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3 spannende Westernromane lesen und sparen!
G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2419 bis 2421:
2419: Die Ausgestoßenen
Die Leute in Elkhorn hatten sie ausgestoßen. Fünf Männer und zwei Frauen. Und nur Ben Carpenter hatten sie zu verdanken, dass sie im Blizzard die rettende Geisterstadt erreichten ... Wer den Western in seiner spannendsten und ehrlichsten Form liebt, kommt an G.F. Unger nicht vorbei!
2420: Slaterlee reitet noch
Cas Slaterlee hatte nur drei Tage Zeit, um einen Wagen voller Gold und Juwelen nach Santa Fe zu bringen. Noch nie hatte er einen heißeren Job ... G.F. Unger ist ein Erzähler aus Berufung und Leidenschaft. Der mitreißenden Kraft seiner Romane kann sich kein Westernfreund entziehen.
2421: Sein gefährlicher Partner
Sein gefährlicher Partner Er wollte so werden wie Revolver-Quean: ein Mann, den man nicht herumstoßen konnte und vor dem sich jeder fürchtete. Doch irgendwann erkannte Jim Buckmaster, dass er auf dem falschen Weg war ... Mit diesem Roman behauptet G.F. Unger wieder einmal seine unangefochtene Spitzenstellung unter Deutschlands Western-Autoren!
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 250 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 460
Veröffentlichungsjahr: 2021
G. F. Unger
G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 24
Cover
Impressum
Die Ausgestoßenen
Vorschau
Die Ausgestoßenen
In Elkhorn stellen sich die drei Killer endlich ihrem Verfolger.
Als Ben Carpenter in den Ort reitet, sieht er sich plötzlich von ihnen eingekeilt. Obwohl sie ohne Warnung das Feuer auf ihn eröffnen, kämpft er sie nieder. Als der letzte Schuss verhallt, sind die drei tot. Ben aber lebt. Doch er blutet aus mehreren Wunden und schleppt sich schwer verletzt ins Hotel. Solange er zahlen kann, nimmt man sich seiner an, danach landet er im Mietstall. Und sowie es ihm etwas besser geht, erscheinen drei Stadträte und erklären ihm kaltschnäuzig, dass er die Stadt auf der Stelle zu verlassen habe. Er und noch einige andere, die in den Augen der anständigen Bürger von Elkhorn zum Abschaum der Menschheit gehören. Der Winter steht vor der Tür, und bevor die Stadt einschneit, will man sie von jeglichem Gesindel gesäubert haben.
Ben ist noch zu schwach, um sich zu wehren. Also nimmt er das klapprige Pferd und die fünfzig Dollar an, die man ihm gibt, und reitet zu dem Wagen, auf dem die anderen Ausgestoßenen auf ihn warten. Es sind vier Männer und zwei Frauen. Ein kläglicher Haufen, denkt Ben. Und die Furcht beschleicht ihn, dass er sie ins Verderben führen könnte …
Es ist ein ziemlich armseliger Wagen mit einem alten Gespann, das jetzt schon die Köpfe hängen lässt. Auch das Sattelpferd ist keine zwanzig Dollar wert.
Und dabei hat die Stadt die drei Pferde der Banditen und deren Siebensachen vereinnahmt. Es waren erstklassige Pferde mit Sätteln, dazu gute Waffen, wahrscheinlich auch Bargeld.
Ben Carpenter geht zum angebundenen Pferd, bindet es los und sitzt auf. Er bewegt sich ziemlich mühsam.
Dann reitet er neben das Vorderrad des Wagens und sieht zum Fahrer hinauf. Der ist ein rothaariger Riese mit einem Kindergesicht. Wahrscheinlich ist der Bursche geistig etwas zurückgeblieben, aber seine hellen Augen blicken harmlos und unschuldig.
Carpenter nickt ihm zu. »Los«, sagt er und reitet weiter.
Sein Blick streift die Gesichter der anderen Menschen. Eine der beiden Frauen ist schon reifer, aber die andere ist gewiss kaum zwanzig.
Ihre Blicke betrachten ihn forschend.
Und einer der vier Männer, der wie ein Prediger gekleidet ist, sagt laut in den kalten Tag hinein: »Und so preisen wir den Herrn, weil er uns auf neue Wege schickt. Wohl denen, die da wandeln vor Gott in Heiligkeit, nach seinem Worte handeln und leben allezeit.«
Nach diesen bedächtig und präzise gesprochenen Worten nimmt er einen Schluck aus der Flasche und beginnt wieder zu singen.
»Schon wieder eine Seele vom Alkohol gerettetet, schon wieder …«
Ben Carpenter sieht sich nicht um. Er reitet nun schon weit dem Wagen voraus.
Erst als er in den Hügeln ist, hält er an und wartet.
Der Wagen kommt langsam angerollt. Die Steigung war nicht besonders stark, doch die beiden alten Gespannpferde keuchen beträchtlich. Man kann sehen, wie sie sich angestrengt haben.
Die Leute sehen stumm auf den Reiter.
Dann sagt die grünäugige Frau ruhig: »Da Sie hier auf uns gewartet haben, Mister, können wir wohl damit rechnen, dass Sie uns irgendwohin zu führen versuchen. Oder?«
Er nickt und sieht sie an. Dabei wird er sich darüber klar, dass sie ihm gefällt. Sie ist etwa zwei oder drei Jahre jünger als er, also um die sechsundzwanzig Jahre. Sie hat rote Haare und trägt ein recht modernes Reisekostüm.
»Mein Name ist Carpenter«, sagt er, »Ben Carpenter. Und ich würde gerne wissen, mit wem ich es zu tun habe und wohin ich diese Fuhre bringen soll. Es gibt nämlich mehr als eine Richtung, in die wir fahren können. Na?«
Sie alle starren ihn prüfend an.
Sie schweigen immer noch.
Dann sagt der blonde und in schon schäbig gewordener Eleganz gekleidete Mann, den Ben Carpenter für einen Kartenhai hält, ruhig: »Für mich kommt nur eine einzige Richtung in Betracht, Ladys und Gentlemen: Norden. Ich stimme für Norden.«
Er macht eine kleine Pause. Dann lächelt er gewinnend. Aber so nett sein Lächeln auch wirkt – in seinen Augen ist es nicht. Dort bleibt es kühl.
Er macht eine elegante Bewegung und spricht weiter: »Vielleicht sollten auch wir Ihnen unsere Namen nennen, Mister Carpenter, nachdem Sie sich uns vorstellten. Ich bin Orson Latimer. Ich wurde in Elkhorn unbeliebt, weil ich mit des Teufels Gebetbuch meinen Unterhalt verdiente und einigen Honoratioren ein paar Dollars abnehmen konnte. Die Ehegefährtinnen dieser Honoratioren sind in Elkhorn eine starke Macht. Sie waren von Anfang an gegen mich – und natürlich auch gegen meine so reizend anzusehende Nachbarin, Miss Lily Rondell.«
Er deutet mit einer eleganten Bewegung auf die rothaarige und grünäugige Frau neben sich, die Ben Carpenter von Anfang an für eine Saloonsängerin und Kartenausteilerin hielt.
Aber Orson Latimer ist mit seinem Vorstellen noch nicht fertig.
»Tja, wen haben wir denn da noch? Aaah, da ist ja unser unvergleichlicher Prediger und Reverend Mister Joseph Clumfield mit seiner lieblichen Nichte Barbra Clumfield. Welch ein Mann! Welch ein Fels in der Brandung dieser schlechten Welt! Aber leider hat er in Elkhorn das große Pech, nicht zu der richtigen Kirche zu gehören, nicht zu der rechten Seitenlinie. Es durfte nicht sein, dass in Elkhorn jemand die Bibel anders auslegte. He, dann haben wir noch den guten Säufer Tate Tatum, den ewig um einen Drink bettelnden Sünder, der im Saloon manchmal lebende Mäuse verschlucken musste, damit die Spender des Feuerwassers etwas zum Lachen bekamen. Und dann haben wir Little Ben Washington, das große Kind mit der Kraft eines Büffels. Er schaute des Nachts durch ein Fenster in die Küche von Mrs Perrit und sah diese ehrenwerte Dame nackt in einemWaschfass baden. Da erschrak die Lady so sehr, dass sie um Hilfe brüllte. Und weil Little Ben dachte, es wäre noch jemand bei ihr im Zimmer, vor dem sie sich fürchtete, brach er das ganze Fenster ein und stieg in ihre Küche. Nun kreischte sie noch lauter. Es kamen Männer gelaufen, aber keiner wollte glauben, dass Little Ben Mrs Perrit nur zu Hilfe kommen wollte. Sie hielten ihn für gemeingefährlich, und deshalb gaben sie ihn uns mit. Das sind wir also alle, Mister Carpenter.«
Als er verstummt, schweigen sie alle. Doch dann sagt Little Ben Washington mit ruhiger Stimme: »Ich wollte ihr bestimmt nichts tun. Ich hielt ihr nur den Mund zu, weil sie so kreischte und die schlafenden Kinder im Nebenhaus weckte.«
»Sicher«, sagt Ben Carpenter. »Ich kann mich erinnern. Ich habe sie sogar im Mietstall kreischen hören. Das war vorgestern, nicht wahr? Ja, die kreischte die ganze Stadt zusammen.«
Danach ist es wieder still.
Der kalte Wind streicht leise durch die Hügel – und alle sehen sie auf Ben Carpenter und warten.
»Wohin würden Sie denn gehen wollen?«, fragt plötzlich Lily Rondell.
Er sieht in ihren geraden Blick hinein.
»Nach Norden«, sagt er. »In die Black Hills. Genauer gesagt, Leute, ins Goldland. In eines dieser Goldgräbercamps, aus denen inzwischen vielleicht schon richtige Städte wurden. Aber …«
»Das wäre mir recht«, sagt Lily Rondell ruhig und fest.
Und der Spieler nickt dazu und sagt: »Jetzt sind wir schon drei, die nach Norden wollen. Wer will noch mit?«
»Wir auch«, spricht da der Prediger Clumfield würdig. »Es gibt überall Sünder zu bekehren.«
☆☆☆
Ben Carpenter hat während seines rauen Lebens oft schon Trecks geführt, Wagentrecks und auch Rinderherden, und oft waren sie dabei ein verlorener Haufen ohne viele Chancen.
Er selbst ist noch krank und schwach – und die sechs Menschen hinter ihm sind kaum in der Lage, sich in einem rauen Land ohne seine Hilfe zu behaupten, zumal jeden Tag das Wetter umschlagen kann und sie mitten im Schnee irgendwo festsitzen könnten.
Er spürt gegen die Menschen in Elkhorn, die Stadt, die diese Menschen ausgestoßen hat, bitterste Verachtung. Manchmal will eine kalte Wut in ihm aufsteigen.
Für fünfzig Dollar Scout-Lohn haben ihm die Leute in Elkhorn eine schwere Verantwortung aufgebürdet.
Immer wieder verspürt Ben Carpenter die Versuchung, nach Elkhorn zurückzukehren und es den Bürgern dort zu zeigen, sich damit zu wehren gegen das Ausgestoßenwerden aus der menschlichen Gemeinschaft einer Stadt in den Hügeln.
Aber mit jeder Meile, die sie sich entfernen, lässt die wilde Versuchung nach.
☆☆☆
Als sie am nächsten Morgen ihr erstes Camp abbrechen und wieder aufbrechen, sind sie halb erfroren, wortkarg und dennoch hoffnungsvoll.
Sie haben warmen Kaffee und Pfannkuchen im Bauch – und das Wetter ist immer noch trocken, wenn auch kalt.
Ben Carpenter, der am Feuer hockt und den heißen Kaffee schlürft, sieht zu Orson Latimer hin.
Er fragt sich, warum ein Bursche wie Orson Latimer sich den Winter über in einer abgelegenen Stadt wie Elkhorn verkriechen wollte.
Bei Lily Rondell kann er das verstehen, denn gerade in Städten, in denen eine Frau wie sie ein Ereignis von besonderer Art ist, das die Männer anlockt wie Honig die Bären, macht sie sicherlich die besten Gewinne am Spieltisch. Hier konnte sie den Spießern die Köpfe verdrehen und den Verstand betäuben.
Aber dieser Orson Latimer hätte sich in jeder wilden Stadt, in der alle tausend Sünden begangen werden und der Dollar nur so rollt, sehr viel besser gestanden als in Elkhorn. Orson Latimer passt in eine wilde Goldgräberstadt, wo man sich in den Spielhallen um jeden freien Platz rauft. Aber er wollte in Elkhorn bleiben.
»He, was gefiel Ihnen in Elkhorn so sehr, dass Sie dort bleiben wollten?« Ben Carpenter fragt es geradezu.
Der Spieler sieht ihn schief an und schüttelt schließlich den Kopf.
»Wen geht das was an?«, fragt er mürrisch.
»Mich«, erwidert Carpenter. »Ich versuche mir ein Bild von jedem von euch zu machen. Denn es könnte einmal wichtig sein für uns alle, dass ich jeden richtig einschätze. Also, jetzt ist die Stunde der Wahrheit. Ich will eine ehrliche Antwort, Mann.«
Der Spieler aber schüttelt den Kopf.
»Mir gefiel es eben«, murmelt er. »Ich wollte mal ausruhen. Meine Nerven waren ziemlich am Ende. Ich brauchte mal eine Erholungspause. Deshalb wollte ich bis zum Frühjahr in Elkhorn bleiben und ein ruhiges Leben führen.«
»Er lügt«, meldet sich da Tate Tatum. »Er hat eine Flasche Schnaps in der Innentasche seines Mantels und gibt mir nichts. Aber was kann man von einem Burschen wie ihm, der so lügen kann, schon erwarten?«
Orson Latimer wirbelt mit einem Fluch herum, macht drei lange Schritte und packt Tate Tatum am Hals. Er ist ein kräftiger Mann, der den Trunkenbold wie ein Bündel Lumpen schüttelt.
Ben Carpenter erhebt sich nicht einmal. Er ergreift nur ein Stück von dem Feuerholz, das sie vorhin zusammengesucht haben. Es hat die Größe und Form eines Bumerangs. Er wirft es mit einer kräftigen Bewegung dem Spieler genau zwischen die Schulterblätter.
Orson Latimer muss Tatum loslassen. Er taumelt, und es bleibt ihm einen Moment die Luft weg. Dann wendet er sich Carpenter zu.
»Sie nehmen sich verdammt viel heraus«, keucht er. »Und Sie glauben wohl, dass Sie hier gewissermaßen …«
»Aaah, halten Sie den Mund«, unterbricht ihn Carpenter. Er wendet sich an Tate Tatum, der jetzt an der Wagenwand lehnt und sich den Hals betastet.
»Der-der hätte mi-mich fast erwürgt«, keucht Tatum schließlich. »Der hä-hätte mich fast umgebracht, dieser Kartenhai.«
»Warum lügt er, Tate? Warum sagtest du, dass er lügen würde auf meine Frage?«
»Aaah, der kam mit derselben Postkutsche nach Elkhorn wie die Witwe Juleman, die in Omaha ihre Tochter besucht hatte. Die Witwe Juleman aber ist eine reiche Frau. Ihr Mann – Abe Juleman – war damals der große Geldgeber des Trecks. Die Stadt wurde mit seinem Geld gebaut. Er gab es allen als Kredit. Sie zahlen es jetzt seiner Witwe nach und nach zurück. Und dieser Spieler dachte sich, dass er der Witwe Juleman vielleicht gefiele. Sie müssen eine sehr schöne Fahrt von Omaha her gehabt haben. Er rechnete sich eine Chance aus. Ich weiß das, denn ich lag ja immer überall herum. Ich weiß eine Menge über die Leute in Elkhorn. Ich hörte oft zu, wenn sie sich in ihren Häusern unterhielten – oder stritten. Und ich hörte auch die süßen Worte, die dieser Kartenhai zur Witwe Juleman sprach, wenn er sie besuchte.«
Tate Tatum macht nun eine Pause. Er massiert immer noch seinen Hals und starrt den Spieler dabei böse und fast tückisch an.
Und dann beendet er seine Geschichte mit den Worten: »Als die Leute in Elkhorn begriffen, dass ein windiger Kartenhai sich die Witwe Juleman angeln wollte und sie ihre Schulden dann vielleicht an ihn zu zahlen hätten, war er dort fällig. Und sie schickten ihn fort wie mich. Was unterscheidet ihn eigentlich von einem Säufer? Er wollte eine reiche Witwe – und ich will Schnaps. Was ist ehrlicher und ehrenwerter?« Er verstummt mit einem bösen Kichern.
Orson Latimer aber starrt in die Runde.
»Was geht es euch an, warum ich in Elkhorn blieb? Was geht es euch an? Jeder sorgt so gut für sich, wie er kann. Seid ihr denn so großartig, dass ihr mich jetzt anstarren könnt, als wäre ich ein Kalb mit zwei Köpfen?«
Er wendet sich ab und geht auf dem Wagenweg weiter, will offensichtlich dem Wagen vorausgehen, um mal eine Weile allein zu sein.
Niemand sagt etwas.
Sie brechen auch bald wieder auf, um vor der Dunkelheit noch ein Stück des Weges zu schaffen. Orson Latimer steigt dann schweigend wieder zu ihnen in den Wagen.
Der Wind weht ihnen immer noch kalt entgegen.
Als es Abend wird, müssen sie wieder im Freien übernachten. Doch sie finden ein schützendes Wäldchen und haben deshalb auch reichlich Feuerholz. Ein schmaler Creek durchfließt das Waldstück. Als sie ihre Pferde tränken, beginnt die Oberfläche des Creeks – dort, wo das Wasser steht – zu frieren.
Ben Carpenter kümmert sich lange um sein altes, müdes Pferd. Er massiert ihm die Muskeln. Als er merkt, dass er nicht mehr allein ist bei den Tieren im Seilcorral neben dem Wagen, wendet er schnell den Kopf.
Zuerst glaubt er in der Dunkelheit, Lily Rondell wäre gekommen, doch dann erkennt er Barbra Clumfield, die Nichte des eigenwilligen Predigers.
Sie tritt schweigend zu ihm. Nun, da sie ihm sehr nahe ist und er sich ihr zuwendet, kann er ihr Gesicht einigermaßen deutlich erkennen. Der Wagen hält den Feuerschein ab.
»Na, was ist denn?«, fragt er, und er spürt irgendwie, dass sie zögert und Hemmungen zu haben scheint, etwas zu sagen.
Sie schweigt immer noch. Dann aber tritt sie noch dichter an ihn heran, legt ihre Hände gegen seine Brust und stellt sich auf die Zehenspitzen. Sie hält sich an seinen Jackenaufschlägen fest.
Und dann küsst sie ihn.
Es ist ein scheuer Mädchenkuss. Er steht still und staunend da und fragt sich, ob er dies träumt – ob dies wieder einer seiner vielen Fieberträume sein könnte, die er noch vor nicht sehr langer Zeit erlebte, als er schwer angeschossen im Hotel von Elkhorn lag.
Aber es ist kein Traum. Es ist Wirklichkeit. Barbra Clumfield steht vor ihm auf den Zehenspitzen, hält sich an ihm fest, presst sich an ihn und küsst ihn nun noch einmal, diesmal nicht so mädchenhaft scheu, sondern irgendwie entschlossener und zielbewusster.
Es zündet bei ihm jedoch nicht. Sie ist ein sehr reizvolles, vitales Mädchen. Jeder Mann an seiner Stelle hätte zugegriffen.
Doch er steht ruhig, fast so wie ein Baum, der solch einen Kuss durch seine harte Rinde gar nicht spürt.
Er fragt, nachdem sie sich von ihm gelöst hat und einen Schritt zurückgetreten ist: »Und warum, Barbra – warum?«
Sie hebt die Hand, so als ob er sie geschlagen hätte, und sie wischt sich heftig über den Mund. Dann will sie sich abwenden und gehen.
Aber er macht einen Schritt und streckt seinen langen Arm aus, ergreift sie am Ärmel ihres Mantels.
»Warum, Barbra? Gib mir eine ehrliche Antwort. Du bist ein reizvolles Geschöpf, und du kannst gewiss fast jeden Mann verrückt machen. Doch dies ist nicht dein Stil. Deshalb will ich wissen, warum du mich geküsst hast. Gib mir Antwort!«
Nun zittert sie. Er spürt es deutlich.
Er hebt die Hand und streicht ihr über Kopf und Wange.
»Sag es mir, Barbra«, murmelt er. »Ich muss alles über euch wissen, alles über jeden von euch. Wie sollen wir durchkommen, wenn ich euch nicht genau kenne und nichts von euren Schwächen oder Stärken weiß, euren Motiven und Problemen. Also, Barbra!«
Nun zittert sie nicht mehr. Es ist, als hätte seine streichelnde Hand sie beruhigen können.
»Mein Onkel sagte mir, dass ich nett zu Ihnen sein müsste«, murmelt sie. »Er befürchtet, dass Sie bald genug hätten von uns, und riet mir …«
Nun kann sie nicht weiter. Aber er weiß nun, was sie sagen wollte. Er erspart ihr, aussprechen zu müssen, dass sie sich ihm auf Geheiß ihres Onkels an den Hals werfen sollte.
»Schon gut, Barbra«, sagt er. »Ich weiß jetzt Bescheid. Dein Onkel ist gewiss bauernschlau und gerissen, aber er ist dennoch ein Narr, denke ich. Sag mir, was euch nach Elkhorn führte. Dass ihr in dieser Stadt am falschen Ort wart, ist mir schon klar. Dein Onkel predigte dort die falsche Religion. Aber was führte euch in die abgelegene Stadt? Ehrlich, Barbra! Wir sind alle Sünder. Auch ich. Aber ich will jeden richtig einschätzen können. Also erzähl mir alles.«
Er lässt sie los, sodass sie sich abwenden und fortgehen könnte.
Doch sie tut es nicht.
Sie bleibt bei ihm und schweigt einige Atemzüge lang.
»Ach«, murmelt sie dann, »wir sind ein ziemlich mieses Paar, und er ist gar nicht mein richtiger Onkel. Ich bin nur ein Requisit für ihn, das seine Redlichkeit gewissermaßen unterstreichen soll. Er ist ein kleiner Gauner, der in fast jeder kleinen Stadt haltmacht, in der es noch keinen Prediger und keine Kirche gibt. Zuerst predigt er in einer Scheune. Und dann macht er den Leuten eine kleine und bescheidene Kirche mit einem Glockenturm schmackhaft. Er veranstaltet ein großes Fest mit Tanz, Tombola und – ein Wohltätigkeitsfest für die Kirche. Er sammelt überall Geld, und jeder gibt, jeder. Und dann …« Jetzt versagt ihr abermals die Stimme.
»… dann findet ihr einen Vorwand, um eine wichtige Reise zu unternehmen, zum Beispiel, um eine Glocke zu kaufen oder einen Kirchenbaumeister aufzusuchen?«
Er fragt es trocken.
Sie nickt.
»Und dann kommt ihr mit dem anvertrauten Geld nicht wieder?«
Wieder nickt sie.
»Und warum bist du da noch bei ihm, Barbra?«
Bei dieser Frage fasst er sie an den Schultern. Sie sieht zu ihm auf. Der Feuerschein jenseits des Wagens ist nun so hell, dass auch hier auf der hinteren Stelle alles gut erkennbar wurde.
Ihr Blick ist ernst. Und auch ihr Gesicht wirkt ernst und entschlossen.
»Mein Leben gehört ihm«, sagt sie. »Ich sollte verbrannt werden, ja, verbrannt mitsamt der Hütte, in der ich mit meinen Eltern lebte. Wir hatten Typhus bekommen. Meine Eltern waren daran gestorben. Der ganze Ort fürchtete sich davor, dass sich die Seuche von uns auf alle anderen Menschen ausbreiten würde. Da rotteten sie sich zusammen und wollten mich mit dem Haus verbrennen. Er aber kam und begann zu predigen. Dann blieb er bei mir, bis ich gesund wurde. Er ist zwar ein Lügner und Betrüger, doch zugleich ein furchtloser und mutiger Mann. Ich habe ihn gern wie einen wirklichen Onkel. Er kann sich stets auf mich verlassen. Habe ich Ihnen nun genug erzählt von uns, Mister?« In ihrer Stimme ist etwas Bitterkeit.
Er sieht auf sie nieder.
»Barbra«, sagt er, »ihr könnt euch auf mich verlassen. Ich lasse euch nicht in der Patsche sitzen. Und wenn du mich noch einmal küssen wolltest, dann nur, wenn du es selbst von ganzem Herzen tun möchtest. Dann wird dein Kuss ein ganz besonderes Geschenk für mich sein.«
Er gibt sie frei.
Sie sieht stumm zu ihm auf, wendet sich dann ab. Aber dann blickt sie noch einmal über die Schulter auf ihn zurück.
»Danke, Ben.«
»Für was?«
»Für deine Worte – für deine Haltung – für alles. Ich glaube, dass du zum Salz der Erde gehörst.«
Nach diesen Worten verschwindet sie um den Wagen herum.
Er aber wendet sich wieder seinem Pferd zu. Und er denkt: Wenn wir am Ziel sind, wird jeder von uns eine Menge Abenteuer zu erzählen haben – jeder, der dann noch am Leben ist.
☆☆☆
Als sie bei Tag aufbrechen, ist die braune Grasnarbe mit weißem Reif bedeckt. Alle Tümpel und Creekpfützen sind zugefroren.
Ben Carpenter reitet langsam am Creek entlang. Das Espenlaub raschelt unter den Hufen seines Pferdes.
Als er weit genug geritten zu sein glaubt, hält er an und lässt das Pferd zurück. Er nimmt das Gewehr aus dem Sattelschuh und gleitet zu Fuß weiter. Nun verursacht er nicht mehr das geringste Geräusch.
Der Wald hier am Creek ist auch von Fichten und Kiefern durchsetzt, die in dem sandigen Boden offenbar gut gedeihen.
Carpenter findet überall reichlich Deckung.
Als er an eine freie Stelle kommt, sieht er, dass dort ein Wildwechsel zum Creek führt und im Creek auch eine Furt ist. Es gibt hier keine Steilufer. Man könnte an dieser Stelle auch mit einem Wagen durch den Creek fahren.
Eine Weile wartet er, kaum eine halbe Stunde. Es ist still. Er hält sich in guter Deckung und lauscht auf die Laute der Natur. Er erinnert sich daran, wie oft er schon als Knabe mit dem Vater jagte – damals in Texas im Pecos-Land.
Er hebt nun langsam in guter Deckung das Gewehr, als er ein Antilopen-Rudel kommen sieht. Es verhält am Creek, durchfurtet ihn dann schnell.
Und dann feuert er aus etwa hundertfünfzig Yards auf einen Bock, der sofort wie vom Blitz getroffen fällt. Das Rudel aber springt wie wild davon.
Das Gewehr ist sehr zielgenau, dies weiß er nun. Er lädt nach und geht hinüber, um den Bock zu holen. Nun werden sie für einige Tage reichlich Fleisch haben und ihre anderen Vorräte sparen können.
Aber noch bevor er den erlegten Bock erreicht, hält er jäh an und starrt auf die Fährte eines Reiters.
Ja, es ist eine frische Fährte. Die Mittagssonne hat den harten Boden etwas auftauen und weich werden lassen. Die Fährte ist kaum älter als eine Stunde. Das Pferd aber ist unbeschlagen.
Indianer?
Nun, dies ist nicht sicher. Renegaten und Geächtete, die sich in verborgenen Camps versteckt halten, reiten oftmals Pferde ohne Eisen. Denn sie haben kaum Gelegenheit, sie beschlagen zu lassen oder es selber zu tun.
Er verharrt einen Moment und blickt in die Richtung, in die die Fährte verläuft, und dann über den Creek hinweg in die Richtung, aus der sie kommt.
Wahrscheinlich auch jemand, der auf der Jagd ist nach Fleisch, denkt er und geht zurück zu seinem Pferd.
Als er damit bei der Antilope ankommt, sind dort schon ein paar Wölfe, die nur ungern zurückweichen. Doch es ist noch kein harter Winter. Die Wölfe sind noch nicht bereit, mit einem Mann um eine Beute zu kämpfen. Sie schlagen sich wieder in die Büsche.
Er lädt das erledigte Wild hinter dem Sattel über das Pferd und bindet es fest. Als er aufgesessen ist, überlegt er. Soll er der Fährte noch ein Stück folgen oder zum Camp zurückreiten?
Er entscheidet sich für Letzteres. Doch er prägt sich die Hufspuren des fremden Pferdes genau ein. Er würde sie wiedererkennen können unter Dutzenden.
Schon aus einiger Entfernung riecht er den Rauch des Feuers, und er weiß, dass die Fährte des fremden Reiters so verlief, dass vielleicht auch er – wenn er eine feine Nase hat – den Feuerrauch wittern konnte.
Aber noch spürt er keine Unruhe – noch nicht. Was soll schon ein einziger Reiter für ein Camp voller Menschen für eine Gefahr darstellen?
Dies etwa denkt er und bleibt ganz ruhig.
Aber als er dann das Camp erreicht, fliegt sein Blick in die Runde. Er zählt die Anwesenden ganz im Unterbewusstsein – aber dann zählt er sie sofort noch einmal bewusster.
Alle sind am Feuer versammelt, essen und trinken.
Nur eine Person fehlt.
Barbra!
»Wo ist Barbra?«, fragt er noch vom Sattel aus, und er stellt sich sogar in den Steigbügeln auf und blickt in die Runde.
»Ach, die ging nur mal in den Wald«, sagt Joseph Clumfield kauend. Er hält noch einen zusammengerollten Pfannkuchen in der einen und eine gefüllte Blechtasse in der anderen Hand. »Ich habe unseren Proviant genau eingeteilt«, spricht er weiter. »Wenn wir so sparsam essen wie heute, dann reicht er neun Tage. Aber ich sehe, dass wir jetzt auch reichlich Fleisch haben und …«
Er verstummt, weil er nun endlich erkennt, dass Carpenter gar nicht auf seine Worte achtet.
Carpenter fragt: »Wie lange ist sie schon im Wald?«
Sie alle schweigen, sehen ihn an und denken nach.
»Oh, schon ziemlich lange«, sagt dann Lily Rondell. Sie erhebt sich plötzlich von der Wagendeichsel. »Sie ging dort hinüber«, spricht sie. »Ich sehe nach ihr.«
Mit diesen Worten läuft sie auch schon los. Dabei ruft sie: »Barbra! Hoiii, Barbra, gib Antwort! Wir vermissen dich, Barbra! Wo bist du?«
Aber es kommt keine Antwort.
Und so wirft Ben Carpenter nur das Wildbret vom Pferd und folgt Lily im Sattel. Er lässt dabei seinen Blick über die Gesichter der Zurückbleibenden gleiten. Es ist ein bitterer und verächtlicher Blick.
Indes er Lily Rondell folgt, denkt er an die Fährte, die er an der Creekfurt sah. Seine Unruhe wird ziemlich stark, doch er bleibt äußerlich ganz ruhig.
Lily Rondell ruft noch mehrmals, aber sie bekommt keine Antwort von Barbra. Sie ist nun schon ziemlich tief in den Wald gelaufen. Es ist ein lichter Wald mit Espen, an denen nur noch wenige Blätter hängen, aber auch durchsetzt mit Tannen und Fichten, Buschzeug und Gestrüpp.
Er überholt Lily Rondell zu Pferd und erreicht den Platz, bis zu dem Barbra kam und wo sie haltmachte. Auch hier hat die Mittagssonne den Boden wieder weich werden lassen. Er kann deshalb die Fußspuren genau erkennen.
Außer Barbras Spur gibt es noch eine andere.
Es ist keine Mokassin-Fährte, sondern die eines ziemlich abgetragenen Stiefels.
An den Fußspuren ist unschwer zu erkennen, dass Barbra mit dem Mann gekämpft hat. Wahrscheinlich packte er sie von hinten und hielt ihr den Mund zu. Aber sie wehrte sich. Dies ist am Boden deutlich zu erkennen. Ihre Absätze zogen Furchen. Vielleicht trat sie dem Kerl auch gegen die Schienbeine. Denn auch er tanzte herum.
Aber dann schwindet ihre Fährte.
Er hat sie also überwältigt. Wahrscheinlich wurde sie bewusstlos. Er warf sie sich über die Schulter und trug sie fort.
Carpenter, der abgesessen ist, wendet sich seinem Pferd wieder zu. Er sieht Lily Rondell, die ihm gefolgt ist und zugesehen hat, wie er die Spuren studierte.
»Geh zurück«, sagt er zu ihr. »Barbra wurde geraubt. Wahrscheinlich handelt es sich um einen zweibeinigen Wolf, der verborgen in den Hügeln lebt und den Winter über was in seinem Bett haben will. Diese Burschen bekommen beim Anblick einer Frau manchmal einen Koller und sind wie von Sinnen. Ich werde sie zurückholen.«
Sie nickt langsam.
»Und wenn er dich tötet?«, fragt sie. »Dann sitzen wir hier in der Wildnis und kommen um.«
Er nickt. »Wahrscheinlich, wenn ihr nicht umkehrt und nach Süden zieht, immer nur nach Süden, bis ihr auf den Schienenstrang der Union Pacific stoßt. Aber ich kann Barbra doch wohl nicht dem Kerl überlassen – oder?«
Sie zögert mit der Antwort. Schließlich schüttelt sie den Kopf.
»Nein, das kannst du nicht. Und auch ich war vorher mal im Wald. Auch ich hätte geraubt werden können wie Barbra. Dann würde auch ich auf deine Hilfe hoffen, wie jetzt bestimmt Barbra darauf hofft. Viel Glück, Ben. Wir werden bis morgen auf dich warten. Dann werde ich meinen Einfluss einsetzen, damit wir umkehren und nach Süden ziehen – obwohl einige von uns dort gewiss von den Behörden gesucht werden.«
»Auch du?«
»Auch ich. Ich habe in Dodge City einen Mann ziemlich schwer angeschossen mit einem kleinen Derringer. Seine Freunde bezeugen, dass ich nicht den geringsten Grund gehabt hätte, sondern nur nicht beim Falschspiel erwischt werden wollte. Ich werde im Süden als Red Lily steckbrieflich gesucht. Ich kann nicht zurück. Deshalb hoffe ich, dass du zurückkommst, Ben!«
Sie tritt zu ihm, und sie stellt sich auf die Zehenspitzen, legt ihre Arme um seinen Hals und küsst ihn.
Selbst durch die dicke Winterkleidung kann er die geschmeidige Weiblichkeit ihres Körpers spüren. Und ihr Kuss lässt ihn erkennen, dass sie eine Frau ist, die in der Liebe alles geben kann – einfach alles.
»Ich brauche deine Hilfe«, sagt sie dann und atmet etwas rascher. »Und ich will dir dankbar dafür sein. Komm wieder, Ben Carpenter.«
Sie drängt sich noch einmal an ihn.
Aber er hält sie von sich. Und bevor sie zornig werden kann über seine Zurückweisung, sagt er: »Pass auf, Lily. Ich hatte eine kleine Ranch in den Hügeln. Und ich ließ dort meine junge Frau einen halben Tag allein. Banditen kamen. Sie war ihnen schutzlos ausgeliefert. Ich stellte die Bande in Elkhorn und tötete sie Mann für Mann. Danach lag ich selbst böse verletzt herum – zuerst im Hotel – und später, als ich kein Geld mehr hatte, im Mietstall. Lily, ich muss immer noch an meine arme Frau denken. Ich hab kein Interesse an anderen Frauen, auch nicht an dir. Verstehst du?«
Ihr zornig gewordenes Gesicht wird nun sanft.
»Ja«, sagt sie, »das verstehe ich gut.«
Und dann wendet sie sich ab und geht davon.
Aber er sitzt auf und folgt der Fährte. Sie führt ihn bis zu einem Platz, auf dem ein Pferd angebunden war. Die Hufspuren kennt er. Es war also jener Reiter, dessen Fährte er schon bei der Creekfurt sah.
Er verharrt nun eine Weile und denkt nach. Dies hat er schon als kleiner Junge von seinem Vater gelernt. Auf einer Fährte muss man nachdenken. Niemals darf man blindlings einer Spur folgen – und sei diese auch noch so deutlich und klar.
Ben Carpenter versucht sich vorzustellen, was der Bursche tun wird, der sich vom Rand eines Camps eine Frau raubte.
Es muss sich um einen gefährlichen Burschen handeln, um einen Wilden sozusagen, den die Einsamkeit ohne Frauen verrückt machte – um einen verwegenen Burschen, der kein Risiko scheut.
Er sah eine Frau, wollte sie haben und raubte sie.
Nun aber wird er mit einer Verfolgung rechnen und seine Fährte verwirren. Es hat wenig Sinn, dieser Fährte zu folgen. Denn er wird wieder durch die Furt am Creek wollen – oder gar müssen, weil sein Umweg sonst zu groß wäre.
Ben Carpenter entscheidet sich also. Er folgt nicht der Fährte, sondern reitet geradewegs dorthin zurück, wo er die Antilope schoss und die Spur des Reiters aus der Furt führen sah.
Es sind drei bis vier Meilen Weg, und er beeilt sich sehr und mutet seinem müden Pferd eine Menge zu.
Doch als er dann den Ort erreicht, da muss er erkennen, dass er dem Frauenräuber den Rückweg nicht mehr verlegen kann. Obwohl der Bursche einen Umweg machte und gewiss einige Zeit verlor, seine eigene Fährte zu verwischen, ist er schon wieder durch die Furt geritten und irgendwo auf der anderen Seite des Creeks.
Carpenter erkennt das an den Spuren. Nur sind diesmal die Hufabdrücke noch deutlicher, weit tiefer. Barbra wiegt mit der Kleidung gewiss mehr als hundertzehn Pfund. Also müssen die Hufabdrücke tiefer sein.
Er reitet hinüber und hält seinen Revolver bereit. Denn er muss damit rechnen, dass der Bursche seine Fährte beobachtet.
Aber es kracht kein Schuss, kommt keine Kugel.
Carpenter ist sicher, dass er nur wenige Minuten hinter dem Frauenräuber ist.
Doch sein altes Pferd ist ohnehin schon müde. Wenn die Verfolgung über viele Meilen geht, wird er gewiss weiter zurückfallen.
☆☆☆
Als Barbra wieder zur Besinnung kommt, wird ihr das Schreckliche ihrer Lage sofort wieder bewusst.
Es ist ein verborgener Pfad durch wilde Hügel, tiefe Schluchten aus Sandgestein und durch Espen- und Fichtenwälder.
Dann reiten sie plötzlich in einen kleinen Kessel zwischen wilden Hügeln und vor eine Hütte, die halb in den Hügelhang hineingebaut wurde und ein Dach aus Grasboden hat.
Der Mann hinter ihr stößt einen wilden Schrei aus – voller Freude und so wie ein großer Sieger.
Zwei andere Männer schieben sich aus der Tür, die aus gespaltenen Birkenstämmen besteht.
Im Corral neben dem Haus sind ein paar Pferde. Es gibt auch einen Stall und eine Scheune, ebenfalls in den Hang hineingebaut.
Diese drei Männer hier sind ganz offensichtlich auf einen harten und langen Winter eingerichtet.
Und die beiden, die aus der Hütte traten, starren Barbra wie ein Weltwunder an – sprachlos und ungläubig.
»Na, Jungs?«, fragt der Entführer lachend und lässt Barbra zu Boden gleiten. Sie will zuerst fortlaufen. Doch dann begreift sie, dass dies völlig nutzlos wäre.
So sieht sie sich die Männer endlich an.
Sie sind von gleicher Sorte. Sie ähneln sich so sehr, dass es sich nur um Brüder handeln kann.
»Seht euch dieses Wonnepüppchen an, Jungs«, sagt ihr Entführer. »Ist das nicht das richtige Weihnachtsgeschenk für uns? Ein Mädel in unserer Mitte! Sie wird bald vor Freude jubeln, weil gleich drei stattliche Burschen sie glücklich machen werden. Denn obwohl ich sie hergebracht habe, will ich sie mit euch teilen, weil ihr meine Brüder seid und wir bisher alles auf dieser Erde teilten. Nicht wahr? Alles!«
Er lacht vor wilder Freude und kommt sich wahrscheinlich als großer Wohltäter vor.
Die beiden anderen Männer treten näher – grinsend vor Freude, ganz und gar wie große, wilde Jungs, die sich ihres Tuns gar nicht so richtig klar sind, weil sie keine Maßstäbe besitzen und nur nach ihren Wünschen leben.
Barbra begreift, dass sie Wilden in die Hände gefallen ist. Und so, wie diese drei Ungetüme ein Wild töten, um ihren Hunger nach Fleisch zu stillen, so werden sie sich eine Frau nehmen, um ihren Paarungstrieb zu befriedigen.
Denn irgendwie sind sie jetzt wie brünstige Hirsche.
Als Barbra das erkennt und begreift, möchte sie zu schreien beginnen. Aber etwas drückt ihr die Kehle zu.
Und sie denkt nur immer: Sie werden über mich herfallen. Ich kann nichts gegen sie ausrichten. Ich bin verloren – verloren – verloren …
Und der Boden schwankt unter ihren Füßen. Die Welt beginnt sich um sie zu drehen. Sie möchte sich einfach zu Boden fallen lassen und sterben.
Doch dann tritt ihr Entführer zu ihr, greift sie und trägt sie halb.
Sie beginnt sich zu wehren – verzweifelt, wie sie es schon einmal tat, als er sie dicht beim Camp im Wald ergriff.
Diesmal hält er ihr nicht den Mund und die Nase zu.
Diesmal kann sie schreien. Sie schreit wild und verzweifelt. Aber es nützt ihr nichts. Der Kerl trägt sie in die Hütte hinein, und seine beiden Brüder bleiben draußen. Sie lachen, biegen sich dabei und patschen sich auf ihre Oberschenkel, tanzen herum wie betrunkene Bären. Ja, sie sind Ungetüme, Wilde, Steinzeitmenschen.
In der Hütte ist es ziemlich dunkel, denn die beiden schießschartenähnlichen Fenster sind winzig. Das Fensterglas besteht aus Flaschen, die man in Lehm stellte. Man kann durch diese Flaschenfenster also nicht mal hindurchsehen.
Das Feuer in der Ecke verbreitet etwas Helligkeit. Und der bärenhafte Bursche sagt drinnen zu Barbra: »Na, Honey, zieh dich aus. Es ist warm genug hier, und es wird uns gleich noch wärmer werden. Also zieh dich aus, wenn nicht alles gleich in Fetzen gehen soll. Denn ich bin ein wilder Büffelwolf, ein sehr, sehr hungriger und wilder Büffelwolf.«
Er lacht wieder röhrend und entledigt sich schon seiner Kleidung.
Als er sieht, dass Barbra bis in die hinterste Ecke der Hütte zurückweicht, hält er inne. Einen Moment verharrt er schnaufend und starrt zu ihr hinüber.
»Das wäre aber dumm, Täubchen«, murmelt er dann, »sehr dumm. Sieh, wir wollen doch nur ein wenig Liebe. Wir sind sonst gar nicht so übel. Es ist so verdammt einsam hier einen langen Winter in diesen Hügeln. Und wir sehen immer nur unsere eigenen Gesichter. Du bist schön, so schön. Du bist das schönste Mädchen, das ich jemals sah auf dieser Erde. Du bist schöner als diese Indianerinnen, von denen wir manchmal welche hier haben. Also zieh dich aus! Vorwärts! Ich will dich sehen, wie du bist! Zeig es mir! Zeig mir alles! Ich bin verrückt danach!«
Er ist plötzlich wie betrunken, wie von Sinnen.
Inzwischen hat er seinen Oberkörper freigemacht. Es ist ein gewaltiger Oberkörper, bepackt mit Muskeln und behaart wie ein Affenkörper.
Von draußen tönen die Stimmen seiner Brüder – aber weder er noch Barbra achten auf die Worte.
Er nähert sich Barbra, die sich in der Ecke immer winziger macht und zusammenkauert. Aber sie weiß, dass er sie gleich an den Haaren packen wird.
Sie möchte ohnmächtig werden, doch diese Gnade wird ihr nicht zuteil.
Plötzlich denkt sie an Ben Carpenter – jäh und scharf. Es ist, als wäre sie eine Ertrinkende, die sich an einen Strohhalm klammert – so klammert sie sich an den Namen Ben Carpenter.
Und draußen vor der Hütte brüllen die Stimmen der Männer plötzlich anders. Es klingt drohend, böse, wütend.
Jäh krachen Schüsse, schnelle, scharfe Coltschüsse.
Der bärenhafte Bursche, der schon seine Hand nach ihr ausstreckte, um sie an den Haaren hochzuziehen, hält inne. Dann flucht er böse, wirbelt herum und läuft hinaus. Dabei brüllt er: »Franky! Billy! Ich komme! Ich komme! Was ist da draußen los?«
Barbra hört nochmals einen Schuss, dann einen stöhnenden Fluch – und sie begreift, dass der Bursche in eine Kugel gerannt sein muss, als er brüllend aus der Hütte stürzte.
Sie wagt noch nicht zu hoffen, sie verharrt atemlos.
Doch sie denkt an Ben Carpenter – ja, nur noch an ihn.
Als sie seine Stimme nach ihr rufen hört, wagt sie es kaum zu glauben. Sie muss mühsam schlucken, und sie presst sich beide Hände gegen die Schläfen.
Endlich kann sie antworten.
»Komm heraus, Barbra«, ruft er ruhig. »Sie können dir nichts mehr tun. Komm ohne Furcht heraus. Niemand kann dir noch etwas tun – niemand! Wir reiten zurück, Barbra. Komm nur!«
Sie setzt sich in Bewegung.
In der offenen Tür verhält sie.
Einer der drei Brüder liegt auf dem Gesicht – ein zweiter kniet am Boden und hält sich Hände und Unterarme vor den Leib.
Der Dritte, der aus der Hütte lief, nachdem er von Barbra abließ, schwankte inzwischen bis zur Hüttenwand zurück und lehnt neben der Tür. Er steht zwar noch, aber auch er ist schwer angeschossen. Er presst beide Hände auf die Wunde, die so heftig blutet, dass das Blut an seiner Hose hinabläuft.
Aber er starrt auf Carpenter, wobei er mit den Zähnen knirscht und manchmal ein Knurren hören lässt, so als wäre er wahrhaftig ein Büffelwolf.
Carpenter winkt Barbra zu. »Komm nur, Barbra – komm nur. Wenn er sich bewegt, jage ich ihm eine Kugel in den Schädel. Komm nur.«
Sie läuft nun wie gehetzt aus der Tür und bis zu ihm hin.
Er legt seinen freien Arm um sie. Sein Colt droht immer noch. Da es sehr windstill ist, hängt der Geruch von Pulverrauch immer noch in der Luft.
»Ich sollte euch totschießen«, sagt Carpenter. »Denn für das, was ihr getan habt, würde man euch in jeder Stadt nach Recht und Gesetz aufhängen.«
»Dann schieß doch, wenn’s dir Spaß macht«, knurrt der Kerl an der Hüttenwand. Er wendet etwas den Kopf, sieht auf seine Brüder und blickt dann auf Barbra.
»Da haben wir aber teuer bezahlt für einen Spaß, den wir noch gar nicht hatten«, sagt er heiser. »Du bist gut, Revolvermann – sehr gut. Dich habe ich unterschätzt. Als ich euch beobachtete, hielt ich euch für eine sehr armselige Truppe und dich für einen müden Kranken. Teuer bezahlt, diesen Irrtum. Na, wir haben verloren. Und wenn ich mir nicht bald das Loch zustopfen kann, verblute ich.«
»Sicher«, sagt Ben Carpenter.
Und Barbra, die er immer noch im Arm hält, fordert er auf: »Geh zu meinem Pferd. Sitz auf. Aber du musst vorher die Steigbügel kürzer schnallen. Nimm dir Zeit. Du brauchst nicht mehr die geringste Furcht zu haben.«
Sie gehorcht, als er sie freigibt.
Er wendet sich wieder an den blutenden Mann an der Hüttenwand.
»Ich nehme dein Pferd und auch die anderen Tiere aus dem Corral. Denn sonst würdet ihr uns vielleicht in einigen Tagen schon wieder folgen.«
»Sicher«, sagt der Bursche, »das hätten wir gewiss getan. Warum hast du uns nicht totgeschossen, Revolvermann?«
Aber Carpenter gibt ihm keine Antwort. Er geht zu dem Pferd, auf dem der Kerl mit Barbra hergeritten kam. Es ist noch nicht abgesattelt. Er sitzt auf, reitet zum Corral hinüber, öffnet vom Sattel aus das Gatter und treibt die anderen Tiere hinaus.
Der Mann an der Hüttenwand verschwindet gerade in der Hütte. Er kommt mit einem Gewehr wieder heraus – zwar immer noch blutend, doch nicht mehr darauf achtend. Er beginnt zu schießen.
Doch die Wunde behindert ihn wohl doch sehr. Seine Kugel trifft nicht. Die Entfernung ist auch schon zu groß.
Barbra, Carpenter und die Pferde verschwinden hinter Bäumen und Buschzeug.
☆☆☆
Sie reiten ein langes Stück schweigend.
Barbra rinnen die Tränen über die Wangen. Sie weint lautlos. Einige Male sieht es so aus, als würde sie vom Pferd fallen.
Doch allmählich überwindet sie die Schwäche. Sie bekommt sich wieder unter Kontrolle. Er sieht es daran, dass sie den Kopf hebt und sich im Sattel strafft. Sie reitet das Pferd jetzt bewusster, sitzt nicht nur darauf.
Dann wendet sie den Kopf und sieht ihn an.
Er treibt die vier anderen Pferde. Im Stall waren keine weiteren Tiere. Er kann sicher sein, dass ihm keiner der Brüdern folgt. Ja, er hält jeden von ihnen für hart genug, ihm auch in angeschossenem Zustand zu folgen. Denn sie sind Wilde, die man nicht mit normalen Maßstäben messen kann. Er hat sie zwar mit 44er Kugeln aufgehalten, aber sie kommen gewiss wieder schnell auf die Beine.
Carpenter erwidert Barbras Blick.
»Na, geht’s wieder?«, fragt er.
Sie sieht ihn immer noch schweigend an.
»Auf dich«, sagt sie dann, »könnte sich eine Frau auch mitten in der Hölle verlassen. Ben, ich würde alles für dich tun – einfach alles.«
Er grinst etwas verlegen.
»Ach«, sagt er. »Mach nur keine große Geschichte daraus. Weißt du, es war einfach Glück, dass ich die Fährte nicht verlor. Und als ich dann die Hütte sah und überlegte, wie ich unbemerkt näher herankommen könnte, da fingst du drinnen zum Glück an zu schreien. Das lenkte die Kerle ab. Als sie sich umsahen und nach den Waffen griffen, war ich schon nahe genug. Zum Glück kam auch der andere heraus wie ein wilder Eber. Na, es ging alles gut ab. Du brauchst keine besondere Sache draus zu machen.«
Sein anfangs verlegenes Grinsen ist nun fort. Sein hageres Gesicht zuckt, und in seinen Augen erkennt sie ein hartes Leuchten.
»Weißt du«, murmelt er, »ich hatte mal eine junge Frau. Wir lebten einsam in den Hügeln. Sie war dir ähnlich. Als Banditen kamen, war ich nicht zur Stelle. Ich fand sie tot. Und ich stellte die Kerle in Elkhorn. Ich bin sehr froh, dass ich diesmal nicht zu spät gekommen bin – und ich wundere mich über mich selbst, dass ich die drei Kerle da hinter uns nicht totgeschossen habe. Ich wundere mich. Denn vor wenigen Tagen noch hätte ich sie getötet. Aber irgendwie hat sich etwas verändert in mir. Seitdem man mich für fünfzig Dollar aus Elkhorn fortschickte, wurde etwas anders.«
»Das kann ich verstehen«, erwidert Barbra. »Das liegt vielleicht daran, dass du erkennen konntest, wie böse manchmal die Guten sind.«
Sie reiten weiter und treiben die Pferde vor sich her.
Hinter ihnen zieht langsam die Nacht heran, denn die Tage sind kurz. Sie werden unterwegs übernachten müssen. Der Weg zurück zu den anderen Gefährten ist zu weit.
Sie finden am Abend eine Höhle in einem Sandsteinhügel, in der sogar auch alle Pferde Platz finden und die Höhle bald schon aufzuwärmen beginnen wie einen Stall.
Aber sie haben auch ein Feuer und reichlich Holz. Da sie nun ihre beiden Satteldecken zur Verfügung haben, sagt Barbra ruhig: »Ich komme zu dir unter deine Decke, wenn du dich zu mir auf meine legst.«
Er sieht sie im Feuerschein an.
Und sie erwidert seinen Blick ruhig.
Dabei sagt sie: »Ich weiß jetzt, dass du deine Frau noch nicht vergessen konntest. Wahrscheinlich wirst du sie nie vergessen können. Das ist richtig so. Aber ich will mit dir unter einer Decke liegen, weil du ein Mann bist, der zum Salz der Erde gehört. Du bist ein Mann, dem ich vertraue und für den ich alles tun würde. Also lass mich unter deiner Decke liegen wie eine Schwester oder ein Weib, für das du der Größte bist. Bitte! Ich suche Geborgenheit. Ich will mich an dich schmiegen können, wenn draußen die Nacht ist und die Wölfe auf den Hügeln heulen. Ich will mich nicht fürchten und auch nicht frieren. Bitte!«
Er nickt.
☆☆☆
Als sie erwachen, ist es Tag. Das Feuer ist erloschen, und die Pferde verhalten sich ruhig wie in einem Stall. Es ist noch recht warm in der Höhle, zumal er den Eingang mit einem Wall von Buschzeug schützte.
Barbra liegt in seinem Arm.
Sie sieht ihn an, küsst ihn dann zart.
»Ich wollte deine Frau nicht aus deinem Herzen drängen«, flüstert sie dann. »Ich würde das niemals wollen. Doch ich wollte dir beweisen, dass das Leben weiter und weiter geht und du ein Mann bist, der ein Recht auf Wärme hat, auf Zärtlichkeit und all jene Dinge, die einem Mann die Einsamkeit nehmen. Und du bist einsam, nicht wahr?«
Er betrachtet sie aus nächster Nähe. Ihr Atem geht ineinander über.
»Diese Nacht war ich nicht einsam«, murmelt er. »Du bist gut, Barbra, und auch du brauchtest Zärtlichkeit, Wärme …«
»Und das Gefühl der Geborgenheit«, spricht sie weiter. »Ja, das brauchte ich nach meinem Abenteuer. Ben, ich bin tief in deiner Schuld.«
Er streicht ihr mit der Fingerspitze über die Rundung ihrer Wange bis zum Kinn.
Dann wirft er die Decke zurück und erhebt sich.
»Draußen liegt Schnee«, sagt er. »Ich kann ihn riechen.«
Da springt auch sie empor und hilft ihm, die Büsche wegzuräumen.
Der Schnee draußen liegt etwa eine Handbreit hoch. Überall ragen noch die Grasbüschel heraus.
Aber der Himmel sieht so aus, als würde bald noch mehr Schnee fallen.
Barbra und Ben haben Hunger.
Doch er hat nur ein Stück Rauchfleisch in der Satteltasche, das sie noch kauen, als sie hinausreiten und die Pferde vor sich her treiben.
☆☆☆
Am späten Vormittag erreichen sie das Camp, und ihre Ankunft wird freudig begrüßt. Vorher hockten die Zurückgebliebenen im Camp alle trübsinnig am Feuer und unter der Plane, die man vom Wagen aus zu einem Baum gespannt hat.
Nur Orson Latimer passte auf. Er sah sie auch rechtzeitig kommen.
Sie tanzen fast vor Freude, benehmen sich ganz so, als wären sie alle eine große Familie. Sogar Tate Tatum vergisst seine eigene Not, die für einen Trinker wie ihn, der nun plötzlich nichts mehr zu trinken hat, wirklich groß ist. Auch Tate Tatum freut sich laut.
Dann sehen sie alle zu, wie Barbra und Carpenter sich an einem späten Frühstück stärken. Zwischendurch müssen sie kauend und schluckend erzählen.
Und wie abschließend sagt Joseph Clumfield in seiner stets salbungsvoll klingenden Art: »Der Herr führt uns in tausend Abenteuer hinein und auch wieder hinaus. Der Herr ist mit jedem Menschen, der nur an ihn glaubt. Wir müssen den Herrn preisen, weil er euch zu uns zurückkehren ließ. Denn was hätten wir ohne Ben Carpenter angefangen – was?«
Ben Carpenter grinst. »Das weiß ich nicht«, sagt er. »Doch ich weiß, was wir jetzt tun werden.« Er nickt Little Ben zu.
»Spann an, Ben«, sagt er. »Nimm nur die besten Pferde für den Wagen. Pferde haben wir jetzt genug. Und dann machen wir uns auf die Socken. Von nun an geht es schneller mit uns. Zu etwas war also unser Ausflug nützlich. Wir haben gute Pferde.«
Sie alle geraten nun in Bewegung. Es ist offensichtlich für sie eine Erlösung, endlich wieder in Tätigkeit geraten zu können. Der Schneefall jagte ihnen Furcht ein.
Sie legen an diesem Tag noch fünfzehn Meilen zurück, denn die Pferde sind wirklich bestens.
Orson Latimer und Joseph Clumfield reiten jetzt ebenfalls. Dadurch ist im Wagen mehr Platz, und er ist auch leichter.
Sie kommen rasch vorwärts – aber sie haben ständig Furcht, dass der Schneefall wieder einsetzen und tagelang anhalten könnte.
Doch der Schneefall setzt an diesem Tag nicht mehr ein – und auch in der Nacht und den darauf folgenden zwei Tagen und Nächten nicht. Dafür wird es kälter. Sie kommen jedoch gut vorwärts und erleben keinerlei Verdruss oder unerfreuliche Abenteuer. Es ist, als meinte es das Schicksal plötzlich gut mit ihnen und wollte sie für alles, was sie in den vergangenen Tagen erleben mussten, entschädigen.
Der November, den die Indianer »Monat der fallenden Blätter« nennen, geht in den Dezember über, den »Monat der kahlen Bäume«, und endlich erreichen sie den Niobrara River, der um diese Jahreszeit kaum Wasser führt. Sie durchfurten ihn binnen weniger Minuten und ziehen weiter, immer weiter.
Sie sind ein eingespieltes Team geworden. Seit jenen Tagen, da Carpenter Barbra zurückholte und sie im Camp auf seine und Barbras Rückkehr warteten, hat sich zwischen ihnen eine Menge verändert.
Ein Rudel Ausgestoßener wurde zu einer Mannschaft.
An einem der folgenden Tage stoßen sie südwestlich vom Pine Ridge auf den White River, und sie wissen, dass sie nun dem Goldland schon sehr nahe gekommen sind.
Wege und Pfade durchziehen das Land. Einmal rasten sie in einer kleinen Siedlung und kaufen sich dort für teures Geld etwas Proviant.
Dann ziehen sie weiter.
Ihr Ziel ist Deadwood in den Black Hills, das zurzeit die größte Goldgräberstadt sein soll, kaum mehr als ein wildes Camp zwar, doch ein Platz, wo an die zehntausend Goldgräber leben sollen.
Zehntausend Goldgräber auf wenigen Quadratmeilen. Das können sie sich kaum vorstellen in diesem Land, in dem sie tagelang keinen Menschen und nicht einmal Menschenspuren im Schnee sahen.
Die Indianer hocken schon längst alle in ihren Winterdörfern.
An einem dieser letzten Tage, da sie sich schon fast am Ziel wähnen, bricht der Schneesturm los. Er kommt schnell und fast ohne Warnung.
Die Black Hills sind plötzlich nicht mehr zu sehen – und die bisher recht kalte Temperatur steigt etwas an.
Dann aber fällt es nieder mit lautloser Macht, denn der anfängliche Sturm legt sich bald schon. Die Flocken sind groß und fallen dicht. Man kann bald keine zwanzig Schritte mehr weit sehen, und man hört kaum noch Geräusche. Alles ist wie in dichte Watte gepackt. Plötzlich ist es auch schwer, sich die Himmelsrichtungen vorstellen zu können. Nicht einmal auf der eigenen Fährte kann man zurücksehen. Es gibt keine Anhaltspunkte. Man befindet sich in einem dichten Flockenwirbel, der alles einhüllt, zu ersticken versucht.
Ben Carpenter und dessen Gefährten wird schnell klar, dass sie verloren sind, wenn sie nicht bald einen geschützten Platz finden. Denn der Schnee wird in Kürze so hoch liegen, dass sie nicht mehr weiterkönnen.
Sie brauchen Wald, zumindest ein Waldstück, das ihnen Holz für ein Feuer und Äste mit Nadelzweigen für eine Schutzhütte bietet. Aber es müsste schon ein Wunder geschehen, wenn sie das jetzt finden könnten.
Der Schnee wird immer tiefer. Er bedeckt auch die Menschen, die Tiere und den Wagen, droht alles Leben zu ersticken.
All die Tage haben sie sich vor diesem Schnee gefürchtet und es dennoch gewagt, nach Norden zu ziehen. Sie haben auf ihr Glück gesetzt, dass sie das Goldland und die großen Goldgräbercamps noch erreichen würden.
Jetzt aber wird ihnen klar, dass sie verloren haben.
Wenn der Schneefall so anhält, werden sie in einer Stunde nicht mehr weiterkönnen. Selbst wenn sie sich dann im Wagen unter die Plane hocken, sind sie ohne ein ständiges Feuer bald verloren.
Ben Carpenter flucht nicht einmal, denn ein Fluchen erscheint ihm sinnlos. Was sie jetzt erleben, ist Schicksal.
Sie können nur noch eins tun, nämlich: Gegenankämpfen bis zum letzten Atemzug, sich nicht aufgeben, solange sie sich noch bewegen können.
Und so überlegt er, was zu tun ist. Er reitet langsam, sodass der Wagen und die beiden Reiter dichtauf bleiben und sie sich nicht im dichten Fall der großen Flocken verlieren wie im dichten Nebel.
Nach einiger Zeit jedoch ist er sich schon nicht mehr sicher, ob er die anfängliche Richtung immer noch einhält. Von den Radfurchen und Hufspuren, die bisher den Wagenweg ins Goldland kennzeichneten, ist nichts mehr zu erkennen. Der Schnee reicht den Pferden fast bis zu den Knien. Der Wagen fährt schon recht schwer. Zum Glück ist es leichter und trockener Pulverschnee. Würde er nass und schwer sein, käme der Wagen gewiss nicht mehr vorwärts.
Er wird uns bald über den Bauch reichen, denkt Carpenter und bekämpft eine aufsteigende Panik.
Ja, sogar ein Mann wie er verspürt ein Gefühl von Panik. Doch diese gilt nicht ihm, sondern den Menschen, die sich von ihm führen lassen und sich gewissermaßen seinem Schutz anvertraut haben.
Es war Wahnsinn, zu dieser Jahreszeit noch nach Norden zu ziehen. Er hätte es wissen müssen. Dieses Glücksspiel war nicht zu gewinnen.
Doch was soll er tun?
Das Pferd, auf dem er sitzt, hat einem der Brüder gehört, aus deren Gewalt er Barbra befreite. Es ist ein starkes, zähes und erfahrenes Tier, das gewiss von seinem Besitzer schon in jeden Winkel dieses Landes geritten wurde.
Ben Carpenter gibt dem Tier die Zügel frei. Er versucht nicht mehr, es zu lenken, sondern wird im Sattel völlig passiv. Er ist sicher, dass sein Verhalten vom Tier instinktiv gespürt wird.
Vielleicht übernimmt es nun die Führung.
Es ist ihre einzige Chance. Nur der Instinkt dieses Tieres kann sie jetzt noch an einen geschützten Ort führen.
Aber wenn es in der Nähe oder in der nächsten halben Stunde so etwas nicht gibt, sind sie am Ende.
Immer wieder streift er den Schnee von sich und seinem Pferd. Und immer mühsamer kommt hinter ihm der Wagen vorwärts. Der Schnee reicht bald bis zu den Radnaben, und der Wagenboden schleift nun durch den Schnee wie ein Schlitten, drückt den Schnee zusammen oder schiebt ihn weg wie ein plumpes Boot das Wasser.
Er hält an und ruft dann Orson Latimer und Joseph Clumfield zu, die ja beritten sind wie er: »Bindet eure Lassos am Ring an der Deichselspitze an, und helft den Wagenpferden mit ziehen!«
Seine Stimme ist ohne Schall und Kraft, obwohl er sehr laut ruft. Der dichte Schneefall dämpft alles. Er wird jedoch verstanden. Clumfield und Latimer gehorchen. Schon nach einer Minute ziehen sie weiter. Nun geht es mit dem Wagen etwas besser.
Carpenter lässt dem grauen Wallach, auf dem er sitzt, wieder alle Freiheit.
☆☆☆
Sie haben längst das Gefühl für Zeit, Raum und Richtung verloren, als sie irgendwann begreifen, dass der Schnee, durch den sie ziehen, nicht mehr ganz so hoch ist wie kurz zuvor. Auch scheinen die Flocken nicht ganz so dicht zu fallen.