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Das Bullkalb ist noch sehr jung. Und jetzt sieht es so aus, als sollte es keine einzige Stunde älter werden. Eigentlich kann es nur noch wenige Minuten dauern, dann werden die Wölfe es bei lebendigem Leib fressen. Denn aus eigener Kraft kann es aus der schlammigen Büffelkuhle nicht mehr heraus. Ja, das Bullkalb ist ein Büffel, kein Longhornrind. Shad Latimer hält am oberen Rand der Senke. Soll er seine wertvolle Munition für ein paar Wölfe verschwenden? Noch zögert er. Doch im nächsten Augenblick wird er sich über etwas klar, was er zuerst gar nicht glauben will, sondern für eine Sinnestäuschung hält. Denn dieses Büffelkalb im Schlamm, der ihm schon bis zum Bauch reicht, ist weiß. Shad hat viele Legenden von weißen Büffeln gehört. Den Indianern sind sie heilig. Das Wolfsrudel ist groß. Es sind mehr als drei Dutzend Büffelwölfe, also die stärksten unter ihren Artgenossen. Sie sind hungrig, denn sie kamen von weither. Shad Latimer überlegt nun nicht länger ...
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Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Weiße Bullen
Vorschau
Impressum
Weiße Bullen
Das Bullkalb ist noch sehr jung. Und jetzt sieht es so aus, als sollte es keine einzige Stunde älter werden.
Eigentlich kann es nur noch wenige Minuten dauern, dann werden die Wölfe es bei lebendigem Leib fressen. Denn aus eigener Kraft kann es aus der schlammigen Büffelkuhle nicht mehr heraus.
Ja, das Bullkalb ist ein Büffel, kein Longhornrind.
Shad Latimer hält am oberen Rand der Senke. Soll er seine wertvolle Munition für ein paar Wölfe verschwenden?
Noch zögert er. Doch im nächsten Augenblick wird er sich über etwas klar, was er zuerst gar nicht glauben will, sondern für eine Sinnestäuschung hält.
Denn dieses Büffelkalb im Schlamm, der ihm schon bis zum Bauch reicht, ist weiß.
Shad hat viele Legenden von weißen Büffeln gehört.
Den Indianern sind sie heilig.
Das Wolfsrudel ist groß. Es sind mehr als drei Dutzend Büffelwölfe, also die stärksten unter ihren Artgenossen. Sie sind hungrig, denn sie kamen von weither.
Shad Latimer überlegt nun nicht länger ...
Er hat zwei Gewehre bei sich, nämlich eine schwere Sharps für die Büffel und einen Spencer-Karabiner für anderes Wild und zur eigenen Verteidigung, dazu einen Colt. Er trägt diese Waffe links, auf eine Art, die dem Kundigen eine Menge über Shad Latimer sagt.
Nun beginnt er, mit dem Spencer zu schießen.
Er schießt unwahrscheinlich schnell – und er trifft auch. Eines ist klar nach diesen sieben Schüssen, die er auf sich schnell bewegende Wölfe abfeuert: Shad Latimer ist ein außergewöhnlich sicherer und gefährlicher Schütze.
Er tötet mit diesen sieben Kugeln fünf Wölfe und verletzt zwei weitere. Das ist geradezu unheimlich, da die Wölfe sich blitzschnell bewegen und aus der Schussweite seines Gewehres zu kommen versuchen.
Dann wird es still. Nur das Bullkalb blökt kläglich.
Langsam reitet Shad Latimer hinunter und lädt dabei den Spencer auf.
Als er dann am Rand des Schlammloches hält, starrt der kleine Büffel zu ihm empor.
Es ist ein merkwürdiges Bild.
Der Büffel – kaum größer als ein ausgewachsener Bernhardiner – und der Reiter auf dem grauen Pferd betrachten sich.
Der Kleine blökt nicht mehr. Er wirkt nun ganz ruhig – so, als wüsste er, dass ihm geholfen wird.
Shad Latimer aber verspürt tief in seinem Kern ein seltsames Gefühl. Er vermag es nicht zu deuten – und dennoch ist es fast eine Ahnung von kommenden Ereignissen. Ihm ist, als gäbe es eines Tages noch eine Fortsetzung der Bekanntschaft, als wären Büffel und Mann vom Schicksal füreinander bestimmt.
Er reitet dicht genug an das Schlammloch und wirft dem kleinen Burschen das Lasso über den zottigen Kopf. Nach einiger Anstrengung schaffen sie es.
Und da steht er nun neben dem schnaubenden Büffelpferd, dieser kleine weiße Kerl. Bis etwas über den Bauch zu beiden Seiten ist er dunkel vom Schlamm.
Aber oben ist sein Fell schon sehr hell. Ein paar dunkle Flecken werden noch verschwinden. Ja, er wird eines Tages einer dieser sagenhaften weißen Büffel sein.
»Na los, dann troll dich«, sagt Shad Latimer. »Troll dich zur Herde. Vielleicht findest du eine Kuh, die ihr Kalb verlor. Ich werde dich noch ein Stück begleiten, damit die Wölfe dich nicht noch mal in ein Schlammloch jagen. Na, geh schon, Kleiner!«
Der Kleine blökt nun – aber es ist ein anderes Blöken, nicht mehr so kläglich wie vorhin. Nun klingt es freundlich, mutig, vielleicht sogar dankbar.
Latimer sagt grinsend: »Wenn du ein Zwerghahn wärst, würdest du jetzt auf dem Mist krähen, Kleiner. Na geh schon, geh!«
Und da trollt sich der Kleine. Er schlägt die richtige Richtung ein, beginnt sogar zu traben. Der Instinkt treibt ihn jetzt zur Herde. Denn dort sind die Mutterkühe mit der Nahrung.
Der Reiter folgt ihm in einigem Abstand. Und das ist gut. Denn die Wölfe sind immer noch in der Nähe. Sie gleiten geduckt durch das hohe Büffelgras, durch Gestrüpp und Büsche.
Die große Herde zieht etwas weiter westlich nach Süden. Der kleine Büffel schwenkt nun ebenfalls nach Westen ein, so, als leite ihn ein untrüglicher Instinkt.
Und dann sieht Shad Latimer schon die Nachzügler der Herde.
Er folgt dem Kleinen langsamer, bleibt mehr und mehr zurück.
Rechts und links von ihm sind nun Büffel. Sie grasen in loser Formation. Weiter vor ihm befindet sich die große Herde. Dort drängen sich die dunklen Riesen zusammen. In einer weiten Senke ballen sie sich – und sie wirken wie eine elementare Kraft, wie ein Strom.
Eine Kuh trottet auf den blökenden Kleinen zu.
Der Kleine findet also eine Amme.
✰✰✰
Es ist drei Jahre später und schon ausgehender Nachmittag, als Shad Latimer östlich von Medicine Peak auf »Big Mouth« Joe Henderson stößt. Er sah ihn schon von Weitem kommen und reitet ihm zwischen zwei Felsen hervor in den Weg.
»Big Mouth« Joe Henderson erschrickt. Dann macht er seinem Spitznamen alle Ehre und verzieht seinen großen Mund zu einem Grinsen.
»Aaah«, sagt er, »das ist aber gut, dass ich dich treffe. Obwohl wir gewiss keine Freunde sind, bin ich richtig glücklich, dich zu sehen. Denn dort hinter mir, mein Guter, da sind mehr Indianer, als du in einer Minute zählen kannst.«
Shad Latimer blickt in die Richtung, aus der Großmaul-Joe kam.
Und er sieht dort nichts, gar nichts.
»Wenn ich mich recht erinnere«, murmelt er, »wurdest du in Laramie von einer Gruppe goldgieriger Leute angeworben, um sie ins Goldland von Montana zu führen. Sie taten mir verdammt leid, diese Leute. Und nicht nur mir. Man hätte sie vor dir warnen sollen. Denn du warst doch schon immer eine Pfeife, nicht wahr? Es sieht dir ähnlich, vor den Indianern wegzulaufen und die Leute ihrem Schicksal zu überlassen. Wahrscheinlich mussten sie dir die Hälfte des Führerlohnes sofort bezahlen. Auf die andere Hälfte verzichtest du gern, weil du ja auch nicht den ganzen Bozeman-Weg hinauf bis Montana brauchst. Man sollte dich nicht länger frei herumlaufen lassen, Joe.«
Dieser windet sich im Sattel.
»Ich bin nur abgehauen, um Hilfe zu holen. Du hast doch sicherlich eine Armeepatrouille bei deinem Wagenzug, mit deren Hilfe ...«
Er verstummt ganz zwangsläufig, denn Shad Latimer schlägt ihn mit einem einzigen Hieb aus dem Sattel.
Dann reitet er weiter.
Und er denkt dabei an das rothaarige und grünäugige Mädchen, welches zu der Gruppe von Abenteurern gehört, die noch vor dem Winter ins Goldland nach Montana wollten.
Er empfindet es plötzlich als großes Unglück, wenn dieses Girl im Tipi eines Oglala die dritte oder vierte Frau sein müsste.
Er hat dieses Mädchen mehrmals in Laramie gesehen.
Ja, sie gefiel ihm.
Aber dann hatte er eine Menge mit seinem Wagenzug zu tun.
Jetzt aber würde er ihr gern aus der Klemme helfen.
Und so reitet er auf Großmaul-Joes Fährte zurück, und er sieht auch die Fährten zweier Wagen, die sich als frische Spuren deutlich von all den anderen Fährten und Hufspuren abheben.
Als er nach etwa drei Meilen durch die Hügel des Kanaska Creek reitet, dessen Ufer von leuchtend roten Beerensträuchern gesäumt sind, hört er die Schüsse.
Die Indianer haben die kleine Reisegesellschaft überfallen. Und »Big Mouth« Joe Henderson sah sie rechtzeitig und brachte sich noch in Sicherheit. Die Leute, die ihn jedoch als Scout bezahlten, sitzen jetzt mächtig in der Patsche.
Was soll er tun? Von seinem Wagenzug Hilfe holen? Oder sich erst ein Bild von der Situation machen?
Er entschließt sich für letztere Möglichkeit und reitet weiter.
Als er den Kampfplatz in Sicht bekommt, ist alles schon vorbei. Die beiden Wagen – es sind postkutschenähnliche Gefährte – brennen.
Zwischen den Felsen und Büschen des Kampfplatzes wimmelt es von Indianern und deren Pferden. Es sind mehr als fünfzig Krieger.
Shad Latimer erkennt Elch-der-im-Wasser-steht, auch kurz Water Elk genannt.
Er will schon sein Pferd herumziehen, um fortzureiten – da sieht er das rothaarige Girl mit den grünen Augen. Sie steht stolz in der Mitte des Kreises, den Water Elks Krieger zu Pferd bilden.
Shad Latimer kennt Water Elk gut genug und verlässt sich ganz und gar auf dessen Klugheit und Geschäftssinn.
Deshalb reitet er jetzt genau auf die Indianer zu, die soeben zwei Dutzend Weiße töteten und sich noch im Siegesrausch befinden. Er geht ein ziemliches Wagnis ein – und dennoch ist seine Berechnung eiskalt.
Denn wenn er sich mit den Indianern nicht einigen kann – und das hat nichts mit dem grünäugigen Mädchen zu tun –, verliert er vielleicht seinen ganzen Wagenzug mit Handelswaren, in den er all seine Ersparnisse und seinen Gewinn der Büffeljagd investierte, Jahre seines Lebens – und für den er überdies noch Schulden machte.
Die Indianer sichten ihn schon bald, und ihr Kreis öffnet sich.
Als Shad einen Schritt vor der Nase von Water Elks Pferd anhält, schweigen die Indianer. Es sind Krieger aus verschiedenen Stämmen, denn Water Elk ist ein rebellischer Häuptling, der sich keinem der großen Häuptlinge unterwirft und alle gleichgesinnten Krieger um sich sammelt.
»Hokahe«, sagt er zu Latimer, »ich sehe dich – und ich kenne dich. Bist du lebensmüde, Latimer?«
Water Elk spricht ein verständliches Englisch. Doch Latimer könnte sich auch in seiner Sprache mit ihm unterhalten. Er erwidert: »Du wirst ein gutes Geschäft machen, Water Elk. Mein Wagenzug kommt noch vor Anbruch der Nacht hier an. Wir sollten absitzen und miteinander reden.«
Water Elk ist ein prächtig anzusehender Oglala-Sioux. Er ist in Shad Latimers Alter, also zwischen achtundzwanzig und dreißig. Seine schräg stehenden Augen werden schmal.
»Vielleicht mache ich keine Geschäfte mit dir, Latimer. Ich könnte deinem Wagenzug entgegenreiten und den Männern dort deinen Skalp zeigen. Ob sie deinen Skalp an einer Lanzenspitze erkennen könnten? Und ich könnte mir deinen Wagenzug nehmen. Sieh, wie viele Krieger ich bei mir habe.«
Sein Ton ist höhnisch.
Und einige seiner Krieger, die ebenfalls genügend englische Vokabeln beherrschen, sodass sie der Unterhaltung folgen können, nicken beifällig.
Shad Latimer grinst sie an. Dann wirft er einen Blick zu dem rothaarigen Girl hinüber.
Ihr Gesicht ist pulvergeschwärzt. Sie muss gekämpft haben. Auch ist ihre Kleidung zerrissen. Sie steht immer noch unbeweglich da, hat den Kopf erhoben und erwidert seinen Blick.
Nur eine einzige Sekunde sehen sie sich so an.
In Shad Latimer ist plötzlich der absolute Wille, diesem grünäugigen Mädchen zu helfen, koste es ihn, was es wolle.
Und so nickt er ihr nur kurz zu und sieht dann Water Elk wieder an.
»Es sind zwei Dutzend Wagen«, sagt er. »Und dazu gehören mehr als ein halbes Hundert Männer. Es sind nicht weniger als deine Krieger. Ihr könnt mich jetzt töten. Doch von meinem Wagenzug bekommt ihr höchstens heißes Blei. Doch wenn wir verhandeln, über ein Tauschgeschäft reden könnten, dann ...« Er verstummt vielsagend.
Und dann lässt er Water Elk genügend Zeit zum Nachdenken. Doch lange braucht der Häuptling nicht nachzudenken. Die Vor- und Nachteile liegen auf der Hand. Er wendet sich im Sattel um und blickt auf die rothaarige und grünäugige Squaw, die er so gern gehabt hätte.
Er zieht plötzlich sein Pferd herum und reitet zu ihr, hält dicht vor ihr an, beugt sich etwas zur Seite aus dem Sattel und sagt: »Ich hab schon drei Squaws in meinem Tipi. Sie alle sind sehr glücklich. Denn ich bin so stark wie ein weißer Elchbulle. Verstehst du, Grünauge? Vielleicht würdest auch du bei mir sehr glücklich.«
»Vielleicht«, erwidert sie herb und sieht ihm fest in die Augen. Nein, sie begeht nicht den Fehler, ihn zu beleidigen. »Vielleicht aber wäre der Frieden in deinem Tipi böse gestört durch mein Vorhandensein«, spricht sie nach einer kleinen Pause weiter. »Und vielleicht wäre ich gar nicht so gut wie jede deiner drei Squaws.«
Da grinst er breit. Seine Augen glitzern.
»Du wärst anders«, sagt er kehlig, »anders, verstehst du? Ein Krieger will nicht dauernd Büffelhöcker essen. So ist das auch bei den Squaws. Aber du hast Glück, Grünauge. Ich werde dich eintauschen, wenn dieser Latimer nur genug für dich gibt. Du solltest ihm schöne Augen machen, verstehst du? Es wäre gut für dich und mich, wenn er dich für die größte Kostbarkeit der Welt hielte. Denn wenn er nicht genug gibt, behalte ich dich.«
Er wartet nicht auf ihre Antwort, sondern zieht sein Pferd wieder herum, reitet zu Shad Latimer zurück und sagt: »Also gut, reden wir über Geschäfte.« Nach diesen Worten sitzt er ab.
Latimer folgt seinem Beispiel.
Sie hocken sich nieder – und Water Elks Krieger sitzen ebenfalls ab.
Es ist ein makabrer Verhandlungsplatz, denn in der Nähe rauchen noch die Reste der angebrannten Wagen. Tote liegen da und dort. Auch die Indianer hatten Verluste. Einige Verwundete müssen von ihnen versorgt werden.
Water Elk sagt knapp: »Also gib mir einen Wagen voll Schießpulver und Blei, Patronen und Messer – und zwei Wagen mit all dem anderen Zeug, über welches sich die Goldgräber in Montana so sehr freuen werden: Töpfe, Decken, Werkzeuge, Stoffe, Nähzeug, Fallen, Mehl, Zucker, Rosinen und ...«
Er zählt noch eine Menge mehr auf. Und er weiß Bescheid, was in solch einem großen Frachtwagen transportiert wird.
Shad Latimer schüttelt den Kopf.
»Wenn ich dir Waffen gebe«, sagt er, »hängt die Armee mich auf, sobald sie dahinterkommen sollte. Keine Waffen also. Aber Werkzeuge und ...«
»Einen ganzen Wagen voller Gewehre«, unterbricht ihn Water Elk und deutet mit dem Daumen über die Schulter auf das grünäugige Mädchen. »Sie ist schöner als jede andere Squaw«, sagt er dabei. »Sie ist so einmalig wie ein weißer Büffelbulle – oder wie ein weißer Elch. Für sie musst du eine Menge geben. Oder ich behalte sie und hol mir die Gewehre im Kampf.«
Er starrt Latimer herausfordernd an.
Latimer spürt, dass der Häuptling nicht blufft. Denn wenn sich erst herumspricht, dass er für eine weiße Squaw einen ganzen Wagen voller Gewehre bekam, dann hält man ihn für den Allergrößten.
Latimer zögert. Er hat sogar zwei Wagen voller Gewehre in seinem Wagenzug. Doch wenn er auf Water Elks Forderungen eingeht und die Armee dies erfährt, wird sie ihn hängen. Es herrscht Kriegsrecht auf dem Bozeman Trail und im ganzen Territorium. Er selbst brach ohne Erlaubnis der Armee von Fort Laramie nach Norden auf. Er bekam deshalb auch keine Armeepatrouille. Der Bozeman Trail ist gesperrt.
Ja, die Armee wird ihn hängen, weil die Indianer mit den neuen Gewehren eine Menge Weiße umbringen werden.
Ist das Leben eines grünäugigen Mädchens wertvoller?
Er sieht wieder zu ihr hinüber. Sie steht immer noch ruhig da, hat den Kopf stolz erhoben und sieht zu ihm her. Nein, sie fleht und bittet nicht. Sie wartet und überlässt ihm die Entscheidung.
Er steckt in der Klemme.
Es ist inzwischen fast Abend geworden.
Shad Latimers Wagenzug wird bald eintreffen.
Er entschließt sich plötzlich und nickt Water Elk zu.
»Ich weiß«, sagt er, »dass ein Häuptling in deiner Situation nicht bluffen darf, will er ein Großer unter den Großen werden. Ich gehe also auf deine Bedingungen ein. Darf ich jetzt mit dem Grünauge reden?«
Water Elk nickt.
»Wir bekämen die Gewehre mit oder ohne Kampf«, sagt er. »Doch du würdest das nicht mehr erleben. Ja, du kannst mit ihr reden. Wirst du schon diese Nacht mit ihr unter einer Decke liegen?«
Er fragt es etwas neidvoll, und einen Moment sieht es so aus, als bedaure er seine Entscheidung.
»Vielleicht«, erwidert Latimer. »Aber zahle ich nicht eine Menge dafür? Hat jemals ein Sioux ein solches Tauschgeschäft gemacht? Du wirst als der größte Geschäftemacher und klügste Unterhändler in die Geschichte der Stämme eingehen. Und bei den nächsten großen Verhandlungen mit Regierungsmännern werden dich die großen Häuptlinge hinzuziehen müssen.«
Seine Worte gehen Water Elk hinunter wie Milch mit Honig.
Latimer erhebt sich und geht zu der jungen Frau hinüber.
Um ihre Augen und Mundwinkel sind ein paar feine Linien. Ihr Alter schätzt er auf fünfundzwanzig. Doch sie wanderte auf rauen Wegen. Er spürt es – und er bemerkt auch ihren kritischen Blick.
»Na, was hab ich gekostet?«, fragt sie herb. »Ein paar Gewehre, Pulver und Blei, Patronen, Whisky?«
Er achtet nicht auf ihre Worte.
»Wie heißt du, Schwester?«, fragt er langsam und sieht immer noch in ihre grünen Augen, erkennt darin die beherrschte Furcht und die ganze Lebenskraft.
»Ich bin Ann Corbin«, erwidert sie. »Und ich will dir gleich was sagen, Bruder.«
»Dann sag's«, entgegnet er grinsend.
Sie nickt leicht. »Ich bin dir dankbar und werde bezahlen, wenn du mich freibekommen solltest. Du bekommst den vollen Gegenwert, denn ich bleibe nichts schuldig.«
Sie verstummt herb, hart, stolz – und vielleicht sogar ein wenig verächtlich.
Er grinst stärker, und er möchte ihr sagen, dass er sehr viel mehr für sie geben muss als nur ein paar Gewehre, Pulver und Blei und etwas Handelswhisky. Er möchte ihr sagen, dass er sich wegen ihr in die Gefahr begibt, von der Armee aufgeknüpft zu werden. Doch er lässt es bleiben. Er kann sie ja gut verstehen. Sie ist ein gebranntes Kind, voller Misstrauen gegen diese Welt, in der Water Elk in ihrem Leben vielleicht nicht mal das schrecklichste Erlebnis geworden wäre.
Er nickt ihr zu.
»Ich bin Latimer«, sagt er, »Shad Latimer. Und ich hole dich hier raus. Und was das Bezahlen betrifft – nun, wir werden sehen.«
Sie sieht ihn an und nickt nur stumm. Obwohl sie mittelgroß ist, überragt er sie um einen vollen Kopf.
»Bis hinauf nach Montana ist es noch ein weiter Weg«, murmelt er. »Ich bin ziemlich neugierig auf dich. Denn so eine wie du ist mir noch nicht begegnet.«
Nach diesen Worten wendet er sich um und geht zu seinem Pferd. Er sitzt auf, und die Indianer beobachten ihn reglos.
»Ich muss meinem Wagenzug entgegenreiten«, spricht er aus dem Sattel zu Water Elk nieder. »Macht hier ein großes Feuer an. Mein Wagenzug wird dort drüben zu einer Wagenburg auffahren. Die Wagen mit dem von dir geforderten Inhalt bringen wir dann zu euch an dieses Feuer. Gut so?«
Water Elk nickt.
»Wenn du mich betrügen willst«, warnt er, »werden wir kämpfen. Und dann behalte ich diese grünäugige Squaw und bekomme den ganzen Wagenzug.«
✰✰✰
Im Dämmerlicht sieht Latimer dann einen Wagenzug kommen.
An der Spitze reitet sein Wagenboss Mac Chaney auf einem Maultier. Quer vor sich hat er eine Schrotflinte, ein gefährlich aussehendes Ding.
Bei Mac Chaneys Anblick denkt man sofort an ein knochiges und störrisches Maultier. Als er nun grinst, zeigt er auch seine Zähne wie ein Maultier.
»Ich kann Indianer riechen«, sagt er. »Was war das für ein Rauch hinter den Hügeln? Ich sah Big Mouth Joe Henderson nach Süden reiten. Er machte einen Bogen um unseren Wagenzug, he?«
Shad Latimer zieht sein Pferd herum und reitet nun neben seinem Wagenboss. Er berichtet ihm mit wenigen Worten.
Mac Chaney hört sich alles schweigend an.
Dann brummt er nur: »Ein schöner Mist ist das. Willst du wirklich einen solchen Preis für das Girl zahlen?«
Latimer starrt in die Ferne. Vor seinen Augen ist nun das Bild dieser Ann Corbin. Und er hört sie sagen: »Ich zahle den vollen Preis.«
Er kommt in die Wirklichkeit zurück und erinnert sich an Mac Chaneys Frage.
»Ja, sie ist es wert, Mac. Sie ist eine besondere Frau. Ich werde den von Water Elk geforderten Preis zahlen.«