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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2488 bis 2490:
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 462
Veröffentlichungsjahr: 2022
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln
Covermotiv: © Faba/Norma
ISBN: 978-3-7517-3006-8
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Western-Bestseller 2488
Einmal verlieren sie alle
G. F. Unger Western-Bestseller 2489
Aufgebot des Teufels
G. F. Unger Western-Bestseller 2490
Townwölfe
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Contents
Einmal verlieren sie alle
Im Morgengrauen kam ich mit meinem kleinen Bruder Ollie in den Mietstall, wo unser ältester Bruder Bill im Stroh lag.
Bill war von einer Ladung Indianerschrot fast in Stücke geschossen worden, und dass er noch so lange lebte, bis wir bei ihm sein konnten, war nur seiner unwahrscheinlichen Energie zuzuschreiben.
Er grinste etwas mühsam und sah mich dabei an.
»So ist das immer«, flüsterte er tonlos. »Eines Tages erwischt es jeden von uns. Das musst du dir gut merken, Jesse, denn der Kleine hat jetzt nur noch dich. Ich weiß, dass du mit dem Colt noch schneller wurdest als ich, Jesse. Aber werde nie ein Revolvermann – nie! Denn einmal verlieren sie alle.«
Damit hatte er mir gesagt, was er noch sagen wollte. Es musste ihm sehr am Herzen gelegen haben. Aber danach war seine Energie verbraucht. Er starb von einem Atemzug auf den anderen. Sein Blick blieb bis zuletzt auf mich gerichtet.
Behutsam schloss ich ihm die Augen.
Ich hing sehr an Bill. Er hatte Ollie und mir den Vater ersetzt, so gut es ging. Er war unser Freund, Kamerad und großer Bruder gewesen. Obwohl er viele Jahre umhergezogen war, kam er sofort heim, als unsere Eltern an Typhus gestorben waren. Und er tat alles, um uns den festen Platz und das Heim zu erhalten.
Doch in der vergangenen Nacht hatte ihn seine rauchige Vergangenheit eingeholt.
Der Mann, der ihm mit der Schrotflinte auflauerte, hatte gewiss irgendeinen Freund oder Verwandten rächen wollen. Oder er war nur ein Werkzeug und für diese »Arbeit« gekauft worden?
Er hatte aus einer Box gefeuert, als mein Bruder in den Mietstall trat und sich unter der Laterne befand, die im Vorraum hing. Bill hatte ihn noch mit dem Colt erwischt. Aber was hatte er davon? Er konnte sein Leben nicht retten.
Einer von den Männern, die noch im Stall waren, sagte zu mir: »Der andere Tote war gewiss ein angeworbener Mörder. Er hat fünf halbe Hundert-Dollar-Scheine in der Tasche und wollte sich heute die fünf anderen Hälften verdienen.«
Ich begriff alles.
Mit meinen neunzehn Jahren war ich ja alt genug.
Ich hatte meinen Arm um die Schultern meines kleinen Bruders gelegt.
Ollie war erst zwölf. Aber er weinte nicht. Zum letzten Mal hatte er geweint, als wir unsere Eltern beerdigten. Das war vor fast zwei Jahren gewesen. Jetzt weinte er nicht, doch er schluckte, als müsste er einen Kloß herunterwürgen. Ollie tat mir leid. Auch er hatte sehr an Bill gehangen.
Der Leichenbestatter sagte aus dem Hintergrund: »Jungs, wir sehen, dass ihr es wie Männer ertragt. Ihr McGillens seid schon eine besondere Sorte. Wir werden euren Bruder Bill heute um zwölf Uhr neben euren Eltern bestatten. Es ist euch doch recht?«
Ich nickte nur.
✰✰✰
Als Ollie und ich später im Restaurant saßen und lustlos unser Frühstück herunterwürgten, kamen wir uns sehr einsam und verlassen vor. Ollie wollte nicht essen. Aber ich sagte immer wieder: »Stopf es runter. Sonst machst du in den nächsten Tagen schlapp. Willst du das riskieren? Ich will dir etwas sagen. Es hat sich jetzt alles verschoben. Bisher war Bill der Große, und er konnte sich auf mich voll verlassen. Jetzt muss ich mich auf dich so verlassen können wie er sich auf mich verlassen konnte. Hast du verstanden? Und wenn du nichts essen willst wie ein kranker Hammel, wirst du schlappmachen. Also iss!«
Ich sprach absichtlich etwas hart mit ihm. Ich wollte nicht weich sein, sonst würde er vielleicht doch zu weinen beginnen.
Er gab sich Mühe.
So saßen wir eine Weile am Ecktisch im Restaurant und konnten durch das Fenster sehen, wie die Stadt allmählich in Betrieb kam.
Ich wunderte mich, wie diese kleine Stadt einfach zur Tagesordnung übergehen konnte, wo doch unser Bruder Bill totgeschossen worden war. Aber dann begriff ich, dass Bill nur für Ollie und mich wichtig war und sonst für niemanden.
Wir waren kleine Leute mit einem Haufen Schulden. Gewiss, unsere Ranch würde eines Tages schuldenfrei und wertvoll sein. Wenn alles gut ging, waren wir in zehn Jahren gemachte Leute.
Mir schoss es plötzlich heiß durch den Körper.
Schulden!
Es war wie ein Alarmsignal, wie ein Messerstich, wie ein Schrei.
Ich begriff, dass unsere Schulden für mich das große Problem waren, an dem ich gleich am Anfang scheitern konnte. Ich durfte mich da keinen Illusionen hingeben.
Diese Stadt kannte keine Gnade. Niemand in diesem Land kannte Großzügigkeit, Schonung oder Hilfe. Die Zeiten waren hart. Wir alle hatten hier ein paar schreckliche Winter erlebt, die viele Rinder das Leben kosteten. Und die Typhusepidemie vor fast zwei Jahren hatte in fast jede Familie Not gebracht.
In unserem Land war sich jeder selbst der Nächste.
Ich stand plötzlich auf und sagte zu Ollie: »Ich gehe zur Bank hinüber, Ollie. Warte hier.«
In mir war kein gutes Gefühl, als ich durch den Staub der Fahrbahn auf die andere Seite ging. Auf dem Plankengehsteig nahm ich meinen alten Hut ab und klopfte mir damit die Kleidung sauber.
Ich wusste, dass ich auf den Bankier einen guten Eindruck machen musste. Er musste mich für einen zuverlässigen Mann halten, sonst hatte ich verloren.
Nun, ich war äußerlich fast schon ein Mann. Ich war neunzehn, maß über sechs Fuß und wog hundertachtzig Pfund. Ich war dunkelhäutig und dunkelhaarig wie alle McGillens.
Aber ich war natürlich noch kein Mann, was Erfahrung und alle anderen Dinge betraf, die für einen Mann selbstverständlich sind.
Der Bankier empfing mich sofort.
Er betrachtete mich genau, denn er war ein Mann, der nicht zuletzt davon lebte, dass er Menschen richtig beurteilte. Schließlich erging es ihm wie einem Spieler. Der setzt sein Geld auf eine bestimmte Karte. Und ein Bankier muss ein Geld auf einen Menschen setzen.
Er hatte es auf unseren Bruder Bill gesetzt, als unsere Eltern damals starben. Bill war ihm für die hinterlassenen Schulden unseres Vaters sicher genug.
Aber wie war es jetzt?
Ich sagte: »Sir, es bleibt doch nach dem Tod meines Bruders alles beim Alten, nicht wahr? Sie vertrauen mir doch, wie Sie meinem Bruder vertrauten? Die Jahre vergehen schnell. Mein kleiner Bruder wächst ebenfalls heran. Wir schaffen es mit der Ranch schon. In drei Jahren bringen wir die erste große Fleischherde zum Verkauf. Dann fangen wir an, die Kredite zurückzuzahlen, die Sie ...«
Ich verstummte, denn er schüttelte seinen Kopf.
»Es tut mir leid«, sagte er.
Diese vier Worte trafen mich wie ein Schlag in den Magen.
In seinen Augen las ich, dass er nicht nur den Tod meines Bruders meinte, sondern mich unterbrach, weil es sinnlos für mich war, weiter bei ihm zu betteln.
Er sagte: »Du bist einfach zu jung, Jesse. Du kannst die Ranch nicht halten. Wenn du fünf Jahre älter wärst – aber ich kann nichts riskieren. Noch habt ihr eine Herde auf der Weide. Aber die Viehdiebe dort in den Hügeln werden immer schlimmer. Sie fürchteten sich vor eurem großen Bruder, weil er ein gefährlicher Revolverkämpfer war. Vor dir, mein Junge, fürchten sie sich nicht. Eure Rinder wird man zuerst holen. Ich verliere dann das Geld. Es ist nicht mein Geld. Man vertraute es mir an, damit es arbeitet und Gewinn abwirft. Ich machte damals mit deinem Vater einen Vertrag und übertrug ihn später auf deinen Bruder, obwohl ich Zweifel hatte, ob ein ruheloser Revolvermann wie er überhaupt sesshaft werden könnte. Nun, er wurde es. Das war vielleicht sein Pech, denn er hatte Schatten auf der Fährte. Die Vergangenheit holte ihn ein. Jesse McGillen, ich gebe euch drei Tage Zeit. Entweder zahlt ihr die Schuld eures Bruders – dann behaltet ihr die Ranch –, oder ich übernehme sie. In diesem Fall würde ich euch noch ein paar hundert Dollar auszahlen, denn ich will euch nicht die Haut abziehen. Ich will nur den reellen Gegenwert für mein Geld. Du kannst aber auch versuchen, selbst die Ranch zu verkaufen. Wenn du einen guten Preis erzielst, kannst du mir die Schulden deines Bruders zurückzahlen und behältst vielleicht sogar noch einen Tausender übrig. In drei Tagen, Jesse McGillen!«
Den letzten Satz sagte er hart. Und seine glasklaren Augen waren genauso hart wie seine Lippen.
Betteln hatte keinen Sinn. Wahrscheinlich hatte er schon einen Interessenten für unsere Ranch, von dem er entweder Bargeld bekam oder dem er zutraute, dass er die Ranch besser führen und schneller zum Gewinnabwurf bringen würde.
Ich hatte verloren.
Wie hart konnte doch das Leben sein, wie gnadenlos die Menschen. Und wie sehr musste man sich selber helfen.
Während ich zu meinem kleinen Bruder zurückging, begriff ich es richtig. Wir würden kein Heim mehr haben, keinen festen Platz. Wir würden herumziehen und nach etwas suchen müssen. Aber wonach?
In diesem Land wollte ich nicht bleiben.
Hier hatten wir McGillens zu viel Pech gehabt.
✰✰✰
Drei Tage später waren wir unterwegs. Wir hatten jeder ein Sattelpferd. Unsere Habe und der Proviant waren auf ein Maultier gepackt, das einen guten Packsattel trug.
Ich besaß den Colt meines großen Bruders Bill. Im Sattelschuh steckte das Gewehr unseres Vaters. In meiner Tasche aber befanden sich siebenhundert Dollar. Das war alles.
Ich hätte auf unserer Ranch als Cowboy bleiben können. Doch ich wollte nicht.
So ritten wir davon und blickten nicht einmal zurück.
Mein kleiner Bruder hatte alles ertragen, hatte nicht geklagt und nicht geweint. Aber sein Gesichtsausdruck war nicht mehr kindlich. Ich wusste, dass er von nun an diese Welt mit Misstrauen betrachten würde. Er war verschreckt wie ein Vogel, der mitten im Sommer in einen eisigen Schneesturm geriet.
Wir ritten nach Westen.
Nach zwei Tagen erreichten wir den Pecos. Der Weg durch das Pecos Valley führte nach Santa Fe. Bis dorthin würden wir gewiss zehn Tage benötigen. Uns war es gleich. Von uns aus konnten es auch zwanzig oder dreißig Tage sein.
Wir ritten gemächlich und hielten manchmal an, um zu sehen, zu jagen und zu rasten.
Eigentlich waren wir ziellos. Die ganze Welt sollte uns den Buckel herunterrutschen. Wir wollten keinen Menschen sehen. Wir wollten allein sein.
Ich hatte in den letzten Jahren oft mit einem Colt geübt, denn in mir steckte der Ehrgeiz, so schnell zu werden wie mein Bruder. Bill war ein stolzer Bursche gewesen, der keinem anderen Mann aus dem Weg zu gehen brauchte. Er konnte sich mit jedem messen.
Jetzt übte ich täglich mit dem Colt meines Bruders.
Und weil ich die Welt verachtete, wollte ich auch nirgendwo kleine Brötchen backen müssen. Ich wollte nie zur Seite treten und Platz machen müssen. Ich wollte mich mit Stolz und Kühnheit behaupten können. Nur so konnte ich – so glaubte ich damals – dieser lausigen Welt meine ganze Verachtung zeigen.
Ein Bankier hatte mich nicht für groß und gut genug befunden, eine Ranch zu führen. Dadurch waren wir heimatlos geworden. Nun wollte ich es diesen Narren zeigen. Unseren Bruder Bill hatten sie respektiert oder gefürchtet. Auch mich sollten sie fürchten.
Ich übte also immer wieder, denn Revolverschnelligkeit gab mir Macht. Und ich war – was schnelles Ziehen und sicheres Treffen anging – noch begabter als mein Bruder Bill. Meine Reflexe waren um eine Spur besser, und ich konnte noch sicherer nach Gefühl schießen. Das stellte sich immer mehr heraus. Der Lauf des Colts war wie mein verlängerter Zeigefinger, mit dem ich sozusagen auf das Ziel zeigte und sicher traf, wenn ich im selben Moment abdrückte.
Manchmal dachte ich an meines Bruders Worte. »Einmal verlieren sie alle«, hatte er sterbend gesagt.
Nun, zum Teufel, auch wenn Revolvermänner irgendwann einmal verlieren sollten, es musste ja nicht so bald sein. Und vielleicht konnte ich vorher Ollies Zukunft sichern.
Irgendwann, als wir in dieser Nacht am erlöschenden Feuer lagen, sagte ich: »Pass gut auf, Ollie. Ich will dir etwas erklären.«
»Ja, Jesse«, sagte er ernst und rollte sich auf die Seite, um mich im schwachen Feuerschein besser sehen zu können.
»Wenn man ein kleiner Wicht ist«, sagte ich, »muss man sich herumstoßen lassen. Man kann die menschliche Gemeinschaft, die eigentlich gar keine Gemeinschaft ist, nicht verachten. Man ist zu sehr von ihr und ihrer Gnade abhängig. Als kleiner Wicht ist man abhängig. Begreifst du das?«
»Ja«, sagte er. »Deshalb übst du mit dem Colt. Deine Revolverschnelligkeit stellt dich über diese Wichte. Und auch ich ...«
»Ich will dir sagen, was du wirst«, unterbrach ich ihn.
»Ja, Jesse«, murmelte er. »Du bist jetzt der einzige Mensch auf dieser Erde, von dem ich weiß, dass er für mich das Beste will. Sag es mir.«
Ich überlegte noch. Ich musste alles so erklären, dass er es begriff.
»Revolvermänner«, sagte ich, »erwischt es früher oder später. Einmal verlieren sie alle. Auch ich werde eines Tages verlieren, so wie unser Bruder Bill verlor. Aber es gibt eine andere Möglichkeit, die dich mächtig, unabhängig und stolz machen kann, und zwar für das ganze Leben.«
»Was?«, fragte er scharf.
»Wissen«, sagte ich. »Du musst mehr wissen, mehr können als die anderen Menschen. Du musst ein Großer sein – meinetwegen ein Arzt, ein Baumeister, ein Wissenschaftler, der neue Lehren begründet, die ein neues Zeitalter anbrechen lassen. Verstehst du, Ollie? Solch ein Großer muss man sein. Auch die Allergrößten haben einmal klein angefangen – so wie du.«
»Wie ich?«, fragte er staunend.
»Ja«, sagte ich. »Eines Tages – noch in diesem Jahr – werde ich dich auf eine gute Schule schicken. Ich las einmal in einer Zeitung, dass es Schulen gibt, aus der große Männer hervorgingen, weil sie dort die Grundlagen für ihr späteres Können und Wissen erwarben. In Boston ist solch eine Schule. Für mich ist es zu spät. Ich hätte auch kein Geld dafür, denn das Leben dort ist teuer. Aber du wirst hingehen. Dafür sorge ich. Dann wirst du schaffen, was keiner von uns erreichte. Und wenn du es geschafft hast, komme ich zu dir und ruhe mich aus. Hast du verstanden, Ollie? Ich schenke dir nichts! Ich sorge für dich und gebe dir die Chance, ein Großer zu werden, damit ich es später gut habe. Denn alte Revolvermänner sind schlechter dran als alte Preisboxer. Die werden nur verprügelt, aber Revolvermänner schießt man tot. Wenn ich nachlasse, Ollie, will ich bei dir unterkommen und einen schönen Lebensabend haben. So könnten wir uns ergänzen. Hast du das begriffen?«
»Ja«, sagte er. Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Ich weiß aber nicht, ob ich ein großer Arzt, ein Baumeister oder ein Ingenieur werden will. Ob ich dazu überhaupt klug genug bin?«
»Das glaube ich«, sagte ich mit Überzeugung.
✰✰✰
Zwei Tage später kamen wir nach Las Zozo.
Hier gab uns das Schicksal den entscheidenden Stoß.
Ollie ging es nicht gut. Er hatte sich offenbar eine Magen- und Darminfektion geholt, wahrscheinlich an irgendeiner Wasserstelle.
Ich war vorsichtig, weil unsere Eltern an Typhus gestorben waren. Deshalb ritten wir in die kleine Stadt Las Zozo. Es war ein übles Nest, doch es gab wahrhaftig einen Doc, der ein Pulver in Wasser auflöste und es Ollie zu trinken gab. Er sagte, dass Ollie zwei Tage im Bett bleiben müsse und dann fieberfrei und nur etwas schlapp sein würde.
Ich mietete also für uns ein Hotelzimmer. Später – es war schon Nacht, und Ollie schlief ruhig – ging ich hinunter. Ich spazierte durch den Ort, sah die Lichter in den Häusern und hörte die Stimmen der Menschen.
Ich wollte in den Saloon gehen, um ein Bier zu trinken. Doch ich ließ es und schlenderte zum Mietstall, um dort noch einmal nach unseren Pferden zu sehen.
Es war eine helle Mondnacht, und die Schatten waren tief und schwarz.
Unsere Pferde standen in einem Corral, weil diese Unterbringung billiger war als im Stall. Da das Wetter gut war, machte es unseren Tieren nichts aus.
Es war der letzte Corral. Gleich neben ihm war ein Wagencamp. Ein halbes Dutzend Frachtwagen standen hier. Es waren schwere Mervile-Wagen, zu denen jeweils ein halb so großer Anhänger gehörte. Solche Wagen wurden von mindestens acht Maultieren gezogen.
Zwischen den Wagen leuchtete Feuerschein.
Ich kümmerte mich nicht darum, sondern glitt in den Corral und beschäftigte mich mit unseren Pferden und dem Maultier.
Plötzlich hörte ich einen klatschenden Laut, der sich mehrmals wiederholte. Ich hörte auch das Stöhnen eines Mannes.
Plötzlich wusste ich, dass dort beim Feuer im Wagencamp jemand verprügelt wurde. Als ich ein Stück zur Seite trat, konnte ich zwischen zwei Wagen hindurch zum Feuer sehen.
Zwei Männer hielten einen dritten fest. Ein vierter Mann schlug ihn rechts und links.
Ich glitt aus dem Corral und benutzte einen der Wagen als Deckung.
Bald war ich nahe genug, um seine heisere Stimme sagen zu hören: »Also los, Abe Samrock! Jetzt frage ich dich zum letzten Mal. Wo hast du deinen Geldkasten versteckt? Wir wollen nicht alle Wagen auseinanderreißen, um das Versteck zu finden. Doch wir wissen, dass du in den vergangenen Wochen gute Geschäfte machtest. Du hast deine Frachten gut verkaufen können. Du musst ein paar Zehntausender bei dir haben. Also! Oder wir setzen dich mit deinem Hintern mitten ins Feuer.«
Nun wusste ich Bescheid.
Die Kerle dort hatten offenbar den Frachtkarawanenbesitzer in der Klemme. Es musste ein Mann sein, der Frachten auf eigene Rechnung verkaufte. Solch ein Mann belieferte die Stores vieler Orte und ließ sich meistens für die gelieferten Waren Bargeld geben. Es war gut möglich, dass er eine Menge Geld bei sich führte.
Die anderen waren Banditen und wollten es haben.
Ich zögerte.
Eigentlich ging mich das nichts an. Wer hatte Ollie und mir geholfen, als man uns die Ranch wegnahm? Niemand hatte uns beigestanden. Wir waren allein gewesen und waren immer noch allein.
Auch der Mann dort, den die drei Banditen in der Klemme hatten, war allein.
Dennoch schob ich mich zwischen den Wagen hindurch.
Dann sah ich den leblosen Körper am Boden.
Der Frachtwagenboss war also nicht allein gewesen. Er hatte noch einen Mann bei sich gehabt, der nun auf dem Gesicht lag. Aus seinem Rücken ragte der Griff eines Wurfmessers.
Diese drei Hombres waren heimtückische Mörder.
Auch unser Bruder Bill war heimtückisch aus dem Hinterhalt mit einer Schrotflinte ermordet worden. Und die Bank hatte uns dann die Ranch abgenommen. Irgendwie – so dachte ich – wiederholt sich doch alles im Leben.
Einer der drei Banditen entdeckte mich nun. Er zischte eine Warnung. Und der Mann, der den Frachtwagenboss bisher prügelte, wandte sich mir zu.
Es war ein Mexikaner. Unter seinem großen Hut blitzten die weißen Zahnreihen. Er war groß und geschmeidig und trug zwei Colts im Kreuzgurt. Ich traute ihm zu, dass er der Messerwerfer war.
»Ay, Amigo, was soll’s denn sein?«, fragte er glatt und mit trügerischer Sanftheit.
»Das ist der lange Junge, der mit seinem kranken Bruder heute in die Stadt kam«, sagte einer der beiden anderen, die immer noch den halb bewusstlosen Gefangenen zwischen sich hielten.
»Pack dich, Hombre, und pack dich schnell!«, zischte der Mexikaner.
Ich grinste und sah zu dem Mann hinüber, den sie in der Klemme hatten. Es war ein grauköpfiger Mann, doch er war groß, sehnig, zäh und hart. Man sah ihm an, dass er ein alter Frachtwagenfahrer war, der es zu etwas gebracht hatte und der auch heute noch mit einem Achter- und Zwölfergespann gut umgehen konnte.
Sie hatten ihn überrumpeln können und hatten ihn nun in der Klemme.
Er schaute mich an. In seinem Blick lag etwas Hoffnung. Er sah wohl zuerst nur, dass ich groß und stattlich war. Erst mit dem zweiten Blick erkannte er meine Jugend.
Da erlosch seine Hoffnung.
»Mister, was zahlen Sie mir, wenn ich diese drei Schufte zur Hölle sausen lasse?«, fragte ich.
Ich wusste nicht, wie ich dazu kam, das zu sagen. Die Worte sprudelten einfach aus mir heraus. Ich war verrückt. Doch dann fand ich meine Worte richtig. Einmal musste ich schließlich mit meiner Revolverarbeit anfangen.
Irgendwann musste ich Geld verdienen, um meinen Bruder nach Boston auf die Schule schicken zu können. Und so viel Geld konnte ich nur mit dem Revolver verdienen. Mit Cowboy-Arbeit konnte man kaum dreißig Dollar im Monat bekommen.
Meine kühle Frage blieb nicht ohne Wirkung auf die drei Banditen. Sie staunten. Am Anfang dachten sie vielleicht, dass ich betrunken oder nicht richtig im Kopf sei. Doch dann begriffen sie schnell, dass ich mich für einen besonderen Revolverschwinger hielt. Aber von dieser Sorte gab es eine Menge zwischen Mexiko und Kanada.
Der grauköpfige Frachtwagenboss aber sagte: »Sie würden dich töten, Junge. Ich möchte nicht, dass du meinetwegen stirbst.«
Da sagte ich: »Mein Name ist McGillen. Ich bin der Bruder von Wild Bill McGillen. Und ich bin noch schneller als er. Was zahlen Sie also, Mister?«
Sie dachten wieder nach – alle. Denn den Kriegsnamen meines großen Bruders hatten sie früher gehört. Es gab nur einen Wild Bill McGillen. Er gehörte zu den ganz großen Revolvermännern, die schon zu Lebzeiten Legende wurden. Und ich wollte noch schneller sein als er ...
Sie dachten darüber nach.
Der Frachtwagenboss sagte plötzlich: »Tausend Dollar zahle ich, McGillen!«
Als er es gesagt hatte, ließen sie ihn los. Er war ohnehin unbewaffnet und schwer angeschlagen. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Sie beachteten ihn nicht mehr.
Sie näherten sich mir.
Dann zogen sie.
Der große Mexikaner zog am schnellsten.
Aber ich schlug ihn glatt. Er war gegen mich nur zweitklassig. Ich schoss ihn ins Herz – da gaben die beiden anderen auf, bevor sie ihre Revolver hochschwangen. Sie wandten sich um und rannten davon.
Ich ließ sie laufen.
Es war so schon schlimm genug für mich.
Ich hatte meinen ersten Gegner getötet.
In diesem Moment hatte ich die Laufbahn eines Revolvermannes begonnen. Für Geld hatte ich meinen Colt einem anderen Mann geliehen.
Gewiss, ich hatte ein Verbrechen verhindert. Ich hatte einen Mörder getötet, dem ein Mann, aus dessen Rücken noch der Messergriff ragte, zum Opfer gefallen war. Aber ich hatte es für Geld getan, nicht aus Verantwortungsbewusstsein der menschlichen Gemeinschaft gegenüber, nicht aus christlicher Nächstenliebe.
Ich hatte ein Geschäft daraus gemacht.
Nun war ich ein Revolvermann.
Als ich zum Frachtwagenboss hinübersah, lehnte dieser am Hinterrad eines Wagens. Er sah zu mir her und nickte mir zu.
»Danke, mein Junge!«, sagte er. »Das war Rettung im letzten Moment. Der da ist Meeze Socorro. Auf seinen Kopf ist eine Belohnung ausgesetzt. Er hat meinen Revolvermann Dan Fisher in der Dunkelheit mit einem Messerwurf erledigt. Ich hätte nie gedacht, dass es so leicht wäre, mich in die Klemme zu bekommen. Ich zahle die tausend Dollar wirklich, mein Junge.«
»Ich bin nicht Ihr Junge«, sagte ich. »Ich bin Jesse McGillen. Und dass Sie mir die tausend Dollar wirklich zahlen, spricht nur für Ihre Menschenkenntnis.«
Er sah mich an und nickte. Ich sah in seinem Blick, dass er mir zwar dankbar war, dass ich ihm aber irgendwie leidtat.
✰✰✰
Als ich später wieder im Hotel war, schlief Ollie ruhig. Das Pulver hatte offenbar eine gute Wirkung.
Aber ich konnte nicht schlafen.
Ich erlebte immer wieder diesen Kampf. Ich musste fortwährend daran denken, wie ich zog und schoss und wie meine Kugel den Gegner mitten ins Herz traf. Wie er fiel und wie die beiden anderen Banditen, die zuvor noch hart und verwegen, gnadenlos und rau waren, vor Furcht fortliefen.
Ich spürte plötzlich ein stolzes Gefühl. Ich war nicht mehr der kleine, unwichtige Bursche, dem man nicht zutraute, dass er eine Ranch bewirtschaften und aus den Schulden bringen könnte. Ich war plötzlich ein Mann, der mit drei harten Banditen kämpfte und den Kampf gewann. Das gab mir Selbstvertrauen.
Aber in dieses Gefühl mischte sich Bitterkeit.
Ich hatte getötet. Und ich erinnerte mich an eines der Gebote, die uns unsere Mom lehrte: Du sollst nicht töten.
Aber ich hatte getötet – für Geld. Ich war gewissermaßen ein »Wolfsjäger« geworden. Doch meine Wölfe waren zweibeinig.
In dieser Nacht musste ich mit meinem Gewissen zurechtkommen.
Und ich fand eine Menge Entschuldigungen.
Ich glaubte damals fest, dass ich niemandem etwas schuldig sei. Im Gegenteil! Von mir konnte niemand erwarten, dass ich ein Heiliger war. Ich war ein zweibeiniger Wolf, der für seinen kleinen Bruder und für sich sorgen musste.
Und ich hatte nicht außerhalb des Gesetzes gehandelt.
Das war der große Trick, so fand ich damals, als ich neben meinem Bruder lag und auf das Ende der Nacht wartete.
Ich durfte mich niemals gegen das Gesetz stellen.
Dann konnte ich mit meinem Revolver Geld machen.
✰✰✰
Als ich am nächsten Morgen im Hotel-Restaurant beim Frühstück saß, kam Abe Samrock, der mir am Abend zuvor noch die tausend Dollar gegeben hatte. Er setzte sich wortlos zu mir und wartete, bis auch ihm die Bedienung das Frühstück brachte.
Immer wieder sah er mich prüfend an.
Dann sagte er: »McGillen, Sie haben einen kleinen Bruder. Er soll krank sein.«
Ich nickte. »Es geht Ollie besser«, murmelte ich und blickte Abe Samrock fest an. »Was wollen Sie von mir, Mister?«
»Ich brauche einen neuen Revolvermann«, sagte er. »Ich bin mit meinem Wagenzug ständig auf eigene Rechnung unterwegs und habe oftmals viel Bargeld bei mir. Ich brauche einen Mann, der darauf achtet, dass mir niemand die Haut abzieht – so wie man es gestern wieder versuchte. Ich brauche Ersatz für meinen bisherigen Leibwächter. Ich zahle zweihundert Dollar im Monat und freie Unterkunft und Verpflegung, wo wir auch sein mögen.«
Ich sah ihn an und schüttelte den Kopf.
»Es ist nicht genug«, sagte ich. »Ich will meinen kleinen Bruder in eine gute Schule schicken. In Boston. Das kostet an die dreihundert Dollar im Monat. Außerdem muss ich einige Rücklagen machen können. Unter fünfhundert Dollar kann ich nicht für Sie arbeiten, Mister.«
Er sah mich verblüfft an.
»Ich glaube, Sie überschätzen sich doch sehr, McGillen«, murmelte er. »Solch eine Summe verdiene nicht mal ich, wenn ich all meine Kosten abziehe. Dabei habe ich fast dreißig Leute und befördere mit meinem Frachtwagenzug oft bis zu hundertzwanzigtausend Pfund Fracht.«
»Aber keiner von den dreißig Männern stand Ihnen im richtigen Moment bei«, sagte ich. »Alle waren im Ort und betranken sich. Sie waren mit Ihrem Leibwächter allein im Camp. Sie sind zu Ihren Leuten zu großzügig und ...«
»Ach, sie hatten nach vielen Wochen mal etwas Zerstreuung verdient«, murmelte er und stand auf. »Sie fordern zu viel, McGillen«, sagte er dann. »Vielleicht genügte für Ihren kleinen Bruder auch eine etwas weniger noble Schule.«
»Nein«, sagte ich. »Es muss die beste sein. Und ich bekomme schon einen Fünfhundert-Dollar-Job.«
Er nickte.
»Viel Glück! Übrigens, der Storehalter ist hier ehrenamtlicher Marshal. Ich gab schon alles zu Protokoll. Gehen Sie hin und lassen Sie sich eine Bescheinigung geben – so eine Art Totenschein –, dass Sie Meeze Socorro erledigt haben. In Santa Fe gibt es eine Belohnung. Ich glaube, es sind fünfzehnhundert Dollar.«
Nach diesen Worten ging er. Ich trank noch einen Schluck Kaffee und überlegte, ob ich die Belohnung kassieren sollte. Es war Kopfgeld. Konnte Kopfgeld meinem kleinen Bruder Glück bringen?
Aber es war eine Menge Geld. Bekam ich es, besaßen wir zusammen mehr als dreitausend Dollar, denn siebenhundert hatten wir von Anfang an. Tausend erhielt ich von Abe Samrock.
Ich würde Ollie schon jetzt auf die Schule schicken, ein halbes Jahr Schulgeld im Voraus zahlen und ihm dazu noch ein gutes Taschengeld mitgeben können.
Das allein zählte für mich.
Einen Moment dachte ich daran, mit dem Geld auf die Heimatweide zurückzugehen und dort zu versuchen, unsere Ranch wiederzubekommen.
Aber ich gab den Gedanken bald auf.
Nein, unser Weg war jetzt schicksalhaft vorgezeichnet.
Ollie sollte größer werden, als er es auf der Ranch hätte werden können.
Ich wollte jetzt alles oder nichts.
✰✰✰
Ich blieb mit meinem Bruder Ollie noch drei Monate zusammen, und wir genossen jeden Tag, obwohl wir sehr sparsam lebten. Es war eine herrliche Zeit, während wir wie Satteltramps ritten, aber auch alle großen Städte besuchten, die an unserem Wege lagen: Santa Fe, Kansas City und zuletzt Saint Louis.
Wir hatten uns Bücher gekauft und unterwegs viel gelesen. In Saint Louis legte ich für uns auf der Bank ein Konto an. Ich hatte bereits an die Schule in Boston geschrieben und mich als reicher Rancher und Viehhändler ausgegeben, der viel unterwegs war und seinem kleinen Bruder eine gute Erziehung und Bildung geben wollte.
In Saint Louis lag die Antwort postlagernd.
Sie war positiv. Ollie durfte kommen. Man wollte ihn haben.
Wir machten noch eine Menge Einkäufe. Ich gab Ollie einen Scheck über achtzehnhundert Dollar und zweihundert Dollar in bar mit. Er hatte zwei Koffer bei sich und wusste genau, wie er fahren und umsteigen musste. Ich hatte keine Angst um ihn. Er wurde bald dreizehn Jahre alt und war für sein Alter sehr selbstständig. Er besaß genug Misstrauen gegen diese Welt und wusste, dass sie ihm eher feindlich als freundlich gesinnt war. Er wusste, was er wollte.
So nahmen wir Abschied.
Wir weinten nicht, aber wir konnten kaum sprechen. Wir drückten uns die Hände. Dann musste Ollie einsteigen, und der Zug dampfte davon.
Von der Plattform des Wagens drang Ollies Stimme durch den Lärm: »Jesse! Hoiii, Jesse! Pass auf dich auf, Jesse!«
Ich grinste und winkte zurück.
Ich war allein.
Und jetzt musste ich Geld verdienen. Fünfhundert Dollar im Monat.
Ich glaubte, dass es leicht sein würde.
Konnte ich nicht jeden Revolvermann schlagen?
War ich nicht schneller als alle?
Oh, ich war noch jung und voller Selbstvertrauen. Ich musste mir erst noch die Hörner abstoßen und einige Lektionen lernen. Ich war noch längst kein narbiger Wolf mit einem reichen Schatz an Erfahrungen. Ich war ein Jungwolf mit guten Anlagen – doch mehr nicht.
Schon bald erhielt ich die erste bittere Lektion.
✰✰✰
Zuerst sah alles recht gut aus.
In einem der Spielsaloons traf ich auf einen berufsmäßigen Spieler, der in der Klemme saß. Die Sache war meinem ersten Erfolg sehr ähnlich.
Aber diesmal war es kein Frachtzugboss. Es war ein Spieler, der eine ganze Nacht erfolgreich andere Spieler ausnahm.
Nun war die Nacht fast beendet und er wollte aufhören.
Ich hörte ihn an seinem Spieltisch sagen: »Gents, wir hatten ausgemacht, bis in die zweite Morgenstunde zu spielen, ganz gleich, wie das Spiel verlaufen sollte. Jetzt ist schon die dritte Morgenstunde herum. Ich höre auf. Es tut mir leid, aber ich passe endgültig, Gentlemen.« In seiner Stimme lag kalte Wut und ein Klang von bitterer Resignation.
Ich schaute den Spieler an. Er war ein eleganter Kartenhai mit einem blassen, übernächtigten Gesicht. Seine Augen brannten, seine Augenlider zuckten. Er strich sich fortwährend über Stirn und Augen, als wolle er so die Müdigkeit fortwischen.
Seine Mitspieler waren Männer vom Fluss, hartgesottene Burschen, die sich im harten Leben auskannten. Sie betrachteten ihn so gnadenlos wie Geier einen verendenden Wolf.
Einer sagte: »Mann, Sie haben so viel gewonnen, dass Sie uns bis in die Hölle und zurück Revanche geben müssen. Hier wird nicht gekniffen. Hier wird gespielt.«
»Aber ich kann nicht mehr«, sagte der Spieler. »Der Kaffee, den ich mir kommen ließ, um munter zu werden, bekam mir nicht. Vielleicht war etwas darin, was nicht in einen Kaffee gehört. Ich kann kaum noch richtig sehen. Ich passe.«
»Nein, wir spielen«, sagte der Sprecher. Ich hielt ihn für einen Kapitän oder Flusslotsen. Wenn er ein Kapitän war, so machte er mit seinem Schiff gewiss miese Geschäfte. Das traute ich ihm zu. Er hatte einen Burschen bei sich, der nicht viel älter war als ich und wahrscheinlich sein Leibwächter war.
Ich trat einen halben Schritt näher an den Berufsspieler heran und fragte: »Mister, brauchen Sie Hilfe?«
Sie sahen sich alle nach mir um oder starrten zu mir hoch.
Ich erwiderte die Blicke und grinste.
»Nun, wie ist es, Mister? Brauchen Sie Hilfe gegen diese miesen Vögel?«, fragte ich nochmals.
Er zwinkerte mit den Augen.
»Ja«, sagte er. »Man tat mir was in den Kaffee. Dies ist ein Rattenloch. Wenn Sie gut genug sind, Junge, um mir hier herauszuhelfen, dann fangen Sie damit an. Vielleicht wird mir die frische Luft draußen etwas helfen.«
Ich grinste. »Was zahlen Sie, Mister? Ich will die Hälfte Ihres Gewinns. Sonst interessiert mich die Sache nicht.«
Noch immer starrten mich alle an.
Einige hielten mich gewiss für einen großspurigen Narren, der übergeschnappt war. Aber irgendwie witterten sie doch, dass ich gefährlich sein konnte.
Der Spieler, dem immer übler wurde, griff verzweifelt nach dem rettenden Strohhalm.
»Gemacht, Texasjunge«, sagte er. »Bring mich hier raus. Dann teile ich meinen Gewinn mit dir. Bring mich hier raus, bevor ich von dem Zeug umkippe, das sie mir in den Kaffee taten.«
Ich nickte und wich etwas zur Seite.
So hatte ich alle besser im Auge – auch den Mann hinter der Theke und die restlichen Gäste an den anderen Tischen. Aber der Saloon war nicht mehr besonders gefüllt. Die Nacht ging zu Ende.
Ein Dutzend harter Augenpaare starrte mich an.
Ich grinste scharf. Ich wusste, wie dabei meine Zähne in meinem dunklen Gesicht verwegen blitzten.
Ich sagte zum Spieler: »Kommen Sie, Mister. Niemand wird Sie hindern. Falls jemand Sie hindert, bekommt er von mir etwas verpasst.«
Er stand auf.
Aber ein anderer Mann am Tisch erhob sich ebenfalls. Er machte das mit einer leichten, gleitenden Bewegung. Als er sich mir zuwandte, hatte er seinen Colt schon schussbereit und drückte ab.
Doch ich hatte Glück – unheimliches, unverschämtes Glück. Seine Kugel fetzte nur in Rippenhöhe durch meine Kleidung und ritzte leicht meine Haut.
Dann traf ich ihn.
Und blitzschnell traf ich den Zweiten, der aufsprang und den Revolver auf mich richtete.
Dann hatten sie genug.
Sie wussten jetzt, dass sie mich mit ihren Schießeisen nicht schlagen konnten und ich mit jeder Kugel traf.
»Na schön«, sagte ich, »jetzt darf er wohl gehen, nicht wahr?«
Er kam, und er hatte seinen Spielgewinn, soweit er ihn nicht schon eingesteckt hatte, in seinen Hut gewischt. Der Hut war voller Geld. Es waren Goldstücke und Papiergeld.
Der Spieler ging schwankend und mühsam. Ich glaubte nicht, dass er betrunken war. Sie hatten ihm wahrscheinlich etwas in den Kaffee getan. Oder er war krank.
Er taumelte vor mir hinaus.
Ich winkte an der Tür noch mal mit dem Revolverlauf.
»Legt euch nur nicht mit mir an!«, sagte ich.
Dann folgte ich ihm.
Niemand kam uns nach. Keine Kugeln folgten uns.
Saint Louis war damals noch ein böses Nest. Wir befanden uns in einer miesen Hafengegend. Hier waren Kämpfe mit Colts oder Messern üblich. Auf Schüsse hörte man nicht. Und die Stadtpolizei konnte nicht überall sein.
»Wohin muss ich Sie bringen?«, fragte ich den Spieler, der wie ein Betrunkener schwankte. Die frische Luft half nicht viel.
Er gab mir den mit Geld gefüllten Hut.
»Ich habe eine Kabine auf der ›Mary Queen‹«, sagte er. »Wir müssen zum Hafen und gleich auf das Schiff. Hoffentlich ist es noch nicht abgefahren. Ich wollte dieser lausigen Bande da drinnen nicht sagen, dass ich bei Tagesanbruch mit einem Schiff nach New Orleans will. Bring mich an Bord und bleib bei mir, bis ich wieder in Ordnung bin, Partner. Geld haben wir ja genug.«
Nach diesen Worten, die er zuletzt nur noch lallte, fiel er beinahe um. Ich musste ihn wie einen Betrunkenen transportieren.
✰✰✰
Er kam erst am späten Nachmittag wieder einigermaßen zu sich.
Zuerst kroch er – mehr als er ging – zum Waschtisch und steckte seinen Kopf in die mit kaltem Wasser gefüllte Schüssel.
Nach einer Weile konnte er sich auf einen Stuhl setzen und mich ansehen.
Wir befanden uns in einer eleganten Luxuskabine. Die Tür zur benachbarten Kabine, in der ich wohnte, stand offen.
Der Spieler nickte mir zu, und er machte nicht den Fehler, mich Junge zu nennen. Er war überhaupt ein Mann, der sich auf Menschen verstand.
»Vielen Dank, Partner«, sagte er. »Ohne dich wäre ich aus dieser Rattenhöhle nicht herausgekommen. Man lernt nie aus. Sie taten mir etwas in den Kaffee. Er sollte mich nicht völlig einschläfern, ich sollte nur stumpfsinnig werden. Denn sie konnten mich beim Poker nicht schlagen. Ich spiele niemals falsch – wirklich nicht! Ich habe einen guten Instinkt, auf den ich mich verlassen kann. Doch sie wollten diesen Instinkt mit ihren Teufelstropfen lahm legen. Und dabei waren zumindest zwei von ihnen gute Spieler mit viel Kapital. Einer war der Kapitän von der ›Golden Lou‹, der andere ein reicher Baumwollpflanzer. Aber sie waren ebensolche Ratten wie die anderen. Na schön, hast du dir deinen Anteil aus dem Hut schon genommen, Partner?«
Ich nickte. »Die Hälfte von dreitausendsiebenhundertundfünfzig Dollar. Aber das war meine Hilfe wohl wert – oder?«
Er grinste schief und nickte.
»Was in meinen Taschen und im Geldgürtel war ...«, begann er.
»Ist immer noch drin«, unterbrach ich ihn.
Nun sah er mich ernst an.
»Ich werde allmählich alt«, murmelte er. »Ich könnte dich gebrauchen. Als eine Art Sekretär. Du müsstest nur aufpassen, dass ich immer mit heiler Haut davonkomme. Ich glaube, ich könnte dann in jeder harten Pokerrunde mitmachen. Bisher kniff ich oft. Mit dir als Trumpf im Ärmel könnte ich eine Menge mehr wagen.«
»Wie viel?«, fragte ich nur. Wieder grinste er. Er war noch etwas wacklig. Aber dann wiegte er seinen Kopf und sagte: »Es ist immer ein Risiko dabei, weil ich ehrlich spiele. Ich gebe dir ein Viertel meines Gewinns. Das sind manchmal tausend Dollar im Monat – manchmal aber nur dreihundert. Doch mit deiner Hilfe könnte ich auch mit miesen Vögeln spielen. Die spielen leichtsinniger und haben das Geld lockerer in den Taschen sitzen. Es könnte sein, dass du drei- oder gar viertausend Dollar verdienst.«
»Oder heißes Blei oder ein Messer bekomme?«
»Sicher«, grinste er.
Wir sahen uns an. Er gefiel mir irgendwie. Er war ein Hai. Er gebrauchte seinen Karteninstinkt und seine Menschenkenntnis. Er konnte sehr gescheit reden und sich für einen ehemaligen Offizier ausgeben. Er hatte auf jeden Fall eine Menge Bildung.
»Ich heiße Harry Clayborne«, sagte er.
»Ich bin Jesse McGillen«, murmelte ich. »Mein Bruder war ein ganz Großer unter den Revolverkämpfern im Südwesten.«
»Und wo ist er jetzt – dein Bruder?«, fragte er ernst.
Ich grinste bitter. »Einmal verlieren sie alle«, erwiderte ich.
Er nickte. »Das trifft auch für uns Spieler zu. Willst du also?«
Ich nickte. »Wir können es versuchen«, sagte ich.
✰✰✰
Das Leben auf dem Luxusschiff war schön. Für mich war alles neu. Ich war ja nur ein wilder Texasjunge aus den Comanchen-Hügeln, der zuvor nicht einmal eine große Stadt gesehen hatte.
Nun fuhr ich in einer Luxuskabine auf einem Saloondampfer den Mississippi hinunter.
In diesen Tagen lernte ich mehr als früher in Jahren. Ich machte unheimlich lange und große Schritte in ein anderes Leben.
Man konnte an Bord alles kaufen, was das Herz begehrte, und so besaß ich bald zwei erstklassige Anzüge, ein Dutzend Hemden und allerlei Zubehör. Harry Clayborne erklärte mir eine Menge – selbst solche Kleinigkeiten, dass man den untersten Westenknopf nicht zuknöpft.
Ich bekam an Bord ständig neue Menschen zu sehen, die ich studieren konnte.
Ich lernte also fortwährend. Ich hörte mir alle Gespräche an und merkte mir Redewendungen, die mir bis dahin unbekannt waren. Ich sah zu, wie die Gentlemen mit ihren Ladys verkehrten und wie sie sich benahmen.
Manchmal, wenn ich mich in einem der vielen Spiegel betrachtete, die überall im Schiff hingen, grinste ich mir zu. Ich sah prächtig aus – ein dunkler, großer, schlanker und geschmeidiger Bursche. Auf eine kühne und verwegene Art wirkte ich hübsch.
Viele Frauen und Mädchen sahen mich in diesen Tagen an, und viele lächelten mir zu. Obwohl ich noch zu unerfahren war, begriff ich, dass sie mich aufforderten, herausforderten, einluden.
Das Schiff war ein feudaler Amüsierpalast. Alles war elegant eingerichtet, und auf der Bühne traten erstklassige Künstler auf. Gute Kapellen spielten zum Tanz. Es gab Kronleuchter, Samt, Spiegel, Gemälde. Und die Bars waren das Nobelste, was man sich denken konnte.
In den Spielräumen ging es zu wie in geheiligten Räumen. Hier spielte man unter Gentlemen. Man zog sich deshalb doch die Haut ab, wo und wie es nur ging. Hier an den Spieltischen gab es keine Gnade. Hier bewiesen sie alle, dass sie mehr oder weniger harte Burschen waren, die – ging es um Geld und Erfolg – keine Gnade kannten.
Sie hatten nur gelernt, alles mit Stil und Niveau zu machen. Aber deshalb traten sie sich doch gegen die Schienbeine, drückten sich die Kehlen zu und betrogen den besten Freund mit dessen Frau.
Ich lernte in diesen Tagen schnell, dass diese glänzende und eindrucksvolle, diese scheinbar prächtige, noble und stilvolle Oberfläche eben nur eine Oberfläche war.
Es gab überall die gleichen Gauner.
Und je reicher sie waren, umso schlauer waren sie als Gauner oder hartgesottene Geschäftsleute.
Schon bald konnte ich neureiche Emporkömmlinge von echten Gentlemen unterscheiden. Denn ein paar echte Nummern gab es natürlich.
Auch mein Boss Harry Clayborne trat als echter Gentleman auf. Er sprach mit einem Akzent, als wäre er eben erst aus Old England gekommen. Er trug ein Monokel und gab sich wie ein ehemaliger Offizier der Königin von England.
Und er rasierte die Hammel ab.
Obwohl er ehrlich spielte, gewann er fast jede Nacht. Wir konnten uns also nicht nur die teuren Luxuskabinen und ein nobles Leben leisten, sondern auch noch eine Menge Rücklagen machen.
Harry Claybornes Spielkapital vergrößerte sich.
Ich brauchte auf dieser Fahrt als ein Leibwächter kaum in Erscheinung zu treten. Meinen Colt, den ich nun in einem Schulterholster trug – es war eine neue Waffe mit einem kurzen Lauf –, zog ich nur in meiner Kabine zur Übung. Da das Schulterholster mir ungewohnt war, übte ich jeden Tag eine geraume Weile.
Als wir nach den schönen Tagen und Nächten in New Orleans an Land gingen, war ich nicht nur an Erfahrung um zwei Jahre älter und reifer geworden – nein, ich war auch um fast tausend Dollar reicher. Denn so viel betrug mein Anteil am Gewinn.
Harry Clayborne grinste, als er mir das Geld zuschob.
»So einfach ist es nicht immer«, sagte er. »Dies hier war ein seriöses Schiff, dessen Reederei den besten Ruf besitzt. Sie hat noch ein halbes Dutzend solcher Schiffe. Aber man hat mich jetzt als einen Passagier registriert, der alle Nächte am Spieltisch verbrachte und viel Geld gewinnen konnte. Sie halten es jetzt für möglich, dass ich ein berufsmäßiger Spieler bin, der sich als Gentleman tarnte. Würde ich jetzt die Dummheit begehen, sofort eine Rückfahrt zu buchen und abermals die Nächte an den Spieltischen zu verbringen und überdies auch noch ständig gewinnen, so wäre ich für sie eines der schwarzen Schafe, die sie aussortieren. Ich müsste irgendwo an Land gehen oder bekäme Spielsaalverbot. Verstehst du? Auf allen Schiffen fahren berufsmäßige Kartenhaie. Sie tarnen sich gut – so wie ich. Und sie nehmen die reichen Passagiere aus. Die Reederei will ihre Passagiere schützen. Wir müssen die Rückreise auf einem anderen Schiff machen. Aber es gibt da üble Kästen, die aus ihren Spielräumen den größten Gewinn herausholen. Jesse, du wirst dir dein Geld noch verdienen müssen, glaub es mir.«
Ich nickte nur und grinste.
»Eines habe ich auf dieser Welt längst gelernt«, sagte ich. »Man bekommt nichts geschenkt. Man muss für alles den Preis zahlen – früher oder später.«
✰✰✰
Die »Louisiana Ann« war längst nicht so nobel wie das erste Schiff, mit dem wir den Strom heruntergekommen waren.
Sie war nichts anderes als eine schwimmende Spiel- und Amüsierhölle. Es waren mehr als drei Dutzend Mädchen an Bord, richtige Animiermädchen. Und die Passagiere waren zumeist Männer, die sich unterwegs auf der Reise vergnügen wollten.
Die Besatzung bestand aus Burschen, denen man ansah, dass sie hart und rau werden konnten.
Ich hatte von Anfang an kein gutes Gefühl.
Doch Harry Clayborne sagte: »Hier wird bis in die Hölle gespielt werden. Hier gibt es kein Limit. Wir haben mehr als ein Dutzend Burschen an Bord, die als Millionäre bekannt sind, reiche Kriegsgewinnler, die zumeist in Baumwolle machen. Aber auch einige Rinderkönige sind dabei, die bis nach Kansas fahren wollen. Ich sage dir, Jesse, dass wir auf dieser Fahrt mit einigem Glück fünfzigtausend Dollar machen können, denn im Spiel kann ich sie alle schlagen – alle! Ich weiß das. Ich kann ihr Blatt wittern. Ich spüre genau, wann sie bluffen. Die Frage ist nur, Jesse, ob wir mit solch einem großen Gewinn heil von Bord kommen. Das ist die Frage. Du wirst dein Geld hart verdienen müssen. Aber das ist dein Job, nicht wahr?«
»Ja, das ist mein Job«, sagte ich. »Und von fünfzigtausend Dollar bekäme ich ein Viertel. Dafür tue ich eine Menge.«
Als ich das sagte, dachte ich: Dann hätte ich Ollies ganze Ausbildung und Zukunft gesichert.
✰✰✰
Das Schiff war wahrhaftig eine schwimmende Spielhölle, und die Bankhalter, Kartenausteiler und Billardspieler, die für das Schiff spielten, waren Könner und Meister, die sich auf jeden Trick verstanden.
Es gab auserlesene Getränke und Speisen. Und es gab immer wieder zwischendurch tolle Darbietungen. Sie hatten Künstlerinnen aus aller Welt, die mit ihren Reizen nicht geizten. Deshalb hatten sie auch alle Luxuskabinen stets besetzt und immer genügend Fahrgäste an Bord, die ihr Geld verspielten.
Am Ende gewannen doch die Bankhalter, Kartenausteiler und Croupiers, die für das Schiff spielten.
Mit einer Ausnahme. Diese Ausnahme hieß Harry Clayborne.
Erst in diesen Tagen begriff ich, dass Harry Clayborne ein begnadeter Spieler war, wenn es so etwas überhaupt gab.
Harry Clayborne gewann.
Er konnte spielen, gegen wen er wollte – er gewann. Er schien tatsächlich irgendwelche geheimnisvolle Fähigkeiten zu besitzen, die ihn spüren ließen, ob seine Gegenspieler wirklich gute Karten hatten oder nur blufften. Sein Instinkt schien ihn untrüglich zu beraten, ob er passen sollte oder bis in die Hölle und zurück bieten konnte.
Das war unheimlich.
Auch den Leuten vom Schiff wurde es mit jeder Nacht unheimlicher. Aber sie ließen ihn gewähren und sogar ohne jede Beschränkung gegen die Spieler des Schiffes gewinnen.
Mich ließen sie nicht aus den Augen. Sie wussten längst, dass ich ein Revolvermann und sein Leibwächter war. Aber wahrscheinlich nahmen sie mich wegen meiner Jugend nicht ernst. Sie glaubten, dass sie von meiner Sorte ein halbes Dutzend an Bord hätten.
Manchmal zog mich einer dieser harten Hombres in ein Gespräch oder lud mich sogar zu einem Drink ein. Aber ich trank nicht, sondern nippte nur höflich etwas am Glas. Sie versuchten, meine schwachen Stellen zu ergründen, und sie setzten auch mehrmals Mädchen auf mich an – stets einen neuen Typ, wenn der vorherige keinen Erfolg hatte.
So versuchten es blonde, rote, schwarze, braune, große, kleine, mollige und schlanke Mädchen bei mir. Sogar Chinesinnen, Japanerinnen und ein paar gemischte Schönheiten waren dabei.
Sie wussten nicht, dass meine Schüchternheit mein bester Verbündeter war. Ich wusste nichts mit Frauen dieser Sorte anzufangen. Ich war noch ein dummer Jungwolf aus den Comanchen-Hügeln, der es plötzlich mit Pantherkatzen zu tun bekam und sich nicht richtig traute.
So konnte ich äußerlich kühl bleiben und den Anschein erwecken, ich wäre kalt und beherrscht und konzentrierte mich nur auf meine Aufgabe.
Wir hatten wieder zwei Kabinen nebeneinander, durch deren Verbindungstür wir uns gegenseitig besuchen konnten.
Immer dann, wenn wir übernächtigt aus dem Spielsaloon zurückkamen, setzten wir uns an den Tisch und zählten den Gewinn.
Oha, es war unheimlich! Manchmal hatten wir in einer Nacht bis zu dreitausend Dollar Gewinn.
Und da die Fahrt stromauf bis nach Saint Louis und von dort weiter hinauf bis nach Kansas City gehen sollte, würden noch viele Nächte vergehen. Stromauf dauerte die Fahrt viel länger.
Harry Clayborne grinste stets zufrieden.
»Wir sind hier an Bord in einem Wolfsbau, in einer richtigen Wolfshöhle«, sagte er. »Hier werden alle Burschen gerupft und verschlungen, die sich für hart und gut halten. Sie haben den ganzen Kahn davon voll. Aber wir sind die Ausnahme. Jesse, du musst nur aufpassen, dass sie uns nicht das Fell über die Ohren ziehen. Mir wird heiß und kalt vor Angst bei dem Gedanken, wie wir mit unserem Spielgewinn heil von Bord kommen sollen. Manchmal denke ich, dass wir einfach über die Reling springen sollten. Aber ich kann nicht schwimmen. Wir werden mehr als sechzigtausend Dollar mitnehmen, wenn es so weitergeht wie bisher. Das sind fünfzehntausend Dollar für dich. Aber es wird wahrscheinlich für dich sehr schwer werden.«
»Ich schaffe das schon«, sagte ich. »Sie halten mich hier nur für einen dieser wilden Jungs, für einen zweitklassigen Revolverschwinger. Doch ich kann es mit jedem Großen aufnehmen. Keine Sorge, Harry. Sagen Sie mir, wann und wo Sie von Bord wollen. Es klappt schon.«
Er sah mich nachdenklich an. Dann überlegte er.
»In einer Woche«, sagte er, »sind wir nur noch zwei oder drei Tagesfahrten von Saint Louis entfernt und müssen von Bord. Denn spätestens einen Tag vor Saint Louis werden sie uns erledigen und ausnehmen wollen. Sie nehmen uns gewiss nicht bis Saint Louis mit, weil es dort zu gefährlich werden könnte, uns ausgeraubt und tot über Bord zu werfen. Sie müssen gegebenenfalls sagen können, dass wir vorher schon ausgestiegen wären.«
Nun wusste ich Bescheid.
Ich richtete mich auf diesen Tag ein. Ich war noch aufmerksamer, wenn ich bei Tag und bei Nacht über das Deck und durch die Amüsier- und Spielräume ging. Ich trug außer meinem kurzläufigen Colt noch zwei Derringer bei mir – einen im Ärmel und einen im Stiefelschaft. Da ich aber die Hosen meines eleganten Anzugs über den Stiefeln trug, konnte ich an diesen Derringer nur langsam heran. Dennoch war er gewiss eine Lebensversicherung, denn man würde ihn durch Abtasten nicht so schnell finden können.
Ich wurde in diesen Tagen auch scheinbar leichtsinnig. Ich ließ mich mit einem der Mädchen ein, die mir immer wieder schöne Augen machten und Chancen gaben.
Oh, ich wusste Harry Clayborne sicher in seiner Kabine. Er war ja kein hilfloser Bursche, sondern konnte es durchaus mit harten Männern aufnehmen. Er war also nicht schutzlos.
Das Mädchen war nett, und ich glaubte, ich gefiel ihr wirklich. Aber als sie sagte: »Oh, du prächtiger Texas, mit dir möchte ich eine Weile zusammen sein. Das wäre recht einfach. Du brauchtest nur deinen Boss zu wechseln. Dann könnten wir zusammen in einer schönen Kabine ...« Da wusste ich Bescheid.
Ich grinste sie an und sagte: »Ich wechsle meinen Boss nicht, Honey. Deine Mühe war vergebens. Aber ich glaube, es hat dir dennoch etwas Spaß gemacht – oder?«
Sie betrachtete mich seltsam ernst. Gewiss war sie zwei oder drei Jahre älter als ich. An Erfahrung war sie vielleicht sogar doppelt so alt. Sie sah mich ernst und etwas traurig an.
»Texas«, sagte sie, »ich würde dir gerne helfen, heil davonzukommen. Aber du willst ja nicht. Ja, ich wollte dich auf unsere Seite ziehen. Ich mag dich wirklich. Denn bei dir spüre ich, dass du noch ein großer Junge bist. Ich mag solche große Jungs – wirklich! Für dich ließe ich eine Menge Burschen sausen. Ich habe dir also nichts vorgemacht. Das schwöre ich dir. Es könnte schön zwischen uns werden. Ich bin kein Animiermädchen. Ich singe und tanze auf der Bühne. Ich brauche mich nicht mit jedem Burschen abzugeben. Aber ...«
»... aber ihr verlangt, dass ich Harry Clayborne sitzen lasse«, unterbrach ich sie. »Er ist ein ehrlicher Spieler. Er gewinnt, ohne irgendwelche Tricks anzuwenden. Ihr gönnt ihm seinen hohen Gewinn nicht. Ihr lasst keinen Hammel ungeschoren von Bord. Ich muss ihm helfen. Katy, sag deinen Auftraggebern, dass ich kein Bluffer bin. Ich habe ein paar Männer im offenen Kampf getötet, gegen die die Jungs hier an Bord zweitklassig sind. Ich bin erste Garnitur – trotz meiner Jugend. Ich möchte hier nicht viele Tote an Bord zurücklassen. Sag es deinem Boss.«
Sie nickte nur.
Da ging ich schweigend aus ihrer Kabine.
Nun wusste ich genau, dass wir ohne Verdruss nicht vom Schiff kommen würden.
✰✰✰
Hinter der Ohio-Mündung – es war nach Mitternacht – liefen wir den Holzplatz von Nicolsons Bend an. In diesen hellen Mondnächten fuhr das Schiff den Strom hinauf wie bei Tag.
Ein paar Leute verließen das Schiff, und die Deckmannschaft begann, die Dampfwinde in Tätigkeit zu setzen, um Holz zu übernehmen.
Harry Clayborne hatte sich ziemlich spät entschlossen. Als er mir das Signal gab, zögerte ich. Aber dann nickte ich. Er brach sein Spiel ab. Wir gingen auf Deck.
Unser Geld trugen wir schon seit Tagen überall am Körper. Wir hatten nur große Banknoten bis auf weniges Kleingeld. Dennoch waren all unsere Taschen gefüllt, und wir trugen jeder zwei volle Geldgürtel auf der bloßen Haut um den Leib.
Als wir auf Deck traten, warteten wir, bis sich unsere Augen an das silberne Mondlicht gewöhnt hatten und die Schatten nicht mehr so undurchdringlich schienen.
Am Niedergang zum Hauptdeck stand ein Mann.
Er hatte seine linke Hand unter der offenen Jacke. Wahrscheinlich hielt er einen kleinen Revolver schussbereit.
Er fragte: »Wohin, Gents?«
»Ein wenig die Beine vertreten«, sagte ich. »Machen Sie Platz.«
Er gehorchte. Aber als wir an ihm vorbei waren, hatten wir ihn hinter uns. Und vor uns tauchten plötzlich drei oder vier seiner Kollegen auf. Der eine war der Erste Steuermann.
»Es darf niemand an Land«, sagte er. »Wir legen gleich wieder ab. Wir übernehmen nur etwas Holz.«
»Macht Platz, Jungs«, sagte ich ruhig.
Aber da griffen sie uns auch schon an. Sie hatten kurze Eisenstangen, die sie aus den Ärmeln holten. Es waren Totschläger, mit denen sie uns die Schädel einschlagen konnten. Mit einem Schlag konnten sie ein Handgelenk brechen.
Ich zauberte meine Waffe heraus.
Da bekam ich schon eine Kugel in den Rücken. Der Mann, der uns bei der Treppe vorbeigelassen hatte, war der Schütze.
Doch er war ein Stümper. Obwohl er sich nur drei oder vier Schritte hinter mir befand, traf er mich schlecht. Ich hatte mich für ihn zu schnell bewegt.
Ich wirbelte halb herum und schoss mit der Linken unter meinem rechten Arm hindurch. Ich traf ihn besser.
Und ich traf noch zwei weitere.
Einen Vierten traf Harry Clayborne, der ebenfalls eine Waffe gezogen hatte.
Aber dann hatten sie uns.
Sie waren in der Überzahl.
Wir hatten schon vier erledigt, und ich schaffte noch einen.
Dann explodierte mein Kopf. Wahrscheinlich war es einer dieser kurzen Eisenknüppel, der meinen Kopf von der Seite her traf.
Ich ging zu Boden, und da erwischte es mich nochmals.
Dann wusste ich nichts mehr.
Ich erwachte erst, als man mich ins Wasser warf und die Wellen des Schaufelrades mich gegen das Astwerk eines Baumes warfen.
An diesem Astwerk hielt ich mich fest.
Es gelang mir, mich etwas weiter auf den treibenden Baum zu ziehen, der mit voller Laubkrone im Strom schwamm. Er musste mit einem überhängenden Uferstück, das vom letzten Hochwasser unterhöhlt worden war, in den Strom gestürzt sein.
Es war meine Rettung. Die dichte, ausladende Krone verhinderte, dass er sich unter meinem Gewicht drehte und mich wieder abwarf.
Als ich endlich einigermaßen sicher oben lag, wurde ich wieder bewusstlos.
✰✰✰
Das Erwachen war für mich erbärmlich.
Ich lag im gelbweißen Sand des Flussstrandes, halb im Schatten grüner Uferbüsche. Die Sonne knallte vom Himmel, doch mein Oberkörper lag im Schatten.
Um mich herum hockten ein paar Männer.
Keiner war reinblütig. Alle hatten irgendeine Farbe oder sogar zwei in ihrem Blut.
Es waren Leute vom Fluss. Sie wirkten auf mich fast wie Piraten. Manche trugen Ohrringe, und alle waren tätowiert. Sie hockten um mich herum wie Geier um ein sterbendes Wild. Ihre funkelnden Augen betrachteten mich mitleidlos.
Da grinste ich, so gut ich konnte. »Compadres, bin ich noch auf Erden, oder seid ihr das Begrüßungskomitee der Hölle?«
Ich hatte sie Compadres genannt. Das gefiel ihnen. Und vielleicht gefiel ihnen auch, dass ich sie nicht für Engel hielt.
Jedenfalls grinsten sie.
Einer sagte: »Bist du sicher, dass es zwischen der Erde und der Hölle einen Unterschied gibt, Bruder?«
Ich setzte mich langsam auf und hielt mir den schmerzenden Kopf.