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Zuvor muss eines gesagt werden: Fort Grant lag am weitesten im Süden. Etwas weiter nördlich war Fort Thomas gebaut worden, und noch weiter im Norden, schon jenseits des Salt Rivers, lag Fort Apache. Der Wagenweg nach Tucson und Nogales führte vom San Pedro River Valley hinauf in die Santa Catalina Mountains. Es gab dort einen Pass, über den alle mussten, die nach Tucson und Nogales zur Grenze wollten oder von dort kamen. Dieser Weg über den Pass war die Lebensader für alle Menschen, die zwischen dem San Pedro River und dem Santa Cruz River und zwischen Tucson und Nogales lebten. Immer wieder sperrten Apachen diesen Pass, besonders während des Bürgerkrieges, als die Schutztruppen abgezogen wurden, um auf den Kriegsschauplätzen im Osten zu kämpfen. Auch nach dem Krieg blieb alles noch viele Jahre in diesem Zustand. Im Frühjahr 1871 war Captain Allen Harrower mit Lieutenant Brian Blaine, Master Sergeant George McNeely und zwei Schwadronen unterwegs, um im Santa-Catalina-Pass ein befestigtes Camp zu errichten, aus dem möglichst bald ein Fort werden sollte. Dieses Camp, über das es nur spärliche Berichte gibt, nannte man Camp Catalina. Das wenige reichte für mich aus, um mir mithilfe meiner Vorstellungskraft noch einmal alles vor Augen zu führen. Ich will meiner Leserschaft nun schildern, wie ich die Dinge von damals sehe.
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Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Camp Catalina
Vorschau
Impressum
Camp Catalina
Zuvor muss eines gesagt werden: Fort Grant lag am weitesten im Süden. Etwas weiter nördlich war Fort Thomas gebaut worden, und noch weiter im Norden, schon jenseits des Salt Rivers, lag Fort Apache.
Der Wagenweg nach Tucson und Nogales führte vom San Pedro River Valley hinauf in die Santa Catalina Mountains. Es gab dort einen Pass, über den alle mussten, die nach Tucson und Nogales zur Grenze wollten oder von dort kamen. Dieser Weg über den Pass war die Lebensader für alle Menschen, die zwischen dem San Pedro River und dem Santa Cruz River und zwischen Tucson und Nogales lebten.
Immer wieder sperrten Apachen diesen Pass, besonders während des Bürgerkrieges, als die Schutztruppen abgezogen wurden, um auf den Kriegsschauplätzen im Osten zu kämpfen. Auch nach dem Krieg blieb alles noch viele Jahre in diesem Zustand.
Im Frühjahr 1871 war Captain Allen Harrower mit Lieutenant Brian Blaine, Master Sergeant George McNeely und zwei Schwadronen unterwegs, um im Santa-Catalina-Pass ein befestigtes Camp zu errichten, aus dem möglichst bald ein Fort werden sollte. Dieses Camp, über das es nur spärliche Berichte gibt, nannte man Camp Catalina.
Das wenige reichte für mich aus, um mir mithilfe meiner Vorstellungskraft noch einmal alles vor Augen zu führen. Ich will meiner Leserschaft nun schildern, wie ich die Dinge von damals sehe.
G.F. Unger
Das Land hat tausend Geheimnisse, doch Ben Starretter kennt fast alle. Er kann sich in dieser Beziehung mit den Apachen messen, die die wahren Herren dieses Landes sind.
Als er die beiden Fährten findet, braucht er nicht lange hinzusehen, um zu erkennen, dass die beiden Reiter nicht als Sattelgefährten durch das San Pedro Valley ritten.
Die eine Fährte ist etwa eine Stunde alt, die andere keine halbe. Er weiß auch sofort, dass der zweite Reiter dem ersten folgt.
Beide müssen von Fort Grant gekommen sein.
»Was geht mich das an?«, sagt Ben Starretter vor sich hin. Zu den vielen Lektionen, die er in diesem Land erhielt, gehört auch die, sich möglichst nur um die eigenen Angelegenheiten zu kümmern.
Ben Starretter, der seinen schweren Revolver tief an der linken Seite trägt, lebt nach dem Grundsatz, dass jeder Mann sein eigener Hüter ist.
Schon bald verlässt er die Fährte und reitet abseits der Wagenstraße. Er hält sich lieber zwischen den Hügeln, die ihm reichlich Deckung geben und auch den von seinem Pferd aufgewirbelten Staub etwas verbergen.
Längs der Wagenwege lauern immer wieder Banditen oder Apachen.
Im Laufe des langen, staubigen Tages muss er zweimal die Straße kreuzen, und beide Male sieht er die Fährte. Er erkennt, dass der zweite Reiter offenbar nicht beabsichtigt, den von ihm Verfolgten einzuholen.
Warum?
Reiten sie zufällig den gleichen Weg? Oder will der Verfolger den Verfolgten erst in der Nacht erreichen und ihn vielleicht im Schlaf überrumpeln? Es gibt auch noch einige andere Möglichkeiten.
Allmählich interessiert Ben Starretter die Sache.
Bald fesselt sie ihn sogar. Denn noch vor Anbruch der Nacht gelangt er zu einer Stelle, bei der der erste Reiter anhielt und für eine kurze Zeit absaß, um den Sattelgurt seines Pferdes nachzuziehen. Vielleicht ließ er sein Tier auch Wasser saufen, das er aus der Wasserflasche oder dem Wassersack in die Hutkrone goss. Das ist so üblich, will man ein Pferd sparsam erfrischen.
Im letzten Tageslicht betrachtet Ben Starretter die Fußabdrücke.
Noch nie sah er einen so zierlichen Fuß bei einem Mann. Selbst ein Junge hat mit sechzehn Jahren meistens einen ausgewachsenen Männerfuß.
Nein, der Reiter, der verfolgt wird, muss eine Frau sein!
Das sagen Ben Starretter seine Erfahrungen und sein Instinkt.
Zum Teufel, denkt er, was sucht eine Frau oder ein Mädel in diesem verdammten Land allein in der Wildnis, wo hinter jedem Busch oder Felsen ein Bandit oder Apache zum Vorschein kommen kann? Was bedeutet das? Und dann der Verfolger ...
Er spürt die bittere Resignation eines Mannes, der sich nicht gern in fremde Angelegenheiten mischt, jedoch erkennen muss, dass es unumgänglich sein wird.
Falls der erste Reiter eine Frau ist, die von einem Mann verfolgt wird, muss sich Ben Starretter darum kümmern.
Jeder anständige Mann in diesem frauenarmen Land würde das tun.
Wenn Ben Starretter auch ein harter Bursche ist, gefährlich und oft unversöhnlich, so sind weibliche Wesen für ihn doch etwas, das man beschützen und behüten muss.
✰✰✰
Zwei Stunden später – es ist längst Nacht geworden – hört er den Schuss. Das Echo bricht sich an den Hügelhängen, es grollt laut wie der Donner eines Gewitters, das zwischen hohen Bergen gefangen ist.
Dann wird es unheimlich still. Es ist, als hielte jedes Lebewesen den Atem an und verharrte bewegungslos. Es ist, als wäre sogar der leichte Nachtwind erstarrt.
Ben Starretter ist ein erfahrener Mann, der sich durch die rollenden Echos nicht irritieren lässt. Er weiß genau, wo der Schuss fiel und wie weit es bis zu diesem Ort ist.
Er nimmt sich Zeit, denn wer mit diesem Schuss etwas zu tun hat, wird nun ebenfalls bewegungslos verharren, lauschen und wittern, um herauszufinden, ob durch den lauten Knall jemand angelockt wurde.
In diesem Land sind überall Apachenspäher. Sie sind schnell dabei, wenn es darum geht, ein gutes Pferd und Waffen zu erbeuten.
Ben Starretter wartet also eine Weile. Dann sitzt er ab und geht zu Fuß weiter. Sein grauer, narbiger Wallach folgt ihm wie ein folgsamer Hund und macht nicht mehr Geräusche als sein Herr.
Ben Starretter trägt niemals Sporen. Seine handgearbeiteten Stiefel sind fast so weich wie Handschuhe. Mann und Pferd bewegen sich wie zwei lautlose Schatten durch die Nacht.
Sie legen eine Strecke von mehr als vierhundert Schritten zurück. Dann stößt Starretters grauer Wallach ein kaum hörbares Schnauben aus. Vor ihnen wiehert leise ein Pferd.
Ben Starretter legt seinem Wallach die flache Hand auf die Stirn. Dann bewegt er sich wieder vorwärts. Sein Pferd bleibt zurück, es folgt ihm nicht weiter.
Starretter schlägt einen weiten Bogen. Er nimmt sich Zeit, denn Hast ist in diesem Land gefährlich.
Er braucht länger als eine halbe Stunde. Aber er nähert sich mit jeder Minute dem Camp, in dem er die Frau und deren Verfolger vermutet.
Er gelangt bald darauf zwischen mehrere große Felsen, die wie eine versteinerte Elefantenherde wirken.
Irgendwo in der Nähe bewegt sich ein Pferd. Es muss das Tier der Frau sein.
Wo befindet sich die Frau? Wo ist ihr Verfolger, der sie offenbar im Camp überfallen hat? Wer gab den Schuss ab? Traf dieser Schuss? Und wen? Dies fragt sich Ben Starretter.
Als er weit genug zwischen die Felsgruppe geglitten ist, bekommt er die Antwort.
Das fremde Pferd kann ihn nicht wittern, denn er kommt gegen den Wind. Das Tier schnaubt und bewegt sich nicht seinetwegen so unruhig.
Er hört plötzlich die harte Stimme eines Mannes mit gespielter Lässigkeit sagen: »Nun, Honey, kommen wir endlich zur Sache. Es blieb alles ruhig. Also wird niemand den Schuss gehört haben – nicht mal ein verdammter Apache. Du hättest mich fast totgeschossen, Honey. Dafür bin ich dir noch etwas schuldig, nicht wahr? Vielleicht gebe ich es dir, wenn du nicht sofort klein beigibst. Pass auf, ich werde den Plan ganz bestimmt finden. Vielleicht hast du ihn in deiner Kleidung eingenäht. Vielleicht trägst du ihn auf dem bloßen Körper oder im Sattel verborgen. Ich finde ihn ganz bestimmt. Doch ich will Zeit sparen. Ich will nicht bis zum Tageslicht warten. Und deshalb sage ich dir: heraus damit!«
Die ganze Zeit ist Ben Starretter neugierig auf die Stimme der Frau. Der Bursche hat sie »Honey« genannt. Sie muss also jung, hübsch und reizvoll sein.
Als er sie nun endlich sprechen hört, gefällt ihm ihre Stimme vom ersten Wort an. Es ist eine kehlige Stimme mit einem leicht rauchigen Timbre.
Ihre Besitzerin scheint kein dummes Mädchen zu sein. Sie spricht so beherrscht wie eine Frau, die gelernt hat, sich unter rauen Männern zu bewegen – und zu behaupten.
Sie sagt: »Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Sie Strolch! Gehen Sie zum Teufel! Fort mit Ihnen! Und geben Sie mir meine Waffe zurück! Es gibt hier genügend Männer, die Ihnen schon jetzt für das, was Sie taten, die Haut abziehen würden. Und ...«
»Honey, wir zwei sind ganz allein«, unterbricht sie der Mann mit einem Lachen, das Ben Starretter missfällt. »Ich war schon lange nicht mehr mit einem richtigen Honey allein«, fügt der Bursche hinzu. »In diesem Land gibt es so wenige Frauen. Man ist froh, wenn man mal eine halbwegs ansehnliche zu Gesicht bekommt. Aber wenn einem so ein Honey in den Weg läuft ...«
Ben Starretter erhebt sich hinter seiner Deckung und blickt auf das Paar.
Die Frau lehnt an einem größeren Felsen, vom Mond angeleuchtet.
Der Mann steht mit dem Rücken zu Ben Starretter.
Beim ersten Ton aus Starretters Mund wirbelt er herum. Er wartet gar nicht ab, was Starretter zu sagen hat. Er fährt herum und schwingt den Colt mit. Seine Kugel trifft den Felsen, der bis zu Starretters Gürtelschnalle reicht. Er hat im Herumwirbeln wohl zu hastig geschossen und dabei etwas zu tief gehalten.
Einen zweiten Schuss kann er nicht abgeben, denn Starretter schießt ihn von den Beinen. Schließlich möchte Ben Starretter am Leben bleiben.
Der Mann liegt noch nicht richtig am Boden, da stürzt die Frau schon vor und tritt ihm die Waffe aus der erschlaffenden Hand. Sie nimmt die Waffe mit einem schnellen Griff an sich und hält sie dann bereit.
»Wer sind Sie?«, fragt sie rau.
»Starretter, Ben Starretter. Wir haben keine Zeit, Madam. Packen Sie Ihre Siebensachen zusammen und reiten Sie. Nach diesem Lärm dürfen wir nicht länger in dieser Gegend bleiben. Das ist Lektion Nummer eins in diesem Land. Reiten Sie genau nach Westen. Ich hole mein Pferd und habe Sie bald eingeholt.«
Er wendet sich ab.
»Waren Sie auch hinter mir her, Mister Starretter?«, will sie wissen.
Er verhält mitten in der Bewegung, blickt über die Schulter zurück und erkennt, dass sie mit der Waffe des Toten auf ihn zielt.
»Nein«, sagt er, »ich war nicht hinter Ihnen her. Aber ich las aus den Fährten, dass Ihnen ein Mann folgte. Und ich sah, dass Sie eine Frau sein mussten. Ich habe andere Sorgen.«
Nach diesen Worten dreht er ihr wieder den Rücken zu und geht. Als er seinen narbigen Wallach erreicht, braucht er diesen nur anzusehen, um im Mondlicht zu erkennen, dass außer dem fremden Pferd sonst nichts in der Nähe ist.
Er bindet das andere Tier los, behält die Zügelenden in der Hand und schwingt sich in den Sattel.
Dann folgt er der Frau, deren Namen er noch nicht weiß.
Er wird sie bald eingeholt haben. Es gibt keinen Menschen, der einem Ben Starretter entkommen könnte.
✰✰✰
Es ist gar nicht so einfach für ihn, die Reiterin einzuholen. Sie versucht offensichtlich, ihre Fährte zu verwischen und ihm zu entkommen. Die Nacht ist inzwischen strahlend hell geworden. Es ist eine samtblaue, silberhelle Mondnacht. Als er sich einigen Sykomoren nähert, wartet sie in deren Schatten auf ihn. Sie hält einen Revolver in der Hand. Er weiß, dass sie wahrscheinlich zwei Waffen hat, nämlich ihren eigenen Revolver, mit dem sie auf den Mann geschossen hat, ohne ihn zu treffen, und den Revolver des Mannes.
»Es hat keinen Sinn, mir ausreißen zu wollen, Madam«, sagt er zu ihr. »Es sieht fast so aus, als läge unser Ziel in derselben Richtung. Wie wäre es denn? Wollen Sie mir nicht endlich Ihren Namen nennen und Ihr Ziel verraten?«
In seiner Stimme ist ein so ruhiger Klang, dass sie den Revolver senkt. Sie schiebt ihn ins Holster. Es muss also ihre eigene Waffe sein, die der Mann ihr nach dem ersten Schuss aus der Hand gerissen hatte.
»Na schön«, sagt sie kühl. »Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet. Das gebe ich zu. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich nicht vom Regen in die Traufe geriet. Waren Sie wirklich nicht hinter mir her wie der andere Hombre?«
»Warum sollte ich das?«, fragt er und reitet noch ein Stück vorwärts, um sie besser betrachten zu können.
Sie ist etwa fünfundzwanzig, also an die fünf Jahre jünger als er. Und sie ist mehr als hübsch. Selbst in ihrer staubigen Reitkleidung wirkt sie so, als würde sie unter vielen anderen hübschen Frauen die meisten Blicke auf sich ziehen. Sie besitzt jene geheimnisvolle Ausstrahlung, die den Unterschied ausmacht.
Sie gibt ihm auf seine Frage keine Antwort. Dafür sagt sie: »Ich bin Ginger Dawson und reite zum Santa Catalina Pass. Natürlich bedanke ich mich für Ihre Hilfe, Mister – ah, Starretter heißen Sie, nicht wahr? Ich bedanke mich also für Ihren Beistand, Mister Starretter. Und was nun?«
Seine Zähne blitzen weiß im Schatten seiner Hutkrempe. Er sagt grinsend: »Am liebsten würde ich Sie nach Fort Grant zurückschaffen. Doch das ist zu weit. Ich verlöre zu viel Zeit damit. Wir haben den gleichen Weg, Miss Ginger Dawson. Oder sind Sie verheiratet?«
»Ich war es«, erwidert sie. »Warum reiten Sie zum Santa Catalina Pass, Mister Starretter?«
»Ach, es gibt da ein paar schöne Täler, die sich für Viehzucht besonders gut eignen. Auch für eine Pferderanch. Die Armee baut dort ein befestigtes Camp, aus dem ein Fort werden soll. Ich will mir das beste Stück Land aussuchen. Deshalb muss ich einer der Ersten sein – aber was will eine Frau wie Sie dort allein unter mehr als hundert Männern?«
»Ich eröffne einen Store«, erklärt sie. »Meine Frachtwagen kommen mit dem nächsten Nachschub der Armee. Wenn Sie in den Catalina-Tälern Rinder oder Pferde züchten wollen, so werden Sie notgedrungen bald zu meinen Kunden gehören, denn es wird der einzige Store im Umkreis von hundert Meilen sein.«
»Na fein«, sagt er. »Nun können wir ja weiterreiten, nicht wahr?«
Sie zögert. Dann murmelt sie: »Vielleicht bin ich sehr undankbar, doch ich misstraue Ihnen immer noch. Sie gehören wahrscheinlich auch zu den Burschen, die hinter mir her sind. Aber ich bin wachsam! Jener Mann, den ich mit meinem ersten Schuss verfehlte, hatte Glück gehabt, dass er mich in seine Gewalt bekommen konnte.«
Er nickt zu ihren Worten. In seiner Stimme ist ein bitterer Klang.
»Deshalb musste ich ihn schließlich töten – und ich weiß immer noch nicht, was er wirklich von Ihnen wollte, Ginger. Ich darf doch einfach Ginger sagen? Oder legen Sie Wert auf Mrs. Dawson?«
Sie zögert mit der Antwort. Dann murmelt sie: »Ich bin mir noch nicht klar über Sie, Mister Starretter ...«
»Nennen Sie mich einfach Ben«, sagt er und grinst. »Und jetzt müssen wir noch einige Meilen zwischen uns und Ihr verlassenes Camp und dem Toten bringen. Wir haben schon zu viel Zeit verschwendet.«
✰✰✰
Als sie einmal anhalten, um ihre Pferde verschnaufen zu lassen, und zugleich überlegen, ob sie in einem Arroyo quer über eine kleine Ebene reiten oder im Schutz der begrenzenden Hügel einen großen Halbkreis schlagen sollen, fragt er plötzlich: »Und Sie sind ganz allein von Fort Grant aufgebrochen? Das ist doch verrückt! Warum versuchten Sie, allein durch dieses gefährliche Land ...«
»Ich war nicht allein, als wir losritten«, unterbricht sie ihn. »Ich hatte einen indianischen Begleiter, auf den ich mich verlassen konnte. Der Mann, der mir folgte und den Sie dann töten mussten, hat meinen Begleiter schon vor zwei Tagen mit einem Gewehr aus dem Hinterhalt erschossen. Ich konnte ihm in der einbrechenden Nacht entkommen. Jetzt wissen Sie's!«
Er schüttelt langsam den Kopf.
»Nichts weiß ich«, murmelt er. »Es gibt da ein Geheimnis. Ich spüre das. Und ich konnte auch hören, dass der Mann, den ich tötete, von Ihnen einen Plan haben wollte. Ich denke, dass ich Ihr Geheimnis früher oder später herausbekomme, Ginger. Ich bin ein geduldiger Mann, der warten kann. Wir werden sehen, nicht wahr? Jetzt reiten wir durch den Arroyo. Der Umweg am Rand der Ebene entlang ist zu groß. Wenn Apachen hinter uns her sind, könnten sie zu leicht aufholen, wenn sie geradeaus reiten. Los, Ginger!«
✰✰✰
Am frühen Mittag geschieht es.
Es sind zwei Krieger, die lautlos von hohen Felsen niederspringen, zwischen denen Ginger und Ben durchreiten müssen.
Doch vorher fiel ein kleines Steinchen herunter, und Ben Starretter hat plötzlich seinen schweren Colt in der Hand. Er schießt unheimlich schnell. Die Schüsse klingen fast wie ein Schuss. Er trifft beide Apachen, aber er kann es nicht verhindern, dass sie Ginger und ihn von den Pferden reißen.
Ginger schlägt ziemlich hart am Boden auf. Das Gewicht des Apachen lastet schwer auf ihr. Sie kämpft verzweifelt, keucht und knurrt wie eine Pumakatze – bis sie merkt, dass der Apache über ihr gar nicht kämpft, sondern tot ist. Sie wälzt ihn zur Seite, rollt sich von ihm fort und springt mit einem Schrei auf.
Da sieht sie Ben Starretter, der sich schon vor ihr erhob, weil er weniger unglücklich stürzte.
Ben Starretter hat seinen Colt bereit. Er steht leicht geduckt da und scheint die Augen überall zu haben. Endlich entspannt er sich. Er sieht sie an und betrachtet sie ernst.
»Es waren wohl nur diese beiden Krieger«, murmelt er. »Sind Sie in Ordnung, Ginger?«
Sie nickt.
»Dann nichts wie fort«, sagt er.
Sie schwingen sich in die Sättel. Er nimmt das ledige Tier. Sie lassen die Pferde ein Stück traben.
Nach einer halben Meile halten sie an, blicken zurück und lauschen. Sie hören irgendwo in den Hügeln einen Wolf heulen.
»Da ist noch einer«, murmelt Ben Starretter. »Doch er war nicht nahe genug, als uns seine Vettern ansprangen. Haben Sie den Schrecken überwunden, Ginger?«
Sie nickt und sieht ihn eine Sekunde lang seltsam an.
Es wurde ihr inzwischen klar, dass er einer der wenigen ganz großen Revolvermänner sein muss.
Doch sie hat noch nie seinen Namen gehört.
Sollte er noch einen anderen Namen haben – einen Kriegsnamen?
✰✰✰
Bisher hat Ginger, nachdem man ihren treu ergebenen indianischen Begleiter erschoss und sie selbst verfolgte, eine immer stärker werdende Furcht verspürt.
Nun hat sie keine Angst mehr. Sie fühlt sich in Ben Starretters Nähe sicher und geborgen. Doch sie weiß, dass sie durch ein gefährliches Land reiten, in dem überall Apachen umherstreifen und in dem es auch starke Kriegerbanden gibt.
Dennoch ging sie das große Wagnis ein, allein mit einem indianischen Begleiter zum Santa Catalina Pass zu reiten.
Immer wieder fragt sich Ben, was diese reizvolle Frau wohl dazu veranlasst hat.
Sie muss von der Gefährlichkeit ihres Vorhabens gewusst haben.
Trotzdem riskierte sie es und wäre fast gescheitert. Jener Mann, in dessen Gewalt sie sich schon befand, wollte einen Plan, den er bei ihr vermutete. Er hätte ihr gewiss die Kleider vom Leib gerissen, um diesen Plan zu finden. Wahrscheinlich hätte er sie vergewaltigt und getötet.
Und dann die Apachen – sie waren nicht weniger gefährlich.
Ja, Ginger muss ein großes Geheimnis hüten, um dieses Wagnis einzugehen.
Eines Tages werde ich es herausfinden, denkt Ben Starretter und blickt auf Ginger Dawson. Sie erwidert seinen Blick gerade und fest.
Schon mehrmals machte sie das.