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Am nördlichen Ende der Laramie-Prärie, etwa fünf Meilen östlich der Sweetwater-River-Mündung, hört Cash Kilrain endlich die Herde in der Nacht. Es sind typische Geräusche, die zusammen eine Art auf- und abschwellendes Brummen und Schnaufen ergeben. Die Herde ruht.
Es ist eine schwüle Nacht, fast windstill und viel zu warm für die Jahreszeit. Denn es ist schon Oktober, den die Indianer den »Monat des Jahreszeitenwandels« nennen.
Cash Kilrain reitet vorsichtig im großen Halbkreis um die Herde herum und hält auf das Feuer zu, das ihm wie ein rotes Auge in der Nacht den Weg weist.
Als er nahe genug heran ist, ruft er das Feuer an, wie es Sitte ist. Er ruft mit ruhiger Stimme, um die Herde nicht zu erschrecken. Dann reitet er weiter.
Als er die beiden Wagen und den Lichtschein des Feuers erreicht, sagt eine harte Mannerstimme: »Niemand hat Sie eingeladen, Mann. Als Sie in der Nacht herumbrüllten, hat niemand geantwortet. Oder?«
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Seitenzahl: 158
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Todesfährte
Vorschau
Impressum
Todesfährte
Am nördlichen Ende der Laramie-Prärie, etwa fünf Meilen östlich der Sweetwater-River-Mündung, hört Cash Kilrain endlich die Herde in der Nacht. Es sind typische Geräusche, die zusammen eine Art auf- und abschwellendes Brummen und Schnaufen ergeben. Die Herde ruht.
Es ist eine schwüle Nacht, fast windstill und viel zu warm für die Jahreszeit. Denn es ist schon Oktober, den die Indianer den »Monat des Jahreszeitenwandels« nennen.
Cash Kilrain reitet vorsichtig im großen Halbkreis um die Herde herum und hält auf das Feuer zu, das ihm wie ein rotes Auge in der Nacht den Weg weist.
Als er nahe genug heran ist, ruft er das Feuer an, wie es Sitte ist. Er ruft mit ruhiger Stimme, um die Herde nicht zu erschrecken. Dann reitet er weiter.
Als er die beiden Wagen und den Lichtschein des Feuers erreicht, sagt eine harte Mannerstimme: »Niemand hat Sie eingeladen, Mann. Als Sie in der Nacht herumbrüllten, hat niemand geantwortet. Oder?«
Er sitzt ruhig auf einem scheckigen Wallach. Das Tier wirkt struppig und mager. Bei Tag würde man besser die Narben in seinem Fell erkennen können. Dieser Wallach ist gewiss ein indianisches Kriegspferd.
Cash Kilrain ist geschmeidig und gut proportioniert. Er trägt keine Sporen an den weichen Stiefeln. Es sind ungefärbte Stiefel. Seine Hose ist aus festem Cord. Über dem grünen Flanellhemd trägt er eine mit Fransen besetzte Lederjacke. Ein Colt und ein alter Hut vervollständigen sein Äußeres.
Vielleicht wirkt sein Gesicht etwas zu klein auf seinen Schultern. Aber es ist ein gut geschnittenes Gesicht mit dunklen und harten Linien. Seine Augen scheinen grau zu sein.
Sein Alter? Auf den ersten Blick wirkt er jünger, etwa Mitte zwanzig. Aber wenn man ihn richtig ansieht, dann hält man es für möglich, dass er bis zu zehn Jahren älter sein könnte.
»Sind Sie taub, Mann?«, ruft der Sprecher nun und tritt ein Stück vor.
»In diesem Land«, sagt Cash Kilrain sanft, »ist man nett zueinander. Und wenn Besucher ans Feuer kommen, dann lässt man sie absitzen und lädt sie ein. So ist das hier in Wyoming und Montana.«
»Pack dich, Lederstrumpf«, erwidert der Mann nur. »Oder ich mache dir Beine!«
»Nein, er ist eingeladen«, sagt da eine Frauenstimme. »Bitte, sitzen Sie ab, Mister. Wir haben auch noch etwas vom Abendbrot übrig.«
Die Sprecherin tritt vom Wagen weg. Sie ist bis jetzt nicht als Frau zu erkennen gewesen, weil sie angezogen ist wie ein Mann und auch den Kopf gesenkt gehalten hat, sodass die Krempe ihres Hutes ihr Gesicht verborgen hat.
Doch nun kommt sie näher. Dicht neben dem Feuer hält sie inne und sieht zu Cash Kilrain empor. Der Feuerschein beleuchtet nun ihr Gesicht. Er erkennt, dass sie zu jener Sorte gehört, die ein Mann selbst nach einer kurzen Begegnung nicht so schnell wieder vergessen kann.
Ihr Mund ist vielleicht etwas zu groß, aber es ist ein vitaler, leidenschaftlicher Mund, der gewiss eine Menge von ihren Gefühlen und Empfindungen verraten kann. Ihre Augen scheinen im Feuerschein grünlich zu schimmern. Obwohl sie Männerkleidung trägt, die ihr etwas zu groß ist, kann Cash Kilrain unschwer erkennen, dass alles richtig an ihr ist.
Er greift an die Hutkrempe.
»Ich bedanke mich, Ma'am«, sagt er. Dann sitzt er ab. Es ist eine geschmeidige Bewegung. Dabei behält er jenen Mann, der so unfreundlich drohte, ihm Beine zu machen, wachsam im Auge. Man spürt irgendwie, dass er völlig furchtlos bereit ist, auch einer tätlichen Unfreundlichkeit zu begegnen.
Der Atem von Abweisung, der zuvor in diesem Camp wehte und der durch die Einladung der Frau gemildert wurde, ändert sich nun.
Irgendwie hängt Drohung und Gefahr über diesem Camp. Ein paar Männer sind da und dort zu erkennen. Sie haben sich alle vom Feuer entfernt, weit genug, um vom Lichtschein nicht mehr angeleuchtet zu werden.
Cash Kilrain zählt insgesamt fünf Männer und die Frau. Draußen bei der Herde sind ein oder zwei Herdenwächter. Dies alles ist also eine recht kleine Mannschaft.
»Na schön«, sagt der Sprecher und bemüht sich, die Wut in seiner Stimme zu unterdrücken und diese nur noch ärgerlich und schon ein wenig gönnerhaft klingen zu lassen.
»Na schön, ein Tramp also, der eine warme Mahlzeit haben möchte. Gib sie ihm, Bones, damit er weiterreiten kann. Ich möchte keine Fremden hier bei uns und unserer Herde. Ich will hier nicht ausspioniert werden. Also, dann Beeilung und nichts als Beeilung!«
»Langsam, Bart«, widerspricht die Frau. »Wir sind nicht genug Treiber bei der Herde. Und vielleicht können wir nun Hilfe bekommen. Mister, suchen Sie außer einem Abendbrot vielleicht auch noch einen Job?«
Sie tritt bei der Frage dichter an ihn heran, bis sie nur noch eine Armlänge von ihm entfernt ist. Er kann im Feuerschein nun deutlich die Bitte in ihren Augen erkennen.
Mit seinem ganzen Instinkt spürt er, dass sie Hilfe braucht, und zwar nicht so sehr beim Treiben dieser Herde, sondern überhaupt.
Er würde sich gerne die Männer im Camp etwas genauer ansehen, doch sie halten sich weit genug abseits, auch jener Bart, der wahrscheinlich mit dem Vornamen Barton heißt.
»Ja, ich suche einen Job«, sagt er. »Als ich die Rinderfährte sah und begriff, dass man hier eine Herde durch Wyoming treibt, da hoffte ich, einen Job zu bekommen.«
»Aber er ist kein Cowboy, kein Rindermann«, sagt jener Bart scharf.
»Richtig«, erwidert Cash Kilrain nickend in seine Richtung. »Dafür kenne ich mich aber in diesem Land aus bis hinauf ins Goldland von Montana. Und ich kenne nicht nur das Land, sondern auch die Armee und die Indianer. Besonders Letzteres solltet ihr euch alle hinter die Ohren schreiben.«
Nach diesen Worten tritt er noch näher an das Feuer, hockt sich beim Kaffeekessel nieder, nimmt eine der Blechtassen und schenkt sich mit der Kelle ein. Das Feuer beleuchtet ihn noch intensiver.
Und nun endlich erkennen sie alle, wie hart er ist. In seinem etwas hohlwangigen Gesicht sind auch einige Narben. Und als er den Hut in den Nacken schiebt, sehen sie, dass er rote Haare hat.
»Dieser Red kennt die Indianer«, sagt eine Fistelstimme. Sie gehört jenem Bones, der für die Mannschaft kocht. Bones bringt nun einen gefüllten Blechteller herüber. Er reicht ihn dem Fremden und wiederholt dabei: »Dieser Red kennt die Indianer. Und das wäre doch wohl eine Beruhigung für uns alle. Oder nicht?«
Zuerst sagt niemand ein Wort. Und dabei wird Cash Kilrain klar, dass sie alle auf die Entscheidung dieses Bart warten, dessen Nachnamen er noch nicht kennt. In diesem Camp ist Bart der Bulle. Wahrscheinlich führt er die Herde und gibt der Mannschaft die Befehle. Und jetzt lässt er sich mit der Antwort Zeit.
Erst nach einer Weile sagt er: »Diese Herde wird im Goldland von Montana mit Gold aufgewogen. Jedes Tier war an der Kansasbahn nur zehn bis zwölf Dollar wert. Aber wenn im Goldland von Montana der Schnee fällt, bringen sie den zwanzigfachen Preis. Dieses Geschäft würden auch andere Leute gerne machen. Und wer sagt uns, dass dieser rothaarige Lederstrumpf und Indianerkenner nicht zu diesen anderen Leuten gehört? Vielleicht führt er uns in eine Falle. Ich traue ihm nicht.«
»Aber ich«, sagt da die Frau. »Ich traue ihm. Und mir gehört die Herde. Ich stelle ihn ein.«
Nach diesen Worten bleibt es wieder lange still. Cash Kilrain isst währenddessen ruhig weiter. Er kauert am Feuer, aber er tut es nicht nach Indianerart, sondern wie ein Cowboy auf den Absätzen.
»Sie nehmen doch den Job an?«, fragt die Frau ihn nach einer Weile.
Er nickt kauend.
»Sie arbeiten nicht für Lohn, sondern gegen Beteiligung«, sagt sie. »Der halbe Erlös für die Herde gehört der Mannschaft. Zufrieden?«
Er nickt und fragt: »Und es handelt sich hier um eine Fleischherde für die Goldgräber am Ende des Bozeman Trails?«
»Richtig, Mister.«
»Mein Name ist Kilrain, Cash Kilrain«, murmelt er und zeigt mit der Gabel auf jenen Bart. »Und wer ist das? Der Vormann?«
»Ich bin Bart Stiles«, erwidert dieser. In seiner Stimme ist eine gefährliche Gelassenheit. Er tritt nun in den Bereich des Feuerscheines, und er ist ein großer, zäher Mann, dunkelhaarig und helläugig.
Er ist gewiss ein beachtlicher Mann, was seine männlichen Fähigkeiten betrifft. Aber ob er ein guter oder schlechter Mann ist, dies richtet sich gewiss stets nach den jeweiligen Zielen und Hindernissen.
Er hält vier Schritte vom Feuer entfernt auf der anderen Seite an, stemmt seine Hände lässig gegen die Hüften und sagt: »Wir brauchen keinen Lederstrumpf. Jetzt haben wir lange genug herumgetändelt, Cash Kilrain. Wenn Sie jetzt nicht augenblicklich verschwinden, werde ich Sie aus diesem Camp prügeln. Also vorwärts! Vorwärts, Mister!«
Cash Kilrain aber grinst nur kauend. Er hockt immer noch auf die gleiche Weise am Feuer. Mit der Gabel zeigt er zur Seite.
»Sie ist der Boss«, sagt er.
Und da kommt Barton Stiles auch schon. Er springt plötzlich los und legt die Entfernung von vier Schritten über das Feuer hinweg mit zwei schnellen Sprüngen zurück.
Dann aber klappt es nicht mehr so nach seinem Sinn. Sein Fuß, verlängert durch sein langes Bein, sollte Cash Kilrain gewiss den Kopf von den Schultern treten. Und damit wäre der Kampf auch schon erledigt gewesen.
Barton Stiles ist offensichtlich ein Bursche, der jeden Widerstand und jeden Gegner sofort auf die radikalste Art zu zerbrechen versucht. Er ist kein Gentleman, kein ritterlicher Gegner – nein, er zerbricht den anderen.
Doch sein Fuß trifft ins Leere. Der am Boden hockende Kilrain warf sich rechtzeitig zur Seite. Stiles taumelt von der Wucht seines Fehltrittes. Er fällt sogar auf ein Knie und muss sich mit den Händen am Boden abfangen.
Aber er ist unheimlich schnell wieder auf den Beinen. Für einen so großen und schwergewichtigen Mann ist er außergewöhnlich schnell.
Doch Cash Kilrain ist noch schneller. Obwohl kleiner und gewiss mehr als zwanzig Pfund leichter, in der Reichweite unterlegen, trifft er Barton Stiles zweimal hart in die Körperpartien und zieht dann einen Aufwärtshaken hoch. Doch dieser Aufwärtshaken sitzt nicht. Kilrains Faust radiert nur am Kinnwinkel vorbei am Ohr entlang nach oben.
Die Wucht des Fehlschlages lässt ihn gegen Barton Stiles prallen. Und da umfasst Stiles ihn mit seinen langen, sehnigen Armen, in denen eine unheimliche Kraft steckt, wie nur ein Mann sie erwirbt, der jahrelang Lassoarbeit bei wilden Pferden und nicht weniger wilden Longhornrindern verrichtet hat.
Sie fallen beide, rollen sich durch das Feuer, reißen das eiserne Dreibein mit dem daran hängenden Kaffeekessel um. Es zischt scharf, und Dampf breitet sich aus, als der Kaffee ins Feuer kippt. Die Kleidung der Männer beginnt zu qualmen. Aber weil sie bald darauf aus dem Feuer rollen, und noch mehrmals hin und her über den Grasboden, ersticken sie den Brand an ihren Kleidern.
Sie sind wie besessen, kämpfen mit aller Wildheit und wenden jedes Mittel an, um den Gegner zu erledigen.
Cash Kilrain kann sich irgendwie von Bart Stiles befreien, sprengt dessen Umklammerung, und es wird nun immer mehr ersichtlich, dass er schneller ist als Stiles und noch mehr böse Tricks kennt als dieser.
Kilrains Schläge kommen schneller, sind präziser und wahrscheinlich auch härter. Und sicher hat er als Bergläufer auch eine bessere Lunge als der Rindermann.
Aber so schnell gibt ein Mann wie Barton Stiles sich nicht geschlagen. Er kann kämpfen bis zur Selbstaufopferung, kann nehmen und auch austeilen.
Es ist ein schrecklicher Kampf, der länger als eine halbe Stunde dauert. Und manchmal stöhnen die Zuschauer. Bones, der Koch, ruft einmal: »Heiliger Rauch, kann man nicht ein Ende machen? Los, Jungs, wir reißen sie auseinander, bevor sie sich umbringen. Mrs. Dunn, vielleicht hören die beiden Bullen auf Sie!«
Aber keiner der Männer bewegt sich.
Auch die Frau tut nichts, sagt nichts.
Es ist im Schein des arg auseinander gerissenen und immer noch dampfenden Feuers nur undeutlich zu erkennen, wer nun Sieger blieb, als der Kampf sein Ende findet.
Einer der beiden Kämpfer erhebt sich. Und einer bleibt liegen. Er macht zwar noch den Versuch, sich aufzustemmen und ein Knie unter sich zu ziehen, doch er gibt es dann auf und bleibt mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegen.
Kilrain ist es, der sich erhebt. Er steht schwankend da. Und die Frau sagt: »Cash Kilrain, dort drüben ist ein Creek.«
Er nickt keuchend. Dann tritt er schwankend an sein Pferd, öffnet die Satteltasche und holt sein in ein Handtuch eingewickeltes Waschzeug hervor. Damit verschwindet er. Unterwegs noch hält er an und hebt seinen Colt auf, der während des Kampfes aus seinem Holster rutschte. Er steckt ihn ein. Zwei oder drei Schritte weiter erblickt er im stärker werdenden Feuerschein den Colt seines geschlagenen Gegners im zertrampelten Gras.
Er hält inne, und man sieht ihm an, dass er jetzt überlegt, ob er die Waffe an sich nehmen oder unbeachtet lassen soll. Ihm fehlt es noch so sehr an Sauerstoff, dass sein Hirn Schwerarbeit leisten muss, eine Entscheidung zu finden. Er kann gewiss nur mit der Schwerfälligkeit eines Betrunkenen denken.
Er stößt die Waffe mit dem Fuß zur Seite und verschwindet in der Dunkelheit. Bis zum Creek ist es nicht weit, nur zwei Dutzend Schritte und dann das Steilufer hinunter. Unten seufzt er stöhnend und voll Bitterkeit. Dann legt er sich am Rand des Wassers auf den Bauch und taucht sein Gesicht in die Kühle, immer wieder und wieder.
Noch nie hat er so hart mit einem Mann kämpfen müssen. Müssen? Ja, müssen, denn er will zu dieser Herdenmannschaft gehören. Er hat wichtige Gründe dafür. Und weil dieser Barton Stiles ihn instinktiv als Feind und vielleicht auch als Konkurrenten ansah und ihn sozusagen wegbeißen wollte, musste er ihn niederkämpfen.
Nach einer Weile rollt er das Handtuch auseinander. Er findet bei seinem Wasch- und Rasierzeug auch einen Alaunstein. Als er ihn befeuchtet und mit der so hergestellten Alaunbrühe seine Risse im Gesicht betupft hat, muss er vor Schmerzen stöhnen. Denn es brennt nun fürchterlich. Aber er ist sich sicher, dass er bald nicht mehr blutet und seine Wunden sich schneller zusammenziehen werden.
Dann liegt er wieder still, kühlt seine zerschlagenen Handknöchel und riecht den Gestank seiner Lederjacke, die am Rücken arg verbrannt wurde. Er zieht die Jacke aus.
Noch ist die schwüle Wärme des Tages in der Luft, und der Boden ist warm.
Er streckt sich aus und versucht sich zu entspannen und seine verkrampften Muskeln zu lösen.
Die Menschen fügen sich immer wieder Böses zu. Und auch er wird gewiss bald auf eine böse Weise Gutes tun.
Er ist einem Mörder auf der Spur. Und die Fährte dieses Mörders führt zu dieser Treibherde. Jetzt gehört er selbst zur Mannschaft. Und irgendwie und irgendwann wird er den Mörder seines Bruders und seiner Schwägerin innerhalb dieser Mannschaft finden. Dessen ist er sich sicher. Denn er wird mit den Männern eine lange Zeit zusammen sein.
Barton Stiles war von Anfang an gegen ihn. Fürchtet sich Stiles vor Verfolgern? Ist er deshalb so misstrauisch gegen jeden harten und vielleicht ebenbürtigen Fremden? Ist Barton Stiles der Mörder?
Er liegt wieder still da und denkt darüber nach. Natürlich darf er nicht vorschnell urteilen. Stiles kann völlig andere Gründe dafür haben, keinen Fremden in die Mannschaft aufzunehmen.
Allerdings wäre ein Bursche wie Stiles zu solch einer Tat fähig. Denn seine Kampfesweise verriet viel über ihn. Stiles kann gemein werden, gemein und ehrlos. Und nur solch ein ehrloser Bursche kommt als Mörder in Betracht.
Cash Kilrain rollt sich auf die Seite und zieht im Liegen seinen Colt, als er leise Schritte durch das Gras streifen hört. Er ist bereit für Barton Stiles, sollte dieser inzwischen munter genug geworden sein, um es diesmal mit einem Colt zu versuchen.
Doch es ist nicht Barton Stiles.
Rosy Dunns Stimme fragt leise: »Cash Kilrain, wo sind Sie?«
»Hier«, sagt er.
Sie kommt ruhig zu ihm und setzt sich dicht in seiner Nähe auf einen Stein.
»Geht es Ihnen jetzt etwas besser, Cash Kilrain?«, fragt sie nach einer Weile. Und sie fügt hinzu: »Ich glaubte nicht, dass jemand Barton Stiles schlagen könnte. Alle haben sie Angst vor ihm. Diese Mannschaft ist hart und verwegen, und dennoch kann Barton Stiles sie mit der bloßen Faust bändigen. Er war der große Bulle im Corral, bis Sie kamen, Kilrain. Und nun, da Sie bei uns bleiben, bin ich nicht mehr in Barton Stiles' Hand.«
Kilrain setzt sich langsam auf und fragt: »Waren Sie das, Mrs. Dunn?«
Sie ist ihm nahe genug, dass er sie in der Dunkelheit nicken sehen kann.
»Was glauben Sie denn?«, fragt sie ihn herb. »Gewiss, mir gehört die Herde. Ich versprach den Männern auch die Hälfte des Erlöses als Anteil. Doch die Männer hörten auf Stiles. Und Stiles wollte auch mein Boss sein. Verstehen Sie, Cash? Stiles wollte nicht nur meine Herde treiben und Geld als Lohn.«
»Ich verstehe«, murmelt Kilrain. »Sie sind schön, Mrs. Dunn, sehr schön und reizvoll. Und dieser Stiles ist wahrscheinlich ein Bursche, der sich hier in der Wildnis jede Frau einfach nimmt, die er haben möchte. Es ist ja auch nicht gerade üblich, dass eine schöne Frau mit einer Treibmannschaft durch Wyoming zieht, eine Herde treibt und damit im Goldland auf einen Schlag reich werden möchte. Barton Stiles wusste zu gut, dass Sie ihn brauchen und dass ohne ihn alles zusammenbrechen würde, weil keiner der anderen Männer das Format besitzt, die Herde ans Ziel zu bringen. Und weil Stiles nicht gerade zu der fairen und ritterlichen Sorte gehört, forderte er seinen Preis.«
Wieder kann er sie im Dunkeln nicken sehen.
»Aber jetzt sind Sie ja da«, murmelt sie. Ihre Stimme bekommt dabei einen dunkleren und wärmeren Ton. »Sie konnten ihn schlagen. Und Sie gehören jetzt zur Mannschaft. Sie werden mich beschützen. Stiles wird sich nichts mehr herausnehmen. Vielleicht wird er uns sogar verlassen.«
Darüber denkt Kilrain einige Atemzüge lang nach.
»Nein«, sagt er dann. »Wenn Stiles etwas haben will, dann gibt er es auch nicht nach einer verlorenen Schlägerei auf. Vielleicht schlägt er mich beim nächsten Mal. Und er hat ja auch noch andere Möglichkeiten. Wir werden sehen. Jedenfalls bleibe ich bei dieser Mannschaft. Doch erklären Sie mir endlich, Mrs. Dunn, warum Sie als Frau mit einer Herde unterwegs sind.«