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Bal Shamokin reitet zum ersten Mal durch das Land, welches er zwar in Besitz nahm, doch noch nicht kennt.
Er reitet den ganzen Tag und beobachtet kurz nach Sonnenaufgang ein Camp in einer Senke.
Die Männer dort unten sind beim Bränden von Rindern. Es sind vier Maverickjäger. Einer, ein schon älterer Mann, ist offenbar der Koch und Fahrer des Wagens.
Shamokin reitet langsam hinunter.
Sie entdecken ihn schon bald und sehen ihm entgegen. Es sind Männer, die ihr Lasso nicht über den Kopf schwingen müssen, sondern es auch aus dem Handgelenk werfen können. Und solche Männer sind auch mit dem Colt schnell.
Der Alte gehört zu einer anderen Sorte. Shamokin rechnet damit, dass dieser rotnasige Bursche eine Schrotflinte im Wagen hat und nur hineinzulangen braucht, um sie in die Hand zu bekommen.
»Einen schönen Brand habt ihr da«, sagt Shamokin. »Das ist ein Pfeil, nicht wahr?«
Sie starren ihn an. Einer nickt leicht.
»Habt ihr hier schon mal Altrinder mit dem Spanish-Bit-Brand gesehen?«, fragt Shamokin schließlich nach einer Pause.
Sie wirken nun stur, störrisch, drohend ...
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Seitenzahl: 152
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Zum Sterben bereit
Vorschau
Impressum
Zum Sterben bereit
Bal Shamokin reitet zum ersten Mal durch das Land, welches er zwar in Besitz nahm, doch noch nicht kennt.
Er reitet den ganzen Tag und beobachtet kurz nach Sonnenaufgang ein Camp in einer Senke.
Die Männer dort unten sind beim Bränden von Rindern. Es sind vier Maverickjäger. Einer, ein schon älterer Mann, ist offenbar der Koch und Fahrer des Wagens.
Shamokin reitet langsam hinunter.
Sie entdecken ihn schon bald und sehen ihm entgegen. Es sind Männer, die ihr Lasso nicht über den Kopf schwingen müssen, sondern es auch aus dem Handgelenk werfen können. Und solche Männer sind auch mit dem Colt schnell.
Der Alte gehört zu einer anderen Sorte. Shamokin rechnet damit, dass dieser rotnasige Bursche eine Schrotflinte im Wagen hat und nur hineinzulangen braucht, um sie in die Hand zu bekommen.
»Einen schönen Brand habt ihr da«, sagt Shamokin. »Das ist ein Pfeil, nicht wahr?«
Sie starren ihn an. Einer nickt leicht.
»Habt ihr hier schon mal Altrinder mit dem Spanish-Bit-Brand gesehen?«, fragt Shamokin schließlich nach einer Pause.
Sie wirken nun stur, störrisch, drohend ...
»Mann«, sagt einer, »was gehen uns Altrinder mit fremden Brandzeichen an?«
»Es sind meine«, sagt Shamokin. »Sie kamen schon vor dem Krieg hierher in dieses Land. Eine Herde von dreitausend Stück war es. Und sie hat sich vermehrt wie eine Kaninchenherde. Noch Fragen?«
Sie überstürzen nichts, ja, sie spähen sogar in die Runde.
Einer murmelt: »Mister, wenn wir Sie richtig verstanden haben, dann beanspruchen Sie alle Rinder in diesem Gebiet und behaupten, dass diese von der Altherde mit dem Spanish-Bit-Brand abstammen?«
Shamokin nickt.
Da grinsen sie ihn an. Einer macht eine wegwerfende Handbewegung.
»Ach«, sagt er, »gehen wir wieder an die Arbeit. Der hält uns nur auf mit seinem Geschwätz.«
Er wendet sich ab – aber das ist eine Täuschung, denn er zieht den Colt an der Shamokin abgewandten Seite.
Als er die Waffe mit der Rechten unter dem linken Ellbogen vorbei auf Shamokin richtet, hat dieser den Trick längst erkannt.
Er schießt ihn von den Beinen und beobachtet aus den Augenwinkeln immer noch den rotnasigen, dickbäuchigen Mann beim Wagen.
Dieser Mann bewegt sich nicht.
Erst als Shamokin den Kopf noch einen Zoll weiter dreht, sieht er es im nun erweiterten Gesichtswinkel.
Am Ende des Wagens steht noch jemand.
Und dieser Jemand visiert ihn mit einem Gewehr an. Es ist ein Spencer-Gewehr, mit dem man recht sicher schießen kann – auch wenn man eine Frau ist.
Nun steckt er in der Klemme.
Die Frau kann ihn aus dem Sattel schießen.
Die beiden anderen Männer – und auch der dickbäuchige Koch – lauern.
Shamokin behält sie im Auge und sagt: »Ma'am, daraus wird nichts! Versuchen Sie es nicht, denn ich gebe nicht nach. Wenn Sie auf mich schießen, nehme ich die beiden Hombres trotzdem noch mit ins Jenseits. Sie können niemandem helfen oder jemanden retten. Denn ich gebe nicht nach. Ich kann es mir nicht leisten, auch nur einen Deut nachzugeben. Was ich hier in diesem Land anfange, muss ich durchkämpfen und so oder so zu einem Ende bringen. Habe ich Ihnen das ausführlich genug erklärt, Ma'am?«
Seine Stimme wurde immer sanfter und geduldiger.
Dann hört er sie sagen: »Revolvermann, Sie können mich nicht bluffen! Wenn Sie nicht sofort die Waffe fallen lassen, werde ich auf Sie schießen. Ich schieße Sie vom Pferd. Das ist keine leere Drohung. Ich warne Sie! Und nun zähle ich bis drei. Also! Eins! Zwei! Drei!«
Und da drückt die gelbhaarige Frau ab.
Vielleicht schießt sie doch nicht besonders gut mit einem Gewehr, vielleicht will sie ihn auch nicht töten, sondern nur verwunden – jedenfalls bekommt Shamokin die Kugel in den rechten Oberschenkel.
Aber er scheint diese Kugel vorerst gar nicht zu spüren, denn er schießt auf die beiden Maverickjäger, die beim Schuss der Frau nach ihren Waffen greifen.
Die Lady hat offenbar Schwierigkeiten mit dem Durchladen.
Shamokin richtet seinen Colt auf die Frau.
»Ich schieße Ihnen das Ding aus der Hand«, sagt er scharf. »Also Schluss jetzt, Sie Flintenweib! Schluss jetzt, Sie verdammte Närrin!«
Da schiebt sich der dickbäuchige Mann vor die Frau, deckt sie ab mit seinem Körper. Die Schrotflinte, welche er aus dem Wagen holte, ließ er längst fallen. Er steht nun mit ausgebreiteten Armen da.
Doch er sagt über die Schulter: »Hör auf, Katy! Lass es sein! Wir haben verloren. Dieser Bursche lässt sonst nichts mehr von uns übrig! Hör auf, Katy!«
Da stößt sie einen zornigen Laut aus, wirft das Gewehr zu Boden und kommt hinter dem Dicken zum Vorschein.
»Sie verdammter Killer! Was maßen Sie sich an? Was sind Sie für ein größenwahnsinniger Bursche?«
Sie ist voller Zorn.
Er verzieht sein Gesicht. Der Schmerz im Bein wird nun schlimm.
»Ich bin Shamokin«, sagt er. »Ich habe dieses Land rechtmäßig in Besitz genommen. Die Altrinder mit dem Spanish-Bit-Brand, von denen hier alle Mavericks abstammen, gehören mir. Ich habe einen Besitztitel auf das Brandzeichen. Und ich jage jeden Viehdieb zum Teufel. Haben Sie verstanden, Sie Flintenweib? Das Blut dieser Männer kommt auf Ihr Konto. Sie haben den Kampf neu begonnen. Wer sind Sie denn, Flintenweib – ja, Sie, die Sie mit einigen Sattelpiraten Jagd auf ungebrannte Rinder machen? Wie ist Ihr Name?«
Sie starrt ihn an, und sie hat braune Augen und ein sonnenrotes Gesicht, welches von ihrem Ärger und ihrer Wut noch dunkler wurde.
»Ich bin Katy Brown«, sagt sie dann. »Und Sie werden noch an mich denken, Shamokin. Ja, ich habe Ihren Namen schon gehört, Revolvermann! Wer kennt diesen Namen nicht? Aber diesmal haben Sie sich mit einer Frau eingelassen, nicht mit Burschen, die Sie einfach abknallen können. Diesmal werden ...«
Sie verstummt und wendet sich einfach ab.
✰✰✰
Nicht zum ersten Mal in seinem Leben reitet Shamokin angeschossen zum nächsten Doc. Als der versoffene Doc von Santa Barbara mit ihm fertig ist, überlegt sich Shamokin, ob er in Santa Barbara bleiben soll.
Sein Bein schmerzt wie die Hölle. Er muss sich langlegen. Vielleicht wird er bald Wundfieber bekommen. Die Wunde wird sich – wenn er Pech hat – eventuell auch entzünden. Solche Steckschüsse sind schlimmer als glatte Durchschüsse. Er weiß es längst, und er fühlt sich ausgebrannt und müde.
Ja, er will sich für ein paar Stunden hinlegen.
Das Hotel liegt nur ein paar Dutzend Schritte weiter.
Sein Pferd aber steht immer noch so vor dem Saloon, wie er es verließ.
Die Männer auf der Veranda beobachten ihn.
Shamokin stößt einen leisen Pfiff aus – und da kommt das Pferd wie ein folgsamer Hund zum ihm herüber.
»Brav, Red, brav«, murmelt er und sitzt auf. Er reitet das kurze Stück. Vor dem Hotel hält er an.
Als er noch zögert und zurückblickt in die Richtung, aus der er nach Santa Barbara gekommen ist, sieht er den Wagen kommen.
Der dickbäuchige, rotnasige Koch der Maverickjäger sitzt auf dem Fahrersitz, neben ihm diese Katy Brown, deren Kugel er jetzt in der Westentasche trägt, nachdem Doc Alex Henderson sie ihm aus dem Oberschenkel holte.
Shamokin grinst bitter. Dabei denkt er: »Nun wird der Doc schon wieder Arbeit bekommen. Und das alles stammt bis auf eine Kugel in meiner Westentasche von meinem Colt.«
In der offenen Tür des Hoteleingangs erscheint eine junge Frau. Sie trägt ein grünes Kleid und eine weiße Schürze. Als sie ins Sonnenlicht tritt, da sieht er, dass ihre Augen die Farbe ihres Kleides haben.
Und ihr Haar leuchtet kastanienrot.
Ihre Hände hat sie in den Taschen ihrer Schürze. Sie ist knapp Mitte zwanzig, so schätzt er. Und sie kann sich neben dieser Katy Brown, die mit dem Wagen angefahren kommt, absolut sehen lassen.
Sie betrachten sich ernst.
Er greift an die Hutkrempe. »Haben Sie ein Bett für mich?« So fragt er.
»In diesem Hotel sind alle Gästebetten leer«, sagt sie. »Wer kann sich in diesem Nest schon ein Hotelzimmer leisten? Wer herkommt, hält sich im Saloon auf oder schläft im Stroh des Mietstalls. Mein Hausbursche wird sich auch um Ihr Pferd kümmern. Und Ihre Hose könnte ich waschen und flicken.«
Er nickt und sitzt vorsichtig ab.
»Ich bin Bal Shamokin«, sagt er, indes er sich ihr zuwendet.
Als er neben ihr steht, ist sie einen vollen Kopf kleiner als er. In ihren grünen Augen erkennt er eine Menge Wissen und Verständnis. Sie kennt meine Situation genau, denkt er.
Er verbraucht seine letzte Kraft, um in das Zimmer und aufs Bett zu kommen. Und da liegt er nun, stöhnt leicht und atmet aus.
Er sieht die grünäugige Frau dann am Fußende des Bettes stehen.
»Jetzt geht's mir schon besser«, sagt er. »Ich habe drüben beim Doc schon was getrunken. Also brauche ich vorerst nichts. Der Junge soll mein Pferd gut behandeln.«
Sie nickt. »Ich will Ihre Hose haben«, sagt sie. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, ziehe ich sie Ihnen jetzt aus. Oder ...«
»Sie sind ein Engel«, murmelt er. »Und Engel können einem Mann auch die Hose ausziehen, nicht wahr?«
Sie macht sich sofort an die Arbeit, ja, sie wäscht ihm sogar das Blut vom Bein, welches ihm bis in den Stiefel gelaufen ist. Sie hilft ihm wie eine gute Schwester.
»Der Stiefel muss innen auch ausgewaschen werden«, sagt sie zum Schluss, nimmt die Sachen und wendet sich zur Tür.
»Wie ist denn Ihr Name, Sie Engel?«
»Julia Corbin.«
»Mistress oder Miss?«
»Ich bin Witwe«, sagt sie. »Mein Mann starb für die Mendozas. Er war hier diesseits der Grenze mit der Bewachung ihrer Landgebiete beauftragt. Er wurde von Pferdedieben aus dem Hinterhalt erschossen.«
✰✰✰
Als er erwacht, ist es Nacht. Die Kühle kommt durch das offene Fenster. Er ist dankbar dafür, denn er hat nun doch Wundfieber bekommen. Es ist kein schweres Fieber, welches seine Gedanken zu wilden und unwirklichen Träumen macht. Nein, er kann ziemlich klar denken und erinnert sich auch sofort wieder an alles, was in der Zwischenzeit geschah.
Und das ist eine Menge.
Er ist in dieses Land gekommen, hat Humberto de Mendozas Grenz- und Weidewächter zum Teufel gejagt und Besitz ergriffen von Rindern und weiten Weidegebieten.
Dann hat er die Maverickjäger niederkämpfen müssen und sich eine schöne Frau zur Feindin gemacht. Sie hat ihn sogar angeschossen.
Auf dem Nachttisch neben seinem Bett steht ein Krug. Er setzt sich auf und gießt daraus ein Glas voll.
Es ist kalter Tee. Er hat ihn schon mal drüben in Mexiko getrunken. Die Indios nehmen ihn gegen Durst und Fieber. Er erfrischt wunderbar, belebt und entspannt zugleich.
Diese Julia Corbin ist ein prächtiges Mädchen, denkt er.
Dann hört er eine Frauenstimme singen. Es ist eine dunkle, etwas kehlige Stimme, und sie singt zur Begleitung einiger Gitarren. Er kennt das Lied.
Shamokin hört alles so deutlich, als würde die Sängerin unten in der Hoteldiele singen. Doch dann hört er am Beifall der Zuhörer und an einigen anderen Geräuschen, dass sich alles im Saloon abspielen muss, der ja nur wenige Dutzend Schritte entfernt ist.
Plötzlich erkennt er die Stimme und weiß, wer die Sängerin ist.
Katy Brown nannte sie sich im Camp der Maverickjäger. Jetzt arbeitet sie offenbar im Saloon.
Und er hat ihre Kugel in seiner Westentasche.
Sein Bein schmerzt noch, aber es ist kein hämmernder oder hackender Schmerz. Also hat sich wahrscheinlich nichts entzündet. Das wäre ein Glück.
Jemand kommt die Treppe herauf, verhält vor seiner Tür.
Er sucht instinktiv neben sich nach seinem Colt.
Aber dann wundert er sich auch schon, dass er ihn findet. Er weiß, dass er vor dem Einschlafen nicht an seinen Colt dachte, so erledigt war er. Doch jetzt findet er die Waffe neben sich. Jemand hat sie ihm dort hingelegt. Es kann nur Julia, diese junge grünäugige Witwe, gewesen sein.
Die Tür seines Zimmers wird geöffnet. Jemand kommt leise herein.
Er erkennt sie schon an der Gestalt.
»Julia«, sagt er ruhig und lässt den Colt wieder los.
Sie verhält am Fußende seines Bettes und umfasst die Messingkugeln des Bettgestells. »Geht es Ihnen besser, Bal Shamokin?«
»Prächtig«, erwidert er. »Und was macht meine Hose?«
»Die war nicht mehr gut«, sagt sie. »Ich habe Ihnen eine Hose meines Mannes über die Stuhllehne gehängt. Sie wird Ihnen sicher passen. Blut lässt sich aus manchen Stoffarten nur schlecht wieder herausbekommen. Sie haben nicht wenig Blut verloren, Bal Shamokin.«
Sie macht eine kleine Pause.
»Man weiß jetzt schon viel über Sie in dieser Stadt – und wahrscheinlich auch im ganzen Land zu beiden Seiten der Grenze«, spricht sie dann. »Die Frau, die Sie soeben singen hörten, hat erzählt, dass die Kugel in Ihrem Bein von ihr stammte. Auch der dickbäuchige und rotnasige Spieler – Abe Boulder nennt er sich – erzählt eine Menge. Die drei Maverickjäger sind ziemlich übel angeschossen. Einer wird diese Nacht vielleicht sterben. Sie liegen einige Zimmer weiter hier im Hotel. Die Frau – Katy Brown heißt sie – verdient den Lebensunterhalt im Saloon. Bal Shamokin, Sie haben zuerst Humberto de Mendozas Männer niedergekämpft und zum Teufel gejagt. Damit fing es an. Wollen Sie mir verraten, woher Sie sich das Recht nehmen, dieses Land und alle Rinder in Besitz zu nehmen? Was für einen Anspruch haben Sie auf den Spanish-Bit-Brand? Dieses Brandzeichen gehörte lange vor dem Krieg einem Mann, der – so glaube ich – Ricardo Humez hieß. Aber Sie sind nicht Ricardo Humez.«
»Nein«, sagt Bal Shamokin langsam. »Dieser Ricardo Humez war zuletzt Saloonausfeger in Abilene, Kansas. Ich kaufte Ricardo Humez sein immer noch in Texas registriertes Brandzeichen ab. Er wollte damals mit der Herde nach Kalifornien. Aber hier wurde er krank. Seine Männer verließen ihn nach und nach. Sie fürchteten sich vor den Apachen – und vor Mendozas Reitern, die mit den Apachen Frieden hatten. Humberto de Mendoza beanspruchte das Land diesseits der Grenze schon immer für sich und stützte sich dabei auf eine alte spanische Schenkung, die jedoch von der Union nicht anerkannt wird. Die Weide ist frei. Sie gehört dem, der seine Rinder darauf stehen hat. Und ich habe Ricardo Humez diese Ansprüche abgekauft. Er lebt nun nicht mehr als Saloonausfeger in Abilene, sondern in einem Altenheim in New Orleans. Mehr wollte er nicht von mir. Zufrieden mit der Erklärung, Julia?«
Er versucht, im Halbdunkel des Zimmers etwas von ihrem Gesichtsausdruck erkennen zu können – und er wundert sich über sich selbst, weil er ihr dies alles so ausführlich erklärt, obwohl er sich sonst einen Teufel darum schert, was die Menschen über ihn denken und von seinem Besitzanspruch halten. Es ist ihm wichtiger, dass sie ihn respektieren.
Aber dieser Julia musste er alles erklären.
Er sieht sie nicken. Dann sagt sie schlicht: »Bal Shamokin, Sie müssen aufstehen. Ich habe mir genau ausgerechnet, wann Humberto de Mendozas Männer hier eintreffen können. Bis zum Mendoza-Hauptquartier reitet man von hier knapp vier Stunden. Sie sind aber bereits acht Stunden mein Gast. Wenn Humberto de Mendoza jemanden schickt, dann könnte der innerhalb der nächsten Stunde hier eintreffen. Vielleicht wird er seinen Sohn Jerez und diesen Victor Palacio schicken. Jerez ist schon schlimm, aber Victor Palacio ...«
»Ich habe schon von Palacio gehört«, sagt Bal Shamokin. Seiner Stimme hört man nicht an, dass er alarmiert ist. Denn Victor Palacio ist ein Großer der Gilde wie er. Er ist gewissermaßen ein mexikanischer Shamokin.
Wieder sieht er Julia nicken. »Ich habe Ihnen hier einen Stock ans Bettgestell gehängt«, hört er sie leise sagen. »Und unten in der Küche halte ich ein gutes Nachtmahl in der Kochkiste warm. Ich warte auf Sie, Bal!«
✰✰✰
Sie hat in der Küche schon für ihn gedeckt. Das Fenster ist verhängt. Sie beobachtet aufmerksam, wie er mit dem Stock humpelt.
»Es wird schon gehen«, sagt er lächelnd und setzt sich.
Nun spürt er mit grimmiger Zufriedenheit seinen jäh einsetzenden Hunger.
»Sie sind wirklich ein Engel, Julia«, sagt er zu ihr. »Sie wissen genau, was ein Mann nötig hat – mag es sich um eine Hose oder um ein Essen handeln. Und natürlich ...«
Er bricht ab und sieht sie an.
»Was ist natürlich?« Dies fragt sie auf eine herbe und zugleich eindringliche Art, welche Offenheit verlangt.
»Und natürlich hätten Sie einem Mann auch noch eine Menge andere Dinge zu geben, wenn Sie ihn lieben«, sagt er auch sofort ohne Scheu und Zögern.
Da nickt sie.
»Ja, wenn ich ihn liebe – und wenn er ein Mann ist. Aber das wäre ja die Voraussetzung, ihn lieben zu können. Ich bin sehr einsam, Bal. Dieses Hotel hätte ich längst verkauft, gäbe mir jemand nur einen einigermaßen fairen Preis dafür. Aber Sie müssen sich jetzt wohl beeilen. Charly hat Ihr Pferd reitfertig hinter dem Hotel im Schuppen. Sie können gleich durch diese Tür dort und über den Hof. Es sind nur zwanzig Schritte.«
In ihrer Stimme ist nun ein trotziger Klang. Ihre Augen blicken ins Leere. Und irgendwie wirkt sie ganz so wie ein Mensch, der in der größten Not glaubhaft behaupten möchte, es ginge ihm gut.
Aber Bal Shamokin kann ihr nicht glauben, dass sie ihn leichten Herzens ziehen lässt, dass es ihr gleichgültig ist, ihn flüchten zu sehen vor Mendozas Leuten.
Aber sie will es ihm leicht machen, sich einfach zu verdrücken.
Er schüttelt den Kopf, deutet mit der Gabel auf die andere Tür – jene, die in den Speiseraum und von dort zur Straße führt.
»Ich gehe dort hinaus«, sagt er. »Und dann warte ich auf diesen Victor Palacio. Ich muss auf ihn warten. Denn ich bin Shamokin, der einen Anspruch erhoben hat auf die Rinder und die Weide. Wenn ich davonlaufe, bin ich auch nur einer der vielen anderen Maverickjäger und Sattelstrolche. Dann bin ich nur ein großmäuliger Bluffer. Verstehen Sie, Julia? Ich muss ihm hier entgegentreten, sollte er wirklich kommen, wie Sie voraussagten. Denn dann hat Humberto de Mendoza ihn geschickt, weil er die ganze Sache ebenso sieht wie ich. Dann will auch er keinen großen Weidekrieg mit Blutvergießen und vielen Toten. Ich kann nicht fortreiten.«
»Ja, dies ist wohl so«, sagt sie. »Dies ist wirklich eine Probe, ob Shamokin groß genug ist für das Land und all die Rinder, groß genug gegen die Mendozas. Ja, es ist eine große Probe, ob ein Mann ins Land kam, der eine neue Zeit beginnen lassen kann.«
Sie verstummt herb.
Er erhebt sich, nimmt den Stock, und er hat Glück gehabt mit seinem Bein, denn es ist das rechte. So hat er die Linke frei für den Colt, den er links trägt.
Auch Julia erhebt sich. Sie kommt zu ihm. Aus nächster Nähe sieht sie ihn an. »Viel Glück«, sagt sie ernst.