1,99 €
Es war schon Nacht, als wir Fort Benton erreichten.
Wir waren genau zwölf Mann, allesamt hartbeinige Burschen, die dem Teufel ins Maul spucken konnten. Und wir hatten mit unserem Gold endlich den Missouri erreicht.
Tage und Nächte waren wir abseits der Wagenwege unterwegs gewesen, um den zweibeinigen Goldwölfen zu entkommen, denen so viele Goldgräber zum Opfer fielen, wenn sie mit ihrer Ausbeute zur Schiffslandestelle wollten, um heimkehren zu können.
Einer von uns, den wir Ernie Rafter nannten, sagte in unsere erwartungsvolle Stille mit heiserer Stimme: »Und nun bist du an der Reihe, Mike Kelly.«
Ernie Rafter hatte uns bisher geführt, denn er war ein ehemaliger Trapper und Gebirgsläufer, einer von der sogenannten Hirschlederbrigade. Und er hatte uns auf entlegenen Wegen hergebracht.
Ja, nun war ich an der Reihe, denn mein Name ist Mike Kelly.
Die anderen nickten. Sie wussten nämlich, dass ich das Kapitäns- und Lotsenpatent besaß und dass sie nun ihre Chips auf mich setzen mussten.
Denn eines war uns klar: Nicht nur an den Landwegen lauerten die organisierten Goldwölfe. Sie beherrschten auch den Missouri, und kaum ein Goldsucher kam mit seiner Ausbeute ungehindert nach Kansas City oder Saint Louis. Also mussten wir uns etwas einfallen lassen. Das aber war gar nicht so einfach. Dazu brauchte es einen Spezialisten - und der war ich ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 160
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Steamboat des Teufels
Vorschau
Impressum
Steamboat desTeufels
Es war schon Nacht, als wir Fort Benton erreichten.
Wir waren genau zwölf Mann, allesamt hartbeinige Burschen, die dem Teufel ins Maul spucken konnten. Und wir hatten mit unserem Gold endlich den Missouri erreicht.
Tage und Nächte waren wir abseits der Wagenwege unterwegs gewesen, um den zweibeinigen Goldwölfen zu entkommen, denen so viele Goldgräber zum Opfer fielen, wenn sie mit ihrer Ausbeute zur Schiffslandestelle wollten, um heimkehren zu können.
Einer von uns, den wir Ernie Rafter nannten, sagte in unsere erwartungsvolle Stille mit heiserer Stimme: »Und nun bist du an der Reihe, Mike Kelly.«
Ernie Rafter hatte uns bisher geführt, denn er war ein ehemaliger Trapper und Gebirgsläufer, einer von der sogenannten Hirschlederbrigade. Und er hatte uns auf entlegenen Wegen hergebracht.
Ja, nun war ich an der Reihe, denn mein Name ist Mike Kelly.
Die anderen nickten. Sie wussten nämlich, dass ich das Kapitäns- und Lotsenpatent besaß und dass sie nun ihre Chips auf mich setzen mussten.
Denn eines war uns klar: Nicht nur an den Landwegen lauerten die organisierten Goldwölfe. Sie beherrschten auch den Missouri, und kaum ein Goldsucher kam mit seiner Ausbeute ungehindert nach Kansas City oder Saint Louis. Also mussten wir uns etwas einfallen lassen. Das aber war gar nicht so einfach. Dazu brauchte es einen Spezialisten – und der war ich ...
Gut, ich war also nun an der Reihe. Und ich wusste, was zu tun war. Entschlossen ritt ich auf meinem Maultier wieder an. Sie folgten mir, ohne zu zögern.
Eine gute halbe Stunde später erreichten wir etwas flussabwärts die kleine Werft von Abe Abbot. Er saß noch in seinem Office über einer Schreibarbeit, als er den Hufschlag unserer Tiere hörte. Durch das Fenster konnten wir sehen, wie er sich hinter dem Schreibtisch erhob, und sahen ihn dann aus der Tür treten.
»He, Abe«, sagte ich, »erinnerst du dich noch an mich?«
Er trat an mein Maultier heran und sah zu mir hoch. Im Licht der Sterne und des aus dem Kontor herausfallenden Lichtscheins erkannte er mich.
»Mike Kelly, mein Junge«, sprach er, »dich habe ich aber schon lange nicht mehr gesehen. Hast du jetzt endlich dein eigenes Dampfboot?«
»Noch nicht, aber fast«, erwiderte ich. »Erst muss ich mit meinem Gold nach Saint Louis hinunter. Ich war zwei Jahre im Goldland. Dies sind meine einstigen Claimnachbarn. Wir brauchen ein Mackinaw oder ein großes Flachboot, mit dem wir auch über Untiefen hinwegkommen. Ihr baut doch hier solche Dinger, auch die großen Kielboote. Aber Letztere müssen fast so tiefes Wasser haben wie ein Steamer. Wir möchten unsere zwölf Reittiere gegen ein Mackinaw eintauschen. Kommen wir ins Geschäft, Abe Abbot?«
Er sah im Sternenschein auf die anderen Männer. Diese hockten noch in den Sätteln. Sie schwiegen.
»Ihr seid schlau.« Abe Abbot grinste. »Ja, so wie ihr, so muss man es wohl machen. Es kommt hier kaum noch jemand mit seinem Gold den Strom hinunter, der nicht zur Organisation gehört oder einen hohen Schutzzoll zahlt. Ja, ihr seid schlau. Und mit einem Mackinaw könntet ihr es schaffen in den schwarzen Nächten.«
Er schwieg dann einige Atemzüge lang und dachte nach.
Dann entschloss er sich. »Wir sind im Geschäft, mein Junge«, sprach er. »Ich habe ein gutes Mackinaw für euch und rüste euch aus für die Talreise. Wir sind im Geschäft.«
✰✰✰
Nach abermals einer halben Stunde waren wir mit unserem Mackinaw im Strom.
Ein Mackinaw – nun, das war ein flaches Boot, etwa zwanzig Yards lang und auch ziemlich breit. Man setzte Ruder ein, wenn es darum ging, dem Steuermann am Heck zu helfen, damit er mit seinem mehr als vier Yards langen Steuer besser den Kurs halten konnte. Sonst ließ man sich einfach in der Strömung treiben. Und bei günstigem Wind zog man noch zusätzlich das Segel auf.
Mithilfe des Windes und der starken Strömung konnte man in einem Mackinaw an einem Tag oder in einer Nacht mehr als hundert Meilen zurücklegen, manchmal sogar einhundertfünfzig.
Ich stand hinten und hielt mithilfe des langen Steuerruders unser Boot in der Strömung. Die war hier stark, und so sausten wir ziemlich schnell talwärts.
Wir waren auch gut ausgerüstet mit Proviant und allerlei Gerät.
Die Männer schwiegen noch. Aber schließlich sagte einer: »He, Kelly, warst du dir absolut sicher, dass wir diesem Abbot trauen konnten? Vielleicht schickt er uns ein Dampfboot mit einer Kanone nach und gehört selbst zu der Organisation, die hier alles beherrscht.«
»Ich traue ihm«, erwiderte ich ruhig. »Der mag mich wie einen Sohn.«
Sie schwiegen. Einige legten sich hin, um zu schlafen. Platz hatten wir genug. Und es würde eine verdammt lange Reise werden.
Vielleicht waren wir bis Saint Louis fast zwei Monate unterwegs.
Würden wir uns auf dem Boot so dicht beieinander eine solch lange Zeit vertragen?
Das konnte nämlich ein Problem werden. Denn wir waren ja keine Brüder, nicht einmal Freunde, nur Partner. Eine Zweckgemeinschaft waren wir. Und jeder bewachte sein Gold.
Unterwegs auf dem Landweg waren wir ständig in Bewegung gewesen, hatten was zu tun gehabt. Hier auf dem Strom würden wir herumhocken und viel Zeit für allerlei Gedanken haben.
Nur ich hatte zu tun. Denn ich musste unseren Mackinaw um alle gefährlichen Stellen steuern, ihn in der Strömung halten und gegen Ende der Nacht einen versteckten Platz finden.
Der Strom hatte zu dieser Jahreszeit eine starke Strömung, und so legten wir Meile um Meile zurück und würden noch vor Morgengrauen den Citadel Rock erreichen.
Denn von Fort Benton bis zur engsten Stelle des Oberen Big Muddy waren es nur sechsundsiebzig Meilen. Und etwa achtzig Yards war der Strom an dieser Stelle nur breit.
An den Ufern waren Klippen, welche die Fahrrinne noch mehr verengten.
Ich brachte in der Strömung unser Mackinaw um die Biegung und den burgartigen Felsklotz herum, und es bereitete mir eine ständige Freude, wieder auf dem Strom zu sein und nicht nach Gold zu graben.
Ja, ich war ein Riverman, und so fiel mir wieder mein ganzer Werdegang ein.
Ich erlebte wieder meine Zeit als Schiffsjunge, dann als Decksmann und schließlich als Maat. Ich sparte immer mein Geld und besuchte die Kapitän- und Lotsenschule der Gilde.
Aber noch immer besaß ich kein Dampfboot. Ich wollte mein eigenes.
Und so ging ich ins Goldland und glaubte an mein Glück.
Jetzt aber war ich wieder auf dem Strom. Und in Saint Louis, wo die Auswahl sehr groß war, würde ich mir einen Steamer kaufen.
Ich dachte auch an die Mädchen und Frauen, die ich mal hatte da und dort in den Hafenstädten. Es gab welche, an die ich mich gut erinnern konnte und bei denen ich vielleicht geblieben wäre, hätte ich mein eigenes Dampfboot gehabt. An andere erinnerte ich mich nicht so klar, konnte mir ihre Gesichter nicht mehr vor Augen bringen.
Nur eines wusste ich, nämlich, dass ich bald wieder eine Frau haben wollte, wenigstens für eine Nacht. Denn das wollten wir alle in unserem Mackinaw. Wir waren im Goldland zu lange ohne Frauen gewesen.
Die Männer unterhielten sich über Frauen, indes ich das Mackinaw steuerte. Ich konnte zuhören. Es waren jene Gespräche, wie sie stets unter Männern stattfinden, die schon zu lange ein hartes und eintöniges Leben führen – und voller Wünsche sind. Das mögen Soldaten, Frachtfahrer, Seeleute, Flussschiffer, Cowboys oder einsame Trapper sein.
Einer, den sie einfach nur Tex nannten, weil er mal im Süden ein Cowboy war und wie ein Texaner sprach, der schwärmte: »Damals als ich mit Sally im Heu lag, da versprach ich ihr, dass ich es zu etwas bringen würde. Und dann gab sie mir alles, was ein Mädchen einem Mann geben kann. Sie war voller Feuer, und so kamen wir dem Paradies sehr nahe. Aber dann jagte mich ihr Vater von der Ranch und sagte mir, dass sie was Besseres verdient hätte als mich. Nun, jetzt werde ich als wohlhabender Bursche zurück nach San Antonio kommen und ihm zeigen, wie falsch er mich beurteilt hat. Vielleicht habe ich Sally sogar ein Kind gemacht damals im Heu. Hahaha, das wäre was! Da müsste er mächtig froh sein, wenn ich als reicher zukünftiger Schwiegersohn mit ihm als Schwiegervater einverstanden wäre!«
Er verstummte mit einem jubelnden Klang in der Stimme, denn er war nun mal ein einfacher Bursche, ein Cowboy eben und nicht mehr, der im Goldland das Glück fand.
Einige Männer in unserem Mackinaw lachten.
Doch einer sagte böse: »Wenn du ihr ein Kind gemacht hast, dann wird sie längst schon einen anderen Vater dafür gefunden haben, dem sie einreden konnte, dass der Bastard sein Kind wäre. He, war sie eigentlich noch Jungfer, als sie es mit dir im Heu getrieben hat?«
Es war eine böse Frage von einem Burschen, der an nichts mehr glaubte, weil seine Erfahrungen bitter waren.
Und so wurde auch jener Tex böse und erwiderte scharf: »He, Callum, ich habe dich schon immer und von Anfang an für einen Drecksack gehalten. Leg dich nur nicht mit mir an, verdammt!«
Vielleicht wäre es zum ersten Streit gekommen, kaum dass wir unsere lange Reise talwärts begonnen hatten und die erste Nacht auf dem Big Muddy vorüber war. Doch ich griff ein und rief: »Nehmt die Ruder! Wir müssen aus der Strömung raus in den engen Kanal hinein!«
Sie gehorchten sofort. Ich war ja der Kapitän. Und sie wussten, dass nur ich sie heil den verdammten Big Muddy hinunterbringen konnte.
Sie nahmen also die Ruder und fingen an zu pullen, und so kamen wir mithilfe meines langen Ruders am Heck aus der Strömung hinaus in den engen Kanal, in den uns kein Dampfboot hätte folgen können.
Die Insel auf der Backbordseite des Kanals war lang. Ich kannte sie. Und auch das Ufer auf der Steuerbordseite war wie die Insel mit alten Bäumen bewachsen, dazwischen voller Gestrüpp.
Wir machten am Ufer unter gewaltig ausladenden Ästen fest.
»Hier bleiben wir bis zum Abend«, erklärte ich ihnen. »Wir haben mehr als hundert Meilen geschafft. Verhaltet euch ruhig. Es wird kein Feuer gemacht. Hier können überall Indianer sein. Einer von uns hält ständig Ausguck auf der anderen Seite der Insel. Wir müssen wissen, ob uns ein Dampfboot folgt, weil wir in Fort Benton ja nicht unbemerkt weggekommen sind.«
Nach diesen Worten ging ich mit meinem Gold und etwas kaltem Proviant an Land, nahm auch eine Decke mit.
Ich musste schlafen nach dieser langen Nacht, die ich steuernd verbrachte, ständig konzentriert auf den tückischen Fluss mit all seinen Strudeln, treibenden Bäumen, Sandbänken, Klippen und im stetigen Bestreben, die Strömung zu nutzen. Ja, ich war müde. Die anderen hatten an Bord schlafen können.
Mein Gold trug ich in zwei ledernen Satteltaschen über der Schulter. Sie waren prall gefüllt und schwer. Und überdies hatte ich unter meiner Kleidung noch einen mit Goldstaub gefüllten Gürtel um die Taille geschnallt.
Wir alle hatten uns so mit Gold beladen. Und sollten wir über Bord gehen aus irgendwelchen Gründen, dann würde uns das Gold erbarmungslos auf den Grund des Flusses ziehen.
Ich stillte im Morgengrauen meinen Hunger und legte mich dann zwischen die Büsche zur Ruhe. Wie immer in den vergangenen Tagen dienten mir die mit Gold gefüllten Satteltaschen als Kopfkissen. Und meinen Revolver hatte ich unter der Decke griffbereit.
So schlief ich ein.
✰✰✰
Es war am späten Mittag, als mich Ernie Rafter weckte. Er war zu mir zwischen die Büsche gekrochen. Als er mich anfasste, war ich sofort wach. Doch er zischte leise: »Ruhig, Kelly, ruhig!«
»Was ist, Rafter?«, flüsterte ich und hatte unter der Decke meinen Revolver in der Faust.
»Wir sind nicht mehr allein«, erwiderte er leise dicht an meinem Ohr. »Sie haben uns umzingelt.«
»Wer?«
»Wahrscheinlich eine Bande von Indianern, Kelly. Ich wecke jetzt die anderen.«
Er kroch wieder weg.
Und ich wusste, dass er gewiss nicht übertrieben hatte mit seiner Warnung. Er war ja der ehemalige Trapper und Gebirgsläufer. Er kannte sich aus in diesem Land, so wie ich auf dem Strom. Und so hatte er gewiss eine Veränderung in unserer näheren Umgebung wahrgenommen.
Ich schlug die Decke zurück, rollte mich auf den Bauch und hob den Kopf.
Sekunden später starrte ich in das Gesicht eines Indianers, der wie eine Schlange fast bis zu mir gekrochen war und mit dem langen Messer zustechen wollte.
Ich schoss ihn mitten in die Stirn.
Und dann brach die Hölle los. Mein Schuss war sozusagen das Signal. Denn nun kamen sie mit ihrem gellenden Kriegsgeschrei, mit dem sie uns lähmen wollten.
Doch ich habe es ja schon am Anfang meiner Geschichte erwähnt. Wir waren allesamt harte Burschen, die sich so leicht nicht erschrecken ließen. Rafter hatte auch einige von uns schon gewarnt. Und so gaben wir es den Roten, deren Überfall ja nun nicht mehr überraschend kam. Sie rannten in unser Revolverfeuer und zogen sich schnell zurück, ließen einige Tote liegen. Wir hatten auch einige Verwundete, doch keinen Toten.
Einige von uns fluchten bitter.
Dann wurde es still. Wir alle lauschten.
Doch es war wohl so, dass die Bande weg war. Nur die vier Toten lagen noch da.
Rafter sagte laut genug: »Sie sind weg. Das war eine Bande von Ausgestoßenen, auch Halbbluts und vielleicht sogar weiße Renegaten. Die wollten uns im Schlaf überraschen. Jetzt, da wir wach sind, werden sie nichts mehr wagen.«
Er hatte kaum ausgesprochen, da hörten wir eine Frauenstimme rufen: »Kommt her und helft mir!«
Wir wollten es zuerst nicht glauben.
Doch dann rief die Frauenstimme wieder: »Na los, Männer, kommt her, bevor sie mich holen!«
Wir zögerten. Einer von uns zischte: »Das kann eine Falle sein, verdammt!«
Aber Rafter entschied sich und zischte: »Ich sehe nach.«
Dann verschwand er in den Büschen und arbeitete sich den Uferhang hinauf. Nach einer Weile kam er mit der Frau zurück.
Wir staunten.
Jemand flüsterte: »Heiliger Rauch, was für eine Katze ...«
Sie hatte ein zerfetztes Kleid an, und ihre roten Haare waren voller Kletten und Grashalme. Sie hatte sich lange nicht das Haar kämmen und bürsten können.
Aber man konnte dennoch ihre Schönheit erkennen. Sie war herrlich gewachsen und bewegte sich auch jetzt noch leicht und geschmeidig. Das zerfetzte Kleid ließ da und dort etwas von ihrer nackten Haut erkennen.
Ich begann in diesen Sekunden zu begreifen, dass diese Frau für unsere Zweckgemeinschaft wie Gift sein würde. In unserem Mackinaw würden die nach Frauen ausgehungerten Kerle dicht in ihrer Nähe sein, ständig ihre Ausstrahlung spüren.
Ja, sie besaß Ausstrahlung. Ihre ganze Erscheinung regte jeden von uns an.
Dafür konnten wir nichts. Das war nun mal so. Wir waren keine Heiligen, denen Gebete zu Standhaftigkeit verhelfen konnten.
Die hat uns noch gefehlt, dachte ich bitter.
Dann hörte ich jemanden von uns fragen: »Lady, woher kommen Sie denn?«
»Von der ›Silverstar‹«, erwiderte sie kehlig. »Die rammte gestern Mittag stromauf dampfend einen Baumstamm. Dann explodierte einer der Kessel. Ich stand mit anderen Passagieren auf dem Hurricane-Deck nahe dem Ruderhaus. Wir alle wurden von einer gewaltigen Explosion in den Fluss gepustet. Wir krochen dann irgendwo an Land, waren gewiss eine Meile abgetrieben. Einige von uns ertranken, weil sie nicht schwimmen konnten. Ich kroch mit mehr als einem halben Dutzend Passagiere an Land. Dort lauerte diese Bande schon in den Büschen. Ich war die einzige Frau, alle anderen waren Männer. Deshalb wurden sie erschlagen. Nur mich ließen sie am Leben.«
Sie verstummte seltsam ruhig. Und sie hatte auch sehr beherrscht geredet.
Wir alle begriffen mehr oder weniger, dass sie eine Abenteurerin war, eine Frau also, die sich auf ihren Wegen schon oft in gefährlichen Situationen befunden hatte, sodass sie kaum noch die Nerven und damit die Beherrschung verlor. Sie wurde in der Not und Gefahr nicht zu einem flatternden Huhn, blieb eine Katze.
Ich spürte, dass die Kerle sie plötzlich zu respektieren begannen.
Doch einer fragte: »Und was hat Ihnen die Bande inzwischen angetan? Sind welche über Sie hergefallen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Noch nicht«, erwiderte sie sachlich. »Die Mistkerle spielten noch um mich. Der Gewinner stand noch nicht fest.«
Abermals staunten wir. Sie sah es uns an und erklärte uns schließlich: »Das war eine zusammengewürfelte Bande. Auch einige Weiße gehörten zu ihr. Der da zum Beispiel ist auch ein Weißer.«
Sie deutete auf einen der Toten, der auf dem Bauch lag. Einer von uns ging hin, schob den Fuß unter ihn und warf ihn auf den Rücken.
Und da sahen wir, dass er ein Weißer in Indianertracht war, mit langen Haaren, aber einem Bart.
»Ich musste mit jedem von ihnen spielen«, erklärte uns die Schöne. »Das machte ihnen Spaß. Sie waren verrückte Spieler – alle, auch die Rothäute unter ihnen. Sie mussten sich gegenseitig angesteckt haben. Aber mich kann kein Mann – ganz gleich zu welcher Sorte er gehört – mit den Karten schlagen. Wer sind Sie denn, Gentlemen?« Sie fragte es kühl. Und sie betonte das Wort Gentlemen.
»Ach, wir sind nur unterwegs und machten hier eine längere Rast«, erwiderte ich. »Und natürlich werden wir Sie mitnehmen. Und wenn Sie wollen, dann gebe ich Ihnen mein Reservehemd. Das können Sie wie ein Kleid über Ihrem arg zerfetzten tragen. Gut so? Haben Sie Hunger?«
Sie sah mich an und nickte. Dabei prüfte mich ihr Blick, und ich spürte, dass sie sich mit Männern auskannte. Sie war gewiss eine Glücksjägerin und Spielerin.
»O ja, Mister, ich wäre Ihnen sehr dankbar für Ihr Hemd und auch für ein paar Bissen. Haben Sie hier das Kommando?«
Ich grinste. »Ja, ich bin hier auf diesem Mackinaw der Kapitän. Mein Name ist Kelly, Mike Kelly. Und wie heißen Sie?«
»Jennifer Lounders«, erwiderte sie. »Und ich bin sehr froh, dass ich nun unter Gentlemen bin, nicht unter einer üblen Bande wie zuvor.«
»Dann sollten Sie dankbar zum Himmel beten – auch für uns, Jennifer Lounders«, sagte einer von uns, und in seiner Stimme war ein spöttischer Klang.
Es war wenig später, als unser Ausguck auf der anderen Seite der Insel einen Steamer meldete, der den Strom abwärts kam. Ich ging hinüber und sah das Dampfboot kommen. Es beeilte sich nicht sehr. Und oben standen einige Männer mit Ferngläsern und suchten die Ufer ab.
Der Name des Steamers war »Pretty Ann«.
Das war ein hübscher Name für ein hübsches Dampfboot. Nur die beiden Kanonen auf dem Sturmdeck, die sich nach allen Seiten schwenken ließen, passten nicht so recht zu dem niedlichen Namen.
Ich konnte mir denken, warum sie die Ufer absuchten und sich dabei Zeit nahmen. Sie waren hinter uns her.
Nun war ich sicher, dass es von den Goldfundgebieten nach Fort Benton und in Fort Benton selbst ein erstklassiges Nachrichtensystem gab, wie es nur von einer Organisation geschaffen und unterhalten werden konnte, der nichts im Land und auf dem Strom entging.
Und so hatte diese Organisation erfahren, dass wir mit unserer Goldausbeute aus der Last Chance Gulch verschwunden waren. Und in Fort Benton bekamen sie heraus, dass die Abbot-Werft plötzlich ein Dutzend Reittiere mit Sätteln besaß und eines ihrer neuen Mackinaws verschwunden war. Sie hatten dann gewiss Abe Abbot gefragt, und dieser hatte ihnen gesagt, was sie wissen wollten. Sie hätten es sonst gewiss aus ihm herausgeprügelt. Denn diese Organisation war gnadenlos.
Die »Pretty Ann« trieb langsam stromab. Sie ließ das Schaufelrad am Heck nur langsam drehen, gerade ausreichend, um das Boot manövrieren zu können.