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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2497 bis 2499:
2497: Black Jack
2498: Männer der Weide
2499: Die Jones-Brüder
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 478
Veröffentlichungsjahr: 2023
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2023 by Bastei Lübbe AG, Köln
Covermotiv: © Garcia/Ortega
ISBN: 978-3-7517-3009-9
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Er rollt sich aus dem Bett, reckt und streckt sich vorsichtig, wandert ein wenig im Zimmer hin und her und bleibt dann vor dem Spiegel stehen, der hinter dem Waschtisch an der Wand hängt. Aufmerksam betrachtet er sich. Ja, die Narben an seinem Oberkörper sind jetzt verheilt, aber er wird sie sein ganzes Leben behalten. Mit diesen, damals noch unverheilten Narben ist er aus dem Kriegsgefangenenlazarett entlassen worden und hat einen Job gesucht, der einen noch ziemlich kranken Mann ernähren konnte. Es war vor genau einem Jahr. Der County Sheriff hat ihn als Deputy nach Opal geschickt und dabei gesagt: »Es ist eine hübsche, kleine, ruhige Stadt. Du wirst dich dort in den nächsten Monaten prächtig erholen können, mein Junge. Aber irgendwann - und das weiß ich genau - wird sich dort alles ändern. Das kann noch lange dauern. Das kann aber auch ganz plötzlich kommen - wie eine Explosion. Ein einziger großer Silber- oder Goldfund, und die kleine, ruhige Stadt wird zu einem Höllenloch. Dann brauche ich dort einen besonderen Mann. Und dann erwarte ich, dass du nicht abhaust, sondern deinen Job tust. Wenn du mir das versprichst, mein Junge, dann gebe ich dir den Stern für den Opal-Distrikt. Willst du?«
Zwanzig Tage lang sind sie im Sattel - und meist mit hungrigen Mägen. Und ihre Pferde und ihre Ausrüstung sind schlecht. Sie sind nichts anderes als zwei halb verhungerte und ziemlich heruntergekommene Satteltramps. In ihren Taschen befinden sich Entlassungspapiere. Es sind kurze und trockene Worte, die ein Schreiber der Nordarmee geschrieben hat: Captain Jim McCrea, Gefangennahme bei Appomattox, entlassen mit dem heutigen Tage. Lieutenant Noel McCrea, Gefangennahme bei Appomattox, entlassen mit dem heutigen Tage. Ja, sie sind Brüder, obwohl sie sehr verschieden wirken. Nur an ihren rauchgrauen Augen könnte man sie als Brüder erkennen. Jim McCrea ist fünf Jahre älter als Noel, der vor sechs Tagen sechsundzwanzig Jahre alt wurde. Und jetzt verhalten sie ihre armseligen Pferde und starren auf die Trümmer einer kleinen Ranch. Sie wurden hier geboren. Dies war einmal ihre Heimat. Aber das ist schon lange her. Jim McCrea sucht in seiner Hemdtasche herum und bringt schließlich einige Tabakkrümel zum Vorschein. Noel reicht ihm wortlos ein kleines Stück Papier hinüber. Jim dreht sich eine Zigarette und raucht drei lange Züge. Dann reicht er sie dem Bruder. »Eines habe ich jetzt erkannt«, murmelt er bitter. »Und weil ich es erkannt habe, sind die verdammten Jahre nicht ganz sinnlos vertan.«
Sie sind nass bis auf die Haut. Seit Tagen schon regnet es Bindfäden vom Himmel. Das macht sie fertig. Denn sie kommen aus dem knochentrockenen Buschland am Brazos River. Texas‑Cowboy Shorty Egg spuckt seinen letzten Priem in den strömenden Regen und zieht den nassen Hut fester auf den Kopf. Auch Alamo Lee und Brazos Jim McLane sind zwei reinblütige Gentlemen der Texasweide. Ihre stoppelbärtigen Gesichter drücken den Trübsinn und Kummer der ganzen Welt aus. Jube Starr, der Koch, hat ein qualmendes Feuer in Gang gebracht, dessen Rauch alle Augen tränen lässt. Er hockt sich nun zu den anderen Männern und saugt ständig schnorchelnd an einer alten Tabakpfeife. »Soll ich euch etwas Fleisch braten?«, fragt er nach einer Weile hoffnungsvoll. Die drei Cowboys betrachten ihn ernst und fast böse. Schließlich sagt Brazos Jim mit der falschen Sanftheit eines wütenden Mannes: »Wir haben jetzt schon so viel Rindfleisch gegessen, dass uns Hörner zu wachsen beginnen.«
Cover
Titel
Impressum
Zusammenfassung
Inhalt
G. F. Unger Western-Bestseller 2497
Ein Mann gegen alle
G. F. Unger Western-Bestseller 2498
Die richtige Seite
G. F. Unger Western-Bestseller 2499
Die Brazos-River-Mannschaft
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Contents
Ein Mann gegen alle
Er rollt sich aus dem Bett, reckt und streckt sich vorsichtig, wandert ein wenig im Zimmer hin und her und bleibt dann vor dem Spiegel stehen, der hinter dem Waschtisch an der Wand hängt. Aufmerksam betrachtet er sich.
Ja, die Narben an seinem Oberkörper sind jetzt verheilt, aber er wird sie sein ganzes Leben behalten. Mit diesen, damals noch unverheilten Narben ist er aus dem Kriegsgefangenenlazarett entlassen worden und hat einen Job gesucht, der einen noch ziemlich kranken Mann ernähren konnte. Es war vor genau einem Jahr.
Der County Sheriff hat ihn als Deputy nach Opal geschickt und dabei gesagt: »Es ist eine hübsche, kleine, ruhige Stadt. Du wirst dich dort in den nächsten Monaten prächtig erholen können, mein Junge. Aber irgendwann – und das weiß ich genau – wird sich dort alles ändern. Das kann noch lange dauern. Das kann aber auch ganz plötzlich kommen – wie eine Explosion. Ein einziger großer Silber- oder Goldfund, und die kleine, ruhige Stadt wird zu einem Höllenloch. Dann brauche ich dort einen besonderen Mann. Und dann erwarte ich, dass du nicht abhaust, sondern deinen Job tust. Wenn du mir das versprichst, mein Junge, dann gebe ich dir den Stern für den Opal-Distrikt. Willst du?«
Er wollte damals. Und es wurde tatsächlich ein ruhiger Job, zunächst jedenfalls.
Als er an diesem Morgen am Waschtisch vor dem Spiegel steht und die alten Kriegsnarben betrachtet, da denkt er wieder an das Gespräch mit dem County Sheriff.
Es kamen in den vergangenen Monaten immer mehr Gold- und Silbersucher in die Täler, Canyons und Schluchten. Sie zogen von den Vorhügeln immer weiter hinauf in die Berge. Es gab einige kleine Funde – aber noch nichts, was einen Run in Gang gebracht hätte.
Doch er ahnt an diesem Morgen irgendwie, dass etwas in Gang kommen wird. Er spürt es, so wie er an seinen Narben spürt, wenn es anderes Wetter gibt.
Was wird er tun, wenn es so weit ist? Wenn es zu der Explosion kommen wird, von der der alte Sheriff sprach? Wenn sie alle hier verrückt spielen und viele Gute zu Bösen werden?
Indes er sich einseift und dann rasiert, fühlt er sich wie ein Mensch, der seine Seele dem Teufel verkaufte, um für eine Weile Vorteile zu genießen.
Er rasiert und wäscht sich bedächtig. Diese Vormittagsstunde in seinem Zimmer genießt er täglich. Dass er so spät aufsteht, hängt damit zusammen, dass er erst lange nach Mitternacht ins Bett kommt und die letzte Runde stets erst gegen zwei Uhr morgens geht.
Er hat sich daran gewöhnt.
Es ist dann etwa eine halbe Stunde später, als man ihm auf der Veranda des Hotel-Restaurants das Frühstück serviert, das zugleich ein frühes Mittagessen für ihn ist. Er sitzt gerne um diese Zeit hier, kann von seinem Platz aus die Hauptstraße in beiden Richtungen übersehen und erfreut sich an der ruhigen Geschäftigkeit dieser Stadt. Ja, es ist eine ruhige und nicht hektische Geschäftigkeit.
Er sieht Kate Langtry aus ihrem Schneiderladen treten und winkt ihr zu. Sie geht mit einem Korb am Arm zum Store, erwiderte dabei sein Winken und lässt ihn ihr blinkendes Lächeln erkennen. Oh, er kennt dieses blinkende, herausfordernde Lächeln, und er weiß auch, wie es dabei in ihren Augen funkelt. Ja, er könnte sie haben, wenn er es wollte.
Warum will er eigentlich nicht? Kate Langtry ist eine prächtige Frau. Nein, sie ist kein Mädchen mehr, obwohl noch jung. Ihre Wege waren gewiss oft sehr beschwerlich und rau. Ihr blieb nichts fremd auf dieser Erde. Wahrscheinlich kam sie in diese Stadt, um endlich Ruhe zu finden.
Sie verschwindet im Store.
Broderick Finnegan aber – denn dies ist sein Name – erhebt sich und macht sich auf den Weg zu seinem Office.
Er weiß, dort wird er seinen Deputy Windy Garret vorfinden, der zugleich der Stadtschreiber und Gefängniswärter ist. Windy hat nur noch eineinhalb Beine und bewegt sich mithilfe eines Unterschenkels aus Holz.
Einige Bürger der Stadt grüßen ihren Sheriff, so auch der Sattler und der Besitzer der Saatgut- und Futtermittelhandlung. Reiter sind auf der Straße da und dort zu sehen. Vor dem Store hält ein Wagen, von dessen Sitz der Koch der Topfhenkel-Ranch springt, um im Store die Monatseinkäufe zu machen.
Broderick Finnegan hat sein Office schon fast erreicht, als er Jube Scott auf seinem Maultier kommen sieht. Jube Scott schwankt im Sattel wie ein Betrunkener und kommt aus einer der Quergassen auf die Hauptstraße geritten. Er reitet geradewegs zum Office und rutscht dort vor der Haltestange aus dem Sattel. Einige Sekunden verharrt er bei dem Tier, hält sich daran fest, so als müsste er Kraft sammeln oder einen Schwindelanfall vorübergehen lassen.
Da er Broderick Finnegan den Rücken zukehrt, sieht dieser beim Näherkommen den blutigen Fleck auf Jube Scotts ausgebleichtem Hemd – und auch das Loch. Es ist ein Einschussloch.
Jemand schoss Jube Scott eine Kugel in den Rücken.
Als Broderick Finnegan neben den Mann tritt und ihm die Hand sachte auf die Schulter legt, da hustet Scott erst noch einige Male mühsam. Und es kommt Blut über seine Lippen, das er mit dem Handrücken abzuwischen versucht.
Dann aber wendet Jube Scott den Kopf und zeigt dem Sheriff ein triumphierendes Grinsen. Und in seinen Augen ist ein wildes Funkeln.
»Ich habe es gefunden«, ächzt er. »Oh, du lieber Vater im Himmel, ich habe es gefunden, Sheriff! Und sie wollten mich abschießen und somit verhindern, dass ich meinen Fund registrieren lassen kann. Dann wären sie an meiner Stelle gekommen. Gehen wir hinein, Sheriff, damit ich meine Fundstelle als Claim registriert bekomme, bevor ich aus den Latschen kippe. Denn ich habe Blut verloren, viel Blut. Gehen wir!«
Er stößt die beiden letzten Worte wie ein Mann hervor, der sich selbst einen Befehl gibt, um noch einmal einen letzten Funken Lebenskraft aus seinem innersten Kern heraufzuholen.
Sie gehen hinein. Finnegan stützt ihn.
Drinnen hockt Windy Garret hinter dem Schreibtisch in der Ecke und sagt: »Mrs Ellison hat von ihrem Mann die Geburt von Zwillingen anmelden lassen. Zwillinge, oha!«
Nachdem er dies gesagt hat, nimmt er die Brille ab, die er beim Schreiben tragen muss. Und da er jetzt wieder normal sehen kann, entdeckt er, in welch einem Zustand sich Jube Scott befindet.
»Oha, Jube«, sagt er, »was haben sie denn mit dir gemacht? Du siebst diesmal nicht so aus, als könntest du für eine Nacht die dicke Dolly besuchen.«
»Nein«, ächzt Jube Scott und lässt sich in einem Holzsessel nieder, streckt die krummen Beine in den alten Stiefeln von sich. »Diesmal kann ich nicht zu Dolly. Aber wenn ich wieder einigermaßen auf den Beinen bin, dann kann ich mir das ganze Freudenhaus mit allen Süßen darin für eine ganze Woche mieten, ich ganz allein. Und ich werde den Preis aus der Westentasche zahlen, oho!«
Nun wissen es Broderick Finnegan und Windy Garret ganz genau.
»Eine Goldader?« So fragt Windy ahnungsvoll.
Jube Scott nickt. »Und was für eine«, sagt er und grinst. »In der alten Spanier-Mine im Spanish Springs Canyon, keine sieben Meilen von hier. Ich habe in der alten Mine mit meinem Hammer nur mal so gegen die Stollenwand geschlagen. Und als ein paar Steinplatten abfielen, da sah ich es. Ich brach mir einige Pfund heraus und machte mich heute Morgen auf den Weg nach hier. Am Pikes Creek traf ich die Laffitter-Brüder. Und denen fiel auf, dass ich in so guter Stimmung war, denn sie hatten mich schon singen gehört, bevor sie mich zu sehen bekamen. Ich hatte das alte Lied von den großen Goldfunden am Sacramento in Kalifornien gesungen. Und sie sahen dann auch den Leinenbeutel an meinem Sattelhorn hängen, der so schwer wirkte wie ein Doppelzentnersack. Sie fragten mich, ob ich Gold gefunden hätte. Ich grinste sie nur an und ritt weiter. Sie brüllten hinter mir her, und weil ich mein Maultier antrieb, um möglichst schnell von ihnen wegzukommen, da riss der alte Leinenbeutel. Das losgebrochene Adergold fiel heraus. Ich musste anhalten und es einsammeln. Sie kamen herangeritten und sahen nun erst richtig, was es war. Oha, ich sah ihnen an, dass sie von einer Sekunde zur anderen verrückt wurden, gierig wie hungrige Wölfe nach einem langen Blizzard beim Anblick einer fetten Beute. Ich schnappte meinen Colt heraus und hielt sie in Schach. Sie boten sich an, meine Partner zu werden. Denn sie könnten mich beschützen. Aber ich ritt davon. Da schoss einer hinter mir her. Sie versuchten mich einzuholen, doch mein Maultier kann es mit jedem Pferd aufnehmen. Oh, was bin ich müde und erledigt. Tragt die alte Mine als meinen Claim ein. Und dann bringt mich in ein Bett und holt den Barbier. Er muss mir die Kugel herausholen, bevor sie mich umbringt.«
Nachdem er dies noch gekrächzt hat, wird Jube Scott im Holzsessel ohnmächtig.
Und Finnegan denkt in diesen Sekunden bitter: Jetzt ist es geschehen! Eine Goldader – und die Laffitter-Brüder, die ihn in den Rücken schossen. Jetzt wird die Hölle aufbrechen. O verdammt, warum bin ich hier nicht weg, solange es noch ruhig und friedlich war? Jetzt würde ich gewissermaßen Fahnenflucht begehen wie ein feiger Deserteur, würde ich abhauen. Denn der Alte hat mein Wort, dass ich auch bleibe, wenn die Hölle aufbricht.
Es ist noch am selben Tag und erst früher Mittag, als er aufbricht, um sich nach den Laffitter-Brüdern umzusehen.
Er kennt sie einigermaßen, denn sie kamen manchmal in die Stadt, um sich auszurüsten oder sich bei Mollys Mädchen zu amüsieren.
Die Laffitter-Brüder gelten als Wildpferdjäger, doch man munkelt, dass sie in anderen Distrikten auch Pferde und Rinder stehlen und in andere üble Dinge verwickelt seien.
Irgendwo in den Bergen sollen sie eine Hütte haben.
Doch dort wird er sie nicht suchen müssen. Sie haben Jube Scott zwar nicht vom Maultier schießen können, doch aber gesehen, wie böse sie ihn trafen. Zuerst verfolgten sie ihn, konnten sich dann aber ausrechnen, dass sie ihn erst kurz vor der Stadt einholen würden, weil er sich länger im Sattel hielt, als sie zuerst glaubten, und weil sein Maultier es mit ihren Pferden ohne Weiteres aufnehmen konnte.
Also hielten sie an und kehrten um.
Nun würden sie Jube Scotts Fährte zurückverfolgt haben. Die Hufspuren seines Maultieres sind leicht zu verfolgen. Broderick Finnegan ist sicher, dass er sie am Spanish Springs Canyon und in der alten Spanier-Mine finden wird.
Als Finnegan die Stelle erreicht hat, bis zu der sie Jube verfolgten und dann umkehrten, erkennt er die Hufspuren zweier Pferde in entgegengesetzter Richtung.
Und er denkt: Die müssen verrückt geworden sein. O Himmel, bald wird das ganze Land voller Verrückter sein. Sie werden in den Spanish Springs Canyon kommen und überall zu suchen beginnen – in allen Wasserläufen, in den Bergfalten und überall dort, wohin einst das flüssige Gold in grauer Vorzeit hineingelaufen sein könnte, als unsere Mutter Erde noch ganz anders war. O Himmel, diese Welt wird sich verändern wie ein unschuldiges Mädchen, das plötzlich zur Hure wird. Und ich bin der Sheriff hier. Verdammt!
✰✰✰
Als er die alte Mine erreicht, da erwarten ihn die beiden Laffitter-Brüder vor dem großen Maul des alten Stolleneinganges.
Es sind Zwillingsbrüder, dunkel und langhaarig wie Indianer, verwegen wirkend und zumeist herausfordernd grinsend, als wollten sie sich mit der ganzen Welt anlegen. Sie sind sich so ähnlich, dass Finnegan nicht weiß, welcher von ihnen Jock und welcher Jack ist.
Aber einer sagt: »Wir dachten uns, dass du kommen würdest, Finnegan. Also hat es Jube bis zu dir geschafft und konnte dir auch noch verraten, wo er das Gold fand. Ist er jetzt tot? Ja? Denn dann würde uns die Goldader gehören, uns drei Glückspilzen. Oder siehst du das anders, Finnegan?«
Es ist eine hinterhältig drohende Frage.
Aber sie macht Finnegan in diesem Moment erst so richtig bewusst, dass er nun die Wahl hat, ein reicher Mann zu werden oder ein vergleichsweise armer Sheriff zu bleiben mit sechzig Dollar Gehalt im Monat.
Er denkt: Deshalb haben sie so ruhig auf mich gewartet und darauf gesetzt, dass ich allein kommen würde, um erst einmal herauszufinden, was es mit der Goldader auf sich hat. Oha, sie sind sich ziemlich sicher, dass ich genauso goldverrückt bin wie sie.
Indes er dies denkt, lauscht er tief in sich hinein. Und er fragt sich tatsächlich in diesen Sekunden, ob er die Chance, reich zu werden, nicht nutzen soll.
Er würde sich gewiss nicht anders verhalten als Tausende von Menschen, die plötzlich die Verwirklichung ihrer Träume vom großen Geld greifbar vor sich sehen. Gold – das war schon immer das große Zauberwort, das die Guten zu Bösen machen konnte überall auf dieser Erde.
Er könnte als Sheriff mit den Laffitter-Brüdern gemeinsame Sache machen und alles in ihrem Sinn und zu ihrem Vorteil beeinflussen. Selbst wenn Jubal Scott wieder gesund werden sollte, könnte er ihn leicht um alles betrügen.
Denn er ist der Sheriff. Er führt die Registrierliste. Er macht alle Eintragungen. Und Jubal Scott wird noch viele Wochen krank sein und nichts gegen ihn unternehmen können. Sie könnten die Goldader in diesen Wochen leicht bis auf den letzten Krümel ausbeuten.
Ja, es wäre alles ein Kinderspiel.
Die große Verlockung und Versuchung wird mächtig in ihm und will von ihm Besitz ergreifen wie das Verlangen nach einer betörenden Frau, die ihm den Verstand raubt.
Die Laffitter-Brüder stehen neben ihren Pferden vor dem Stolleneingang und betrachten ihn mit blinkendem Grinsen, so als wären sie die Verkörperung der Versuchung oder zwei Teufel, die sich sicher sind, dass sie sich eine Seele für Gold gekauft haben.
Plötzlich hört er sich sagen: »O ja, ich sehe es anders, ihr Mistkerle. Vielleicht wird Jubal Scott sterben. Dann ist es Mord und ihr werdet hängen. Auf keinen Fall aber werdet ihr an seiner Stelle die Goldader in dieser Mine herausholen, auf keinen Fall.«
Seine Stimme ist nicht besonders laut, eher leise. Doch sie klingt sehr präzise und unversöhnlich.
Sie hören seiner Stimme an und sehen es auch in seinen Augen, dass sie ihn nicht auf ihre Seite holen können.
Er steht da als Sheriff mit dem Stern an der Weste.
Und so faucht einer der Brüder nur scharf.
Dieses scharfe Fauchen ist ihr Zeichen. Sie ziehen gleichzeitig. Und sie sind schnell, verdammt schnell. Sicherlich waren sie bisher unüberwindlich. Doch jetzt ist es anders.
Noch bevor sie ihre Läufe hochschwingen können, um die Mündungen der Waffen auf den Sheriff zu richten, sehen sie in Finnegans Mündungsfeuer. Und die Kugeln stoßen sie wie Huftritte, sodass sie zwar ihre Waffen noch abdrücken können, aber nicht mehr treffen.
Und dann fallen sie fast gleichzeitig nach vorn aufs Gesicht, strecken sich und atmen nicht mehr. Es ist vorbei.
Brod Finnegan steht bewegungslos da mit der rauchenden Waffe in der Faust. Und er denkt voller Bitterkeit: Das ist der Anfang. O Hölle, das ist erst der verdammte Anfang!
Er verspürt das bittere Gefühl einer lähmenden Hilflosigkeit.
Und er fühlt sich so verdammt ohnmächtig allem gegenüber, was mit absoluter Sicherheit kommen wird.
Vielleicht habe ich soeben wie ein Narr gehandelt, denkt er. Denn ich werde nun allein gegen alle stehen – jawohl, gegen alle, die das Gold verrückt machen wird, so wie das schon immer war, seit die Menschen nach Reichtum gieren.
✰✰✰
Er hat die kleine Stadt noch nicht erreicht, als ihm die ersten Menschen entgegenkommen. Manche sitzen auf Pferden, aber auch auf Fahrzeugen jeder Art. Und sie haben Hacken, Schaufeln und Spaten bei sich, sind also ausgerüstet, um die Erde umzuwühlen.
Als sie ihn erreichen und er anhält, da halten auch sie an, umgeben ihn und die beiden Toten, die er quer über deren Pferde legte, um sie nach Opal zu schaffen.
Er blickt in die Runde und erkennt die Ungeduld und die Gier in den Gesichtern. Die meisten Leute kennt er, denn sie sind Bürger seiner Stadt.
Auch der Barbier ist unter ihnen. Dieser Barbier ist zugleich der Doc von Opal, denn als einstiger Sanitätssergeant bei der Armee während des Krieges versteht er sich auf Schusswunden und Knochenbrüche, weil er oftmals die Arbeit eines Feldarztes verrichten musste.
Der Barbier nickt Finnegan grinsend zu und sagt: »Nachdem ich Jube die Kugel herausgeholt hatte, wurde er wieder wach und erzählte mir alles. Ich hatte ihm zur Stärkung ein wenig Feuerwasser eingetrichtert. Ich wollte ihn so betäuben, sodass er die Schmerzen nicht so spürte, als ich mit der Kugelzange in seiner Wunde stocherte. Er war wohl so betrunken, dass er mich für seinen Bruder hielt. Gold im Spanish Springs Canyon. Und die Laffitter-Brüder wollten es wohl für sich, nicht wahr?«
Er lacht laut. Auch alle anderen Leute, die den Sheriff und die beiden Toten im Halbkreis umgeben, lachen durcheinander.
Er sieht in diese Gesichter und denkt: Ja, sie haben es gewittert. Sie wissen Bescheid. Und sie wollen sich holen, was sie bekommen können.
Er deutet auf die beiden Toten und sagt: »Jubal Scott hat seinen Claim ordnungsgemäß registrieren lassen. Es ist die alte verlassene Spanier-Mine. Diese beiden Narren wollten sie für sich in Besitz nehmen. Nun sind sie tot. Ich werde morgen wieder zur Mine kommen, um nachzusehen, wer sich da widerrechtlich aufhält. Dann könnte es wieder Tote geben. Sucht nur nicht in Jubal Scotts Mine nach Gold. Sucht meinetwegen im ganzen Canyon. Der ist freies Land. Denkt immer daran, wer einem Claimbesitzer das Gold stiehlt, ist ein Goldwolf und wird wie ein Pferdedieb behandelt. Und jetzt Platz da!«
Er reitet wieder an, zieht die beiden Pferde mit den Toten an den Leinen hinter sich her.
Sie öffnen den Halbkreis, lassen ihn durch.
Hinter sich hört er dann eine Stimme rufen: »Aaah, Jungs, wo eine Goldader ist, da gibt es noch mehr Gold. Der ganze Canyon ist vielleicht voll davon! Wir müssen nur in der Nähe von Jubal Scotts Mine zu suchen beginnen!«
Sie alle johlen und brüllen.
Und dann reiten oder fahren sie weiter.
✰✰✰
Die Stadt wirkt wie ausgestorben.
Als Finnegan vor dem Haus des Schreiners und Leichenbestatters hält, tritt dessen Frau heraus.
»Sie sind alle fort«, sagt sie. »Auch unser Gehilfe. Wenn wir die beiden da bestatten wollen, Sheriff, dann müssen Sie mir helfen. Alle Männer sind fort. Auch der Totengräber.«
Er nickt grimmig und sitzt ab, hilft der Frau, die Toten hineinzutragen und in zwei Särge zu legen.
»Ich lasse euch die beiden Pferde als Bestattungsentgelt«, sagt er und geht wieder hinaus.
Vor seinem Office erwartet ihn ein Mann, der wie ein Frachtwagenboss aussieht. Ja, er erinnert sich jetzt wieder an ihn. Dieser Mann kommt zumindest zweimal jedes Jahr mit seinem Frachtwagenzug hier durch und rastet dann stets in der Nähe der Stadt am Creek.
Der Mann sagt böse: »Sheriff, ich brauche Ihre Hilfe. Mir liefen einige Frachtfahrer weg, obwohl sie Verträge mit mir haben. Sie sind fort, um nach Gold zu suchen. Aber ich verlange, dass sie ihre Verträge erfüllen. Also reiten Sie mit mir hinaus, um sie zurückzuholen. Ich kann nicht meinen halben Wagenzug mit Fracht hier stehen lassen, nur weil sie verrückt nach Gold wurden.«
Finnegan sieht den Mann achselzuckend an.
»Ich glaube nicht, dass ich Ihnen helfen kann, Mister«, sagt er. »In diesem Distrikt ist jetzt die Hölle los, und alles läuft anders. Ich müsste eine starke Bürgerwehr hinter mir haben, um ...«
Er bricht ab und macht eine resignierende Bewegung.
»Mann«, sagt er, »binnen einer einzigen Woche haben wir einige tausend goldgierige Verrückte in diesem Land. Sie kommen von überall herbei, um ihr Glück zu finden. Ich habe nur einen einbeinigen Gehilfen und bin sonst völlig allein. Zwei Männer musste ich schon erschießen. Und das ist nur der Anfang. Mister, Sie müssen Ihre Probleme allein lösen. Ich habe zu viel am Hals.«
Er geht an dem Mann vorbei ins Office, und der Frachtzugboss flucht bitter hinter ihm her.
Windy Garret, der drinnen am Schreibtisch hockt und durch die offene Tür alles hören konnte, sieht ihm ernst entgegen. Dann aber spricht er böse: »He, Boss, es gefällt mir nicht, dass du soeben sagtest, dass du nur einen einbeinigen Gehilfen hättest. Dieses Nur gefällt mir nicht. He, ich bin immerhin nicht weggelaufen, um nach Gold zu suchen. Und ich kann meinen Mann stehen wie jeder zweibeinige Bursche. Du solltest mich nicht abwerten, Mister Sheriff.«
Dieser kann erkennen, wie beleidigt und böse Windy Garret ist.
Und er begreift, dass er ihm Unrecht tat.
»Schon gut, Windy«, murmelt er. »Es war dumm von mir, so zu reden. Ich weiß genau, was ich an dir habe. Aber dass du nicht weglaufen würdest aus Goldgier, das wusste ich.«
»So, wusstest du das? Na gut, dann behandle mich nicht wie einen Krüppel.«
»Das werde ich nicht, Windy. Aber nun sag mir, was ist mit Jube Scott?«
»Der lebt noch!« Windy grinst. »Und er ist betrunken. Der singt sogar manchmal auf seinem Lager. Und stets ist es das Lied von den goldenen Bänken am Sacramento. Immer singt er in seinem Rausch – und Fieber hat er auch schon – das alte Lied der Goldgräber von Kalifornien. Wer weiß, Boss, vielleicht packt auch uns bald das Goldfieber, und dann suchen auch wir im Spanish Springs Canyon nach Gold. Wer weiß, hahaha!«
Als Windy Garrets Lachen verstummt, tritt der Boss des Frachtwagenzuges ein, mit dem Finnegan draußen vor dem Eingang sprach.
Der bullige und hartgesichtige Mann sieht nun noch böser aus als vorn vor der Tür. Er sagt: »Sheriff, mein Name ist Younger, Stacy Younger. Und ich bin keine Pfeife, die sich alles gefallen lässt. Ich habe einen gewissen Ruf auf den Wagenwegen. Sie sind verpflichtet, mir Hilfe zu geben. Ich habe achtundvierzig schwere Murphy-Frachtwagen mit Anhängern vor der Stadt stehen. Und fast die Hälfte meiner Fahrer lief mir fort – nein, nicht lief, sondern ritt. Denn sie stahlen mir die Maultiere. Sie nahmen sich ganz einfach Tiere aus ihren Gespannen. Ist Maultierdiebstahl weniger schlimm als Pferdediebstahl? Also, Sheriff, ich will Ihren Stern auf meiner Seite haben. Sie brauchen nichts anderes zu tun, als dabei zu sein. Denn ich habe selbst einige Revolvermänner dabei, die sonst meinen Wagenzug beschützen. Kommen Sie, Sheriff. Ich will mir meine Fahrer und meine Tiere zurückholen. Wenn ich das nämlich nicht schaffe, laufen mir die anderen Fahrer auch noch weg. Das Gold macht sie alle verrückt. Kommen Sie!«
Seine Stimme klingt hart, fordernd, böse vor Wut.
Finnegan setzte sich indes hinter seinen Schreibtisch und blickt schräg zu dem ungeduldigen Mann empor. Er wird sich erst jetzt so richtig darüber klar, dass dieser Stacy Younger ein wirklich harter Bursche ist, der so leicht nicht aufgibt, sondern stets beharrlich seine Ziele verfolgt.
Und wenn seine desertierten Fahrer wirklich mit Tieren aus den Gespannen fort sind, dann muss er ihm als Sheriff Hilfe geben.
Aber Finnegan schüttelt den Kopf.
»Mister Younger«, sagt er langsam, »was haben Sie für eine Fracht in Ihren Wagen? Und wohin wollen Sie damit?«
Der bullige Mann tritt langsam näher.
»Was für Fracht ich in den Wagen habe? Oha, alles, was man sich nur denken kann, vom Klavier bis zur Nähnadel, Eisenwaren, Werkzeuge, Holz für Möbel, Textilien, Geschirr, Öfen, eine komplette Schmiedeesse mit Blasebalg. Aaah, es sind tausend verschiedene Dinge für Santa Fe. Ich kann sie gar nicht alle aufzählen. Es ist Fracht, die mir in Santa Fe aus den Händen gerissen wird, weil dieses Land dort im Süden alles braucht, einfach alles.«
Finnegan nickt.
»Mister Younger«, sagt er dann wieder sehr langsam und nachdrücklich, »was, glauben Sie, wird man hier alles brauchen, wenn all diese goldverrückten Narren herkommen, um ihr Glück zu machen oder nach Beute zu jagen? Was, Mister, glauben Sie, wird hier in wenigen Tagen los sein? Mann, Sie müssen mit Ihrem Wagenzug gar nicht bis Santa Fe, um Ihre Fracht mit Gewinn verkaufen zu können. Diese Stadt wird größer werden, so wie eine Warze, die zu einer Eiterbeule wird. Verstehen Sie?«
Stacy Younger richtet sich langsam wieder auf, stemmt die riesigen Hände dabei in die Hüften.
»Oho«, macht er, denkt noch einmal nach und nickt schließlich langsam. »Aber dazu gehört mehr als nur ein einziger Goldfund«, fügt er hinzu.
Nun nickt Finnegan. »Man wird noch mehr Gold und vielleicht auch Silber finden«, spricht er. »Darauf wette ich. Bis jetzt haben ja hier noch nicht viele Leute danach gesucht. Doch nun wird das anders. Tausende werden im Spanish Springs Canyon die Erde aufbrechen und alles umwühlen. Hier kommen jeden Tag zwei Postkutschen in beiden Richtungen durch. Die Nachricht von Jubal Scotts großem Goldfund ist jetzt schon nach Süden in Richtung Santa Fe und nach Nordosten in Richtung Kansas City unterwegs. Denken Sie mal nach, Mister Younger. Sie könnten hier bald bessere Geschäfte machen als in Santa Fe.«
✰✰✰
Zur selben Zeit, da im Sheriff's Office dieses Gespräch stattfindet, fährt die alte Sarah Padune – sie ist die Kräuterfrau von Opal und verkauft Teesorten gegen alle Krankheiten – mit ihrem alten, klapprigen Wagen durch das an dieser Stelle trockene Bett des Opal Creeks.
Als ihr rechtes Vorderrad gegen einen kindskopfgroßen Stein fährt, bricht es.
Und damit ist Sarah Padunes Fahrt beendet. Zum Glück ist sie kaum mehr als eine Viertelmeile von der Stadt weg, sodass sie sich zu Fuß auf den Rückweg machen könnte, um Hilfe zu holen.
Aber das tut sie noch nicht.
Denn die alte Sarah Padune ist ein seltsames Weiblein.
Sie klettert brummend von dem schief geneigten Wagen und betrachtet das zerbrochene Vorderrad.
Dann hebt sie ihren blauäugigen Blick gen Himmel, so als wollte sie eine stumme Frage nach oben senden und auf Antwort warten. Dabei hält sie ihre Hände wie betend gefaltet vor sich in Brusthöhe.
Eine Weile verharrt sie so.
Dann aber bewegt sie sich plötzlich mit einer wieselartigen Hurtigkeit. Sie holt aus dem Wagenkasten eine Spitzhacke heraus. Das Ding ist fast zu schwer für sie, denn es ist ja ein Männerwerkzeug. Die alte Sarah Padune aber wiegt kaum mehr als achtzig Pfund.
Dennoch hebt sie die Spitzhacke hoch über den Kopf und schlägt sie dann mit aller Kraft mit dem spitzen Ende in das trockene Creekbett, dicht neben dem zerbrochenen Wagenrad.
Als sie dann den Hackenstiel als Hebel benutzt, um die Hackenspitze wieder freizubekommen, schafft sie das erst nach mehrmaliger Anstrengung. Denn die Spitze sitzt unter dem kiesigen Sand des Creekbettes offenbar in einem festen Grund.
Aber schließlich schafft sie es doch. Ein Loch bricht auf. Sie sieht einige graue Steine zwischen dem kiesigen Sand, und so kniet sie nieder und greift sich die grauen Dinger heraus.
Aber es sind keine Steine.
Es ist Silber. Die alte Sarah Padune ist erfahren. Sie weiß, wie eine Silberader aussieht – oder wie aus einer Silberader herausgebrochene Stücke aussehen.
Denn die ganze Sache ist wahrhaftig sehr einfach zu verstehen. Schon der vermeintliche kindskopfgroße Stein, gegen den das Vorderrad des Wagens prallte, war ein Silbererzbrocken.
Sie schlug dann die Hackenspitze in eine Silberader und brach sie auf.
Nun kniet sie eine Weile im Sand des trockenen Creeks, hält die herausgeholten Silberbrocken in ihren hornigen Händen und blickt mit ihren blauen Augen zum Himmel auf.
Es ist ein Leuchten in ihren Augen. Und ihre Lippen bewegen sich betend. Aber es ist ein lautloses Gebet.
Wenig später macht sie sich auf den Weg zurück in die Stadt.
Als sie ins Sheriff's Office tritt, grinst Windy Garret ihr entgegen und fragt: »Nun, Tante Sarah, willst du nachsehen kommen, ob mir nach der Kur mit deinem Wundertee schon die ersten Haare nachwachsen auf meiner Glatze? Oh, ich sage dir, dass sie mir jetzt schneller aus der Nase wachsen – und aus den Ohren, aber nicht auf dem Kopf.«
Sie schüttelt den Kopf und wirft ihm die Silbererzbrocken auf den Schreibtisch.
»Ich will meinen Claim anmelden«, spricht sie. »Genau in der Furt des Creeks, ich meine an der Stelle, wo sonst die Furt ist, wenn der Creek Wasser führt. Los, mein Junge, trage es ein. Ich habe eine Silberader gefunden. Der Himmel ließ mein Wagenrad genau dort brechen, wo das Silber unter der Erde liegt. Der Himmel meinte es gut mit einer alten Frau.«
Windy Garret staunt mit offenem Mund.
Und aus dem Nebenraum tritt Finnegan, wo er sich gewaschen hat. Es ist schon fast Abend geworden. Er wird jetzt zum Abendessen gehen. Aber er hat gehört, was im Office gesprochen wurde.
»Herzlichen Glückwunsch, Sarah«, sagte er. »Nun wirst du eine reiche Frau. Was tust du dann?«
Sie lächelt blauäugig zu ihm empor. In ihrem Mund ist nur ein einziger Zahn zu erkennen.
Finnegan hört sie sagen: »Oh, mein Junge, wenn ich eine reiche Frau werden sollte, dann werde ich irgendwo ein schönes Haus bauen mit vielen Zimmern und einem schönen Garten – oder ich werde ein Schloss kaufen. Und dann sammle ich alle alten und einsamen Weiber von ganz Colorado ein und sorge dafür, dass man sie wie richtige Ladys bedient und versorgt. Ja, das werde ich tun, mein Junge.«
Finnegan nickt schweigend und geht hinaus.
Seine Sorgen sind nun noch größer geworden.
Denn der Silberfund so dicht bei der Stadt wird die Veränderungen im Land noch mehr beschleunigen. Und er weiß, dass es noch mehr solcher Funde geben wird, je zahlreicher die Glücksjäger sind.
Draußen hat sich nun die Dämmerung auf die Stadt gelegt. In einigen Häusern werden die ersten Lichter und Lampen angezündet.
Die Stadt ist sehr viel stiller als sonst. Nur die Frauen mit Kindern und die alten Männer sind noch hier.
✰✰✰
Am anderen Morgen besucht er Jube Scott, aber er kann nicht mit ihm reden, da der alte Goldsucher zu starkes Wundfieber hat. Die Frau des Barbiers kümmert sich um ihn. Sie half ja auch ihrem Mann, als dieser Jube die Kugel herausholte.
Nun sagt sie: »Der wird wieder. Eigentlich müsste er meinen Mann an seiner Goldader beteiligen. Denn wenn Linc ihm nicht die Kugel herausgeholt hätte, wäre er jetzt wahrscheinlich schon tot und seine Goldader herrenlos. Dass Linc ihn rettete, beweist doch mal wieder, wie gut mein Mann ist, nicht wahr? Also sollte Jube ihm dankbar sein.«
Finnegan erwidert nichts, geht hinaus, sitzt draußen auf und reitet aus der Stadt. Er schlägt die Richtung zum Spanish Springs Canyon ein.
Schon unterwegs kommt er aus dem Staunen nicht heraus.
Am Creek trifft er die alte Sarah Padune.
Sie hockt auf ihrem alten Wagen, den man aus dem Creekbett zog, und beaufsichtigt drei Männer, die mit Spitzhacken und Schaufeln arbeiten und aus der Silberader immer wieder Brocken herausbrechen.
Es sind drei sehr unterschiedliche Männer.
Einer ist der Trunkenbold von Opal, den man nur Bottle nennt. Der zweite Mann ist Pedro, ein Halbblut, der aber wahrscheinlich zu dreiviertel ein Apache oder Navajo ist. Und der dritte Mann ist ein Fremder, der wahrscheinlich erst in der Nacht nach Opal kam und sich seine Stiefelsohlen mit Riemchen an den Stiefeln festbinden musste und auch sonst sehr abgerissen ist, ganz und gar ein heruntergekommener Tramp.
Aber die drei sonst gewiss sehr arbeitsscheuen Männer arbeiten jetzt emsig wie die Ameisen.
Sarah Padune lacht den Sheriff meckernd an und sagt dann listig: »Wenn du auch für mich arbeiten willst, mein Söhnchen, dann bekommst du doppeltes Sheriffgehalt von mir. Willst du?«
Er gibt ihr keine Antwort, reitet lachend durch das trockene Creekbett und setzt seinen Weg zum Canyon fort.
Unterwegs überholt er einige Wagen, gefüllt mit Menschen, zumeist Männern, aber auch einigen Frauen. Auch Fußgänger sind unterwegs, die Hacken und Schaufeln schleppen. Reiter auf schlechten Tieren werden von ihm überholt. Und er weiß, dass dies erst der Beginn des Runs nach dem Reichtum ist. Diese Leute sind im Laufe der Nacht aufgebrochen, sobald die Nachricht des Goldfundes sie erreicht hatte. Aber es werden in den nächsten Stunden, Tagen und Nächten immer mehr kommen.
Der Weg zum Spanish Springs Canyon ist nicht mehr weit.
Und dort, wo sich der Eingang der alten Mine befindet, da wühlen sie überall dicht beieinander. Sie hacken und schaufeln überall den Boden auf, hämmern in den Bergfalten. Sie kümmern sich nicht um die Dinge in ihrer Umgebung. Und so wird er kaum beachtet.
Vor dem Stolleneingang stehen einige Sattelpferde.
Und bei ihnen steht ein Mann, der zwei Revolver im Kreuzgurt trägt. Er sieht dem Sheriff bewegungslos entgegen, wartet mit kühler Ruhe. Seine Füße stehen einen halben Yard auseinander, so als hätte er die Absicht, dort Wurzeln zu schlagen.
Finnegan kennt sich aus. Er weiß, dass er einen Revolvermann vor sich hat, der sich für ein Duell bereitmacht.
Er hält an und sitzt ab.
»Hallo, sind Sie der Sheriff?« So fragt der Mann mit einem spöttischen Klang in der Stimme.
Finnegan zeigt ihm wortlos die blinkenden Zahnreihen, denn die Frage ist überflüssig, da er seinen Stern an der Weste trägt. Sie ist vielmehr eine spöttische Herausforderung. Er erkennt es in den dreieckig wirkenden Augen des Mannes.
Er deutet auf den Stolleneingang. »Wer ist dort drin?«
»Aaah, nur ein paar Freunde von mir. Und ich achte hier draußen darauf, dass man sie nicht stört. Was dagegen, Sheriff?«
Wieder klingt die Frage beim Wort Sheriff spöttisch.
»Holen Sie Ihre Freunde heraus«, spricht Finnegan. »Dies ist keine verlassene Mine. Ihre Freunde dort drinnen begehen Goldraub. Rufen Sie sie heraus. Dann könnt ihr verschwinden.«
Der Revolvermann grinst nun spöttisch und verächtlich.
»Ich bin Jeremy O'Quinn aus Laredo«, sagt er. »Schon gehört von mir? Wenn Sie klug sind, Sheriff, dann verschwinden sie, nicht wir. Also, hauen Sie schon ab, bevor ich Ihnen Beine mache.«
Finnegan nickt langsam.
Nun weiß er Bescheid. In seinem Office liegen einige Steckbriefe. Und der von Jeremy O'Quinn ist auch dabei. Das Bild wurde von einem Zeichner gemacht. Er hätte O'Quinn jedoch nach diesem Bild nicht erkannt.
Er sagt: »Wenn Sie O'Quinn aus Laredo sind, dann muss ich Sie festnehmen.«
Da lacht der Revolverheld.
Aber dieses Lachen soll eine Täuschung sein, denn obwohl er seinen Kopf zurücklegt und sozusagen gen Himmel lacht, schnappen seine Hände nach den Revolvern. Aber als er sie gerade heraus hat, bekommt er Finnegans Kugel mitten ins Herz.
Er lässt die Revolver fallen und stirbt stehend. Ja, er ist tot, bevor er zusammenbricht.
Aus der Mine kommen nun einige Männer gelaufen. Finnegan sieht sofort, dass sie nicht O'Quinns Format haben. Die da sind von der Sorte, die stets einen Anführer nötig hat, weil sie selbst nur drittklassig ist.
Es sind vier Burschen, die staunend und unschlüssig verharren. Was sie sehen, können sie nicht glauben. Denn für sie schien O'Quinn unüberwindlich zu sein.
Finnegan ist klar, dass O'Quinn die Burschen irgendwie und irgendwo zu sich nahm, damit er in ihnen willige Handlanger hat, folgsame Kerle, die genau das tun, was er von ihnen verlangt, solange sie unter seiner Führung gut leben.
Er ruft ihnen zu: »Haut ab! Los, auf die Pferde und fort mit euch! Und wenn ich euch noch mal in meinem Distrikt sehen sollte, dann kommt ihr nicht so glimpflich davon. Dann lege ich euch genauso flach wie den da!«
Er hätte es auch anders sagen können. Doch er weiß, sie verstehen nur diese brutale Sprache. Ja, er macht ihnen den rücksichtslosen Revolver-Sheriff vor.
Denn er will sie vertreiben, nicht vernichten müssen. Es ist schon bitter genug für ihn, dass er O'Quinn erschießen musste.
Sie gehorchen plötzlich.
Obwohl sie in der Überzahl sind, haben sie nicht den Mut, sich gegen seinen Befehl aufzulehnen. Ihr Anführer liegt bewegungslos am Boden. Er hatte also keine Chance gegen diesen Sheriff.
Und so laufen sie zu den Pferden, sitzen auf und reiten davon.
Finnegan sieht ihnen nach. Dann blickt er sich um.
Man hat ihn gewiss beobachtet in seiner Umgebung.
Doch sie arbeiten schon wieder alle, wühlen den Boden um und hoffen, dass sie beim nächsten Hackenschlag auf Gold oder Silber treffen.
✰✰✰
Es ist später Mittag, als er nach Opal zurückgeritten kommt.
Am nördlichen Ende der Stadt stehen die Wagen des Frachtwagenzuges in Doppelreihe wie Häuser und Hütten an den Rändern einer Straße.
Finnegan begreift, dass der Wagenboss Stacy Younger bleiben will. Und er hat mit seinen schweren Frachtwagen die Hauptstraße gewissermaßen verlängert, so als wäre sie von neuen Hütten und Häusern gesäumt.
Also ist die Stadt um achtundvierzig Wagen und Anhänger gewachsen. Und vielleicht werden bald aus den Wagen tatsächlich richtige Häuser. Ja, das kann leicht so kommen, wenn noch weitere Gold- und Silberfunde gemacht werden und die Kunde davon sich verbreitet.
Die Stadt wurde wieder lebendiger. Es kamen viele Fremde auf Sattelpferden und in Wagen jeder Sorte. Als er in die Hauptstraße reitet, kommt ihm vom anderen Ende die Postkutsche von Kansas entgegen, und sie ist voller Menschen. Selbst oben auf dem Dach zwischen den Gepäckstücken hocken noch zwei Männer.
Finnegan weiß, so wird es jetzt weitergehen, Tag und Nacht. Der Zustrom wird täglich, ja stündlich stärker werden.
Einige Wagen von Stacy Youngers Frachtzug haben die Seitenwände heruntergeklappt und wurden so zu Verkaufsständen. Es wird vor allen Dingen Werkzeug verkauft, also Spitzhacken, Schaufeln, Spaten, Hämmer, aber auch jene flache Schüsseln, mit denen Goldsucher den Sand auswaschen, bis nur noch Goldstaub bleibt, der ja schwerer ist.
Viele Leute, die ohne Ausrüstung ankamen, rüsten sich aus für die Goldsuche. Sie kaufen auch Proviant, vor allen Dingen Rauchfleisch, Speck, Mehl und Zucker, Hülsenfrüchte. Und Youngers Wagenzug hat ja alles vorrätig.
Younger tritt zwischen den Wagen hervor auf die staubige Fahrbahn und hebt die Hand, damit Finnegan anhält.
»Sie sehen, Sheriff«, spricht er zu Finnegan empor, »dass ich Ihren Rat befolgt habe. Ich lasse mich in dieser Stadt nieder.«
»Gut«, nickt Finnegan.
Der bullige Mann mit dem harten Gesicht und den flintsteinharten Augen grinst nun fast böse.
»Aber ich vergesse nicht, Sheriff«, sagt er, »dass ich hier keine Hilfe erhielt, als ich Sie darum bat. Es wird in dieser Stadt noch ziemlich wild werden, denke ich. Deshalb sage ich Ihnen schon jetzt, kommen Sie nur nicht irgendwann mal auf die Idee, mich um Hilfe zu bitten. Und kommen Sie auch nicht meinen Interessen hier in die Quere. Ich ...«
»Wollen Sie mir drohen, Younger?« Finnegan fragt es fast sanft.
Aber Younger schüttelt den Kopf. »Nur die Grenzen abstecken«, spricht er. »Sie sind verdammt allein, Sheriff. Und es wird hier bald mehrere Interessengruppen geben, gegen die Sie wenig ausrichten können. Meine Absichten beschränken sich auf das Monopol der Versorgung. Wenn es sein muss, werbe ich noch ein ganzes Dutzend Revolverschwinger an. Verstanden?«
Finnegan erwidert nichts. Er betrachtet den Mann nur noch einmal fest und reitet wortlos weiter.
Einen Moment lang verspürt er den Wunsch, aufzugeben. Es wäre so einfach. Er müsste nur einen Moment sein Pferd vor dem Hotel anhalten, auf sein Zimmer gehen, die wenigen Sachen zusammenpacken und sie in den Satteltaschen und in einer Sattelrolle verstauen.
Dann könnte er sich wieder aufs Pferd setzen und davonreiten.
Ja, so einfach wäre es.
Aber er denkt nicht daran! Verdammt, er wird nicht davonlaufen!
Als er an Kate Langtrys Schneiderladen vorbei will, tritt Kate heraus. Sie lächelt zu ihm empor – und einmal mehr wird er sich bewusst, wie sehr sie ihm gefällt. Abermals fragt er sich, warum eine so schöne und reizvolle Frau sich mit einem Schneiderladen begnügt und für Frauen und Kinder Kleidung näht.
Er hält sein Pferd an und greift an die Hutkrempe.
»Die Welt hier«, sagt er, »verändert sich jetzt schnell.«
Sie nickt. Dann macht sie eine einladende Bewegung.
»Ich habe das Essen fertig, Brod«, sagt sie lächelnd. »Es reicht für uns beide. Wollen Sie herausfinden, ob ich gut kochen kann?«
Er zögert. Aber dann sitzt er ab und bindet sein Pferd an die Haltestange. Er folgt ihr durch den Laden und die Werkstatt in die Wohnküche des kleinen Hauses, und als er sich an den Tisch gesetzt hat, muss er nicht lange warten. Sie hantiert geschickt am Herd und bringt Hammelbraten auf den Tisch, dazu grüne Bohnen und Klöße. Als sie den roten Wein eingegossen hat, trinken sie sich zu.
»Und warum, Kate, luden Sie mich ein?« So fragt er.
Sie lächelt und erwidert: »Brod, ich weiß, dass ich Ihnen gefalle. Das spürt eine Frau wie ich, die einige Erfahrung besitzt. Und so frage ich mich immer wieder, warum Sie es bei mir noch nie versuchten. Fast alle Männer von Format versuchen es bei mir. Nur die kleinen Burschen nicht. Für die bin ich gewissermaßen die Taube auf dem Dach. Die begnügen sich mit dem Spatz in der Hand. Warum also, Brod Finnegan, versuchten Sie es noch nicht?« Es ist eine klare Frage.
Er hebt die Schultern, lässt sie wieder sinken.
»Ich war lange ein kranker Mann, den der County Sheriff in diesen ruhigen Distrikt schickte, damit er wieder gesund werden konnte. Und dann habe ich immer gespürt, Kate, dass Sie ein paar Nummern größer sind, als Sie hier erscheinen. Ich denke mir, dass Sie vor etwas weggelaufen sind, ihr ganzes Leben veränderten und sich hier verstecken. Ich habe immer darauf gewartet, dass sich dies alles mal klären würde. Und überdies bin ich nur ein kleiner Deputy Sheriff in einem kleinen Distrikt. Mein Instinkt riet mir stets ab, es bei Ihnen zu versuchen.«
Sie nickt ziemlich heftig zu seinen Worten.
Dann beginnen sie endlich zu essen. Der Hammelbraten ist köstlich.
Erst nach einer Weile spricht sie: »Ja, ich bin weggelaufen. Ich lief einem sehr mächtigen und rücksichtslosen Mann weg, der mich als seinen Besitz betrachtete und mich zwang, Dinge zu tun, die ich nicht länger tun wollte. Ja, ich änderte mein Leben und versteckte mich hier in dieser abgelegenen und friedlichen Stadt als Schneiderin. Solche Städte interessierten diesen Mann nie. Hier hoffte ich unentdeckt zu bleiben. Doch nun wird die Stadt bald zu einem neuen Babylon werden, vielleicht auch zu einem Sodom und Gomorrha. Und in solchen Städten wird dieser Mann schnell der Boss. Er nimmt sich wie ein zweibeiniges Raubtier eine fette Beute. Also wird er wahrscheinlich auch hierher kommen, wenn noch mehr Gold- und Silberfunde gemacht werden und der Run erst richtig losbricht. Brod Finnegan, ich möchte nicht wieder fortlaufen. Bekomme ich deine Hilfe?«
Und wieder ist es eine einfache und klare Frage.
Er sieht in ihre grünen Augen und wird sich der Lebendigkeit ihres Mundes bewusst. Die zuckenden Lippen verraten ihm viel. Und er begreift, diese Frau fürchtet sich und will zugleich Mut beweisen. Sie will nicht wieder die Flucht ergreifen und sucht nach einem Beschützer oder Verbündeten. Ihm traut sie diese Rolle zu.
Er grinst und erwidert: »Oh, ich weiß, dass wir bald in dieser Stadt Machtkämpfe haben werden. Town- und Goldwölfe werden kommen. Und die Gilde der Schmutzigen wird die Stadt zu übernehmen versuchen. Der Mann, den du fürchtest, ist also solch ein Bursche. Wenn er kommen sollte, werde ich ohnehin mit ihm zu tun kriegen. Denn ich habe nicht die Absicht, mir die Stadt wegnehmen zu lassen. In dieser Stadt und in meinem Distrikt bin ich der Sheriff – und sonst niemand. Kate, ich habe wegen Jubal Scotts Goldader schon drei Männer töten müssen, und ich fürchte, ich werde es auch wegen dieser Stadt auf mich nehmen. Ich habe vor einem Jahr einen scheinbar ruhigen Job angetreten, der sich nun zu einem Höllenjob verändern wird. Kate, ich weiß nicht, ob ich dich beschützen kann, wenn der Bursche kommt, um hier alles zu übernehmen, auch dich. Aber ich versuche es. Gut so?«
Sie nickt.
Und dann essen sie weiter. Manchmal sehen sie sich an oder trinken sich zu.
Aber ihre Zweisamkeit in der kleinen Wohnküche wird schon bald gestört. Denn draußen auf der Straße wird es laut: Hufschlag, Gebrüll, dann auch die Geräusche von Wagen mit galoppierenden Gespannen.
Finnegan erhebt sich, geht nach vorn in den Laden und tritt von dort auf die Straße. Und da sieht er es.
Es kamen einige Dutzend Menschen auf Pferden oder in Wagen. Und sie alle drängen sich vor dem Sheriff's Office.
Eine Stimme gellt durch die Straße, offenbar als Erwiderung auf eine Frage, die jemand den Reitern zurief.
»Gold! Gold und Silber im trockenen Opal Creek bis hinauf zum Spanish Springs Canyon! Gold und Silber überall!«
»Da ist es nun endgültig«, sagt Finnegan über die Schulter zurück zu Kate, die ihm gefolgt ist und halbrechts hinter ihm verhielt. »Der Opal Creek bekommt sein Wasser bei der Schneeschmelze aus dem Spanish Springs Canyon und dessen Creek. Nun werden sie überall zwischen unserer Stadt und dem Canyon im ganzen Land Gold und Silber finden. Jetzt wird alles explodieren. Ja, man muss es wohl mit einer Explosion vergleichen. Denn die goldgierige Meute der Glücksjäger wird sogar aus tausend Meilen in der Runde kommen. Die Kunde wird sich binnen weniger Tage verbreiten wie der Wind. Jetzt könnte es wohl sein, dass jener Mann kommt, vor dem du dich fürchtest, Kate. Wie ist sein Name?«
»James Carradine«, flüstert sie.
Finnegan tritt zu seinem Pferd.
»Ich muss zu meinem Office«, sagt er dabei zu Kate. »Die wollen sich alle ihre Claims registrieren lassen. Ich muss Windy Garret helfen.«
Sie sieht ihm nach. Und es ist ein Ausdruck von Hoffnung und zugleich auch von Zweifel in ihrem grünäugigen Blick.
✰✰✰
Eine Woche später kann man nicht mehr glauben, dass Opal einmal eine kleine, ruhige und friedliche Stadt inmitten eines Distrikts war, in dem nur einige Ranches und Farmen lagen, nur wenige Menschen von unbestimmten Einkünften lebten und es ein paar Wildpferdjäger, Opalsucher und Schafzüchter gab.
Die kleine Stadt Opal geht auf wie ein Hefeteig. Sie wächst unaufhörlich. Häuser, Hütten und Zelte schießen wie Pilze aus dem Boden.
Und in dieses babylonische Durcheinander stoßen die Nachrichten von neuen Gold- und Silberfunden wie Fanfarensignale, die zu noch größeren Anstrengungen anfeuern.
Fast jeden Tag wird ein neuer Saloon oder Tingeltangelbetrieb aufgemacht. Die Gilde der Schmutzigen macht sich breit in Opal City, wie sich die einst so kleine Stadt jetzt nennt.
Jubal Scott, der die Goldader im Spanish Springs Canyon fand und fast gestorben wäre, kam inzwischen wieder auf die Beine. Er warb eine Mannschaft an und ließ sich mit einem Wagen zu seiner Mine fahren. Er ist noch zu schwach, um selbst zu arbeiten. Aber er beaufsichtigt alles wie ein wachsamer Geier.
So ist oder kommt also alles überall in wirbelnde Bewegung und verändert sich von Tag zu Tag und Nacht zu Nacht.
Broderick Finnegan kommt sich manchmal total hilflos vor. Er kann nichts aufhalten. Die Flut würde ihn wegreißen wie einen entwurzelten Baum.
Und von der Bürgerschaft der Stadt bekommt er keine Hilfe. Denn diese Bürger, die einst ein stilles, ruhiges Leben führten und dann hinauszogen, um nach Gold zu suchen, kamen längst wieder zurück. Ihre Geschäfte und Werkstätten wurden inzwischen nämlich ebenfalls zu Goldgruben.
Die Bürgerschaft hat sich dann sehr rasch formiert, hat eine Vertretung mit Bürgermeister und drei Stadträten gewählt.
Und der Bürgermeister heißt Stacy Younger.
Als Finnegan am dritten Tag nach der Wahl an der Bar des Opal Saloons auf Stacy Younger trifft, zeigt Younger ihm ein hartes Lächeln und sagt: »Das hätten Sie wohl nicht gedacht, Sheriff?«
»Nein«, erwiderte Finnegan. »Aber hier geschehen ja fortwährend Dinge, die normalerweise nicht möglich sind. Sie sind ein mächtiger Mann geworden, Younger. Kaum zu glauben, dass Sie mich mal um Hilfe baten, als Ihnen einige Frachtfahrer wegliefen, um ...«
»... zu desertieren«, unterbricht ihn Younger. »Sie wurden vertragsbrüchig. Und es ist gut, dass ich Sie jetzt treffe, Sheriff. Denn nun kann ich Ihnen sagen, was sein wird.«
Er macht eine Pause und starrt Finnegan feindselig an. Aber Finnegan fragt nicht, was er ihm sagen will, erwidert nur seinen Blick und wartet. Und so spricht Younger langsam und gewichtig: »Diese Stadt ist jetzt groß genug, um einen eigenen Marshal zu ernennen, der unsere Stadt innerhalb der Stadtgrenzen vertritt. Aus diesem Grund gelten Ihre Befugnisse nur noch außerhalb der Stadtgrenzen. Innerhalb der Stadt müssen Sie den Town Marshal um Amtshilfe bitten. So sind die Gesetze des Staates Colorado. Verstanden, Sheriff?«
»Genau«, nickt Finnegan. »Und wer wird hier Town Marshal sein?«
»Jesse Quaid«, erwidert Stacy Younger knapp. »Vielleicht hörten Sie schon von ihm. Ich ließ ihn aus Santa Fe kommen.«
»O gewiss, Younger. Über Jesse Quaid weiß ich gut Bescheid. Da haben Sie einen zweibeinigen Tiger hergeholt. Er war auch schon Kopfgeld- und Skalpjäger. Der wird seinem Namen alle Ehre machen. Denn den nennt man auch Bloody Quaid. Aber es ist jetzt Ihre Stadt, Younger, nicht mehr meine.«
Finnegan geht nach diesen Worten, und er fragt sich, wie es weitergehen wird in Opal City.
Wieder denkt er an den Mann, vor dem Kate Langtry sich so sehr fürchtet und vor dem sie dennoch nicht mehr fortlaufen will. James Carradine ist sein Name. Wird er kommen? Und wenn, wann? Und wie mächtig wird er sein?
Finnegan geht zum Mietstall und holt sich dort sein Pferd. Er reitet bald darauf aus der Stadt – und er verspürt eine gewisse Erleichterung und ein Gefühl der Befreiung. Es ist ihm nur recht, dass er nun für die Stadt nicht mehr verantwortlich ist.
Wenig später erreicht er die Furt des Creeks, wo sich die Silbermine der alten Sarah Padune befindet.
Auch hier hat sich alles verändert. Die Mine befindet sich im Creekbett und führt in diesem – der Silberader folgend – schräg in die Tiefe. Neben dem Creek stehen einige Zelte.
Sarah Padune sitzt auf ihrem alten Wagen wie auf einem Thron, fest eingehüllt in eine bunte Navajodecke.
Von diesem Thron aus beobachtet sie scharfäugig etwa drei Dutzend Männer, die im Schweiße ihres Angesichts schuften und das Silbererz heraufkarren, um es in Erzwagen zu schaufeln, mit deren Hilfe es fortgebracht wird. Denn inzwischen entstanden Stampfwerke, Erzmühlen, Waschanlagen und Schmelzen.
Die alte Sarah blickt zur Seite, als Finnegan neben ihrem Wagen sein Pferd verhält.
Sie kichert und sagt dann: »Nun, mein Söhnchen, da staunst du wohl, wie? Das ist eine prächtige Mine, nicht wahr? Morgen kommen dreißig Mann, die das Creekbett umleiten, damit mir die Mine beim nächsten großen Regen oder bei der Schneeschmelze nicht voll läuft. Davor habe ich immerzu Angst. Wenn das Wetter umschlägt und es lange genug regnet, wird sich der Creek wieder mit Wasser füllen. Dann säuft meine Mine ab. Wir sind jetzt schon fast zwei Dutzend Yards schräg hinunter. Und wenn die Silberader hundert Yards tief abwärts führt, ich werde ihr folgen. Junge, ich lasse das Silber in Barren zu je hundert Pfund gießen. Die kann man nicht so leicht wegschaffen. Bin ich kein kluges altes Mädchen?«
»Gewiss«, sagt Finnegan. »Aber mach dir keine Sorgen. Wenn jemand dir das Silber stehlen sollte, dann bringe ich es dir zurück, Tante Sarah.«
Er reitet weiter. Und er fragt sich in diesem Moment, wann wohl die Banditen zum ersten Mal zuschlagen werden.
Er macht sich keine Illusionen.
Es kam inzwischen genügend zweibeiniges Raubwild in die Stadt und in das Land. Die ersten Silber- und Goldtransporte werden bald nach Kansas City auf den Weg gebracht werden müssen. Und in der Gegenrichtung wird dann Geld nach Opal City kommen. Die Filiale der Kansas-Bank, die erst am Vortag in Opal City eröffnete, wird für diese Transporte in beide Richtungen in Zusammenarbeit mit der Post- und Frachtlinie sorgen.
Ja, es wird Überfälle geben.
Dann bekommt er Arbeit.
✰✰✰
Es ist drei Tage später, als der Town Marshal Jesse Quaid stirbt.
Etwa zwei Stunden nach Mitternacht geschieht es, als er aus dem Etablissement der dicken Dolly tritt, wo er die Steuern kassierte und von Dolly für sich selbst zusätzlich fünfhundert Dollar verlangte, damit er ihr für die nächsten vier Wochen freundlich gesinnt und gewogen bliebe.
Dolly zahlte knirschend. Und wenig später hörten sie und ihre Mädchen mitsamt den Gästen das Krachen der Schrotflinte draußen vor der Tür.
Als sie auf die Straße laufen, da sehen sie den Marshal in seinem Blut liegen. Sie verharren eine Weile regungslos, indes noch mehr Neugierige hinzukommen und sie alle einen immer dichter werdenden Kreis um ihn bilden.
Sie alle betrachten den sterbenden Marshal.
Jemand sagt: »Der hat sich wohl von Anfang an zu viele Feinde gemacht.«
Dolly hört es, will etwas sagen, beißt sich jedoch lieber auf die Zunge und denkt nur: Ja, auch mich hat er erpresst. Fünfhundert Dollar musste ich ihm geben, damit er mir freundlich gesinnt blieb. Wenn er alle anderen Geschäftsleute ähnlich erpresst hat, dann ist es kein Wunder, dass ihm jemand eine doppelte Schrotladung verpasste – kein Wunder, verdammt!
Der dichte Kreis der Menge wird an einer Stelle geöffnet, und Stacy Younger wird sichtbar.
Er tritt zu der leblosen Gestalt des Mannes, den er zum Marshal machte, und stößt ihn sachte mit der Stiefelspitze an. Doch Jesse Quaid rührt sich nicht mehr. Stacy Younger sieht sich um, starrt in viele Gesichter. Dann wendet er sich an Dolly.
»He, er war bei dir, nicht wahr?« So fragt er grimmig.
»Na und?« So fragt sie zurück. »Als man ihn tötete, war er hier draußen auf der Straße. Und er hatte gewiss viele Feinde, die seiner Fährte folgten wie Schatten. Auch bei uns hat er sich nicht gerade beliebt gemacht.«
Sie wendet sich ab und kehrt in ihr Etablissement zurück. Ihre Mädchen und deren Gäste folgen ihr. Der dichte Kreis der Neugierigen löst sich auf.
Stacy Younger bleibt schließlich allein bei Quaids Leiche zurück. Niemand kümmert sich mehr um ihn und den Toten.
Aber dann tritt ein Mann langsam näher, der bisher in einiger Entfernung wartete. Es ist ein großer, schlanker Mann, der einen dunklen Anzug trägt. Im Laternenschein und den gelben Lichtbahnen, die er durchschreitet, erkennt Younger, dass der Mann eine Brokatweste unter der Jacke trägt, unter der sich gewiss auch ein Schulterholster verbirgt.
Der Mann nickt Younger zu und blickt dann auf den Toten nieder.
Nach einer Weile spricht er leise: »Mister Younger, ich bin gekommen, um diese Stadt zu übernehmen. Mein Name ist Carradine, James Carradine. Es wäre wirklich schlimm, wenn Ihnen das gleiche Unglück zustoßen würde wie diesem Quaid. Ich mochte den Burschen nie. Sonst hätte ich mich vielleicht dazu entschlossen, ihn nur meine Befehle ausführen zu lassen. Doch das hätte Sie, Mister Younger, wohl nicht so beeindruckt wie sein Tod. Nicht wahr?«
Stacy Younger möchte es nicht glauben. Einen Moment glaubt er zu träumen. Im Lichtschein der Laternen und Fenster starrt er Carradine an.
Und er möchte wild und böse reagieren.
Aber hinter dem Mann stehen noch zwei andere, wachsam und wartend, kein Dutzend Yards von Younger entfernt.
»Ich bin der Bürgermeister dieser Stadt«, knurrt Stacy Younger. »Was meinen Sie mit Ihren Worten, dass Sie gekommen seien, um diese Stadt zu übernehmen?«