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Ich stand mit Nelly, dem Animiermädchen, an der Bar des einzigen Saloons von Rosalia, als draußen auf der Straße Hufschlag erklang.
Reiter kamen.
Diese Reiter ließen draußen schon ihre heiseren Stimmen ertönen. Sie stießen zufriedene Rufe und Flüche aus, etwa in der Art wie: »Verdammt, jetzt lass ich mich voll Pumaspucke laufen und leg mich mit einer Honeybee ins Bett!« Dann knarrten Sättel, klirrten Sporen. Die Bohlen der Veranda dröhnten unter stampfenden Schritten.
Als sie durch die Schwingtür drängten, da wusste ich, zu welcher Sorte sie gehörten. Es waren Skalpjäger. Zwei oder drei kannte ich vom Sehen aus Nogales, El Paso und Tucson. Sechs zählte ich. Zwei waren leicht verwundet. Ihr Anführer war offenbar jener Bursche, den ich unter dem Namen Mitch Donald kannte.
Er kam zuerst an die Bar und klopfte hart auf die narbige Platte, grinste den Barmann an wie ein hungriger Wolf.
»Na los, lass die Luft aus den Gläsern«, verlangte er. »Hier sind sechs wilde Lobos! Wo sind die anderen Mädchen?«
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Seitenzahl: 154
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Stunde des Mutes
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Impressum
Stunde des Mutes
Ich stand mit Nelly, dem Animiermädchen, an der Bar des einzigen Saloons von Rosalia, als draußen auf der Straße Hufschlag erklang.
Reiter kamen.
Diese Reiter ließen draußen schon ihre heiseren Stimmen ertönen. Sie stießen zufriedene Rufe und Flüche aus, etwa in der Art wie: »Verdammt, jetzt lass ich mich voll Pumaspucke laufen und leg mich mit einer Honeybee ins Bett!« Dann knarrten Sättel, klirrten Sporen. Die Bohlen der Veranda dröhnten unter stampfenden Schritten.
Als sie durch die Schwingtür drängten, da wusste ich, zu welcher Sorte sie gehörten. Es waren Skalpjäger. Zwei oder drei kannte ich vom Sehen aus Nogales, El Paso und Tucson. Sechs zählte ich. Zwei waren leicht verwundet. Ihr Anführer war offenbar jener Bursche, den ich unter dem Namen Mitch Donald kannte.
Er kam zuerst an die Bar und klopfte hart auf die narbige Platte, grinste den Barmann an wie ein hungriger Wolf.
»Na los, lass die Luft aus den Gläsern«, verlangte er. »Hier sind sechs wilde Lobos! Wo sind die anderen Mädchen?«
Er starrte auf Nelly, die noch bei mir stand.
»Es gibt nur Nelly«, sagte Jonathan, der Barmann, und goss sechs Gläser voll Tequila. Die sechs Kerle starrten uns an – gierig, hungrig, gnadenlos.
Sie leerten die Tequilagläser, setzten sie hart auf die Bar. »Mehr«, knurrte Mitch Donald. Dann sah er wieder mich und Nelly an. »Du bist doch der Wildpferdjäger Taggert, nicht wahr?« So fragte er. »Ich weiß, du bist ein harter Bursche. Aber du wirst wegen der Puta sicherlich keinen Streit mit uns haben wollen – oder?«
Es war eine brutale Drohung.
Und sie alle warteten auf meine Antwort. Sie waren Skalpjäger, also Mörder. Sie kannten keine Schonung, keine Duldung. Sie beugten sich nur der Gewalt.
Ich wandte mich an Nelly, welche zu mir aufsah und immer noch an ein Wunder glaubte oder es zumindest erhoffte.
Leise sagte ich: »Nelly, ich ...«
Mehr brauchte ich nicht zu sagen. Sie hörte es am Klang meiner Stimme, erkannte es an meinen Augen. Sie begriff endlich, dass ich mich ihretwegen nicht mit sechs Mördern anlegen konnte.
Denn dies wäre nicht die Stunde des Mutes gewesen, sondern die Stunde der Dummheit und des Selbstmordes.
Selbst mit meinem Tod hätte ich sie nicht vor dem bewahren können, was ihr bevorstand.
Dies wurde ihr in diesen Sekunden bewusst.
Und so löste sie sich von mir und ging zu den Kerlen hin. Sie begrüßten sie johlend. Einer sagte: »Wir würfeln um die Reihenfolge, nicht wahr?«
Ich hörte nicht länger zu, zahlte meine Drinks und ging hinaus.
Ja, ich war ein Bursche, der gekniffen hatte.
Es durchlief mich heiß. Ich vibrierte innerlich, und ich musste mehrmals bitter schlucken und würgen.
Denn ich war kein Feigling. Ich hatte mich bisher überall behaupten können.
Dazu kam, dass ich diese Skalpjäger zutiefst verachtete.
Dennoch hatte ich ihnen Nelly überlassen müssen wie ein Hund einen Knochen ein paar Wölfen.
Ich ging hinüber zum Store, um mir neues Zeug zu kaufen.
Im Hotel würde ich in der Badestube in einen Bottich steigen, den Barbier kommen lassen und mich dann ins Bett legen. Ja, ich hatte Schlaf nachzuholen. Und ich wollte die Kerle im Saloon vergessen.
Als ich in den Store trat, bimmelte die Türglocke.
Dann kam Sue Cooper. Auch sie kannte ich schon, denn ich war ja vor etwas mehr als einem halben Jahr schon einmal hier gewesen.
Damals hatte mich ihr Mann bedient. Sie aber hatte Knöpfe und Garn in Kartons sortiert. Ich hatte sie immerzu unauffällig ansehen müssen und mich gefragt, wie solch eine Frau mit einem dicken Krämer verheiratet sein konnte.
Nun also sah ich sie wieder.
Mit ihren grünen Augen sah sie mich fest an.
»Hallo, Wildpferdjäger«, sagte sie. »Soll's wieder dasselbe sein wie damals?«
»Und das wissen Sie noch?« So fragte ich zurück und setzte hinzu: »Ihr Mann bediente mich. Sie sortierten Knöpfe und Garnrollen.«
»Seidengarnrollen«, verbesserte sie. »Und mein Mann ist tot. Ja, ich kann mich gut an Sie erinnern und auch daran, was Sie damals kauften, Wildpferdjäger.«
»Mein Name ist Taggert, Clint Taggert, Mrs. Cooper«, murmelte ich. »Warum ist Ihr Mann tot?«
Sie sah mich wieder fest an.
»Ach«, sagte sie, »die Bürger von Rosalia stellten ein Aufgebot zusammen, um eine Apachenjagd zu veranstalten. Dabei gerieten sie in einen Hinterhalt und hatten Verluste. Einer der Toten war mein Mann.«
Sie sagte es sehr nüchtern und sachlich, fast kalt.
Und so fragte ich: »War es ein sehr schmerzlicher Verlust für Sie?«
Immer noch sah sie mich fest an. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein«, erwiderte sie, »denn ich liebte ihn nicht. Ich gehörte ihm, aber ich zahlte nur die Schulden meiner Familie. Damals war er noch Storehalter in Ohio. Ich war siebzehn, als meine Mutter mich zu ihm brachte und er dafür die Schulden meiner Familie aus dem Buch strich. Er war nicht schlecht zu mir, aber er hatte mich kaufen müssen. In dieser Stadt sind nicht mehr viele kampffähige Männer. Was meinen Sie, Clint Taggert, wäre es möglich, dass die Apachen in die Stadt kommen?«
Ich dachte nach.
Und ich wusste, dass es möglich war.
Aber das wollte ich ihr nicht sagen.
Dabei fiel mir ein, dass ja sechs gefährliche Burschen gekommen waren, Skalpjäger. Aber das konnte verdammt schlecht für uns alle sein. Aus mehr als einem Grund.
Ich hatte plötzlich eine ungute Ahnung.
Verdammt, dachte ich, in was bin ich hier hineingeraten? Was braut sich hier zusammen?
Indes ich dies dachte, sah ich immer noch in ihre grünen Augen.
Was ich darin zu erkennen glaubte, wollte ich zuerst gar nicht glauben. Aber es gab keinen Zweifel. Diese schöne Sue Cooper bot sich mir an. Jawohl, so war es. Sie ließ mich spüren, dass etwas mit ihr zu machen war, wenn ich nur wollte.
Wieder dachte ich: Verdammt, was ist das? Was ist mit ihr los? Ist sie mannstoll, weil sie den dicken Storehalter nicht liebte und von ihm deshalb nicht das bekommen konnte, was sie sich als Frau wünschte? Oder hatte sie sich damals schon in mich verliebt und fühlte sich nun als Witwe frei?
Ich sah immer noch in ihre grünen, leicht schräggestellten Augen, welche etwas Katzenhaftes hatten.
Sie sagte kehlig, wobei sie mit einer leichten Kopfbewegung ihr wie poliertes Rotgold glänzendes Haar über die Schultern schüttelte: »Clint Taggert, am besten, Sie bleiben gleich hier bei mir.«
Wieder staunte ich ungläubig.
Denn das gab es doch nicht, das konnte es doch nicht geben!
Sie sah so schön und reizvoll aus. Sie wirkte so sauber und klar wie ein schöner Frühlingsmorgen. Aber sie bot sich mir an wie drüben im Saloon jene Nelly.
Und bei ihr konnte ich wahrscheinlich umsonst bekommen, was Nelly sich bezahlen ließ. Verdammt, was war das? Ich staunte immer noch, war voller Unglauben.
Endlich jedoch ließ ein letzter Rest von Verstand mich fragen: »Und warum, Mrs. Cooper?«
Sie lächelte. Ihr Mund war eine Idee zu breit, und vielleicht war es sogar ein gieriger Mund. Ihre Zahnreihen blinkten.
»Nennen Sie mich Sue, Clint«, verlangte sie. »Und warum? Ja, das ist eine gute Frage. Aber besser hätten Sie mich gefragt, wofür Sie mich haben können – wofür, Clint Taggert.«
»Also gut, wofür?« So fragte ich sie.
Sie deutete auf die Schaufensterscheiben hinüber, wo schräg gegenüber des Stores der Saloon auf der anderen Straßenseite war und noch die Pferde der sechs Skalpjäger standen.
Dann sagte sie schlicht: »Ich glaube, Clint Taggert, dass Sie der einzige Mann in dieser miesen Stadt sind, der mich beschützen könnte. Und ich werde Schutz brauchen, wenn die Kerle erst herüberkommen, um Einkäufe zu machen, und dabei herausfinden, dass ich allein bin in diesem Store. Ich kenne sie. Die waren schon einige Male hier. Aber damals hatten wir in der Stadt noch kampffähige Männer, einen Marshal und ich meinen Mann. Heute ist es anders. Diese Kerle werden die Stadt übernehmen. Sie sind hergekommen, um Apachenskalpe zu verkaufen. Aber die Stadt hat kein Geld mehr. Und wenn diese Skalpjäger erst begreifen, dass sie umsonst herkamen ...«
Sie sprach nicht weiter.
Das brauchte sie auch nicht.
Mir war alles klar. Sie fürchtete sich. Wahrscheinlich fürchtete sich die ganze Stadt. Die Stadt war ausgeblutet, verdorrt. Sie hatte den Kampf gegen die Apachen verloren. Nicht mal mehr Apachenskalpe konnte sie kaufen.
Denn Apachenskalpe waren teuer. Für den Skalp eines Kriegers wurden zurzeit fünfzig Dollar gezahlt in Tucson. Das wusste ich.
Frauen- und Kinderskalpe brachten die Hälfte.
Wenn die sechs Skalpjäger einige Dutzend Skalpe erbeutet hatten, dann konnte das diese Stadt eine Menge Geld kosten. Und es war durchaus möglich, dass sie zahlungsunfähig geworden war.
Sue Cooper sah mich immer noch fest an mit ihren grünen Augen.
»Ich möchte, dass du mich von hier wegbringst, Clint«, sagte sie. »Ich will fort aus dieser sterbenden Stadt. Ja, ich will den Store aufgeben. Bring mich nach El Paso, ja?«
Nun war alles klar.
Und ich ertappte mich dabei, dass ich nickte.
Dann hörte ich mich sagen: »Ich weiß nicht, ob ich dich beschützen kann. Ich weiß auch nicht, ob ich dich nach El Paso bringen kann. Denn wenn es stimmt, dass die Stadt kaum noch kampffähige Männer hat, dann wissen das auch die Apachen. Und dann sitzen die sechs Skalpjäger hier in der Falle – und die Stadt mit ihnen. Ja, dann wäre es gut, von hier wegzureiten.«
Sie nickte.
»Ich werde dir in meiner Waschküche den Badebottich füllen«, sagte sie.
✰✰✰
Eine Stunde später – es war schon fast Nacht geworden – saßen wir beim Abendbrot. Sue erzählte mir eine Menge über die Stadt Rosalia und deren Bürger.
Aber dann wechselte sie das Thema und sagte schlicht: »Und etwas sollte dir klar sein, Clint Taggert. Als ich dich damals in den Store kommen sah und mein Mann dich bediente, da tauschten wir mehrmals Blicke. Und ich bedauerte, dass ich dem dicken Cooper gehörte. Am liebsten hätte ich dich damals schon gebeten, mich fortzubringen aus Rosalia. Aber du warst dann plötzlich verschwunden. Wenn du damals noch einmal in den Store gekommen wärest und ich dich hätte allein sprechen können, nun, dann würde ich dir klargemacht haben, was ich wollte, und ...«
Sie verstummte und zuckte mit den Schultern. Wahrscheinlich wollte sie mit den Worten enden: »... nicht bekam.«
Ich wollte etwas erwidern, doch da klingelte die Ladenglocke.
Sporenklirrende Schritte waren zu hören. Die Ladentür wurde hart geschlossen.
Eine heisere Stimme rief ungeduldig: »Bedienung! Ich brauche Tabak! Los, verdammt noch mal! Etwas Beeilung bitte ich mir aus!«
Ich wusste sofort, es war einer dieser Skalpjäger. Und er hatte gewiss schon einige Gläser Tequila geleert.
Sue erhob sich. Sie sagte nichts zu mir. Doch ihr Blick ließ mich erkennen, dass sie diese Welt hier hasste.
Gewiss, sie stellte sich den Dingen, aber sie hasste und verachtete alles. Sie wollte fort von hier, nichts anderes als fort. Sie wollte nicht verdorren in dieser Stadt.
Sie ging aus der Wohnküche nach vorn in den Laden.
Der Mann dort stieß einen Pfiff aus. Ich hörte ihn mit der Zunge schnalzen und sagen: »Hoiii, da kommt ja die Schöne, die ich damals schon bestaunte! Wo ist denn dein dicker Bock, Honey? Gehörte der auch zu den Pfeifen, die in die Apachenfalle gerieten?«
Aber Sue gab ihm keine Antwort auf diese Frage. Offenbar legte sie ihm Tabak und Blättchen auf den Ladentisch und nannte ihm den Preis.
Aber er lachte und sagte: »Es war wohl eine gute Idee von mir, hier mal reinzusehen. Du magst mich wohl nicht besonders? Aber wenn ich erst mal gebadet und frisch rasiert bin und nach Fliederwasser dufte, dann ...«
»Gehen Sie«, unterbrach sie ihn spröde. »Da ist die Tür. Gehen Sie, Mister!«
Aber er lachte und begann, im Verkaufsraum umherzuwandern.
»Aaah, hier sind ja auch schöne Salzgurken«, hörte ich ihn sagen. Offenbar fischte er sich eine dieser Gurken aus dem Fass. Denn ich hörte, wie er sich ein Stück abbiss. Er schmatzte.
»Ich wette«, sagte er zwischendurch, »auch dein Mann gehört zu jenen, welche damals nicht wiederkamen. Und nun bist du schon eine Weile allein. Das ist gar nicht gut für eine junge Frau wie dich. Ich glaube, ich bleibe hier bei dir, solange wir in der Stadt sind. Hier ist es besser als drüben im Saloon. Wie wär's mit einem guten Abendbrot, Honey?«
Er ging geradezu brutal auf sein Ziel los, und ich wusste, dass dies hier nur der Anfang war. Auch die anderen Kerle würden bald herausfinden, wie wehrlos diese Stadt war, wie ausgebrannt und fast schon verdorrt.
Und wenn sie erst herausfanden, dass sie hier keine Prämien mehr bekommen konnten für ihre Apachenskalpe, dann würden sie nicht nur enttäuscht sein, sondern regelrecht in Wut geraten.
Sie waren kaltblütige Mörder.
Ich wusste, dass solche Skalpjäger manchmal auch Mexikaner töteten, wenn deren Haare nur so wie die der Apachen aussahen und deshalb als Apachenskalpe gelten konnten.
Es war eine böse, grausame Welt.
Der Kerl kam nun hinter Sue in die Wohnküche. Denn Sue flüchtete vor ihm.
Ich hatte mich längst erhoben und stand neben der Tür. Als er an mir vorbei wollte, stieß ich ihm die Revolvermündung in die Seite, genau zwischen zwei Rippen.
Ich wusste dabei, dass es klüger von mir gewesen wäre, wenn ich ein Messer genommen und gnadenlos zugestoßen hätte. Denn dann wäre einer von diesen Kerlen weniger gewesen.
Doch ich konnte nicht morden. Gegner vermochte ich nur in Selbstverteidigung zu töten. Ich war kein Killer.
Der Kerl erstarrte, schielte mich an.
Dann sagte er heiser: »Aaah, du bist das! He, du hast doch drüben im Saloon schon mal gekniffen, als es um Nelly ging. Warum hast du jetzt plötzlich Mut?«
»Weil ich jetzt nicht mehr sechs, sondern nur dich gegen mich habe«, erwiderte ich und trat langsam zurück.
Erst als ich sechs Schritte von ihm entfernt war und an der anderen Wand der Wohnküche stand, ließ ich meinen Colt wieder ins Holster gleiten und wartete.
Der Bursche wusste sofort Bescheid.
Er konnte seinen Colt ziehen und sein Glück gegen mich versuchen – oder er konnte gehen.
Was würde er tun? Er begriff plötzlich, dass ich drüben im Saloon nur vor der Übermacht gekniffen hatte und jetzt alles ganz anders war.
Wenn er wollte, konnte er kämpfen.
Ich sah ihm an, dass er einige Sekunden lang dazu bereit war. Denn er wurde von einer bösen Wut beherrscht.
Aber dann holte ihn sein Verstand wieder ein. Zweifel stiegen in ihm auf. Er fragte sich, ob er mich schlagen konnte. Und je länger er darüber nachdachte, umso stärker wurden seine Zweifel.
Als ich ihn würgend schlucken sah, da wusste ich, was er da herunterschlucken musste wie eine Kröte.
Er sagte: »Ich brauche nur meine Partner herüberzuholen, dann machen wir dich klein.«
»Sicher«, sagte ich grinsend, »es wird deinem Prestige innerhalb eures Rudels sehr nützlich sein, wenn du gegen einen einzigen Mann Hilfe holen musst und dich nicht allein getraust. Deine Partner werden begreifen, was für ein Bluffer du bist. Na, dann geh mal und hole sie!«
Abermals schluckte er würgend.
Dann aber knurrte er: »Ach, leckt mich doch alle beide ...«
Und dann ging er.
Ich wusste, dass er drüben im Saloon nicht erzählen würde, was ihm hier widerfahren war. Aber seine böse Wut würde ihn auf eine Gelegenheit lauern lassen, sich bei mir und Sue zu revanchieren.
Wir folgten ihm langsam bis vor die Tür auf den Plankengehsteig und sahen ihm nach, bis er schräg gegenüber wieder im Saloon verschwand.
»Ich schließe den Store«, sagte Sue und begann, die Holzläden herunterzuklappen. Es war Nacht geworden. Nur aus wenigen Häusern fiel da und dort Lichtschein.
Beim Saloon war es besonders hell. Dort fielen vier Lichtbahnen heraus.
Die müden Pferde der Skalpjäger standen noch immer an den Haltestangen am Wassertrog – auch ein Zeichen dafür, wie mitleidlos die Kerle waren. Diese erschöpften Tiere hätten es verdient gehabt, versorgt zu werden, die Sättel und die Packlasten abgenommen zu bekommen und gutes Futter zu erhalten.
Aber diese sechs Kerle gehörten zu der Sorte, welche stets nur nahm und nie etwas gab. Das galt auch für ihre Pferde, deren Treue und Aufopferung sie in Anspruch nahmen.
Sue hatte inzwischen die Läden geschlossen.
Sie trat neben mich.
»Kommst du herein zu mir?« Sie fragte es scheinbar ruhig. Aber ich begriff, dass sie nun nicht um meinen Schutz betteln wollte. Sie hatte sich mir angeboten und mir zu verstehen gegeben, dass sie ihren Preis zu zahlen bereit war. Nun aber würde sie nicht betteln.
Ich verspürte in diesen Sekunden ein Bedauern.
Denn ich hätte Sue gerne auf andere Art erobert. Sie gefiel mir sehr. Ja, ich wollte sie haben. Doch nicht auf diese Weise.
Ich legte meine Hand gegen ihre Wange.
»Ja, ich werde kommen – vielleicht in einer Stunde. Vorerst möchte ich hier draußen bleiben. Denn wenn die Kerle aus dem Saloon kommen sollten, dann habe ich hier bessere Chancen. Ich komme bestimmt, Sue.«
Sie trat dicht an mich heran, und ich spürte ihren Körper wie zuvor dort drüben im Saloon den Körper jener Nelly.
Nelly hätte Geld von mir verlangt.
Sue wollte Schutz und Hilfe.
Sie fasste nach meinen Oberarmen und zog sich so auf die Zehenspitzen hoch.
Dann küsste sie mich auf den Mund.
Und da konnte ich nicht anders. Ich war ein Mann, der einige Monate in der Einsamkeit der Wildpferdhügel gelebt hatte. Sie war eine schöne und sehr reizvolle Frau.
Ja, ich nahm sie in meine Arme. Wir küssten uns lange, so lange, dass wir atemlos wurden.
Und irgendwie spürte ich, dass sie mich nicht nur aus Dankbarkeit küsste und mich spüren ließ, was alles sie mir geben konnte – nein, sie mochte mich. Dies begann ich zu glauben. Ich hätte sie wahrscheinlich auch bekommen können, wenn sie nicht in Not gewesen wäre.
Dieses Gefühl vermittelte sie mir, indes wir uns in den Armen hielten, uns küssten, unseren Pulsschlag spürten und die Wärme unserer Körper.
Schließlich löste ich mich von ihr und ging davon.
✰✰✰
Es war dann etwa zwanzig Minuten später, als ich beim Wagenhof an die Tür des Postagenten klopfte. Er fragte erst, wer zu ihm wolle, dann ließ er mich eintreten. Und er hielt eine abgesägte Schrotflinte in der Hand wie einen unförmigen Colt. Er war schon ein alter Bursche, ein ehemaliger Frachtfahrer, der hier von der Post- und Frachtlinie sein Gnadenbrot erhielt.
Er nickte mir zu und fragte: »Wollen Sie einen Schnaps, Pferdejäger?«
Ich wollte.
Und dann saßen wir uns beim Lampenschein an seinem narbigen Schreibtisch gegenüber.
»Was ist hier los?«, fragte ich.
Er verzog sein stoppelbärtiges Gesicht.