G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 49 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 49 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

3 spannende Westernromane lesen und sparen!

G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!

Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2494 bis 2496:

2494: Townwölfe
2495: Sein Name ist Fess Mackay
2496: Titanenfehde

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 455

Veröffentlichungsjahr: 2022

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G. F. Unger
G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 49

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covermotiv: © Faba/Norma

ISBN: 978-3-7517-3008-2

www.bastei.de

www.sinclair.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 49

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

G. F. Unger Western-Bestseller 2494

Männer der Weide

G. F. Unger Western-Bestseller 2495

Die Jones-Brüder

G. F. Unger Western-Bestseller 2496

Chaccos Krieg

Guide

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Contents

Männer der Weide

Mit fünfzehn Jahren ist er davongeritten. Jetzt, zehn Jahre später, kommt er in die Heimat zurück. Was können zehn Jahre aus einem jungen Burschen machen? Für Matt Oarson waren es zehn raue Jahre – eine lange Zeit, die ihm wie ein ganzes Menschenalter erscheint – und die ihn zu einem Revolvermann gemacht hat.

Revolvermann! Ein anrüchiges Wort ist das.

Vielleicht hätte sein harter Vater ihn anders anpacken müssen – aber vielleicht hätte auch das die Dinge nicht aufgehalten. Vielleicht ist es sein Schicksal, immer reiten zu müssen und die Unruhe des Blutes zu spüren wie ein Zugvogel. Matt Oarson sitzt auf einem großen Rappwallach und er ist selbst ein großer Mann. Seine Bewegungen sind glatt und geschmeidig. Alles an ihm erscheint wunderbar eingespielt. Auf seinem Gesicht haben die harten Kämpferjahre ihre Zeichen hinterlassen. Und am ganzen Körper trägt er noch die Spuren aus jener Zeit, da er ein Junge unter rauen und wilden Männern war und sich erst einen Platz unter ihnen erobern musste.

Eines Tages kamen dann bestimmte Nachrichten aus dem Long Rim Valley zu ihm. Da fühlte er, dass er heimreiten musste.

Nun hält er auf seinem großen Rappwallach oben auf einer Kehre des Passweges und späht in das Tal hinunter ...

Es ist ein mächtiges Tal, und es krümmt sich wie ein Bumerang und endet vor dem mächtigen Long Rim, dessen gewaltige Westflanke von engen und tiefen Schluchten und schmalen Canyons durchbrochen wird. Alle diese Schluchten und schmalen Canyons führen zu den Hochtälern hinauf.

Matt Oarson sieht auch die kleine Stadt an der Krümmung des Tales. Valley Bend scheint in den vergangenen zehn Jahren nicht größer geworden zu sein.

Nachdenklich späht er über das Tal und zu einer mächtigen Bergfalte hinüber. Die Entfernung ist weit, doch die Luft ist klar. Ganz winzig und klein erkennt er die Gebäude der Oarson Ranch. Und er weiß, dass dort sein harter Vater und die Schwester leben.

May muss jetzt fast zwanzig sein, und ich wette, sie ist jetzt so schön wie unsere Mutter, denkt er.

Dann reitet er weiter, bezwingt die nervöse Ungeduld und behält ein langsames Tempo bei. Die letzten Jahre haben ihn gelehrt, dass ein Mann mitunter geduldig sein muss.

Eine Stunde später erreicht er den Grund des Tales. Der Passweg vereinigt sich hier mit einem anderen Weg zu einer staubigen Straße. Nach zwei Meilen windet sich die Straße um ein Gehölz und führt schnurgerade auf den Ort zu. Als Matt Oarson um die Biegung reitet, sieht er plötzlich zwei Reiter vor sich, die auch zur Stadt reiten. Er befindet sich nur eine halbe Meile hinter ihnen und kann sie gut im Auge behalten.

Langsam holt er auf, obwohl Black Eagle nur im leichten Trab läuft und sich überhaupt nicht anstrengt. Bald befindet er sich nur noch fünfzig Yards hinter den beiden Reitern. Der kleinere Mann sieht jetzt über die Schulter und sagt dann etwas zu seinem Partner. Dann verhalten sie ihre Pferde, wenden sie halb und warten.

Matt Oarson sieht in zwei scharfe und hohlwangige Gesichter. Die beiden Burschen sind arg abgerissen. Sicherlich haben sie auch gewaltigen Hunger. Aber sie haben kühle und ruhige Augen und einen festen Blick, wie ihn Männer haben, die über einen Stolz verfügen.

Er sieht ihre schlechten und müden Pferde, ihr geflicktes Sattelzeug und ihre zerrissenen Stiefel. Sie haben beide keine Gewehre bei sich. Der größere Bursche hat seinen Colt im Hosenbund stecken.

Satteltramps – oder Cowboys, die in einer Pechsträhne stecken, denkt Matt und verhält sein Pferd.

»Hallo«, grinst ihn der kleine Rotkopf an, dem man auf eine Meile den kratzbürstigen Irländer ansieht. »Ist das Valley Bend da vor uns?«

Matt Oarson nickt und holt seinen Tabaksbeutel hervor.

Die Augen der beiden Reiter funkeln sofort begierig, aber dann blicken sie beide wie auf Kommando in eine andere Richtung.

Der größere Bursche knurrt missmutig: »Mir ist es verdammt egal, wie dieses Kuhnest da vorn heißt. Ich frage mich nur, ob unsere Böcke die sieben oder acht Meilen bis dahin noch schaffen.«

Der andere brummt: »Sie schaffen es, denn sie stammen von den Ziegen ab – und die sind zäh. Reiten wir, Jorge! Vielen Dank für die Auskunft, Mister.«

Nach diesen Worten müssten sie eigentlich wieder weiterreiten, aber sie machen dennoch keine Anstalten dazu. Matt Oarson, der sich inzwischen mit zauberhafter Fertigkeit eine Zigarette gedreht und angeraucht hat, hört deutlich, wie sie gierig den Tabakrauch einsaugen.

Er lächelt unmerklich.

»Mein Tabak ist trocken geworden. Es ist Zeit, dass er alle wird. Wie wär's?«

Sie grinsen ihn hungrig an. Und der Kleine knurrt gedehnt: »Wir sind zwar nur den allerbesten Tabak gewöhnt, aber bevor Sie ihn wegwerfen – man soll auf dieser Welt nichts verkommen lassen!«

Mit schnellem Griff fängt er den Beutel auf und dreht sich eine Zigarre, ja, so dick ist das Ding! Sein Partner folgt seinem Beispiel. Dann gibt er den Beutel dem Kleinen zurück und knurrt: »Du tust jetzt das geklaute Zeug wieder hinein, Mike. Ich schäme mich immer mehr, mit dir zu reiten. Du wirst nie ein anständiger Kerl werden. Los!«

Der Rotkopf wird feuerrot im Gesicht. Seine tausend Sommersprossen werden mit einem Mal unsichtbar. Und er öffnet die Hand, in der eine Menge Tabak liegt, die er beim Zigarettendrehen unbemerkt darin verborgen hat. Vorsichtig schüttet er den Tabak in den Beutel zurück, bindet ihn zu und wirft ihn in Matt Oarsons Hand.

Sein Gesicht ist immer noch tiefrot.

»Danke, Jorge«, knurrt er bitter, »du hast mich eben wieder vorm Fegefeuer bewahrt. Es gibt nichts Besseres auf dieser Welt als einen wahrhaftigen Freund.« Und zu Matt Oarson gewandt sagt er zerknirscht: »Spucken Sie mich ruhig an, Mister!«

Matt Oarson lächelt nur. »Fang auf!«, ruft er plötzlich scharf und wirft ihm den Beutel zu. Der Kleine schnappt instinktiv zu.

Matt Oarson reitet schnell davon.

»He, Mister! Das geht nicht, Mister! Verdammt noch mal, ich kann auch noch einige Jahre ohne Tabak auskommen!«, brüllt ihm der Kleine nach.

Als Oarson sich umsieht, sieht er, wie der Lange dem Kleinen den Beutel aus den Händen reißt.

Lachend reitet er weiter und lässt die beiden halb verhungerten Burschen, die sicherlich in eine schlimme Pechsträhne geraten sind, schnell zurück.

✰✰✰

Valley Bend ist nicht größer – nur zehn Jahre älter geworden. Auch die Menschen sind älter geworden. Matt Oarson sieht den Schmied im Hof an einem Wagen arbeiten. Sein Haar ist grau, und er bewegt sich nicht mehr so kraftvoll.

Der Pik Ass Saloon hat immer noch die falsche Fassade als zweites Stockwerk, doch einen neuen Anstrich und unter dem vorspringenden Dach ein neues Schild.

Der dicke Barbier steht in der Tür seines Ladens und sieht ihn abschätzend an. Matt Oarson weiß, dass man ihn niemals erkennen kann. Als er vor zehn Jahren ausriss, war er ein magerer Junge, jetzt bringt er hundertachtzig Pfund auf die Waage. Sein Gesicht hat sich durch Kampfspuren sehr verändert.

Er reitet in den Mietstall.

Der alte Jeff Jenkins tritt ihm entgegen.

»Ich versorge das Tier selbst, Jeff«, sagt Matt Oarson.

Der Alte starrt ihn aus zwinkernden Augen an und macht ein nachdenkliches Gesicht, als ob er mühsam in Erinnerungen suchte.

»Woher kennen Sie mich, Fremder?«

»Ihr Name steht über der Stalltür«, lächelt Matt Oarson.

Der Alte blickt prüfend auf die betreffende Stelle.

»Die Schrift ist arg verwaschen, Sie müssen gute Augen haben, Fremder. Überhaupt, ich muss Ihre Augen schon einmal gesehen haben. Na, vielleicht fällt es mir noch ein. Kommen Sie!«

Er führt Reiter und Pferd in den langen Stall und deutet auf eine Box. »Hier. Da steht die Futterkiste. Das Heu liegt hinten.«

Matt versorgt das Pferd.

»Wollen Sie Ihren Colt gegen gutes Geld vermieten?«, fragt der Alte plötzlich.

Matt Oarson unterbricht seine Arbeit und wirft den Strohwisch weg, mit dem er sein Pferd abgerieben hat.

»Was ist hier los?«

»Als ob Sie das nicht wüssten, Fremder.«

»Ich habe nur einige Gerüchte unterwegs gehört.«

»Dann wissen Sie, dass sich hier in allernächster Zeit gute Coltmänner einen hohen Revolverlohn verdienen können. Wenn ich es mir so recht bedenke, hat Dirk Oarson wenig Chancen, obwohl er seine letzten Dollars zusammenkratzt, um die angeworbenen Schießer ...«

Der Alte verstummt plötzlich und wendet sich ab.

»Ich führe nur einen Mietstall«, brummt er und entfernt sich in den hinteren Teil des Stalles.

Matt Oarson steht eine Weile regungslos. Soeben hat er den Namen seines Vaters gehört. Und Dirk Oarson scheint wirklich arg in der Klemme zu stecken.

»Vielleicht sind meine rauchigen Jahre doch nicht nutzlos vertan«, murmelt er. »Ich habe immerhin kämpfen gelernt. Nun, wir werden sehen.«

Er nimmt sein Bündel, klopft seinem Pferd noch einmal auf die Hinterhand und verlässt den Stall.

Matt Oarson geht langsam zum Hotel hinüber. Vor dem Eingang stehen zwei Männer. Am Haltebalken ist ein leichter Zweispänner, und dahinter stehen eine Anzahl Sattelpferde.

Matt Oarson geht um den Wagen herum. Er wirft einen Blick auf die Flanken der Pferde und erkennt sofort das Brandzeichen der Oarson Ranch.

Also gehört der Wagen meinem Vater, denkt er. Er bückt sich unter dem Geländer hindurch. Als er sich auf dem Brettergehsteig aufrichtet, fühlt er die Blicke der beiden Männer fast körperlich.

Er sieht sie hart an und geht auf sie zu.

»Ich möchte hinein«, sagt er sanft.

Die beiden Männer bewegen sich nicht.

»Warten Sie«, murmelt der eine und bewegt dabei kaum seine schmalen, blutleeren Lippen.

Im selben Moment kommt ein junges Mädchen aus dem Hotel.

Und ein großer, hagerer, weißhaariger Mann humpelt an einem Krückstock hinterher.

Es trifft Matt Oarson wie ein Schlag. Unwillkürlich lässt er sein Bündel fallen.

Er hat schon in der ersten Sekunde erkannt, was die letzten Jahre aus seinem Vater gemacht haben.

Das ist nicht mehr der große, mächtige und harte Dirk Oarson, der mit einem Faustschlag einen Jungstier fällen und das wildeste Pferd brechen konnte. Das ist nicht mehr der harte Mann, der drei Tage im Sattel sitzen konnte und der keinen Gegner zu fürchten brauchte.

Dirk Oarson war einst ein mächtiger Mann, der in diesem Tal einen großen Schatten warf und lange Schritte machte.

Und jetzt gleicht er einem ausgehöhlten und morschen Baum, den schon der nächste Sturm umwerfen kann.

Matt Oarson erkennt dies mit einem Blick, und deshalb erschrickt er so sehr und lässt sein Bündel fallen.

Die beiden hartgesichtigen Männer reagieren jedoch auf besondere Art. Sie wirbeln herum, greifen nach den Colts und erkennen erst dann, dass Matt Oarson nichts Böses im Sinn hat.

Auch der Alte bleibt stehen.

»Was ist?«

Am Klang der Stimme erkennt Matt, dass in seinem Vater doch noch einige Härte vorhanden ist. Sein Körper mag wohl nichts mehr taugen, aber seine grimmige Energie ist noch vorhanden.

»Weiß nicht, Boss. Er zuckte plötzlich zusammen und ließ sein Bündel fallen. Aber sehen Sie ihn sich an – das ist wieder einer von der Sorte, die bald auf Wayne Tucks' Lohnliste stehen werden.«

Der scharfäugige Mann mit den blutleeren Lippen murmelt die Worte und lässt Matt Oarson dabei nicht aus den Augen.

»Schon gut«, murmelt der Alte. »Hier in der Stadt lässt Tucks noch nicht auf mich schießen – noch nicht!«

Er sieht Matt an.

Der erwidert den Blick ruhig, obwohl in seinem Innern viele Gefühle sind.

Einen Moment blitzt auch ein seltsamer Funke in den staubgrauen Augen des alten Ranchers, und er beugt sich etwas vor, um Matt genauer anzusehen.

Aber dann schüttelt er unmerklich den Kopf.

Er hat den Sohn nicht erkannt.

»Fremd hier?«, fragt er.

»Yeah«, sagt Matt rau.

»Suchen Sie Arbeit, Fremder?«

»Vielleicht, Mister.«

»Ich bin Dirk Oarson. Sie werden genug von mir hören. Meine Mannschaft ist noch nicht groß genug. Ich nehme jeden guten Mann für gutes Geld. Denken Sie daran, Fremder. Wie heißen Sie?«

»Kinney, Matt Kinney«, sagt Matt ruhig. Und dies ist der Name, unter dem er sich einen gewissen Ruhm und Ruf verschafft hat. Als er damals fortging, nahm er diesen Namen an.

Die beiden Leibwächter seines Vaters zucken zusammen.

»Oha, Boss! Jetzt kommen schon die ganz großen Coltschwinger ins Tal«, knurrt der Mann mit den blutleeren Lippen und tastet Matt mit vorsichtiger Achtsamkeit ab.

Dirk Oarsons Gesichtsausdruck wird bitter.

»Wenn Sie Matt Kinney sind, werde ich Sie nicht bezahlen können«, murmelt er und steigt mit Hilfe des Mädchens in den Wagen.

Sie hat sich zurückgehalten und stumm gewartet. Jetzt kann Matt sie genau ansehen und betrachten.

Es ist seine Schwester May. Und sie ist schön geworden. Sie ist frisch, jung, sauber und stolz.

Die beiden Leibwächter verlassen den Gehsteig und schwingen sich auf zwei herrliche Pferde. Matt beachtet sie nicht. Er sieht nur die Schwester an. Sie spürt seinen Blick, denn nun hebt sie den Kopf und blickt ihn voll an.

Er nimmt langsam den Hut ab und nickt ihr zu.

Und da sieht er, wie sich ihre Augen weit öffnen. Ihr Mund will einen Ruf ausstoßen, aber sie beißt sich auf die rote Unterlippe und legt mit einer schnellen Bewegung ihre schlanke Hand auf ihr Herz, als würde es zu heftig klopfen und Sprünge machen, und sie müsste es festhalten.

Der Alte hat sich indes mit den Zügeln seines Gespanns zu schaffen gemacht. Nun fährt er an. Er schenkt Matt keinen Blick mehr. Die beiden Reiter wirbeln hinter dem Wagen eine Staubwolke auf. Matt steht noch eine ganze Weile wie erstarrt. Dann setzt er langsam seinen Hut auf. Er fühlt, dass ihn die Schwester erkannt hat.

Er nimmt sein Bündel wieder auf und geht in die Hotelhalle. Ein langer und dünner Mann lehnt über dem Pult und mustert Matt Oarson aus schrägen Augen.

Matt nickt, dreht das Buch herum und trägt sich ein.

Matt Kinney, schreibt er hinein.

Der Lange dreht das Buch herum, liest den Namen und richtet sich dann in seiner ganzen Länge auf. Sein Gesicht nimmt den Ausdruck vorsichtiger Freundlichkeit an.

»Sind Sie der bekannte Matt Kinney?«, fragt er sanft.

»Ich weiß nicht, ob es noch andere Kinneys im Land gibt«, erwiderte Matt kurz und streckt die Hand aus.

Der Lange legt einen Schlüssel hinein.

»Zimmer drei, Mr Kinney.«

Matt nimmt sein Bündel auf und will sich der Treppe zuwenden, die im Halbdunkel des hinteren Raumes nach oben führt.

Im selben Moment kommt ein Mann hereingestürmt.

»Cleve«, ruft der Mann aufgeregt, »die Mackerson-Brüder sind wieder wild geworden! Sie haben den Long Rim Saloon gesäubert und für sich in Beschlag genommen. Wie die wilden Büffelbullen haben sie gehaust! Cleve, du bist der Town Marshal! Geh hin und bring sie zur Ruhe, bevor sie den ganzen Saloon abreißen!«

Cleve Rollis, so heißt der Hotelier, grinst seltsam. Und er sieht Matt dabei an. Dann senkt er den Blick und knurrt: »Ich bin kein Revolvermann, und ich möchte noch eine Weile gesund und lebendig bleiben. Wenn jemand meinen Stern haben möchte, so kann er ihn haben. Hier ist er!«

Er greift in die Tasche, bringt einen Marshalstern hervor und legt ihn aufs Pult.

Der andere Mann stößt einen Fluch aus und läuft wieder auf die Straße.

»Wer war das?«, fragt Matt ruhig.

»Hal Lindsey. Er kam vor fünf Jahren in die Stadt. Und er brachte viel Geld mit. Jetzt ist er Bürgermeister, und die halbe Stadt gehört ihm – auch der Long Rim Saloon.«

»Und wem gehört die andere Hälfte der Stadt?«, fragt Matt sanft.

»Mir«, sagt der Lange bescheiden. »Aber ich bin ein friedlicher Mensch ganz und gar kein Kämpfer. Ich habe aus purer Gutmütigkeit das Marshalamt übernommen. Die Zeiten werden jetzt rau und hart. Nun bin ich nicht mehr der richtige Mann für dieses Amt. Wollen Sie den Stern haben, Matt Kinney?«

Matt erkennt die lauernde Spannung in Cleve Rollis. Plötzlich begreift er, dass mehr hinter dieser Frage steckt.

»Nein«, sagt er. »Deshalb bin ich nicht hergekommen.«

»Es ist gut«, murmelt Cleve Rollis. »Ich dachte es nur – weil alles so schön passt. Nun, ich werde den Stern wohl behalten müssen, denn seit einiger Zeit gibt es keinen Mann in dieser Stadt, der ihn haben möchte. Weshalb sind Sie hier, Mr Kinney?«

»Sie fragen zu viel, Mister«, sagt Matt kurz. Er lässt sein Bündel neben dem Pult stehen und geht wieder auf die Straße hinaus.

Die Dämmerung hat sich auf die Stadt gesenkt.

Matt erreicht den Rand der Menschenmenge vor dem Saloon und bleibt am Geländer des Gehsteigs stehen. Dicht vor ihm halten zwei Reiter. Er erkennt sie sofort wieder. Es sind die beiden Satteltramps.

»Hallo«, sagt er. »Eure Pferde haben es also doch geschafft.«

Die beiden Burschen drehen sich um und erkennen ihn sofort.

»Ah, das ist der Tabakspender.« Der Rotkopf grinst und macht eine grüßende Handbewegung.

Sie sitzen ab, binden ihre Pferde etwas abseits an die Haltestange und kommen zu Matt auf den Gehsteig. Sie stellen sich neben ihn auf. Alle drei blicken nun über die Köpfe der Menschenmenge zum Saloon hinüber.

Dort fliegen soeben nacheinander drei Männer durch die krachende Schwingtür und landen auf dem Gehsteig oder gar im tiefen Staub der Fahrbahn.

»Ganz nett«, grinst der Ire neben Matt. »Wir sehen schon 'ne ganze Weile zu und begreifen die Sache immer noch nicht richtig.«

»Wir können ja mal jemanden fragen«, brummt sein langer Sattelgefährte, tritt zwei Schritte zur Seite und zieht einen kleinen Mann aus der Menschenmenge.

»Entschuldigen Sie, Mister, vielleicht sind Sie so freundlich und erklären uns mal die Sache.«

Das kleine Männchen grinst.

»Da kann ich den Gentlemen ganz genau Auskunft geben! Mein Name ist Dod Dod – Leichenbestatter – Luxussärge! Beerdigungen mit allem Komfort! Gentlemen, wenn Sie einen günstigen Vertrag abschließen möchten, so ...«

»Vielleicht informieren Sie uns erst einmal über den Sinn der Vorstellung da drüben«, unterbricht ihn der Lange ruhig.

»Aber sicher! Die drei Mackerson-Brüder sind vor einer halben Stunde in die Stadt gekommen, müssen Sie wissen! Es sind drei schlimme Männer! Brod Mackerson ist ein aufrecht gehender Elefant! Und sein Bruder Buster gleicht stets und immer einem gereizten Grizzly. Sie suchen immer Streit und haben den allergrößten Spaß daran. Sie wohnen weit oben in den Bergen und kommen nur selten unter die Menschen. Aber wenn sie auftauchen, so sind sie eine Plage Gottes! Ja, dann wäre noch der kleine Jake Mackerson! Der ist nicht größer und kräftiger als ich, aber er ist das reinste Gift! Auf zwanzig Schritt schießt er einem Mann eine Fliege von der Nasenspitze. Er hat das schon gemacht – nur so zum Spaß! Und die Nasenspitze gehört dem Sheriff selbst! Deshalb lässt sich der Sheriff auch so selten in diesem Teil des Countys blicken.«

»Well, und was ist jetzt im Saloon passiert?«, unterbricht der Rotkopf ungeduldig.

»Die Mackersons haben alle Gäste, die beiden Barmänner und die drei Rausschmeißer aus dem Saloon geworfen und feiern nun unter sich den Geburtstag ihres Bruders Jake. Der Saloon dort gehört unserem verehrten Bürgermeister Hal Lindsey. Ihm gehören auch die beiden anderen Saloons oberhalb der Straße und noch eine ganze Menge andere Geschäfte. Er hat sich aus den beiden anderen Saloons die dortigen Rausschmeißer geholt und sie hineingeschickt. Der Town Marshal hat es nämlich abgelehnt, sein Leben zu riskieren. Ja, Sie haben wohl eben gesehen, wie die drei letzten kampffähigen Männer Lindseys durch die Tür geworfen wurden. Die Mackersons sind nicht zu vertreiben. Hal Lindsey hat fünfhundert Dollar Belohnung für die Männer ausgesetzt, die seinen Saloon von den ungebetenen Gästen befreien. Aber es gibt keinen Menschen in dieser Stadt, der es mit den Mackersons versuchen würde. Und diese drei wilden Burschen wissen es ganz genau. Sie wissen auch, dass die Cowboy-Mannschaften der beiden größten Ranches nicht im Ort sind! Das ist alles, Gentlemen.«

»Danke, Mr Dod Dod! Wenn ich einmal sterben sollte, so wird mein Freund bei Ihnen den allerbesten Sarg kaufen. Nicht wahr, Mike?«

»Sicher, sicher, Jorge. Tausend Dollar wären mir nicht zu viel.«

Der kleine, drahtige und kratzbürstige Ire grinst grimmig.

Auch Matt, der bisher ruhig lauschte, lächelt. Die beiden verhungerten und abgerissenen Burschen gefallen ihm immer besser. Zumindest ertragen sie ihre Pechsträhne mit Humor.

Aber jetzt wird es ernst.

»Hast du gehört, Mike? Da sind fünfhundert Dollar zu verdienen. Es ist gerade so viel, wie wir für eine gute Reitausrüstung benötigen. Wir könnten uns auch die Haare schneiden lassen und pausenlos zwei Stunden lang essen. Dann wären wir wieder prächtig anzusehen und könnten uns nach Cowboyarbeit umsehen.«

Jorge murmelt diese Worte fast andächtig.

»Yeah, wenn wir wieder nett ausstaffiert sind, hält uns kein Rancher mehr für Satteltramps und Viehdiebe«, ächzt Mike ergriffen.

Plötzlich zieht er sich mit einem Ruck den Gürtel um zwei Löcher enger. »Gehen wir! Für fünfhundert Dollar würde ich einem Grizzly in die Nasenlöcher spucken und mit einem Kartoffelmesser bei ihm mein Glück versuchen. Komm, Junge! So schnell bekommen wir nie mehr wieder eine Chance!«

Er setzt sich in Bewegung. Matt scheint er vollkommen vergessen zu haben.

Aber Jorge streift ihn mit einem Blick.

»Mister, wenn es uns schlecht ergeht, so verkaufen Sie bitte unsere Ziegenböcke und bezahlen damit unsere Beerdigung. Ja?«

Er bückt seine lange und knochige Gestalt unter dem Geländer hindurch und folgt dem drahtigen Iren, der schon fast die Mitte der Fahrbahn erreicht hat.

Matt folgt den beiden Boys.

Mike und Jorge steigen schon die drei Stufen hinauf. Ein Mann drängt sich durch die Menge und ruft sie an. Sie wenden sich um.

»Sind Sie Mr Lindsey?«, fragt Mike.

»Ja!«, ruft dieser und will noch mehr sagen. Doch Mike ruft schnell: »Stimmt das mit den fünfhundert Dollar?«

»Ihr schafft es nicht! Und es ist eigentlich die Arbeit des Town Marshals!«, ruft Lindsey.

»Halten Sie die fünfhundert Böcke schon mal bereit!«, brüllt Mike wild und stößt die Schwingtür auf.

Sein langer Freund folgt ihm sofort.

Matt eilt über den Fahrdamm. Als er die Stufen erreicht, kommt Mike schon rückwärts durch die Tür getaumelt, setzt sich mit einem Krach auf die Bretter, springt wieder auf, als hätte er sich auf einen Dorn gesetzt, stößt einen heulenden Schrei aus und stürmt wieder hinein.

Matt folgt ihm. Und er gleitet so schnell vorwärts, dass die zurückschwingende Tür nur seinen Arm leicht streift.

Nicht weit von ihm steht ein männliches Ungetüm und schlägt gerade einen Schwinger, der gewiss Mikes Kopf abgerissen hätte. Doch der kampflustige Ire ist so flink wie ein Foxterrier. Die mächtige Faust des Riesenkerls radiert nur über Mikes roten Haarschopf, und der Kerl kommt von der Wucht des Fehlschlages ins Wanken und taumelt gegen einen Tisch.

Mike reißt einen Stuhl hoch.

Und er zerbricht ihn wahrhaftig auf dem runden Schädel Buster Mackersons. Ja, es muss Buster Mackerson sein, denn der andere Mann, der gerade mit Jorge beschäftigt ist, ist noch größer und massiger. Und es geht Jorge mehr als schlecht. Er bekommt jetzt einen Schwinger an den Kopf, der ihn über einen Tisch wirft. Jorges lange Beine zeigen einen Moment nach oben. Dann vollendet er seinen Salto, fällt dabei vom Tisch und bleibt zwischen einigen umgestürzten Stühlen regungslos liegen.

Brod Mackerson klatscht zufrieden in seine mächtigen Hände. Er ist breit und rund. Sein Oberkörper gleicht einem Fass, und seine Beine sind Säulen. Er ist bestimmt seine sechseinhalb Fuß groß. Ein menschliches Ungetüm von fast drei Zentnern.

Die tückischen und sehr kleinen Augen des Riesen sehen Matt an. Eine tierhafte Bosheit liegt in diesem Blick.

»Da ist ja noch ein Würstchen!«, rollt er kehlig und setzt sich in Bewegung.

Er muss dabei an dem taumelnden Bruder vorbei, auf dessen Schädel Mike soeben den zweiten Stuhl in Stücke schlägt. Er wirbelt herum, stößt Mike die Faust zwischen die Rippen und wendet sich wieder Matt Oarson zu.

Matt steht einen Schritt vor der Schwingtür. Er sieht dem Riesen ruhig entgegen. Er kennt die Mackerson-Brüder aus seiner Jungenzeit. Er ist ein oder zwei Jahre älter als sie. Schon damals als Knaben waren sie schlimme Burschen, die sich vor erwachsenen Männern nicht fürchteten und die mit ihrem eigenen Vater schlimme Dinge verübten.

»Bleib stehen, Brod! Oder ich zerschieße dir beide Fäuste!«

Er ruft es kurz, scharf und hart.

»Die Fäuste willst du mir zerschießen?«, grollt Brod Mackerson staunend und hebt sie hoch, ballt sie und zeigt sie Matt. Und die Handgelenke sind so stark, dass man sie nur mit zwei Händen umspannen könnte.

Er wendet leicht den Kopf und ruft: »Jake! Kann der meine Fäuste zerschießen?«

Matt Oarson gleitet vier schnelle Schritte zur Seite und stellt sich hinter einem Tisch an die Wand.

So hat er alle Männer besser im Auge. Brod Mackerson brummt unwillig und macht wieder zwei kleine und zögernde Schritte. Sein Bruder Buster geht bis zur Schwingtür, bleibt dort stehen und wendet sich Matt zu.

Sie tragen beide Colts, aber Matt glaubt nicht, dass sie es mit den Waffen austragen wollen.

Bei dem kleinen und verwachsenen Burschen, der wie ein böser Gnom auf dem Schanktisch sitzt, ist es anders. Durch seinen Stellungswechsel ist Matt nun in der Lage, auch Jake Mackerson sehen zu können.

Jake sitzt auf dem Schanktisch. In der Linken hält er eine halb volle Whiskyflasche. Die Rechte führt eine dicke Zigarre zum Mund. Jake hat krumme Beine, die in großen Stiefeln stecken.

Wie ein hässlicher Zwerg hockt er da oben, schief, mit einer Hühnerbrust, langgesichtig, mit glitzernden Augen und schief lächelndem Mund.

Er starrt bewegungslos zu Matt hinüber. Seine Stimme ist heiser und misstönig.

»Ja, Brüderchen, der zerschießt dir deine Fäuste! Hahaha! Da seht ihr es wieder, ihr beiden Muskelberge! Ihr habt die Kraft vieler Männer. Und ihr könnt die ganze Stadt einreißen! Aber wenn ein Mann kommt, der schnell und gut schießen kann, dann seid ihr verdammt hilflos. Yeah, der nette Onkel kann euch mit ein paar winzigen Bleikugeln erledigen. Da hilft euch eure ganze Stärke nicht! Hahaha, ihr Bullen. Ich möchte wissen, was ohne mich aus euch werden würde. Ich kleiner Gartenzwerg bin auf meine Art besser als ihr beide zusammen.«

Er springt plötzlich vom Schanktisch, schnellt wie eine verwachsene und krumme Katze auf den Boden und macht einige Schritte.

Matt Oarson begreift eine Menge.

Dieser verwachsene, hässliche Jake Mackerson hasst die ganze Welt. Und er hasst gewiss auch die eigenen Brüder wegen ihrer Stärke. Vielleicht verleitet er sie stets zu wilden Kämpfen, um sich dann mit seiner Schießkunst produzieren zu können – und die Brüder zu demütigen.

Jetzt scheint solch eine Gelegenheit gekommen zu sein.

Jake bleibt hinter einem Tisch stehen. Er ist so klein, dass nur noch Brust und Kopf zu sehen sind.

»Wer hat dich hergeschickt?«, fragt Jake Mackerson lauernd.

»Ich habe den ganz persönlichen Wunsch, euch auf die richtige Größe zurechtzustutzen«, erwidert Matt sanft.

Jake bleckt die gelben Pferdezähne.

»Sag es lieber! Wenn dich Lindsey nicht geschickt hat, muss ich dich töten!«

»Ich weiß.« Matt lächelt. »Lindsey will den Marshalstern nicht mehr auf Cleve Rollis' Weste sehen und einen seiner eigenen Leute damit schmücken. Deshalb macht ihr hier das Theater. Und er macht draußen das gleiche Theater. Feiner Trick! In der nächsten Bürgerversammlung setzt sich Lindsey durch!«

»Dann hat er dich also doch geschickt – und die beiden Tramps da?«

»Die wollen sich nur fünfhundert Dollar verdienen, die Lindsey ausgesetzt hat, um seine Not und die Unfähigkeit des Marshals noch mehr zu dokumentieren. Und ich helfe ihnen dabei, weil sie prächtige Burschen sind. Ihr habt euch nicht ausgerechnet, dass es in dieser Stadt wirklich noch Männer geben könnte, die euch die Flügel stutzen. Wir spielen nicht Lindseys Karten. Wir machen Ernst. Es ist kein Platz für euch unter ordentlichen Menschen. Ihr solltet alle drei in einen Zwinger gesperrt werden. Wie wilde und böse Tiere.«

Matt stößt die letzten Worte scharf hervor.

Die beiden Riesen heulen auf und bahnen sich einen Weg durch die Tische und Stühle. Jetzt sind sie nicht mehr zu halten. Matt beachtet sie vorerst nicht. Bis sie bei ihm sind, vergehen noch drei bis vier Sekunden. Das ist eine lange Zeit für einen schnellen Revolvermann.

Matt sieht in Jake Mackersons Augen das feurige Aufblitzen. Der kleine und gefährliche Zwerg ist jetzt bereit und will töten. Matt sieht die schmalen Schultern zucken.

Und er schnappt nach dem Colt.

Da ruft eine harte Stimme: »Halt!«

Und zugleich kracht ein Schuss. Die Kugel stößt Jakes Hut nach vorn, sodass die Krempe seine Augen verdeckt und ihm die Sicht nimmt.

Jake erstarrt und wirft beide Hände hoch. Dabei ruft er scharf und schrill seinen Brüdern zu: »Hört auf, Brüder!«

Diese verhalten, als wären sie gegen eine unsichtbare Mauer gerannt. Sie sind nur noch zwei Schritte von Matt entfernt, aber die schrille Stimme ihres verwachsenen Bruders stoppt sie ab. Sie sind daran gewöhnt, dass er für sie denkt und die Befehle gibt.

Jake Mackerson bietet einen lächerlichen Anblick.

Vor Wut zitternd steht er mit erhobenen Händen hinter dem Tisch. Die Kugel von hinten hat seinen Hut bis auf die Nasenspitze gestoßen. Er sieht nichts. Und deshalb gibt er auf.

Matt Oarson hat seinen Colt zauberhaft schnell gezogen und will gerade abdrücken, als der Ruf ertönt. Nun sieht er an Jake Mackerson vorbei.

Der rotköpfige Ire steht dort in den Trümmern von Tischen und Stühlen. Ja, Mike hat gerufen und geschossen.

Er grinst.

»Oha, Kamerad«, sagt er zu Matt Oarson, »wenn ich gewusst hätte, wie schnell du den Colt ziehen kannst, hätte ich mich nicht eingemischt. Denn ich glaube nicht, dass mir der Wurzelzwerg für die Rettung seines Lebens dankbar sein wird!«

Er steigt über die Trümmer hinweg und schiebt den Colt in den Gürtel. Es scheint ihm vollkommen zu genügen, dass Matt seine Waffe in der Hand hat.

Er tritt hinter den Kleinen und nimmt dessen Colts aus den Holstern. Er wirft die Waffen weit durch den Raum in eine Ecke. Dann durchsucht er den kleinen Jake schnell und gründlich.

»Seht euch das an!«, ruft er zufrieden und bringt nacheinander einen stupsnäsigen Colt, einen Derringer und zwei Wurfmesser zum Vorschein.

»Der hat sich wirklich prächtig ausgerüstet!«

Auch diese Waffen wirft er in die Ecke. Dann tritt er hinter die beiden Riesen. Buster Mackerson ruft kehlig und rau: »Jake! Oh Hölle, Jake! Sollen wir wirklich nicht kämpfen? Ich will lieber sterben, als dass ich ...«

»Halts Maul!«, schrillt Jakes Stimme dazwischen. »Du siehst doch wohl, dass ich nichts sehen kann. Und der Große ist mit seiner Kanone bestimmt nicht langsamer als ich! Wir haben verloren! Das müssen wir schlucken – oder es wird noch schlimmer für uns. Denkt doch an den Rotkopf, der hinter euch steht. Ihr seid groß und breit genug, dass man euch treffen kann.«

Er zischt es schnell und scharf. Dabei wird das Zittern an seinem Körper immer stärker. Eine wilde und heiße Wut tobt in ihm. Und doch verliert er nicht die Übersicht.

Der lange Jorge stemmt sich hoch. Er wackelt staunend mit dem Kopf und stottert: »Da-das i-ist aber eine Freu-freude für mi-mich.«

»Du warst heute nicht besonders gut in Form.« Mike grinst.

Jorge taumelt einige Schritte vorwärts und hält sich den Kopf mit beiden Händen fest.

»Mike«, ächzt er, »ist das wirklich mein eigener Kopf, den ich zwischen den Händen halte?«

»Ja, Jorge, es ist die große Kartoffel, die schon vorher auf deinen Schultern saß.«

»Dann ist es gut«, stöhnt Jorge und setzt sich müde auf einen Stuhl.

»Verschwindet!«, sagt Matt zu den Mackersons.

Da setzt sich der Kleine krummbeinig in Bewegung, geht zur Tür und stößt sie auf. Die Brüder folgen ihm.

Jorge und Mike atmen befreit auf. Aber man sieht ihnen an, dass sie nicht glücklich sind. Sie haben zu gut begriffen, dass jetzt eine Sache nur aufgeschoben wurde. Sie könnten gar nicht schnell genug aus dem County kommen, als dass ihnen die Mackerson-Brüder nicht auf der Fährte sitzen würden.

Die Schwingtür fliegt auf. Brüllende Männer drängen und quetschen sich herein.

Matt greift schnell nach der Hüfte, und auch die beiden Satteltramps schnappen nach den Waffen.

Aber dann sehen sie, wie der Männerhaufen stehen bleibt. Und sie sehen in drei oder vier Dutzend staunende Gesichter.

✰✰✰

Wenn ein grüner Elefant mit drei Rüsseln und sechs goldenen Stoßzähnen, acht Beinen und neun Schwänzen im Saloon stehen würde, könnte das Staunen der Männer nicht größer sein. Auch dann nicht, wenn dieser Elefant Gitarre gespielt und ein Lied gesunden hätte.

Das Staunen verwandelt sich in tiefe Andacht.

Mike knurrt vernehmlich in die Stille: »Komische Leute – gleich stimmen sie ein frommes Lied an. Vielleicht ist es hier gar kein Saloon, und wir stören nur die Andacht. He, Leute! Was ist los mit euch?«

»Und ich wollte ihnen schon die Särge abmessen«, keift im Hintergrund die bekannte Stimme von Dod Dod, dem Leichenbestatter.

Jetzt erwachen die Männer aus ihrem Staunen. Sie machen eine Gasse, denn Hal Lindsey arbeitet sich nach vorn. Matt Oarson kann sich den vielfachen Saloon- und Storebesitzer und Bürgermeister nun genauer ansehen.

Der Mann ist mittelgroß, gut gekleidet und ziemlich fleischig, ohne dick zu wirken. Er mag zwei oder drei Jahre über vierzig sein und tritt so auf, als hätte er auf der ganzen Welt nur Freunde.

»Endlich sind mal ein paar richtige Männer in den Ort gekommen!«, ruft er herzlich. »Ich werde dafür sorgen, dass die Gentlemen die Ehrenbürgerrechte von Valley Bend erhalten. Gents, eure mutige Tat wird in die Geschichte des Landes eingehen! Aber wie habt ihr es nur gemacht? Bis zum heutigen Tag gab es im ganzen Land keinen einzigen Mann, der die Mackersons auch nur schief anzusehen wagte! Wie sieht euer Zaubertrick eigentlich aus?«

Während er die Worte freundlich und herzlich ruft, sieht er von Mike zu Jorge, von diesem wieder zu Mike – und dann nur noch auf Matt Oarson, als hätte er endlich erkannt, dass Matt der Wundermann ist.

»Kenne ich Sie nicht?«, fragt er.

»Yeah«, grinst Matt auf eine seltsame Art. »Sie sahen mich bei Cleve Rollis.« Und plötzlich – ihm ist, als ritte ihn der Teufel – fügt er hinzu: »Der Town Marshal hat uns herübergeschickt, um eben mal Ordnung zu schaffen. Er konnte selbst nicht so schnell kommen. Na, die Mackersons waren ja auch schnell sehr einsichtig und fügsam. Sollten sie wieder einmal den Stadtfrieden stören, sind wir gern bereit, ihnen wieder die Ohren lang zu ziehen. Guten Abend, Gentlemen!«

Er geht auf die Pendeltür zu. Die Männer davor spritzen auseinander, als wäre er ein wandelnder, rot glühender Ofen, an dem sie sich nicht verbrennen möchten.

Dod Dod hält ihm die Schwingtür auf.

»Für alle Todesfälle, die mit Ihnen zusammenhängen, bekommen Sie von mir zehn Prozent Rabatt«, flüstert er ihm zu.

Matt Oarson geht zum Hotel.

Er findet Cleve Rollis hinter dem Pult vor. Die Augen des Mannes sehen ihm unruhig entgegen. Matt sieht die Schrotflinte hinter dem Pult.

Er hebt sein Bündel auf.

»Ich habe mit zwei Freunden die Mackersons aus der Stadt gejagt. Und ich habe gesagt, dass wir es in Ihrem Auftrag taten, Rollis«, murmelt er.

Die Augen des Hoteliers werden noch unruhiger.

»Was soll das?«

»Wollen Sie Ihr Amt verlieren, Rollis?«

»Nein. Das ist aber auch alles, was ich für diese Stadt tun kann.«

Matt beugt sich über das Pult und sieht eine Weile in die Augen des Mannes.

»Was ist hier los, Rollis? Wenn Sie jemandem unbequem sind, so könnte er Sie doch umlegen lassen. Oder geht das nicht?«

»Es geht nicht. Wenn ich einen unnatürlichen Tod erleide, hängt jemand dafür. Man kann mich nur mit Hilfe eines Tricks ausbooten, mehr nicht. Aber was geht Sie das an, Matt Kinney? Ich frage mich schon seit einer Stunde, auf wessen Lohnliste Sie stehen.«

»Auf keiner, Rollis. Aber es ist keine alltägliche Sache, dass sich ein Mann den eigenen Saloon zertrümmern lässt, um einen Town Marshal zu stürzen. Haben Sie so wenig Freunde, Rollis?«

»Ich hatte Freunde – und gute Männer zur Seite, Matt Kinney. Einige sind tot und andere suchten Luftveränderung. Ich bin ein einsamer Mann, Matt Kinney. Aber mir gehört immer noch die halbe Stadt – und ich bin immer noch Marshal. Sie sollten sich einmal mit Dirk Oarson in Verbindung setzen. Oha! Vielleicht wissen Sie das selbst und trauen mir nur nicht richtig, weil ich früher einmal ...«

Er verstummt und starrt verkniffen auf die Platte des Pults. Dann sieht er Matt Oarson wieder an.

»Kinney, ich dachte, er hätte Sie kommen lassen.«

»Nein«, sagt Matt. Er geht in sein Zimmer hinauf, wäscht und rasiert sich und holt dann frisches Zeug aus seinem Bündel. Bevor er das Zimmer verlässt, untersucht er noch einmal seinen Colt.

Dann tritt er zu seinem Bündel, nimmt eine kleine Waffe heraus und steckt sie in seinen rechten Stiefelschaft.

Nun erst geht er hinunter – ein großer, harter und geschmeidiger Mann, der gekommen ist, um in dieses Spiel einzugreifen, und dessen Chancen nicht besonders groß sind.

Cleve Rollis steht immer noch hinter seinem Pult. Aber er hat sich den Marshalstern auf die Weste gesteckt. Matt sieht es und nickt wortlos.

Er geht zum Speisesaal hinüber. Dort sind schon ein halbes Dutzend Tische besetzt. Geschirr und Bestecke klappern. Männer aller Sorten schlingen ihr Abendbrot hinunter. Ein ältliches Mädchen bedient. Sie ist Cleve Rollis' Tochter.

Matt schmeckt das Essen.

Als er den Teller wegschiebt und sich den Kaffee einverleibt, hat sich der Raum fast gänzlich geleert. Aber jetzt kommen zwei Männer hereinstolziert. Matt erkennt die beiden funkelnagelneuen Burschen nicht gleich, aber dann kommt ihm ihr Grinsen irgendwie bekannt vor.

Sie setzen sich wortlos an seinen Tisch und grinsen immer noch.

Der lange Jorge greift in die Tasche und knallt einhundertsiebenundsechzig Dollar auf den Tisch.

»Hal Lindsey hat die fünfhundert Dollar ausgespuckt. Das ist dein Anteil, Großer, obwohl du eigentlich alles allein verdient hast. Und hier ist dein Tabaksbeutel. Und da ist die beste Zigarre, die wir in diesem Nest bekommen konnten.«

Er stellt den gefüllten Tabaksbeutel auf den Tisch und legt eine prächtige Zigarre daneben.

»Danke«, sagt Matt sanft und nimmt die Zigarre. Er setzt sie in Brand und sagt zwischen den Zügen: »Ich bin zurzeit gut bei Kasse. Behaltet das Geld.«

»Wenn du es nicht nimmst, so schmeiße ich es gleich zum Fenster hinaus«, grollt der Ire, und seine grünblauen Augen funkeln.

Da steckt Matt das Geld in die innere Westentasche.

»Ich bin Mike O'Brien«, sagt der Ire.

»Ich bin Jorge Wilcox«, grinst der Lange.

»Matt Kinney«, nennt Matt seinen angenommenen Namen.

»Es hat sich schon herumgesprochen, dass der bekannte Matt Kinney gekommen ist«, grinst Mike O'Brien. Er beugt sich vor. »Wir kennen deinen Ruf, Matt. Wir wissen, dass du nur für eine saubre Sache kämpfst. Hör zu: Wir denken, dass du aus einem bestimmten Grund hergekommen bist. Uns hat nur der Hunger getrieben. Nun möchten wir vernünftige Arbeit tun. Wie können wir dir helfen, Matt?«

»Warum wollt ihr absolut von Dod Dod bestattet werden?«

Sie grinsen, werden aber schnell ernst. Sie beugen sich vor und starren in Matts Gesicht.

»Wir sind noch ziemlich schlecht in Form, denn wir haben drei oder vier Tage nichts gegessen. Matt, du wirst bald ein paar Freunde brauchen. Du bist nicht zum Spaß hergekommen. Unsere Nasen waren noch nie besonders schlecht.«

Er wird unterbrochen, denn Rose Rollis erscheint am Tisch.

»Es sind meine Freunde, Miss Rose. Im Moment sind sie so hungrig wie richtige Wölfe nach einem Blizzard«, erklärt ihr Matt.

»Sie werden sich bald besser fühlen«, erwidert sie und geht davon.

Die beiden Cowboys sehen ihr nach. Aber sie lachen nicht, obwohl Rose Rollis sehr dick ist und sich unbeholfen bewegt. Matt mag Mike und Jorge deshalb noch besser leiden. Und plötzlich kommt ihm ein Gedanke.

»Hat man euch schon eine Arbeit angeboten?«, fragt er.

»Yeah. Dieser Lindsey war mächtig sauer, als er uns vor all den Leuten die fünfhundert Böcke auszahlen musste. Aber dann nahm er uns mit in sein Büro. Er hielt uns eine Lobrede und kam dann mit der Katze aus dem Sack. Wenn wir für einen gewissen Colonel Wayne Tucks arbeiten würden, brauchten wir uns wegen der Mackerson-Brüder keine Sorgen mehr zu machen, sagte er. Er könnte uns aber auch Arbeit in der Stadt geben, doch er hielte uns für Männer der Weide – und jeder Schuster sollte bei seinen Leisten bleiben. Ja, das sagte er. Und nun fragen wir dich, Matt, was hier eigentlich los ist.«

»Ich weiß es selbst noch nicht genau.«

»Kannst du uns gebrauchen, Matt?«

Er sieht sie nachdenklich an.

»Jungs«, beginnt er unschlüssig, »Jungs, ich ...«

»Schon gut, Matt. Dann werden wir eben im Ort bleiben und abwarten, bis du die Sache besser übersehen kannst und uns deine Befehle gibst.«

Rose Rollis bringt das Essen, und die beiden Cowboys beginnen zu schnuppern und zufrieden zu brummen.

»Miss, Sie kennen genau unser Augenmaß«, sagt Jorge zufrieden.

»Wir sind Ihnen sehr dankbar«, murmelt Mike.

Sie wird rot und geht schnell davon.

Die beiden Burschen hauen mächtig drein. Mikes abstehende Ohren wackeln bei jeder Kaubewegung. Jorge schnauft manchmal durch seine lange Nase.

Aber immer wieder richten sie ihre Augen fragend auf Matt Oarson.

»In dieser Stadt wird ein Machtkampf ausgetragen«, erklärt Matt plötzlich. »Hal Lindsey ist hier der Bürgermeister. Er möchte die gesamte politische Macht besitzen. Aber da ist noch der Marshal. Es ist der Vater dieses Mädchens. Er ist Lindsey irgendwie unbequem, aber Lindsey kann ihn nicht einfach wegfegen. Wenn wir die Mackersons nicht aus der Stadt gejagt hätten ...«

»Wir haben das schon begriffen, Matt. Du hast zu Lindsey gesagt, dass uns der Town Marshal geschickt hätte. Bedeutet das, dass er uns als Deputy Marshals haben möchte?«

»Vielleicht. Aber der Machtkampf im Ort interessiert mich nur in zweiter Linie. Ich weiß noch nicht, was auf der Weide im Gange ist und ...«

Matt Oarson entschließt sich jetzt. Er hat begriffen, dass er die beiden prächtigen Burschen nicht mehr aus den kommenden Dingen heraushalten kann. Wenn etwas passiert, werden sie immer wieder seine Partei ergreifen – so wie er es vor knapp zwei Stunden tat, als sie sich voller Verzweiflung fünfhundert Dollar verdienen wollten.

Die beiden Cowboys sehen ihm wohl an, dass er einen Entschluss gefasst hat. Sie vergessen ihr Essen und blicken ihn erwartungsvoll an.

Er nickt ihnen zu.

»Reitet morgen zur Oarson Ranch hinaus. Dirk Oarson wird euch sicherlich einstellen, wenn er erfährt, dass ihr die beiden Mackersons ...«

»Und was sollen wir dort?«, fragt Jorge Wilcox ruhig.

Matt Oarson zuckt mit den breiten Schultern.

»Kann ich euch noch nicht sagen. Ich weiß nur, dass ich eine Weile allein für mich selbst sorgen kann – und dass es schlimm für mich ist, wenn dem alten Oarson oder dessen Tochter etwas zustößt. Bleibt auf der Oarson Ranch, achtet auf alles. Ich bin sicher, dass sich unsere Wege wieder treffen – bald!«

Die beiden Boys der Weide sehen sich kurz an. Dann nicken sie Matt zu.

»Jetzt wissen wir's«, sagen sie zweistimmig.

✰✰✰

Eine Stunde später reitet Matt Oarson aus der Stadt. Der Mond ist noch hinter den Bergen.

Er erreicht die Biegung eines Creeks. Seitlich der Furt lenkt er seinen Wallach in die Büsche und wartet.

Drüben – so war es vor zehn Jahren – beginnt das Weideland der Oarson Ranch. Und es ist keine Regierungsweide, sondern rancheigenes Land.

Er späht über die Büsche zum jenseitigen Ufer hinüber. Er braucht nicht sehr lange zu warten, da hört er Hufschläge. Zwei Reiter reiten drüben am Creek entlang. Matt sieht ihre Silhouetten und erkennt auch, dass die beiden Grenzwächter Gewehre über den Schenkeln liegen haben.

So hatte er sich die Sache gedacht.

Grenzwächter seines Vaters. Er denkt einmal kurz daran, wie schön es wäre, wenn er einfach hinüberreiten und sich zu erkennen geben könnte.

Aber das geht nicht – aus verschiedenen Gründen geht das nicht.

Er wartet, bis die Hufschläge in der Ferne verklingen, und reitet dann zur Furt hinunter. Er lässt Black Eagle saufen. Dabei wird ihm plötzlich bewusst, dass ein halbes Dutzend Creeks aus den Canyons, Schluchten und Spalten des mächtigen Long Rim kommen, der mit seiner gesamten Länge die Westgrenze der großen Oarson Ranch bildet.

Vielleicht hängt der Machtkampf mit dem Wasserreichtum der Oarson Ranch zusammen.

Dann reitet er hinüber, gewinnt wieder einen freien Blick über die jetzt in bleiches Mondlicht getauchte Weide. Rechts von ihm ruhen Rinder.

Schnell reitet er auf die Hügel zu, denn dort findet er Schatten und Deckung.

»Ich muss mich wie ein Dieb zur Ranch meines Vaters schleichen, um mit meiner Schwester zu sprechen. Was war ich doch für ein Nichtsnutz! Ich bin damals einfach davongeritten, weil mein Vater hart zu mir war und ich lieber die Ferne sehen wollte. Dad wollte mich mit Härte zu einem Rancher erziehen – so wie er von seinem Vater erzogen wurde. Aber ich rebellierte! Wahrscheinlich taugte ich nichts. Und der alte Mann hat nun keinen Erben. Er muss gegen jüngere Männer kämpfen, Männer, die er früher mit der bloßen Faust aus dem Land gejagt hätte und denen er heute nicht mehr gewachsen ist!«

Er hört das Plätschern eines Baches und erreicht im Schutze des bewaldeten Hanges eine Terrasse. Endlich ist er am Ziel.

Links unter ihm liegt die Oarson Ranch.

Das Ranchhaus steht auf einer kleinen Anhöhe. Darum gruppiert sich alles andere: das lang gestreckte Schlafhaus, die Werkstätten und Magazine, Schuppen, Scheunen, Ställe und Corrals. All diese Nebengebäude wurden schon zweimal von Indianern niedergebrannt. Nur das Ranchhaus blieb erhalten. Aber seine dicken Balken und Stämme tragen viele Spuren.

Matt Oarson erinnert sich noch ganz gut an den letzten Indianerangriff. Fünf Jahre war er alt. Seine Schwester lag noch in der Wiege. Aber er durfte mit seiner Mutter schon die Gewehre aufladen und sie zu den Schützen an die Schießscharten tragen. Er war so klein, dass er ein Gewehr nicht tragen, sondern nur schleifen konnte. Deshalb lud er die doppelläufigen Pistolen. Damals gab es noch keine Colts mit Trommeln.

Und eine Indianerkugel kam durch die Schießscharte, streifte den Vater und tötete die Mutter.

So war es.

Vielleicht wurde Vater deshalb so hart. Nur zu May war er immer rücksichtsvoll. Ja, sie lag damals noch in der Wiege. Es gab keine Amme für sie auf hundert Meilen in der Runde. Die Rothäute hatten bis auf eine magere Ziege alles Vieh getötet oder weggetrieben. Aber die Ziegenmilch war gut für May.

Jetzt sieht Matt hinunter.

Er rutscht aus dem Sattel und bindet sein Pferd an einen Baum. Dann sucht er den kleinen Pfad und findet ihn auch bald. Hier und da ist eine Stufe in die steinige Erde gegraben. So erreicht er den hinteren Winkel der Bergfalte und überspringt den Bach, der murmelnd und sprudelnd aus einem Felsenloch kommt.

Im Schatten der Bäume sucht Matt nach der alten Bank.

Er findet sie.

Und er erkennt die wartende Gestalt seiner Schwester.

Gerade und steif sitzt sie auf dieser Bank. Man sieht ihr an, wie sehr sie ihre Ungeduld zügelt und wartet. Sicher würde sie viel lieber umherlaufen.

Sie konnte ihn gewiss nicht hören, da der Bach zu laut murmelt. Langsam tritt er zu ihr und legt seine Hand auf ihren Kopf.

»May, ich wusste, dass du auf unserem alten Platz sitzen und warten würdest«, sagt er sanft.

Mit einem glücklichen Seufzer hat sie sich erhoben.

Nun liegt sie in seinen Armen und ihr Gesicht an seiner Schulter. Sie zittert. Viele Gefühle müssen in ihr sein. Und dann hebt sie ihr Gesicht, stellt sich auf die Zehenspitzen und küsst ihn.

»Du bist es, Matt – du bist es wirklich!«

»Nur du hast mich erkannt, May.«

»Du hast Vaters Augen. Und als du mich anblicktest, fühlte ich es ganz deutlich. O Matt! Dad behauptet seit vielen Jahren, dass du tot bist – namenlos irgendwo gestorben wärst. Wir haben ja auch niemals etwas von dir gehört. Nur ich, ich fühlte immer, dass du noch lebst.«

»Ich habe einen anderen Namen angenommen, May – und ihn habt ihr bestimmt schon gehört. Ich bin nicht stolz auf diesen Namen, aber er ist nun einmal so.«

»Wie ist der Name, Matt?«

»Kinney – Matt Kinney, Schwester.«

»Also doch! Ich konnte es nicht glauben, als Dad unterwegs davon sprach, dass er einen Matt Kinney nicht bezahlen könne. Du bist der große Revolvermann Matt Kinney! Oh, Bruder!«

Sie sieht immer noch zu ihm auf. Er starrt in ihr bleiches Gesicht und erkennt, wie der Glanz in ihren Augen erlischt. Tränen müssen es sein.

»Wirst – wirst – du vom Gesetz verfolgt, Matt?«, fragt sie zögernd.

»Nein, ich war in zwei Städten Marshal und auch einmal Sheriff. Aber nie lange Zeit. Ich bin zu ruhelos. Ich bin immer weitergeritten. Man holte mich zu allen blutigen Kämpfen, aber ich war nie außerhalb des Gesetzes. Deshalb bin ich aber dennoch ein Revolvermann.«

»Ohne Freunde, Matt?«

»Hin und wieder fand ich Freunde. Zwei Freunde von mir werden morgen bei Dad um Arbeit bitten. Wie denkt Dad über mich?«

»Wie über einen toten Sohn. Als du ausgerissen bist, traf es ihn wie ein Schlag. Er ist ein alter, verbitterter und unglücklicher Mann geworden, Matt. Nur zu mir ist er sanft und nachsichtig. Ein Mann, der groß und stark war wie er, der wird arm, wenn er den Sohn und Erben verliert. Zehn Töchter könnten keinen Sohn aufwiegen. Er hat sich ein großes Reich gebaut. Nun verliert er es Stück für Stück. Ein junger Oarson fehlt!«

»Ich bin jetzt hier, Schwester«, murmelt Matt.

Sie setzen sich auf die Bank. Sie lehnt sich immer noch an seine Schulter, und er hat den Arm um sie gelegt.

»Ich bin Matt Kinney – und ich werde für ihn kämpfen. Schwester, wer sind seine Feinde?«

»Du willst dich ihm nicht zu erkennen geben, Matt?«

»Erst will ich meine Arbeit tun. Ich bin ihm weggelaufen. Mit mir verlor er an diesem Tag seine erhoffte Stütze. Er war plötzlich allein. Ich kann ihm nicht unter die Augen treten, bevor ich nicht alle Not von ihm abgewendet habe. Wer sind seine Feinde, May?«

Diesmal fragt er es schärfer und härter.

Sie zuckt leicht zusammen.

»So viele Männer könntest du nicht töten, Bruder. Und um keinen Preis der Welt möchte ich so viel Blut an deinen Händen sehen. Wir haben viele Feinde! In den Hochtälern des Long Rims stecken ganze Banden von Viehdieben. Wir verlieren mehr Vieh ...«

»Gut, Viehdiebe also! Wer noch?«, unterbricht er sie.

»Colonel Wayne Tucks will unsere Ranch. Er will nicht nur unsere Weide, was vielleicht verständlich wäre, er will den Besitztitel auf unsere Ranch! Ich hasse ihn! Mit Cleve Rollis und Hal Lindsey kam er ins Land. Er kaufte die alte T-im-Zirkel-Ranch und machte sie groß und mächtig. Eine gewisse Zeit machte er mir den Hof. Das war im vergangenen Jahr. Ich wies ihn immer wieder ab – einmal mit der Peitsche. Da schrie er mir ins Gesicht, dass er die Ranch auch ohne mich bekäme. Ich konnte mit Dad nicht darüber sprechen. Er wäre hingeritten und hätte ihn zu einem Revolverkampf gefordert – und der arme Dad ist ein alter Mann. Wayne Tucks hätte ihn getötet. Er lauert nur auf solch eine Chance! Dad ritt vor einem halben Jahr in einen Hinterhalt. Der heimtückische Schütze traf nur Dads Pferd. Aber es fiel auf ihn und er brach sich das Bein. Jetzt muss er am Stock gehen, denn das Bein blieb steif. Oh, Matt, er kann nicht mehr kämpfen! Er weiß, dass er ein alter und verbrauchter Mann ist. Und diese Erkenntnis zermürbt ihn von Tag zu Tag mehr!«

Sie verstummt und zittert leicht in seinem Arm.

Matt Oarson spricht nicht gleich. Er verarbeitet die gehörten Dinge langsam und gründlich.

»Cleve Rollis – Hal Lindsey – und Wayne Tucks«, murmelt er vor sich hin. »Wayne Tucks hat dich also beleidigt, May?«

»Ich musste ihm die Peitsche ins Gesicht schlagen – und dann beleidigte er mich noch schlimmer. Ich kann seine Worte nicht wiederholen, Bruder.«

»Das brauchst du nicht, May. Schon bald werde ich mir diesen Colonel Tucks ansehen. Ist er wirklich Colonel?«

»Er kämpfte für den Süden und ging dann zu Quantrell, um diesen auf der Seite des Südens zu halten – so erzählt man sich im Land. Dad vermutet, dass auch Rollis und Lindsey für Quantrell geritten sind.«

Matt Oarson nickt langsam.

Wenn Rollis, Lindsey und Tucks zu Quantrell gehörten, so ist das eine Erklärung für viele andere Dinge, die jetzt hier im County vorgehen. Denn Quantrells Reiter waren keine Freischärler, sondern Banditen.

»Ich habe Angst, Matt – große Angst«, flüstert May.

Er küsst sie auf die Wange.

»Bis jetzt habe ich für hohen Revolverlohn solche Dinge ausgekämpft«, murmelt er bitter. »Nun bin ich ein erfahrener Wolf und kämpfe für meinen Vater. May, ich war die letzten Jahre nicht glücklich. Ich war mit meiner Lebensweise nicht zufrieden – aber ich konnte sie nicht mehr ändern. Ich war Matt Kinney. Und alles, was war, lief mir immer nach. Aber jetzt freue ich mich, dass ich Matt Kinney geworden bin! Nur ein Revolvermann kann diese Sache durchkämpfen!«

Er streicht sanft über ihren Kopf.

»Wie ist Dads Mannschaft?«

Das Mädchen seufzt.

»Wir haben viele Reiter verloren, Matt. Von der alten Mannschaft, die du kanntest, ist nur noch Ward Boone da. Aber er ist so alt und verbraucht wie Dad. Dad hat wilde Burschen eingestellt, die ihre Colts locker tragen. Sie leisten kaum Cowboyarbeit, denn dazu haben sie keine Zeit. Sie bewachen nur unsere Weide und die Herden. Elf Reiter sind es. Diese Mannschaft ist viel zu klein. Wir könnten drei Dutzend gebrauchen. Dann könnten wir endlich einmal wieder ein Round-up durchführen. Die Rinderpreise sind gut, aber wir konnten seit fast zwei Jahren keine Herde mehr zusammentreiben und verkaufen. Es ist schlimm, Matt. Die Boys kommen kaum aus den Sätteln, und die Ranch- und Herdenarbeit wird dennoch nicht getan. Nur gekämpft wird immer wieder. Dad kann die Ranch nicht mehr lange halten.«

»Er hat zwei Leibwächter?«

»Ward Boone und ich, wir überredeten ihn dazu. Erst vor wenigen Tagen wurde von der Bergterrasse auf ihn geschossen, als er die Zuchtstuten in den Corrals besichtigte. Ja, er hat nun zwei Leibwächter. Irving Button und Caray Crea sind teuer, aber ich glaube, dass sie treu sind.«

Matt Oarson denkt an die beiden Männer, die ihn vor dem Hoteleingang zurückgehalten hatten.

»Ich glaube, dass sie ihren Lohn verdienen werden«, murmelt er. »Was ist sonst noch, May?«

»Wir haben kein Bargeld mehr. Wenn wir eine Herde verkaufen könnten, würden wir genug Geld haben. Aber wir haben einfach nicht genügend Reiter. Wir können nicht eine Herde zur Verladestation bringen und zugleich das Ranchgebiet bewachen. Wir können nicht einmal alle Kälber brennen. Überdies würde jede Treibherde von uns, die auf dem Wege zur Verladung ist, überfallen werden. Die Viehdiebe in den Bergen warten nur darauf.«

»Ich verstehe immer mehr«, murmelt Matt grimmig. »Und wie ist es mit der Bank? John Highlee war früher Dads Freund. Bekommt Dad keinen Kredit?«

»Nicht mehr! Die Bank stand schlecht. Hal Lindsey hat sich eingekauft. Wenn er wollte, könnte er John Highlee zum Teufel jagen. Dad ist allein. Er hat keine Freunde mehr. Ein Ring hat sich um uns geschlossen, der immer enger wird. Die Oarson Ranch wird abgewürgt. So ist es, Matt! Du kannst vielleicht einige Männer töten, aber retten kannst du nichts mehr. Du bist zu spät heimgekommen, Bruder.«

Sie sagt es etwas bitter.

Er atmet schwer.