1,99 €
An einem schönen Spätsommernachmittag kommen sie mit der Wildpferdherde aus dem Messaland und sehen die kleine Stadt Tonto vor sich. Es sind etwa dreißig erstklassige Pferde, die Virg Cheshire und Will Burnett im Verlauf vieler Wochen in der Canyonfalle gesammelt haben. Virg Cheshire wirkt hager, er ist dunkel wie ein Indianer. Will Burnett ist gelbhaarig, stark und geschmeidig. Als die Sonne schon fast hinter den Mesas verschwunden ist, erreichen sie die Corrals der Arizona Overland Company. Dort hat man sie längst kommen sehen, öffnet die Corralgitter und hilft ihnen, die Pferde hineinzujagen. Der Agent der Overland Company sitzt auf einer der oberen Corralstangen und betrachtet die Tiere aufmerksam. Virg und Will lenken ihre Pferde neben ihn, beugen sich vor und legen die Hände auf die Sattelhörner. Der Agent wendet sich ihnen nach einer Weile zu und nickt. »Gute Pferde! Genau die Sorte, die wir haben wollten. Und keines älter als zwei Jahre, denke ich. Gut gemacht! Ich zahle tausend Dollar. Das ist ein stolzer Preis für halbwilde Biester, mit denen man noch Monate arbeiten muss.« Virg und Will nicken. Sie haben im besten Fall mit neunhundert Dollar gerechnet ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 161
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Gefährliche Fährten
Vorschau
Impressum
Gefährliche Fährten
An einem schönen Spätsommernachmittag kommen sie mit der Wildpferdherde aus dem Messaland und sehen die kleine Stadt Tonto vor sich. Es sind etwa dreißig erstklassige Pferde, die Virg Cheshire und Will Burnett im Verlauf vieler Wochen in der Canyonfalle gesammelt haben.
Virg Cheshire wirkt hager, er ist dunkel wie ein Indianer. Will Burnett ist gelbhaarig, stark und geschmeidig.
Als die Sonne schon fast hinter den Mesas verschwunden ist, erreichen sie die Corrals der Arizona Overland Company. Dort hat man sie längst kommen sehen, öffnet die Corralgitter und hilft ihnen, die Pferde hineinzujagen.
Der Agent der Overland Company sitzt auf einer der oberen Corralstangen und betrachtet die Tiere aufmerksam. Virg und Will lenken ihre Pferde neben ihn, beugen sich vor und legen die Hände auf die Sattelhörner. Der Agent wendet sich ihnen nach einer Weile zu und nickt.
»Gute Pferde! Genau die Sorte, die wir haben wollten. Und keines älter als zwei Jahre, denke ich. Gut gemacht! Ich zahle tausend Dollar. Das ist ein stolzer Preis für halbwilde Biester, mit denen man noch Monate arbeiten muss.«
Virg und Will nicken. Sie haben im besten Fall mit neunhundert Dollar gerechnet ...
»Einer von uns wird das Geld morgen in Ihrem Büro abholen«, sagt Virg Cheshire und zieht sein Pferd herum. Will Burnett folgt ihm.
Als sie außer Hörweite sind, sagt Will: »Das war die eine Sache. Jetzt kommt die andere. Es bleibt bei der Abmachung, ja?«
Virg sieht ihn forschend an. Sie sind Freunde seit ihrer Jugend. Auch während des Bürgerkriegs waren sie zusammen.
»Ja, es bleibt bei unserer Abmachung«, sagt er und nickt. »July Adams hat nun sechs Monate Zeit gehabt, um sich für einen von uns zu entscheiden. Wir haben ihr damals jeder ein Seidentuch geschenkt. Wessen Tuch sie tragen wird, wenn wir vom Wildpferdfang zurück sind, für den hat sie sich entschieden. Und weil wir beide arme Hunde sind, bekommt der Glücklichere von uns beiden den gesamten Erlös, damit er mit July einen besseren Start hat. So war es abgemacht. So soll es sein. Der, für den July sich entschieden hat, ist der große Glücksjunge.«
Will nickt zu diesen Worten.
»Wir sind Freunde und werden es immer bleiben«, murmelt er. »Besser, einer von uns bekommt July, als ein dritter Mann. Ich würde sie keinem anderen Burschen außer dir gönnen, Virg.«
»Und ich keinem anderen außer dir«, knurrt Virg. »Doch der Verlierer muss verschwinden. Wir haben beide zu sehr um sie geworben und lieben sie zu sehr, als dass der Verlierer ...«
Er winkt ab.
»Es gibt immer ein Ende und einen neuen Anfang«, sagt er. »Also gut, finden wir es heraus! July hat versprochen, dass sie einen von uns beiden nehmen und sich während unserer Abwesenheit entscheiden würde. July ist ein Mädel, das Wort hält.«
Sie reiten wortlos weiter.
Für wen sich July auch entscheiden wird, auf jeden Fall ist dieser Tag heute das Ende ihres gemeinsamen Weges. Die Tage der Sattelpartnerschaft sind vorbei, und nie wieder werden sie zusammen an einem Campfeuer sitzen und versuchen, die Sterne zu zählen.
Sie kommen bis vor das Hotel, das July für den Storebesitzer führt. Es ist ein kleines Hotel, und es wirft nicht viel Gewinn ab. July und ein Chinesenjunge bewirtschaften es allein.
Als sie ihre Pferde anhalten, tritt July heraus.
Sie trägt das grüne Seidentuch, das einen Kontrast zu ihrem roten Haar bildet. Ihr Lächeln ist ernst, etwas traurig. Nur in ihren Augen erkennt man die Hoffnung auf Glück.
Das grüne Tuch schenkte ihr Will Burnett.
»July!«, ruft Will Burnett freudig.
Virg Cheshire aber zieht vor July den alten Hut. Er schwingt ihn mit einer fast feierlich anmutenden Bewegung.
»Viel Glück für euch!«, sagt er.
Ihre Augen bitten ihn um Verzeihung. »Es ist schon in Ordnung, July«, hört er sich sagen und wundert sich über seine Worte. »Du hast eine feine Nase, Mädel. Denn Will ist gewiss der bessere Mann von uns beiden. Viel Glück!« Er setzt seinen Hut wieder auf, zieht sein Pferd herum und reitet davon.
July und Will blicken ihm nach. Will beißt sich auf die trockenen Lippen.
Dann sieht er auf July nieder und sitzt mit einer geschmeidigen Bewegung ab. Sie kommt in seine Arme, und sie küssen sich. Er flüstert in ihr Haar: »Du wirst es nie bereuen müssen, July!«
Einige Leute von Tonto beobachten diese Szene. Sie sehen auch, wie Virg Cheshire aus der Stadt reitet – ein dunkler, hagerer, stoppelbärtiger, abgerissener Reiter, der auf seinen Anteil an der Pferdeherde verzichtet hat, weil das so ausgemacht war und weil Will Burnett an seiner Stelle nicht anders gehandelt hätte.
Dennoch gibt es ein oder zwei Leute in Tonto, die der Meinung sind, dass nicht Will der bessere Mann von beiden ist. Es sind Leute, die es wissen müssen – zum Beispiel der Sheriff, der sich mit Männern auskennt, und dann der Storebesitzer, für den July das Hotel führt. Doch vielleicht irren sie sich, diese beiden scharfäugigen Burschen.
Auf jeden Fall ist Will Burnett ein prächtiger Bursche, er sieht besser aus als Virg Cheshire. Und er ist sehr viel lustiger. Vielleicht gab das den Ausschlag bei July, vielleicht wollte sie einen lachenden Mann, bei dem immer die Sonne scheint.
Wer kann das einem Mädel verdenken, dessen Jugend traurig war und das vom dreizehnten Lebensjahr an selbst für sich sorgen musste, nachdem ihre Eltern von Apachen totgeschlagen wurden?
Der Storebesitzer kommt auf dem Plankensteig heran. »Da kann man wohl gratulieren, und ich muss mir für das Hotel jemanden suchen, der July ersetzen kann?«
»So ist es«, sagt Will. »Ich besitze jetzt etwas Geld und kann eine kleine Ranch übernehmen. Wir werden es schaffen.«
✰✰✰
Virg Cheshire reitet nach Süden. Doch das geschieht nicht bewusst. Er muss ganz einfach irgendwohin reiten – und die Richtung ist ihm völlig gleich.
Eine tiefe Resignation ist in ihm, eine Leere, von der er glaubt, sie niemals wieder füllen zu können.
Sie hat Will genommen!, denkt er immer wieder. Was kann sie dazu gebracht haben, Will zu nehmen? Was ist an ihm besser? July ist kein Mädchen, das nach Äußerlichkeiten entscheidet. Will sieht besser aus als ich. Gegen ihn wirke ich wie ein Büffelwolf gegen einen prächtigen Berglöwen. Aber sie nahm ihn nicht wegen seines Aussehens. Es muss etwas anderes sein. Aber ist Will besser als ich? War es die ganzen Jahre nicht so, dass er ein leichtsinniger Bursche war und ich ihn immer wieder bremsen musste, wenn er etwas Unüberlegtes tun wollte? Wäre es nach ihm gegangen, hätten wir keine Pferde gejagt, sondern auf schnellere Weise Geld verdient. Aaah, Will ist ungeduldig und möchte ...
Nein, er will nicht weiter darüber nachdenken. Es kommt ihm gemein und ungerecht vor, Wills Schwächen aufzuzählen.
Virg Cheshire reitet in dieser Nacht nach Süden – bis sein müdes Pferd stehen bleibt und er endlich erkennt, dass er dem Tier eine längere Rast gönnen muss.
Er macht kein Feuer, liegt jedoch bis zum Sonnenaufgang wach in den Decken.
Sein Hunger, der gestern schon groß war, als sie die Pferde in die Corrals brachten, ist noch schlimmer geworden. In seinem Bündel hinter dem Sattel befindet sich kein Proviant mehr. Doch Virg kennt die Gegend. Er erinnert sich an die Watsons, die hier in der Nähe eine kleine Ranch besitzen. Bei ihnen wird er Vorräte kaufen können.
Ohne sich noch länger aufzuhalten, macht er sich auf den Weg. Nach etwa drei Meilen, die er auf einem manchmal kaum erkennbaren Pfad reitet, kommt er über einen Hügelsattel und sieht das Haus der Watsons vor sich.
Alles dort unten wirkt noch primitiv und kümmerlich. In diesem Land verbrauchen die Menschen viel von ihrer Kraft, um sich am Leben zu erhalten. Sie müssen immer wieder aufbauen, was Feinde zerstören.
Die Watsons wurden zweimal von Apachen überfallen, die ihnen das Vieh töteten und Scheune und Stall abbrannten.
Als Virg herunterblickt, wirkt alles sehr still und friedlich – zu still und zu friedlich. Denn um diese Tageszeit müssten Leute wie die Watsons längst auf den Beinen sein und harte Arbeit leisten.
Virg Cheshire ist ein Sohn dieses Landes. Selbst scheinbar bedeutungslose Zeichen übersieht er nicht.
Langsam und wachsam reitet er näher, unterdrückt seinen Hunger und achtet auf die Signale seines Instinktes. Vor dem Anwesen schlägt er einen Halbkreis und betrachtet die Tiere in den Corrals.
Er erkennt drei Pferde, die vor nicht langer Zeit noch hart und rau geritten wurden. Es sind drei abgetriebene, mit einer schmierigen Schicht aus Schweiß und Staub bedeckte Tiere.
Niemand kümmerte sich um sie. In diesem Land sind Pferde ein kostbarer Besitz. Die Watsons würden sich um die drei Tiere bestimmt kümmern, wenn sie es könnten.
Virg Cheshire gleitet aus dem Sattel. Er hält mit einer raschen Bewegung seinen Revolver in der Hand und nähert sich langsam der kleinen Ranch. Das Pferd benutzt er als Deckung. Er führt es so geschickt zwischen sich und der Ranch, dass man ihn mit einem Schuss aus einem der schießschartenähnlichen Fenster kaum erwischen könnte.
Als er näher kommt und die offene Haustür sieht, ruft er: »Hoii, ihr Watsons! Hoii, seid ihr daheim? Hier ist Cheshire, Virg Cheshire. Johnny! Pat! Hört ihr mich?«
Er braucht nicht lange zu warten.
Patricia Watson kommt heraus und winkt ihm zu.
»Sie haben Johnny niedergeschossen! Sie haben ihn zusammengeschossen, weil er ihnen unsere guten Pferde nicht überlassen wollte. Es waren Jack Trevor und die beiden Ringolds.«
Virg läuft auf die Frau zu. Er bemerkt ihre Verzweiflung, drängt sich an ihr vorbei – und sieht dann Johnny Watson. Patricia hat ihren Mann ins Haus gezogen, doch sie schaffte es nicht, ihn ins Bett zu heben. Er liegt mitten auf dem Fußboden auf einer Decke und hat ein Kissen unter dem Kopf.
Pat hat versucht, seine Wunden zu verbinden, aber er ist ihr unter den Händen gestorben. Er ist tot.
Sie kniet wieder bei ihm. Virg hört sie immer wieder sagen: »Was soll ich ohne dich auf dieser Welt tun, Johnny? Sag mir, was soll ich tun ohne dich? Warum gabst du diesen Banditen nicht unsere Pferde? Warum nicht? Was sind schon drei gute Pferde, wenn man einen solchen Preis dafür zahlen muss? Johnny, warum ...« Sie bricht ab, bedeckt ihr Gesicht mit beiden Händen und weint bitterlich.
Virg legt seine Hand auf ihre Schulter und streicht über ihr Haar. Sie hatte schon immer Pech, denkt er. Einst fingen sie hier mit großen Hoffnungen an. Im vergangenen Jahr starb ihr einziger Sohn, der schon ein tüchtiger Bursche war. Und jetzt ...
Sie sieht ihn plötzlich an. Sie weint nicht mehr. Ihre Stimme klingt fest. Nun ist sie wieder die Frau, die mit einer Schrotflinte auf wilde Apachen schoss.
»Es waren Jack Trevor und Bill und Shorty Ringold«, sagt sie. »Sie haben die Überlandpost angehalten und elftausend Dollar erbeutet. Zuerst wollten sie die Pferde kaufen und boten einen guten Preis. Virg, diese Banditen und Mörder dürfen doch nicht ...«
»Nein«, unterbricht er sie, macht sich sachte von ihr los und erhebt sich aus der knienden Stellung. Er blickt auf Johnny Watson nieder, einen hageren, abgearbeiteten Mann von knapp vierzig Jahren. Watson ist ein furchtloser Mann mit Gottvertrauen gewesen. Er hatte stets daran geglaubt, dass es der Armee gelingen würde, die Apachen zu befrieden.
»Nein, diese Mörder dürfen und werden nicht entkommen!«, unterbricht Virg Cheshire die Frau.
»Wenn Sie mir etwas Proviant einpacken würden, Pat, dann könnte ich die Fährte aufnehmen. Dass die Burschen hier frische Pferde holten, deutet auf eine Flucht hin. Sie werden gewiss verfolgt oder rechnen fest damit. Es könnte sein, dass schon in den nächsten Minuten ein Aufgebot kommt. Ich will die Fährte aufnehmen und deutliche Zeichen hinterlassen.«
✰✰✰
Die Spur der drei Banditen ist am Anfang mühelos zu verfolgen.
Mexiko! Ja, das erscheint Virg selbstverständlich. Die Fährte führt geradewegs nach Süden. Für Banditen und Mörder, die den Aufgeboten entkommen wollen, ist die Grenze die sicherste Sache.
Außerdem ist jeder amerikanische Dollar drüben in Mexiko so groß wie ein Wagenrad.
Virg Cheshire schätzt den Weg bis zur Grenze auf etwa zweihundertsechzig Meilen. Das ist keine große Entfernung in diesem Land. Jack Trevor und die beiden Ringolds sind harte, zähe Burschen, richtige Langreiter, die nach einem geglückten Überfall einige Tage und Nächte im Sattel sitzen können, bis auch das ausdauerndste Aufgebot nicht mehr kann.
Für Virg sieht es so aus, als wollten die Banditen ins San Pedro Valley und in diesem nach Süden. Das ist der kürzeste Weg.
Virg lässt seinen grauen Wallach laufen.
Von Patricia Watson weiß er, dass die drei Banditen etwa eine Stunde Vorsprung hatten. Dieser Vorsprung ist gewiss noch größer geworden, weil sie am Anfang sehr schnell ritten.
Als es Mittag wird, glaubt Virg, dass er aufholt.
Die Pferde der Banditen sind inzwischen müde, und sie werden immer wieder angetrieben und scharf geritten. Ihre Schnelligkeit verringert sich nun mit jeder weiteren Meile. Virgs Grauer trottet noch wie in der ersten Stunde.
Virg denkt über die Banditen nach. An dieser Flucht ist etwas, was ihm nicht gefällt. Er vermutet, dass die drei Mörder nach Anbruch der Dunkelheit die Richtung wechseln werden.
Das wäre der große Trick! Wenn ein Aufgebot die Überzeugung gewinnt, dass die Flüchtlinge über die Grenze wollen, wird es auch nach Anbruch der Nacht nach Süden reiten – und die Fährte verlieren. Es müsste bei Tag zurück und die Spur neu aufnehmen. Eine ganze Nacht und wahrscheinlich der folgende Tag gingen verloren.
Mit solch einem Vorsprung bräuchten die Banditen nicht nach Mexiko. Sie könnten überall untertauchen.
Virg Cheshire beschließt, alles auf eine Karte zu setzen. Er klopft seinem Wallach den Hals und ruft knapp: »Los, Texas! Los!«
Der Graue schnaubt willig und beginnt, zu galoppieren. Er wird dieses Tempo bis zum Anbruch der Nacht beibehalten können, dann jedoch am Ende seiner Kraft sein.
Wenn Virg bis zum Abend die drei Banditen nicht eingeholt hat, wird er sie nie mehr einholen. Sie werden ihm und jedem Aufgebot glatt entkommen.
Am späten Nachmittag wird die Fährte immer frischer. Virg ist kaum mehr als zehn Minuten hinter den Banditen.
Die Sonne sinkt. Langsam kriechen die Schatten der Nacht näher und verdrängen den blutrot sterbenden Tag. Bald schon kann Virg die Fährte nicht mehr erkennen.
Er hält an und lauscht.
Was jetzt? Er kann nur noch wenige Minuten hinter den Banditen sein. Die Burschen müssen sich ganz in der Nähe befinden. Doch wo?
Virg kommt zu der Überzeugung, dass die Banditen sich entweder frische Pferde besorgen oder eine längere Rast einlegen müssen.
Frische Pferde! Virg ist sich sicher, dass sich die Kerle frische Pferde besorgen werden. Aber wo?
Nach einigem Nachdenken weiß er schon bald eine Möglichkeit für einen Pferdetausch. Es ist ein kleiner Talkessel mit einer winzigen Quelle. Es gibt dort eine Hütte, in der ein Halbblut mit einer Squaw lebt und in einer Höhle Schnaps brennt. Es ist nicht weit, keine halbe Meile. Der Weg dorthin führt zwischen zwei kleinen Mesas hindurch bis zu einem langen Lavarücken. Schluchten führen hinein und durchbrechen ihn.
Virg Cheshire reitet im Schritt. Er glaubt, sicher zu wissen, dass die Banditen sich zumindest dort so lange aufhalten werden, bis sie ihre Pferde umgesattelt und eine Mahlzeit eingenommen haben.
Und dann?
Virg Cheshire spürt einen Moment das Gefühl der Furcht. Er begreift in diesen Minuten, dass es allein auf ihn ankommen wird, ob die Banditen entkommen können. Das Aufgebot ist gewiss längst abgehängt und hatte keine Gelegenheit, frische Pferde zu bekommen. Die Banditen aber wechseln wahrscheinlich dort bei dem Halbblutmann zum zweiten Mal ihre Pferde.
Also waren ihr Überfall auf die Watson Ranch und der Pferderaub geplant. Sie wussten, dass sie bei den Watsons gute Pferde bekommen würden und kalkulierten das für ihre Flucht ein.
Virg Cheshire reitet durch eine der kurzen Schluchten, die den Lavarücken durchbrechen, und gelangt in den Talkessel, in dem Flachnase-Pete Kimbel mit seiner Ute-Squaw lebt.
Unter einer überhängenden Felswand steht die Hütte. Ein Feuer brennt davor. Durch die offene Tür leuchtet der Schein einer Lampe.
Im Corral bewegen sich Pferde. Andere Tiere sind außerhalb des Corrals angebunden, schon gesattelt und reitfertig. Der Flammenschein des Feuers beleuchtet einige Männer.
Virg Cheshire weiß, dass er noch zur rechten Zeit kam. Die drei Banditen sind noch da.
Was nun?
Sie sind in der Überzahl, denkt er. Und sie sind gefährlich wie Raubtiere. Wenn ich hinübergehe, dann ...
Was dann? Er fragt sich, was er denn eigentlich zu verlieren hat. Er hat keinen Freund mehr, und er bekam das Mädchen nicht, das er liebt. Gleichzeitig musste er aber erkennen, dass es noch schlimmeres Leid gibt als seines. Denn er sah den toten Watson und dessen unglückliche Frau.
Und dort sind die Mörder!
Plötzlich steigt ein wildes Gefühl in ihm auf. Er gleicht mit einem Mal einem Spieler, der bis auf einen einzigen Chip alles verlor und diesen letzten Chip noch einmal als Herausforderung ins Spiel wirft.
Ihm wird plötzlich leichter ums Herz. Der Gedanke an July Adams und Will Burnett, die ein glückliches Paar wurden, schmerzt nicht mehr so sehr.
Er steigt aus dem Sattel. Jetzt erinnert er sich an Flachnase-Petes großen Wolfshund. In diesem Moment schnaubt der Graue erschreckt und weicht zur Seite.
Virg wirbelt herum und zieht den Colt. Seine Bewegung kommt so unwahrscheinlich schnell, dass der ihn anspringende Hund nicht seine Kehle findet, sondern ins Leere schnappt. Der Hund streift mit der Schulter Virgs Brust, und Virg lässt den Revolverlauf niedersausen. Er trifft das gefährliche Tier, das lautlos aus der Dunkelheit angriff, zwischen die Ohren. Knurrend fällt der Hund zur Seite, schon halb betäubt. Virg wirft sich vor und trifft nochmals, diesmal noch genauer und härter.
Der Hund stößt seufzend die Luft aus. Es klingt wie bei einem Menschen. Dann streckt er sich und bewegt sich nicht mehr.
Virg Cheshire atmet auf.
Das war knapp. Die wilde Bestie, die nur auf Flachnase-Pete und dessen Frau hört, hätte ihm glatt die Kehle durchgebissen. Gewöhnlich ist der Hund angebunden. Doch wahrscheinlich ließ man ihn frei, um nicht überrascht zu werden. Dieser vierbeinige Wächter war bestimmt gefährlicher als jeder Mann.
Virg lässt sein müdes Pferd und den bewusstlosen Hund zurück und bewegt sich langsam zu Fuß vorwärts. Das Gras, das hier wächst, ist von den Tieren völlig abgeweidet. Virg kommt fast ohne jedes Geräusch vorwärts.
Er braucht sich jedoch nicht besonders vorzusehen. Das Feuer dort drüben knistert, die dicht in der Nähe angebundenen Pferde und die Männer selbst machen genügend Geräusche, die seine leisen Schritte übertönen.
Er wird auch nicht bemerkt, als er sich dem Halbkreis nähert. Erst an der Hüttenecke bleibt er stehen. Mit der linken Schulter lehnt er an der Hütte. Die rechte Hand hält den Colt auf die Männer am Feuer gerichtet.
Die Hütte wäre zu klein für alle. Über dem Feuer brät ein großes Ferkel am Spieß.
Der warme Schein des Feuers macht die harten, stoppelbärtigen Gesichter der Männer nicht weicher – im Gegenteil, die Szene wirkt primitiv und wild, und die Gefahr hängt wie eine unsichtbare Wolke über den Dingen.
Jack Trevor ist ein großer, sehniger Bursche. Er sieht aus, als wäre er niemals jung gewesen, sondern immer schon ein erfahrener Wolf unbestimmbaren Alters. Seine Haut ist lederhäutig, und seine Augen leuchten im Feuerschein wie zwei Wolfslichter.
Er ist ein Bandit, der keine Gnade kennt. Virg Cheshire weiß es genau.
Die Brüder Bill und Shorty Ringold sind klein und gedrungen. Sie wirken wie Apachen in der Kleidung weißer Männer. Ihr Ruf als Revolverhelden und Straßenräuber ist nicht geringer als der von Jack Trevor.