G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 2 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 2 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!

Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2353 bis 2355:

2353: Overland Line

Die schöne Jennifer Buckmaster hat als Frau keine Chance gegen die mächtige Colorado Overland Line. Doch dann kommt Johnny Laredo ...

2354: Double T Ranch

Die schöne Gina Turnslade träumt von einem gewaltigen Rinderreich, in dem sie die Queen ist, und je näher sie ihrem Ziel kommt, umso mehr ist ihr jedes Mittel recht ...

2355: Sundown Town

Big Abe Longbridge kennt keinen anderen als Kelly Elroy, der seine Tochter aus der Banditenstadt am Sundown Pass herausholen könnte. Aber gerade erst hat der Cattle King Kellys Ranch geschluckt und ihn zum Satteltramp gemacht ...


Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 250 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 468

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln Coverillustration: Manuel Prieto/Norma ISBN 978-3-7325-8249-5

G. F. Unger

Western-Bestseller Sammelband 2

Inhalt

G. F. UngerG. F. Unger Western-Bestseller 2353 - WesternDie schöne Jennifer Buckmaster hat als Frau keine Chance gegen die mächtige Colorado Overland Line. Doch dann kommt Johnny Laredo ...Jetzt lesen
G. F. Unger Western-Bestseller 2354 - WesternDie schöne Gina Turnslade träumt von einem gewaltigen Rinderreich, in dem sie die Queen ist, und je näher sie ihrem Ziel kommt, umso mehr ist ihr jedes Mittel recht ...Jetzt lesen
G. F. Unger Western-Bestseller 2355 - WesternBig Abe Longbridge kennt keinen anderen als Kelly Elroy, der seine Tochter aus der Banditenstadt am Sundown Pass herausholen könnte. Aber gerade erst hat der Cattle King Kellys Ranch geschluckt und ihn zum Satteltramp gemacht ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Overland Line

Vorschau

Overland Line

Es war später Nachmittag, als ich auf meinem müden Red in Canyon City eintraf. Die Sonne schien nicht mehr in den Canyon. Ihr Schein lag bereits oben auf dem Ostrand, so weit stand sie schon im Westen – aber für mein Vorhaben war es noch hell genug.

Ich habe niemals eine Sache auf die lange Bank geschoben. Deshalb ritt ich nicht in die Stadt hinein, sondern schlug einen Halbkreis und gelangte zum Friedhof der Stadt, der auf einem kleinen Hügel lag. Als ich vor die Hütte des Totengräbers kam, reinigte dieser gerade seine Grabwerkzeuge. Er war ein riesiger Bursche, dem man zutrauen mochte, dass er sich einen mittelgroßen Sarg unter den Arm klemmen konnte wie ein Kind einen Schuhkarton. Er sah mich wortlos und ohne Freundlichkeit an.

»Das Grab von Drango Kilham – wo liegt es?«, fragte ich.

Der Totengräber betrachtete mich mit einem schrägen Blick. Dann sah er auf meinen Colt und schließlich auf mein Pferd. »Ganz oben, das vorletzte Grab«, erwiderte er mürrisch.

Ich sah hinauf. Der Friedhof hatte sozusagen zwei Abteilungen. Die noblen Gräber der ehrenwerten Leute lagen auf den Terrassen des Hügels und waren gut zu erreichen. Dort wo der Boden steinig und steil war, lagen jene, die in den Stiefeln starben oder deren Namen man nicht kannte. Banditen, Revolverhelden, Säufer und Selbstmörder waren hier begraben …

Ich nickte dem Totengräber zu, griff in die Tasche und holte ein Fünfdollarstück heraus. »Grab Drango Kilham aus«, sagte ich, »denn ich will ihn mir ansehen.«

Dann warf ich dem Totengräber das Goldstück zu.

Er schnappte es, betrachtete es kritisch, zögerte – und warf es mir blitzschnell zurück. Dass ich es dennoch auffangen konnte, verriet ihm eine Menge. Von hundert Männern hätte es kaum einer geschafft.

»Ich habe Feierabend«, sagte er. »Außerdem soll man Tote ruhen lassen. Ohne eine Anweisung des Stadtrates öffne ich kein Grab.«

»Doch«, sagte ich und glitt aus dem Sattel.

Sein schräger Blick wurde noch tückischer. Der Bursche hielt seinen blanken Spaten fast wie ein Beil umfasst. Ich begriff, dass er versuchen würde, mich mit dem Spaten in zwei Teile zu schlagen, sobald ich rau zu ihm wurde.

Aber ich wollte und konnte nicht lange herumtändeln. Ich musste in das Grab gesehen haben, bevor man von meiner Ankunft erfuhr. Sonst konnte es passieren, dass man den Toten aus seinem Grab holte und irgendwo verschwinden ließ. Dann war es für mich zu spät.

Ich blickte den Totengräber an, und obwohl ich wusste, dass jedes Wort vergeblich war, versuchte ich es dennoch. Ich sagte: »Ich bin in Eile, Freund. Und ich bitte dich um diesen Gefallen. Fünf Dollar sind für dich mehr als ein Tageslohn. Also …«

Er schüttelte stur seinen filzhaarigen Schädel und sagte: »Ich mache dich klein, du großmäuliger Revolverschwinger, wenn du jetzt nicht aufhörst und verschwindest. Geh zum Marshal oder zu einem unserer drei Stadträte. Dort kannst du …«

Ich ließ ihn nicht ausreden, denn ich musste schnell sein. Er war nämlich mächtig auf der Hut. Als ich mein blitzschnell von ihm zurückgeworfenes Geldstück auffing, wusste er Bescheid.

Er wollte mir die scharfe Schneide des Spatens ins Gesicht stoßen. Das war sein Trick. Obwohl es den Anschein hatte, dass er mit beiden Händen einen Hieb von oben nach unten machen würde, stieß er zu.

Aber er erwischte mich nicht. Ich schlug den Spaten zur Seite. Und dann gab ich es ihm.

Gewiss, er war riesig, stark und zäh. Er hatte eine Menge Eigenschaften, die man auch bei einem zähen und gemeinen Maultier findet.

Ich war über sechs Fuß groß, hager und hohlwangig – und wog dennoch angekleidet zweihundert Pfund. Ich war narbig und erfahren wie ein Wolf im besten Alter.

Meinen Namen kannte man aus einigen Geschichten, die schon Legende geworden waren. Ich war nicht einfach nur Johnny Laredo – ich war der Johnny Laredo. Aber ich war gar nicht mehr so stolz darauf, denn mein bitterer Ruhm war nicht gut.

Mit dem riesigen Totengräber von Canyon City kam ich ohne viele Schwierigkeiten zurecht.

Ich gab es ihm, und als er zum dritten Mal zu Boden ging und sich vergeblich mühte hochzukommen, da fragte ich ihn: »Ist es jetzt gut, Hombre? Wollen wir uns jetzt einigen und wieder vertragen?«

Er grunzte und keuchte. Und obwohl er tückisch und verschlagen war wie ein Maultier, benahm er sich jetzt doch fair.

Er schnaufte: »Schon gut, schon gut! Wenn ich sauber und glatt geschlagen werde, dann erkenne ich das an. Es gab bisher nicht viele Burschen, die mich so glatt von den Beinen bekamen. Schon gut! Ich mache Überstunden, Mister.«

Wenige Minuten später arbeitete er schnell und geschickt. Der einfache Sarg lag nicht sehr tief unter der steinigen Oberfläche.

»Für Armengräber gibt es nur zwei Dollar«, sage der Totengräber. »Und dabei arbeitet man auf diesem Teil des Friedhofes viel länger als dort, wo die noblen Plätze sind.«

Ich hörte nicht richtig zu. Denn ich war damit beschäftigt, den Sarg zu öffnen.

Inzwischen war es schon dämmrig geworden, aber das Licht reichte aus. Ich konnte noch gut genug sehen.

Oh, ich war ein harter Bursche! Ich hatte während des Krieges eine Menge scheußlicher Dinge sehen müssen. Deshalb konnte mich so leicht nichts mehr umwerfen.

Doch als ich den Sarg geöffnet hatte, wurde mir übel. In diesen Minuten hoffte ich mit ganzer Kraft, dass ich umsonst hergekommen war und sich alles als Irrtum oder böser Scherz herausstellen würde.

Ich hoffte, dass dieser Mann im Sarg wirklich Drango Kilham war.

Aber nach einer Minute wusste ich, dass der Tote niemals Drango Kilham sein konnte. Das erkannte ich nicht am Gesicht. Eine Doppelladung Indianerschrot hatte es unkenntlich gemacht.

Aber es war nicht Drango Kilham.

Ich brauchte nur den linken Arm des Toten frei zu machen. Da konnte ich das Zeichen sehen. Und das war untrüglich.

Der Tote war mein Bruder Bill!

Es gab keinen Zweifel. Langsam schloss ich den billigen Sarg.

Ich kletterte aus der Grube, wischte mir das Gesicht und strich mir nachdenklich den sichelförmigen Texanerbart.

Ich dachte an viele Dinge zugleich, bekam allmählich wieder die Kontrolle über mich und bezwang meinen Schmerz.

Der Tote war also mein kleiner Bruder Bill, dem ich ein Studium im Osten ermöglicht hatte und den ich von allen miesen Dingen fernhalten wollte, mit denen ich immer wieder zu tun hatte. Bill sollte anders werden als ich – ganz anders. Oh, was war ich stolz auf ihn gewesen! Nachdem er sein Examen als Vermessungsingenieur mit Auszeichnung bestand, ging er zur Union Pacific. Er war an der Vermessung der Trasse und etlicher Brücken maßgeblich beteiligt. Er hatte sich viel Geld zusammensparen können. Zuletzt schrieb er mir, dass er sich an einer kleinen Post- und Frachtlinie beteiligen würde, weil er sich zutraute, aus dieser Linie in wenigen Monaten eine große Sache zu machen.

Aber das war ihm nicht geglückt.

Jetzt lag er dort in der Grube – bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Nur ich, sein Bruder, konnte ihn an dem Zeichen am Arm erkennen.

Auch ich besaß dieses Zeichen. Es war ein »Andenken« ans Apachen-Land. Da die Apachen immer wieder Kinder entführten, um sie zu ihresgleichen zu machen, wurde es unter Weißen des Landes Sitte, ihre kleinen Kinder am Arm mit den Anfangsbuchstaben ihrer Namen zu tätowieren. So war man sicher, dass man die Kinder auch noch nach vielen Jahren wiedererkennen und identifizieren konnte.

Mein Bruder und ich hatten die Zeichen BL, und JL und die Jahreszahl unserer Geburt eintätowiert bekommen.

Am Arm des Toten hatte ich lesen können: BL 40.

Ich trug JL 35, und jetzt schrieben wir das Jahr 1870. Mein Bruder war dreißig Jahre alt geworden. Ich war jetzt fünfunddreißig.

Ich sah den Totengräber an, der mich schweigend beobachtete. Er hatte von meinen Fäusten eine geschwollene Nase, ein gerötetes Kinn und ein noch weiter zuschwellendes Auge.

Doch es war keine Feindschaft mehr in ihm.

Er glich wahrhaftig einem Maultier, das seinen Herrn und Meister anerkannte und nun keine Schwierigkeiten mehr machte.

Ich sagte zu ihm: »Das ist nicht Drango Kilham. Das ist mein Bruder Bill Laredo. Ich bin Johnny Laredo. Und ich will, dass mein Bruder dort unter den noblen Gräbern einen guten Platz bekommt.«

Er nickte.

»Da müssen Sie zum Marshal«, sagte er. »Einem der Deputys untersteht die Friedhofsverwaltung. Er führt auch das Register und – oho, da hat man also den falschen Mann für Drango Kilham gehalten und erschossen? Es waren fünftausend Dollar Belohnung für Drango Kilham ausgesetzt. Und ich weiß, dass sie ausgezahlt wurden.«

»An wen?«, fragte ich.

Er zögerte und kratzte sich am Hinterkopf.

Aber dann starrte er an mir vorbei in die Abenddämmerung. Ich wandte den Kopf und erkannte einen Mann, der lautlos um einen der Felsen herumgekommen war und dann verhalten hatte.

Die Antwort auf meine Frage erhielt ich nicht vom Totengräber, sondern von diesem Mann. Er kam dabei gemächlich näher, doch geschmeidig und lässig.

»An mich wurde die Belohnung ausgezahlt«, sagte er. »Und was nun?«

Er war näher herangekommen. Drei Schritte trennten uns nur noch. Ich konnte ihn ansehen.

Und plötzlich kam mir alles unwirklich vor. Ich hoffte einen Moment, dass dies nur ein verrückter Traum wäre und ich bald erwachen würde. Aber diese Hoffnung war nur ein flüchtiger Gedanke.

»Sie haben ihn erschossen?«, fragte ich langsam und mühte mich, ruhig und kalt zu bleiben und die Erregung zu unterdrücken, die in mir aufsteigen wollte. Und da ich inzwischen ein erfahrener Wolf geworden war, gelang mir das auch.

»Es war Drango Kilham«, sagte der Mann. »Er war aus dem Gefängnis ausgebrochen, in dem er auf den Henker wartete. Er hielt die Postkutsche nach Grand Mesa an, weil er nur mit dieser Postkutsche schnell genug fortkommen konnte. Er war ohne Pferd. Ich saß in der Kutsche und bewachte das Gold und das Silber. Als er die Tür öffnete und den Revolver auf mich richtete, schoss ich. Schließlich war er ein rechtmäßig zum Tode verurteilter Mörder, der schon etliche Kutschen überfallen und mehr als ein Dutzend Männer dabei getötet hatte. Sollte ich mich von ihm umlegen lassen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»An der Sache ist nur ein Haken, Mister …«

»Mein Name ist Slater. Ernest Slater. Und war für ein Haken ist an der Sache?«

»Der Mann, den Sie als Drango Kilham erschossen haben, war nicht Drango Kilham. Es war mein Bruder Bill. Und mein Name ist Laredo, Johnny Laredo. Ich glaube, dass hier etwas gewaltig zum Himmel stinkt. Ich glaube auch, dass Sie, Slater, genau gewusst haben, was Sie taten. Wahrscheinlich hatten Sie jedoch einige Zeugen, die beschworen, dass der Mann, den Sie erschossen haben, wahrhaftig Drango Kilham war. Nachher konnte das ja kein Mensch mehr erkennen. Na schön, Slater. Ich werde Ihnen schon noch die Haut abziehen, Ihnen und Ihren Hintermännern. Warum sind Sie überhaupt hier?«

Er grinste kalt. Er war ein Mann von meiner Statur, groß und hager, dabei schnell wie ein Wüstenwolf.

»Johnny Laredo«, sagte er und ließ meinen Namen genießerisch auf der Zunge zergehen. »Sie können jetzt gleich hier einen Kampf mit mir haben, Laredo.« Er strömte plötzlich eine unnachgiebige Härte und Gefahr aus. »Ich bin hier, weil ich mir vor dem Abendrummel stets etwas die Füße vertrete. Es zieht mich dann in diese Richtung, denn auf diesem Friedhof liegen schon vier Männer, die durch meine Hand starben. Wollen Sie mit Ihrem Bruder in derselben Gruft liegen, Laredo?«

In seiner Stimme lagen schneidender Hohn und eine kalte Herausforderung.

Oh, es juckte mich! Ich wollte gerne! Aber natürlich nicht das, was er mich fragte. Ich wollte nicht mit meinem armen Bruder Bill in der gleichen Grube liegen. Nein, ich wollte Slater töten. Nur das wollte ich.

Aber es gelang mir, mich zu beherrschen.

»Vielleicht brauche ich dich noch, Ernest Slater«, sagte ich. »Denn durch dich …«

Ich kam nicht weiter, denn er zog.

Die Dämmerung war schon sehr stark geworden. Obwohl wir nur drei Schritte voneinander entfernt waren, konnte ich den Beginn seines Ziehens nicht erkennen.

Aber mein Instinkt sagte es mir.

Während ich selbst zog – es war nur ein Reflex –, duckte ich mich und drehte ihm meine linke Schulter zu.

Denn ich war Linkshänder. Ich zog links.

Er schoss einen Sekundenbruchteil früher als ich. Er hatte mich mit dem Ziehen doch etwas überrumpeln können. Aber seine Kugel zupfte nur an meinem Oberarm, weil ich meine Schulter gedankenschnell vorgeschoben hatte. Dort, wo die Kugel meinen Oberarm streifte, war noch vor einem Sekundenbruchteil meine Brust gewesen.

Ich traf Ernest Slater mit meiner Kugel, und als er schwankte, wusste ich, dass er noch einmal feuern würde. Ich sprang vorwärts und rammte ihn so, dass er sich rücklings überschlug. Er blieb bewegungslos liegen.

Ich atmete keuchend aus.

Der Totengräber sagte: »Mann, auf diese Art machen Sie sich nicht gerade beliebt. Alle Leute sind nicht so wie ich. Die nehmen es übel, wenn man sie umlegt – sei es mit den Fäusten oder mit dem Colt.«

Ich schnaufte nur.

Dann ging ich zu Ernest Slater und sah, dass ich ihn nur in die Schulter getroffen hatte.

Da lag der Mann, den ich für den Mörder meines Bruders ansehen musste.

Und was nun?

Oh, ich wusste, was zu tun war. Und ich durfte keine Minute verschwenden. Ich musste die Sache in Gang gebracht haben, bevor Kräfte wirksam wurden, die alles vertuschen wollten.

Ich holte mein Pferd und lud den Bewusstlosen auf.

Dann machte ich mich auf den Weg.

In der Minenstadt Canyon City waren jetzt überall die Lampen und Laternen angezündet worden. Sogar brennende Teerfässer standen an den Ecken der Hauptstraße.

Canyon City war dabei, für eine lange und sündhafte Nacht in Gang zu kommen. Alles quirlte durcheinander. Längs der Plankengehsteige waren Wagen abgestellt. An den Haltebalken standen Pferde. Fast jedes zweite Haus beherbergte einen Saloon, eine Tanz- oder Spielhalle. Aus vielen größeren Tingeltangels lärmten Musikkapellen um die Wette.

Ich suchte mir mit meinem Pferd den Weg durch all das Gewirr und hielt dabei meine Augen auf.

Es war klar, dass ein Mann wie Ernest Slater hier Freunde und Auftraggeber haben musste.

Würde ich ihn noch in eine Zelle bringen können?

Auf jeden Fall würde auch der hiesige Marshal Farbe bekennen müssen, sich erklären, auf welcher Seite er stand.

Es lohnte sich, das herauszufinden.

☆☆☆

So merkwürdig es klingen mag, aber es war tatsächlich so, dass ich mit meinem Pferd und dessen Last kaum Aufmerksamkeit erregte. Vielleicht war man es gewöhnt, dass hier Betrunkene auf diese Art transportiert wurden – oder auch Tote. Vielleicht hatte die wilde Minenstadt jede Nacht ihre Toten und regte sich darüber nicht mehr auf.

Ich kannte mich in solchen Städten aus, und ich wusste Bescheid. Die Guten, die Harmlosen, die Schwachen und die Kleinen bildeten keine Gemeinschaft. Jeder von ihnen war nur mit sich selbst beschäftigt. Sie hatten keine Anführer und glichen einer führungslosen Hammelherde.

Aber die Bösen, die Hartgesottenen, die Hungrigen und Gnadenlosen, die hatten sich längst organisiert und besaßen die Macht. Denn sie handelten geschlossen, standen sich gegenseitig bei und wurden gefürchtet. Sie waren wie ein Wolfsrudel rings um eine Herde.

Ich wusste das alles.

Es war überall so in den Städten mitten in der Wildnis, überall dort, wo man Gold oder Silber fand, wo sich aus allen Himmelsrichtungen der Abschaum sammelte, um von der Hammelherde zu leben.

Ich erreichte endlich das Stadtgefängnis, in dem sich auch das Marshal’s Office befand.

Ein junger Deputy Marshal trat gerade heraus, um wahrscheinlich eine Runde durch die Stadt zu beginnen.

Im Lichtschein der über dem Eingang hängenden Laterne betrachtete er die regungslose Gestalt auf meinem Pferd.

»He, ist das nicht Ernest Slater?«, fragte er. »Was ist mit ihm geschehen?«

»Ja, das ist er«, sagte ich. »Und er hat eine Kugel in der Schulter und wird gleich zur Besinnung kommen. Ist der Marshal dort drinnen?«

»Nein«, erwiderte der Deputy und starrte auf Ernest Slater, der wie ein Sack quer über meinem Pferd lag. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als gefiele es dem jungen Deputy Marshal, Ernest Slater so zu sehen.

Aber dann sagte er: »Der Marshal sitzt beim Abendbrot im Peking Restaurant. Das weiß jeder Mensch in Canyon City. Was ist geschehen?«

»Ernest Slater hat einen Mann ermordet«, sagte ich. »Ich erhebe gegen ihn Anzeige wegen Mordes. Der Marshal wird dich verfluchen, junger Freund, wenn du ihn auch nur eine Minute zu spät holst. Und vergiss nicht, einem Doc Bescheid zu sagen. Ich bringe Slater inzwischen in eine Zelle. Du glaubst gar nicht, mein Junge, wie wichtig Slater ist. Lauf schon, wenn du deinem Boss einen Gefallen erweisen möchtest!«

Er zögerte, denn er war ein stolzer Bursche, ehrgeizig und von jener Sorte, die sofort störrisch wird, wenn jemand ihrer Selbstherrlichkeit nicht genug Respekt zollt.

»Wer bist du, Hombre?«, fragte er.

»Mein Name ist Laredo, Johnny Laredo«, sagte ich.

Er zuckte zusammen. Doch er hielt einen Moment die Luft an und starrte auf mich. Dann begriff er, dass ich auf jeden Fall eine Nummer zu groß für ihn war und es besser war, seinen Boss zu holen. Er eilte davon.

Auf den Marshal von Canyon City war ich selbst neugierig.

Ich nahm Slater vom Pferd und trug ihn hinein. Er war fast so schwer wie ich. Aber ich konnte mit einem fast zweihundert Pfund schweren Mann umgehen.

Dennoch schwitzte ich, als ich ihn in einer der Gitterzellen auf der Schlafpritsche liegen hatte. Ich öffnete seine Jacke, die Weste und das Hemd und sah nach seiner Wunde. Er hatte meine Kugel nicht in der Schulter, sondern es war ein glatter Durchschuss.

Ich fand im Office einen Verbandskasten und tat für Slater, was ich konnte. Dabei wurde er wach, starrte mich an und begriff allmählich, was geschehen war.

Als er seine Erinnerung wieder voll besaß, sagte er von Herzen: »Oha, du Hundefloh, was hast du doch für ein Glück gehabt! Aber jetzt ist es vorbei – fort – einfach futsch und weg.«

»Wir werden sehen«, sagte ich. »Und wir können eine Wette abschließen. Ich wette, dass ich dich hängen sehen werde.«

Wir konnten uns nicht mehr unterhalten.

Denn jetzt kann der Marshal von Canyon City.

Als ich ihn sah, wusste ich, wer in dieser Stadt das Heft in der Hand hielt.

Es konnte nur die Interessengemeinschaft der Saloon- und Tingeltangel-Besitzer, der Spieler und Barmänner, der Amüsiermädchen und all jener Leute sein, die sich abmühten, den Hammeln die Wolle zu scheren, die Dummköpfe zu rasieren und diese Stadt möglichst wild und sündhaft zu halten. Denn in einer hemmungslosen Stadt rollt der Dollar leichter.

Der Marshal war ein elegant gekleideter Bursche, etwa so alt wie ich, groß und dunkel. Er trug einen Prinz-Albert-Rock, eine Brokatweste und ein blütenweißes Rüschenhemd. Sein lockiges Haar reichte ihm fast bis auf die Schultern. Die Enden seines Schnurrbartes waren spitz.

Er hatte einen harten Mund, ein massiges Kinn und stechende Augen. Er bewegte sich mit der geschmeidigen Lässigkeit eines Panthers. Wäre er hier nicht Marshal geworden, wäre er gewiss der größte Kartenhai dieser Stadt gewesen. Aber vielleicht war er beides. Für die grobe Arbeit hatte er gewiss genug Gehilfen.

Er sah mich fest an, und ich spürte, wie er mich zu erfassen versuchte.

»So, Sie sind Johnny Laredo?«, fragte er. »Und weshalb ließen Sie mich von meinem Nachtmahl fortholen? Es gab Pekingente. Verstehen Sie? Ich möchte keine Zeit verschwenden. Also?«

Er blickte in die offene Zelle, in der Ernest Slater lag und stöhnte. Dann kamen sein Deputy und ein Mann herein, der wie ein Doc aussah. Jedenfalls schleppte er eine typische Arzttasche mit sich.

Der Deputy stellte sich neben den Marshal, und der Doc verschwand in der Zelle, um sich um Slater zu kümmern.

Ich sah den Marshal an und sagte: »Ich ließ auf dem Friedhof ein Grab öffnen. Drango Kilham sollte in diesem Grab liegen. Ich gebe zu, dass dies nicht so leicht bezweifelt werden konnte, denn der Tote hat kein Gesicht mehr. Aber ich fand trotzdem heraus, dass es nicht Drango Kilham ist. Es handelt sich um meinen Bruder Bill Laredo. Das ist einfach festzustellen. Wie ich trägt er sein Zeichen am Arm. Hier …«

Ich verstummte, streifte meinen Ärmel auf, zeigte mein JL 35 und fügte hinzu: »Außerdem tragen wir beide das gleiche Muttermal zwischen den Schulterblättern, und es gibt noch einige andere Zeichen, die seine Identität beweisen. Es gibt keinen Zweifel, dass man meinen Bruder absichtlich oder unabsichtlich für Drango Kilham hielt und erschoss. Alles spricht dafür, dass man es absichtlich tat. Denn bevor man die Abschussprämie von fünftausend Dollar an Slater auszahlte, hat man doch bestimmt Leute gehört, die bezeugen, dass der nicht zu erkennende Tote wahrhaftig Drango Kilham war. Diese Zeugen haben gelogen. Ich erstatte hiermit Anzeige gegen Ernest Slater wegen Mordes und gegen alle Zeugen wegen Meineids. Ich ließ Sie vom Abendessen fortholen. Marshal, weil wir ja wohl zum Friedhof müssen, bevor der Tote verschwinden kann. Ich möchte, dass …«

»Das ist eine verzwickte Sache«, sagte er. »Ich wünschte, ich wäre nicht zuständig. Doch die Grenzen von Canyon City schließen den ganzen Canyon ein, obwohl dieser fast zehn Meilen lang ist. Einige kleinere Siedlungen und Camps, die einige Meilen entfernt liegen, gehören noch zu Canyon City. Alle Dinge, die hier zur Debatte stehen, geschahen also in meinem Amtsbereich. Ah, ich wünschte, die Stadtgrenzen von Canyon City wären enger gezogen. So aber bin ich Marshal und Sheriff zugleich. Na schön, wir werden alles zu Protokoll nehmen. Mein Deputy Phil Garret wird mit Ihnen zum Friedhof gehen und nachsehen, ob der Tote auch wirklich die von Ihnen angegebenen Merkmale hat. Und dann wird unser Richter die Sache klären. Wir haben hier einen guten Richter. Er hat Drango Kilham zum Tode verurteilt, als man Kilham bei einem Postkutschenüberfall erwischte und es dabei wieder einen Toten gab. Der Richter wird auch diese Sache erledigen. Phil, geh mit ihm. Ich sage Cash Cassedy Bescheid, dass wir einen verwundeten Gefangenen in der Zelle haben. Und jetzt muss ich zu meinem Abendessen.«

Er ging hinaus.

Der Deputy Phil Garret sah mich an und grinste.

»Wie heißt er überhaupt?«, fragte ich und nickte zur Tür hin, durch die der Marshal verschwunden war.

»Tom Sharp«, sagte Phil Garret. »und er ist mehr Politiker als Marshal. Die Polizeiarbeit überlässt er Cash Cassedy und mir. Laredo, wissen Sie eigentlich, dass Sie Ihren Bruder auch dann nicht wieder lebendig machen können, wenn Sie noch kräftiger ins Wespennest stechen?«

Ich sah ihn an und nickte.

»Kannten Sie meinen Bruder, Phil Garret?«, fragte ich langsam.

Er nickte.

»Sicher«, sagte er. »Bill Laredo war Jennifer Buckmasters neuer Partner. Seit jener Nacht, in der Drango Kilham den halben Kopf abgeschossen bekam, ist Bill Laredo verschwunden. Es passt gut zusammen. Doch in diesem Land verschwinden viele Männer. Sie haben ganz einfach genug und machen sich auf die Socken. Vielleicht hatte auch Bill Laredo nicht den Mut, Jennifer Buckmasters Partner zu sein, und machte sich lieber still und heimlich davon. Na schön! Gehen wir also!«

Er bewegte sich. Doch dann fiel ihm etwas ein, und er stellte die Frage, die ich eigentlich schon vom Marshal erwartet hatte. Er fragte: »He, warum wussten Sie eigentlich, dass nicht Drango Kilham, sondern Ihr Bruder in dem Grab lag? Sie sind doch kein Hellseher? Sie kamen hergeritten, öffneten ein Grab und fanden darin Ihren Bruder. Wieso waren Sie so schlau?«

»Ich erhielt einen Brief«, sagte ich. »In diesem Brief steht, dass ich meinen Bruder tot in Drango Kilhams Grab finden würde. Der Brief trägt keine Unterschrift. Es gibt hier anscheinend verschiedene Interessengruppen.«

Da grinste Phil Garret nur und ging hinaus. Ich folgte ihm, und als wir den Friedhof erreichten und uns mithilfe des Totengräbers und im Lichtschein von zwei Laternen davon überzeugten, dass der Tote alle Zeichen und Male hatte, die ich erwähnte, war ich zufrieden.

Welche Bande hier auch ihr hartes Spiel trieb – sie hatte keine Zeit mehr gehabt, den Toten verschwinden zu lassen.

Mein Bruder Bill würde morgen ein besseres Grab und einen richtigen Grabstein bekommen. Und ich konnte mich daranmachen, die Hintergründe seines Todes zu erforschen.

Bills Mörder, Ernest Slater, genügte mir nicht.

Es gab eine Menge Möglichkeiten:

1. Bill war jemandem im Weg gewesen, der daran interessiert war, dass Drango Kilham befreit und für tot erklärt wurde, ohne tot zu sein. Es passte dann gut, Bill und Kilham gewissermaßen auszutauschen.

2. Bill war niemandem im Weg, aber dafür Drango Kilham ähnlich. Man wollte Drango Kilham nicht nur befreien, sondern außer Verfolgung setzen. Das konnte man am besten, indem man ihn angeblich erschoss, sodass er bald in Vergessenheit geriet. Man wollte bei dieser Gelegenheit gleichzeitig die ausgesetzte Kopfprämie kassieren.

In diesem Fall gab es keine Hintergründe, die mit meinem Bruder zusammenhingen. Dann hatte er einfach nur das Pech gehabt, als »Ersatzmann« zu dienen, damit sich Drango Kilham irgendwo ins Fäustchen lachen konnte.

Aber dann wollte ich Drango Kilham haben!

Man konnte es also drehen, wie man wollte. Ich musste hier auf Jagd gehen. Und darauf verstand ich mich gut.

Das war mein Job, denn ich war ein Mann, der von seinem Revolver lebte, wenn ich auch schon mehrmals den Stern trug.

Ich war Johnny Laredo, der Revolvermann.

Oft genug hatte ich für Auftraggeber gejagt, denen das Gesetz nicht helfen konnte.

Diesmal jagte ich für mich selbst.

Ich hatte meinen Bruder verloren.

Natürlich konnte ich ihn nicht wieder lebendig machen.

Doch seine Mörder sollten nicht ungestraft davonkommen.

Ernest Slater hatte gewusst, dass er einen Fremden, einen völlig Unschuldigen, erschoss.

Und auch die Zeugen, die aussagten, dass Bill der ausgebrochene Drango Kilham gewesen wäre, hatten gelogen.

Ich war hier, um das in Ordnung zu bringen.

☆☆☆

Obwohl ich müde war von drei langen Tagen im Sattel und hungrig wie ein Wolf nach einem Blizzard und auch einsah, dass mein guter Red es verdient hätte, im Mietstall versorgt zu werden, machte ich mich erst auf den Weg zu Jennifer Buckmaster, deren Partner mein Bruder Bill geworden war.

Er hatte es mir damals geschrieben.

Ich fand die »Buckmaster Overland Line« am Rand der Stadt, dort, wo der Baugrund billig war und die Häuser, Hütten und Schuppen weniger beachtlich waren.

Im Wagenhof mühten sich trotz der späten Stunde zwei Männer damit ab, einem schweren Frachtwagen eine neue Vorderachse zu montieren. Der Wagen war entladen worden, und das allein war eine gute Arbeit gewesen. Die Kisten, Ballen, Fässer und Packen mussten nachher wieder richtig eingeladen und verteilt werden. Hier in den Bergen kam es viel auf die richtige Gewichtsverteilung an.

Die Männer schauten mich an. Sie schnauften und schwitzten. Doch ich sah mit einem Blick, dass sie die Hauptarbeit schon geschafft hatten. Sie konnten gleich die schweren Räder an den Wagen bringen und ihn abbocken.

Ich sagte: »Mein Name ist Laredo – Johnny Laredo. Ich möchte zu Jennifer Buckmaster. Wo finde ich sie?«

Sie starrten mich an. Einer von ihnen trat näher, um mich genauer betrachten zu können.

»Warum fragen Sie nicht nach Ihrem Bruder Bill?«, fragte er bitter.

Ich musste schlucken, denn ich begriff, dass sie von Bill glaubten, er hätte sich davongemacht.

Ich sagte: »Vor einer Stunde ließ ich Drango Kilhams Grab öffnen. Es lag nicht Kilham darin, sondern mein Bruder Bill. Wo finde ich Jennifer Buckmaster?«

Sie hielten die Luft an und atmeten dann bitter aus.

»Also machten sie ihre Drohung wahr«, murmelte einer der Männer.

Der andere deutete auf ein erleuchtetes Fenster an der Ecke eines Hauses, das aus einem großen Blockhaus und vielen Anbauten zu bestehen schien.

»Dort im Frachtbüro ist sie«, sagte der Mann. »Gehen Sie nur hin. Und – und es tut uns leid wegen Ihres Bruders. Sollen wir uns um Ihr Pferd kümmern? Das Tier sieht schlimm aus und …«

Ich war inzwischen abgesessen und warf dem Mann die Zügelenden zu. Mit langen Schritten machte ich mich auf den Weg. Nachdem ich zweimal angeklopft hatte und immer noch keine Antwort erhielt, öffnete ich die Tür und trat ein.

Jennifer Buckmaster hatte ihre Arme auf den Schreibtisch gelegt und den Kopf auf die Arme gebettet. Sie schlief. Sie musste vor Übermüdung eingeschlafen sein. Neben ihr standen eine Kaffeekanne und eine Tasse. Aber auch der starke Kaffee hatte sie nicht wach gehalten.

Ich schenkte mir aus der Kanne ein. Der Kaffee war zwar nur lau, doch ich konnte endlich den Staub des langen Rittes aus der Kehle spülen.

Als ich mir die zweite Tasse einschenkte, wachte sie auf. Sie strich ihr dunkles Haar zurück und rieb sich die Augen. Ihre Augen waren blau – von einem Blau, wie ich es schöner noch nicht sah.

Und blank waren die Augen! Es war kein Schlaf mehr darin.

Wir betrachteten uns.

Und sie gefiel mir. Auf den ersten Blick schien sie etwas herb zu sein. Aber das musste sie wohl auch als Chefin einer Post- und Frachtlinie. Ich entdeckte aber schon bald eine Menge Dinge an ihr, die weiblich und mädchenhaft, erfreulich, reizvoll und bezaubernd waren.

Warum plagte sich ein reizvolles Mädchen mit einer Post- und Frachtlinie ab? Und warum hatte sie sich einen Partner wie meinen Bruder Bill genommen? Sie sagte nach einer Weile: »Schleichen Sie immer in fremde Häuser, um dort kalten Kaffee zu trinken?«

»Ich habe zweimal geklopft«, erwiderte ich. »Ich bin Johnny Laredo.«

Da sah ich, wie sie aufatmete.

Vielleicht hatte sie sich vor mir gefürchtet. Ich war staubig, verschwitzt, unrasiert und so hager und dunkel, dass sich ein Mädel wohl vor mir fürchten konnte.

Während ich die zweite Tasse leerte, betrachtete sie mich genau.

»Bill hat mir eine Menge von Ihnen erzählt«, murmelte sie.

»Leider gibt es von mir nicht viel Gutes zu erzählen«, erwiderte ich.

Sie schüttelte heftig den Kopf. Dann sagte sie: »Bill ist seit einiger Zeit verschwunden. Vor neun Tagen sah ich ihn zum letzten Mal. Hat er Sie vielleicht geholt?«

Ich bewegte verneinend den Kopf und überlegte, wie sie wohl zu Bill gestanden haben mochte. Waren sie nur Partner und Freunde? Oder hatten sie sich geliebt?

»Was ist mit Bill?«, fragte sie spröde. Ihr weiblicher Instinkt konnte wohl etwas wittern. Sie brauchte mich auch nur richtig anzusehen, dann musste sie spüren, dass in mir alles schwarz war, dass ich angefüllt war mit einem kalten Zorn – dass ich zerstören wollte. Ich setzte mich und drehte mir aus dem Rest meines Tabaks eine Zigarette.

Nachdem ich drei Züge geraucht hatte, sagte ich: »Bill ist tot.«

Sie saß wie versteinert da.

Aber sie sah mir dabei fest in die Augen.

Und da erkannte ich ihre starke Lebenskraft. Sie war ein schönes Mädel, schon fast eine reife Frau. Aber sie war auch eine Kämpferin.

»Wir waren zuerst Partner«, sagte sie. »Dann wurden wir Freunde. Wahrscheinlich war schon etwas Liebe zwischen uns, aber keine große Liebe, die schnell entsteht. Wollten Sie das wissen, Johnny?«

Ich nickte.

Dann erzählte ich ihr alles.

Sie hörte schweigend zu. Nur manchmal strich sie ihr Haar zurück und fuhr sich mit den Fingerspitzen über Stirn und Augen.

Ich endete mit den Worten: »Warum wurde Bill Ihr Partner und worum geht es hier? Ich glaube, es könnte mir viel helfen, wenn ich erst einmal weiß, um was es hier geht. Dann könnte ich vielleicht eine Menge verstehen.«

Sie nickte und begann, mir die Sache zu erklären.

»Mein Vater gründete diese Overland Line«, sagte sie, »aber wir kamen nur sehr langsam voran, weil mein Vater wenig Startkapital besaß. Als Alex Simpson wenig später die Colorado-Overland-Linie gründete, überflügelte er uns in allem. Er hatte mehr Geld und damit auch schon bald bessere Kutschen, bessere Frachtwagen, bessere Gespanne, bessere Stationen und günstigere Tarife. Er konnte rationeller arbeiten, und als er erst die Brücke über die Cripple-Creek-Schlucht gebaut hatte, war er von uns nicht mehr einzuholen. Seine Post- und Frachtlinie ist etwa zwanzigmal so groß wie unsere. Gegen ihn wurde die Buckmaster Overland Line bedeutungslos. Seine Basis sind die Verträge mit den Minen. Es sind Dutzende. Alle liegen westlich der Cripple-Creek-Schlucht in den Bergen verstreut. Sie sind nicht groß genug, um eigene Stampf- und Mahlwerke, Schmelzen und dergleichen zu unterhalten. Es lohnt sich nicht mal für sie, einen eigenen Erztransport durchzuführen, denn Alex Simpson besitzt die Brücke. Er hat sie an der einzigen Stelle bauen lassen, an der das möglich war. Diese Brücke verkürzt den Weg ins Minenland um mehr als zehn Meilen. Das ist hier in den Bergen auf den gefährlichen Fahrwegen mit den schweren Erzfrachtern ein voller Tagestreck.«

Sie machte eine Pause und erhob sich. Sie war zu erregt, um still zu sitzen. Sie musste umherwandern. Ich sah, dass ihre Bewegungen geschmeidig und sicher waren.

Sie trat an eine große Wandkarte, auf der das Land auf hundert Meilen in der Runde bis in die kleinste Einzelheit dargestellt war. Die Karte war von einem Könner gemacht.

»Warum hat die Buckmaster Overland Line nicht die Brücke gebaut?«, fragte ich.

Da sah sie mich zornig an.

»Woher sollten wir die zwanzigtausend Dollar nehmen? Es musste eine starke Brücke sein, ausreichend für schwerste Erzwagen mit Anhänger. Wir hatten keine zweitausend Dollar, geschweige denn zwanzigtausend.«

»Dann hat die Colorado Overland Line von Alex Simpson euch geschlagen«, sagte ich. »Dann ist es wie in einem Spiel, wenn man schlechte Karten hat. Mit schlechten Karten spielt man nicht. Man steigt aus. Man passt.«

Nun war sie richtig zornig. Ihre Augen sprühten. Ich konnte erkennen, welch ein Feuer sie hatte und was sie für eine Kämpferin war.

»Wir waren zuerst in diesem Land«, sagte sie heftig. »Wir waren hier, als es nur zwei oder drei Minen gab, wenige Siedlungen und Camps. Canyon City war nur ein Camp mit drei Dutzend Hütten und Zelten. Wie waren es, die zuerst die Verbindung von Denver aus nach Santa Fe, nach Utah und nach Cheyenne zur Union Pacific herstellten. Die Buckmaster Overland Line gibt nicht so schnell auf. Oder geben Sie immer schnell auf, Johnny Laredo?«

Ich gab ihr keine Antwort, sondern sah sie nur an. Wenn ich sie ansah, vergaß ich den Schmerz, den der Tod meines Bruders mir bereitete.

Sie erwartete auch keine Antwort.

Sie sprach weiter: »Ihr Bruder Bill kam zu uns. Er sagte, dass er Straßen und Brücken bauen könne und bei der Union Pacific als Landmesser gearbeitet habe. Er machte uns den Vorschlag, eine Wagenstraße ins Minenland zu bauen. Diese Straße würde den Weg so stark verkürzen, dass die Brücke der Colorado Overland Line bald nur zweitrangige Bedeutung bekäme. Er wollte dafür eine Beteiligung an unserer Linie. Nachdem er meinem Vater und mir alles genau an Ort und Stelle erklärt hatte, sagten wir zu.«

»Warum ist mein Bruder zur Buckmaster Overland Line gekommen und nicht zu Simpsons Colorado Line gegangen?«, fragte ich.

Sie lächelte ernst.

»Alex Simpson hätte ihn gewiss nicht als Partner aufgenommen. Durch die neue Wagenstraße würden wir nicht nur mit der Colorado Overland Line konkurrenzfähig, sondern könnten sie mit niedrigeren Frachtsätzen sogar noch unterbieten. Bill konnte sich ausrechnen, dass er als unser Teilhaber bald mehr Gewinn hätte als bei Simpson als Angestellter. Zudem mochte er Alex Simpson von Anfang an nicht. Ich glaube, sie kannten sich von früher. Sie sind beim Bau der Union Pacific Feinde geworden.«

Wieder ging sie umher. Ich aber trat an die Karte und fragte: »Und wie soll die geplante Straße verlaufen?«

Sie trat neben mich und erklärte es mir. Ihre Nähe tat mir gut. Irgendwie strömte sie etwas aus, was mich berührte.

Als sie mir an der Karte alles erklärt hatte, fragte ich: »Und wie ging es dann weiter?«

Sie wandte sich ab, wanderte im Zimmer umher und sagte dann: »Mein Vater stürzte bald darauf in den Bergen bei der Vermessung ab und wurde unter einer Gerölllawine begraben. Was mit Ihrem Bruder geschah, wissen Sie ja inzwischen. Alex Simpson hat vom Vorhaben der Buckmaster Overland Line erfahren und gehandelt. Alex Simpson macht uns fertig. Er gibt uns den Rest. Die meisten unserer Fahrer haben gekündigt, denn sie wurden bedroht oder zusammengeschlagen. Unsere Wagen wurden immer wieder beschädigt. Frachten wurden ruiniert, sodass wir den Kunden Schadenersatz leisten mussten. Alex Simpson wartet jeden Tag darauf, dass ich zu ihm komme und ihm die Linie zum Verkauf anbiete.«

»Ist sie denn etwas wert für ihn? Er braucht sie doch nur zu vernichten«, entfuhr es mir.

Sie trat wieder neben mich und deutete auf einen Punkt auf der Karte.

»Dieser kleine Canyon gehört uns«, sagte sie. »Wie machen dort Heu für den Winter und haben da auch die Weidekoppeln für unsere Gespanne. Man muss den Tieren immer mehrere Tage Erholung geben. Dieser Canyon gehört uns. Von ihm aus sollte der Wagenzug durch die Berge führen. Auch ein Creek müsste umgeleitet werden. Nach dem Gesetz bekämen wir das Wegerecht, weil wir von unserem Land aus eine Straße in die Wildnis vortreiben würden. Wir bekämen später sogar noch von der Regierung für jede Meile einen Zuschuss, so ähnlich wie beim Eisenbahnbau. Simpson will nicht so sehr unsere kleine Linie. Er will den Canyon.«

»Jetzt ist mir alles klar«, murmelte ich. Aber dann fiel mir wieder Drango Kilham ein. »Was war mit Drango Kilham?«

Sie hob die Hände und bedeckte einen Moment ihr Gesicht. Dann sah sie mich an.

»Drango Kilham überfiel immer wieder unsere Kutschen und Frachtwagen. Es ist sicher, dass er dies in Alex Simpsons Auftrag tat. Er sollte helfen, uns zu ruinieren. Aber bei einem Überfall hatte er Pech. Bill, zwei unserer Fahrer und einige unserer Freunde stellten ihm eine Falle. Leider gab es dabei einen Toten auf unserer Seite. Von Drango Kilhams Banditen starben zwei. Er selbst fiel verwundet in unsere Hand. Vor etwa zwei Wochen wurde er zum Tode verurteilt.«

»Also gibt es hier in der Stadt so etwas wie ein Gesetz?«, fragte ich.

»Das kommt darauf an«, erwiderte sie. »Drango Kilham wurde ja gewissermaßen in Selbsthilfe geschnappt, nicht wahr? Und …«

»Aber es gibt hier einen Richter, der gern zum Tode verurteilt – einen mutigen Richter. Oder nicht? Und es muss auch eine mutige Jury vorhanden gewesen sein, die Drango Kilham für schuldig hielt. Nicht wahr?«

Sie nickte wieder und sagte: »Draußen standen dreitausend Minenarbeiter und Erzschürfer und lärmten. Die Freunde des letzten Toten, der mit dem Gewinn aus seinem kleinen Claim zu seiner Familie wollte, hatte die Menge zusammengerufen und aufgeputscht. Sie hätten die Jury gelyncht! Sie hätten Drango Kilham aus dem Gefängnis geholt! Erst als sie das Todesurteil hörten, beruhigten sie sich. So muss man das sehen. Unter diesen Umständen kam das Urteil zustande.« Sie sah mich kritisch an. »Sind Sie hergekommen, um den Tod meines Partners, Ihres Bruders, zu rächen?«

Ich sah sie an und nickte. Jetzt wusste ich, dass sie vor kurzer Zeit erst ihren Vater und bald darauf ihren Partner verloren hatte und allein war.

»Ja«, sagte ich, »ich bin hergekommen, um diese Dinge in Ordnung zu bringen.«

Ihre Augen wurden schmal.

»Ihr Bruder hat hier einen Fünftausend-Dollar-Anteil«, sagte sie. »Aber ich kann diesen Anteil nicht auszahlen. Wahrscheinlich ist er verloren. Die Linie geht pleite.«

»Nein«, sagte ich, »denn ich trete an die Stelle meines Bruders. Oder hätten Sie etwas dagegen, Jennifer?«

Wieder betrachteten wir uns.

Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, ich hätte nichts dagegen. Ich bin dankbar für jeden Mann, der mir hilft. Sogar für die Hilfe eines Revolvermannes wäre ich dankbar.«

Nach diesen Worten ging sie durch den Raum. Vor dem Fenster hielt sie an und blickte hinaus auf den Hof. Vielleicht wollte sie sehen, wie weit ihre Männer mit dem Wagen waren.

Ich betrachtete ihren geraden Rücken und sah die Haltung ihres Kopfes. Sie hatte ihr dunkles Haar im Nacken lose zusammengebunden. Das ließ sie sehr jung erscheinen.

Ich sah, wie sie eine rasche und überraschte Bewegung machte. Es war fast ein erschrecktes Zusammenzucken.

Dann wandte sie sich mir zu. Ihre Augen funkelten vor heißem Zorn.

»Jetzt können Sie gleich zeigen, Johnny«, sagte sie, »wie wertvoll Ihre Hilfe ist. Sie helfen sich auch selbst dabei, denn Sie können etwas von Ihrem Fünftausend-Dollar-Anteil retten. Es ist Besuch gekommen! Man ist dabei, die Räder unserer Wagen zu zerschlagen!«

Ich trat ans Fenster und sah hinaus.

Die beiden Männer, die vorhin an dem aufgebockten Wagen arbeiteten und mir den Weg zu Jennifer Buckmaster wiesen, standen mit erhobenen Händen da. Sie wurden von einem Burschen bewacht, der seinen Hut weit zurückgeschoben hatte und dessen Zähne im Laternenschein blitzten.

Ein zweiter Mann stand etwas entfernt in der Ein- und Ausfahrt des Wagenhofes. Ein dritter Mann schwang einen mächtigen Hammer und ließ ihn zum ersten Schlag gegen die Radspeichen des linken Vorderrades krachen.

Ich hörte es splittern.

Der soeben reparierte Wagen, dessen Räder nun auf der neuen Achse saßen, neigten sich schon etwas nach links. Ein zweiter Schlag in die Radspeichen würde das Rad brechen lassen.

Ich trat schnell hinaus. Als ich sah, dass der Revolvermann seinen Colt, den der auf die beiden Männer der Buckmaster Line gerichtet hielt, zu mir schwenkte, glitt ich zur Seite und zog.

Er schoss etwas früher als ich. Aber wie auf dem Friedhof hatte ich auch jetzt eine Menge Glück. Wahrscheinlich rettete mich auch jetzt die schnelle Bewegung, die ich machte.

Seine Kugel streifte meine Schulter und riss meine Jacke auf.

Ich aber schoss ihn von den Beinen.

Und dann feuerte ich zur Einfahrt hinüber, durch die der Mann, der dort gestanden hatte, auf die Straße zu entkommen versuchte. Ich traf ihn ins Bein, bevor er um die Ecke biegen und hinter der Steinmauer Deckung finden konnte. Er taumelte und fiel.

Der Mann mit dem Hammer stand bewegungslos da und wartete.

Ich ging langsam zu ihm.

Er war ein Klotz von einem Mann. Nicht so groß wie ich, doch gedrungener, schwerer und mit Muskeln bepackt. Sein runder Kopf schien ohne Hals auf den Schultern zu sitzen. Der Bursche wirkte wie ein Gorilla.

Er hatte den schweren Hammer in der Linken und hielt ihn in der Stielmitte gepackt. Das Stielende reichte an seinem Unterarm entlang bis über den Ellbogen, und der schwere Hammerkopf hing neben seinem Fußknöchel bis zur Erde. Der Mann hielt den Kopf gesenkt und starrte mich von unten her an.

Als ich vor ihn trat, grollte er leise.

Eine Welle von animalischer Primitivität und Sturheit ging von ihm aus.

Ich stieß ihm die Revolvermündung über der Gürtelschnalle gegen den Leib und nahm ihm mit meiner Rechten den Hammer ab.

Dabei sahen wir uns aus nächster Nähe in die Augen.

Ich erkannte, dass er dumm war, wie ein Mensch nur dumm sein kann. Aber er war stark wie ein Tier. Was sollte ich mit ihm machen?

Er hatte den Befehl erhalten, ein Rad zu zerschlagen, und das hatte er getan. Es war sicherlich leicht, ihm Befehle zu erteilen.

Jennifer war herausgekommen. Sie trat neben uns.

»Buster Russ Kalacker«, sagte sie, »ich hätte nicht geglaubt, dass du zu mir so hinterhältig und gemein sein könntest. Du hast das Rad eines meiner Wagen zerbrochen. Wenn deine Mom wüsste, was du getan hast, würde sie dich verprügeln. Jetzt geh heim, und morgen kommst du wieder her! Du wirst neue Speichen einsetzen und alles wieder reparieren. Versprichst du mir das?«

»Ja«, sagte er und nickte. Dann schob er meinen Colt zur Seite und ging davon.

»Russ!«, rief Jennifer scharf.

»Ja, Miss Jennifer?«

»Warum hast du das getan?«

Er bewegte unschlüssig seine Schultern.

»Ich weiß nicht«, sagte er dann. »Sie sagten zu mir, dass sie meine Freunde wären. Sie tranken auch mit mir und gaben mir eine Zigarre. Für Freunde tue ich alles. Ich dachte gar nicht daran, dass der Wagen Ihnen gehören könnte, Miss Jennifer. Ich komme morgen.«

Dann ging er.

Ich staunte.

Einer der beiden Männer, die den Wagen repariert hatten, fluchte bitter und sagte: »Sogar diesen armen Idioten missbrauchen sie, um uns Schwierigkeiten zu machen. In solch einer schlechten Stadt dürfte man einen Burschen wie Russ gar nicht alleine herumlaufen lassen. Aaah …«

Er verstummte.

Von der Straße her kamen Männer in den Wagenhof gelaufen. Auch bei dem Mann, dem ich ins Bein geschossen hatte, als er zu entkommen versuchte, standen nun Menschen.

Einer von denen, die zu uns hereinkamen, war der Deputy Phil Garret. Er sah auf den Toten zu unseren Füßen – und dann auf mich.

»Ist das nicht ein wenig zu viel für den Anfang?«, fragte er.

»Was sein muss, muss sein«, erwiderte ich, kniete nieder und untersuchte den Toten. Er war noch jung, blond, hager und gehörte zu jener wilden und verwegenen Sorte, deren Colts man mieten kann.

Ich hatte ihn tödlich getroffen.

Während ich ihn betrachtete und mich fragte, ob es sich gelohnt hätte, ihm eine Chance zu geben, hörte ich, wie einer der beiden Männer der Buckmaster Overland Line dem Deputy den Vorfall erzählte.

Er endete mit den Worten: »… und als dieser Gent aus dem Frachtbüro kam, richtete der Revolverschwinger sofort seinen Colt auf ihn und schoss. Aber zu einem zweiten Schuss kam er nicht mehr. Wer ist es überhaupt?«

Phil Garret kniete nieder. Er sah den Toten an und dann mir in die Augen.

»Ich kenne ihn nicht«, sagte er. »Doch von seiner Sorte kann man sich für wenige Dollar einige Dutzend in dieser Stadt kaufen – jede Nacht. Sie sind namenlos und hoffen auf baldigen Revolverruhm, der sie nicht länger mehr namenlos sein lässt. Sie wollen groß und mächtig werden und glauben an ihr Revolverglück. Aber die meisten von ihnen erwischt es schnell. Der Stiefelhügel füllt sich mit ihnen. Na schön, ich mache morgen ein Protokoll für die Leichenschau. Den anderen Burschen, der dort vor der Einfahrt verwundet am Boden hockt, nehme ich mit. Johnny Laredo, was glauben Sie, wird nun geschehen?«

Ich sagte: »Man wird eine hohe Prämie auf meinen Skalp aussetzen. Die wilden Jungs werden mich überall bedrängen.«

Phil Garret nickte.

»Und Sie werden helfen, den Stiefelhügel zu füllen, Laredo. Lohnt es sich eigentlich, für eine schon fast erledigte Post- und Frachtlinie diese wilden, dummen und ehrgeizigen Jungen zu töten?«

»Vielleicht schickt man gleich einen ganz Großen gegen mich«, murmelte ich. »Und vielleicht gelingt es mir, den Auftraggeber zu erledigen. Wie würde Ihnen das gefallen, Phil Garret?«

»Ich bin nur ein Deputy«, sagte Garret. »Ich war auch einer dieser wilden Jungs, deren Colt man mieten konnte. Ich hatte aber das Glück, dass die Stadt ihn mietete. Doch das Denken besorgt der Marshal …«

Damit ging er.

☆☆☆

Als ich am nächsten Morgen erwachte, schien noch nicht die Sonne. Ich lag eine Weile da und dachte an alles, was gestern geschehen war.

Es kam mir unwirklich vor wie ein wilder Traum. Aber es war alles Wirklichkeit.

Mein Bruder war tot.

Man hatte ihn nicht nur deshalb ermordet, damit er für Drango Kilham gehalten werden sollte und dieser Bandit für tot galt. Man wollte ihn gleichzeitig aus dem Weg räumen. Das hing mit der Buckmaster Overland Line zusammen.

Und ich war nun als meines Bruders Erbe Teilhaber dieser Linie.

Ich erhob mich, trat ans Fenster und sah hinaus.

Nun wusste ich auch, was mich zu so früher Stunde geweckt hatte.

Draußen waren die beiden Männer von gestern dabei, zwei schwere Frachtwagen mit Achtergespann fahrbereit zu machen. Einer der beiden Wagen war jener, den sie bis in die Nacht hinein repariert hatten.

Ich kannte die beiden Männer inzwischen. Es waren die beiden letzten Frachtfahrer der Buckmaster Overland Line. Einer hieß Tate Brown, der andere Ollie Jackson. Sie waren älter als ich, hager, verwittert und grau. Aber sie waren auch hart und erfahren und besaßen jenen Trotz, der Männern verbietet, vor Schwierigkeiten davonzulaufen.

Sie hatten am Abend noch ein neues Rad eingesetzt, den Wagen beladen und machten sich jetzt fertig für die lange Fahrt auf Umwegen ins Minenland. Denn über die Brücke durften sie nicht.

Ich hatte in einem kleinen Anbau des Haupthauses übernachtet und dort ein paar persönliche Dinge meines Bruders gefunden. Ich hatte sein Quartier übernommen, das für den Wagenboss der Linie bestimmt war. Man konnte von dem Zimmer aus den Hof und die Corrals überblicken.

Ich ging hinaus zur Pumpe und dem Wassertrog. Den Colt trug ich im Hosenbund.

Die beiden Männer waren fertig mit dem Anschirren. Sie sprachen mit den Leittieren ihrer Achtergespanne. Dann kam Tate Brown zu mir herüber.

»Sagen Sie Jennifer, dass wir alles versuchen werden, die Frachten durchzubekommen«, sagte er zu mir. »Wir müssen zur Aurora Mine, siebenunddreißig Meilen von hier. Aber wahrscheinlich wird man uns unterwegs überfallen. Nach dem missglückten Anschlag gestern Nacht müssen wir damit rechnen.«

Ich sah ihn an und erkannte, dass er sich große Sorgen machte.

»Es hängt viel davon ab, dass wir die Frachten durchbringen«, murmelte er. »Die Aurora Mine kündigt uns sonst den Kontrakt. Und ersetzen müssten wir die Frachten auch. Keine Versicherung arbeitet mehr mit uns. Wir sind gezeichnet wie Aussätzige.«

»Ich komme euch nach«, erklärte ich ihnen. »Ich sehe mir den Wagenweg auf der Karte an und lasse mir alles von Jennifer beschreiben. Wenn ihr mich auch nicht sehen werdet, ich bin in eurer Nähe. Sollte man euch anhalten, so kämpft nicht. Versucht die Sache hinzuhalten. Ich werde eingreifen.«

Er sah mich prüfend an.

»Sie haben einen Namen als Revolverkämpfer«, sagte er. »Und vielleicht können wir mit Ihrer Hilfe ein- oder zweimal auf diese Art davonkommen. Doch es ist keine Lösung.«

»Nein«, erwiderte ich, »es ist keine Lösung. Aber wir werden eine andere finden. Irgendwie. Wo ungefähr rechnet ihr unterwegs mit Schwierigkeiten? Wann werdet ihr in der Gegend sein?«

»Zwanzig Meilen von hier«, sagte er. »Dort sind wir am späten Nachmittag. Wir müssen unsere Gespanne ausruhen lassen für die lange Frenchman-Steigung. Sie führt sieben Meilen lang durch einen Canyon stetig bergauf. Wir rasten zuvor an einem kleinen See. Dort bekamen unsere Fahrer schon einige Male Verdruss und verloren Wagen und Ladung.«

Ich nickte. »Macht euch nicht allzu viele Sorgen.«

Tate Brown sah mich noch einmal prüfend an. Dann ging er, kletterte auf den hohen Bock, nahm die Zügel des Achtergespannes und löste die Bremse.

Dann ließ er seine dreißig Fuß lange Treiberpeitsche knallen und rief: »Ho, Tante Mary! Beweg dich schon, du Zimtzicke! Es geht los, ihr dicken Mäuse!«

Tante Mary war das Leittier des Gespannes. Es drehte den Kopf, legte die Ohren flach und zeigte die gelben Zähne. Aber dann gehorchte es brav.

Der schwere Wagen und der etwa halb so große Anhänger bewegten sich. Die mächtigen, mit dicken Eisenreifen versehenen Räder drehten sich und mahlten im steinigen Boden.

Auch der zweite Fahrer setzte sein Gespann mit ähnlichen Rufen in Bewegung. Nacheinander fuhren sie hinaus auf die zerfurchte Straße und bogen nach Westen ein.

Voll Achtung sah ich ihnen nach. Ich wusste, wie schwer es mit einem Maultierachtergespann und so schweren Wagen war, auf engen und primitiven Wegen durch eine Bergwildnis zu fahren.

Die beiden Fahrer waren Künstler, richtige Experten und Könner. Eigentlich hätte jeder der Fahrer noch einen Gehilfen bei sich haben müssen, der bei den steilen Gefällstrecken den Anhänger bremste oder dabei half, das Achtergespann zu treiben und zu führen.

Wenn die Buckmaster Overland Line auch noch diese beiden Männer verlieren würde, war sie endgültig erledigt. Dann nützten ihr auch die letzten Wagen und Gespanne nichts mehr. Fahrer, die ohne Gehilfen auskommen, waren nicht zu ersetzen.

Ich wandte mich zur Pumpe – und da sah ich Jennifer.

Sie war aus dem Haus getreten und hatte der Abfahrt zugesehen. Sie stand in einem Morgenmantel da, den sie sich eng umgewickelt hatte. Sie wirkte sehr schlank und zart. Sie kam mir – wie sie da im Morgengrauen verharrte und den beiden Wagen nachsah – sehr einsam vor, fast wie verloren in einer mitleidlosen Umwelt.

Ich nickte ihr zu und sagte: »Ich werde ihnen am späten Vormittag nachreiten und dafür sorgen, dass sie den Bestimmungsort erreichen. Zuvor habe ich noch einige Dinge zu erledigen.«

Als Erstes ging ich zu den Ställen fand dort einen alten Mexikaner. Er half mir, meinen Red zu satteln, und sagte dabei, dass Red sicherlich das beste Pferd im Umkreis von hundert Meilen sei und dass es ihm eine Ehre wäre, solch ein Pferd zu versorgen. Ich könnte es ihm stets zu treuen Händen überlassen. Er hieß Paco und hatte schon weißes Haar.

Ich ritt hinaus und vor das Marshal’s Office.

Inzwischen war die Stadt in Gang gekommen. Nachdem sie die ganze Nacht gelärmt und getobt hatte, war sie an diesem schönen Morgen friedlich geschäftig.

Im Marshal’s Office traf ich auf den übernächtigten Phil Garret, der soeben dem Tag-Marshal die Geschäfte übergab. Garret nickte mir zu und sagte, dass er die Protokolle schon ausgefertigt habe und ich alles durchlesen und unterschreiben könne. Er sagte, dass er diesmal zwischen den Runden kein Auge voll Schlaf bekommen hätte, weil er all das Zeug aufschreiben und protokollieren musste.

Dann stellte er den Tag-Marshal vor.

»Das ist Cash Cassedy«, sagte er. »Wir lösen uns wöchentlich in Tag- und Nachtschichten ab. Ich wünschte, er hätte diese Woche Nachtdienst gehabt. Dann hätte er all das Zeug schreiben müssen.«

Ich setzte mich auf einen Stuhl und begann zu lesen. Sie beobachteten mich schweigend und rauchten dabei.

Cash Cassedy war ein indianerhafter Typ, älter als Phil Garret, aber ebenso ein Revolverschwinger wie dieser. Auch Cash Cassedys Colt hatte man immer schon kaufen können. Diesmal hatte Canyon City seinen Revolver und seine Dienste gekauft wie die von Phil Garret.

Diese Deputy Marshals waren keine Sheriffs. Sie standen bei der Stadt unter Vertrag wie Hauspolizisten in einem Tingeltangel. Und eigentlich war ganz Canyon City ein riesiger Rummelplatz.

Ich fand, dass Phil Garret eine gute Schulbildung besaß. Er hatte alles so zu Protokoll gebracht, wie man es besser nicht hätte tun können. Er hatte die vielen kleinen Einzelheiten, auf die es ankam, genau begriffen.

Zuerst unterschrieb ich das Protokoll und meine Anzeige gegen Ernest Slater. Ich las auch die Aussage des Totengräbers, die genau meinen eigenen Angaben entsprach.

Dann unterschrieb ich ein zweites Protokoll, das den Kampf im Wagenhof, den Toten und den Verwundeten betraf. Letzterer saß bei Ernest Slater im Gefängnis.

Garret sagte: »Diese Schreiben werden noch heute an den Richter weitergegeben. In zwei oder drei Tagen wird die Verhandlung sein. Ich geh jetzt schlafen.«

Damit verschwand er.

Ich blieb und sah Cash Cassedy an, der bisher noch kein Wort gesagt hatte. Er sah wahrhaftig aus wie ein als Weißer verkleideter Comanche. Aber irgendwie konnte man erkennen – nicht zuletzt an seiner Hautfarbe, die nur von der Sonne gebräunt war –, dass er ein reinblütiger Weißer sein musste.

Er lächelte schmal.

»Ich habe schon von Ihnen gehört, Laredo. Ich kannte auch Ihren Bruder Bill flüchtig. Sie sind ein mächtiges Stück beachtlicher als Bill. Doch ich gebe Ihnen keine Woche. Sie hätten nur eine einzige Chance.«

»Und die wäre?« Ich fragte es ganz ruhig, doch ich war so wachsam wie selten zuvor.

Sein schmales Lächeln wurde schärfer.

»Sie müssen zu Alex Simpson gehen und ihn umlegen. Das ist die einzige Chance, Johnny Laredo. Alle Schwierigkeiten, in die Sie geraten werden – Sie und das Mädel – und in die schon Ihr Bruder geraten ist, gehen von Alex Simpson aus. Aber wenn Sie ihn einfach hier in der Stadt umlegen, werden Sie verhaftet und vielleicht wegen Mordes verurteilt. Der Marshal ist Simpsons Freund, wenn es darauf ankommt, zwischen Ihnen und ihm zu wählen.«

»Und Sie?«, fragte ich geradezu.

Er grinste. »Ich bin wie Phil Garret«, sagte er. »Wir waren Revolverschwinger und hatten das Herumstreunen satt. Jetzt tragen wir den Stern und geben dieser lausigen Stadt Befehle. Wir wohnen gut, essen gut und haben außer unseren Gehältern auch einige Nebenverdienste, ohne korrupt zu sein. Das gefällt uns. Erwarten Sie nur nicht zu viel Hilfe von uns. Das sage ich Ihnen offen. Und wenn ein paar raue Jungs kämen, die Ernest Slater aus der Zelle holen wollten, dann würde ich deshalb kein Risiko eingehen. Nicht Ihretwegen, nicht weil Slater ein Schuft ist – überhaupt nicht. Dem Marshal und dem Bürgerrat genügt es, wenn wir die Stadt so in Betrieb lassen, wie sie jetzt ist.«

Er und Garret waren nicht gegen mich.

Aber sie würden auch nichts für mich riskieren. Gar nichts!

Ich hatte ihn verstanden.

Ich ging hinaus, saß auf und ritt zum Wagenhof der Colorado Overland Line.

Ich musste diesen Alex Simpson endlich kennenlernen.