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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2356 bis 2358:
2356: Ein Revolver fürdie Rache
Vansitters Killer hatten mir in Golden Camp eine Falle gestellt, um zu verhindern, dass ich meine Nancy aus ihren Klauen befreite. Doch ich kam mit dem Blizzard ...
2357: Seit jenem Tage ...
Morg Shannon musste mit ansehen, wie Ben Campifer seine Braut aus dem reißenden Fluss rettete. Doch statt ihm dankbar zu sein, hasste er ihn seit jenem Tage ...
2358: Ein Mann wie Cassedy
Don Esteban hatte mein Wort, dass ich seine Tochter und den kostbaren Familienschatz in Sicherheit brachte. Und ich würde es halten - bis in die Hölle und zurück ...
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 250 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 462
Veröffentlichungsjahr: 2019
G. F. Unger
Western-Bestseller Sammelband 3
Cover
Impressum
Ein Revolver für die Rache
Vorschau
Ein Revolver für die Rache
Als der Blizzard losbrach, da wusste ich, dass ich verloren hatte. Dieser Blizzard kam etwa zwei Wochen zu früh.
Über den Sunbeam Pass konnte ich meine siebenundfünfzig Rinder nun nicht mehr bringen. Denn der Blizzard kam von Norden. Und ich musste nach Osten hinauf. Aber das machte kein Rind mit. Rinder drehten einem Blizzard stets die Hinterteile zu und wanderten vor ihm her. Meine machten es genauso.
Dann aber schwenkte der erfahrene Leitbulle, der mir den ganzen langen Weg so prächtig geholfen hatte, dennoch nach Osten ein. Ich begriff bald schon, warum.
Wir gelangten in eine enge Schlucht. Hier war es etwas angenehmer. Es gab sogar im Schutz der nördlichen Schluchtwand noch ein paar Gräser und Büsche. Meine siebenundfünfzig Rinder machten sich darüber her, als wüssten sie genau, dass dies ihre letzte Chance war. Denn bald würde auch hier der Schnee mannshoch liegen.
Ich hockte im Sattel, verkroch mich tiefer in die Felljacke und presste meine mit Chaps geschützten Beine eng gegen den Pferdeleib, weil der so schön wärmte. Der Blizzard kam aus dem eisigsten Keller des Powder-River-Landes, in dem nach Meinung der Indianer der Vater aller Blizzards wohnen sollte, der »Waniyetula«. Nun, mir war es gleich, wie der alte Bursche hieß. Ich wusste nur, dass ich erfrieren würde, wenn es mir nicht gelang, in den nächsten zwei Stunden über den Pass zu kommen.
Und so machte ich mich auf den Weg …
Ich konnte mich nicht verirren, solange der Blizzard meine linke Seite traf.
Der Schnee wurde aber immer härter. Bald war er mit Hagel vermischt. Manche Hagelstücke waren so groß wie Taubeneier. Sie prügelten mich erbarmungslos. Auch mein armes Pferd hatte zu leiden.
Die Eisstücke waren wie Steine.
Also, um es kurz zu machen, wir mussten Schutz und Wärme finden, mein braves Pferd und ich. Sonst waren wir bald verloren.
Aber was sollte ich tun?
Vielleicht fand ich eine Höhle.
Aber ich fand keine. Dafür fand ich etwas, was ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet hätte.
Ein Haus war da. Ich wunderte mich zuerst, warum mein Pferd plötzlich hielt. Dann wunderte ich mich, weil der Blizzard nicht mehr ganz so schlimm tobte.
Aber dann sah ich dicht vor der Nase meines Pferdes die Blockhauswand.
Nun, ich fand den Stall. Er schloss sich gleich an das Blockhaus an. Es war Platz in ihm für ein halbes Dutzend Pferde – doch es waren nur zwei in ihm eingestellt worden.
Ich versorgte mein Pferd, und dabei kam meine Durchblutung wieder in Gang.
Als ich fertig war mit meinem Red, fühlte ich mich wieder einigermaßen wohl.
Bevor ich hinüber zum Haus ging, sah ich noch einmal nach meinem Colt. Und auch den kleinen Derringer im Stiefelschaft überprüfte ich noch einmal ganz genau. Meine ledernen Chaps hatte ich ausgezogen.
Und dann ging ich also noch einmal hinaus in den brüllenden und orgelnden Blizzard, schloss sorgfältig das Stalltor und erreichte nach einem Dutzend Schritten das Blockhaus.
Ich klopfte nicht, denn das hätte man nicht gehört.
Ich trat ein mit Schnee- und Eishagel. Der Blizzard orgelte wieder einmal besonders laut.
Mit dem Rücken drückte ich die Tür zu und lehnte mich dagegen.
Es waren drei Menschen im Raum, zwei Männer und eine Frau.
Die Frau stand am Herd. Die Männer saßen am Tisch – das heißt, sie hatten dort gesessen. Denn bei meinem Eintritt sprangen sie hoch, wichen etwas auseinander und griffen nach ihren Revolvern.
Ich wusste sofort Bescheid, zu welcher Sorte sie gehörten.
Sie starrten mich an. Ich wusste, dass sie mich zu erkennen hofften und dies nicht konnten, weil Schnee und Eis mich tarnten.
Ich hatte Zeit, mir die Handschuhe abzustreifen. Ich nahm sie in die Rechte, denn meinen Colt trug ich links.
Dann sah ich an den beiden Männern vorbei auf die Frau.
Sie war ein paar Jahre jünger als ich, doch sie war schon eine Frau. Nur auf den ersten Blick konnte man sie für ein Mädchen halten.
Ich sagte zu der schönen Frau: »Ma’am, verzeihen Sie mir, dass ich hier so eindringe. Aber wer täte das nicht an meiner Stelle? Welcher Mensch bliebe draußen im Blizzard?«
»Ich nicht«, sagte sie. »Mir sind Sie willkommen.«
Sie betonte das »Mir« ganz besonders, und auch in ihren Augen erkannte ich genug.
Und so wandte ich mich wieder den beiden Männern zu, die ich für zweibeinige Wölfe hielt, zumindest für Hartgesottene.
Einer sagte auch schon: »Wer bist du? Woher kommst du? Antworte, wenn du schon so plötzlich hereinkommst!«
»Ach«, sagte ich, »ich bin nur Mike Brannan, und ich wollte mit einer kleinen Fleischherde für die Goldgräber über den Pass. Dann kam der Blizzard, und ich fand dieses Obdach. Der Ma’am bin ich willkommen. Also seid auch ihr nett zu mir, Freunde.«
Ich gab meiner Stimme einen versöhnlichen und freundlichen Klang, so gut ich das konnte. Meine Hände waren nun warm genug – und auch sonst hatte ich jetzt alles überwunden. Ein Eisenofen strahlte eine Menge Hitze aus.
»Wer seid ihr denn, Freunde?« Dies fragte ich dann scheinbar sorglos und gemütlich. Aber in Wirklichkeit war ich so wachsam wie ein Wüstenwolf, der sich zum Abendbrot eine Klapperschlange aussuchte, weil nichts anderes sonst zu bekommen war.
Sie zeigten mir ihre Zähne. Doch es war keine Freundlichkeit in diesem Zähnezeigen. Man konnte es beim besten Willen nicht für ein Lächeln halten.
Sie tauschten einen kurzen Blick aus. Es war von diesem Moment an ein Einverständnis zwischen ihnen.
Ich spürte instinktiv, dass sie mich töten wollten.
Dieses instinktive Wissen war plötzlich in mir, und es war stark und scharf. Es gab keinen Irrtum.
Ich war hier in eine Sache hineingerannt, bei der es keine Zeugen geben durfte. So etwa musste es sein.
Ich sah schnell zu der rothaarigen Frau hinüber.
Sie stand noch immer am Herd, und sie hatte Furcht, aber sie behielt sie unter Kontrolle.
»Es sind Banditen«, sagte sie. »Ihre Kumpane stahlen meine Rinder und trieben sie über den Pass. Ich wurde hier von diesen beiden Strolchen bewacht. Bis jetzt waren sie zu feige, eine Frau zu töten. Sie schoben es immer wieder auf. Aber jetzt, Fremder …«
Ich konnte nicht länger zuhören.
Denn aus den Augenwinkeln sah ich ihr Zucken.
Ich konnte nicht länger warten. Sie hatten ja schon bei meinem Eintreten die Hände an den Revolvern gehabt, waren bereit zum Ziehen.
Und nun zogen sie.
Das Zucken ihrer Schultern verriet es mir, noch bevor sich ihre Arme bewegten.
Sie waren schnell, unheimlich schnell.
Und ich war etwas langsamer als sonst. Wahrscheinlich war ich von der Kälte des Blizzards doch noch nicht völlig aufgetaut. Aber ich schoss den links vor mir stehenden Buddy von den Beinen, bevor er auf mich abdrücken konnte.
Dann aber bekam ich es von dem anderen, indes ich auf ihn meinen zweiten Schuss abfeuerte. Wir gaben es uns im selben Sekundenbruchteil.
Doch dann war die Sache beendet.
Ich hatte auch den zweiten Gegner voll getroffen, und er fiel, während ich immer noch stand, wartete, den Pulverrauch in Nase und Augen bekam und die ersten Schmerzen in meiner Seite spürte. Dort war seine Kugel bei mir angekommen.
Die Wunde konnte mich jedoch gewiss nicht umbringen, dies erkannte ich schon bald nach dem ersten Schock.
Vor mir lagen die beiden mir noch fremden Männer.
Ich wusste, dass sie tot waren.
Ich sagte nach einer Weile heiser: »Ma’am, waren es wirklich Banditen?«
Sie nickte. »Es waren Mörder. Sie und ihre Kumpane haben meinen Mann und unsere beiden Reiter erschossen, um die Herde bekommen zu können. Das war eine miese Bande, die vor dem Winter noch schnelles Geld machen wollte. Und wir hier waren ihnen gerade recht. Sie hätten gewiss auch mich getötet, um keine Zeugen zu hinterlassen. Sie haben mir das Leben gerettet, Mister Brannan.«
Ich staunte. Sie hatte sogar meinen Namen behalten, den ich nur einmal genannt hatte.
Dann murmelte ich: »Die beiden Toten schaffe ich gleich hinaus, Ma’am. Aber sie müssen erst mal nach meiner Wunde sehen. Ich möchte nicht zu viel Blut verlieren.«
Sie warf einen Blick auf die beiden Toten. Einer hatte den Tisch umgerissen. Sie schluckte würgend und deutete auf eine Tür.
»Dort in die Schlafkammer«, sagte sie. »Legen Sie sich aufs Bett. Ich fülle nur eine Schüssel mit heißem Wasser und suche Verbandszeug zusammen. Dort hinein, Mike Brannan.«
Ich ging, hielt mir die schmerzende Seite.
Aber dann verhielt ich noch einmal: »Wie ist Ihr Name, Ma’am?«
»Nancy Shayne«, sagte sie. »Mein Mann war Buck Shayne.«
»Gun Shayne?« So fragte ich staunend.
Sie nickte. »Ja, er war jener Shayne, den sie einst Gun Shayne nannten«, murmelte sie dann. »Doch auch Ihr Name, Mike Brannan, ist nicht unbekannt. Ich glaube sogar, dass Sie einst mit meinem Mann geritten sind – früher, als er noch nicht mein Mann war. Er nannte einmal Ihren Namen. Deshalb merkte ich ihn mir vorhin so leicht. Und als ich Sie ziehen sah, da wusste ich, dass Sie der Revolvermann Mike Brannan sind.«
Ich sagte nichts mehr.
Die Kugel hatte zwei Fingerbreit über dem Hosengürtel ein Stück Fleisch weggerissen.
Ich hatte Glück gehabt.
Sie versorgte meine Wunde mit kundigen Fingern.
Das Pflaster, welches meine Wunde nun zusammenhielt, ersetzte ein Nähen.
Ich zog meine Jacke wieder an, setzte meinen Hut auf und machte mich daran, die Toten hinauszuschaffen.
Und da kam sie, um mir zu helfen.
Auch sie war nun in einen Mantel gehüllt und trug Stiefel unter den Röcken.
Sie sagte schlicht: »Wenn Sie sich zu sehr anstrengen, hält das Pflaster nicht auf der Wunde. Ich muss Ihnen helfen, Mike. Hinter dem Haus ist eine tiefe Felsspalte in der Canyonwand. Dorthin …«
Später saßen wir zusammen am Tisch. Sie hatte das Abendessen für sich und die beiden Männer gekocht.
Nun aßen wir es zu zweit.
Der eiserne Kanonenofen und auch der Herd gaben zwar eine Menge Wärme ab, doch ich fragte mich, ob überhaupt genug Holz draußen vorhanden war.
»Dies hier sollte unsere Ranch werden«, sprach Nancy. »Wir hatten eine Herde von Kansas heraufgebracht. Etwas mehr als tausend Rinder. Als wir hier ankamen, war es noch Sommer. Buck und unsere beiden Cowboys bauten dies alles hier. Und kurz vor Anbruch des Winters wollten wir die Rinder an die Goldgräber jenseits des Passes verkaufen. Buck wusste, dass die Fleischpreise dann den höchsten Stand hatten. Mit dem Geld hätten wir uns neu ausgerüstet und vom Frühjahr an die Ranch richtig ausbauen können. Aber dann kamen Ray Millard und seine Horde. Sieben Mann stark.«
»Ray Millard«, sagte ich gedehnt. »Red Ray Millard?«
Sie nickte.
Und da seufzte ich. Denn auch diesen Vogel kannte ich, weil ich viel herumgekommen war mit meinem Revolver.
Ich hatte also zwei von Ray Millards Leuten getötet.
Wenn er das erfuhr, würde er mit dem Rest seiner Bande hinter mir her sein, sobald sich das irgendwie machen ließ. Ich musste mich nun vorsehen vor dieser Bande.
Aber sie brauchten es ja nicht zu erfahren, dass ich es war, der hier eingegriffen hatte. Sollte ich Nancy darum bitten, meinen Namen nicht zu nennen?
Ich sah sie an.
Und sie erkannte wohl etwas in meinem Blick – oder sie spürte es mit dem feinen Instinkt einer erfahrenen Frau.
Sie sagte: »Natürlich verrate ich Ihren Namen nicht, Mike. Mir ist klar, was Sie sich aufladen würden. Und dennoch möchte ich Ihnen einen Vorschlag machen.«
Ich legte die Gabel auf den Teller, trank einen Schluck Kaffee und sah sie an.
Denn ich ahnte es schon.
»Die Bande hat die Herde noch vor dem Blizzard über den Pass ins Goldland gebracht«, sagte sie. »Es herrschte schon vor dem Winter Fleischknappheit dort. Die werden ihre Rinder Pfund für Pfund zu hohen Preisen verkaufen. Mehr als hundert Dollar für jedes Tier sind gewiss möglich. Das macht zumindest hunderttausend Dollar. Aber ich bin die rechtmäßige Besitzerin. Das Recht stünde auf Ihrer Seite, Mike, wenn Sie Ray Millard das Geld wieder abnehmen würden. Die Hälfte für Sie, Mike Brannan.«
Oha, sie war kalt wie der Blizzard dort draußen.
Sie wollte einen Revolver für die Rache kaufen – meinen.
So war es also.
Ich hatte schon oft für Geld gekämpft, manchmal nur für wenige Dollars. Aber selten war die Rechtlichkeit so ohne Zweifel wie diesmal.
Dennoch zögerte ich.
Wir aßen weiter.
Ich legte mich dann ins Bett. Meine Wunde brauchte Ruhe.
Ich träumte nicht gut.
Ich wurde einige Male wach, schlief wieder ein, träumte von Nancy, die tatsächlich neben mir lag.
Als ich erwachte, war es warm.
Ich war aufgewacht nach einem langen Schlaf. Der Blizzard war vorbei.
Und Nancy Shayne war bei mir im Bett.
Wir waren vom Schicksal zu einem Paar gemacht worden.
Ich hob die Hand und fuhr mit der Spitze meines Zeigefingers an Nancys Wange nieder, am Kinnwinkel entlang und legte dann meine Hand von der Seite her gegen ihren Hals. Ich konnte den Puls in ihren Adern schlagen fühlen.
Aber sie sah mich fest an.
»Mein Revolver für deine Rache«, murmelte ich. »Und was dann?«
Sie sah geradewegs in meine Augen hinein.
»Ein neuer Anfang«, sagte sie. »Ich habe schon mehrmals neu angefangen. Auch mit Buck war es ein neuer Anfang. Was ist falsch daran, neu anzufangen, wenn etwas unwiederbringlich zu Ende ging? Vielleicht werde ich dich eines Tages lieben, Mike Brannan – vielleicht auch nicht. Wie kann ich das jetzt schon wissen? Du musst es riskieren. Oder?«
Ich nickte. »Ja, das muss ich riskieren«, murmelte ich. »Aber wenn ich losreite, willst du dann hier warten – allein?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich würde hier einen langen Winter nicht aushalten – nicht allein«, sagte sie. »Überdies würden die Vorräte nicht reichen. Auch könnten die Indianer kommen. Nein, ich bleibe nicht. Ich komme mit dir bis in die nächste Goldgräberstadt.«
Am nächsten Tag ritten wir, und es war nicht viel, was Nancy auf dem zweiten Pferd, welches als Packtier diente, mitnehmen konnte.
Bevor wir abritten, sah sie mich an.
»Wenn du möchtest, Mike«, sagte sie, »können wir eines Tages nach hier zurückkommen. Wir könnten weitermachen und es miteinander versuchen.«
Sie meinte es wahrhaftig ehrlich in diesem Moment. Das sah ich in ihren Augen. Dieser Canyon, der hinauf zum Sunbeam Pass führte, war für sie so etwas wie »Heiliger Boden« geworden.
Ich nickte.
Dann ritten wir los.
☆☆☆
Wir brauchten zwei Tage und eine Nacht bis Golden Camp. Als die zweite Nacht anbrach, sahen wir die Lichter der Goldgräber- und Minenstadt.
»Wir werden uns hier trennen«, sagte Nancy an meiner Seite und streckte die Hand aus, um mir das Leitseil des Packpferdes abzunehmen.
»Ja, wir müssen uns hier trennen«, sagte auch ich. »Denn wenn mich Ray Millards Leute bei dir sehen, würden sie schnell Bescheid wissen, vor wem sie sich vorsehen müssen.«
Ich sah ihr dann nach, wie sie mit dem Packpferd vor mir in die Stadt ritt. Ich hatte ein merkwürdiges Gefühl dabei.
Erst später sah ich plötzlich Nancy wieder.
Sie hatte ihre Pferde gewiss im Mietstall abgeliefert und ging nun auf dem Gehsteig entlang.
Als zwei Betrunkene sich ihr in den Weg stellten, um sie festzuhalten, da trat sie sofort kräftig zu.
Ich ritt vorbei.
Nancy stand nun vor dem Golden Camp Star.
Sie ging hinein.
Der Anreißer zog den Hut vor ihr. Das war verständlich, denn dieser Bursche war bestimmt nicht blöd. Der konnte jetzt schon erkennen, wer bald die Königin des Golden Camp Stars sein würde.
Ich seufzte und ritt weiter.
Dann fand ich den Mietstall am anderen Ende, brachte mein Pferd hinein und fragte den Stallmann, ob vor einigen Tagen eine Rinderherde hier durchgekommen war.
»Sicher«, sagte er. »Mehr als tausend Rinder mit dem Warbow-Brand kamen hier an. Und etwa siebenhundert wurden weiter in Richtung Bridgemont getrieben. Dreihundert etwa blieben hier – das Stück zu Preisen zwischen hundert und hundertzwanzig Dollar. Wollen Sie auch eins oder mehrere kaufen? Dann müssen Sie sich aber beeilen. Denn die Herde muss jetzt schon in Bridgemont sein, wenn sie jeden Tag zehn Meilen machte.«
Nun wusste ich alles.
Ich konnte noch nicht bleiben. Nicht mal nach Nancy konnte ich sehen. Ich musste die ganze Nacht reiten.
Ich gab dem Stallmann einen halben Dollar für Pferdefutter. Indes mein Pferd fraß, bewegte ich mich etwas, um meine Sattelsteifheit zu vertreiben. Der Stallmann hatte inzwischen wieder mit anderer Kundschaft zu tun.
Als mein Pferd satt war, saß ich auf und ritt weiter.
Erst nach Anbruch der zweiten Nacht erreichte ich Bridgemont.
Ich brachte mein Pferd in den Mietstall und fragte den Stallmann, wo man hier die besten Steaks bekommen könnte.
Der Bursche zeigte mir seine Zahnlücke, so sehr grinste er zwischen den Bartstoppeln.
»Steaks?« So fragte er und verdrehte verzückt seine Augen. »Steaks gibt es jetzt überall hier reichlich. Es kam noch eine Herde her, eine große Herde von Warbow-Rindern. Bis zu hundertfünfzig Dollar brachte ein Rind. Dafür muss man auch die Steaks gut bezahlen. Unter einem Dollar bekommen Sie nirgendwo eins – selbst an den billigen Bratständen nicht. Doch es sind frische Steaks.«
Ich nickte zufrieden, denn nun wusste ich, dass Ray Millard schon verkauft hatte. Und er konnte mit seiner Horde das Geld noch nicht auf den Kopf gehauen haben.
Ich fragte: »Der Herdenboss und die Treibmannschaft, die haben gewiss ein mächtig gutes Geschäft gemacht. Die werden wahrscheinlich eine gewaltige Feier veranstaltet haben, nicht wahr?«
»Noch«, sagte der Stallmann, »immer noch! Die haben Liz Honeymakers Etablissement gemietet. Und bei Liz Honeymaker sind die schönsten Mädchen unter Vertrag.«
☆☆☆
Liz Honeymakers Etablissement stand etwas abseits.
Die Tür war verschlossen.
Als ich klopfte, öffnete ein riesiger Neger.
Er sagte: »Wir haben geschlossen, Mister. Geschlossene Gesellschaft, verstehen Sie?«
»Sicher«, sagte ich. »Und ich gehöre dazu.«
Er sah an mir nieder. Ich trug wieder meine ledernen Chaps. Er musste mich für einen Cowboy halten, der Rinder trieb. Und vielleicht hatte man ihm auch gesagt, dass noch zwei Mann nachkommen würden.
Ich ließ ihm gar keine Zeit mehr, denn ich fragte: »Sind Ray Millard und die Jungs schon schlimm betrunken? Was habe ich alles verpasst? Wird es auch noch Spaß genug für mich geben?«
Nun glaubte er, dass ich zu der Bande gehörte. Er gab mir den Weg frei und schloss hinter mir die Tür.
»Die sind seit dreißig Stunden noch nicht nüchtern gewesen«, sagte er. »Die können gar nicht genug bekommen. Wo ist denn der andere Mann? Es sollten doch noch zwei Nachzügler kommen?«
»Ach, der andere kommt vorerst nicht«, sagte ich.
Er ließ mich eintreten in die große Wohnhalle des Hauses.
Hier war alles nobel eingerichtet.
Zwei Paare tanzten.
Aus den oberen Räumen klang nun Gelächter, und dann kreischte eine betrunkene Frauenstimme.
Die Wohnhalle reichte bis zum oberen Stockwerk.
Es gab auch eine Bar. Hinter ihr stand eine Frau.
Und vor der Bar erkannte ich Ray Millard. Auch er war ziemlich betrunken. Er musste sich an die Bar lehnen. Er trug immer noch seine silbernen Sporen, deren Rädchen so aufeinander abgestimmt waren, sodass sie beim Gehen einen melodischen Klang abgaben.
Ja, es war Ray Millard. Er hatte nagelneues Zeug an. Aber er und seine Horde hatten sich von dem vielen Geld natürlich eingekleidet, waren im Bad und beim Barbier gewesen.
Als ich neben Ray Millard an die Bar trat, sah die Frau mich an. Ich erkannte sofort, dass sie keines der Mädchen war, die hier die Gäste unterhielten.
Ja, es musste Liz Honeymaker sein. Von ihr hatte ich schon gehört. Liz Honeymaker war einst als Sängerin in den Westen gekommen.
Sie sah mich prüfend an. Ihr schwarzes Haar funkelte wie das Gefieder eines Raben. Sie trug es kurz wie ein Page, und sie hatte strahlendblau leuchtende Augen.
Auch Ray Millard wandte sich nach mir um, als sie fragte: »Ist das einer von Ihren Leuten, Ray?«
Er starrte mich an und musste überlegen.
Endlich erkannte er mich: »Hey, Brannan«, grinste er. »Was willst du denn bei uns? Wir haben dieses Etablissement ganz allein für uns gemietet. Mit allem Komfort sozusagen. Nur für mich und meine Jungs – und nicht für irgendwelche Schnorrer. Oder bist du kein Schnorrer?«
Er fragte es grinsend.
Ich musste vorsichtig sein.
»Vielleicht wollte ich meinen alten Sattelgefährten wieder sehen«, sagte ich und schob Liz Honeymaker ein Glas hin, damit sie mir etwas von dem bernsteinfarbenen Whisky einschenkte, dem man schon ansah, dass er gut war.
Millard lachte plötzlich schallend, so als hätte ihm jemand einen guten Witz erzählt. Er hob die Hand und ließ sie auf meine Schulter fallen.
»Ach ja, wir haben ja früher zusammen mal den Rebs für die Union Pferde gestohlen, haha! Was waren das für Zeiten! Heiliger Rauch, danach haben wir auch immer ein Fest gefeiert – ein Jubelfest. So wie jetzt! He, hast du schon gehört, dass ich der Mann bin, welcher die hunderttausend Steaks in die Black Hills brachte? Hunderttausend Steaks und was noch so alles dabei ist. Ich bin ein Wohltäter, ein richtiger Wohltäter! Und ich habe mir alles gut bezahlen lassen. Fast mit Gold wurden meine Steaks aufgewogen, fast mit Gold! Und weißt du alter Junge, wo mein Geld jetzt ist?«
Immer noch grinsend griff er sich in den Hemdausschnitt und holte eine dünne Kette hervor, an der ein doppelbärtiger Schlüssel hing. Schon mit einem Blick konnte ich erkennen, dass dieser Schlüssel mehr als zwei Dutzend Zuhaltungen eines komplizierten Schlosses öffnen konnte, die dann erst eine Verriegelung freigaben, wie man sie bei Geldschränken findet.
Er sagte: »Hier ist der Schlüssel zum großen Glück! Hier ist das Zauberding für Liz Honeymakers Geldschrank. Und das andere Sesam-öffne-dich habe ich hier in meinem schönen Kopf. Die Zahl! He, die schönste Zahl der Welt. Brannan, du kannst hier saufen, so viel du willst – auch essen –, und dir auch ein Mädchen nehmen. Ich lade dich ein! Weil wir mal zusammen Pferde gestohlen haben, hahaha!«
Er lachte wieder schallend.
Dann sah er Liz Honeymaker an.
»Also, gehen wir jetzt zu dir hinauf? Was muss ich tun, damit du mich erhörst?«
Nach dieser Frage lachte er schallend, und zuvor hatte er seiner Stimme einen säuselnden Klang gegeben. Auch seine Rechte legte er dabei auf die Herzgegend.
Liz Honeymaker sah ihn nur an und schüttelte den Kopf.
Da wollte er böse werden. Ich kannte das bei ihm, erinnerte mich wieder daran.
Ich warf einen Blick auf die beiden tanzenden Paare, dann auf die Musikanten, die müde, ausgebrannt und auch betrunken waren und wie in Trance spielten.
Ein weiterer Bursche schnarchte in einem bequemen Sessel.
Ich hielt nun meine Chancen für gut genug. Bessere würde ich nicht bekommen. Zwei von Millards Männern waren noch oben. Vielleicht würden sie auch dann nicht herunterkommen, wenn hier Schüsse krachten.
Ich zog meinen Colt und stieß die Mündung gegen Millards Seite. Weder die Musikanten noch die tanzenden Paare konnten das sehen.
Ich sagte: »Ray, du bist schon so gut wie in der Hölle. Sei nur schön vorsichtig jetzt. Sonst saust du endgültig ab!«
So betrunken er auch war, er begriff dennoch sofort, was los war – und dass ich nicht bluffte.
Auch Liz Honeymaker begriff es. Sie hatte es wahrscheinlich von Anfang an geahnt.
Ray Millards Augen wurden groß und weit, dann kniff er sie zusammen. Er kämpfte gegen seine Trunkenheit an. Sein Instinkt schickte Warnsignale durch seinen Körper, alarmierte alles, was außer Kontrolle geraten war.
Er schwitzte plötzlich aus allen Poren, aber es war kein Angstschweiß, sondern pure Anstrengung. Ja, Ray Millard konnte kämpfen – und war es auch nur ein Kampf mit aller Energie gegen die Trunkenheit im Angesicht einer Gefahr.
Ich ließ ihm Zeit, denn ich wollte nicht, dass er die Gefahr unterschätzte, in der er sich befand. Aber ich nahm mir seinen Revolver, den er im Hosenbund trug, weil er seinen Waffengurt irgendwann abgelegt hatte. Ich schob die Waffe in meinen Hosenbund und wartete immer noch.
Liz Honeymaker sah mich unentwegt an.
»Wenn Sie allein sind«, sagte sie dann, »haben Sie keine Chance.«
»Meine Chancen habe ich mir genau ausgerechnet«, sagte ich. »Und damit wir uns richtig verstehen, schöne Liz: Das Recht ist auf meiner Seite. Als die Herde gestohlen wurde, mussten ihr Besitzer und seine beiden Cowboys dran glauben. Auch die Frau des Besitzers sollte erledigt werden. Nur weil dann der Blizzard losbrach und die beiden zurückgelassenen Kerle nicht mit einer Toten in der Hütte bleiben wollten, ließen sie die Frau am Leben. Dann kam ich zufällig, weil ich Schutz suchte im Blizzard. Verstehen Sie alles, Liz? Dieses Etablissement platzt auseinander, einfach auseinander, wenn diese Bande von Wilden was anfängt.«
Ich wandte mich an Ray Millard.
»Aber du erlebst das nicht mehr. Bist du nun einigermaßen wieder klar im Kopf, Junge?«
Er war kein Junge mehr. Er war sogar ein oder zwei Jahre älter als ich, also knapp über dreißig. Und er zeigte mir seine Zähne.
»Du bist verrückt«, sagte er.
Ich sah Liz Honeymaker an.
»Gehen wir«, sagte ich. »Er wird den Geldschrank öffnen.«
Sie nickte und trat hinter der Bar ein Stück zur Seite. Als sie eine mit Tapeten beklebte Tür öffnete, sagte ich zu Ray Millard: »Also los, mein Bester. Du kannst es haben, wie du willst. Auch mit deinen fünf Säufern komme ich zurecht, bevor sie überhaupt wissen, was mit ihnen geschieht. Los jetzt!«
Er starrte mich aus nächster Nähe an, sagte nichts, sah nur in meine Augen. Ich spürte seinen Whiskyatem in meinem Gesicht – und ich spürte seine ganze Feindschaft.
»Pass nur gut auf«, sagte er. »Denn wenn du den geringsten Fehler machst und ich dich bekomme, dann wirst du bedauern, geboren worden zu sein. Darauf hast du mein Wort, du verdammter Schleicher!«
Aber dann ging er vor mir her. Er schwankte kaum noch.
Der Raum war halb als Büro und halb als bequemes Wohnzimmer eingerichtet. Und in der Ecke stand der Geldschrank.
Es war ein Panzerschrank. Jedes größere Büro der Wells & Fargo hatte solche Dinger.
Sie waren aus dickem Stahl, innen mit Schamotte gefüttert, sodass ihnen selbst Feuer nichts anhaben konnte. Man konnte die Schlösser auch nicht einfach aufsprengen, denn sie waren panzergeschützt. Und solange die Zuhaltungen die Verriegelung blockierten, ließen sich die zehn Riegel nicht bewegen mit dem Knebelgriff neben dem Schlüsselloch.
Es gab überdies noch ein Zahlenschloss.
Ja, es war ein hübsches Ding.
Eine Lampe brannte, deren Flamme Liz Honeymaker höher schraubte, sodass genügend Helligkeit vorhanden war.
Ich sagte zu Ray Millard: »Also, mach ihn auf, damit ich für die Witwe des Herdenbesitzers das noch vorhandene Geld kassieren kann.«
»Und wenn ich nicht aufmache?« Dies fragte Ray Millard mit heiserer Wut.
Ich sah ihn an. »Meine Geduld wird nicht lange anhalten«, sagte ich. »Denn ich bin lange geritten. Das Recht ist auf meiner Seite. Wenn ich dich und deine betrunkenen Wilden nacheinander umgelegt habe, bekomme ich das Ding schon auf. Denn dann kann ich mir Zeit nehmen. Verstehst du? Wenn ich mir Zeit nehmen will, muss ich euch erst alle erledigen. Also, fang an!«
In meiner Stimme war nun ein Ton, der ihn warnte. Ja, ich war wirklich am Ende meiner Geduld. Ich war auch entschlossen, nicht lange herumzutändeln.
Ich trat langsam auf ihn zu. Aber ich sagte nichts mehr. Ich ließ ihn nur meinen festen Entschluss in meinen Augen erkennen.
Aber es war ein Fehler gewesen, von der Tür wegzugehen und nicht mehr an den riesigen Neger zu denken. Irgendwie bekam er leise genug die Tür auf.
Ich erkannte an Ray Millards Blick, dass sich hinter mir etwas veränderte.
Dann spürte ich auch schon den leisen Luftzug.
Und ohne den Kopf zu wenden, sagte ich: »Millard, der rettet dich nicht.«
Er wusste es sofort. Denn er sah, dass ich den Hammer meines Colts mit dem Daumen zurückgelegt hatte. Er wusste auch Bescheid mit den Eigenarten meines Colts, denn er war ja selbst ein Revolvermann und hatte den gleichen Colt, was dessen Besonderheiten betraf.
Denn unsere Waffen hatten keine Abzüge mehr. Diese waren entfernt worden.
Und wenn man die Hämmer zurücklegte, rasteten diese nicht mehr ein. Man musste den zurückgelegten Hammer festhalten. Ließ man ihn zuschnappen, so schlug er auf das Zündhütchen. Und auch ein sterbender Mann konnte noch den Hammer zuschnappen lassen.
Das wusste Ray Millard.
Und so glaubte er mir, dass ich ihn mit mir nehmen würde.
Er sagte schnell: »Nicht, Barnabas!«
Ich wandte leicht den Kopf und sah den riesigen Neger, der mich eingelassen hatte. Er zielte mit einer Schrotflinte auf mich, deren Doppellauf um mehr als die Hälfte verkürzt war.
Aber er sagte: »Mister Millard. Sie geben hier nicht die Befehle. Die gibt mir Ma’am.«
Nun sah auch Millard auf Liz Honeymaker.
Diese sah aber nur einen Moment auf mich, bevor sie sich an den Neger wandte.
»Wir mischen uns nicht ein, Barnabas«, sagte sie. »Du kannst wieder gehen. Wir sind völlig neutral. Aber wir kassieren nachher den angerichteten Schaden.«
»In Ordnung, Ma’am«, nickte der Schwarze und ging wieder.
Ray Millard atmete etwas heftiger. Dann wandte er sich um und trat vor den Geldschrank.
Ich spürte Liz Honeymakers Blick und erwiderte ihn.
Und da gab sie mir ein Zeichen. Es war nur ein Ausdruck ihrer Augen und ein leises Bewegen ihrer Lippen und leichtes Heben ihres Kinns. Es war ein unmerkliches Warnen.
Aber ich verstand es.
Dieser Ray Millard hatte also noch einen Trick im Ärmel und würde ihn anwenden. Und nur deshalb gab er wohl nach. Er rechnete sich durch dieses scheinbare Nachgeben eine bessere Chance aus. Er wollte mich offenbar überrumpeln.
Es konnte nur ein Revolver sein, den er im Geldschrank liegen hatte. Ich wusste nun, dass er ihn greifen und dann auf mich schießen würde.
Aber das war mir recht.
So würde er seine Chance haben. Ich brauchte mich dann nicht zum Richter und Henker zu machen, sondern nur noch mein Leben verteidigen.
Ray Millard arbeitete so schnell, als wäre es sein eigener Geldschrank. Er stellte auch die Zahlenkombination schnell ein, drehte den Knebelgriff und entriegelte ihn.
Indes er mit der einen Hand die schwere Tür aufzog, griff er mit der anderen schon durch den sich öffnenden Spalt.
Er holte wahrhaftig einen Revolver heraus.
Als er sich mir zuwandte, hatte er die Waffe schussbereit.
Und da schoss ich.
Ich traf ihn in den Magen. Seine Kugel fuhr vor mir in die Bretterdielen. Er schoss noch zweimal, aber die Kugeln schlugen immer weiter von mir entfernt in den Boden, weil er den Revolverlauf nicht mehr hoch genug heben konnte.
Dann fiel er und fluchte schmerzvoll.
Ich sah auf die Tür, indes sich der Pulverrauch im Raum ausbreitete und Liz und mir in die Nasen und Augen biss.
Nach einer Weile ging sie auf.
Ein Betrunkener stolperte herein. Es war einer der Banditen, die draußen mit den Mädchen getanzt hatten.
Vielleicht hätte ich gleich auf ihn schießen sollen. Aber das brachte ich nicht fertig. Denn er kam ahnungslos herein.
Aber als er die Mündung auf mich richtete, da drückte ich ab. Was sollte ich denn sonst tun? Auf seine Kugel warten und dabei hoffen, dass sie mich nicht traf?
Nein, ich musste ihm zuvorkommen, wollte ich gewinnen und auch überleben. Sie waren immer noch vier Mann gegen mich.
Er fiel mitten in der offenen Tür.
Ich sprang sofort über ihn hinweg.
Dann waren auch die beiden anderen aus der Halle schon da. Es waren der zweite Tänzer und der Schnarcher aus dem Sessel.
Diese Revolverschwinger schossen auch betrunken nicht schlechter als nüchtern. Sie hatten das so oft geübt, dass sie es aus dem Gefühl reflexartig taten. Dennoch verfehlten sie mich.
Ich aber traf sie nacheinander.
Aber als ich in die Bar hinaustrat, bekam ich es von schräg oben. Denn die beiden letzten Kerle kamen die Treppe herunter – einer nur in Unterhosen, doch mit zwei Revolvern. Sie schossen wie verrückt, indes sie die Stufen abwärts kamen, und zu ihrem Glück lag die Treppe genau der Bar gegenüber.
Von mehr als einem halben Dutzend Kugeln, die sie auf mich abfeuerten, traf mich eine, und sie stieß mich mit dem Rücken gegen das Flaschenregal. Ich bekam von den Flaschen noch eine Menge Splitter in den Nacken, und das flüssige Zeug troff auf mich nieder.
Ich schoss meinen Revolver leer, so schwer mir das auch fiel. Dann nahm ich Ray Millards Revolver aus dem Hosenbund.
Mit ihr machte ich dann endgültig Frieden hier.
Und dann stand ich schwankend da, lehnte mich nach einem Schritt nach vorn schwer auf die Bar und knirschte vor Schmerz.
Ich wartete darauf, dass einer sich noch einmal erheben und weitermachen wollte. Doch es wollte keiner mehr. Ich hörte sie nur stöhnen, schmerzvoll fluchen und wimmern.
Sie waren nicht alle tot. Ich hätte sie töten können. Vielleicht hatten sie das auch verdient, denn sie waren Mörder.
Doch ich konnte nicht mehr schießen. Das lag nicht an meiner Wunde. Ich wollte einfach nicht mehr. Es war genug, reichlich genug.
☆☆☆
Es hatte mich also wieder einmal erwischt – diesmal jedoch recht übel. Denn meine rechte Schulter war durchschossen.
Am vierten Tag fütterte Liz mich mit einer kräftigen Fleischbrühe.
Am fünften Tage sagte ich: »Liz, ich mache Ihnen eine Menge Mühe.«
»Nicht so sehr«, sagte sie. »Bei einem Mann Ihrer Sorte sollte eine Frau keine Mühe scheuen. Und Sie haben mir immerhin vertraut, Mike Brannan. Ja, ich kenne jetzt auch Ihren vollen Namen. Sie sagten ihn im Fieber. Sie haben mir viel in Ihren Fieberträumen erzählt. Lieben Sie diese Nancy sehr?«
Ich überlegte.
»Sie ist prächtig«, sagte ich. »Und sie war die Frau eines Mannes, der so war wie ich. Und weil sie für diesen Mann gut war, wird sie wahrscheinlich auch für mich gut sein. Wir werden das ausprobieren, sie und ich.«
Liz nickte.
»Sie haben ihr mit Ihrem Revolver alles zurückgeholt, was sie verlor. Und Sie haben auch noch ihren Mann und die beiden Cowboys gerächt. Ein Revolver für die Liebe einer Frau – oder für die Rache? Was, Mike Brannan?«
»Das kann ich nicht beantworten«, murmelte ich. »Vielleicht ist es beides.«
☆☆☆
Es ging aufwärts mit mir, jeden Tag ein wenig.
An einem schönen Wintermorgen – draußen knirschte der Schnee vor Kälte – war es dann so weit.
Ich musste Abschied nehmen.
Und ich war noch einmal mit Liz allein.
»Wenn es diese Nancy nicht gäbe«, sagte Liz, »könnte es zwischen uns etwas werden, nicht wahr?«
»Wenn du mit mir in die Hügel auf eine einsame Ranch kämest …« sagte ich langsam. »Irgendwo dort jedenfalls, wo ich meinen Frieden hätte und nicht länger auf jeden ruhmsüchtigen Wild Bill achten müsste – wo ich von meinen Feinden nicht so leicht gefunden werden könnte und wo …«
Ich verstummte und winkte ab.
»Hier wäre das kein Leben für mich«, sagte ich schließlich. »Hier in solchen Camps würde mein berüchtigter Ruhm noch wachsen. Ich wäre hier nicht einfach nur ein zweibeiniger Tiger, sondern einer mit roten Streifen.«
Sie nickte.
»Wenn es mit Nancy nicht klappt«, sagte sie, »dann komm zu mir und frag mich, ob ich mit dir reiten will. Dann wirst du schon sehen, was passiert.«
Sie meinte es ernst.
Und dann nahm ich sie in die Arme und küsste sie.
Ja, sie liebte mich.
Ich sagte nichts mehr, nickte nur.
Dann ritt ich davon und sah nicht mehr zurück. Ich konnte nicht mehr zurücksehen.
Von Liz Honeymakers Worten würde ich keines vergessen – besonders ihre Warnung vor diesem Hec Vansitter nicht, dem Boss der Townwölfe in Golden Camp.
Ich ritt den ganzen Tag in Richtung Golden Camp. Am Nachmittag schon spürte ich die Müdigkeit und erkannte daran, dass ich doch noch nicht wieder der alte harte und zähe Bursche war.
Ich musste rasten und suchte mir einen guten Platz in der Wintersonne. Sie wärmte nicht sehr, konnte nicht mal den Schnee zum Schwitzen bringen. Der blieb trocken und konnte nur schwer zu einem Ball gepresst werden.
Der Wagenweg war trotz des Schnees von vielen Fährten geprägt. Hier waren Wagenzüge, Packtierkarawanen, Schlitten und Reiter unterwegs gewesen seit dem letzten Schneefall – und sie waren das immer noch.
Ich war nicht allein auf diesem Weg. Natürlich achtete ich auf Reiter, die hinter mir waren. Aber ich konnte keine Gefahr erkennen, weder hinter mir noch vor mir.
Als die Sonne frühzeitig hinter den fernen Hügeln versank und die Luft sofort um einige Grade kälter wurde, brach ich wieder auf.
Meine kaum verheilte Schulter war jetzt steif. Es war eine Art Muskelkrampf. Aber vielleicht würde sich das wieder lockern, wenn ich ritt und dabei warm wurde.
Ich ritt weiter, überholte einen Wagenzug und wenig später noch eine Packtierkarawane.
Dann war der Weg nach Westen leer.
Von Osten her holte mich langsam die Nacht ein.
Es wäre Zeit gewesen anzuhalten, einen guten Campplatz zu suchen und ein Feuer anzuzünden. Auch spürte ich wieder meine schmerzende Steifheit und Müdigkeit.
Doch ich ritt immer noch ein Stück weiter, zumal schon bald der Mond hochkam und die Nacht erhellte. Der Schnee knirschte manchmal unter den Hufen meines braven Pferdes.
Dann sah ich die Lichter in der Nacht.
Es war eine kleine Siedlung. Ich erinnerte mich, auf dem Herweg daran vorbeigekommen zu sein. Dort drüben gab es einen Store mit einem Gasthaus und einer Schankstube, umgeben von zwei oder drei Häusern und Nebengebäuden, natürlich auch Corrals.
Es war verdammt kalt geworden, und es würde noch sehr viel kälter werden, das wusste ich genau.
Im Freien an einem Feuer zu übernachten, dies war gar nicht verlockend für mich. Denn die vergangenen drei Wochen hatte ich ein gutes Bett in einem geheizten Haus gehabt.
Wie schnell konnte ein Mann doch verweichlichen, war er einmal angeschossen. Ich kämpfte nicht lange mit mir, dann ritt ich hinüber.
Selbst ein Platz im Heu einer Scheune war besser als einer im Schnee.
Drei Sattelpferde, ein Schlitten mit zwei Zugpferden und zwei Maultiere mit Reitsätteln standen vor dem Haupthaus der Siedlung. Ich ritt daran vorbei zum Stall hinüber. Als ich davor anlangte, kam ein Mann heraus. Er sah mich im Mondlicht an.
»Für einen Dollar kann sich Ihr Gaul satt fressen«, sagte er. »Wollen Sie ein Zimmer oder sich neben den Gaul ins Stroh legen? Das Zimmer kostet fünf und der Platz im Stroh einen Dollar.«
Das waren Preise, oha! So dachte ich und sagte auch schon: »Sehe ich wie ein reicher Mann aus? Für fünf Dollar könnte ich mir fast eine eigene Hütte kaufen. Ihr habt vielleicht Preise.«
»Weil wir ohne Konkurrenz sind«, sagte der Mann und lachte.
Er ließ sich zwei Dollar von mir geben. Dann verließ er mich, nachdem er für mich und das Pferd noch das Stalltor geöffnet und hinter uns wieder geschlossen hatte.
Es war warm im Stall. Im Schein der Laterne versorgte ich mein Pferd in einer der Boxen, die nur durch Stangen abgeteilt waren. Es standen auch ein paar andere Pferde im Stall, aber Schläfer gab es noch nicht – auch nicht oben auf dem Heuboden, von dem ich etwas Heu herunterholte.
Meine beiden Satteltaschen mit dem Geld verbarg ich in der großen Futterkiste tief genug unter den Körnern, mit denen sie gefüllt war. Ein Mann musste schon bis über die Ellbogen hineinwühlen, um meine gefüllten Satteltaschen ertasten zu können.
Natürlich war es ein Wagnis von mir. Aber wer würde mir schon zutrauen, dass ich hundertzwanzigtausend Dollar in einer Futterkiste unter den Körnern versteckte?
Ich nahm dann mein Bündel, breitete es auf dem Heuboden im Stroh aus und überlegte dann, ob ich für eine Stunde hinüber in das Gasthaus gehen sollte, um noch ein Abendbrot zu bekommen.
Ich verspürte Hunger, und so ging ich hinüber.
Eine Pokerrunde saß zusammen, dazu gab es auch ein paar Gäste, die noch beim Essen waren.
Sie alle sahen zu mir her, schätzten mich ab, und sie erkannten mit Sicherheit sofort, dass ich kein Goldsucher oder Minenarbeiter war. Mir konnte man den Reiter ansehen.
Der Wirt war ein schieläugiger Riese mit einem nassen Lappen, mit dem er über den Tisch wischte, an dem ich Platz genommen hatte.
»Es gibt nur Steaks«, sagte er. »Zwei Dollar. Dazu Kartoffeln und Gemüse.«
Ich nickte und legte das Geld hin. Er fischte es weg wie ein Fliegenfänger. Dann ging er.
Einer der essenden Gäste fragte herüber: »He, Fremder, gehörten Sie zu der Mannschaft, die uns die Fleischherde ins Land brachte und dann so sündhaft teuer verkaufte, sodass wir die Steaks fast mit Gold aufwiegen müssen?«
Es war die knurrende Frage eines Mannes, dem der Preis zu hoch war.
Ich schüttelte den Kopf.
»Nein, Fremder«, sagte ich, »zu dieser Mannschaft gehöre ich nicht.«
In meiner Stimme war ein Klang, der deutlich genug warnte. Ich wollte mich nicht als Blitzableiter verwenden lassen.
»Aber Sie tragen Chaps und sehen wie ein Cowboy aus«, sagte der Mann eigensinnig.
»Na und?«, fragte ich, und die Müdigkeit machte mich nun unleidlich. »Sie sehen wie ein Seifenhändler aus und sind trotzdem ungewaschen. Beklage ich mich vielleicht bei Ihnen über die Seifenpreise?«
Nun wusste er, was die Glocke geschlagen hatte. Auch die anderen wussten es.
Sie ließen mich in Ruhe.
Das Steak kam schnell. Es war gut. Auch die eingelegten grünen Salzbohnen waren gut.
Ich aß ruhig und ging dann wortlos.
Ja, die Müdigkeit hatte mich mürrisch gemacht. Aber vielleicht war es auch eine bittere Vorahnung.
Als ich in den Stall kam, saß dort ein Mann auf der Futterkiste. Er war jünger als ich und grinste mich an, so als würde er mich kennen und freute sich, mich wieder zu sehen.
Doch ich kannte ihn nicht. Aber ich wusste dennoch instinktiv vom ersten Moment an, dass er zu jener Sorte gehörte, die sich durch Verwegenheit behauptete und bisher das wahrscheinlich unverdiente Glück hatte, damit durchzukommen.
Und wahrscheinlich glaubte der Bursche jetzt an sein Glück.
Er sagte: »Na, Mike Brannan, hat es geschmeckt? Ich sah Sie durch das Fenster essen. Raten Sie mal, was ich von Ihnen will.«
Ich brauchte nicht zu raten, denn ich wusste es sofort.
Ich sagte: »Junge, wenn du keinen besonderen Trick im Ärmel hast, wirst du kein Glück haben. Also lass es lieber sein und mich in Frieden.«
Er schüttelte lächelnd den Kopf, und er war auf eine wilde und verwegene Art ein hübscher Bursche.
»Es geht nicht«, sagte er. »Ich will nämlich das Geld, welches Sie der Millard-Mannschaft abnahmen. Und ich will es mir nicht durch eine Kugel aus dem Hinterhalt verdienen. Dass Sie mit der Millard-Mannschaft zurechtkommen konnten, lag wohl daran, dass die Jungs betrunken waren. Ich bin es nicht. Also werden wir jetzt und hier um das Geld kämpfen. Wo haben Sie es? In Geldgürteln unter der Kleidung? Oder in allen Taschen verteilt? Ihre Siebensachen auf dem Heuboden habe ich schon durchsucht. Na, wollen Sie es mir nicht sagen, Mike Brannan?«
Er tat mir leid, denn er war ein Bursche, der bisher zu viel Glück gehabt hatte. Und deshalb konnte er die Dinge nicht mehr kritisch genug sehen.
Die Bitterkeit stieg so sehr in mir hoch, dass ich mich am liebsten umgedreht hätte und fortgegangen wäre.
Doch dies hätte er nicht zugelassen.
Ich kannte seine Sorte. Sie war stolz und selbstbewusst, hielt sich für unüberwindlich und kniff niemals.
Und er war gekommen, um mit mir um das Geld zu kämpfen.
Wenn er mich niederschoss, würde ihn das mit neuem Stolz erfüllen. Er würde sich ganz großartig vorkommen.
Ich seufzte: »Junge, lass es sein.«
Aber da erlosch sein Grinsen.
»Ich bin längst kein Junge mehr«, sagte er klirrend. »Ich habe schon mit siebzehn meinen ersten Gegner getötet – und das ist schon ein halbes Dutzend Jahre her. Ich habe vielleicht schon mehr auf meiner Liste als Sie, Mike Brannan. Und alle fair von vorne, wenn ich ihnen in die Augen sah.«
Er sagte es wieder stolz, und er war verrückt und wusste es nicht. Sein Denken war so verzerrt, dass er die Dinge nur noch in dieser Art sehen konnte.
»Sie tragen es am Körper und in den Taschen verteilt«, sagte er. »Und Sie sollten jetzt den Colt ziehen, Brannan.«
Er sagte es ganz ruhig – und dann zog er blitzschnell.
Ja, er war wirklich schnell – und das war sein ganzes Unglück. Denn diese Revolverschnelligkeit ließ ihn sich als eine Art Halbgott fühlen, als Herrn über Leben und Tod anderer Männer.
Aber es musste ihn ganz zwangsläufig zu einem Mann führen, der schneller war als er. Dieser Mann war ich, und ich schlug ihn glatt.
Er hatte seinen Lauf noch nicht hoch genug, als er schon im Laternenlicht des Stalles in meine Mündung starrte.
Und so verharrte er.
Sein Instinkt beriet ihn richtig. Wenigstens diesen Instinkt hatte er noch in diesem Sekundenbruchteil.
Er verharrte, erstarrte, versuchte nicht, den Revolverlauf doch noch höher zu schwingen.
Und das war mein Glück. Ich seufzte vor Erleichterung.
»Hau ab«, sagte ich, »schleich dich, mein Junge! Glaubst du, es ist so einfach, einen Narren abzuschießen, nur weil er ein Narr ist?«
Er wurde kreideweiß. Ich erkannte es deutlich im Laternenlicht. Er begriff nun jäh, wie schön das Leben war und dass er soeben an einen wirklich großen Revolvermann geraten war, einen von jener Sorte, zu der nur ganz wenige gehörten.
Er senkte den Colt, schob ihn ins Holster.
Dann ging er an mir vorbei.
An der kleinen Tür, die sich im großen Stalltor befand und durch die ich hereingekommen war, wandte er sich noch einmal um.
»Danke, Sir«, sagte er. Seine Stimme krächzte.
Ich sagte nichts mehr, sah nur noch schweigend auf die kleine Tür, die sich hinter ihm schloss.
Und ich wusste, dass dieser Junge nun am Scheideweg stand. Entweder würde er sich einen ehrlichen Job suchen – oder er würde in Zukunft nur noch aus dem Hinterhalt schießen, aus Angst, nochmals an den falschen Mann geraten zu können.
Ich konnte ihm nicht helfen.
Ich stieg die Leiter hinauf zum Heuboden und legte mich ins Stroh.
Unter mir im Stall stand die Futterkiste, in der ich das Geld versteckt hatte.
Es war am nächsten Morgen Zeit genug, es herauszuholen.
Ich schlief schnell ein.
☆☆☆
In Bridgemont war ich nach Anbruch der Nacht angekommen – und auch in Golden Camp war es so.
Obwohl immer noch leichter Schneefall war und jede Fährte schon bald zugedeckt wurde von den weißen Flocken, war Golden Camp voll in Betrieb.
Ich ritt ruhig in die Goldgräber- und Minenstadt hinein und hielt vor dem Büro der Wells & Fargo Company. Sie hatte auch hier schon ihre Agentur.
Der Agent und sein Gehilfe wollten offenbar gerade schließen, als ich mit den beiden Satteltaschen hereinkam, schneebedeckt und stoppelbärtig, etwas hohlwangig und indianeräugig.
»Es sind hundertzwanzigtausend Dollar«, sagte ich. »Legen Sie das Geld bitte in Ihren Tresor. Mein Name ist Mike Brannan.«
Sie sahen sich an.
Dann nickte der Agent. »Von Ihnen habe ich schon gehört. Und früher sollen Sie auch mal für Wells & Fargo gearbeitet haben.«
»Stimmt«, sagte ich. »Deshalb könnte mir Wells & Fargo auch mal einen Gefallen tun.«
Er nahm meine Satteltaschen, steckte sie in einen Postsack und versiegelte diesen. Dann sah ich zu, wie er den Postsack in den großen Tresor tat. Dann erhielt ich eine Quittung.
Als er sie mir gab, sagte er: »Es hat sich natürlich auch hier herumgesprochen, was in Bridgemont geschah. Hatten Sie unterwegs keinen Ärger? Ich dachte mir die ganze Zeit, dass alle Banditen des Goldlandes zwischen Golden Camp und Bridgemont darauf lauern würden, dass Sie sich mit dem Geld der Herde auf den Heimweg machen. Hat man Sie nicht zu überfallen versucht?«
»Nur einmal«, sagte ich, »und das war kein richtiger Überfall.«
Da starrte er mich seltsam an, legte den Zeigefinger an die Nase und kämpfte mit sich, ob er noch etwas sagen sollte.
»Nun, sagen Sie es schon«, murmelte ich. »Denken Sie immer daran, dass ich einmal ein Kollege von Ihnen war und vielleicht eines Tages wieder werden könnte. Also sagen Sie es.«
Er sah erst seinen Gehilfen an, als müsste er sich überlegen, ob er diesen als Zeugen zuhören lassen könnte.
Dann murmelte er: »Dann wissen die Banditen des Landes, dass Hec Vansitter Sie beschützt oder es selbst auf das Geld abgesehen hat.«
Nun hörte ich den Namen schon wieder.
»Und wer ist Hec Vansitter?« So fragte ich ganz dumm, und ich wusste, dass ich jetzt eine ehrliche Antwort bekommen würde, weil die Wells-Fargo-Leute eine Zunft waren, die sich auch dann noch half, wenn man kein Wells-Fargo-Mann mehr war. Allerdings musste man dann in Ehren weggegangen sein, sodass man jederzeit wieder zu Wells & Fargo kommen konnte. Wells-Fargo-Männer waren eine verschworene Gemeinschaft. Ich aber hatte für Wells & Fargo gekämpft.
Der Agent leckte sich über die Lippen und suchte erst noch nach den richtigen Worten. Dann aber sagte er: »Nichts geschieht hier in Golden Camp und im Umkreis eines Tagesrittes, was Hec Vansitter nicht dulden würde. Nur an die Wells & Fargo hat er sich bisher noch nicht rangewagt. Dazu ist er zu schlau. Aber sonst kassieren seine Leute überall Schutzgebühren, Beteiligungen, Konzessionen und wer weiß nicht was. Er ist in jedem Geschäft mit drin. Wenn Sie sich irgendwo ein Paar Stiefel oder ein Steak kaufen gehen – er verdient mit daran. Verstehen Sie, Brannan?«
Ich nickte, denn ich verstand.
Und dann sagte der Wells-Fargo-Agent noch etwas, was mich wie ein Hammer traf: »Wahrscheinlich stehen Sie unter seinem Schutz, Brannan, weil Nancy Shayne ihn darum bat. Und für Nancy Shayne tut er alles.«
Ja, es traf mich wie ein Hammer – oder wie ein Tritt in den Magen.
Doch ich beherrschte mich gut, ließ mir nichts anmerken.
»Was wissen Sie über Nancys Freund?« So fragte ich.
»Ich bin Charles Slaughter, und Sie können Charles zu mir sagen«, murmelte der Agent.
Ich merkte ihm an, dass er Zeit gewinnen wollte.
»Und ich heiße Mike«, sagte ich. Er betrachtete mich nachdenklich.
»Nancy Shayne ist eine Klassefrau«, sagte er dann. »Sie ist die schöne Witwe, der man die Herde stahl und für die Sie das Geld zurückholten, Mike. Sie tauchte vor etwa vier Wochen im Golden Camp Star auf. Eine Woche später war sie die Queen von Golden Camp. Wenn sie auf der Bühne stand, war der Saal so voll wie ein Topf mit gequollenen Bohnen. Und dann tobten sie alle vor Begeisterung. Sie kam ohne ein halbes Dutzend Zugaben nicht wieder von der Bühne. Zwei Wochen nach ihrem ersten Auftauchen übertrug ihr Hec Vansitter die Leitung des Golden Camp Stars. Er hatte zu viele andere Geschäfte. Aber inzwischen hatte es sich irgendwie herumgesprochen, wer die neue Queen von Golden Camp war. Und dann kamen auch die Nachrichten aus Bridgemont. Dort hatten Sie inzwischen die Ray-Millard-Bande erledigt und ihr das Geld für die Herde abgenommen. Ich denke mir, dass Sie mit dem Geld niemals ohne Schwierigkeiten durchgekommen wären, würde Hec Vansitter das nicht gewollt haben. Und dass er Ihnen das Geld nicht unterwegs abnehmen ließ, kann nur bedeuten, dass Nancy Shayne ihm sehr viel mehr bedeutet als eine solch große Summe Geld.«
Er hatte mir nun alles gesagt.
Dann ging ich.
Ja, es wurde Zeit, Nancy aufzusuchen.
Aber ich war müde, hungrig und ziemlich erfroren.
Als ich mein Pferd in den Mietstall brachte, fiel der Schnee immer noch unaufhörlich. Ich gab dem Stallmann einen ganzen Dollar Trinkgeld, damit er sich um mein Pferd besonders kümmerte.
Dann machte ich mich auf den Weg zu Nancy.
Überall waren Männer unterwegs. Sie zogen von Lokal zu Lokal. Und in jedem Lokal war Betrieb. Überall waren Sattelpferde, Schlitten und sogar noch Wagen abgestellt. Wenn der Schneefall noch anhielt, würden viele Wagen gar nicht mehr durch den immer tiefer werdenden Schnee kommen.
Golden Camp war für viele Goldsucher und Minenarbeiter ein Winterquartier geworden. Und so manchem Mann würden im Verlaufe der Wochen gewiss die Dollars ausgehen.
Ich hielt bei einem Bratstand an und kaufte mir einige Pfannkuchen. Dazu gab es eine Schüssel Apfelmus und einen Becher Kaffee. Mit mir aßen noch andere Männer stehend. Es waren zumeist solche, die mit ihrem Geld jetzt schon sparen mussten und denen deshalb ein Steak in einem Restaurant zu teuer war.
Als ich meinen schlimmsten Hunger gestillt hatte, ging ich weiter.
Ich verhielt dann etwa auf der gleichen Stelle, von der ich damals Nancy beobachtet hatte, als sie im Golden Camp Star verschwunden war.
Dort hatte sie also Karriere gemacht. Sie war kein Tingeltangel-Girl geblieben, sondern war der Star dort im Golden Camp Star geworden – und schließlich hatte ihr dieser Hec Vansitter sogar die Geschäftsleitung übertragen.
Ob sie auch seine Geliebte geworden war?
Als ich mir die Frage stellte, verspürte ich in der Magengegend ein flaues Gefühl.
Doch dann erinnerte ich mich daran, dass Nancy mit ihrem Mann, den ich gut kannte, draußen in der Wildnis auf einer gemeinsamen Ranch gelebt hatte. Und sie hätte überall zwischen der Ost- und Westküste in jedem großen Tingeltangel die Queen sein können.
Sie hatte es nicht gewollt, sondern mit Buck Shayne in der Einsamkeit gelebt.
Warum sollte ich nicht die gleichen Chancen haben wie Buck – eines Tages vielleicht?
Ich glaubte plötzlich daran, dass sie dieses Leben dort drüben im Golden Camp Star gar nicht so sehr liebte.
Und so setzte ich mich wieder in Bewegung, ging schräg durch den Schnee hinüber zum Golden Camp Star und drängte mich hinter einem Rudel Minenleute hinein. Einer der Miner sagte über die Schulter zu den anderen: »Sie wird gleich auftreten. Jungs, gleich könnt ihr das tollste Weib der Black Hills sehen. Ach, was sage ich da! Zwischen der Ost- und Westküste gibt es keine, die es mit ihr aufnehmen könnte!«
Sie grinsten alle. Einer sagte: »Nun, wir werden sehen, Ollie, was du ein tolles Weib nennst. Wir werden sehen. Die letzte Eule, von der du schwärmtest, konnte einem schon vom Ansehen Zahnschmerzen machen.«
Der Anreißer, der uns die Tür geöffnet hielt – man hatte jetzt im Winter keine Schwingtüren mehr –, lachte nur und knurrte dann: »Junge, von der wirst du träumen und dich ärgern, dass du nur solch ein kleiner Wicht bist.«
Dann waren wir drinnen.
Und es war schon voll.
Alle Tische waren besetzt. Die Männer standen an den Wänden entlang. Und bei der Theke verharrten sie drei oder vier Glieder tief.
Doch es wurde dort nichts mehr ausgeschenkt.
Auf der Bühne öffnete sich der Vorhang.
Zuerst erkannte ich Nancy gar nicht wieder.
Heiliger Rauch, was konnte sich eine Frau doch verändern, wenn sie nur genug Möglichkeiten dazu besaß.
Sie trug ein grünes Kleid, in dem sie auch zu einem Ball des Präsidenten der Vereinigten Staaten hätte gehen können. Und sie wäre auch dort unter all den Ladys die Schönste gewesen.
Das Grün des Kleides bildete einen wunderschönen Kontrast zu ihrem roten Haar, und es war zudem von der gleichen Farbe wie die ihrer Augen. Im Schein der vielen Karbidlaternen, die die Bühne anstrahlten, konnte man das genau erkennen.
Zwei Gitarrenspieler standen hinter ihr.
Und dann begannen sie zu spielen.
Als Nancys Stimme erklang, da begriff ich, warum hier jeder Platz besetzt war, die Männer längs der Wände standen, es unheimlich still war und nicht mal mehr Getränke ausgeschenkt wurden.
Ihre Stimme war dunkel, kehlig, warm, weich – und dann wieder herb. Es war die Stimme einer Frau, die das Leben kannte, das Glück, die Bitterkeit, die Freude und den Schmerz.
Es war eine Stimme, die an alle guten Dinge der Welt denken ließ und die Sehnsüchte erweckte.