ziegenmeckern nicht mehr übertönen konnte. Und da hörte ich es nochmals.
Die Ziege meckerte im Herrenhaus. Es klang durch die offene Terrassentür. Was machte die Ziege dort drinnen?
Ich saß ab und ging leise zu Fuß weiter, betrat die Veranda und erreichte die offene Tür. Und da hörte ich eine Frauenstimme sagen: »Oh, Nelly, wenn ich dich und deine Milch nicht hätte ...«
Ich sah nun die Frau und die Ziege. Letztere wurde gemolken. Und weil ihr das offenbar Behagen bereitete, meckerte sie fröhlich.
Als ich in der offenen Tür verharrte, da spürte die Frau wohl meine Nähe. Denn sie blickte plötzlich über ihre Schulter zurück und sah mich.
Eine Weile verharrte sie so. Wir sahen uns wortlos an.
Und ich dachte fast erschrocken: Heiliger Rauch, was ist die schön!
Es traf mich wie ein Blitz. Ich begann an ein Wunder zu glauben.
Sie erhob sich dann mit einer leichten Drehbewegung, hielt noch den Napf mit der Milch in den Händen und verharrte. Ihr Blick prüfte mich ernst.
»He, Lady«, hörte ich mich sagen, »die Ziege ist wohl für Sie wie eine Milchkuh, nicht wahr?«
Als ich es gesagt hatte, kamen mir meine Worte ziemlich dumm vor.
Aber sie lächelte. Und so begann ich zu grinsen. Dann lachten wir beide.
Sie sagte dann: »Ich sehe an Ihrer Uniform, dass Sie Offizier waren. Dann habe ich wohl nichts zu befürchten – oder?« Ihre letzten Worte klangen hart und spröde. Und in ihren schwarzen Augen war ein Funkeln. Diese schwarzen Augen bildeten einen unbeschreiblich reizvollen Kontrast zu ihrem weizengelben Haar. Ihre Brauen und Wimpern aber waren dunkel.
Und abermals dachte ich: Heiliger Rauch, was ist die schön!
Dann hörte ich mich wieder sagen: »Lady, auch unter den Offizieren gibt es Mistkerle, so wie faule Äpfel in einem Korb unter anderen, die gut sind. Aber was Ihre Frage betrifft, ich bin Texaner. Und in Texas sind Frauen das kostbarste Gut. Sind Sie allein hier? Wo sind die Schwarzen?«
»Weg«, erwiderte sie langsam, und ihr Blick forschte immer noch in meinen Augen.
Ich hatte rauchgraue Augen und hoffte in diesem Moment, dass ich ihr gefiel, weil sie darin lesen konnte, dass ich gewiss kein verdammter Hurensohn war.
»O ja, Texas«, murmelte sie. »Ich hörte von Texas, dass es ein prächtiges Land für Männer und Hunde wäre, aber ein böses Land für Frauen und Ochsen.«
Nach diesen Worten schwiegen wir wieder einige Atemzüge.
»Ja, ich bin hier allein«, murmelte sie. »Alle liefen sie weg. Und mein Mann fiel bei Appomattox. Vielleicht kennen Sie ihn? – Colonel James McGall.«
Ich nickte. »Ja, den kannte ich. Er war groß und dunkel, ein Mann mit blauen Augen und einer Narbe am Kinn.«
»Das war er«, erwiderte sie. »Gehörten Sie zu seinem Regiment?«
»Nein, ich gehörte zur Texasbrigade. Ich ritt unter Stonewall Jackson.«
Abermals schwiegen wir eine Weile. Ihr Instinkt tastete nun an mir und versuchte in mich einzudringen. Doch ich hielt ihrem Blick stand.
Schließlich sagte sie ruhig: »Gewiss kamen Sie her, weil Sie auf Nahrung hofften. Ich lade Sie ein zum Abendessen. Und Sie können hier auch übernachten. Dann werde ich mich etwas sicherer fühlen. Denn ich denke, es werden bald einige der nun freien Sklaven zurückkommen. Sie haben hier geplündert und sind mit der Beute in die elf Meilen von hier entfernte Stadt gezogen – mit Pferden und Wagen, alle vollgeladen. Die Stadt heißt Belleville, und einige Yankees halten sich dort auf und kaufen alles für ein Spottgeld – Bilder, Kristallleuchter, Vasen, Teppiche, wertvolles Geschirr, Silberbestecke. Vielleicht werden sie hier im Haus auch noch mal nach versteckten Wertsachen suchen, nach Schmuck. Mister, was werden Sie tun, wenn sie diese Nacht noch kommen sollten?«
Ihre Stimme klang zuletzt sarkastisch-spöttisch.
Ich grinste. »Mein Name ist Jackson, Doug Jackson, Lady. Und ich werde mir auf jeden Fall das Abendessen verdienen. Haben Sie denn keine Angst, hier allein auf der Plantage zu leben?«
Sie schüttelte den Kopf. »Angst?« So fragte sie. »Oh, das habe ich längst verlernt. Ja, ich hätte fortmüssen, als es noch ging. Doch auf der Ziege kann ich nicht reiten. Und zu Fuß ...«
Sie brach ab und streichelte die Ziege kurz. »Danke, Nelly. Heute haben wir einen Gast.«
Sie sah wieder auf mich.
»Versorgen Sie Ihr Pferd. Dann kommen Sie in die Küche. Ich werde Sie satt bekommen, Doug Jackson. Ich bin Jessica McGall.«
Sie wandte sich ab.
Die Ziege meckerte hinter ihr her und lief dann an mir vorbei nach draußen.
Ich folgte ihr, um meinen Wallach zu versorgen. Es gab einen Stall, in dem noch etwas Heu und auch Mais vorhanden war. Aber sonst war nichts mehr im Stall – kein Sattel, kein Zaumzeug oder sonstiges Geschirr, nicht einmal eine Mistgabel.
Sie hatten hier alles ausgeräumt und mitgenommen.
Und auch der schönen Jessica McGall hatten sie jede Möglichkeit genommen, von hier wegkommen zu können, außer zu Fuß.