G. F. Unger Western-Bestseller 2687 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Western-Bestseller 2687 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Es ist an einem Nachmittag, als die Younger-Bande von Osten her über die Hügel kommt und am Rande des Tals die Pferde zügelt.
Ed Clelly, der schon während des Krieges mit Kevin Younger für den Süden als Guerilla ritt, deutet hinunter und erklärt den Reitern: »Der Fluss und die Stadt heißen beide Wild River. Wenn die Stadt größer wäre, würde sie vermutlich Wild River City heißen. Aber noch ist sie so klein, dass wir sie sicherlich ohne Schwierigkeiten übernehmen können. Seht euch den Fluss an. Er kommt von Norden her aus dem Washakie-Needle-Land und ist auf fast hundert Meilen nirgendwo passierbar - nur dort unten bei dieser kleinen Stadt. Versteht ihr? Wenn wir uns auf der Westseite des Flusses festsetzen, ist der Weg zu uns nur an dieser Stelle des Flusses und durch die Stadt möglich. Wenn uns die Stadt gehört, sind wir sicher. So einfach wäre das.«
Kevin Younger, ihr Anführer, fragt ruhig: »Und drüben? Was ist drüben? Du warst doch auch drüben, Ed - oder?«
»Sicher«, erwidert Ed Clelly, »ich habe mich nicht einfach auf das verlassen, was mir der alte Bergläufer bei einer Flasche Feuerwasser über ein Land erzählte, in dem Geächtete sicher sein würden. Ich bin hinübergeritten und habe mich zwei Wochen lang umgesehen. Und es ist alles so, wie ich es euch berichtete. Ein paar Schafzüchter, einige Minen - sonst ist da nichts, was uns behindern könnte. Wir werden dort drüben einen weiten Schatten werfen. Und der Wild River schützt uns vor allen Verfolgern. Sie können nur durch diese Stadt zur einzigen Furt.«

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Seitenzahl: 156

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Wild River

Vorschau

Impressum

Wild River

Es ist an einem Nachmittag, als die Younger-Bande von Osten her über die Hügel kommt und am Rande des Tals die Pferde zügelt.

Ed Clelly, der schon während des Krieges mit Kevin Younger für den Süden als Guerilla ritt, deutet hinunter und erklärt den Reitern: »Der Fluss und die Stadt heißen beide Wild River. Wenn die Stadt größer wäre, würde sie vermutlich Wild River City heißen. Aber noch ist sie so klein, dass wir sie sicherlich ohne Schwierigkeiten übernehmen können. Seht euch den Fluss an. Er kommt von Norden her aus dem Washakie-Needle-Land und ist auf fast hundert Meilen nirgendwo passierbar – nur dort unten bei dieser kleinen Stadt. Versteht ihr? Wenn wir uns auf der Westseite des Flusses festsetzen, ist der Weg zu uns nur an dieser Stelle des Flusses und durch die Stadt möglich. Wenn uns die Stadt gehört, sind wir sicher. So einfach wäre das.«

Kevin Younger, ihr Anführer, fragt ruhig: »Und drüben? Was ist drüben? Du warst doch auch drüben, Ed – oder?«

»Sicher«, erwidert Ed Clelly, »ich habe mich nicht einfach auf das verlassen, was mir der alte Bergläufer bei einer Flasche Feuerwasser über ein Land erzählte, in dem Geächtete sicher sein würden. Ich bin hinübergeritten und habe mich zwei Wochen lang umgesehen. Und es ist alles so, wie ich es euch berichtete. Ein paar Schafzüchter, einige Minen – sonst ist da nichts, was uns behindern könnte. Wir werden dort drüben einen weiten Schatten werfen. Und der Wild River schützt uns vor allen Verfolgern. Sie können nur durch diese Stadt zur einzigen Furt.«

Als er verstummt, da hat er alles gesagt, was noch zu sagen war.

Und nun hat Kevin Younger die Entscheidung zu treffen. Daran sind sie gewöhnt. Er ist ihr Anführer. Während des Krieges, als sie noch eine Guerillatruppe waren, gab er sich selbst den Rang eines Majors. Und wie ein Offizier führte er seinen Haufen auch während der ersten Monate. Aber dann wurden sie mehr und mehr zu Banditen, zu Mordbrennern und Plünderern, zu Piraten im Sattel, die den Krieg als Vorwand benutzten, um ein Leben als Gesetzlose zu führen.

Hätte der Süden den Krieg gewonnen, hätte man Younger und seine Horde sicherlich belobigt und geehrt, sie als tapfere Kämpfer für die gerechte Sache der Südstaaten gefeiert.

Doch da der Norden den Krieg gewann und ihre Taten zu schlimm waren, gab man ihnen kein Pardon. Sie fielen nicht unter die generelle Amnestie, die allgemeine Begnadigung der Südstaatensoldaten. Man erklärte sie zu Geächteten und setzte Belohnungen auf ihre Ergreifung aus. Und so sind sie nun schon viele Monate auf der Flucht und ließen eine blutige Fährte hinter sich. Sie sind bestens ausgerüstet und haben die Taschen voller Geld.

Was sie wollen, ist ein sicherer Ort zum Ausruhen und Abwarten, bis man sie und ihre Plünderungen und Raubzüge mehr und mehr vergessen hat.

Kevin Younger entschließt sich plötzlich, nachdem er lange genug zur Stadt hinunter und dann über den Fluss hinweg in das ihm noch unbekannte Land hinüberwitterte wie ein Wolf, der in ein neues Revier kommt.

Er sagt: »Wir reiten bei Nacht um die Stadt herum und durch die Furt hinüber. Aber du, Randy, wirst in die Stadt reiten und einige Tage dort bleiben – als netter, freundlicher Bursche. Hast du verstanden, Randy? Nett und freundlich wirst du sein, ein junger Mann, der eine Pferderanch gründen will und nur noch ein gutes Stück Land sucht. Du wirst in der Stadt alles erfahren, was für uns wichtig ist. Und schlag nicht über die Stränge, fang keinen Streit an! Du sollst nur herausfinden, wie wir die Stadt übernehmen können, wer die wichtigen Leute sind, welche Strömungen und Gegenströmungen es gibt. Ich sage es dir noch einmal: Benimm dich anständig. Gib dich nicht als zweibeiniger Wolf zu erkennen. Sei dir ständig darüber klar, dass wir diese Stadt und die Furt durch den Wild River unter Kontrolle bringen müssen, wenn wir in diesem Land zur Ruhe kommen wollen.«

Randy Younger, Kevin Youngers jüngerer Bruder, nickt bereitwillig.

Er ist ein hübscher, blonder, blauäugiger Bursche, dem niemand ansieht, dass er gefährlicher ist als eine Klapperschlange.

Randy sagt mit einem blitzenden Lächeln: »Du kannst dich auf mich verlassen, Bruder. Das ist genau die richtige Arbeit für mich.«

Kevin Younger starrt den jüngeren Bruder nochmals hart und warnend an.

»Mach nur keinen Fehler, Randy – keinen einzigen! Keine Weiber, kein Feuerwasser, kein Spiel um mehr als ein paar Dollar – nichts, gar nichts, schon gar keinen Streit. Du wirst ein lieber, netter Junge sein.«

Von Kevin Younger geht wie immer eine zwingende Strömung aus. Er ist größer als Randy, eigentlich ganz das Gegenteil seines Bruders. Man würde niemals glauben, dass sie Brüder sind. Denn Randy kommt äußerlich auf seine Mutter. Diese war blond, blauäugig und schön. Kevin Younger jedoch ist dunkel wie ein Schwarzwolf, grauäugig und pockennarbig im Gesicht.

Aber er würde in jeder Mannschaft der Anführer sein, in jedem wilden Rudel der erfahrene Leitwolf, in jedem Corral der Bulle, wie man so bezeichnend sagt, wenn ein Mann alle anderen überragt, mag es im Guten oder im bösen Sinne sein.

Sie sitzen nun alle ab, und sie sind zwölf Reiter, der harte Kern von Kevin Youngers einstiger Guerillabande, die wildesten und gnadenlosesten dieser Mordbrenner des Südens. Sie machen es sich in guter Deckung auf dem Hügel bequem, sodass man sie von der Stadt aus nicht entdecken kann.

Nur Randy Younger macht sich auf den Weg.

✰✰✰

Jesse Quaid, der Marshal von Wild River, sitzt mit dem Stallmann Tate Brown auf der Futterkiste beim Halmaspiel, als der Fremde vor dem offenen Tor des Mietstalles absitzt und sporenklingelnd in den Vorraum tritt.

»Ich möchte nicht stören«, sagt Randy Younger mit freundlichem Lächeln. »Ich versorge mein Pferd auch gerne selbst, wenn ich weiß, in welche Box ich es stellen kann. Aaah, ich sehe da einen Stern an Ihrer Weste, Sir. Mein Name ist Evans, Bob Evans. Es trifft sich gut, dass ich gleich einen wichtigen Mann dieser Stadt zu sehen bekomme. Da kann ich sicherlich gleich ein paar Fragen loswerden, Sir, nicht wahr?«

Jesse Quaid betrachtet den Ankömmling sorgfältig. Dabei blähen sich seine Nasenflügel ein wenig, als nähme er Witterung auf.

Quaid ist ein großer Mann mit einigen Narben an der linken Wange, wo die Krallen eines Grizzlys ihn trafen, weil er nicht schnell genug den Kopf wegnahm. Auch an seinem Körper sind solche Narben.

Denn Jesse Quaid kämpfte vor einem Jahr mit einem Grizzly, der ihn nachts plötzlich in seinem Camp angriff. Quaid war nicht mehr dazu gekommen, nach seinem Colt zu greifen, weil er sich zu schnell mit seiner Decke, in die er sich eingerollt hatte, zur Seite rollen musste. Er hatte zur Verteidigung nur sein langes Green-River-Messer gehabt.

Und als der Grizzly tot war, schaffte er es mit knapper Not durch die Furt und bis in die kleine Stadt am Wild River. Sie pflegten ihn lange. Denn die vielen Wunden eiterten und verursachten eine Blutvergiftung. Jesse Quaid brauchte lange, um wieder gesund zu werden.

Sie boten ihm dann den Job des Town Marshals an. Und weil Jesse der Stadt für ihre Hilfe dankbar war, nahm er den Job auch an, obwohl er als Pelztierjäger sehr viel mehr verdient hatte. Denn er war ein Mann der sogenannten Hirschlederbrigade, ein Trapper und Bergläufer, ein Scout und Wagenzugführer.

Er betrachtet also den so blendend aussehenden jungen Mann, dessen Lächeln so freundlich ist und dessen blaue Augen so Vertrauen erweckend sind. Dennoch verspürt Quaid instinktiv ein Gefühl der Abneigung und Wachsamkeit. Und so verschärft sich in seinem Kern das lauernde Misstrauen. Er lässt sich jedoch nichts anmerken, sondern erwidert: »Fragen Sie nur, Bob Evans, fragen Sie nur! Dies ist Tate Brown, ihm gehört der Mietstall. Mein Name ist Quaid, Jesse Quaid.«

Nun grinst Tate Brown und nickt dem Fremden zu.

»Die dritte Box links«, sagt er. »Und in meinem Stall versorge ich die Pferde. Bleiben Sie länger?«

Abermals lächelt Randy Younger, der sich Bob Evans nennt, freundlich.

»Ach«, sagt er, »ich habe jetzt genug Geld gespart, um eine Pferderanch zu gründen. Ich suche nur noch ein Stück Land dafür. Und ich suche eine Stadt, in der man mich freundlich aufnimmt und in der ich mich immer dann ein bisschen amüsieren kann, wenn ich mich einsam fühle und von meiner Einmann-Ranch unter Menschen möchte. Ob ich hier Glück haben könnte mit meinen Wünschen und Hoffnungen, Sir?«

Bei seinen letzten Worten blickt er Jesse Quaid lächelnd an. Sie sehen ihn beide an.

Dann sagt der Marshal: »Dies ist eine gute Stadt. Sie werden schon noch herausfinden, ob Sie sich hier wohl fühlen. Und das ganze Land hat Zukunft. Jetzt, da die Indianer in Reservaten leben, wurde viel Land frei. Auch die Büffel gibt es nicht mehr. Und der Wild River fließt abwärts bis zum Green River Basin. In dieser Richtung würde ich nach Land suchen.«

Tate Brown nickt zu diesen Worten. »So ist es«, sagt er und erhebt sich von der Futterkiste, um das Pferd zu übernehmen.

»Und auf der anderen Seite des Flusses?« So fragt Randy Younger. »Was ist da?«

»Fast das gleiche Land wie diesseits«, erwidert der Marshal. »Doch Sie wären stets auf die Furt angewiesen. Nach der Schneeschmelze oder nach langen Unwettern ist die Furt nicht passierbar. Dann ist der ohnehin schon wilde Fluss ein gewaltiges Ungeheuer.«

»Aha«, sagt Randy, »nun, dann bedanke ich mich sehr für die freundliche Auskunft. Ich möchte gern in ein Hotel. Gibt es hier eines?«

»Sicher. Es ist mitten in der Stadt. Sie können es nicht verfehlen.«

Quaid sagt es mit ernster Freundlichkeit, und es ist immer noch ein Forschen in seinem Blick. Er denkt: An was erinnert mich dieser Bursche? An was, zum Teufel? Und warum warnt mich mein Instinkt?

Er sieht dann, wie jener Bob Evans sein Gepäck vom Pferd schnallt und sich zum Gehen wendet.

»Wir sehen uns sicherlich in den nächsten Tagen noch öfter, Marshal«, sagt Evans lächelnd und geht hinaus.

Die beiden so verschiedenen Männer im Stall sehen sich an, bevor Tate Brown das Pferd wegführt.

»Ein erstklassiges Pferd«, sagt Tate. »Und es ist viele Wochen lang ständig geritten und wenig gepflegt worden. Jesse, ich kenne mich aus mit Pferden. Auch die Hufeisen sind abgenutzt, doch noch nicht alt. Dieser Sonnyboy ist ein Langreiter.«

Tate Brown hat nun alles gesagt, was seiner Meinung nach zu sagen ist, und er ist ein alter, verwitterter, krummbeiniger Bursche, ein ehemaliger Zureiter und Rodeo-Champion. Von seinen Ersparnissen baute er diesen Mietstall.

Als er mit dem Rotfuchs des Fremden zur freien Box geht, denkt Jesse Quaid immer noch darüber nach, woran ihn der blonde Bursche erinnert. Und plötzlich weiß er es. Ja, plötzlich erinnert er sich.

Er, Jesse Quaid, war noch ein kleiner Junge, etwa sieben oder acht Jahre alt. Er spielte vor dem Blockhaus seiner Eltern, als ein Hund zu ihm aus dem Wald gelaufen kam, ein großer, schöner Hund. Dieser Hund verhielt vor ihm und sah ihm beim Spielen zu. Jesse spielte damals mit einen Planwagen, den der Vater während eines langen Blizzards für ihn gebastelt hatte. Aber als Jesse den Hund dann streicheln wollte, da sprang dieser ihn an, warf ihn um und wollte nach seiner Kehle schnappen.

Jesses Vater – er kam zufällig um die Ecke des Blockhauses – schoss im allerletzten Moment. Zum Glück. Denn der Hund war ein Wolf.

Jesse Quaid erinnert sich also an dieses Abenteuer aus seiner Kindheit. Und er denkt: Ja, dieser Bob Evans lässt mich an jenen Wolf von damals denken. Ja, jetzt weiß ich, an was er mich erinnert.

Aber ich bin nicht mehr das Kind von damals.

✰✰✰

Indes geht Randy Younger mit seinem Gepäck die Straße hinunter in Richtung Fluss und erreicht den kleinen Platz, auf dem eine riesige Burreiche ihre gewaltigen Äste ausstreckt, sodass die Zweige mit ihrem Grün fast den ganzen Platz beschatten, wenn die Sonne am höchsten steht.

Jetzt aber ist es fast schon Abend.

Es gibt hier einige Bänke, auf denen alte Leute sitzen und den Abend genießen. Von irgendwoher ruft eine Frauenstimme spielende Kinder zum Abendessen, und auch die Alten erheben sich von den Bänken, um heimzugehen.

Randy Younger hält inne, um dieses Bild zu betrachten. Er hört die Stimmen und spürt den Atem einer friedlichen und heilen Welt.

Es steigt ein Gefühl aus seinem Innern empor, das er nicht sogleich zu deuten weiß. Aber er muss mehrmals schlucken. Und dann weiß er es. Dies hier ist etwas, woran er sich nur noch dunkel und unklar erinnert, etwas, was ihm irgendwann in seiner Kindheit verloren ging und das er niemals wieder bekommen konnte, nämlich eine heile Welt.

Er wird sich wieder einmal mehr darüber klar, dass er alle Menschen hasst, die in solch einer friedlichen, heilen Welt leben können, weil das Schicksal es gut mit ihnen meint. Ja, er hasst sie und neidet ihnen diese Gunst.

Und so beginnt er von diesem Moment an der Stadt ihr Glück zu missgönnen, das sie seiner Meinung nach nicht verdient. Er weiß, dass es ihm eine böse Freude bereiten wird, den Leuten hier zu demonstrieren, wie schlecht doch die Welt im Grunde ist.

Er geht weiter mit seinem wenigen Gepäck, überquert den Platz und erreicht den Eingang des Stadthauses. Er liest an einigen Schildern, dass hier die Stadtverwaltung, der Amtssitz des Richters, das Office des City Marshals und das Gefängnis untergebracht sind.

Unter seiner Hutkrempe grinst er blinkend und denkt: Oha, wenn wir hier alles so richtig im Griff haben, dann gehört uns auch dieses verdammte City House mit allem, was darin auch sein mag. Oha, es juckt mich jetzt schon, hineinzugehen und es allen klarzumachen.

Von rechts her nähert sich ihm eine junge Frau mit zwei Einkaufskörben. Er wendet sich zu ihr, sieht ihr entgegen. Und im allerletzten Licht des sterbenden Tages wird er sich darüber klar, dass er noch niemals in seinem Leben ein so schönes Mädchen sah.

Oha, die will ich haben!, denkt er sofort. Ja, die will ich haben. Er denkt es wie ein Pirat, der seit jeher daran gewöhnt ist, sich stets zu nehmen, was seine Begierde erweckt, mag es ein besonderes Pferd, ein schöner Sattel, eine kostbare Waffe – oder eine Frau sein.

Um solche Dinge hat er stets entweder gespielt oder gekämpft.

Und so wird es auch hier sein. Er weiß es von einem Atemzug zum anderen, indes sich das schöne Mädchen Schritt für Schritt nähert und er sie im letzten Licht des Tages ansieht.

Über den Häusern der Westseite des Platzes ist der Himmel noch rot vom Sonnenuntergang. Und dieses Rot verleiht dem Gesicht des Mädchens einen unwirklichen Glanz.

Er nimmt den Hut ab, lächelt blitzend und fragt höflich: »Darf ich Ihnen die Körbe tragen helfen, Miss Wunderschön?« Er lässt bei diesen Worten sein eigenes Gepäck achtlos in den Staub fallen und ist nur noch ein hingerissener Bewunderer dieser jungen Schönheit.

Sie hält inne und betrachtet ihn lächelnd – aber zugleich auch kritisch. Doch was sie sieht, kann sie nicht warnen. Denn dieser Randy Younger, der sich vorhin im Mietstall Bob Evans nannte, wirkt wie ein prächtiger Bursche. Bei seinem Aussehen kommt kaum ein Mensch auf die Idee, dass er schlecht sein könnte. Nein, man sieht ihm das Böse nicht an.

Weil er sie Miss Wunderschön nannte, geht sie darauf ein und sagt: »Es lohnt sich nicht mehr, Mister Unbekannt. Denn ich wohne hier. Ich bin daheim. Sie sind fremd hier, nicht wahr? Ich sah Sie noch nie zuvor in unserer Stadt.«

»Mein Name ist Evans, Bob Evans«, sagt er lächelnd und greift an seinen Hut. »Ich bin hergekommen, um Land zu suchen für eine Pferderanch. Von nun an werden wir uns öfter sehen, Miss ...«

»Brody, Jessica Brody«, vollendet sie, als er darauf wartet, dass sie ihren Namen nennt. Dann wendet sie sich nach rechts und geht ins City House.

Er blickt wieder auf die Schilder an der Hauswand neben dem Eingang. Und da kann er den Namen des Richters lesen. John Brody lautet dessen Name.

Sie muss die Tochter des Richters dieser Stadt sein, denkt er. Oha, was wird das für ein Spiel! Ich werde bald die schöne Tochter eines Richters vernaschen und ihr vielleicht ein Kind machen, wie schon so manchem Mädchen auf meinen rauen Wegen. Oha, vielleicht – er denkt nicht weiter, denn der Möglichkeiten, die sich vor ihm auftun, sind viele.

Er nimmt sein Gepäck wieder auf und erreicht bald darauf das Hotel.

Aus dem Speiseraum klingen Stimmen, hört man das Klappern von Essbestecken. Offenbar wird dort schon zu Abend gegessen. Eine junge Frau kommt aus dem Speiseraum in die Diele und hinter das Anmeldepult. Randy Younger staunt die Frau an und denkt dabei: Heiliger Rauch, was gibt es doch in dieser Stadt schöne Weiber! Auch die könnte mir gefallen, obwohl sie gewiss einige Jahre älter ist als ich. Aber auch sie würde ich gerne vernaschen. Und wahrscheinlich werde ich das auch, oha!

Indes er dies denkt und dabei fröhlich lächelnd seine makellosen Zahnreihen zeigt, spricht er höflich: »Ma'am, mein Name ist Evans, Bob Evans, und ich bin fremd hier. Ich will Land suchen für eine Pferderanch und möchte deshalb vorerst hier wohnen, bis ich etwas gefunden habe oder eines Tages weiterreite. Haben Sie ein Zimmer für mich bei guter Betreuung?« Ja, sein Lächeln ist gewinnend.

Aber die schwarzhaarige und grünäugige Frau prüft ihn kritisch.

Er spürt den Anprall ihres Instinkts, und er weiß, dass sie eine erfahrene Frau ist, vielleicht sogar eine ehemalige Glücksjägerin und Abenteurerin, die hier ein Hotel erbaute und sich zur Ruhe setzte. Er ahnt, dass es eine Frau ist, die sich mit jeder Sorte von Männern auskennt.

Schließlich nickt sie. »Ich bin die Besitzerin«, hört er sie mit einer dunklen und melodischen Stimme sagen. »Mein Name ist Marlowe, Mrs Sue Marlowe. Ja, Sie können ein Zimmer haben.«

Er lächelt dankbar und blickt in die grünen Augen der rassigen, schwarzhaarigen Frau. Und irgendwie verspürt er in seinem Innern ein warnendes Gefühl, das ihm sagt, dass er bei dieser Frau vorsichtig sein muss. Denn sonst könnte sie ihn bald als das erkennen, was er ist, nämlich eine Kreuzung zwischen einem Wolf und einer Giftviper. Zwar gibt es in der Natur solch eine Kreuzung nicht, aber Randy Youngers Eigenschaften sind nun mal so. Er ist erbarmungslos wie ein Raubtier und tödlich gefährlich wie eine Giftviper.

Er trägt sich mit flüssiger Schrift als Bob Evans aus Texas ins Anmeldebuch ein, lässt sein Gepäck vom gelbhäutigen Hausburschen auf sein Zimmer bringen und geht dann zum Speiseraum hinüber, der Einladung der Hotelbesitzerin folgend.

✰✰✰

In dieser Nacht geschieht in Wild River, der kleinen Stadt an der einzigen Furt weit und breit, eine ganze Menge.

Irgendwann kurz vor Mitternacht hören einige Bürger der Stadt, die bei offenen Fenstern schlafen und deren Häuser dem Fluss und der Furt am nächsten sind, den Hufschlag einer reitenden Mannschaft, die durch die Furt zum westlichen Ufer hinüberwechselt.