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Die Jungen vor dem Store, die träge in der warmen Maisonne kauern und wie ein Wurf schnurrender Katzen die Wärme genießen, werden plötzlich aufmerksam, als sie den jungen Tramp erblicken, der von Süden her in den Ort gehinkt kommt. Dieser Tramp ist nicht älter als sie, etwa dreizehn oder vierzehn Jahre. Er wirkt wie ein magerer, struppiger und zerzauster Gassenkater. Das träge Rudel vor dem Store betrachtet ihn aufmerksam und scharf. Es sind die Söhne von Bürgern, von Geschäftsleuten und Handwerkern, und für sie ist ein Tramp das Unsolideste, was es gibt. Der größte und älteste Junge des Rudels sagt entschlossen: »Den müssen wir aus der Stadt jagen! Seht, er will in den Store. Gewiss wird er bei meinem Vater betteln wollen. Aber das lasse ich nicht zu. Wir werden ihm klarmachen, dass er auf dem schnellsten Wege aus der Stadt zu verschwinden hat.« Er stellt sich an den Rand der Treppe, die von der Fahrbahn auf den zur Veranda ausgebauten Gehsteig vor den Store-Eingang führt, und blickt auf den rotköpfigen Tramp nieder. »Was willst du hier in unserer sauberen Stadt, Reddy?«, fragt er, und er kopiert dabei im Tonfall und in seiner ganzen Art die Erwachsenen dieser Stadt, wenn sie mit Tramps reden ...
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Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Zum Kämpfer geboren
Vorschau
Impressum
Zum Kämpfer geboren
Die Jungen vor dem Store, die träge in der warmen Maisonne kauern und wie ein Wurf schnurrender Katzen die Wärme genießen, werden plötzlich aufmerksam, als sie den jungen Tramp erblicken, der von Süden her in den Ort gehinkt kommt.
Dieser Tramp ist nicht älter als sie, etwa dreizehn oder vierzehn Jahre. Er wirkt wie ein magerer, struppiger und zerzauster Gassenkater.
Das träge Rudel vor dem Store betrachtet ihn aufmerksam und scharf. Es sind die Söhne von Bürgern, von Geschäftsleuten und Handwerkern, und für sie ist ein Tramp das Unsolideste, was es gibt.
Der größte und älteste Junge des Rudels sagt entschlossen: »Den müssen wir aus der Stadt jagen! Seht, er will in den Store. Gewiss wird er bei meinem Vater betteln wollen. Aber das lasse ich nicht zu. Wir werden ihm klarmachen, dass er auf dem schnellsten Wege aus der Stadt zu verschwinden hat.«
Er stellt sich an den Rand der Treppe, die von der Fahrbahn auf den zur Veranda ausgebauten Gehsteig vor den Store-Eingang führt, und blickt auf den rotköpfigen Tramp nieder. »Was willst du hier in unserer sauberen Stadt, Reddy?«, fragt er, und er kopiert dabei im Tonfall und in seiner ganzen Art die Erwachsenen dieser Stadt, wenn sie mit Tramps reden ...
Der Rotkopf hat ein mageres, ernstes, ruhiges Gesicht. Es sind einige Sommersprossen darin und zwei blaugraue Augen, die ruhig und fest blicken. Dieser Blick verwirrt den Stadtjungen sichtlich. Er spürt plötzlich, dass sein eigener Blick ausweicht. Und darüber wird er wütend.
»Wenn ich einem verlausten Tramp eine Frage stelle«, sagt er heiser, »dann will ich eine schnelle Antwort, verstanden? Oder ich bringe dir Manieren bei! Was willst du hier?«
Der Rotkopf betrachtet ihn immer noch ernst.
Dann sagt er ruhig: »Dies ist ein Store. Und ich habe Geld! Ich will etwas kaufen. Also gib mir den Weg frei, Junge!«
Er setzt seinen Fuß auf die erste Stufe. Er trägt alte Cowboystiefel, die ihm sicherlich zu groß sind und die überdies einen jämmerlichen Anblick bieten.
Doch der Sohn des Storehalters weicht nicht. Er sagt mit der bösen Mitleidlosigkeit, die nur ein dummer Junge aufbringen kann, der nicht viel von den Dingen des Lebens weiß und dem es stets gut gegangen ist: »Verschwinde, Tramp! Ich glaube nicht, dass du Geld hast! Und wenn du welches hast, dann ist es bestimmt gestohlen! Los, gib schon zu, dass du es gestohlen hast! Denn sonst muss ich dich verprügeln und dann zu unserem Sheriff bringen!«
Der Rotkopf nimmt seinen Fuß von der Treppenstufe. Dann blickt er auf die anderen Jungen. Sie grinsen ihn an. Er erkennt ihre Freude an dieser Sache und begreift, dass er die Katze sein soll, der man eine Büchse an den Schwanz binden will.
Seine blaugrauen Augen werden für einen Moment schmal. Er schluckt mühsam, als säße ihm ein Kloß im Hals, den er hinunterwürgen müsste. Doch dann hat er alles überwunden.
Er wendet sich ab und geht davon.
Vielleicht wäre er nicht davongekommen, denn er war ja schon dazu ausersehen, diesen Jungen einen Zeitvertreib zu liefern. Doch er erhält seine Chance. Denn gerade in dieser Minute kommt das genaue Gegenteil von ihm in die Stadt.
Und dieses Gegenteil ist den Stadtjungen schon bekannt. Sie nehmen deshalb sofort ihre Aufmerksamkeit von dem Tramp und richten sie auf das neue Objekt.
Es erscheint ihnen aus mehr als nur einem Grund noch lohnender. Und es ist in der Tat ein sehr herausforderndes Objekt für jeden Jungen.
Es ist ebenfalls ein Junge. Er kommt auf einem verrückt gescheckten Cowpony angeritten, schnell und wild, stolz und ganz so, als wäre diese Stadt keine Stadt, sondern eine Ranch.
Dieser Junge auf dem Pony ist wie ein Cowboy gekleidet. Er sitzt in einem kostbaren Sattel. Seine Stiefel sind Maßarbeit, und die Sporen sind versilbert. Es ist ein hübscher Junge, und er bewegt sich sehr selbstsicher. Er hat sogar einen dieser neumodischen kurzen Winchester-Karabiner im Sattelschuh stecken.
Als er vor dem Store das Pferd zurückreißt, geht es mit der Vorderhand hoch. Das Tier wirbelt eine Staubwolke auf, und der Junge gleitet geschmeidig wie ein Indianer aus dem Sattel.
Er bindet das schwitzende, keuchende Tier mit einer lässigen Bewegung am Haltebalken fest, blickt sich um, entdeckt auch den rotköpfigen Tramp, der nun auf der anderen Straßenseite an der Ecke einer Gasse steht, und wendet sich dann dem Aufgang des Stores zu.
Doch hier stehen nun alle Jungen wie eine Mauer.
Er schaut sie an und sagt: »Macht mir den Weg frei!«
Und dann will er hinauf. Er macht das sehr forsch und selbstbewusst, ganz so, als wäre er felsenfest davon überzeugt, dass die Gruppe vor ihm zur Seite treten würde.
Aber er hat Pech.
Die Stadtjungen weichen keinen Zoll. Er prallt, als er auf der mittleren Stufe ist, mit der Brust gegen das hochgezogene Knie des Anführers, der oben auf der Veranda steht. Das Knie stößt ihn in den Staub der Fahrbahn.
Er liegt dort einige Sekunden auf dem Rücken. Und als er sich erhebt, hört er den Stadtjungen sagen: »Ihr großspurigen Kuhtreiber! Gestern war die Mannschaft eurer Treibherde in der Stadt und hat sich wie eine betrunkene Indianerbande aufgeführt. Sie haben hier Streit angefangen, einige Bürger verprügelt und den Saloon fast zu Brennholz geschlagen. Sie haben Fensterscheiben zerschossen und ...«
Der Sprecher muss aufhören, denn er ist in Atemnot gekommen.
Der jugendliche Reiter gehört also zu einer Treibherde, deren Mannschaft sich am Tag zuvor hier ziemlich wild und zügellos ausgetobt hat, wobei die Städter offenbar die Benachteiligten waren.
Und diese Tatsache fraß wohl schon den ganzen Tag am Stolz ihrer hoffnungsvollen Söhne.
Jetzt haben sie diesen Sohn eines Rindermannes in der Klemme.
Sie haben den jungen Tramp völlig vergessen. Sie versprechen sich jetzt nicht nur einen rauen Spaß, sondern sie erhoffen sich auch eine gewisse Befriedigung und Revanche für das, was die Rinderleute gestern ihren Vätern und dieser Stadt angetan haben.
Ein anderer Junge ruft: »Der Marshal hat euch allen unsere Stadt verboten! Und du hast dich dennoch hereingewagt. Jetzt bekommst du für all deine Leute eine Abreibung, dass du immer daran denken wirst!«
Der Junge aus dem Herdencamp erkennt nun die Gefahr. Er will die Flucht ergreifen, doch es gelingt ihm nicht mehr, wieder in den Sattel zu kommen. Von seiner Großspurigkeit und der Sicherheit seines Auftretens ist nichts mehr vorhanden.
Er stößt einen schrillen Ruf aus und will das Gewehr aus dem Sattelschuh zerren.
Doch das schafft er auch nicht mehr. Die Jungen drängen ihn vom Pferd weg um die Ecke des Stores in die Gasse hinein und beginnen ihn zu verprügeln. Sie halten ihn fest und ziehen ihn mit dem Oberkörper weit genug herunter, sodass er seine Kehrseite zeigen muss. Sie haben auch einen abgebrochenen Besenstiel und eine geschmeidige Gerte zur Hand.
Und nun beginnen sie, ihm den Hosenboden zu versohlen. Er brüllt vor Wut und Schmerz zugleich.
Natürlich ging das alles nicht unbemerkt vonstatten. Denn es waren ja einige Bürger auf der Straße. Andere Bürger treten aus den Häusern und Läden oder zeigen sich in Fenstern und Türen.
Doch alle verhalten sich passiv, ja, die meisten dieser erwachsenen Zuschauer empfinden sogar eine gewisse Befriedigung.
Der junge Tramp, der an der Ecke steht, erkennt es, und er hört sogar einen der Bürger sagen: »Das schadet diesem Bengel nichts! Gar nichts! Unsere Jungs sollen ihn ruhig verprügeln! Denn die ganze Rindermannschaft hat Stadtverbot! Diese lausige Bande vom Brazos darf sich nicht mehr hier blicken lassen. Also darf sie auch nicht diesen Jungen dort schicken.«
Der Barbier, der aus seinem Laden getreten war, ist anderer Meinung: »Aber das kann schlimm werden, Ben! Dieser Junge ist Brian Chishums einziger Sohn! Wenn er von unseren Söhnen zu schlimm verprügelt wird, dann könnte es sein, dass Brian Chishum mit seiner Mannschaft angeritten kommt und sich um das Stadtverbot überhaupt nicht kümmert.«
Der Sattelmacher zuckt leicht zusammen und ruft: »Ho, dann müssen wir wohl die Bürgerwehr alarmieren! Diesmal lassen wir uns nicht von einer Bande Kuhtreiber schlagen!«
Er betastet dabei sein zugeschwollenes Auge, das er sich am Vortag im Saloon holte.
Der rotköpfige Tramp aber läuft nun schräg über die Straße auf die Gasse zu, in der die Jungen mit ihrem Opfer verschwunden sind. Die Leute sehen es, doch sie haben keine Sorge. Sie glauben am Anfang nur, dass der zerlumpte Junge, der von irgendwoher in die Stadt kam, sich die Prügelei aus der Nähe betrachten will.
Doch der rotköpfige Tramp hält in der Gasse nicht an, um zuzusehen. Er reißt den ersten Jungen – es ist der mit dem abgebrochenen Besenstiel, der gerade wieder damit zuschlagen will – an der Schulter herum und schlägt ihm die Faust auf die Nase.
Dann stürzt er sich auf die beiden, die den Jungen aus dem Herdencamp am rechten Arm und am Kopf gepackt halten.
Der Tramp ist sehr schnell und entschlossen. Er schlägt genau und für sein Alter und Körpergewicht sehr hart. Seine blaugrauen Augen blitzen dabei, und auch sein Mund ist zu einem blitzenden Lächeln geöffnet.
Durch seinen Angriff, der schweigend, doch unwahrscheinlich schnell und entschlossen kommt, gelingt es dem Jungen aus dem Rindercamp, sich zu befreien. Er schlägt sofort wild und verzweifelt um sich.
Auf jeden Fall bilden die beiden Jungen – der Tramp und der Sohn eines Rindermannes – sofort ein gutes Paar, das sich prächtig ergänzt. Sie nehmen es mit dem ganzen Rudel auf, stehen manchmal Rücken an Rücken und lassen die Fäuste fliegen. Sie verschaffen sich mit genauen und harten Schlägen Respekt, und als die kleineren Jungen der Bande genug bekommen haben und zaghafter werden, da stürzen sie sich auf die größeren Anführer und achten nicht auf die Hiebe, die sie einstecken müssen. Sie teilen ja selbst genügend aus.
Gerade diese Achtlosigkeit gegenüber den erhaltenen Schlägen und ihre scheinbare Unempfindlichkeit für die Schmerzen wirkt etwas erschreckend und deprimierend auf die Stadtjungen. Sie spüren plötzlich jene Härte, die ihnen fehlt.
»Los! Zum Pferd müssen wir!«, zischt der Tramp dem anderen Jungen zu.
Sie schlagen sich nun aus der Gasse heraus. Doch es wird dann bald darauf leichter.
Ein Mann taucht auf, der einen Stern trägt. Und dieser Mann ruft laut: »Wollt ihr wohl aufhören! Wollt ihr wohl! Ich sperre euch ein! Alle sperre ich ein, die jetzt nicht aufhören!«
Der Mann ist der Marshal dieser Stadt. Sein Eingreifen kommt den Stadtjungen nicht ungelegen, denn sie hören sofort auf, die beiden anderen zu bedrängen.
Als der Marshal sich den etwas seltsamen Partnern zuwendet, sitzen diese schon auf dem Cowpony. Das kleine, doch sehr drahtige und schnelle Tier springt an und läuft die Straße hinunter auf den Stadtausgang zu.
Von allen Seiten werden den Flüchtlingen Schimpfworte und Drohungen nachgerufen. Viele Fäuste werden drohend geschüttelt. Ja, alle sind auf die Treibmannschaft, die am Vortag in der Stadt war, sehr schlecht zu sprechen.
✰✰✰
Als sie etwa eine Meile zurückgelegt haben, lässt der Junge das Pferd im Schritt gehen. Sie erreichen einen flachen Creek, durch den die Wagenstraße führt.
Sie sitzen ab und betrachten sich.
Beide sind von Hieben gezeichnet. Ihre Kleidung ist zerrissen. Man sieht ihnen an, dass sie eine wilde Prügelei hinter sich haben.
»Diese Strolche«, sagt der Ranchersohn. »Das sollen sie mir büßen!«
Er spricht es aus, als wäre ihm etwas Ungeheuerliches zugestoßen. Doch der Tramp grinst ihn an und sagt trocken: »Es waren sieben. Und wir sind nur zwei. Wenn du richtig nachdenkst, dann musst du dir doch sagen, dass wir nicht schlecht abschnitten, nicht wahr?«
Der schwarzköpfige hübsche Ranchersohn denkt einige Sekunden lang nach. Dann grinst er und nickt heftig. Etwas zu laut und zu lärmend ruft er: »Richtig! Sie waren in der Überzahl. Trotzdem haben wir sie verprügelt! Es kam mir so vor, als wären sie zum Schluss mächtig froh darüber gewesen, dass der Town Marshal kam und Einhalt gebot!«
Er betrachtet seine aufgeschlagenen Handknöchel. Dann betrachtet er den Jungen, der ihm zu Hilfe kam, und es ist eine ganze Skala von Gefühlen und Gedanken von seinem angeschwollenen Gesicht abzulesen.
Geringschätzigkeit, Überheblichkeit sind zuerst zu erkennen, denn er ist nun einmal der Sohn eines reichen Rinderzüchters, und der Rotkopf ist ein Tramp.
Doch dann erkennt man auch freundlichere und gute Gefühle in seinem Gesicht.
»Wie heißt du, Reddy? Und wo kommst du her?«, fragt er.
»Ach, ich komme von Louisiana herüber«, sagt der Rotkopf und betastet vorsichtig seine anschwellende Nase. Er befühlt dann seine Rippen und grinst auf besondere Art. In seinen blaugrauen Augen sind wieder jene Lichter, die so verwegen und lebendig wirken. »Und mein Name ist Jubal McNamara.«
»Ich bin Vance Chishum. Mein Vater ist einer der größten Rinderzüchter vom Brazos-Land.«
Jubal nickt. »Ich habe davon gehört. In Dallas und Fort Worth.«
Sie betrachten sich wieder abschätzend. Dann sagt Vance Chishum: »Hast du keine Eltern? Bist du allein?«
»Ja«, erwidert Jubal McNamara. »Ich bin allein.«
Vance Chishum staunt, und er starrt den Tramp einige Sekunden lang mit weit geöffneten Augen an.
»Wie alt bist du?«, fragt er schließlich.
»Ich werde am vierten Juli vierzehn«, erwidert Jubal.
»He, das ist aber komisch! Ich nämlich auch! Dann haben wir ja zusammen Geburtstag! Genau am Unabhängigkeitstag!«
»Es gibt Zufälle«, murmelt Jubal McNamara. Er hebt die Hand und macht eine Bewegung, die wie ein Abschiednehmen wirkt.
»Nun, Cowboy«, sagt er, »mach's gut!«
Er will sich abwenden, um zu gehen.
»He, Jube, he!«, ruft Vance Chishum sofort.
»Ja?«
»Wo willst du hin, Jube?«
»Irgendwohin.«
»Hast du Geld?«
»Drei Dollar.«
»Was willst du tun?«
»Irgendwo werde ich sicherlich eine Arbeit finden. Die meisten Menschen geben mir Arbeit, denn sie sagen sich, dass ich fast genauso viel arbeiten kann wie ein Mann, sie mir jedoch nicht den Lohn eines Mannes geben müssen. Ich bekomme meist nur das Essen, einen Platz in der Scheune und auch mal einige alte Kleider und Schuhe. Es ist ein erbärmliches Leben, doch eines Tages werde ich ein Mann sein. Und dann ...«
Er verstummt, und sein Blick richtet sich in die Ferne, als könnte er dort irgendwelche Bilder erblicken. Dinge, die er sich wünscht. Ziele, die er erreichen will.
»Und was ist dann?«, fragt Vance Chishum.
»Ich werde ein Cowboy sein, ein Rindermann. Und ich werde eines Tages Vormann einer großen Ranch sein und später selbst eine große Ranch besitzen! Das alles will ich erreichen. Ich weiß, dass ich das schaffen kann.«
Vance Chishums Blick wird nachdenklich. »Vielleicht schaffst du es wirklich«, sagt er. »Oh, sicher wirst du es schaffen! Doch jetzt solltest du mit mir kommen. Mein Vater wird dir Arbeit geben. Bei ihm kannst du ein Cowboy werden. Und er wird dich fair bezahlen, dafür will ich sorgen. Also komm mit mir! Oha, vielleicht bist du in zehn oder zwanzig Jahren unser Vormann! Aber wir kehren nie wieder nach Texas zurück! Meinem Vater wurde die Weide am Brazos River zu eng. Im Norden soll es bessere Weide geben. Die Indianer wurden geschlagen. Ganz Wyoming soll frei sein. Wir sind mit zehntausend Rindern unterwegs, um in Wyoming einige hundert Quadratmeilen Weide zu besetzen. Komm mit uns, Jube! Wir brauchen richtige Kämpfer! Und du bist einer! Das habe ich gemerkt. Du hast mir sehr geholfen. Vielleicht werden wir Freunde, wenn wir uns besser kennen!«
Sie betrachten sich, lächeln und schütteln sich die Hände.
✰✰✰
Das Camp ist groß. Es ist das Camp eines Rinderkönigs, der mit seinen Reitern und all seiner Habe auszieht, um sich ein neues Reich zu erobern – dort irgendwo weit im Norden, weit hinter den großen Strömen, hinter dem Red River, dem Canadian, dem Cimarron, Arkansas und wie sie alle heißen.
Sogar ein Junge begreift, wie viel Entschlossenheit, Wagemut, Selbstvertrauen und Stärke zu dem Vorhaben gehören, das Brian Chishum ausführen will. Er hat den Rancher noch nicht gesehen, doch Jubal ist sich vollkommen darüber klar, dass er einem ganz besonderen Mann gegenübertreten wird.
Am Rand des Camps, dort, wo in einem großen Seilcorral die Remuda für die Herdenarbeit gehalten wird und auch Sattelpferde angebunden sind, hat man eine Feldschmiede aufgebaut.
Einige Männer halten einen bösartigen kohlschwarzen Hengst.
Ein grauhaariger, sehniger und indianerhaft wirkender Riese ist dabei, diesem wilden Tier ein Hufeisen zu verpassen.
Die beiden Jungen rutschen vom Pferd und sehen zu.
»Das ist mein Vater«, sagt Vance, und es klingt viel Stolz mit, obwohl er seiner Stimme einen lässigen, gleichgültigen Tonfall gibt.
Außerdem schwingt noch etwas anderes mit, ein Unterton, den Jubal McNamara nicht deuten kann, obwohl er ihn hört.
Später einmal wird er wissen, dass es ein Beiklang von Sorge war. Der junge Vance Chishum ist jetzt schon besorgt und unruhig bei dem Gedanken, dass er einmal nicht so beachtlich, so groß und überragend werden könnte wie sein Vater und sich seines großen Vaters nicht würdig erweisen könnte.
Ja, diese unbewusste Furcht war damals schon in Vance Chishum.
Die beiden Jungen sehen also zu, wie der Rancher einen wilden Rappen beschlägt, und selbst Jubal kann erkennen, dass der Rancher ein guter Hufschmied ist.
Als er fertig ist, packt er das Pferd fest an der Gebisskette. Er zieht dem Tier mit einer ruhigen, kraftvollen Bewegung den Kopf nieder. Dann sagt er zu den fünf Männern, die das Tier bisher hielten: »Es ist gut, Jungs!«
Sie springen zur Seite. Der Hengst versucht zu steigen, und er feuert nach hinten aus. Er will sich drehen und irgendetwas Verrücktes tun.
Doch der große Mann hält den Kopf des Tieres. Unter den aufgekrempelten Hemdsärmeln sieht Jubal einen Arm, wie er ihn so kraftvoll und stark noch niemals sah. Jubal wundert sich nicht mehr, wie dieser Mann das Pferd bändigt. Und nun hört er ihn sprechen, ruhig reden, leise lachen und schnaufen.
Dann sieht er, wie der wilde Rappen sich beruhigt und sich in den Corral führen lässt.
»Das ist mein Vater«, sagt Vance Chishum wieder, und diesmal klingen seine Worte wie ein Seufzen.
Brian Chishum kommt nun zurück. Er betrachtet seinen Sohn und den Tramp. Auch die Cowboys, die in der Nähe sind, betrachten die Jungen.
»Vance, mit wem hast du dich geprügelt?«, fragt der Rancher nach einem ruhigen, festen Blick.
Und Vance Chishum gibt sofort einen genauen Bericht. Es ist ein sehr knapper Bericht ohne jede Beschönigung oder Aufschneiderei.
Als er endet, nickt Brian Chishum. Unter seinem grauen Schnurrbart lächelt er. Seine Augen blitzen amüsiert.
Und dann sieht er Jubal McNamara an. Dieser erwidert den Blick fest und ruhig, obwohl ihm nun das Herz sehr viel stärker schlägt und er mehrmals trocken schlucken muss.
Noch nie war Jubal so zumute, wenn ihn ein anderer Mann betrachtete und abschätzte. Irgendwie spürt er, dass sich in dieser Minute wahrscheinlich eine ganze Menge für ihn entscheidet.
Dann hört er den Riesen fragen: »Nun, Junge, sag mir, warum du Vance geholfen hast. Du kanntest ihn nicht. Er war nicht dein Freund. Und die Jungen der Stadt waren in der Überzahl. Du musstest damit rechnen, tüchtig Prügel zu bekommen. Dennoch stelltest du dich auf seine Seite. Warum? Gib mir eine ehrliche Antwort, Jubal McNamara.«