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Das Fest der Sloane-Sippe ist noch voll im Gang, als John Kelly und Maggy Sloane in der etwas abgelegenen Scheune verschwinden und sich einen guten Platz im Heu suchen, um zu tun, was alle Liebespaare auf dieser Erde tun und was von der Schöpfung gewiss auch so gewollt ist. Denn wie sonst könnten sich die Menschen vermehren? Sie sind ja noch so jung - die grünäugige Maggy und John Kelly, den man fast für einen Indianer halten könnte, wenn seine Augen nicht so leuchtend blau wären.
Maggy ist siebzehn, John ist neunzehn. Und sie lieben sich. Das kam nun mal so über sie.
Aber sie bleiben nicht lange allein in der Scheune, in welcher die Musik und das Stimmengewirr des Festes nur noch schwach zu hören sind. Das Heu knistert und raschelt.
Und dann sind plötzlich Maggys Brüder George und Vance in der Scheune. Sie zünden die Stalllaterne am Pfosten an. Und dann sagt Vance kehlig: »John Kelly, du bist nicht gut genug für unsere Schwester. Komm herunter von dort oben aus dem Heu. Denn wir wollen dir das für alle Zeiten einhämmern. Komm herunter oder wir holen dich, verdammt!«
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Seitenzahl: 152
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Willamette-Saga
Vorschau
Impressum
Willamette-Saga
Das Fest der Sloane-Sippe ist noch voll im Gang, als John Kelly und Maggy Sloane in der etwas abgelegenen Scheune verschwinden und sich einen guten Platz im Heu suchen, um zu tun, was alle Liebespaare auf dieser Erde tun und was von der Schöpfung gewiss auch so gewollt ist. Denn wie sonst könnten sich die Menschen vermehren? Sie sind ja noch so jung – die grünäugige Maggy und John Kelly, den man fast für einen Indianer halten könnte, wenn seine Augen nicht so leuchtend blau wären.
Maggy ist siebzehn, John ist neunzehn. Und sie lieben sich. Das kam nun mal so über sie.
Aber sie bleiben nicht lange allein in der Scheune, in welcher die Musik und das Stimmengewirr des Festes nur noch schwach zu hören sind. Das Heu knistert und raschelt.
Und dann sind plötzlich Maggys Brüder George und Vance in der Scheune. Sie zünden die Stalllaterne am Pfosten an. Und dann sagt Vance kehlig: »John Kelly, du bist nicht gut genug für unsere Schwester. Komm herunter von dort oben aus dem Heu. Denn wir wollen dir das für alle Zeiten einhämmern. Komm herunter oder wir holen dich, verdammt!«
Maggy und John lösen sich voneinander, und Maggy flüstert: »O John, das sind meine wilden Brüder. Sie werden dich jetzt schlimm verprügeln, und ich kann dir nicht mal helfen. Diese verdammten Böcke vernaschen fast jedes Mädchen im Umkreis von zwanzig Meilen, aber mir gönnen sie gar nichts. Oh, John, sie werden dich furchtbar verprügeln. Und dann wirst du mich nicht mehr lieben. O weh ...«
John Kelly zerbeißt einen Fluch auf den Lippen, und er wird sich darüber klar, dass Maggy zwar ein süßes Ding, aber sonst nur ein junges und vielleicht noch recht dummes Mädchen ist. Aber es war so schön, hier mit ihr im Heu zu liegen.
Jetzt aber warten unten ihre Brüder auf ihn. Und wieder droht Vance: »Komm herunter, oder wir holen dich, verdammt! Du wirst ja nur eine Tracht Prügel bekommen. Die wirst du schon überleben. Komm endlich!« Und da lässt John Kelly sie nicht länger mehr warten.
Von oben springt er hernieder und landet geschmeidig zwischen ihnen.
Und weil sie ja zu zweit und er allein ist, kämpft er von Anfang an nicht wie ein Gentleman. Vance tritt er in den Bauch und George erwischt er mit einem herumgezogenen Haken auf Ohr und Kinnwinkel.
Dann aber geht es erst richtig los.
Doch sie bringen es nicht fertig, ihn beide gleichzeitig anzugreifen. Er hat es stets nur mit einem zu tun, denn der andere liegt indes am Boden. Das begann mit dem Tritt gegen Vances Bauch, der Vance für einige Sekunden kampfunfähig machte. Und als Vance wieder kämpfen konnte, da lag George flach.
So wechseln sie sich ab.
Er verprügelt sie also abwechselnd. Und ihre Schwester hockt oben im Heu und kreischt vor Freude immer wieder: »Gib es ihnen, John, gib es diesen Böcken! Die waren nur neidisch! Mach sie klein!«
Die ganze Sache bleibt jedoch keine Prügelei.
Denn als Vance wieder einmal auf die Füße kommt, da ergreift er eine Heugabel. Nun greift er nicht mehr mit den Fäusten an, sondern versucht es mit der Gabel. Dabei keucht er zwischen seinen schon zerschlagenen Lippen hervor: »Dich bringe ich um, du verdammter Hurensohn!«
Auch George kommt nun wieder auf die Füße. Sofort sucht auch er nach einer Heugabel, denn er weiß zu genau, dass zwei in der Scheune sein müssen.
John Kelly aber holt indes sein schweres Messer aus dem Stiefelschaft, wiegt es in der Hand, indes er mehrmals den Stoß von Vances Heugabel ausweicht wie ein Torero den Hörnern des Toros.
Dann aber wirft er es von unten herauf. Die Klinge fährt in Vances Schulter dicht unter dem Schlüsselbein. Vance muss die Heugabel fallen lassen. Dabei brüllt er vor Schmerz und Wut wild und böse: »George, jetzt machen wir ihn richtig alle! Nun töten wir ihn!«
Vielleicht meint er es nicht wirklich ernst, sondern brüllt es nur aus Wut und Schmerz heraus.
George aber, der erfolglos nach der zweiten Gabel suchte, greift nun wieder mit den Fäusten an. Er rennt in John Kellys Gerade und fällt auf den Rücken.
Damit ist der Kampf beendet. John Kelly wendet sich Vance wieder zu.
Sie keuchen nur noch. Keiner bringt vorerst ein Wort heraus.
Aber Maggy ruft schrill von oben: »Oh, John, jetzt musst du die Flucht ergreifen. Und mein Dad wird mich schrecklich verprügeln. Nimm mich mit, John. Ich gehe mit dir überall hin. Nimm mich mit!«
Aber er achtet nicht auf ihre Worte, sondern tritt zu Vance, der sich das Messer aus der Schulter ziehen will, letztlich aber doch zögert.
John Kelly fragt: »Soll ich ...?«
Vance nickt nur, hält die zerschlagenen Lippen fest aufeinandergepresst.
Da fasst John Kelly zu und holt sich sein Messer zurück. Er wischt die Klinge an Vances Ärmel sauber und spricht dabei: »Das habt ihr angefangen, nicht ich. Warum seid ihr gegen mich? Eure Schwester ging ganz freiwillig mit mir.«
»Wenn du ihr ein Kind gemacht hast, wirst du es noch mit uns zu tun bekommen«, sagt Vance gepresst. »Du bist nur ein Holzfäller wie tausend andere. Aber wir Sloanes geben unsere kleine Schwester nur einem besonderen Mann. Wir werden dich mit Bluthunden jagen.«
John Kelly nickt.
Dann blickt er nach oben: »Du hast es gehört, Maggy. Ich muss flüchten. Deine Sippe wird mich sonst töten. Leb wohl, kleine Maggy. Es war schön mit dir im Heu. Und sollte ich dir vorhin ein Kind gemacht haben, dann sei ihm eine gute Mutter. Ich muss fort. Deine Brüder würden mir keine Chance geben. Aber ich melde mich irgendwann bei dir.«
Er sieht Vance an, der sich die Hand auf die blutende Wunde drückt.
»Du verdammter Narr mit der Heugabel«, stößt er hervor. »Wahrscheinlich hast du etwas kaputtgemacht, was prächtig hätte werden können. Du verdammter hochnäsiger Arsch!«
Er stößt die letzten Worte mit Bitterkeit hervor.
Dann läuft er aus der Scheune hinaus in die Nacht.
Das Fest der Sloanes ist noch voll im Gange. Man feiert die Hochzeit von Maggys älterer Schwester mit einem reichen Sägewerks- und Schindelfabrikbesitzer, dessen Hauptreichtum aus gewaltigen Holzvorräten besteht, deren Wert sich binnen eines Jahres verzehnfacht hat, weil San Francisco wieder einmal abbrannte und Bauholz so knapp wurde wie Wasser in der Wüste.
Viele Gäste kamen, auch solche auf wirklich erstklassigen Pferden.
Solch ein Tier hat John Kelly schon am Nachmittag bewundert. Er weiß auch, wo es steht. Und weil er wirklich überzeugt ist, dass ihn die Sloanes mit Bluthunden jagen werden, hält er ein Entkommen nur auf dem schnellsten Pferd für möglich.
Und so beeilt er sich mächtig.
Was bleibt ihm seiner Meinung nach anderes übrig?
Er braucht nur zwei oder drei Minuten.
Dann jagt er auf dem roten Hengst in die Nacht hinaus nach Norden.
Und hinter ihm alarmieren die Sloane-Brüder die noch arglose Hochzeitsgesellschaft, deren männliche Teilnehmer sich in den nächsten zehn Minuten in eine Jagdgesellschaft verwandeln.
Denn Jäger sind sie alle.
Und nun wird es eine Menschenjagd geben.
✰✰✰
John Kelly ist sich darüber klar, dass er nun ein Pferdedieb wurde. Diese Sorte hängt man zumeist auch hier in Kalifornien.
Die Sloane-Sippe würde ihn jetzt gewiss hängen. Er hat zwei ihrer Stammhalter verprügelt, nachdem er von ihnen mit ihrer Schwester im Heu erwischt wurde. Das war zu viel. Und nun der Pferdediebstahl.
Ja, sie werden ihn hängen, sollten sie ihn erwischen.
Und außer ihnen werden noch einige ihrer Gäste an der Jagd auf ihn teilnehmen. Sie alle sind erfahrene Jäger, denen auch eine Menschenjagd gewaltigen Spaß bereiten wird.
John Kelly muss verdammt weit flüchten.
Doch wohin?
Er zieht bald die Nase seines Pferdes nach Westen.
Denn dort im Westen liegt San Francisco. Er war schon einige Male dort. Für ihn ist es eine verdammt große Stadt. Vielleicht kann er dort untertauchen und eine Arbeit finden.
Er hofft, dass er es auf dem guten Pferd in zwei Tagen schaffen kann. Und dann ...
Ja, was wird dann sein?
Er traut sich eine Menge zu, denn er ist schon mehr als nur ein großer und harter Junge. Mit fünfzehn verlor er seine Eltern, als das Seeschiff im Sturm kenterte und er mit einigen anderen Passagieren an die Barbarenküste gespült wurde, die viele Jahre später Pacific Street heißen wird.
Er musste also mit fünfzehn Jahren schon wie ein Mann für sich selbst sorgen. Und so kann man sagen, dass er jetzt in seinem zwanzigsten Jahr schon ein richtiger Mann ist.
Es ist dann am Morgen, als er zum ersten Mal an einem Creek eine Rast macht und die Satteltaschen des Pferdes untersucht, indes er das Tier grasen und auch Wasser nehmen lässt.
Er findet nicht viel, jedoch einen vierundvierziger Hartford-Dragoon-Revolver, die dazugehörige Munition und zwei Trommeln, die schon geladen sind und sehr schnell gegen die leer geschossene Trommel ausgetauscht werden können.
Der Besitzer des Pferdes war bewaffnet zur Hochzeit der Sloanes gekommen und hatte dann den Waffengurt mit der Waffe in einer Satteltasche verwahrt.
Sonst ist nur ein Reservehemd und etwas Unterwäsche in den Satteltaschen, ein schweres Messer und Rauchzeug.
Er hätte gern etwas Geld gefunden. Das würde ihm mächtig geholfen haben.
Doch dann hört er in der Ferne das Kläffen der Meute. Ja, sie haben seine Spur nicht verloren. Sie kommen auf seiner Fährte. Und mit ihnen reiten die Menschenjäger auf schnellen Pferden.
Er sitzt auf und reitet weiter.
Sein Pferd hat sich etwas erholt. Die Tiere der Verfolger aber müssen müde sein, denn sie haben aufgeholt. Sein Vorsprung war am Anfang gewiss größer als jetzt. Wenig später sieht er von einem Hügelsattel aus das Aufgebot der Sloanes.
Es sind mehr als zwei Dutzend Reiter, die nun nach der Hochzeitsfeier auf Menschenjagd sind. Vor ihnen laufen gut zwei Dutzend Bluthunde, mit denen man entlaufene Sklaven jagt und die darauf abgerichtet sind, auch einer Pferdespur zu folgen.
Er reitet weiter.
Und sein Ziel ist immer noch San Francisco.
Dort in dieser wilden Stadt kann er gewiss in der Hafengegend untertauchen. Dort müssen die Bluthunde seine Fährte verlieren.
✰✰✰
Irgendwie schafft er es und reitet an einem späten Nachmittag in den Hof eines Mietstalls am Rand der Stadt. Er riecht schon den Geruch des Pazifiks hier in der San Francisco Bay, und er kann vom Hafen her eine Menge Lärm hören – zum Beispiel das Hämmern, Rattern und Fauchen der neumodischen Dampfwinden, mit denen man die Lademasten bedient.
Dorthin will er. Dort gibt es gewiss Arbeit.
Aber zuvor will er das Pferd und den Sattel verkaufen.
Der Mann vom Mietstall geht um das staubige und schwitzende Tier herum, betrachtet es im letzten Licht des sterbenden Tages. Auch das Brandzeichen betrachtet er aufmerksam.
Dann sieht er John Kelly an und grinst.
»Das ist ein gutes Pferd«, spricht er. »Obwohl es hart geritten wurde über mehr als hundert Meilen und fast völlig erledigt ist, kann ich erkennen, dass es ein Klassepferd ist. Es gibt nur einen Haken an der Sache.«
»Welchen?« John Kelly fragt es heiser und starrt den grinsenden Stallmann an.
»Es ist gewiss gestohlen – und du bist auf der Flucht, da wette ich drauf«, sagt der Mann ruhig. Und er spricht weiter: »Wenn ich dir das Pferd abkaufe, muss ich es sofort verstecken und von einem Künstler das Brandzeichen ändern lassen. Auch die weißen Strümpfe des Tieres muss ich färben lassen, desgleichen den Fleck auf der Stirn. Es ist gefährlich, ein gestohlenes Pferd zu kaufen. Aber ich würde dir zehn Dollar für das Tier und den Sattel geben.«
John Kelly möchte losfluchen. Denn es ist ein erstklassiges Tier, ein sogenanntes Dreihundert-Dollar-Pferd aus einer gewiss berühmten Zucht. Dieser Sloane-Gast war ein reicher Mann. John Kelly hat gehofft, wenigstens hundert Dollar für das Tier zu bekommen.
Aber nun muss er wieder einmal mehr die Realität dieser Welt begreifen. Es gibt immer Fresser und Gefressene, und die Hartgesottenen nutzen stets die Not ihrer Mitmenschen aus.
John Kelly erlebte dies schon einige Male.
»Zwanzig«, sagt er heiser. »Ich will zumindest zwanzig haben. Sonst lasse ich das Tier einfach laufen, jage es in die Nacht hinein. Zwanzig! Und ich bluffe nicht.«
Der Mann starrt ihn an, blickt fest in John Kellys Augen. Offenbar erkennt er darin, dass der junge Bursche nicht blufft.
Und so fragt er: »Wie dicht sind sie dir auf der Fährte?«
»In etwa zwei Stunden werden sie hier sein«, erwidert Kelly. »Und sie haben Bluthunde. Die Witterung dieses Pferdes haben sie in der Nase.«
»Gut, dass du es mir sagst, mein junger Freund.« Der Stallmann grinst. »Ich werde das Tier über die Bay nach Oakland hinüberbringen lassen. Wasser tilgt jede Witterung. Bluthunde? So sagtest du?«
John Kelly nickt nur.
»Hast du jemanden ermordet? Mit Bluthunden werden Mörder oder entlaufene Sklaven gejagt. Was hast du verbrochen?«
»Ich wurde mit der Tochter einer reichen Familie im Heu erwischt«, erwidert John Kelly. »Und dann musste ich ihre beiden Brüder verprügeln. Mir blieb nur die Flucht auf diesem Pferd.«
»Das glaube ich jetzt auch«, sagt der Mann und holt Geld aus der Tasche. »Hier sind dreißig Dollar, weil du mich vor den Bluthunden gewarnt hast«, grollt er. »War es wenigstens schön mit dem Mädchen?«
Aber John Kelly erwidert nichts. Er nimmt die dreißig Dollar und geht wortlos davon. Dabei denkt er mit Bedauern an die grünäugige Maggy. Er hofft, dass er ihr kein Kind gemacht hat. Denn das wäre schlimm für sie in der Sloane-Sippe.
Er taucht mit langen Schritten in das Gewirr der Hafengegend ein. Es wird nun zunehmend dunkel, und John Kellys Magen knurrt immer böser.
Als er ein Lokal erreicht, welches Speiseküche und Saloon, Spielhalle und Bordell in seinem lang gestreckten Bau beherbergt, da tritt er ein. Denn auf einer Tafel wurde mit Kreide geschrieben: Abendessen, Hammelbraten, Nachtisch. Das Wasser läuft ihm im Mund zusammen.
Ja, er muss etwas in den Magen bekommen.
Wenig später sitzt er als einer der ersten Gäste an einem Tisch in der Ecke und füllt sich den Magen. Es schmeckt ihm wie lange nicht mehr. Und so beginnt er sich immer besser zu fühlen und empfindet seine Situation gar nicht mehr so schlimm.
Es ist sicher, dass sie ihn hier so schnell nicht finden werden. Hier sind zu viele Menschen, herrscht ein zu großes Durcheinander.
Sie werden aufgeben müssen, denkt er. Und ihre verdammten Bluthunde wird man in dieser Stadt nicht dulden.
Ein dicker, sehr jovial und gemütlich wirkender Mann kommt zu ihm an den Tisch, denn inzwischen füllte sich der Speiseraum. Bei ihm an dem kleinen Tisch aber ist noch Platz.
»Darf ich mich zu Ihnen setzen, mein junger Freund?« So fragt der Dicke.
»Wieso glauben Sie, dass ich Ihr junger Freund bin?«, fragt John Kelly borstig zurück und macht sich dann über den Nachtisch her, der aus Apfelkuchen und Kaffee besteht.
Der Dicke lacht freundlich. »Aaah«, sagt er dann, »ich glaube, dass Sie ein prächtiger Bursche aus dem Hinterland sind, ein Holzfäller oder Flößer. Vor solchen Burschen habe ich größte Hochachtung. Sind Sie nach Francisco gekommen, um etwas zu erleben? Hier gibt es wunderschöne Mädchen aller Hautfarben. Und wir haben Theater hier, Tanzbühnen, Amüsierhallen, Spielhallen. Gestern hat ein großer junge wie Sie im Blue Park zehntausend Dollar beim Roulett gewonnen. Damit ist er in China-Mollys Freudenhaus gegangen und hat es für sich allein gemietet für die nächsten drei Tage und Nächte, hahaha!«
Der Dicke bestellt sich nun sein Essen bei der Bedienung und auch für sich und John Kelly einen Drink.
Zuerst will John Kelly ablehnen. Doch dann sagt er sich, dass so ein Drink nun nach dem guten Essen ein prächtiger Abschluss wäre. Und so prostet er dem Dicken dankend zu und kippt das Zeug herunter.
»Das ist guter Jamaika-Rum.« Der Dicke grinst. »Den lieben alle Seeleute. Und dies hier ist ein verdammt prächtiger Hafen in der Bay für alle Seeleute der ganzen weiten Welt, hahaha! Trinken wir noch einen, denn auf zwei Beinen kann man erst richtig stehen, hahaha!«
✰✰✰
Es wird ein böses Erwachen für John Kelly, und er will es zuerst gar nicht glauben, hält es noch für einen verrückten Traum.
Über ihm ist ein Gebälk. Und die Koje ist schmal und auch zu kurz für seine Körperlänge.
Es riecht nach vielen Dingen, und so manche Landratte würde sagen, dass es stinkt. Der Geruch setzt sich aus den Dünsten verdorbener Speisen, Teer, Kielraumwasser, Männerschweiß, Tabak und salziger Brise zusammen, die manchmal durch eine offene Luke einströmt, jedoch den Gestank im Logis nicht vertreiben kann.
Ja, es muss das Mannschaftslogis eines Seeschiffes sein. Denn überall sind Kojen und auf einigen liegen bewegungslose Körper.
John Kelly beginnt sich zu erinnern und hält sich dabei den schmerzenden Schädel mit beiden Händen, so als könnte er auf diese Weise ein Platzen verhindern.
Der Dicke, denkt er immer wieder, dieser dicke Hurensohn. Der muss mir was in die Drinks getan haben – oder die Bedienung war es. Sie haben mich schanghait. Dieser verdammte Dicke war ein schurkischer Heuerbaas. Auf was für einem Schiff bin ich gelandet gegen meinen Willen?
Er will sich aufsetzen, knallt aber mit seinem schmerzenden Kopf gegen das Gebälk über sich, sinkt wieder zurück und wird fast bewusstlos. Nach einer Weile geht es ihm etwas besser, und so rollt er sich seitwärts aus der Koje und landet am Boden auf schmierigen Planken.
Am Tisch hockt ein schon ziemlich alter Bursche. Sein Zeug ist schmutzig, halb zerrissen und stinkt infernalisch. Dieser alte Seemann hat ihn gewiss schon eine Weile beobachtet.
»Setz dich zu mir an die Back«, spricht er heiser. »Denn ich glaube, du wirst nun einige Fragen haben, mein Junge. Du bist hier auf einem Seeschiff, und wir fahren die Küste entlang bis hinauf nach Oregon. Dort übernehmen wir Holz, nichts anderes als Holz, gutes Holz, teures Holz. Das schaffen wir hierher nach Frisco. Und das ist alles. Ich hoffe, dass du ein wenig von der Seefahrt verstehst, also Seemann bist. Sonst wird es noch härter für dich als ohnehin.«
John Kelly nickt langsam. Sein Hirn ist nun trotz Übelkeit und Kopfschmerzen endlich voll in Tätigkeit. »Und warum wurde ich schanghait?« So fragt er schließlich.
Der alte Seemann lacht wieder heiser.