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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2410 bis 2412:
2410: Mann vom Big Muddy
Als Seth Lee nach St. Louis kommt, ist er ein geschlagener Mann. In ihm brennt die Scham der Niederlage und er stürzt sich mit fast selbstmörderischer Verwegenheit in ein neues Abenteuer.
Aber diesmal ist das Glück auf seiner Seite, zumal er in dem nicht weniger verwegenen Cowboy Jim Cameron einen Freund findet.
Zwei Männer nehmen nun den bedingungslosen Kampf gegen eine übermächtige Vereinigung auf, gegen die "Vereinigung", die den Missouri beherrschen will und dabei auch vor den ruchlosesten Verbrechen nicht zurückschreckt ...
2411: Der Gejagte
Es war eine wunderschöne Nacht am Pecos, mit einem Mond und all den Sternen am Himmel, hinter denen tausend Geheimnisse verborgen sind.
Aber noch schöner war, dass Reva McKenzie und ich uns wieder einmal liebten.
Ich hatte mich vom Bunkhouse zu der etwas abgelegenen Scheune der mächtigen McKenzie Ranch geschlichen. Und sie war aus dem großen Ranchhaus gekommen, wo sie aus dem Fenster ihres Zimmers klettern musste.
Was wir taten, dies geschah in der gleichen Stunde gewiss überall auf unserer Erde. Junge Menschen trafen sich in solchen Nächten, um sich zu lieben.
Ja, auch ich war noch jung, gerade neunzehn Jahre alt und der jüngste Reiter der McKenzie Ranch. Reva war siebzehn und wunderschön. Und sie wurde von ihren drei Brüdern bewacht wie eine besondere Kostbarkeit.
Nun, wir liebten uns also wieder einmal und beschenkten uns. Und als wir dann glücklich nebeneinander im Stroh lagen, ich sie in meinem Arm hielt, da lag ihr Kopf auf meiner Schulter.
Ich hörte sie flüstern: "Jesse, du musst fort von hier. Du musst tausend Meilen reiten, weit, weit weg von hier ..."
2412: Jede Fährte endet
Es ist schon später Nachmittag, als Jesse Adams auf der Poststraße von Süden her in die kleine Rinderstadt Hills City geritten kommt und sein scheckiges Pferd am äußersten Ende des Saloonhaltegeländers anbindet. Jesse Adams ist kein junger Bursche mehr. Er mag etwa achtundzwanzig Jahre zählen. Er hat graue Augen, die ruhig und fest blicken, ist etwas über mittelgroß, wiegt hundertsiebzig Pfund und hat kräftige Schultern, eine schlanke Taille und leicht gekrümmte Beine. Er ist ein typischer Reiter.
Seine Augen betrachten prüfend die Pferde an der Haltestange vor dem Saloon. Er wendet sich dann um und betrachtet die staubige Hauptstraße der Stadt.
Schräg gegenüber befindet sich das Gerichtsgebäude. Und dort stehen viele Menschen. Offensichtlich haben sie drinnen keinen Platz mehr bekommen und folgen den Ereignissen durch die offene Eingangstür und die offenen Fenster. Was dort drinnen auch verhandelt werden mag, es muss für vie Menschen dieser Stadt und des Landes interessant sein. Für Jesse Adam jedoch ist es vollkommen uninteressant, denn er ist hier fremd und hat keinerlei Beziehungen zu der Stadt und ihren Menschen ...
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 250 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 460
Veröffentlichungsjahr: 2020
G. F. Unger
G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 21
Cover
Impressum
Mann vom Big Muddy
Vorschau
Mann vom Big Muddy
Als Seth Lee nach St. Louis kommt, ist er ein geschlagener Mann. In ihm brennt die Scham der Niederlage, und er stürzt sich mit fast selbstmörderischer Verwegenheit in ein neues Abenteuer.
Aber diesmal ist das Glück auf seiner Seite, zumal er in dem nicht weniger verwegenen Cowboy Jim Cameron einen Freund findet.
Zwei Männer nehmen nun den bedingungslosen Kampf gegen eine übermächtige Vereinigung auf, die den Missouri beherrschen will und dabei auch vor den ruchlosesten Verbrechen nicht zurückschreckt …
Die Schiffsglocke läutet drängend.
»Fahrt ihr zur Küste?«, fragt Seth Lee den Mann, der die Fahrkarten der Gäste prüft.
»Sicher, Mister! Die ›Sun of Tennessee‹ legt jetzt ab«, sagt der Mann ruhig. »Wenn Sie mitwollen, Mister, müssen Sie das Billett an Bord lösen. Wir legen ab!«
Er blickt Seth Lee fragend an.
Vom Schiff ruft eine raue Stimme: »Los, Morg, los!«
Seth entschließt sich, geht an Bord und sieht dann zu, wie die Landungsbrücke eingezogen wird und die Leinen losgemacht werden. Das riesige, zehn oder zwölf Yards breite Schaufelrad am Heck beginnt sich zu drehen.
Ein Mann tritt zu Seth Lee und sagt: »Bis zur Küste kostet ein Deckplatz mit Verpflegung vierzig Dollar, Mister.«
Seth Lee bezahlt und bekommt eine Fahrkarte. Er lässt sein Bündel neben sich zu Boden fallen und lehnt sich über die Reling. Er spuckt ins Wasser und holt dann eine zerdrückte Zigarre aus der Innentasche seiner Jacke. Eine Weile sucht er nach einem Zündholz, gibt es jedoch dann auf und sieht sich suchend um.
Ein Mann, der neben ihm steht und ihn beobachtet, schnippt ein Zündholz mit einer geschickten Handbewegung am Daumennagel an und hält es ihm hin.
Seth Lee nimmt es. Das kleine Flämmchen erhellt sein hageres und kantiges Gesicht, das bisher von der Hutkrempe beschattet wurde.
Er erkennt, dass der Mann ihn beobachtet.
»Danke«, sagt er und bläst den Rauch aus.
Er betrachtet den anderen Mann einen Moment. Es ist ein Mann in seinem Alter, also etwa dreißig Jahre alt. Der Fremde trägt einen Texashut und ist wie ein Rindermann gekleidet. Ein Colt hängt tief unter seiner Hüfte. Ein Hauch von Verwegenheit und Härte geht von ihm aus.
Seth grinst plötzlich.
»Es geht mich zwar nichts an«, murmelt er, »aber wie fühlt sich ein Texas-Cowboy auf einem Dampfboot?«
Sein Grinsen wird erwidert.
»Ich kann mir eine ruhige und schnelle Heimreise leisten«, sagt der Mann. »Ich habe eine Longhornherde nach Kansas City gebracht und möchte den Jungs am Brazos River mal erzählen, wie man auf einem Schiff nach Hause reist. Es gibt viel Spaß hier an Bord. Ich habe schon über dreihundert Dollar beim Roulette verloren und weiß noch nicht genau, ob man mich betrogen hat oder ob ich nur eine Pechsträhne hatte. Aber ich finde das schon noch heraus. Beim Poker und an den Faro-Tischen betrügen sie hier bestimmt. Es wird noch ziemlich lustig werden, bevor ich dieses Dampfboot verlasse. Und es wäre nicht schlecht, wenn ich einen Partner fände, der gerne einen Spaß mitmacht und mir den Rücken freihält, wenn ich loslege.«
»Ist das eine Einladung?«, fragt Seth Lee sanft.
Der lange Texasmann lacht leise.
»Ich kann eine gleichartige Seele wittern«, sagt er dann. »Und soeben habe ich genau auf Ihr Gesicht und in Ihre Augen gesehen, Freund. Jetzt weiß ich, dass ein harter Bursche an Bord gekommen ist. Mir hat die Art gefallen, wie Sie sich binnen einer Sekunde zum Mitfahren entschlossen haben. Nun, da dachte ich mir gleich, dass Sie keinem Spaß aus dem Weg gehen.«
Seth Lee erwidert nichts. Aber er hebt sein Bündel vom Boden auf.
Sie schlendern weiter nach vorn. Manchmal müssen sie sich an Menschen vorbeidrängen, die einzeln oder in Gruppen umherstehen, herumsitzen oder gar zwischen ihren Gepäckstücken schlafen.
»Ich bin Jim Cameron vom Brazos River«, sagt der Mann jetzt zu Seth.
Der nennt seinen eigenen Namen und fügt nach einer Pause hinzu: »Ich muss Sie warnen, Jim. Dies ist eine jener schwimmenden Spiel- und Amüsierhöllen, deren Hauptverdienste nicht die Frachten und Fahrpreise für Passagiere sind, sondern in ihren Spielräumen gemacht werden. Ich kenne mich aus, Jim. Vor nicht sehr langer Zeit besaß ich selbst ein Schiff. Ich bin hier auf dem Strom groß geworden und kenne alle Dinge. Oha, Sie haben Geld verloren, fühlen sich betrogen und wollen rau werden. Sie suchen einen Partner, den der Teufel ebenfalls reitet und der Spaß an einer rauen Sache hat.«
»So ist es, genau«, sagt Jim Cameron sanft.
»Es sind von solchen Schiffen schon viele Burschen über Bord geworfen worden«, brummt Seth Lee. »Hier gibt es keinen Sheriff. Hier gilt nur das Gesetz des Kapitäns. Wer hier gegen etwas aufmucken will, wird ganz einfach zusammengeschlagen und über Bord geworfen. Texas, Sie haben mich ganz richtig geschätzt. Ich komme aus einem Verdruss und bin mit einer Menge Zorn angefüllt. Ich möchte gern einem Burschen meine Faust auf die Nase setzen. Aber nicht hier auf diesem Schiff, wenigstens nicht einfach so zum Spaß.«
»Nun gut, Seth«, murmelt der Texasmann. »Wir können uns ja immerhin die Sache mal ansehen.«
Sie schlendern wieder zurück und betreten bald die Innenräume des Schiffes.
Seth Lee folgt ihm langsamer. Als er neben dem Texaner steht, setzt dieser gerade zwanzig Dollar.
Der Bankhalter teilt Karten aus, bedient sich dann selbst und sagt nach einem Blick auf seine Karten: »Ich zahle mehr als zwanzig!«
Dabei wirft er seine zwei Zehner auf den Tisch. Jeder kann sie sehen. Jim Cameron aber hat nur neunzehn. Niemand von den anderen Spielern hat mehr als zwanzig.
Der elegant gekleidete Berufsspieler streicht das Geld ein. Seine scharfen schnellen Augen sind rastlos. Dann bleibt sein Blick auf Seth Lee gerichtet.
Der grinst kalt und blickt ihn fest an. Oh, er kennt diesen Spieler aus früheren Zeiten, als er noch kein eigenes Schiff hatte und als Steuermann auf dem Mississippi fuhr, auf diesem Schiff hier.
Seth Lee holt fünfzig Dollar aus der Tasche und wirft sie als Einsatz auf den Tisch.
Dann bekommt er seine Karte – eins, zwei – drei.
»Genug«, sagt er sanft und wartet dann geduldig, bis alle anderen Mitspieler Karten bekommen haben. Auch Jim Cameron setzt wieder zwanzig Dollar. Aber als er sich die dritte Karte geben lässt, flucht er unterdrückt und lässt die Karten achtlos auf den Tisch fallen.
Der Bankhalter gibt sich selbst Karten und sagt dann trocken: »Ich zahle über neunzehn.«
»Zwanzig sind bei mir«, ruft ein Viehhändler schnell.
»Hier sind einundzwanzig«, murmelt Seth Lee sanft und bekommt seinen doppelten Einsatz. Aber er lässt ihn stehen, lässt sich dann abermals Karten geben und begnügt sich mit zwei.
Und als dann wieder aufgerufen wird, legt er abermals einundzwanzig auf den Tisch.
Langsam nimmt er die zweihundert Dollar.
Jim Cameron folgt Seth Lee, der den Spieltisch verlässt.
Sie schlendern weiter. Seth Lee hält seine zweihundert Dollar immer noch in der Hand. Vor einem Würfeltisch, an dem sich gerade eine Männergruppe auflöst, halten sie an.
Jim Cameron holt abermals ein Zwanzigdollarstück heraus und wirft es auf den Tisch.
»Ich werfe zwölf«, sagt er.
Aber er wirft achtzehn. Als der Bankhalter das Geld einstreicht, richtet er seinen Blick über Seth Lees Schulter hinweg auf den Hintergrund des Raumes. Und es scheint so, als erhielte er von dort ein geheimnisvolles Signal, denn in seinen harten Augen blitzt es für einen Sekundenbruchteil auf.
Seth Lee grinst ihn seltsam an, legt seine zweihundert Dollar hin und sagt freundlich: »Wollen wir wetten, dass ich die Sieben bringe?«
»Ich halte dagegen«, murmelt der Mann und schickt seinen Blick abermals in den Hintergrund des Raumes.
Seth Lee nimmt die drei Würfel und prüft sie auffällig. Dann verschwinden sie in seiner Faust. Er schüttelt sie in Schulterhöhe und öffnet sie dann.
Die Würfel fallen.
»Sieben«, sagt eine Stimme ächzend.
Seth Lee grinst. Er hat nun seine zweihundert Dollar verdoppelt, lässt sie jedoch auf dem Tisch liegen und sagt: »Jetzt kommt die Neun, Mister!«
»Ich halte dagegen«, murmelt der Bankhalter. Nun ist sein Blick, den er in den Hintergrund des Raumes schickt, leicht verwirrt.
Es hat sich ein dichter Kreis von Zuschauern angesammelt.
Als Seth Lee wirklich eine Neun wirft, erhebt sich ein Raunen und Flüstern.
»Danke«, sagt er und nimmt die achthundert Dollar an sich. Als er sich aus dem Kreis der Zuschauer schiebt, folgt ihm Jim Cameron leicht verstört.
»Junge«, krächzt er, »was ist das?«
»Glück im Spiel und Pech in der Liebe.« Seth Lee grinst ihn an und verbeugt sich dann vor einer Frau, die aus dem Hintergrund des Raumes auf ihn zutritt. Er nimmt dabei seinen Hut ab und tut die achthundert Dollar hinein.
»Hallo, Sybill«, murmelt er ernst.
»Hallo, großer, stolzer, wunderbarer Seth.« Sie lächelt und reicht ihm die Hand. Er nimmt sie, beugt sich darüber und blickt dann, sich wieder aufrichtend, in Sybill Hillderees grünblaue Augen hinein. Er erkennt darin ein banges Forschen und den Ausdruck von Sorge. Aber dies alles kann nur er erkennen, weil er Sybill sehr gut kennt und es eine Zeit gab, da er oft und gründlich in ihre Augen sah.
Er hält immer noch ihre Hand fest und wendet sich an Jim Cameron.
»Das ist es, Jim«, sagt er. »Sybill, dies ist Jim Cameron vom Brazos River.«
Der schwingt seinen Hut und verbeugt sich, wie es nur ein echter Texaner vermag. Und dann sagt er lächelnd: »Madam, Mister Lee stellte eben fest, dass er Glück im Spiel und Pech in der Liebe hätte. Ich hielt das nicht für sehr schlimm. Aber jetzt sieht die Sache schon anders aus.«
Er wendet sich an Seth Lee. »Das ist es, Freund?«
»Sie wollte mich nicht haben, und da bin ich den Fluss hinaufgegangen«, sagt Seth Lee.
»Ich hätte mich in den Fluss gestürzt«, murmelt der Texaner ernsthaft.
Aber Sybill Hillderee scheint ihn nicht zu hören. Sie blickt Seth Lee unverwandt und sehr aufmerksam an.
Da seufzt Jim Cameron übertrieben schmerzvoll und tritt zur Seite.
»Seth«, sagt die Frau, »was tust du hier? Du bist auf dem falschen Schiff. Und du weißt das sehr genau.«
Er sagt nichts, sondern lächelt nur seltsam. Dann nimmt er ihren Arm und führt sie zwischen den Tischen hindurch zu einem Getränketisch. Er schenkt zwei Gläser Portwein ein, reicht eines der Frau und stößt dann mit ihr an.
»Mir geht es gut.« Er grinst, doch in seinen rauchgrauen Augen tanzen kalte Lichter. »Mir geht es prächtig. Aber ich wurde zweimal in meinem Leben geschlagen. Einmal war es vor vier Jahren, als ich mit Ward Hackett um einen verdammt hohen Einsatz spielte. Und ich wurde betrogen. Meine letzte Niederlage liegt erst fünf Wochen zurück. Nun, jetzt fange ich wieder an. Und ich beginne von vorn. Ich beginne richtig von vorn. Wenn ich meine erste Niederlage ausradiert habe, werde ich mich für die zweite revanchieren. Ich warte nur darauf, dass Hackett seine Wölfe auf mich hetzt. Sag ihm, dass es dann rau werden wird. Er soll lieber aus seinem Bau kommen und mir selbst Revanche geben. Mädel, es steht schon seit langer Zeit in einem Buch aufgeschrieben, dass ich eines Tages wieder auf die ›Sun of Tennessee‹ kommen und dort etwas erledigen werde.«
Er schenkt sich das dritte Glas ein und leert es mit einem Ruck.
Die Frau betrachtet ihn starr. Aber ihr Atem geht rasch.
»Hast du dir diesen Texaner mitgebracht?«, fragt sie dann ruhig.
»Nein, ich lernte ihn erst hier kennen. Der gehört nicht zu mir. Ich bin ganz allein und fast zufällig an Bord gekommen.«
Ihre vollen Lippen öffnen sich plötzlich. Sie zucken, als verspürte sie Schmerzen.
»O Seth«, flüstert sie, »warum bist du auf dieses Schiff gekommen? Warum willst du längst vergessene Dinge wieder ausgraben und es mit Ward Hackett nochmals versuchen? Du hast soeben eine Menge Geld gewonnen …«
»Weil man es mich gewinnen ließ«, sagt er. »Weil man es nicht wagte, bei mir irgendwelche Tricks zu versuchen. Und weil du im Hintergrund standest und den Bankhaltern irgendwelche Signale gabst. Aber ich bin nicht an Bord gekommen, um mir mein Reisegeld zu verdienen. Ich kam ganz plötzlich auf die Idee, mal auszuprobieren, wie groß eure Geduld ist. Wir werden sehen, nicht wahr?«
☆☆☆
Er nimmt seinen Hut, in dem sich die achthundert Dollar befinden, und bewegt sich zwischen den Spieltischen und Menschen hindurch zum anderen Ende des Raumes. Hier stehen die Pokertische.
Jim Cameron folgt ihm langsam und beobachtet ihn scharf.
Und dann sieht er schweigend zu, wie Seth Lee zu spielen beginnt.
Er sieht einen scharfen Tiger spielen, der darauf aus ist, Verdruss zu bekommen.
Als Seth Lee sich nämlich setzt, öffnet er die Jacke, sodass der Berufsspieler, der für die Geschäftsleitung dieser schwimmenden Hölle spielt, seinen Colt im Schulterholster sehen kann.
Und dabei sagt Seth Lee trocken zu dem Mann: »Ich kaufe mich ein, Freund. Mein Name ist Seth Lee. Und ich liebe ein ehrliches Spiel.«
Das ist eine eiskalte Warnung. Der Kartenhai, der lange genug am Strom ist, hat von Seth Lee schon gehört. Er wird etwas bleich und wirft einen suchenden Blick in die Runde.
Dann teilt er aus, langsam, vorsichtig und behutsam.
Seth Lee betrachtet ihn ständig scharf, wirft nur einen flüchtigen Blick auf seine Karten und verlangt nicht zu kaufen. Aber er hält ständig mit und steigert die Einsätze. Als seine achthundert Dollar mit im großen Pott liegen, holt er noch weitere dreihundert Dollar aus der Tasche. Sie sind sein ganzes Geld.
Aber nun steigen die drei anderen Mitspieler aus. Vielleicht glauben sie, dass Seth Lee noch alle Taschen voller Geld hat.
Der Kartenhai überlegt, als er an die Reihe kommt. Seth Lee grinst ihn wortlos an und trommelt mit den Fingerspitzen leicht auf den Karten herum.
Da zuckt der Spieler mit den Schultern und murmelt: »Nun gut, ich passe ebenfalls.«
»Sie passen nicht, Spike«, sagt eine präzise Stimme, die metallisch klingt. »Sie spielen weiter! Dieser Gentleman blufft nur! Sie halten mit, Spike!«
Seth Lee aber sieht sich immer noch nicht um, obwohl er Ward Hacketts Stimme erkannt hat. Er sagt nur sanft: »Ward, deine Stimme klingt so, als wärst du etwas fett geworden. Möchtest du Mister Spike nicht ablösen? Es wird ein prächtiges Spiel!«
Aber Ward Hackett gibt keine Antwort.
Jim Cameron betrachtet ihn aufmerksam. Und er kommt zu der Erkenntnis, dass dieser große und dunkle Mann wirklich zwanzig bis dreißig Pfund zu viel Gewicht hat. Aber fett ist er nicht. Er ist nur fleischig geworden. Ihm fehlt die rastlose Bewegung.
Indes geht das Spiel weiter. Seth Lee setzt seine letzten Dollars, und der Pott in der Tischmitte ist mächtig angewachsen.
»Nun gut«, sagt er sanft.
Der Spieler deckt auf. Er hat drei Buben.
Seth Lee zeigt ihm drei Damen.
Der Pott beträgt mehr als fünftausend Dollar.
Die drei anderen Mitspieler erheben sich wie auf Kommando, als hätten sie den scharfen Geruch von Verdruss wittern können.
Ward Hackett bewegt sich ruhig, geht halb um den Tisch herum und setzt sich. Der Kartenhai sitzt nun zu seiner Linken und Seth Lee zu seiner Rechten.
Nun erst sehen sie sich an, schweigend und fast ausdruckslos.
»Es wird ein feines Spiel werden, Ward, ehrlich, sauber und sehr nobel«, murmelt Seth Lee. »Du bist wirklich etwas zu fett geworden, wie ich jetzt sehe.«
Ward Hackett nimmt die Karten und beginnt zu mischen.
Plötzlich öffnet sich der Kreis der Zuschauer. Sybill Hillderee erscheint am Tisch und setzt sich Ward Hackett genau gegenüber.
»Ich spiele mit«, sagt sie fest. »Diesmal spiele ich mit!«
Sie legt ein dickes Paket Geldscheine vor sich hin.
Ward Hackett grinst plötzlich. Unter seinem schwarzen Schnurrbart blitzen zwei makellose Zahnreihen.
Er wendet sich Seth Lee zu.
»Spielen wir offenen Poker, ja? Du hast dich nicht viel verändert, Lee. Wenn ich mich richtig erinnere, so hatten wir damals ein Abkommen getroffen.«
Seth Lee beugt sich weit über den Tisch. »Dieses Abkommen gilt nicht mehr, Ward. Als ich vor einigen Monaten bei Fort Warbow anlegte, lag dort im Lazarett ein Mann. Er hatte wohl erfahren, wessen Schiff angelegt hatte. Vor seinem Tod wollte er mir noch etwas sagen. Ich wurde benachrichtigt und ging hin. Es war Faro Jones. Jemand hatte ihm eine Kugel in die Brust geschossen. Er war der Mann, der die Karten austeilte, bei unserem Spiel damals, Ward! Und er hat mir vor seinem Tode geschworen, dass …«
»Es ist gut, Seth«, unterbricht ihn Ward Hackett kurz. Und in seinen grünen Augen ist keinerlei Ausdruck.
Dann teilt er die Karten aus, immer rundherum und aufgedeckt.
Als zwei Karten vor jedem Spieler liegen, hält er inne.
Seth blickt auf seine Acht und Neun.
Dann atmet er scharf ein und schiebt seinen Berg Geld in die Mitte.
»Fünftausend«, sagt er sanft.
Sybill Hillderee hat zwei Zehner. Man hat Ward Hackett inzwischen Geld gebracht. Sie zählt fünftausend Dollar von ihrem Geld ab und legt sie zu dem Pott.
Spike zögert. Er blickt seine zwei Asse an und richtet seine Augen dann auf Ward Hackett. Der nickt.
Da setzt auch der Spieler.
Und Ward Hackett hat eine Dame und einen Buben.
Als er seinen Einsatz gemacht hat, liegen zwanzigtausend Dollar auf dem Tisch.
Dann teilt er weiter aus.
Als die Karten liegen, stöhnen die Zuschauer auf. Eine heisere Stimme ruft gepresst: »Himmel! Das ist doch nicht wahr?«
Aber es ist wahr. Alle sehen es.
Seth Lees Karten sehen nämlich so aus: Acht – Neun – Zehn – Bube Dame!
»Ein Straight Flush!«, sagt jemand feierlich.
Denn es sind alles Kreuzkarten. Es ist eine Folge von Kreuzkarten. Es ist ein Straight Flush!
Und dagegen kommen die Paare der anderen Spieler nicht an.
Ward Hackett schnauft nur etwas. Er wendet sich um und sagt zu einem seiner Männer: »Chips, Joe! Alle Chips, die wir haben. Schnell!«
»Ich spiele nicht mit Chips«, meldet sich Seth Lee milde. »Ich will Bargeld sehen. Hier auf dem Tisch liegen zwanzigtausend Dollar, Mister Hackett. Du kannst sie bekommen, wenn du deinen Einsatz machst und die höchste Karte ziehst. Und die Lady wird mischen.«
Er schiebt Sybill Hillderee seine und Hacketts Karten zu. Sybill zögert unmerklich. Dann sammelt sie auch ihre und Spikes Karten ein.
Indes ist Hacketts Geschäftsführer verschwunden. Als er nach einem Moment an den Tisch tritt, bringt er Geld mit. Aber er sagt: »Es sind nur noch knapp neunzehntausend Dollar in bar, Boss.«
»Ich bin nicht kleinlich, was sind schon tausend Dollar mehr oder weniger.« Seth Lee grinst, und in seinen rauchgrauen Augen ist ein verrücktes Leuchten.
Das Stöhnen und Seufzen der Zuschauer ist zu hören, als Sybill Hillderee die Karten mischt. Sie legt das Päckchen auf den Tisch.
»Die erste Karte von oben«, sagt Seth Lee sofort.
»Die siebente von oben«, verlangt Ward Hackett.
Seth Lees Karte ist eine Acht. Und die Zuschauer murmeln enttäuscht. Dann zählen sie hörbar mit, als die Frau langsam die weiteren Karten abhebt und die siebente neben Seth Lees Acht legt.
Es ist eine Fünf.
Ward Hackett stößt einen seltsamen Ton aus. Er starrt Sybill Hillderee an, als könnte er etwas nicht glauben.
»Sonst noch etwas?«, fragt Seth Lee kalt.
»Wir machen weiter«, sagt Ward Hackett langsam. »Wir machen weiter, Red Seth.«
»Wenn du das Geld an den anderen Spieltischen einsammeln lässt, bekämst du keine fünftausend Dollar zusammen. Was willst du denn gegen diesen Geldberg einsetzen, Hackett?«
»Mir gehört ein Zweidrittelanteil der ›Sun of Tennessee‹«, sagt Ward Hackett ruhig.
»Und ein Drittelanteil gehört mir«, erklärt Sybill Hillderee. »Aber ich spiele nicht mehr. Ich mische auch nicht mehr.«
Sie erhebt sich, bleibt jedoch stehen.
Ward Hackett starrt einen Moment gierig auf das Geld. Dann richtet er seinen Blick auf Seth Lee, und dieser erkennt die unverhüllte Todesdrohung.
Dann senkt Hackett den massigen Kopf, holt ein Notizbuch aus der Innentasche des Rockes und schreibt eine Übereignung über seinen Zweidrittelanteil aus.
»Mein Anteil ist mehr wert«, grinst er. »Aber es kommt jetzt nicht darauf an. Wir lassen nicht neu mischen. Ich nehme die oberste Karte.«
»Ich bin für die zweite Karte von oben, die nächste nach deiner, mein lieber Freund.« Seth Lee grinst.
Nun sieht man, dass er wahrhaftig vom Teufel geritten wird und ihm der Ausgang der Sache vollkommen gleichgültig ist.
Ward Hacketts Hand bewegt sich wieder und deckt die beiden nächsten Karten auf. Seth Lee gewinnt mit einem König über Hacketts Dame.
Aller Augen starren auf die beiden Karten. Man hört seufzende Atemzüge. Sonst ist es still im Raum. Es wird an keinem der vielen Tische mehr gespielt.
Alle Menschen haben sich um diesen Tisch versammelt.
Ward Hackett sitzt eine Weile wie betäubt da. Er blickt auf die Karten, auf den Geldberg und auf das Stück Papier, das obenauf liegt. Der Zettel wirkt sehr unscheinbar.
Dann hört er Seth Lee sagen: »Ich übernehme das Schiff.«
Seth streckt die Hand aus und nimmt den Papierschein vom Geldhaufen. Er faltet ihn zusammen und lässt ihn in seiner Tasche verschwinden.
»Wer besitzt einen Schlüssel zum Geldtresor?«, fragt er sanft. Dabei sieht er Sybill Hillderee an.
Die macht eine stumme Kopfbewegung zu Ward Hackett.
Der hat sich nun irgendwie entschlossen. Er nickt zwei seiner Angestellten zu und sagt: »Bringt das Geld in mein Büro! Seth, wir werden in meinem Büro die Sache noch eingehend besprechen müssen. Gehen wir!«
Er setzt sich in Bewegung.
Seth Lee folgt ihm.
☆☆☆
Sie stehen sich in dem nicht sehr großen und niedrigen Raum eine Weile schweigend gegenüber. Seth Lee lehnt an der geschlossenen Tür. Ward Hackett steht vor dem Geldschrank in der Ecke. Rechts davon hängen ein indianischer Kriegsschild, ein Kriegsbogen und ein Tomahawk an der Wand.
»Hackett, versuch es nicht«, murmelt Seth Lee sanft. »Ich habe dir gleich am Anfang gesagt, dass du etwas zu fett geworden bist. Versuche es gar nicht erst mit mir. Denn ich würde dich Stück für Stück auseinandernehmen und in den Fluss werfen. Mach den Geldschrank auf, nimm deine Privatsachen heraus, pack dein Bündel und verschwinde. Ich werde, wenn wir die nächste Stadt passieren, ein Boot zu Wasser bringen lassen, mit dem du an Land rudern kannst. Diesmal war es ein ehrliches Spiel, Hackett. Du hast verloren.«
»Du Narr«, sagt dieser fest, »hier an Bord sind zweiunddreißig Männer, die auf meiner Lohnliste stehen. Selbst wenn dir dieser kampflustige Texaner helfen würde, hättest du keine Chance.«
»Wir haben gespielt, und du hast verloren, Hackett«, murmelt Seth Lee kühl. »Damals haben wir auch gespielt, nicht wahr? Damals verlor ich. Und ich nahm die Entscheidung an und ging von Bord. Du hast nur Pech gehabt, dass ich dann erfuhr, dass du mich bei jenem Spiel betrogen hast. Jener Mann, der für uns die Karten mischte, nahm ein schon vorher präpariertes Kartenspiel. Du wusstest genau, in welcher Reihenfolge die Karten lagen. Er hat es mir wenige Minuten vor seinem Tod gebeichtet. Ich glaube ihm jedes Wort, Mister, inzwischen habe ich auch alle Kartentricks gelernt. Ich überwinterte einmal mit meinem Schiff hoch im Norden und wurde von den Sioux belagert. Und ich hatte einen Spieler an Bord, der uns die Langeweile damit vertrieb, indem er uns alle Tricks erklärte. Ward, wenn ich dich heute bei einem Trick erwischt hätte, wärst du jetzt schon tot.«
Sie atmen beide rasch. In Ward Hacketts Augen glitzert ein wildes Verlangen.
Dann sagt er heiser und hart: »Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dir dieses Schiff überlasse? Du bildest dir doch nicht ein, dass ich mich von Bord schleiche wie ein Narr, dem man das Fell über die Ohren ziehen konnte?«
»Es war ein faires Spiel«, murmelt Seth Lee.
»Nein, das war es nicht!«, stößt Ward Hackett hervor. »Sybill hat die Karten gemischt! Sybill hat einen Trick angewandt! Sybill hat mich betrogen, weil sie mich hasst und ihre alte Liebe zu dir wieder neu entdeckt hat. Sie hat dir den Gewinn ermöglicht.«
»Du lügst«, erwidert Seth ruhig. »Sybill würde solche Dinge niemals tun.«
Er bewegt sich nun langsam durch den Raum auf Ward Hackett zu. Als er dicht vor ihm steht, knurrt er: »Es sind noch eine Menge anderer Dinge zwischen uns, Hackett, nicht wahr? Als ich an Bord kam, wollte ich nur einen wilden Spaß haben. Aber nun habe ich ein Schiff bekommen. Jetzt spaße ich nicht mehr. Ich habe mir die ganzen Wochen nach meiner Niederlage ein neues Schiff gewünscht. Jetzt habe ich eins! Und jetzt kann ich wieder kämpfen.«
Ward Hackett starrt ihn an.
»Ich weiß«, sagt er voll bösem Hohn. »Ich weiß von deiner Niederlage gegen die Vereinigung. Du konntest mit viel Glück dein Leben retten. Aber jetzt bist du schon fast so gut wie tot! Dafür werde ich sorgen, ja, ich! Hör zu, mein Junge, du hast nicht mehr Chancen als ein Schneeball in der Hölle. Ich will dir zehntausend Dollar überlassen. Damit kannst du verschwinden. Und komm nie mehr zum Fluss zurück. Wenn du dich auf dem Mississippi oder auf dem Missouri noch einmal blicken lässt, bist du ein toter Mann.«
Seth Lee knurrt. Dann tritt er einen Schritt zurück und schickt seine Rechte nach Ward Hacketts Kopf. Aber es war nur eine Finte, denn als dieser beide Arme knurrend zur Deckung hochreißt, bekommt er Seth Lees Linke in den Körper. Er wirft sich knurrend gegen Seth, will ihn umklammern. Aber Seth gleitet blitzschnell zur Seite, ergreift den Arm des Gegners und schleudert Hackett mit einem wilden Kraftausbruch über die Schulter hinweg in die gegenüberliegende Ecke.
Das ganze Schiff scheint zu erzittern. Ward Hackett ist sechseinhalb Fuß groß und wiegt zweihundertdreißig Pfund. Er landet schwer und sehr unglücklich.
»Ich habe dir schon gesagt, dass du zu fett geworden bist. Ich habe nicht viel Mühe mit dir.«
»Bald wirst du tot sein«, keucht Hackett. »Hör zu, Mister, ich habe die Vereinigung hinter mir! Ich bin einer der Bosse. Und ich werde dafür sorgen, dass du …«
Weiter kommt er nicht, denn nun bricht bei Seth Lee alles aus, was bisher in ihm brannte. Er hat ja nun hören müssen, dass Ward Hackett zu jener Gesellschaft gehört, die auf raue Art alle Schiffe auf beiden Strömen unter ihre Kontrolle bringt und als Vereinigung bekannt ist. Er weiß nun, dass er einen jener Bosse vor sich hat, denen er es zu verdanken hat, dass er sein Schiff verlor.
Er explodiert.
Anfangs setzt sich Ward Hackett zur Wehr. Oh, er kann noch kämpfen und wäre sogar mit zwei nur durchschnittlichen Männern fertig geworden.
Aber Seth Lee nimmt seine Schläge hin, ohne Wirkung zu zeigen, knurrt nur und besiegt ihn binnen weniger Minuten.
Und als er Hackett dann am Boden liegen sieht, fühlt er sich ausgebrannt und leer.
»Ich werde deine Privatsachen heraussuchen, ordnen, zu einem Paket machen und in Memphis postlagernd auf deinen Namen zur Aufbewahrung geben«, sagt er kalt.
Dann geht er zur Tür und öffnet sie.
»Raus!«, sagt er fest und kalt.
Ward bewegt sich noch nicht, obwohl es ihm etwas besser geht und er seine Not schon fast überwunden hat.
»Lee, du wirst mir das büßen«, sagt er keuchend. »Du kannst mir, hinter dem die ganze Macht der Vereinigung steht, kein Schiff rauben. Du kannst uns nicht einfach Schiffe fortnehmen. Du Narr willst gegen unsere Macht rebellieren, aber wir beherrschen schon mehr als fünfundsiebzig Prozent des gesamten Schiffsverkehrs! Wir …«
»Raus, bevor ich dich noch einmal schlage«, unterbricht ihn Seth kalt. »Du kannst es später noch mal versuchen. Jetzt bist du körperlich nicht in Form. Ja, ich werde gegen euch den Kampf aufnehmen. Ich werde den wenigen noch freien Kapitänen zeigen, wie groß und mächtig ihr in Wirklichkeit seid.«
Er packt Ward Hackett an der Schulter und stößt den noch taumelnden Mann hinaus und bis zur Reling.
Das Dampfboot fährt gerade an einer Siedlung vorbei, deren Lichter am Ufer deutlich zu erkennen sind.
Jim Cameron kommt unter der Treppe hervor, die hinauf zum Sturmdeck und dem Steuerhaus führt.
»Das ist wirklich ein feiner Spaß«, sagt er und tritt an den Niedergang zum Hauptdeck. Dort werden jetzt einige Stimmen laut. Schritte poltern auf den mit Eisen beschlagenen Stufen.
»Bleibt unten, Jungs!«, ruft der Texasmann hinunter. »Hier oben findet immer noch eine Privatkonferenz statt! Nicht stören, Leute!«
»Oh, du Hundefloh aus Texas!«, ruft eine wilde Stimme, und eine andere Stimme ruft: »Boss! Boss! Was sollen wir tun? Hörst du uns? Sollen wir endlich loslegen und beide Strolche über Bord werfen?«
Jim Cameron lacht metallisch.
»Hier steht Texas!«, ruft er hinunter. »Hier wird der Weg mit Blei versperrt. Bleibt nur friedlich, Jungs! Euer Boss hat sein Geld und sein Schiff verspielt! Denkt nur darüber nach, wer euch jetzt den Lohn auszahlen kann!«
Inzwischen hat Seth Lee lange genug gewartet.
»Danke, Texasmann«, sagt er über die Schulter. »Jetzt muss ich wohl Ihre Hilfe annehmen. Aber wir sind gleich fertig mit der Sache.«
Er klopft Ward Hackett auf die Schulter.
»Dort drüben sind die Lichter von Little Bend. Spring! Los, spring!«
Ward Hackett stößt ein Stöhnen aus. Aber er weiß, dass er Seth Lee zurzeit körperlich nicht gewachsen ist. Er erzittert und erschrickt fast vor heißem Zorn. Und doch hat er seine Niederlage schon erkannt. Auch in diesem Texaner täuscht er sich nicht. Er weiß, dass dieser Mann niemanden die Treppe herauflassen wird.
Seth Lee hat ihn fest in der Hand.
Vom Ruderhaus fragt jetzt eine trockene Stimme nieder: »Was ist denn eigentlich dort unten los? Hackett, sind Sie dabei?«
Aber Hackett gibt keine Antwort.
Der Steuermann dort oben, das ist Meece Gilbert. Und Meece Gilbert ist Sybill Hillderee treu ergeben.
Dafür aber gibt Seth Lee der Stimme von oben Antwort. Er ruft die Treppe hinauf: »Meece, hier ist Seth Lee. Der gute Hackett hat sein Boot an mich beim Spiel verloren. Und damit er sich abkühlt, lass ich ihn über Bord springen. Du wirst mir doch keinen Kummer machen, Meece?«
»Seth, alter Junge!«, ruft die Stimme sofort. »Das ist aber eine Überraschung! Hast du dir ein neues Schiff besorgt? Was sagt die Lady dazu?«
»Sie hat die Karten gemischt und zählt jetzt mein gewonnenes Geld, Meece.«
»Dann ist es gut! Mach nur weiter, Seth! Mich geht das nichts an! Ich bin nur der Steuermann!«
Ward Hackett stößt einen seltsamen Laut aus. Er ist ein Mann, der sich bis vor einer Stunde auf einem mächtig hohen Thron fühlte und der sich über die Ausführung seiner Befehle keine Sorgen zu machen brauchte.
Und jetzt soll er über Bord springen wie ein aufgestöberter Tramp.
»Ich werde dich bald tot sehen, Seth«, keucht er. »Yeah, ich springe jetzt über Bord. Aber wenn du auf der Rückreise den Strom heraufgefahren kommst, werde ich dich mit hundert Männern und einem halben Dutzend Schiffen erwarten. Hast du gehört? Ich werde mit hundert harten Burschen zurück auf dieses Schiff kommen! Du und deine Freunde werden diese Sache sehr bereuen!«
Er gibt sich einen Ruck, klettert auf die Reling und springt dann. Man hört ihn ins Wasser klatschen, prustend auftauchen und dann heiser nochmals rufen: »Ich komme zurück! Ich werde dich töten, Seth Lee! Du wirst zerschmettert werden!«
Dann treibt er ab. Die vielen Menschen, die sich auf dem Hauptdeck an der Reling drängen, sehen ihn mit langen Stößen aufs Ufer zu schwimmen.
Jemand kommt die Treppe herauf, und der Texaner lässt es geschehen.
Es ist Sybill Hillderee. In einem Tischtuch eingeschlagen bringt sie das Geld. Einen Moment hält sie vor Jim Cameron inne, sieht zu ihm auf und sagt: »Cowboy, wissen Sie auch genau, in welches Spiel Sie sich da eingekauft haben?«
Jim Cameron lacht verwegen.
»Das ist ein prächtiges Spiel mit viel Spaß. Es ist ein richtiges Männerspiel. Solche Spiele liebe ich und möchte sie nicht missen!«
»Und was versprechen Sie sich sonst davon, Cowboy aus Texas?«
»Einmal war ich in Arizona«, sagt er, »und fing dort wilde Pumas mit dem Lasso. Es machte Spaß.«
Sie betrachtet ihn nochmals sorgfältig. Dann wendet sie sich Seth Lee zu.
»Hier ist das Geld«, sagt sie ruhig. »Es sieht so aus, als wären wir jetzt wieder Partner.«
Er deutet auf die offene Tür und reicht ihr dann den Schlüssel zum Geldschrank.
»Schließ es ein, Sybill«, murmelt er. »Und dann such bitte Hacketts Privatsachen zusammen. Ich möchte nichts von ihm, was nicht mit diesem Schiff in Zusammenhang steht. Und dann warte bitte, bis ich hier an Bord richtig fertig bin. Wir werden noch einige Dinge zu klären haben.«
»Das denke ich auch«, murmelt sie und tritt in die Kabine. Sie schließt die Tür.
Die beiden Männer blicken sich einige Sekunden schweigend an.
»Jim«, sagt Seth schließlich, »es ist kein Spaß. Diese Sache wird mächtig rau. Ich glaube, ich muss dir richtig klarmachen, in welchen Verdruss du hineingesprungen bist.«
»Später, Mister, später.« Der Texaner winkt ab. »Das kannst du mir später erklären. Machen wir lieber erst weiter, in deinem Stil. Der gefällt mir. Und ich freue mich schon auf die Geschichte, die ich den Jungs am Brazos River erzählen kann. Ich werde dort einige Ungläubige verprügeln müssen. Was machen wir jetzt?«
Seth Lee wird jedoch der Antwort enthoben, denn die Dinge entwickelten sich inzwischen weiter.
Die raue Stimme des Steuermanns Meece Gilbert ruft nämlich von oben: »He, Seth Lee! Ich bekomme Besuch!«
Seth Lee begreift sofort, dass jetzt einige von Ward Hacketts Männern von der anderen Seite zum Hurrikan-Deck hinaufgestiegen sind. Und er weiß, dass man den Steuermann sicherlich dazu zwingen will, das Dampfboot zu wenden und die Siedlung Little Bend anzulaufen.
Er zieht seinen Colt und gleitet die Treppe hinauf. Als er seinen Kopf vorsichtig über das Sturmdeck schiebt, blitzt auch sofort das Mündungsfeuer von Revolvern auf. Eine Kugel reißt ihm den Hut vom Kopf. Und eine andere Kugel streicht an seinem Nacken vorbei.
Wieder vertraut er mit einer fast selbstmörderischen Verwegenheit auf sein Glück. Er schnellt die letzten Stufen der Treppe hinauf, hechtet vorwärts und rollt über das Deck bis zu einem Entlüftungskasten. Er ist unwahrscheinlich schnell. Die Mündungsfeuer blitzen immer wieder auf, und die nach ihm suchenden Kugeln verfehlen ihr Ziel immer wieder nur um wenige Zoll.
Aber dann liegt er still, sieht seine Gegner schattenhaft und beginnt zu schießen.
Es sind drei Gegner, und es sind gewiss Ward Hacketts Revolverleute, die sonst in den Spielräumen Ordnung und Frieden aufrechterhalten müssen, wenn sich einer der Spieler betrogen fühlt und den Revolver ziehen sollte.
Einer steht oben auf der Treppe zum Steuerhaus. Die anderen beiden haben hinter den Ecken des Steuerhauses Deckung genommen, aber Seth Lee sieht ihre Schultern und Köpfe gut genug.
Hinter ihm wirft sich Jim Cameron aufs Deck. Seth gibt ihm Feuerschutz. Er leert dabei seinen Colt, trifft mit seinem letzten Schuss den Burschen, der von der linken Ecke des Steuerhauses feuert.
Dann stürmt er vorwärts.
Denn inzwischen hat der Steuermann, Meece Gilbert, gehandelt, sein Ruder verlassen und dem Mann, der auf der Leiter zum Steuerhaus steht und von dort oben schießt, einen Tritt in den Rücken gegeben. Dieser Mann fliegt vor Seths Füße. Der schlägt mit dem leeren Colt zu und hört dabei Jim Cameron schießen.
Dann ist der Kampf aus.
Meece Gilbert ruft von oben: »Das wär’s wohl, nicht wahr?« Er kehrt zu seinem Ruder zurück.
Seth lädt seinen Colt auf. Dabei blickt er kurz zu Jim Cameron hinüber, der ihm zuwinkt und lässig sagt: »Diese Narren! Seth, wir sind gar nicht zu schlagen.«
Dann sehen sie beide nach. Der Mann, den Seth traf, sitzt stöhnend am Boden und presst sich die Linke auf die blutende Wunde an der rechten Schulter. Der zweite Mann ist bewusstlos.
Jim Cameron tritt heran und murmelt: »Ich musste schnell schießen. Es hat diesen Narren richtig erwischt.«
Einige Männer kommen die Treppen herauf. Seth und Jim richten ihre Colts auf diese Männer.
Aber Meece Gilbert ruft von oben, indes er das Flussboot wieder auf den richtigen Kurs gegen die Strömung bringt: »Das ist meine Deckmannschaft, Seth! Jungs, macht mir nur keinen Kummer! Für mich ist Seth Lee der neue Chef auf diesem Schiff! Charly, komm herauf und übernimm das Ruder! Wir bringen jetzt alles in Ordnung.
Und so geschieht es auch. Ein Mann klettert zum Ruderhaus. Dann kommt Meece Gilbert herunter. Er ist nicht sehr groß, aber mächtig breit und klotzig. Eine alte Kapitänsmütze sitzt auf seinem zottigen Haar.
»Gib uns nur Befehle, Seth«, sagt er.
Seth weiß, dass er nun, da Meece Gilbert und seine Deckmannschaft mitmachen, der Boss auf diesem Dampfboot ist.
☆☆☆
Als er später Ward Hacketts Kabine betritt, die nun von ihm bewohnt werden wird, wartet Sybill Hillderee ruhig und beherrscht. Sie sieht ihn seltsam forschend an und deutet dann auf einen Koffer.
»Das blieb von Ward Hackett hier an Bord übrig«, sagt sie. »Ich habe alles in seinen Koffer getan.«
Sie deutet auf den offenen Geldschrank und murmelt etwas härter und schärfer: »Und da ist das Geld! Du bist ein Glückspilz, Seth.«
Dann presst sie ihre roten und vollen Lippen fest zusammen und wartet.
Seth Lee setzt sich erschöpft in einen Sessel, beugt sich vor, holt eine gute Zigarre aus Hacketts Kiste, zündet sie an, lehnt sich zurück und schweigt eine volle Minute.
Er hätte sehr viel zu sagen, und doch findet er nur schwer die richtigen Worte. Aber die Vergangenheit ist fast greifbar im Raum.
Die Frau betrachtet ihn ruhig. Nur ganz im Hintergrund ihrer Augen kann man Sorge erkennen.
»Ward Hackett ist einer der führenden Männer jener Vereinigung, die alle freien Schiffe unter Kontrolle bringt und vor Mord, Terror und Brandstiftung nicht zurückschreckt?«, fragt er dann heiser.
»Yeah«, sagt sie schlicht. »Er gehört dazu.«
»Und du, Sybill?«
Sie sieht ihn lange an, und er wird sich wieder einmal bewusst, wie schön und begehrenswert sie ist.
»Seth, warum hast du mir das damals angetan?«, fragt sie sanft.
Er senkt den Kopf, ballt seine Rechte und schlägt sie gegen die Innenfläche der Linken.
»Hackett und ich, wir wollten dich beide. Einer von uns war zu viel an Bord. Ich war damals noch vier Jahre jünger. Es erschien mir eine gute Lösung zu sein, darum zu spielen, wer auf dem Boot bleiben durfte und wer gehen musste. Es war natürlich falsch.«
»Das war es, Seth. Man spielt nicht um eine Frau. Und überdies warst du ein Narr. Hackett hat dich betrogen. Nun, jetzt weißt du es ja endlich.«
»Hat er dich bekommen können, Sybill, ich meine, nachdem ich fort war und er freie Bahn hatte?«
Sie lächelt bitter. »Als ich erfuhr, dass ihr um mich spielt, war Hackett für mich genauso erledigt wie du«, sagt sie dann herb. »Jeder von euch hatte mich zutiefst beleidigt. Die Entscheidung zwischen euch war meine Sache!«
»Und wie hättest du dich entschieden, Sybill?«
»Für dich, Seth! Wir hatten uns schon geküsst, nicht wahr? Glaubst du, ich hätte mich sonst von dir küssen lassen? Ich habe dich geliebt, großer Mann. Aber du Narr konntest mich nicht fragen, ob ich mit dir gehen würde! Du musstest unbedingt …«
»Du musst mir die Sache von damals verzeihen, Sybill«, murmelt er. »Ich habe es in den letzten vier Jahren jeden Tag bereut. Ich habe immer wieder daran denken müssen, welch ein Narr ich war. Und ich stand damals vor einer schweren Wahl. Hackett sagte, dass wir entweder gegeneinander kämpfen oder spielen müssten. Und ich wollte ihn doch nicht töten. So spielte ich: Vergiss es bitte, Sybill.«
Er beugt sich nieder und küsst sie. Für einen Herzschlag spürt er die Erwiderung seines Kusses. Aber dann löst sie sich ziemlich energisch von ihm.
»So leicht kann ich nicht vergessen, Seth«, keucht sie und weicht hinter den Tisch zurück.
Er nickt und wischt sich über die Augen.
»All right«, sagt er. »Wo kann ich dich an Land setzen? Du kannst das Geld mitnehmen.«
»Ich will kein Geld! Ich behalte meinen Anteil an diesem Schiff.«
»Du wirst das Geld nehmen, denn es könnte immerhin sein, dass ich auch dieses Schiff verliere. Und die Rückfahrt stromauf wirst du bestimmt nicht mitmachen. Mädel, es tut mir leid, aber ich muss es noch einmal versuchen. Ich muss den Kampf noch einmal aufnehmen. Oh, ich würde gerne andere Dinge tun. Doch du musst mich verstehen.«
»Ich weiß, du gehörst zu jener Sorte, die niemals aufgeben kann und immer wieder zurückschlägt und sich allen Gegnern stellt«, murmelt sie bitter, verlässt ihren Standort und geht zur Tür.
»Aber ich werde auf diesem Schiff bleiben«, sagt sie von dort her hart. »Dann wirst du vielleicht nicht allzu viel riskieren.«
Nach diesen Worten geht sie.
Aber Seth ist nicht lange allein. Jim Cameron kommt herein und holt sich sofort eine Zigarre aus der Kiste.
»Die habe ich mir ehrlich verdient«, sagt er und grinst. »Was wirst du jetzt tun, Seth Lee?«
»Alles, was einem freien Mann auf einem freien Fluss zusteht, Jim.«
»Und jene Vereinigung?«
»Sie werden mich angreifen, aus vielerlei Gründen. Ich bin für alle harten Burschen, die sich der Vereinigung noch nicht unterworfen haben, eine Art leuchtendes Beispiel. Wenn ich mich gegen die Vereinigung behaupten kann, werden es andere Kapitäne ebenfalls versuchen. Das ist der eine Grund, warum sie sich anstrengen werden, mich zu erledigen. Und der andere Grund ist, dass ich mir Ward Hackett zum Todfeind gemacht habe.«
Jim Camerons Gesichtsausdruck wird sehr ernst. Er nickt.
»Yeah«, murmelt er, »dieser Bursche musste über Bord springen und an Land schwimmen. Er wird sich jetzt wünschen, dass du sieben Leben hast, damit er dich sieben Mal töten kann. Nun gut, Seth, vielleicht schafft er es nicht!«
Jim Cameron grinst schon wieder verwegen. »Auf dieser Welt gibt es Männer, die auch mich gerne in Stücke reißen möchten. Aber ich lebe immer noch und reite. Was wirst du tun, Seth? Es interessiert mich sehr. Denn es könnte sein, dass ich ein prächtiges Angebot für dich habe.«
Sie betrachten sich abermals genau. Es ist ein letztes Forschen. Aber keiner kann an dem Gegenüber etwas erkennen oder wittern, was ihm nicht behagt.
Sie spüren, dass sie Freunde sein werden.
»Ich muss hinunter zur Küste«, erklärt Seth Lee dann. »Ich habe Frachten und Passagiere. Ich muss den Strom hinunterfahren, bis ich alles ans Ziel gebracht und ausgeladen habe.«
»Und dann?«, fragt der Texasmann ruhig, aber in seinen Augen funkelt es nun.
»Dann fahre ich den Strom hinauf und in den Missouri hinein, befördere Frachten und tue alles, wozu ich ein Recht habe. Und ich werde mir vorher von einer kleinen Werft, deren Besitzer ich gut kenne, eine Drehkanone auf dem Hurrikan-Deck montieren lassen. Ich werde mit einer Drehkanone an Bord den Fluss hinauffahren, verstehst du, Jim?«
»Das verstehe ich gut, mein Freund. Und was wird aus der Spielhölle hier an Bord?«
»Die gibt es nicht mehr. Ich jage alle Croupiers, Bankhalter und Kartenausteiler von Bord, sobald wir die nächste Anlegestelle erreichen. Die Spieltische und Roulette-Räder verkaufe ich später im hohen Norden. Dort bringen sie mehr Geld ein als an der Küste. Die ›Sun of Tennessee‹ wird hauptsächlich Frachten befördern. Und sie wird kämpfen. Deshalb werde ich auf Passagiere verzichten müssen. Sie würden zu sehr gefährdet sein.«
Wieder nickt Jim Cameron.
Dann sagt er trocken: »Wie viele Longhorn-Rinder hätten auf diesem Boot wohl Platz, Käpt’n?«
»Diese Fracht lohnt nicht«, murmelt Seth Lee und betrachtet den Texasmann verwundert.
»Wie viele Rinder kannst du mit diesem Boot befördern?«, fragt Jim Cameron unbeirrt und grinst.
»Etwa fünfhundert, Cowboy. Und sie verwandeln dieses Schiff in eine stinkende Büffelkuhle. Ihre Marktpreise sind zu gering. Deshalb kann niemand einen Frachtsatz zahlen, bei dem sich ein Viehtransport per Schiff lohnen würde. Schlag dir das aus dem Kopf, Cowboy.«
»Ich bin fünf Jahre zur Schule gegangen, Sir«, erklärt Jim Cameron geduldig. »Unsere Lehrerin hat uns nicht nur Bibelsprüche, sondern auch Rechnen beigebracht. Und jetzt will ich dir etwas vorrechnen. Hör mir mal gut zu und mach die Ohren weit auf.«
Er spricht es sehr ernsthaft, hebt den langen Zeigefinger und beginnt: »In Arkansas, Louisiana und erst recht in Texas kostet ein Longhorn-Stier auf der Weide etwa zwei bis drei Dollar. Ich habe eine Herde von tausend Stück nach Kansas City gebracht. Dort verkaufte ich sie für genau vierzehn Dollar das Stück.«
»Aber du warst sicherlich vier Monate unterwegs und …«
»Wir waren hundertachtunddreißig Tage unterwegs«, unterbricht ihn Jim Cameron. »Mit zwei Wagen, tausend Rindern und zwölf Reitern brachen wir auf. Als wir Kansas City erreichten, waren es nur noch knapp siebenhundert Rinder. Und wir hatten keine Wagen mehr und waren nur noch fünf Reiter. Weiße Banditen und Indianer, Stampeden, Unwetter, reißende Ströme, all diese Dinge hatten uns zugesetzt. Und wir waren von mehr als einem Dutzend Herden, die damals von Texas aufbrachen, die einzige, die Kansas City erreichte. Es ist ein höllisch harter Weg, solch ein Treiben, Seth.«
Er macht eine kleine Pause und holt einige Male tief Atem.
Dann sagt er noch trockener als zuvor: »In Kansas City verkaufte ich die Rinder an einen Mann, der schon eine Herde von zweitausend Stück angesammelt und eine fünfzig Köpfe zählende Mannschaft angeworben hatte. Einige Tage später sah ich dann, wie dieser Mann mit seinen Reitern die Herde zu treiben begann, nach Norden, Seth! Hörst du, nach Norden! Ich dachte lange darüber nach, warum dieser Mann Rinder nach Norden treiben ließ, wo es doch nur Indianer und Büffel gibt. Ich konnte mir keine Antwort auf meine Frage geben. Aber zwei Tage später erhielt ich sie zufällig von einem Goldgräber, der von Montana den Fluss heruntergekommen war. Ich hörte, dass es in Montana viele große Goldgräbercamps gibt. Dort oben im Goldland sollen Zehntausende von Männern nach Gold suchen. Und jeden Winter erleben sie eine Art Hungersnot. Ein Sack Mehl kostet dann fünfhundert Dollar. Ein Pfund Zucker hundert Dollar, und ein Pfund frisches Fleisch bringt mehr als zehn Dollar ein.«
»Das stimmt alles«, murmelt Seth Lee. »Auf den Flussbooten und auch auf dem Landweg kann man nicht genug Proviant und Ausrüstung nach Montana bringen. Auf dem Landweg überfallen die Indianer jeden Frachtzug. Es kommen nur sehr wenige durch. Auf dem Big Muddy ist es fast genauso. Die Ufer des oberen Big Muddy sind mit den Skeletten überfallener und abgebrannter Schiffe garniert. Proviant und Ausrüstung sind auf den Goldfeldern wirklich sehr knapp. In der Bozeman Gulch, im Gallatin Valley und in der Last Chance Gulch hat man im vergangenen Winter für einen kinderfaustgroßen Apfel einen Dollar gezahlt. Für einen Hufnagel zahlte man fünfzig Cents. Und diesen Winter wird es noch schlimmer werden, weil die Vereinigung, jener Trust von Verbrechern und Flusspiraten, die nun die Schifffahrt kontrollieren, alle Frachtpreise bestimmen, jedem Schiffseigner vorschreiben, was für Frachten er zu laden und an wen er sie zu liefern hat. Diesen Winter wird es im Goldland so weit kommen, dass die Menschen dort jedes Gramm Proviant mit purem Gold aufwiegen müssen.«
»Fünfhundert mal zweihundert ist hunderttausend«, knurrt Jim Cameron trocken, als Seth Lee verstummt. »Zweihundert Dollar sind für ein Longhorn-Rind ein fairer Preis dort oben im Goldland«, fügt er hinzu. »Zweihundert Dollar sind wirklich fair. Und wenn wir fünfhundert Rinder hinaufbringen, haben wir hunderttausend Dollar. Hör dir meinen Vorschlag an, Mann vom Big Muddy: Ich steige an der Südgrenze von Arkansas aus. Ich reite nach Westen und kaufe fünfhundert Rinder. Ich besorge auch einige Texaner, die nicht nur mit Rindern umgehen, sondern auch kämpfen können. Und dann laden wir die Rinder ein und fahren sie bis zu den Großen Fällen in Montana. Dann treibe ich sie mit meinen Leuten weiter. Wir schaffen das alles bis zum Winter. Und wir machen alles als Partner. Ich stelle die Rinder und die Treiber. Du stellst das Schiff.«
»Junge, Junge«, keucht Seth Lee, »wie stellst du dir das vor, fünfhundert Rinder sieben bis acht Wochen an Bord eines Flussdampfers zu halten?«
»Wir legen alle drei bis vier Tage an und lassen die Rinder ein oder zwei Tage auf eine Flussweide«, grinst Jim. »Wir schaffen das alles, Bruder. Mit deiner Drehkanone und meinem Onkel schaffen wir das schon.«
Als er das Wort »Onkel« spricht, klatscht er gegen seinen Colt. Es ist unmissverständlich, dass er mit »Onkel« seinen alten Colt meint.
☆☆☆
Es ist der 1. Oktober 1867, als Seth Lee sein Schiff in eine kleine Werft von New Orleans fährt und das Feuer unter den Kesseln löschen lässt.
Es befinden sich keine Passagiere mehr an Bord. Die Frachten sind bis auf den letzten Ballen Baumwolle entladen. Alle Verpflichtungen, die gegenüber Auftraggebern und Passagieren bestanden, sind erfüllt.
Seth Lee kann nun neu beginnen.
Und das tut er.
Zuerst sagt er dem Werftbesitzer seine Wünsche und bespricht dann alles mit dem Ingenieur. Im Schiff soll allerlei umgebaut werden. Das Beschaffen einer Drehkanone bereitet wenig Schwierigkeiten. Aber das Sturmdeck wird verstärkt werden müssen.
Später lässt Seth Lee dann von Meece Gilbert die wenigen Männer zusammenrufen, die als zuverlässig gelten und deshalb auf dem Schiff bleiben durften. Er hält ihnen eine Rede und klärt sie darüber auf, dass die Fahrt nach Norden sehr gefährlich werden wird. Aber als er dann fragt, wer abmustern will, grinsen sie nur, und niemand hebt die Hand.
Seth nickt.
Dann blickt er zum Texas-Deck hinauf.
Dort steht Sybill Hillderee. Sie ist zum Landgang gekleidet. Als sie sieht, dass er fertig ist, kommt sie herunter.
»Da die Feuer unter den Kesseln gelöscht sind«, sagt sie, »wirst du nicht so schnell wieder abfahren können, Seth.«
Sie klopft gegen eine große Ledertasche, die sie in der Hand hält.
»Hier ist der größte Teil des Geldes drin. Ich bringe es zur Bank.«
»Auf deinen Namen?«, fragt er ruhig.
»Nein, auf Mister Seth Lees Namen«, erwidert sie knapp. »Hier auf dem Schiff würde es bald geraubt werden oder verbrennen oder mitsamt dem Tresor im Fluss versinken. Ich zahle es auf deinen Namen ein, Seth.«
»Es gehört dir«, murmelt er. »Wenn dieses Schiff verloren gehen sollte, wird deine Existenz sichergestellt sein. Zahl lieber zur Vorsicht gleich auf deinen Namen ein.«
»Nein«, sagt sie scharf. »So leicht kannst du dich von der Verantwortung für meinen Drittelanteil nicht freikaufen. Die Verantwortung und ich, wir werden immer hier an Bord sein.«
Dann geht sie davon und über die Laufplanke an Land.
Auch Seth Lee geht an Land.
Als er später wieder an Bord kommt, bringt er zwei Männer mit, die ihm aus früheren Zeiten bekannt sind und von denen er weiß, dass sie mit einer Drehkanone bestens umgehen können.
Überall auf dem Schiff wird gearbeitet. Die Werftbelegschaft arbeitet Tag und Nacht in den Maschinenräumen, Laderäumen, auf den Decks und an der Montage der Kanone.
Sogar das Ruderhaus wird gepanzert.
Meece Gilbert sagt manchmal zufrieden: »Jungs, dies wird ein prächtiges Kriegsschiff! Jungs, auf diese Fahrt freue ich mich schon mächtig.«
☆☆☆
Am 4. Oktober beginnt die »Sun of Tennessee« ihre Fahrt stromauf.
Und am 10. Oktober legt sie dort an, wo die Grenzen von Arkansas und Louisiana zusammenstoßen und der Strom die Grenze nach Osten bildet. Sie ist ein kleines Stück in einen toten Nebenarm hineingefahren und ankert in einer tiefen Rinne dicht am Ufer.
Seth Lee lässt eine starke Brücke auslegen.
Dann wartet er drei Tage und steht während einer Nacht viele Stunde neben Sybill Hillderee an der Reling, ohne dass sie beide ein einziges Wort reden.
Aber am vierten Tag kommt ein Reiter über die Uferwiese geritten.
Es ist Jim Cameron. Er schwingt den Hut und lässt den Rebellenschrei der ehemaligen Texasbrigade ertönen.
Dann lenkt er sein Pferd bis zum Bauch ins Wasser und grinst zum Schiff hinauf. Er winkt Seth zu.
»Schöne Lady, ich habe mich nach Ihnen gesehnt!«, ruft er zu Sybill Hillderee hinauf.
Sie lächelt ihm zu.
Seth Lee, der neben ihr steht, ruft: »Cowboy, wo sind die fünfhundert Kühe?«
Jim Cameron wendet sich im Sattel um. Er späht zu den Hügeln hinüber. Aber Seth, der ja viel höher steht als Jim, kann die Herde früher erkennen.
Ja, dort kommt eine Rinderherde aus den Hügeln. Sie wird von einigen Reitern scharf getrieben.
»Hast du deine Kanone, Seth?«, ruft Jim jetzt. »Hör, mein Freund! Ich habe eine Texasmannschaft. Und wir werden wohl eines Tages herausfinden, wer besser ist, deine Kanone oder die Texasjungs!«
☆☆☆
Am anderen Morgen beginnt die Fahrt. Die Glocke läutet. Die Dampfpfeife schickt ein schrilles Signal über den Fluss.
Fünfhundert Rinder brüllen und muhen in den Laderäumen. Am dritten Tag legen sie an einer günstigen Stelle in einem Nebenarm an und treiben die Rinder von Bord. Nach zwei Tagen fahren sie weiter, und es war eine höllische Arbeit, die Rinder wieder an Bord zu bekommen.
Das ganze Schiff riecht jetzt nach Rindern.
Am 30. Oktober sind sie nur noch vier Stunden von Saint Louis entfernt. Bisher war es eine glatte Fahrt bei gutem Wetter und ohne jede Schwierigkeiten, wenn man davon absieht, dass sie immer wieder günstige Landeplätze suchen und die Rinder aus- und einladen mussten.