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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2437 bis 2439:
2437: Der Blechstern
Die Versuchung ist groß, mit dem ihm anvertrauten Geld einfach zu verschwinden. Doch Black Jim Jones trägt den Stern eines US Deputy Marshals, und eher riskiert er Kopf und Kragen, als seinen Eid zu brechen ...
2438: Kilrains Kampf
Für das Erbe seiner Tochter Nancy stellte sich Black Ben Kilrain, der Revolvermann, zum Kampf. Doch Green Creek war eine Stadt von Feiglingen, und so stand Ben allein auf verlorenem Posten ...
2439: Mannschaft der Verlorenen
Weil sie überleben wollen, überfallen sie eine Postkutsche. Doch statt der erhofften Beute erhalten sie einen Job, der sie auf geradem Weg in die Hölle führt ...
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 460
Veröffentlichungsjahr: 2021
G. F. Unger
G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 30
Cover
Impressum
Der Blechstern
Vorschau
Der Blechstern
»Es tut mir leid, Jim«, sagt Sam Derringer trocken. »Du kommst zu spät, um deinen Bruder zu holen. Sie haben ihn drei Tage früher entlassen. Ich glaube, dass er in diesen drei Tagen zumindest hundert Meilen geritten ist.«
Nach diesen Worten schweigt Sam Derringer. Er ist eisgrau und trägt einen kleinen Spitzbart. Er wirkt wie ein alter, erfahrener Jagdfalke, der keine Gnade kennt.
Dies alles trifft auch wirklich zu. Denn er ist ein Jagdfalke – wenn auch einer ohne Schnabel und Flügel.
Er ist US Marshal.
Und Gnade? Nun, Jim Jones glaubt nicht, dass dieser alte Falke jemals welche kannte.
Er betrachtet ihn bitter, und er ist ein ziemlich großer, hagerer Mann, der wie ein Cowboy gekleidet ist, dunkelhaarig und grauäugig. Er hat ein fast hässliches Gesicht, in dem die Narben einiger Kämpfe zu erkennen sind. Jim Jones ist ganz gewiss ein Mann, der für sich sorgen kann.
An seiner linken Seite trägt er einen Revolver, eine Waffe mit einem einfachen Holzgriff. Sie wirkt sehr alt und abgenutzt.
»Warum habt ihr das getan, Marshal?« So fragt er nun bitter. »Ihr wusstet genau, dass ich meinen kleinen Bruder …«
Er verstummt und macht eine verächtliche Handbewegung. Er hält es für unnötig, zu wiederholen, was der Marshal und die Gefängnisleute seiner Meinung nach genau wussten und was sie dennoch nicht beachteten …
US Marshal Sam Derringer – er hat den Rang eines Majors – blickt Jim fest an und sagt knapp: »Hilf uns, Jim – und du hilfst damit auch deinem kleinen Bruder. Du weißt ganz genau, dass es zu nichts geführt haben würde, hättest du ihn hier in Empfang genommen und mit auf deine kleine Pferderanch genommen. Dein Bruder war an einem Bankraub beteiligt, bei dem achtzigtausend Dollar erbeutet wurden. Er war der Einzige der Banditen, den man erwischen konnte. Er war damals siebzehn Jahre, und er hat nichts anderes getan, als draußen vor der Bank die Pferde der Bande zu halten. Er wäre mit einer kleinen Strafe davongekommen, wenn er dem Gericht die Namen der Banditen genannt hätte. Doch er wollte wohl kein Verräter sein. Er war ein stolzer Junge, dessen Denken verzerrt war. Er erhielt vier Jahre Haft mit Strafarbeit und wurde zu seinem einundzwanzigsten Geburtstag entlassen.«
Der Marshal macht nun eine kleine Pause. Er blickt Jim hart an und sagt: »Jetzt ist dein Bruder Adam unterwegs zu seinen alten Partnern, um seinen Anteil zu kassieren. Und auf diese Art bekommen wir vielleicht die achtzigtausend Dollar zurück und die drei anderen Burschen zu fassen. So ungefähr wissen wir nämlich, wohin sich Adam wenden wird. Und nun kommen wir zu dir, Jim, mein Junge. Es gab einmal eine Zeit, da sagtest du Onkel Sam zu mir, nicht wahr?«
Jim sieht ihn an und nickt langsam.
»Ja«, sagt er, »das war damals, als mein Vater noch lebte und dein Freund war, Sam Derringer. Du warst damals ein junger, ehrgeiziger Sheriff. Ich war ein kleiner Junge und bewunderte dich immer. Dein blitzender Stern war für mich …«
Er bricht wieder ab und macht abermals eine verächtliche Handbewegung, so als lohnte es sich nicht, über diesen Stern noch ein Wort zu verlieren.
Aber dann spricht er doch weiter: »… er war für mich etwas Großartiges. Und immer wenn du zuverlässige Helfer brauchtest, ritt mein Vater als dein Deputy mit dir. Auch er bekam dann solch einen Stern an die Weste gesteckt. Oh, ihr hieltet Ordnung in unserem Land. Ihr wurdet mit jeder Bande fertig, mit jedem Revolverhelden und jeder Art von Schwierigkeit und Bedrohung von Recht und Ordnung. Doch eines Tages wurde mein Vater dabei erschossen, als er dir wieder einmal den Rücken deckte. Ich war damals acht Jahre alt. Und mein Bruder Adam war gerade zwei Jahre geworden. Unsere Mutter aber war eine zarte Frau. Sie zerbrach daran, unsere Heimstätte zu erhalten und schuldenfrei zu bekommen. Ja, damals sagte ich noch Onkel Sam zu dir, Marshal. Doch das ist lange her. Und jetzt willst du was von mir? Willst du Hilfe, wie mein Vater sie dir schon einmal gab?«
Er fragt es mit bitterem Spott.
Und US Marshal Sam Derringer nickt.
»Es ist ganz einfach«, sagt er. »Dein Bruder nimmt Verbindungen zu seinen alten Partnern auf. Er wird von ihnen seinen Anteil verlangen.«
»Er hat dafür seine Strafe abgesessen«, sagt Jim Jones bitter.
Sam Derringer nickt.
»Wenn er seinen Anteil bekommt«, sagt er. »Vielleicht schießen sie ihn aber tot, bevor sie mit ihm teilen müssen oder er sie verraten kann. Oder sie nehmen ihn in ihren Verein auf und machen ihn zum Teilhaber an den Geschäften, die sie mit ihrem Raubgeld aufbauten.«
»He«, sagt Jim Jones scharf. »Ihr wisst viel über diese Bande.«
Der Marshal nickt. »Uns fehlen nur die Beweise«, sagt er. »Jim, es wäre falsch gewesen, deinen Bruder mit auf die Pferderanch zu nehmen. Er ist mit seiner Vergangenheit noch nicht fertig. Du musst ihm bei der Bewältigung dieser Vergangenheit helfen. Reite ihm nach und hilf ihm!«
Jim Jones erhebt sich langsam.
»Du alter Fuchs«, sagt er.
Sam Derringer nickt. »Es gehört zu meinem Geschäft, fuchsschlau zu sein. Ich will die drei anderen Banditen und die achtzigtausend Dollar nebst Zinsen haben. Du aber willst deinen kleinen Bruder retten. Das führt uns zusammen, Jim, mein Junge. Ich weiß keinen besseren Mann für diese Sache. Und ich gebe dir einen Stern. Ich mache dich zum US Deputy Marshal mit dem Rang und der Besoldung eines Captains der Bundesregierung. Überleg es dir schnell. Denn mit jeder Stunde wird der Vorsprung deines Bruders größer. Ich schicke auch zwei zuverlässige Leute zu deiner Pferderanch. Ich gebe dir den Stern, denn nur damit kannst du deinen Bruder retten.«
Jim Jones starrt ihn bitter an. »Mit einem Blechstern«, sagt er, »kann man auch kein Wunder vollbringen. Meinem Vater hat dieser Stern nichts genützt.«
Sam Derringer schnauft. Er greift in die Schreibtischschublade und holt einen Stern heraus. Es ist genau genommen kein Stern wie ein Sheriffstern, eher eine Plakette in hufeisenähnlicher Form, in der ein Stern eingepresst ist.
Darunter steht im Halbrund: US DEPUTY MARSHAL.
Jim starrt auf das Ding nieder.
»Ich kann auch einen anderen Mann schicken«, sagt Sam Derringer. »Ich kann zum Beispiel Jeff Frazee schicken. Doch er könnte deinen kleinen Bruder gewiss nicht vor Dummheiten bewahren, so wie du es vielleicht kannst.«
Als Jim Jones dies hört, da weiß er, dass Sam Derringer ihm wahrhaftig einen Dienst erweisen will. Er erkennt schnell, dass er verhindern muss, dass ein anderer Mann auf der Fährte seines Bruders reitet.
»Ich werde diesen Blechstern nehmen«, sagt er. »Und ich bitte um die genauen Einzelheiten.«
»Zuerst muss ich dich unter Eid nehmen«, sagt der alte Falke.
☆☆☆
Jim Jones’ Pferd ist ein hagerer, mausgrauer Wallach, den man auf den ersten Blick fast für ein Maultier hält. Jim nennt ihn einfach nur Pete. Bei diesem Wort spitzt der Wallach stets die Ohren wie ein Hund, den sein Herr ruft.
Man kann nicht sagen, dass Pete über eine Meile Chancen gegen ein halbwegs schnelles Pferd hätte. Über fünf oder gar zehn Meilen sieht die Sache allerdings schon anders aus. Und wenn sich die Distanz gar über hundert, zweihundert oder fünfhundert Meilen beläuft, nun, dann gibt es kein besseres Pferd als Pete. Da kann er sie alle schlagen.
Deshalb beginnt Jim Jones den Ritt sehr zuversichtlich.
Denn der Ort, zu dem er will, liegt etwa fünfhundert Meilen weit entfernt. Er kann mit nicht unberechtigter Zuversicht hoffen, dass er seinen Bruder Adam einholen oder nicht sehr viel später dort eintreffen wird.
Der Ort heißt Watervale. Das bedeutet nichts anderes als Wassertal. Der Ort muss wohl an einem kleinen Creek liegen, der das Tal bewässert.
Da Pete nur langsam in Gang kommt und eine Menge Meilen benötigt, um sich erst richtig warm zu laufen, legt Jim in der ersten Nacht »nur« fünfzig Meilen zurück.
Dann rastet er zwei Stunden.
Während der nächsten zehn Stunden schafft er siebenundfünfzig Meilen, ein Zeichen dafür, dass Pete langsam in Fahrt kommt, zumal das Gelände rauer und beschwerlicher war als am Anfang.
Nun rastet er drei Stunden, kocht sich ein gutes Essen und wartet, bis der Mond aufgegangen ist und die Sterne strahlen.
Dann reitet er weiter.
Dreimal vierundzwanzig Stunden später haben Mann und Pferd etwa vierhundertdreißig Meilen geschafft, und noch etwa siebzig liegen bis Watervale vor ihnen.
Jim glaubt nun schon fast nicht mehr daran, dass Adam noch vor ihm ist. Er muss Adam irgendwann während der letzten Stunden überholt haben und auf einem anderen Weg geritten sein als der jüngere Bruder.
Es wird eine finstere Nacht. Jim hat das Feuer etwa fünfzig Schritte neben einem Wagenweg angezündet, sich rasch ein Abendessen bereitet, Kaffee gekocht und sich dann mit seinem Pferd vom Feuer entfernt. Er hat Pete gut versorgt, durchmassiert, abgerieben und an der Wasserstelle ganz abgewaschen. Das tat Pete gut. Nun hat er sich zwischen einigen Bäumen auf einer leichten Anhöhe niedergetan.
Jim hockt unter einer Tanne.
Er hört das Plätschern des kleinen Baches, der die Wasserstelle immer wieder füllt, sodass ein kleiner Weiher entstanden ist.
Er sieht das Feuer leuchten, später dann glühen. Und jenseits des Feuers sind die Radfurchen des Wagenweges.
Es gibt nur diesen einen Wagenweg über den fernen Hügelpass. Wenn er seinen Bruder Adam irgendwo überholt hat, müsste Adam drüben auf dem Wagenweg vorbeikommen – vorausgesetzt, er reitet jetzt in der Nacht noch.
Jim glaubt nicht, dass er besonderes Glück haben wird.
Vielleicht kommen ganz andere Reiter hier vorbei und halten an, um zu sehen, wessen Feuer dort brennt.
Jim spürt seine Sattelmüdigkeit in allen Gliedern. Er schläft für eine Weile ein.
Doch sein Schlaf ist so leicht wie der eines Apachen in der Wüste. Als er den Reiter kommen hört, erwacht er sofort.
Der Reiter hält kurz auf dem Wagenweg an und kommt dann herüber zum Feuer. Noch bevor er die Grenze des Feuerscheins erreicht, ruft er heiser und gepresst: »Hoi, wer gehört zu diesem Feuer? Ich möchte wissen, wer hier …« Die Stimme versagt ihm. Ein Husten wirft ihn fast vom Pferd.
Jim Jones kann die Silhouette des Reiters gut erkennen. Er begreift, dass der Fremde entweder krank oder verwundet ist. Und es ist bestimmt nicht sein Bruder Adam. Dieser Mann dort auf dem Pferd ist älter, viel älter.
Jim nähert sich dem Reiter auf der anderen Seite des Feuers. Er trägt sein Gewehr in der Rechten und hat die Linke dicht über dem Revolvergriff. Er bleibt außerhalb der Lichtgrenze und sagt dabei: »Kommen Sie doch an mein Feuer, Mister. Ich bin allein. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
Der Mann im Sattel reißt sich noch einmal zusammen.
»Gewiss«, spricht er gepresst. »Ich habe eine Kugel in der Hüfte und kann sie mir allein nicht entfernen. Ich reite schon seit zwanzig Stunden mit dieser Kugel und schaffe es ganz sicher nicht mehr bis Watervale, wenn ich nicht jemanden finde, der mir die Kugel entfernt.«
Jim Jones hört es, denkt zwei Sekunden lang nach und nickt dann.
Der Mann im Sattel atmet langsam aus – zitternd und seufzend, so als löse sich in ihm ein Krampf, eine Spannung.
»Ich kann Ihnen helfen«, murmelt Jim, »wenn die Kugel nicht zu tief sitzt.«
Er nimmt das Pferd am Zügel und führt es zum Feuer.
Der Mann sagt indes seufzend: »Es ist ein Querschläger. Die Kugel ist an einem Felsen abgeprallt und schlug wohl quer in die Hüfte. Helfen Sie mir beim Absitzen.«
Jim hilft wortlos. Er stellt dabei fest, dass der Mann etwa zehn Jahre älter ist als er, also fast vierzig Jahre. Er ist bestimmt ein harter Mann. Das Pferd, auf dem er sitzt, ist erstklassig. Es ist ein echter Vollbluthengst aus Kentucky. Doch jetzt ist es am Ende seiner Kraft und kann kaum noch auf den Hufen stehen. Dieser Mann ist schon viele Tage unterwegs.
Vor sich hat der Reiter zwei prall gefüllte Satteltaschen. Jim schlägt einmal kurz mit der Faust dagegen. Es klirrt zwar nicht nach Goldstücken, doch glaubt Jim mit Sicherheit, dass die beiden Taschen mit goldenen Zwanzig-Dollar-Stücken gefüllt sind.
Der Mann stöhnt gepresst, als er ihm vom Pferd hilft. Jim fühlt, dass der Mann unter der Kleidung einen prall gefüllten Geldgürtel trägt. In den vielen Taschen dieses Geldgürtels wird Papiergeld sein, Hundertdollarscheine sicherlich.
Wenig später hat Jim den Mann neben dem Feuer auf einer Decke liegen. Er hat ihm Hose und Hemd geöffnet. Der Mann nimmt den auf der einen Seite blutigen Geldgürtel ab.
Jim sieht nun die Wunde, nachdem er einen blutigen Verband entfernte, den sich der Mann gewiss selbst angelegt hat.
Die Wunde sieht böse aus. Sie ist groß, wie sie nur ein Querschläger verursachen kann.
Und sie beginnt sich schon zu entzünden.
Ist der Fremde ein Flüchtling, der von Aufgeboten verfolgt wird, weil er eine Bank ausraubte oder einen Geldtransport überfiel?
Oder warum ist er sonst mit zwei Packtaschen und einem dicken Geldgürtel voller Geld unterwegs?
Jetzt ist er am Ende seiner Kraft und braucht Hilfe. Er musste sich an den ersten Menschen wenden, den er traf. Wahrscheinlich ist seine Not so groß, dass es ihm erst einmal gleich ist, ob der Mensch gut oder vielleicht schlecht und das viele Geld in Gefahr ist.
Jim Jones holt Wasser und ein Handtuch. Er säubert die Seite und gießt dann aus einer kleinen Flasche Whisky in die Wunde. Den Rest des Whiskys gibt er dem Mann zu trinken. Dann hält er die Klinge seines Messers über das Feuer und macht sich an die Arbeit.
Er schafft es ziemlich schnell, und sein Patient knirscht dabei mit den Zähnen und schnauft stöhnend.
Oh, dieser Mann ist wirklich hart. Jim glaubt ihm jetzt, dass er schon zwanzig Stunden mit dieser Wunde und der Kugel darin im Sattel saß. Ein eisenharter Bursche.
Er zeigt ihm dann die Kugel. »Da ist das Ding, Mister«, sagt er dabei. Nun legt er ihm das Handtuch auf die Wunde und reißt einen langen Streifen von der Decke. Er umwickelt den Leib des Mannes stramm damit, sodass das Handtuch fest auf die Wunde gepresst wird. Er hofft, dass der Whisky und die heftige Blutung nun die beginnende Entzündung bekämpfen.
Der Mann liegt mit geschlossenen Augen keuchend da. Er kämpft sicherlich gegen seine Schwäche an, die ihn bewusstlos zu machen droht. Und er will nicht die Besinnung verlieren.
Er muss Verfolger auf der Fährte haben.
»Wer sind Sie? Wohin wollen Sie? Sind Sie auf der Flucht? Sie haben eine Menge Geld bei sich, nicht wahr?«
Jim stellte diese Fragen ruhig. Dann wartet er und lauscht in die Nacht.
Der Mann am Boden hat nun wieder etwas Kraft geschöpft.
»Ja«, sagt er mühsam. »Ich habe eine Menge Geld bei mir. Es sind mehr als vierzigtausend Dollar. Aber sie gehören mir nicht. Die kleinen Rancher im Bezirk um Watervale stellten eine Sammelherde zusammen. Ich bin mit dem Erlös für diese Herde nach Watervale unterwegs. Mein Name ist Tom O’Rourke. Ich bin der Sheriff von Watervale. Und wenn Sie mir jetzt das Geld wegnehmen, Fremder, so sind Sie ein ganz besonderer Schuft. Viele Familien werden von ihrem Besitz vertrieben, wenn das Geld nicht rechtzeitig in Watervale eintrifft. Wer sind Sie? Was tun Sie hier? Ich muss Ihnen sehr danken, dass Sie mir halfen. Doch nun kann ich wohl nur hoffen, dass Sie kein Schuft, sondern ein redlicher Mann sind.«
Jim nickt, als er dies hört. »Ja«, sagt er, »dies können Sie nur hoffen. Denn bei einem Betrag von mehr als vierzigtausend Dollar und in einer Situation wie dieser, da würden wenige Burschen zögern. Es wäre leicht, mit dem Geld davonzureiten. Vierzigtausend Dollar sind ein mächtiger Berg Geld. Ein Cowboy müsste an die hundert Jahre dafür arbeiten. Und jetzt sind sie binnen weniger Sekunden und mit Leichtigkeit zu bekommen.«
»Ja«, stöhnt O’Rourke.
Jim lächelt schief und sagt zu Tom O’Rourke: »Keine Sorge, Sheriff. Sie haben Glück gehabt. Obwohl ich vierzigtausend Dollar gut gebrauchen könnte und es für einen hungrigen Burschen keine bessere Gelegenheit geben kann als diese hier, bin ich nicht interessiert an dem Geld.«
»Sie müssen es möglichst schnell nach Watervale zu meiner Tochter Jennifer bringen. Die wird dann schon für alles, was nötig ist, sorgen. Ich kann nicht weiter. Ich bin erledigt. Und so muss ich Ihnen vertrauen, Freund. Wollen Sie …«
»Still«, sagt Jim leise, doch unverkennbar scharf. Er entfernt sich plötzlich weiter vom Feuer bis unter einen Baum.
Es vergehen einige Minuten.
Das Feuer brennt nun wieder niedriger. Tom O’Rourke liegt still da und rührt sich nicht.
Jim lauscht.
Dann hört er die Pferde wieder, und er weiß, dass die Reiter dort draußen in der Nacht angehalten haben, um das Feuer zu beobachten. Nun kommen sie näher heran. Bald darauf kann er ihre Silhouetten erkennen. Sie halten an und sitzen ab.
Und erst dann fragt eine Stimme: »Ist Tom O’Rourke dort?«
Es ist eine kalte, leidenschaftslose Stimme, die Stimme eines Mannes, der eine lange Fährte verfolgte und nun gewiss ist, das Ende dieser Fährte erreicht zu haben.
Tom O’Rourke hat sich am Feuer auf der Decke mit letzter Kraft etwas aufgesetzt. Er hat jedoch keine Waffe in Reichweite. Jim hat ihm den Revolvergürtel abgenommen, um ihm besser die Kleidung öffnen zu können.
Nun sagt Tom O’Rourke heiser und gepresst: »Ihr habt mich nun endlich, ihr Schufte. Aber es …«
»Bitte, schweigen Sie, Mister O’Rourke.« Jim Jones ruft es entschieden. Er tritt vor, denn er weiß inzwischen, dass nur zwei Reiter kamen. Sie weichen etwas auseinander, aber nicht zu weit.
»Mister O’Rourke kann nicht mehr kämpfen«, sagt Jim nach einer kurzen Pause. »Wenn Sie den Wunsch haben, irgendwelche Dinge zu regeln, so wenden Sie sich vertrauensvoll an mich.«
Seine Worte sind eine kühle und deutliche Warnung, aber auch eine Herausforderung. Sie begreifen, dass er ein Mann ist, der sich vor zwei Revolverschwingern nicht fürchtet.
Also muss er selbst ein Künstler mit dem Revolver sein.
Als sie einige Atemzüge lang darüber nachgedacht haben, kommt auch schon die zwangsläufig zu erwartende Frage: »Nun gut, wer sind Sie, Bruder? Verraten Sie uns mal Ihren Kriegsnamen, bevor wir zur Sache kommen.«
Jim wartet einige Sekunden. Dann sagt er schlicht: »Geht schleunigst zum Teufel, Jungs! Hier gibt es nur Verdruss für euch!«
Nun lachen sie leise. Dieses Lachen klingt selbstbewusst und schon etwas spöttisch. Da er ihnen keinen berühmt-berüchtigten Namen nannte, halten sie ihn für keine besonders große Nummer.
»Den Verdruss bekommst du, Bruder – jetzt gleich auf der Stelle, wenn du nicht aufgibst. Wir wollen das Geld, welches Tom O’Rourke bei sich hat. Wenn wir es nicht freiwillig bekommen, werden wir rau.«
In der kalten, präzisen Stimme klirrt nun eine mitleidlose Härte.
Es ist völlig klar, dass es für Jim nur zwei Möglichkeiten gibt. Er kann sich aus der Sache heraushalten und den beiden Männern das Geld überlassen – oder auch nicht. Entscheidet er sich für die zweite Möglichkeit, so muss er kämpfen.
Sind vierzigtausend Dollar es wert, dass er zwei Banditen tötet?
Doch nun fällt ihm wieder ein, dass er einen Stern in der Tasche trägt, einen versilberten Blechstern.
Er sagt schlicht: »Dann werdet mal rau, Freunde! Werdet mal richtig rau!«
Als sie seine Entscheidung so herausfordernd hören, handeln sie sofort wie auf ein geheimes Kommando. Sie ziehen ihre Waffen. Jim Jones sieht sie nur als Silhouetten in dunkler Nacht. Doch er erkennt ihre zuckenden Schulterbewegungen.
Sie sind schnell, doch er ist schneller. Sein Revolver kracht zuerst. Er schießt nur zweimal – und trifft.
Einer der beiden Männer schießt noch vor sich in den Boden. Der andere Mann schießt in die Luft und fällt dann auf das Gesicht. Der Erste lässt nun den Revolver fallen und schwankt. Es sieht so aus, als würde auch er fallen, doch er bringt es fertig, auf den Beinen zu bleiben. Jim nähert sich ihm langsam. Er sieht, wie sich der Mann schwankend umwendet und sich in Bewegung setzt.
»He!« Jim ruft es scharf.
Der getroffene Mann hält inne, blickt über die Schulter und sagt gepresst: »Lass mich gehen. Ich habe genug! Hörst du, ich habe genug, ich will das Geld nicht mehr. Lass mich nur zu meinem Pferd.«
Nach diesen Worten schwankt er davon. Er erreicht sein Pferd. Jim kann hören, wie mühsam und stöhnend er sich in den Sattel zieht. Er hört ihn fortreiten.
Jim untersucht den anderen Mann. Dieser ist tot. Jim kennt ihn nicht, obwohl er viele Revolvermänner kennt.
Er geht zu Tom O’Rourke hinüber. Dieser ist bewusstlos.
Jim Jones spürt eine tiefe Bitterkeit. Obwohl er einen Stern in der Tasche trägt, den er sich offen an die Weste stecken könnte, begreift er, dass er in das alte raue, gewalttätige Leben eines Revolvermannes zurückgekehrt ist.
Mit einem Mal hat er den Wunsch umzukehren. Es wäre wohl gut, wenn er seinen Stern Sam Derringer zurückgeben und wieder zu seiner kleinen Ranch in das einsame Hochtal reiten würde.
Dort ist Frieden wie auf einer einsamen Insel. Dort braucht der Revolvermann Jim Jones keinen Anteil zu nehmen an den Dingen dieser gewalttätigen Welt.
Er hockt sich ans Feuer nieder, dreht sich eine Zigarette, raucht und starrt in die immer dunkler werdende Glut.
Doch er wird sich klar, dass er nicht umkehren kann. Er muss diesen angeschossenen Sheriff nach Watervale bringen – und auch das Geld.
Plötzlich fällt ihm sein Bruder wieder ein. Er muss plötzlich scharf und stark an Adam denken.
Jim hört nun abermals Hufschlag in der Nacht, und er wundert sich gar nicht darüber, dass nun noch jemand kommt. Irgendwie ist es ihm plötzlich ganz selbstverständlich.
Und er denkt noch immer an seinen Bruder Adam.
Adam ist rotköpfig und blauäugig, ein verwegener und auf eine wilde Art hübscher Typ.
Der Reiter hält nun auf dem Wagenweg.
»Hallo, Feuer!« So ruft er herüber.
Und Jim glaubt sofort, dass es sein Bruder Adam ist. Adam, auf dessen Fährte er ritt.
»Ja!« Nichts anderes erwidert Jim.
Adam fragt nun: »Ich hörte Schüsse. Was ist denn geschehen?«
Jim ist nun sicher, dass es Adam ist.
»Komm her, Adam«, sagt er ruhig hinüber. »Komm nur zu mir. Ich bin es, Jim, dein Bruder.«
Eine Weile bleibt es still. Adam Jones braucht nun doch eine Weile, bis er verarbeitet hat, hier auf seinen großen Bruder gestoßen zu sein. Sicherlich kommt ihm nun auch die Erkenntnis, dass Jim ihm gefolgt ist und ihn dann sogar auf seinem unübertrefflichen Pferd Pete überholt hat.
Vielleicht hält ihn jetzt nur noch ein letzter Rest von Vernunft davon ab, seinem Pferd die Sporen zu geben und in der Nacht zu verschwinden. Er weiß, dass Jim ihn gewiss bald wieder eingeholt hätte.
Adam Jones kommt wortlos vom Weg herübergeritten. Als er an dem Toten vorbeireitet, scheut sein Pferd. Er hält an, blickt auf den leblosen Mann nieder und fragt: »Hast du ihn erschossen, Bruder?«
»Ja«, sagt Jim knapp.
»Ich hörte die beiden Reiter auf dem Weg kommen«, murmelt Adam. »Zuerst glaubte ich schon, sie wären meiner Fährte gefolgt. Sie ritten jedoch an meinem feuerlosen Camp vorbei. Was bedeutet das?«
»Steig ab, Bruder«, sagt Jim ruhig.
Er deutet auf den bewusstlosen Tom O’Rourke, der auf der Decke am Feuer liegt.
»Dies ist der Sheriff von Watervale«, sagt er. »Er ist mit vierzigtausend Dollar unterwegs. Er wurde schon vor zwanzig Stunden ziemlich übel angeschossen, konnte mit dem Geld seinen Verfolgern aber noch einmal entkommen. Nun hatten sie ihn hier eingeholt. Aber weil er nicht mehr kämpfen konnte, habe ich das für ihn besorgt. Der zweite Bandit ritt verwundet fort. Und wohin bist du unterwegs, Adam? Hatten wir nicht vor einem Jahr ausgemacht, dass du zu mir auf die Ranch kommst, wenn du entlassen bist? Aber dies ist nicht die Richtung zur Ranch.«
»Nein!« Adam sagt es trotzig. Er gleitet aus dem Sattel, und obwohl er doch vier Jahre lang nicht mit Reitpferden umgehen konnte und auch nicht reiten durfte, haben die wenigen Tage nach seiner Entlassung genügt, um ihm wieder jene indianerhafte Geschmeidigkeit zurückzugeben, die er schon als Junge besaß.
Er ist groß, und die Sträflingsarbeit in den Steinbrüchen und beim Straßenbau hat ihn hart und zäh gemacht. Er hat vier Jahre unter hartgesottenen Gefangenen gelebt und musste lernen, sich unter solchen Burschen zu behaupten.
Adam weiß nicht sehr viel von der Welt, aber er weiß viel über Gemeinheiten, über wirklich harte Burschen und über viele andere Dinge, die man nur als Sträfling lernt.
Er tritt auf die andere Seite des Feuers. Über das Feuer hinweg betrachten sich die Brüder.
Adam wirkt verschlossen und trotzig, ganz und gar wie ein Mann, der sich gegen alles auflehnen wird, weil er es vier Jahre als Gefangener nicht durfte.
Er wirkt auch älter als einundzwanzig Jahre.
Nachdem er Jim angesehen hat und diesen fühlen und erkennen ließ, dass er sich ihm gewiss nicht unterordnen wird, wendet er seinen Kopf und betrachtet den bewusstlosen Sheriff – und dann die beiden Satteltaschen und den gefüllten Geldgürtel, die neben dem Sheriff auf der Decke liegen.
»Vierzigtausend Dollar«, murmelt er. »Es ist dort in den beiden Packen und dem dicken Gürtel?«
Jim nickt.
»Ich werde diesen Mann und das Geld nach Watervale bringen«, sagt er. »Du wirst mir dabei helfen. Ich bin sehr froh, dich nun bei mir zu haben. Wärst du noch vor mir gewesen, so hätte ich dich nun gewiss nicht mehr einholen können. Oh, ich weiß, dass auch du nach Watervale unterwegs bist.«
Adam hockt sich wortlos bei den Packtaschen nieder und befühlt sie mit kräftigen, geschmeidigen Fingern.
»Wahrhaftig«, murmelt er, »da drin muss viel Geld sein.«
Er erhebt sich langsam. Als er Jim anblickt, ist sein Blick misstrauisch und wachsam zugleich.
»Wie kommt es, dass du weißt, wohin ich will?« So fragt er.
Jim lächelt bitter. »Du hast die Bankräuber, für die du die Pferde hieltest, nie verraten«, sagt er. »Obwohl du das Pech hattest, dass man dir das Pferd unter dem Sattel wegschoss und du als einziger Mann gefangen wurdest, verrietest du deine Partner nicht. Es gibt keine Beweise gegen sie, nicht einmal Augenzeugen, denn sie waren maskiert und beschafften sich gewiss auch gute Alibis. Nur du hättest sie verraten können. Aber man weiß doch ungefähr, wer diese Männer sind. Man weiß, dass sie nun in Watervale leben und dort sehr geschäftstüchtig ihr Vermögen mehrten. Ich denke, dass du deinen Anteil kassieren möchtest. Deshalb konntest du nur nach Watervale unterwegs sein. Du wirst versuchen, dich mit deinen alten Partnern in Verbindung zu setzen. Ich glaube, dass dies mit einigen Schwierigkeiten verbunden sein wird. Deine alten Partner werden dich verleugnen müssen. Und wenn du sie zu sehr bedrängst, wirst du in große Gefahr geraten, weil du sie in Gefahr bringst. Adam, reite nicht nach Watervale! Verzichte auf deinen Anteil! Komm mit mir auf die Ranch. Wir finden gewiss irgendwo jemanden, der diesen Mann hier und das Geld für uns nach Watervale schafft. Irgendwo wird es doch eine Pferdewechselstation der Postlinie geben. Also, Adam!«
Der starrt ihn seltsam an. Dann grinst er. »So, man hat meine einstigen Partner in Verdacht und kann ihnen nur nichts nachweisen? Das ist gut, sehr gut! Dann werden sie sehr schnell meinen Anteil herausrücken, um mich loszuwerden. Und gefährlich? Oh, sicher wird es gefährlich sein. Vielleicht werden sie versuchen, mich umzubringen. Doch ich habe auch als Sträfling eine Menge gelernt. Ich hatte ja genügend Zeit, mich auf einige Dinge vorzubereiten. Ich kann auf mich achten.«
Seine letzten Worte sind abweisend und trotzig.
Aber als sein schweifender Blick dann wieder auf die Packtaschen und den Geldgürtel fällt, da hebt er die Hand und wischt sich über das Gesicht.
»Vierzigtausend Dollar!«, sagt er. »Und in Watervale hätte ich nur zwanzigtausend und die Zinsen zu bekommen. Es wird auch bestimmt nicht leicht sein, sie zu bekommen. Bruder, dieser Sheriff ist bewusstlos! Dann ist es doch leicht! Leichter kann man sich vierzigtausend Dollar gar nicht verdienen. Wenn ich die Hälfte davon bekäme, würde ich nicht nach Watervale reiten. Ich würde mit dir auf die Ranch kommen – für eine Weile jedenfalls.«
In seinen Augen ist ein wildes Leuchten. Jim betrachtet den Bruder bitter. Das hat er immer befürchtet. Damals war Adam nur ein wilder Junge, der in schlechte Gesellschaft geriet und mit einem Schlag reich werden wollte.
Jetzt gleicht Adam einem nach allen Dingen des Lebens hungrigen Wolf, der lange Zeit eingesperrt war und die ganze Zeit davon träumte, was er alles reißen und fressen würde, wenn er erst wieder in Freiheit wäre.
Die Bitterkeit in Jim ist wirklich tief. Doch dann fällt ihm ein, dass er selbst ja zumindest einige Sekunden gegen die Versuchung ankämpfen musste.
Adam hat keinen Stern wie er in der Tasche. Adam ist kein Gesetzesmann, sondern kommt aus einer Strafanstalt, wo er all die Jahre mit Verbrechern lebte. Adams Fühlen und Denken muss ja anders sein.
Doch Jim schüttelt den Kopf. »Nein, Adam«, sagt er. »Du kannst das neue Leben nicht damit beginnen, dass du einen gemeinen Diebstahl begehst. Ich werde nicht zulassen, dass du nochmals zum Dieb wirst.«
Adams Grinsen wirkt nun wie eingefroren. Seine Handfläche streicht sanft über den Revolverkolben. Ja, er trägt einen Revolver. Schon als Junge konnte er gut mit einem Revolver umgehen. Dies konnte auch ihr Vater. Alle Jones’ besitzen oder besaßen jenen Instinkt, den besondere Revolverkämpfer haben müssen.
»Bruder«, sagt Adam, »ich weiß, du hast einen großen Namen. Als ich ins Gefängnis kam, da warst du im Krieg. Und vorher und nachher warst du einer der großen Revolverkämpfer daheim in Texas. Aber ich sage dir trotzdem jetzt, dass ich erwachsen bin und du mir nicht in die Quere kommen sollst. Mit einem anderen Mann würde ich jetzt um die vierzigtausend Dollar kämpfen. Du hast Glück, dass du mein Bruder bist. Also werde ich mich auf den Weg machen, um mir in Watervale meinen Anteil zu holen.«
Er wendet sich langsam ab und tritt zu seinem Pferd. Mit einem leichten und geschmeidigen Sprung sitzt er auf und reitet davon.
Von der Straße ruft er noch einmal zurück: »Komm nicht nach Watervale, Bruder! Komm mir nicht in die Quere! Mein Weg ist nicht dein Weg!«
Dann reitet er davon.
Jim geht daran, eine Schleppbahre zu machen, wie die Indianer sie zum Transport ihrer Habe benutzen.
Als er später dann Tom O’Rourke darin bettet, erwacht dieser nicht einmal. O’Rourke hat starkes Fieber, und er ist völlig erschöpft.
Jim legt auch den Toten, den er in die Satteldecke wickelt, quer über dessen Pferd.
Dann beginnt er seinen Weg nach Watervale.
An einer Weggabelung stößt er auf die Pferdewechselstation der Postlinie nach Watervale.
Er lässt Tom O’Rourke und den Toten hier.
Mit dem Geld macht er sich auf den Weg, nachdem er eine Stunde gerastet und gegessen hat. Die Fragen des Stationsagenten, dessen Frau und Helfer beantwortet er nur knapp und unklar.
Er ist auf die Stadt Watervale neugierig.
☆☆☆
Als er das Ende seines Fünfhundert-Meilen-Rittes erreicht, ist es wieder Nacht.
Jim reitet von Norden her in die Stadt hinein.
Als er das Sheriff’s Office mit dem Gefängnis erreicht und anhält, wird die Tür des benachbarten Wohnhauses geöffnet. Es ist nur ein kleines Haus, schmal wie ein Handtuch.
Im herausfallenden Lichtschein erkennt Jim die Gestalt eines Mädchens.
Sie späht zu ihm her, doch ihre Augen haben sich gewiss noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt. Sie kann ihn nicht erkennen. Er hört ihre Stimme fragen: »Vater, bist du das?«
Er atmet zufrieden auf, denn er weiß nun, dass er Jennifer O’Rourke schon gefunden hat.
Sie ist mittelgroß, ihr rotes Haar hat sie zu zwei Zöpfen geflochten, die ihr nach vorn über Schultern und Brust hängen.
Sie trägt einen Morgenrock, wollte also ins Bett.
Ihre Augen leuchten grün, und als sie erkennt, dass Jim ein Fremder ist, werden diese Augen sehr weit und sehr groß.
Ihr Gesicht hat eine ovale Form, doch die Wangenknochen sind recht hoch. Die Art, wie sie nun den Kopf hebt, gefällt Jim sehr. Denn man sieht ihr an, dass sie mutig und selbstbewusst ist, dass sie mit schwierigen Dingen immer irgendwie zurechtkommen kann.
»Sind Sie Jennifer O’Rourke?«, fragt Jim.
Sie betrachtet ihn schärfer und wachsamer.
»Ja«, sagt sie schlicht.
Er seufzt erleichtert. »Dann bin ich am Ziel«, sagt er. »Ihr Vater schickt mich zu Ihnen. Ich soll Grüße bestellen. Er kommt morgen oder übermorgen mit der Postkutsche nach.«
Da tritt sie näher heran und betrachtet das müde Pferd und die beiden prall gefüllten Satteltaschen.
»Was ist geschehen?«
»Ihr Vater erhielt einen Schuss in die Hüfte. Er ruht sich fünfzig Meilen von hier in der Poststation etwas aus. Keine Sorge, Miss Jennifer.«
»Und er hat Sie geschickt?«
»Er fand keinen anderen Mann als mich.«
»Und er gab Ihnen das Geld?«
»Er konnte es keinem anderen Mann geben. Ich habe es hier. Wohin damit?«
»Steigen Sie ab und bringen Sie es herein«, sagt sie fest. In ihrer Stimme klingt eine Spur von Triumph und Freude, obwohl sie doch in Sorge sein muss wegen ihres Vaters.
Jim gehorcht wortlos. Sie lässt ihn an sich vorbei eintreten. Sie ist fast einen ganzen Kopf kleiner als er und muss zu ihm aufblicken.
Als sie die Tür hinter ihm schließt, befinden sie sich in einer recht einfach, doch behaglich und freundlich eingerichteten Wohnküche. Sie lehnt mit dem Rücken von innen an der Tür und betrachtet ihn nochmals.
»Sie haben mich doch nicht belogen, als Sie sagten, dass mein Vater sich nur etwas ausruht? Seine Verwundung an der Hüfte ist nicht schlimm?«
»Er ist zwanzig Stunden damit geritten, bis er nicht mehr konnte«, erwidert Jim jetzt und setzt die beiden schweren Taschen ab. Er holt auch den Geldgürtel unter der Jacke hervor.
»Es sind vierzigtausend Dollar«, sagt er. »Man sollte sie jetzt noch zur Bank schaffen. Das müsste doch möglich sein, nicht wahr?«
Jennifer O’Rourke schüttelt den Kopf.
»Mein Vater hat Sie wohl nicht richtig einweihen können«, sagt sie herb. »Dies lässt mich befürchten, dass er schlimmer verwundet ist, als Sie zugeben, Mister. Wir können das Geld nicht zur Bank bringen. Ich werde Ihnen das noch erklären. Ich muss Sie auch bitten, bei mir zu bleiben mit dem Geld und es noch bis morgen zu beschützen.«
Er nickt. »Und morgen?« So fragt er.
»Morgen Mittag läuft die Frist ab, bis wann ein halbes Dutzend Rancher ihre Schulden bezahlen müssen«, sagt sie schlicht. »Wenn sie es nicht können, übernimmt die Bank die Rinder und damit auch das Weideland. Wenn es hier in Watervale bekannt wird, dass das Geld der kleinen Rancher schon in der Stadt ist, könnte es sein, dass man versucht, es uns wieder wegzunehmen. Ich werde Ihnen trockenes Zeug von meinem Vater heraussuchen und ein Nachtessen kochen. Machen Sie es sich bequem, Mister. Sie haben mir immer noch nicht Ihren Namen genannt.«
»Jones – Jim Jones«, sagt er langsam und blickt das Mädchen aufmerksam an. »Sie müssen mich noch einmal entschuldigen. Es wird nicht lange dauern, und Sie können ja hinter mir die Tür abriegeln und mit einer Schrotflinte in der Hand darauf warten, bis ich wieder zurück bin. Denn ich muss erst mein Pferd versorgen. Es ist ein gutes Pferd, und ich bin fast ununterbrochen fünfhundert Meilen damit geritten. Es hat ein Recht darauf, dass es jetzt in den Mietstall kommt.«
In ihren Augen blitzt Interesse. Dann nickt sie und verschwendet keine weiteren Worte mehr. Sie tritt in die Ecke, holt eine Schrotflinte aus einem Schrank, in dem noch zwei andere Gewehre stehen, öffnet eine Schublade und entnimmt ihr zwei Schrotpatronen. Sie lädt das Gewehr und nickt Jim dann zu.
»Jetzt können Sie gehen«, sagt sie. »Ich lasse niemanden durch die Tür ins Haus kommen außer Ihnen. Klopfen Sie fünfmal kurz an die Tür, wenn Sie wieder zurück sind. Sie werden doch zu mir zurückkommen?«
Er betrachtet sie ernst und schweigend. Dann nickt er. »Ich lasse Sie nicht im Stich«, sagt er. »Wo sind denn diese Rancher und deren Männer?«
»Sie alle trieben die Rinderherde zu den Minen in Colorado«, erwidert das Mädchen. »Man bekommt dort die besten Preise für die Rinder. Mein Vater besaß das schnellste Pferd und ist überdies der Sheriff. Es war ausgemacht, dass er das Geld herbringen würde. Wir wussten schon vorher, dass es ein knappes Rennen geben wird. Es gab hier einige Schwierigkeiten. Es war eine große Leistung, dass die Rancher ihre Herde ans Ziel bringen und verkaufen konnten.«
Jim nickt. Er beginnt die Dinge an diesem Ort besser zu begreifen. Doch er hat auch noch eine Menge anderer Sorgen.
Er geht zur Tür, öffnet sie und tritt hinaus.
Hinter ihm wird zugeriegelt.
Als sich Jims Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, erblickt er einen Mann drei Schritte weiter entfernt an der Hauswand.
Der Mann kommt nun mit langen Schritten näher und betrachtet ihn, so gut es geht.
»Wer sind Sie? Was wollten Sie bei Miss O’Rourke? Was brachten Sie ins Haus zu ihr?«
Es ist ein großer, schlanker und in den Schultern sehr breiter Mann. Er trägt die dunkle Tracht eines berufsmäßigen Spielers. Ein Stück weiter befindet sich ein Saloon. Jim kann es im Schein zweier Lampen lesen, dass es sich um den »Gentlemen Saloon« handelt. Dahinter ist noch ein weiteres Vergnügungslokal. Auf dem im Lampenschein unter dem Schutzdach zu erkennenden Schild kann Jim lesen: »Moses’ Spielhallen«.
Sicherlich kam der Mann aus einem dieser beiden Häuser.
»Ich beantworte keine Fragen«, sagt Jim und tritt aus dem Schutz des Gehsteigdaches hervor in den Regen. Er bückt sich unter dem Geländer hindurch zur Fahrbahn hinunter, tritt zu seinem Pferd und sitzt auf.
Der Mann sagt: »Sie sind sehr vorsichtig, Fremder. Mein Name ist Moses, Steve Moses, und wenn ich in dieser Stadt Fragen stelle, dann bekomme ich Antwort. Also!«
Jim grinst vom Pferd zu ihm nieder. Dann sagt er mit deutlicher Schärfe in der Stimme: »Sie stellen Fragen, als machten Sie hier in Watervale die Gesetze, so wie der andere Moses damals vor mehr als dreitausend Jahren.«
Nach diesen Worten reitet er davon und lässt Steve Moses ziemlich sprachlos zurück. Und als Steve Moses dann endlich seine Sprache wiedergefunden hat, murmelt er: »Ein ziemlich unverschämter Bursche! Nun, das wird er noch bedauern.«
Er tritt an die Haustür und klopft mit der Faust dagegen.
»Wer ist dort draußen?« Dies fragt Jennifers Stimme sofort.
»Was war das für ein Mann?« Moses fragt es barsch.
»Ihr habt verloren«, erwidert Jennifer. »Dieser Mann hat das Geld gebracht. Ihr habt verloren, Mister Moses.«
Da geht er wortlos davon.
Inzwischen erreicht Jim den Mietstall. Der Nachtmann öffnet ihm verschlafen einen Torflügel, sodass Jim seinen grauen Wallach hineinführen kann.
Gleich vorn im Stroh schlafen einige Männer, wahrscheinlich durchziehende Satteltramps oder gar Betrunkene, die ihren Rausch ausschlafen möchten.
Einer dieser Schläfer ist Adam Jones. Er schläft tief und fest. Der lange Ritt hat ihn stark ermüdet. Er kann noch nicht sehr lange hier sein in diesem Stall, denn seine Kleidung ist noch nass.
Jim deutet mit den Fingern auf ihn und fragt den Stallmann: »Wann kam dieser Rotkopf?«
»Vor gut einer Stunde. Sein Pferd lahmte. Er hat es fast zuschanden geritten und muss es morgen neu beschlagen lassen. Sind Sie hinter ihm her?«
Der alte Nachtmann ist ein erfahrener Bursche, mit tausend Falten im Gesicht und scharfen, wachsamen Augen. Seine Frage deutet darauf hin, dass er Adam für einen Flüchtling und Jim für einen Verfolger hält.
Aber Jim schüttelt den Kopf.
Dann bringt er seinen Pete in eine Box und versorgt ihn mithilfe des Stallmannes. Er gibt ihm ein gutes Trinkgeld und geht wieder hinaus. Diesmal braucht nicht der ganze Stallflügel geöffnet zu werden. Es gibt in diesem Flügel eine kleine Tür, durch die Jim wieder in den Regen tritt.
Bevor sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnen können, sagt eine Stimme neben ihm: »Das muss er sein!«
Dann fallen zwei Männer von rechts und links über ihn her. Sie schlagen hart, ganz wie erfahrene Schläger. Einer benutzt einen gemeinen Schlagring, und Jim ist von diesem Angriff wahrhaftig überrumpelt und geht zu Boden. Mit aller Wildheit tritt und schlägt er um sich. Oh, er gleicht mit einem Mal einem Berglöwen, der am Boden gegen ein Lasso kämpft.
Und er hat Glück. Seine Tritte treffen Schienbeine und Knie. Er rollt sich dann wild zur Seite. Es ist sein Glück, dass die beiden Schläger sich nicht im Morast des Hofes wälzen möchten. Sie haben geglaubt, ihn auch so niederschlagen zu können. Doch sie trafen ihn nicht so, dass er bewusstlos zu Boden ging.
Nun kann er sich zur Seite rollen.
Einer der beiden Burschen versucht nun, mit beiden Füßen auf ihn zu springen. Aber es gelingt ihm nicht richtig. Jim klammert sich an die Beine des Mannes, wirft sich herum und bringt ihn zu Fall. Sie rollen nun übereinander durch den Schlamm, und der Mann keucht wild: »Jorge, schlag zu! Los, Jorge!«
Der Schlag kommt auch. Aber er trifft nur Jims Schulter. Er wirft sich knurrend zurück, prallt mit seinem Rücken gegen die Knie des zweiten Mannes und bringt auch diesen zu Fall. Bevor er aufspringt, tritt er kräftig aus, und er trifft den Mann, mit dem er zuerst herumgerollt ist, vor die Brust.
Er ist zuerst auf den Beinen.
Seinen Revolver hat er verloren. Er muss es mit den Fäusten mit diesen beiden Burschen aufnehmen. Er ahnt, dass es gewiss Rauswerfer aus dem Saloon sind, die sich auf solche Arbeit gut verstehen. Er aber ist müde und ausgebrannt nach einem langen Ritt.
Jims Augen haben sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Er sieht den anderen Mann kommen, und er weicht dessen Ansturm mit einer Körperdrehung aus. Mit dem Knie aber trifft er hart den Oberschenkel des an ihm vorbeistolpernden Burschen. Dessen Beinmuskeln spielen sofort nicht mehr mit. Er kann sein getroffenes Bein für eine Weile nicht mehr benutzen.
Und das genügt Jim. Er hat es jetzt nur mit einem Gegner zu tun, und er kämpft hart und schnell.
Dann, als der andere wieder mitmachen kann, liegt sein Kollege schon im Schlamm und versucht mit seiner Not zurechtzukommen.
Als Jim fertig ist, geht er in den Stall, holt sich eine Laterne und sucht nach seinem Revolver.
Der Stallmann hat sich in seinen Verschlag zurückgezogen, ganz offensichtlich bestrebt, sich nicht einzumischen und außer Sicht zu halten.
Jim findet den Revolver und betrachtet die beiden Burschen, die sich stöhnend erheben und Betrunkenen gleichen.
»Habt ihr genug?« So fragt er sie.
Doch sie geben keine richtige Antwort. Sie schwanken davon.
Er blickt ihnen grimmig nach, und er ahnt, dass jener Steve Moses sie schickte, um ihm eine Lektion erteilen zu lassen.
Oh, er weiß jetzt genau, in was für eine Stadt er kam.
☆☆☆
Als er wenig später an Jennifer O’Rourkes Tür klopft, öffnet diese ihm sofort – und erschrickt. Obwohl der Regen ihm viel von dem Schlamm abwusch, sieht man ihm einen schweren Kampf an. Er blutet an der Schläfe, aus der Nase und am Kinn.
Jennifer lässt ihn wortlos eintreten, riegelt ab und geht sofort zum Herd, um Wasser aufzusetzen.
»Ich werde alles tun, was ich kann«, sagt sie schlicht.
Eine Stunde später fühlt er sich besser. Er konnte sich waschen und umkleiden. Sie hat seine Risse und Abschürfungen behandelt und ihm ein gutes Nachtessen bereitet. Zum Schluss gießt sie ihm einen Whisky ein, legt ihm Tabak und Blättchen hin.
Er aber ist dabei, seinen Revolver zu säubern. Die Waffe ist vom Schlamm des Mietstalles schlimm verschmutzt worden.
»Es waren bestimmt Steve Moses’ Männer«, sagt sie nun. Sie sitzt ihm am Tisch gegenüber und trinkt dann und wann einige Schlucke Kaffee. »Ich habe die Unterhaltung gehört, die Sie mit Steve Moses vor der Tür führten. Sie haben ihn nicht wie einen großen Mann behandelt, der die Befehle gibt. Sie haben sogar über ihn gespottet. Dafür hat er zwei von seinen Rauswerfern geschickt.«
Jim nickt.
»Was ist er für ein Mann?«, fragt er.
Jennifer lächelt bitter. »Ihm gehören der Gentlemen Saloon, die Spielhalle, das Imperial Hotel, der Alamo Saloon, das Silver Star Hotel und zwei Speisewirtschaften. Er beherrscht das Vergnügungsleben dieser Stadt und beherbergt in seinen Hotels und Restaurants alle Gäste.«
»Aha«, sagt Jim. »Hat er Freunde?«
Sie lächelt noch ernster und nickt.
»Al Kilman ist sein Freund oder Partner. Al Kilman besitzt die Bank, den General Store und leitet die Land- und Bodenverwertungs- und Viehzuchtgesellschaft.«
Wieder nickt Jim, und er fragt weiter: »Gibt es noch einen dritten Mann, der zu diesen beiden tüchtigen Geschäftsleuten passt?«
Jennifer O’Rourke stutzt nun, und sie betrachtet ihn forschend. Dann nickt sie und sagt: »Ja, es gibt noch einen Mann – einen dritten Mann. Sie sind zusammen ein Kleeblatt, welches hier im Land alle großen Geschäfte macht und alle Fäden in der Hand hält. Sie werden immer mehr eine Macht im Land. Wenn die vierzigtausend Dollar nicht rechtzeitig eingetroffen wären, hätte dieses Drei-Männer-Kleeblatt wieder einen großen Schritt gemacht. Der dritte Mann heißt Ken Kendall. Und er besitzt die KK Ranch. Es ist die größte Ranch im Land. Aber Sie wissen wohl schon über diese drei Männer Bescheid. Wollten Sie nach Watervale?«
»Ja, ich war nach Watervale unterwegs«, sagt er langsam. »Ich habe hier einige Dinge zu erledigen. Ja, ich kannte die Namen Steve Moses, Al Kilman und Ken Kendall schon vorher. Ich glaubte nur nicht, dass sie so offensichtlich zusammenarbeiten würden. Sie müssen sich unheimlich groß und sicher fühlen. Na, wir werden sehen.«
Er deutet auf das Sofa. »Könnte ich dort einige Stunden schlafen? Ich muss gestehen, dass ich ziemlich erledigt bin. Aber Sie können sicher sein, dass ich sehr schnell wach bin, wenn jemand hier einzudringen versucht. Gibt es eine Hintertür?«
»Die ist gut und fest«, spricht das Mädchen. »Schlafen Sie ruhig, Jim Jones. Ich würde Sie bitten, in der Schlafkammer meines Vaters zu schlafen, doch es ist wohl besser, dass wir zusammen mit dem Geld in einem Raum bleiben. Da kann ich Sie schneller und leiser wecken, sollte jemand einzudringen versuchen.«
☆☆☆
Als er erwacht, riecht er Kaffee und es ist Tag. Er hat die ganze Nacht tief und fest geschlafen.
»Nebenan in der Kammer steht Rasierzeug bereit«, sagt Jennifer vom Herd her. »Und Sie müssen sich beeilen, Jim.«
Er sitzt nun und staunt sie an. Obwohl sie die ganze Nacht wachte, wirkt sie frisch. Nun trägt sie ein grünes Kleid, welches zu ihrem braunroten Haar einen schönen Kontrast bildet. Sie hat ihre Zöpfe gelöst und das Haar aufgesteckt.
Oh, sie gefällt Jim sehr.
»Habe ich geschnarcht?« So fragte er und seufzt dann.
»Nein«, sagt sie. »Aber Sie sprachen im Schlaf einmal von einem Adam. Er muss Ihnen Kummer bereitet haben, dieser Adam.«
»Ja«, sagt er, »er hat mir Kummer bereitet. Er ist mein kleiner Bruder. Ich war im Krieg und konnte nicht auf ihn achten.«
Er fährt in die Stiefel und geht zur Waschkammer hinüber. Er beeilt sich, und als er wieder zum Vorschein kommt, wirkt er frisch und ausgeruht.
Sie frühstücken eine Weile wortlos. Jim muss immerzu an seinen Bruder denken. Auch Adam ist vielleicht jetzt schon im Mietstall aufgewacht. Er wird sich nun die Stadt ansehen, wird ein Frühstück einnehmen und dann gewiss Verbindung zu seinen drei ehemaligen Partnern aufnehmen.
Diese ehemaligen Partner, denen man jedoch nichts beweisen konnte, sind Steve Moses, Al Kilman und Ken Kendall.
Jim weiß die Namen von US Marshal Sam Derringer.
Wie wird die Sache weitergehen?
Er blickt Jennifer an. »Verzeihen Sie mir, wenn ich so wortkarg bin«, sagt er, »doch ich habe einige Sorgen – genau wie Sie sicherlich auch. Wir sind wahrhaftig ein mit Sorgen bepacktes Paar. Und dabei habe ich mir immer gewünscht, einmal einem Mädchen zu begegnen, wie Sie es sind.«
»Sie brauchen mir keine Komplimente zu machen, Jim«, sagt sie ernst.
Da schüttelt er den Kopf. »Jeder Mann macht sich irgendwie ein Bild von seiner Traumfrau. Sie gleichen meinem Bild, Jenny. Ich habe eine Pferderanch. Sie liegt mehr als sechshundert Meilen von hier im Norden. Es ist einsam dort. Ich glaube, dass ich nie ein Mädel finden werde, welches als meine Frau dort oben in der Einsamkeit leben könnte.«
»Und warum leben Sie dort, Jim?« So fragt sie ernst.
Er lächelt bitter.
»Als Revolverkämpfer habe ich einen ziemlich bitteren Ruhm. Ich hielt es für besser, in die Einsamkeit zu gehen. Ich möchte mich nicht mit jedem ruhmsüchtigen Burschen messen müssen, denn ich bin Black Jim Jones.«
Er erhebt sich plötzlich. »Können wir jetzt mit dem Geld zur Bank hinüber?«
Sie nickt und ist sofort bereit.
Sie verlassen das Haus. Jim trägt die beiden mit Goldstücken gefüllten Packtaschen über der rechten Schulter, und er hat schwer daran zu tragen. Seine Linke ist frei und berührt mit den Fingerspitzen den Revolver.
Jennifer O’Rourke trägt die Schrotflinte unter dem Arm.
Als sie schräg über die Fahrbahn gehen, werden sie da und dort von den Bürgern der Stadt bemerkt.
Einige Männer kommen aus dem Restaurant neben dem Silver Star Hotel. Es regnet nicht mehr. Die Männer bleiben auf der Veranda stehen und betrachten das Mädchen und den Fremden. Einer ruft fragend herüber: »Jennifer, was ist das?«
»Das Geld ist gekommen«, erwidert sie. »Wir bringen es zur Bank. Die Rancher-Vereinigung tilgt ihre Schulden. Das ist es!«
Ihre Stimme hat einen triumphierenden Beiklang, und Jim kann sie gut verstehen.
Als sie die Bank betreten, werden sie offensichtlich schon erwartet. Einer der beiden Angestellten öffnet die Barriere und dann die Tür zum Büro des Bankleiters.
»Mister Kilman erwartet Sie, Miss O’Rourke«, sagt er.
Sie schüttelt sofort den Kopf. »Ich bin gekommen, um auf das Konto der Rancher-Vereinigung Geld einzuzahlen. Also bitte, fangen wir an zu zählen!«
»Aber – aber«, stottert der Kassierer. Er schielt zu dem Raum, dessen Tür er geöffnet hat.
Steve Moses ist dabei. Ein anderer Mann, der ebenfalls nobel gekleidet ist, ein gedrungener Mann ohne Hals und mit einem geröteten Vollmondgesicht, ist gewiss Al Kilman.
Er sagt jetzt: »Aber Miss O’Rourke! Solche Kundschaft empfange ich doch stets in meinem Büro! Es freut mich sehr, dass man das Geld noch rechtzeitig einzahlen kann. Und wer ist denn Ihr Begleiter? Es scheint sich um einen sehr tüchtigen Mann zu handeln, dem Ihr Vater und die Rancher-Vereinigung vertraut. Darf ich erfahren, wie der Name …«
»Jim Jones«, sagt dieser schlicht. »Mein Name ist Jim Jones. Und der Name Jones ist gar nicht so selten, nicht wahr?«
Sie blicken ihn schweigend an. Der dritte Mann ist wie ein Cowboy gekleidet, doch sein Hut war teuer. Auch seine Stiefel sind es. Dieser blondbärtige, untersetzte und kantige Mann ist gewiss Ken Kendall, der die große KK Ranch besitzt, die nicht zur Rancher-Vereinigung gehört, sondern wahrscheinlich erst die Rancher zur Vereinigung zwang, weil sie sonst kein Gegengewicht bilden konnten.
Jim Jones weiß, dass er nun auf diese Art jenen drei Männern, die wahrscheinlich vor fast fünf Jahren seines Bruder Kumpane waren, früher gegenübersteht als sein Bruder. Sie wissen nicht, dass Adam so nahe ist.
Sie starren ihn kühl und kalt an. Wenn sie es waren, die durch Handlanger zu verhindern versuchten, dass der Sheriff das Geld rechtzeitig oder überhaupt herbringen konnte, so wissen sie gewiss schon von Black Jim Jones.
Al Kilman, der Bankier, sagt nun ruhig: »Gewiss, der Name ist nicht selten. Doch Sie werden wohl der berüchtigte Black Jim Jones sein, nicht wahr? Nun gut, beginnen wir also zu zählen. Es werden gewiss keine Banditen jetzt einen Bankraub versuchen – und wenn, so wird der große Black Jim Jones sie schon totschießen. Zählen wir!«
Er gibt seinen beiden Angestellten ein Zeichen.
Steve Moses und Ken Kendall kommen nun durch die offene Schranke aus dem Kassenraum in den Kundenraum. Sie gehen halb um Jim Jones herum, betrachten ihn immer noch scharf dabei und verlassen die Bank wortlos.
Jim Jones folgt ihnen bis zur Tür, und er blickt ihnen nach und sieht dann, wie sie im Gentlemen Saloon verschwinden.
Wo mag Adam jetzt sein? Noch im Mietstall – oder beim Frühstück?
Oder …
☆☆☆
Als Steve Moses und Ken Kendall über die Fahrbahn gehen, murmelt Moses bitter: »Jetzt weißt du genau, Ken, warum meine Leute nicht mit ihm fertig werden konnten. Er ist Black Jim Jones. Meine zwei Schläger konnten ihn nicht verprügeln. Und deine Revolverschwinger konnten dem Sheriff nicht das Geld abnehmen, weil er den Sheriff beschützte. Jesse, den er schlimm verwundet hat, schickte Nachricht. Na gut, wir haben das Spiel verloren. Ist dir das klar? Auf diese Weise bekommen wir die wichtigen Wasserstellen und das Weideland nicht. Aber wir müssen es bekommen. Wir haben zwanzigtausend Rinder gekauft, die schon unterwegs sind. Wir müssen uns etwas einfallen lassen.«
Ken Kendall sagt zu diesen Worten nichts. Schweigend folgt er Steve Moses in den Saloon.
Der Barmann sagt zu Moses: »Boss, da sitzt einer, der kein Geld bei sich hat. Ich wollte ihn feuern, doch er sagte, dass Sie ihm schon bezahlen würden, was er braucht.«
Moses und Kendall wenden sich um, und sie beide wirken irgendwie alarmiert. Nachdem sie heute schon so böse überrascht wurden, sind sie nun misstrauisch.
Sie treten zu dem Mann an den Tisch. Der grinst sie an und sagt: »Ihr kennt mich sicherlich nicht mehr wieder, doch ihr solltet mich kennen. Denn schließlich habe ich eine ganze Menge für euch getan, nicht wahr? Muss ich euch noch mehr sagen?«
Er verstummt wie ein Mann, der glaubt, ihm wäre die Überraschung geglückt und er hätte alle hohen Trümpfe in der Hand.
Moses und Kendall tauschen einen Blick aus. Dann sagt Kendall: »Ich glaube, wir gehen hinauf in dein Büro, Steve. Der Bursche da hat uns offenbar etwas zu sagen. Und wir wollen ihm ungestört zuhören, nicht wahr, Steve?«
Steve Moses nickt. Er wendet sich um und geht die Treppe hinauf. Zum Barmann sagt er: »Wir möchten nicht gestört werden.«
Adam Jones – er ist jener Fremde – folgt ihm. Und den Schluss macht Ken Kendall.
Sie verschwinden oben in Steve Moses’ Büro, in dem nicht selten Zusammenkünfte besonderer Art stattfinden.
Steve Moses setzt sich hinter seinen Schreibtisch und zündet sich eine Zigarre an.
Adam Jones greift ebenfalls unaufgefordert in die Kiste und bedient sich. Er setzt sich in den bequemsten Sessel und widmet seine Aufmerksamkeit scheinbar ganz dem Anzünden seiner Zigarre. Nachdem er die Spitze abgebissen und einfach auf den Boden gespuckt hat, riecht er an der Zigarre und sagt: »Das habe ich all die Jahre nicht bekommen, und ich war jung und wollte was vom Leben haben. Ich war ein hungriger junger Wolf und wollte rohes Fleisch, aber ich bekam nur in einem Käfig schäbige Reste. Habt ihr schon mal als Sträfling in den Steinbrüchen gearbeitet? Man muss zwölf Stunden am Tag einen Fünfzehn-Pfund-Hammer schwingen. Und die Aufseher …«