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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2506 bis 2508:
2506: Todespatrouille
2507: Goldwölfe
2508: Horse Mesa - Land der wilden Pferde
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 483
Veröffentlichungsjahr: 2023
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2021 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2023 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Norma/Prieto
ISBN: 978-3-7517-4736-3
www.bastei.de
www.sinclair.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Western-Bestseller 2506
Lockwood
G. F. Unger Western-Bestseller 2507
Die Verwegenen
G. F. Unger Western-Bestseller 2508
Leben im Sattel
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Contents
Lockwood
Als sie die Filiale der Kansas Bank in Longhorn City betreten, wirken sie ganz und gar wie seriöse Geschäftsleute und gewiss nicht wie Banditen. Denn sie haben sich gut getarnt. Lyn Skinner trägt einen Vollbart und auf der Nase einen Kneifer. Er sieht in seinem zu weiten Anzug wie ein zerstreuter Professor aus.
Jeremy Kilroy wirkt mit seiner grauen Perücke und dem Krückstock sehr viel älter, als er ist. Er humpelt stark und hält sich leicht gebückt.
Johnny Hackett hat sich als mexikanischer Hidalgo verkleidet und gibt sich stolz und vornehm.
Nun, diese drei so unterschiedlich wirkenden »Gentlemen« betreten also nacheinander kurz vor Geschäftsschluss die Bank und warten geduldig, bis sie die letzten Kunden sind ...
Hinter ihnen schließt einer der Angestellten schon den Haupteingang. Es ist so üblich, dass er von nun an dort verharrt, um die Kunden, die noch im Schalterraum sind, hinauszulassen, nachdem sie abgefertigt wurden.
Hinter dem vergitterten Kassenschalter blickt der Kassierer auf seine silberne Taschenuhr und sagt zu Lyn Skinner, der inzwischen an den Schalter trat: »Sie sind spät, Sir. Was kann ich für Sie tun? Ein- und Auszahlungen sind nicht mehr möglich. Unser Buchhalter ist schon weg. Aber Sie sind ja wohl keine Kunden von uns. Sonst würde ich Sie kennen, nicht wahr?«
»Ach«, erwidert Lyn Skinner sanft und verständnisvoll, »wir brauchen keinen Kontenführer, denn ich besitze bei Ihnen kein Konto, sodass Ein- oder Auszahlungen auch nicht verbucht werden könnten. Aber dennoch möchte ich Geld von Ihnen, und zwar alles, was Sie da im offenen Tresor haben.«
Indes er so sanft und verständnisvoll spricht, lässt er den Kassierer in die Mündung seines Colts blicken, der wie durch Zauberei in seiner Hand erschien und dessen Mündung dem Kassierer so groß dünkt wie die Mündung einer Kanone.
Neben dem Angestellten an der Ausgangstür verharrt der wie ein vornehmer Mexikaner zurechtgemachte Johnny Hackett. Er hat plötzlich ein Messer in der Hand und hält es dem noch jungen Mann an die Kehle.
Jeremy Kilroy aber hinkt mit seinem Krückstock zur vergitterten Tür des Kassenraumes und öffnet sie, indem er durch das Gitter nach innen greift, wo der Schlüssel im Schloss steckt.
»Ihr seid aber sehr unvorsichtig«, sagt er. »Habt ihr denn nie mit der Möglichkeit eines Überfalls gerechnet?«
»Nein«, erwidert der Kassierer. »Denn nur Narren würden uns auszurauben versuchen, nur Narren, das können Sie mir glauben, Mister Bandit. Den Banditenjägern der Kansas Bank entkommt keiner zwischen Alaska und Feuerland – keiner!«
Er verstummt mit dem Tonfall absoluter Überzeugung.
Aber Jeremy Kilroy lacht und erwidert: »Das werden wir mal ausprobieren.«
Indes er spricht, tritt er an den offenen Geldschrank. Er brachte einen großen Leinenbeutel zum Vorschein, den er unter seiner Kleidung eng zusammengefaltet trug, und beginnt das Papiergeld aus dem Geldschrank zu nehmen, um den Sack damit zu füllen.
Es dauert eine Weile, denn es ist eine Menge Geld im Tresor.
Als er es eingesammelt und sich dazu noch ein paar Zwanzig-Dollar-Goldstücke in die Westentasche gesteckt hat, nickt er dem Kassierer zu und sagt: »Gehen wir zur Hintertür, mein Freund.«
Er geht nach diesen Worten voraus. Ihm folgen der Kassierer und Lyn Skinner, der den Kassierer bisher mit dem Colt bedrohte und nun ebenfalls den Kassenraum betritt, von dem aus man zur Hintertür gelangt.
Johnny Hackett, der bislang sein Messer an die Kehle des Angestellten hielt, löst sich von dem jungen Mann und tritt einen Schritt zurück.
Doch dann schlägt er gnadenlos zu. Es sind die erbarmungslosen Schläge eines harten Mannes, der schon durch viele Grenzkämpfe ging und es mit fast jedem Preiskämpfer aufnehmen kann.
Dann folgt er seinen Partnern und dem Kassierer. Letzterer macht sich ernsthaft Sorgen.
Was werden die Kerle mit ihm tun?
Er spürt die Revolvermündung des Mannes hinter ihm in seinem Rücken.
Aber im nächsten Moment bekommt er auch schon den Revolverknauf auf den Kopf.
Jeremy Kilroy öffnet indes die Hintertür und tritt hinaus.
Sie folgen ihm. Johnny Hackett zieht die Tür vorsichtig hinter sich zu.
✰✰✰
Es ist eine halbe Stunde später, als der Angestellte aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht und wie betrunken hinaus auf den breiten Gehsteig taumelt und heiser krächzend ruft: »Überfall! Überfall! Leute, holt den Marshal, Überfall! Sie haben die Bank ausgeraubt!«
Nun erst wird in Longhorn City bekannt, dass die Filiale der Kansas Bank überfallen und ausgeraubt wurde.
Der Town Marshal alarmiert die Bürgerwehr. Aber die Treibherdenstadt Longhorn City ist voller Fremder.
Wer von ihnen könnte es getan haben? Man sucht nach Männern, auf die die Beschreibung des Angestellten zutrifft. Aber man kann die Banditen nicht erkennen, weil Lyn Skinner, Jeremy Kilroy und Johnny Hackett jetzt ganz anders aussehen, nämlich so, wie sie wirklich sind.
Und niemand von all den Fremden hat einen Leinensack voll Geld bei sich.
Man findet in der Ecke des Hofes der Bank hinter einem Stapel Brennholz nur den wie immer ziemlich betrunkenen Blue Pete, den Trunkenbold von Longhorn City, der sich den Schnaps durch Gehsteigfegen, Abortgrubenleeren und Spucknapfputzen verdient.
Es stellt sich später heraus, dass mehr als hunderttausend Dollar geraubt wurden. Es hätten noch mehr sein können, wenn die Bank nicht im Laufe des Tages einige größere Summen an Treibherdenbosse ausgezahlt hätte, die den Erlös für ihre Treibherden lieber in bar nach Texas mitnehmen wollten.
Die Treibherdenstadt Longhorn City hat an diesem Tag und die ganze Nacht hindurch bis zum nächsten Morgen reichlich Gesprächsstoff. Hunderttausend Dollar sind eine Menge Geld, und es gibt zurzeit in dieser wilden Stadt eine ganze Reihe harter Burschen, die die hunderttausend Dollar gerne für sich erobern würden.
Es suchen also in diesen Stunden bis zum nächsten Tage nicht nur der Town Marshal und dessen Aufgebot überall in der Umgebung nach verdächtigen Reitern, sondern auch noch einige andere Mannschaften. Aber die drei Banditen sind spurlos verschwunden. Niemand weiß, dass sie noch einige Stunden in der Stadt blieben, jedoch als scheinbare Müßiggänger stets getrennte Wege gingen und dann nach und nach verschwanden.
Lyn Skinner fuhr mit der Postkutsche nach Norden. Das war gegen Mitternacht.
Jeremy Kilroy ritt nach Westen, nachdem er fast bis zum nächsten Morgen Poker spielte.
Und Johnny Hackett, der jetzt nicht mehr wie ein Mexikaner aussieht, steigt gegen Mittag in den einzigen Personenwagen eines abgehenden Viehzuges nach Osten. Und keiner von ihnen hat mehr als dreihundert Dollar in seinen Taschen.
Wo ließen sie das viele Geld?
✰✰✰
Es ist am Abend des Tages nach dem großen Bankraub, als Vance Coburne nach Longhorn City kommt, scheinbar als Spieler, der in dieser wilden Treibherdenstadt nach Opfern sucht, denen er das Geld abnehmen kann.
Man spricht immer noch an den Schanktischen in den Saloons über den großen Raub, und Coburne hört interessiert zu, stellt manchmal Fragen. Als er erfährt, dass Blue Pete, der Trunkenbold von Longhorn City, betrunken im Hof lag, als die Banditen aus der Hintertür kamen, um durch die Gassen zu verschwinden, da beginnt er bald schon nach diesem Blue Pete zu suchen.
Er findet ihn im Hof eines Saloons bei den Kisten mit den leeren Flaschen. Blue Pete ist dabei, die Flaschen gänzlich zu leeren. In den meisten sind noch einige Tropfen Feuerwasser enthalten, die er sich geduldig in den Hals tröpfeln lässt.
»Das ist aber sehr mühsam«, sagt Vance Coburne, indes er zu ihm tritt.
»Ja, man muss fleißig sein«, erwidert Blue Pete. Seine Aussprache verrät, dass er einst zu der gebildeten Klasse gehörte. »Auf dieser Erde bekommt man nie etwas geschenkt. Man muss etwas dafür tun. Und wenn ich alle Leerflaschenkisten von Longhorn City kontrolliert und alle Flaschen bis auf den letzten Tropfen geleert habe, dann habe ich mir meinen Rausch redlich verdient. Oder wollen Sie etwa einen Dollar für einen kranken Mann spendieren, für den der Schnaps die beste Medizin ist?«
»Wie wär's mit zehn?«, fragt Vance Coburne zurück. »Doch um Sie an Ihre Worte zu erinnern, Mister Blue Pete: Auf dieser Erde bekommt man nichts geschenkt. Man muss etwas dafür tun. Ich will eigentlich nur eine kleine Auskunft. Wie war das gestern, als die Bank ausgeraubt wurde und Sie hinter dem Brennholz im Hof lagen? Die Banditen mussten an Ihnen vorbei. Waren Sie so beschlaucht, dass Sie wirklich von der Sache nichts mitbekamen – oder können Sie mir doch einige Hinweise geben? Zum Beispiel wäre es möglich, dass sich die Kerle unterhalten oder sich etwas zugerufen haben. Denn offenbar trennten sie sich sofort nach Verlassen des Hofes. Da könnte es doch sein, dass sie sich noch etwas zuriefen. Wollen Sie nicht mal nachdenken, Mister Blue Pete?«
Dieser stößt ein heiseres Kichern aus. »Sie sind ja ein ganz Schlauer«, kichert er dann. »Sie nennen mich Mister Blue Pete und behandeln mich wie ein ehrenwertes Mitglied der menschlichen Gemeinschaft. Aber ich bin der letzte Dreck von Longhorn City – und davor war ich es in anderen Städten. Ich kam hierher, weil man mich in einer Stadt einfach in einen leeren Viehzug warf. Als ich meinen Rausch ausgeschlafen hatte, hörte ich Rinder brüllen und war in Longhorn City. Ja, Sie sind ein ganz Schlauer, Mister.«
»Und Sie waren mal das Gegenteil von einem Trunkenbold, Mister Blue Pete«, erwidert Vance Coburne. »Ich würde fast darauf wetten, dass Sie mal ein wichtiger Mann waren, vielleicht sogar ein Professor.«
»Nein, nicht Professor«, widerspricht Blue Pete, »aber drüben in Old England ein berühmter Schauspieler. Doch dann ...« Er bricht ab und murrt nach einer Weile störrisch: »Was geht Sie das an, zum Teufel! Sie können ja einem arglosen Burschen die Würmer aus der Nase ziehen, bevor der arme Kerl überhaupt weiß, dass er welche drin hat. Oha, wie war das mit den zehn Dollar?«
»Verdienen Sie sich die, Mister Blue Pete.«
»Dass sie mich immerzu Mister nennen, ist eigentlich eine Gemeinheit, die mich wohl daran erinnern soll, was ich früher einmal war. Aaah, wie war das noch, als ich gestern betrunken im Hof lag? Ja, ich hörte Stimmen. Ich weiß, da war etwas. Ich hatte den Hof gefegt und das Brennholz ordentlich gestapelt. Zwischendurch nahm ich immer wieder einen Schluck aus der Flasche, die ich mir verdient hatte, weil ich am Vormittag die Abortgrube vom Trailman Hotel leerte. Als ich mit der Arbeit im Hinterhof der Bank fertig war, musste ich mich hinlegen. Und dort in der Ecke hinter dem Holz sah mich niemand. Ja, ich war betrunken, doch nicht so sehr, dass ich sozusagen tot war. Der Schnaps begann erst in mir zu wirken. Ich hörte sie hinten herauskommen, vernahm auch ihre Stimmen. Doch an ihre Worte kann ich mich nicht erinnern. Es war mir auch völlig gleich, was sie sich zuriefen. Doch ...«
Blue Pete hielt plötzlich inne, so als wäre jäh ein Gedanke in seinem Kopf oder als erinnerte er sich an etwas mit einigem Staunen.
»Was ist, Mister Blue Pete?« Vance Coburne fragt es ernst und geduldig zugleich.
Der Trunkenbold Blue Pete hält sich nun mit beiden Händen den Kopf, presst dabei die Handflächen gegen seine Ohren.
Eine Weile verharrt er so. Dann nimmt er die Hände wieder herunter.
»Nein, ich glaube nicht, dass ich es in meinem Rausch geträumt habe«, spricht er dann etwas unsicher. »Nein, ich glaube es wirklich nicht. Aber da war eine Frauenstimme. Sie kam vom Tor und von der Stelle, wo man aus dem Hof in die Gasse gelangt. Es war eine wunderschöne Frauenstimme, melodisch und dunkel. Meine Frau hatte eine solche Stimme. Und dennoch betrog sie mich damals mit meinem besten Freund. So eine Stimme hörte ich also. Ich weiß nicht mehr, was sie sagte. Nur ein einziges Wort fällt mir wieder ein.«
»Welches Wort, mein Freund«, murmelt Coburne, »welches Wort?«
»Lockwood, ja, Lockwood. Es sitzt irgendwie in meinem Kopf fest. Lockwood, hörte ich sie in irgendeinem Zusammenhang sagen. Und dann trennten sie sich, liefen in verschiedene Richtungen davon. Denn hinter der Bank gibt es viele Gassen, eigentlich sind es nur Durchgänge zwischen Schuppen, Ställen, Magazinen und irgendwelchen Werkstätten. Mehr weiß ich wirklich nicht, Mister. Und glauben Sie mir, ich habe mein Hirn jetzt gewaltig angestrengt. Nicht mal der Town Marshal hat es fertigbringen können, dass ich es im Kopf so knirschen ließ.«
Vance Coburne klopft Blue Pete dankbar auf die Schulter. Dann gibt er ihm die versprochenen zehn Dollar.
Er will sich abwenden, um fortzugehen, doch er hält noch mal inne. Und er fragt: »Weil Ihre Frau Sie mit Ihrem besten Freund betrog, wurden sie zum Säufer?«
»Sie war für mich ein Engel, ein reiner, guter, wunderschöner Engel«, murmelt Blue Pete. »Es war für mich, als stürzte ich aus dem Himmel in den Abgrund der Hölle. Mann, Mister, wie hätte ich ohne Alkohol den Schmerz in meiner Seele und im Herzen vergessen können?«
»Und jetzt?« So fragt Vance Coburne ernst.
»Jetzt mache ich Abortgruben leer, um saufen zu können. Danke für die zehn Dollar. Das wird ein Fest.«
Blue Pete eilt davon und steuert den Hinterausgang des Saloons an.
Vance Coburne aber verharrt noch und denkt nach.
Lockwood!
O ja, er weiß mit diesem Namen etwas anzufangen.
✰✰✰
Wenn Vance Coburne erst mal eine Fährte aufgenommen hatte, dann erreichte er bisher stets auch ihr Ende. Und das heißt ganz einfach: Bisher entkam ihm keiner, den er haben wollte.
In der Postagentur findet er bald heraus, dass eine junge und schöne Frau die Postkutsche nach Colorado nahm. Das war vor gut vierundzwanzig Stunden. Die junge Frau hatte eine dunkle, melodisch klingende Stimme. Doch sie trug Trauerkleidung und war verschleiert. An Gepäck hatte sie zwei prall gefüllte Reisetaschen bei sich.
Als Vance Coburne dies alles weiß, sucht er den Kassierer der beraubten Bank in dessen Wohnung auf. Auch der junge Bankangestellte lebt in diesem Haus in einem Zimmer, denn das Haus gehört der Bank. Alle Bankangestellten – auch der Direktor – leben in diesem Haus am Rand der Stadt, weit weg vom Viehverladebahnhof, wo die Herden ständig in den Verladecorrals brüllen und der Lärm der Verladearbeit und des Rangierbetriebs Tag und Nacht die Luft erfüllt.
»Was wollen Sie?« So fragt der Kassierer ziemlich mürrisch, als Coburne bei ihm angeklopft hat und er die Tür öffnet.
Coburne legt dem Kassierer die flache Hand gegen die Brust, drückt ihn vor sich her in die Wohnung und stößt hinter sich die Tür mit dem Fuß zu.
»Mein Name ist Vance Coburne«, sagt er dann ruhig. »Ich bin der Mann, den die Kansas Bank geschickt hat. Hier ist mein Ausweis. Und nun holen Sie den jungen Angestellten. Ich muss Sie beide befragen.«
»Ich muss erst den Bankleiter verständigen und ...«
»Das ist nicht nötig«, unterbricht Coburne den Kassierer. »Der hat die Banditen ja wohl nicht gesehen, weil er schon heimgegangen war. Ich muss von Ihnen und dem Angestellten – Freddy, heißt er ja wohl – eine Beschreibung der Banditen bekommen. Gewiss, diese waren offenbar verkleidet. Aber Größe und Gewicht, Augenfarbe und ähnliche Anhaltspunkte können Sie mir sicherlich geben. Holen Sie diesen Freddy. Einer der Banditen soll ihm ja ein Messer an den Hals gedrückt haben. So erzählt man sich überall.«
Es dauert dann nicht lange, da hat Coburne die beiden Männer ausgefragt. Und der junge Bankclerk Freddy Hicks gibt ihm nun den zweiten Anhaltspunkt, denn er sagt plötzlich: »Jetzt fällt mir etwas ein, Sir. Er drückte mir das Messer an den Hals. Ich schielte auf die Klinge. Und da sah ich auf dem Handgelenk – halb noch unter dem Jackenärmel verborgen – eine Tätowierung.«
»Was für eine, mein junger Freund?« Vance Coburne fragt ganz ruhig und so, als verspräche er sich nicht viel von der Antwort. Niemand sieht ihm an, wie sehr er in seinem Innern triumphiert, ja, dass er gewissermaßen jetzt innerlich einem lauernden Raubtier gleicht, das zum Sprung ansetzt, weil die Beute schon fast in erreichbarer Nähe ist.
Freddy Hicks muss nicht lange nachdenken. »Es war wahrscheinlich ein Schlangenkopf, und ich kann mir denken, dass es die Tätowierung einer ganzen Schlange war, die sich um den Arm gewickelt hatte. Ja, so etwa habe ich es in Erinnerung.«
»Ich danke Ihnen sehr«, murmelt Vance Coburne und geht wieder.
Er ist mit einem der Leerzüge von Osten hergekommen.
Nun aber nimmt er die Mittagspost nach Westen, also nach Colorado.
Und er weiß zwei wichtige Dinge: Da ist der Name Lockwood. Und da ist die Tätowierung am Arm von einem der Banditen.
Aber eigentlich gibt es noch eine dritte, sehr wichtige Sache – wenn man eine schöne Frau mit einer angenehmen Stimme überhaupt so nennen darf.
Wie jene schöne Frau mit den beiden prall gefüllten Reisetaschen fährt Coburne auch nach Westen.
Als es Tag wird, halten sie zum dritten Mal bei einer Pferdewechselstation und haben an die hundert Meilen hinter sich gebracht.
Der Fahrer ruft laut, indes er mit seinem Begleitmann vom hohen Bock zur Erde hinabklettert: »Leute, hier gibt es Frühstück! Wir fahren in einer halben Stunde weiter! Frühstück, Leute!«
Auch Coburne klettert wie die anderen acht Fahrgäste aus der Kutsche und sieht sich um. Dicht vor der Station zweigt vom Hauptwagenweg ein anderer Weg nach Nordwesten ab, wo im ersten Morgenlicht die Vorberge in der Ferne zu sehen sind. Dort endet die Kansas-Prärie, und das Land steigt allmählich zu den Rockies in weiter Ferne an. An der Weggabelung steht ein Pfahl, an dem einige Wegweiser befestigt sind, die nach Norden und Süden aber auch nach Westen und Nordwesten weisen. Auf einem der Bretter steht zu lesen:
Lockwood, 120 Miles.
Das ist es, denkt Vance Coburne.
Er kehrt zur Station zurück und fragt den Stationsmann, der mit seinem Gehilfen das Sechsergespann der Kutsche gegen ein frisches aus den Corrals austauscht: »Mister, nach Lockwood – geht da auch eine Kutsche?«
»In drei Tagen wieder«, erwidert der Stationsmann. »Die Kutsche heute ist vor einer halben Stunde abgefahren. Nur alle drei Tage kommt eine und kehrt hier um. Es ist eine kleine Nebenlinie zu einer unwichtigen Stadt. Aber wenn Sie es eilig haben, können Sie ein Pferd kaufen. Der Stationsmann in Lockwood nimmt es – wenn Sie nur diese Strecke damit reiten – mit zehn Prozent Nachlass zurück. Ich gebe Ihnen dann eine Bescheinigung mit.«
»Das machen wir«, erwidert Vance Coburne. »Aber erst will ich das Frühstück probieren. Und etwas Proviant möchte ich kaufen.«
✰✰✰
Es ist dann drei Tage später, als Vance Coburne die kleine Stadt Lockwood, von Hügeln umgeben, mitten im Tal liegen sieht. Es ist ein schönes und weites Tal, an die fünfzig Meilen lang und mehr als zwanzig breit.
Durch Hügellücken oder über niedrige Pässe geht es gewiss zu Nebentälern. Dies alles hier ist eine prächtige Weide mit Platz für Zehntausende von Rindern.
Immer wieder hält Coburne auf etwas höheren Punkten an und blickt in die Runde. Als er rechts von sich eine Menge Raubvögel – darunter auch Geier – kreisen sieht, hält er wieder einmal an und betrachtet sich die Sache. Da und dort grasen Rinder, aber Reiter sind nirgendwo zu sehen.
Er entschließt sich, zu dieser Stelle hinüberzureiten, über der die Geier und Raubvögel kreisen. Vielleicht liegt dort ein krankes Rind. Es muss noch leben, was es auch sein mag. Denn sonst würden die Aasfresser nicht kreisen, sondern niedergehen.
Sein Weg führt ihn durch eine Senke, dann über einen flachen Hügelkamm und um eine Waldinsel herum. Dann sieht er es.
Ein Pferd steht dort. Im Gras aber liegt eine leblose Gestalt.
Coburne hält noch einmal an und blickt sich um. Doch nichts ist zu sehen, nur die kreisenden Geier und Raubvögel am Himmel. Sie stoßen böse Schreie aus, denn es passt ihnen nicht, dass sich dort unten jemand ihrer vermeintlichen Beute nähert.
Coburne erreicht bald den leblos im Gras liegenden Mann.
Dieser ist offensichtlich ein Cowboy, ein Mann mit ledernen Chaps, silbernen Sporen und einem Colt im Holster. Er liegt bäuchlings auf dem Gesicht und hat seine Arme und Hände ausgestreckt. Die Handrücken weisen nach oben. Coburne erkennt auf diesen Handrücken Narben, so wie ein rutschendes Lasso sie verursacht. Ja, dieser Mann war ein Cowboy, ein Rindermann. Und genau zwischen seinen Schulterblättern ist das Einschussloch der Kugel, die ihn vom Pferd stieß.
Er ist tot.
Coburne betrachtet das Pferd. Es ist ein erstklassiges Rinderpferd mit einem kostbaren Sattel. Die Zügelenden des Tieren liegen im Gras. Deshalb verharrt das Pferd auf der Stelle.
Coburne betrachtet das Brandzeichen des Tieres. Es ist ein Kleeblatt. Schon auf dem Weg zur Stadt ritt Coburne an Rindern mit diesem Brandzeichen vorbei, dem Shamrock-Brand.
Er will nun absitzen, um sich um den Toten zu kümmern, da hört er Hufschlag. Er wendet sich um und sieht dem Reiter entgegen.
Auch dieser Mann ist wahrscheinlich ein Cowboy, ein Rindermann und Weidereiter. Auch sein Pferd ist erstklassig. Wahrscheinlich ein Raubzeugjäger, denn in seinem Sattelfutteral steckt ein Sharps-Gewehr, eine sehr weit reichende Waffe also, mit der man auf dreihundert Yards noch einen Büffelbullen fällen kann.
Der Mann hat ein hageres, zerfurchtes Gesicht und scharfe, helle Augen. Sein Mund wirkt wie die Narbe eines Messerschnitts. Und er trägt zwei Revolver in einem Kreuzgurt.
Coburne glaubt nun nicht mehr, dass dieser Bursche ein Raubzeugjäger ist. Er verspürt plötzlich die Warnsignale seines Instinktes, und er denkt: ein zweibeiniger Tiger, ein Revolvermann und Jäger, vielleicht ein Killer, der diese Weide bewacht wie ein böser Hofhund den Hof seines Herrn.
Der Mann ist nun bei ihm angelangt und zügelt das schwarze Pferd. Er wirft seinen Blick auf den Toten und fragt dann barsch: »Haben Sie ihn aus dem Sattel geschossen?«
Coburnes Stimme wird ebenso hart, und seine Stimme klingt mit trügerischer Freundlichkeit, als er erwidert: »Dann müsste ich wohl ein Gewehr wie Sie bei mir haben, nicht wahr? Doch ich habe nur einen Revolver. Ich vermute, dass ihn eine großkalibrige Kugel traf. Aber das haben Sie doch längst erkannt. Was soll also die Frage?«
Der Mann gibt ihm darauf keine Antwort, sondern fragt abermals barsch: »Warum reiten Sie hier herum? Das hier ist Lockwood-Weide. Das ganze Tal und die sieben Nebentäler gehören der Stadt Lockwood. Wir behandeln jeden Fremden mit Misstrauen. Was also wollen Sie hier?«
»Zuerst mal nach Lockwood«, erwidert Coburne, und nun ist die Freundlichkeit in seiner Stimme noch trügerischer, fast schon der pure Hohn.
Er zieht sein Pferd herum und reitet davon, kehrt dem hartgesichtigen Burschen einfach den Rücken. Aber seine Gedanken jagen sich.
Ja, er ist völlig davon überzeugt, dass dieser Mann es war, der den Reiter durch einen Schuss in den Rücken getötet hat, einen Mann, dessen Pferd einen Shamrock-Brand trägt. Er sah unterwegs Rinder mit diesem Brandzeichen, aber auch Tiere mit anderen Bränden. Die meisten trugen den LW-Brand. Und dies muss der Lockwood-Brand sein.
Ihm fallen die Worte des Mannes wieder ein. »Dies hier ist Lockwood-Weide«, hatte er gesagt. Und dann noch hinzugefügt: »Das ganze Tal und die sieben Nebentäler gehören der Stadt Lockwood.«
Ja, das waren seine Worte.
Und wenn dies stimmt, dann ist die Stadt Lockwood der Besitzer oder die Besitzerin einer Riesenranch.
Aber warum nicht? Es gibt viele Bodenverwertungs-Gesellschaften mit riesigem Landbesitz darunter auch Ranches. Warum soll eine kleine Stadt nicht Ranch-Besitzer sein?
Nachdem er etwa hundert Yards geritten ist, wirft er einen Blick über die Schulter zurück.
Jener Mann mit der Sharps im Sattelfutteral und den beiden Revolvern im Kreuzgurt sieht ihm immer noch nach. Und Vance Coburne verspürt tief in seinem Kern jenes ihm längst schon bekannte Gefühl, welches er stets dann zu spüren beginnt, wenn er auf einen Mann trifft, der bald schon sein Feind sein wird.
Coburne legt die letzten Meilen nach Lockwood zurück und denkt immerzu über die vielen Brandzeichen nach, die er auch jetzt noch an den Rindern sieht, die in Rudeln überall zu beiden Seiten des Wagenweges grasen oder wiederkäuend ruhen.
Er kann sich die ganze Sache nur so erklären, dass die Lockwood Ranch von überall her Rinderherden kauft. Diese Rinderkäufe müssen in letzter Zeit so zahlreich gewesen sein, dass die Brennmannschaft – die ja zum Umbrennen benötigt wird – mit ihrer Arbeit nicht nachkommen konnte.
✰✰✰
Es ist fast schon Abend, als Coburne in die kleine Stadt Lockwood reitet und sein Pferd im Hof der Post- und Frachtlinie abgibt. Er erhält vier Dollar weniger vom Kaufpreis zurück, also jetzt sechsunddreißig Dollar. Mit seinem wenigen Gepäck geht er etwas später die einzige Straße entlang und sucht nach einem Hotel oder Gasthaus, welches Zimmer vermietet.
Ein Mann tritt ihm aus einer Gasse heraus entgegen. Der Mann trägt einen Stern und lässt an einen erfahrenen Falken denken, der noch gut von der Jagd leben kann, weil er ein guter Jagdfalke ist.
Coburne hält inne und lächelt. »Aaah, ein Sheriff«, sagt er. »Diese Stadt hat einen Sheriff. Ich freue mich immer, wenn ich in eine Stadt oder ein Land komme, in denen Recht und Gesetz herrschen. Nun werde ich mich hier besonders wohl fühlen. Mein Name ist Coburne, Vance Coburne, Sheriff. Und bevor Sie mich fragen, was ich hier will, möchte ich es Ihnen gleich sagen. Vielleicht bin ich hier nur auf der Durchreise, vielleicht bleibe ich aber auch etwas länger. Wissen Sie, ich reise oder reite überall umher und halte Ausschau nach guten Geschäften. Ich denke mir, dass diese kleine Stadt nichts dagegen hat, wenn ein Fremder hier ein paar Dollars ausgibt.«
Der Sheriff betrachtet ihn noch einige Sekunden lang scharf und witternd. Sogar seine Nasenflügel scheinen zu vibrieren, so sehr versucht er, etwas in sich einzusaugen.
Dann nickt er langsam: »Das ist eine offene Stadt für jeden«, spricht er. »Hier kann jeder bleiben, der sich einfügt und für seinen Unterhalt sorgt. Mister Coburne, wenn Sie einer dieser Spieler sein sollten, die überall herumziehen und nirgendwo lange bleiben können, weil sie ihren Mitspielern das Fell abziehen und sich dies so schnell herumspricht, dass niemand mehr mit ihnen spielen will, dann werden Sie hier verdammt schnell verschwinden. Mein Name ist Skinner, Lyn Skinner.«
Er tritt nach diesen Worten einen Schritt in die Gassenmündung zurück, aus der er Coburne in den Weg trat.
Ja, er ist jener Lyn Skinner, der sich in Longhorn City verkleidet hatte und wie ein zerstreuter Professor und sehr viel älter wirkte. Aber das kann Coburne natürlich nicht wissen. Wie könnte er auch auf die Idee kommen, dass der Sheriff aus dem Lockwood Valley als Bandit mit anderen Banditen nach Longhorn City kam, um dort mehr als hunderttausend Dollar zu rauben?
Coburne geht weiter.
Als er an einem Store vorbeikommt, hält er inne. Denn eine junge Frau tritt heraus mit einem gefüllten Korb am Arm. Coburne greift an den Hut.
»Hallo«, sagt er, »da wären wir ja fast zusammengestoßen.«
»Fast«, sagt sie lächelnd. »Und bevor Sie versuchen, noch mehr über mich zu erfahren, sage ich es Ihnen gleich. Mir gehört der Saloon da drüben. Mit mir können Sie reden, wenn Sie an der Theke einen Drink nehmen und ich dahinter stehe und Sie bediene.«
Nach diesen Worten geht sie an ihm vorbei und überquert schräg die Fahrbahn. Er sieht ihr nach und bewundert ihren leichten und geschmeidigen Gang.
Sie muss mal Tänzerin gewesen sein, denkt er. Oha, wie tiefblau sind ihre Augen – und wie rabenschwarz ist ihr Haar. Aber auf der kleinen Nase hat sie Sommersprossen.
Er denkt plötzlich daran, dass ihre Stimme dunkel und melodisch klang.
Und auch jene Frauenstimme in Longhorn City, welche Blue Pete hörte, soll dunkel und melodisch geklungen haben.
Ob sie in Longhorn City gewesen ist und dort das Geld der Bankräuber übernommen hat, um es in zwei Reisetaschen hierher nach Lockwood zu bringen?
War sie die Frau?
Es war ein guter Trick der Banditen.
Denn man suchte nach Reitern, welche Geld bei sich hatten, nicht nach einer reisenden Lady in Trauerkleidung und einem Schleier vor dem Gesicht.
Coburne tritt gedankenvoll in den Store, um sich Unterzeug, ein neues Hemd und einige andere Dinge zu kaufen.
Der Storehalter ist ein hinkender Mann, der sich dennoch sehr leicht und geschmeidig bewegt. Er ist ein Mann unbestimmbaren Alters zwischen fünfunddreißig und fünfundvierzig. Seine rauchgrauen Augen blicken prüfend und hart.
Indes er Coburne bedient, sagt er: »Sie sind fremd hier? Wenn Sie in unserer Stadt ein wenig verweilen wollen, dann möchte ich Sie hiermit herzlich begrüßen. Mein Name ist Jeremy Kilroy. Ich bin hier der Bürgermeister. Im Lockwood Hotel, welches mir ebenfalls gehört, sind noch Zimmer frei.«
Ja, es handelt sich auch bei Jeremy Kilroy um einen der Bankräuber. Kilroy hatte sich ja ebenfalls gut verkleidet und sehr viel älter gemacht. Mit dem Krückstock spielte er einen Krüppel.
Aber auch davon ahnt Coburne noch nichts.
Er bezahlt wenig später seine Einkäufe und geht zum Hotel weiter, welches sich auf derselben Straßenseite gegenüber dem Saloon befindet.
Eine dicke Frau, die hier die Wirtschaft führt, taxiert ihn mit listigen Augen und fragt, ob er auch im Hotel essen wird. Denn dann müsste sie für einen Gast mehr kochen.
»Wenn es bei Ihnen schmeckt, Ma'am«, erwidert er.
»Darauf können Sie sich verlassen, Mister«, entgegnet sie und blickt auf das Anmeldebuch, in dem er sich eintrug als Vance Coburne. »Ja, darauf können Sie sich verlassen, Mister Coburne. Wissen Sie, ich bekomme oft Heiratsanträge, weil ich so gut kochen kann. Und dabei wissen diese Männer nicht mal, welche Künste ich sonst noch beherrsche. Bei mir würde es ein Mann so gut haben wie im Paradies. Aber es müsste schon ein besonderer Bursche sein, einer wie sonst keiner unter zehntausend, hihihi!«
Vance Coburne sieht in ihre listigen Augen und erkennt, dass diese Dicke ziemlich mannstoll ist.
O weia, denkt er, wenn die Appetit auf mich bekommt und ich sie abweise, dann tut sie mir todsicher Gift ins Essen.
Er folgt ihr dann hinauf, denn sie will ihm das für ihn bestimmte Zimmer zeigen.
Drinnen wendet sie sich ihm zu und tritt so nahe an ihn heran, dass ihre prallen Brüste gegen ihn stoßen. Sie sieht zu ihm empor und sagt: »Es gibt in dieser Stadt auch ein Freudenhaus mit drei Schnepfen, die sich nur einmal im Monat richtig baden. Ich aber bade jeden Tag.«
Nach diesen Worten geht sie hinaus und steigt singend die Treppe abwärts.
Er schließt die Tür, tritt an das offene Fenster und blickt auf die Straße von Lockwood nieder.
Der Abend wird nun bald in die Nacht übergehen, denn im Westen versank die Sonne längst hinter Colorados Bergen.
Dort im Westen in den Tälern und Canyons der Rockies suchen zehntausend Männer nach Silber und Gold und toben sich alle Leidenschaften und Sünden der Menschen aus. Denn von diesen hart schuftenden Männern leben andere Menschen, die nur damit beschäftigt sind, diesen Männern auf alle erdenkliche Weise den Gewinn oder Verdienst wieder abzunehmen.
Vance Coburne verharrt eine lange Zeit am Fenster. Er wittert gewissermaßen mit allen Sinnen die Straße hinauf und hinunter, auch hinüber zum Saloon, vor dem einige Sattelpferde stehen.
Die Stadt ist ziemlich still und friedlich. Oder ist es etwas anderes als nur die friedliche Ruhe nach einem langen, arbeitsreichen Tag?
Vance Coburne meint es mit seinem feinen Instinkt zu spüren. Ist diese friedliche Stille am Ende in Wirklichkeit ein angstvolles Verharren?
Vance Coburne war schon in vielen Städten dieser Art. Doch all diese Städte hatten einen anderen Puls und Atem. Hier in Lockwood wirkt alles irgendwie gelähmt, bedrückt.
Er beugt sich etwas weiter aus dem Fenster, als er einen Reiter kommen hört. Nun kann er ihn durch die Lichtbarrieren reiten sehen, welche da und dort aus den Fenstern und Türen fallen, auch aus den Schaufenstern der Geschäfte, zum Beispiel der Sattlerei und des Modegeschäftes, zu dem die Schneiderei gehört.
Er erkennt den Reiter.
Es ist jener Zweirevolvermann, der im Sattelfutteral eine Sharps stecken hat und den er bei dem Toten traf, dessen Pferd den Shamrock-Brand trug.
Der Reiter hat den Toten und dessen Pferd nicht bei sich. Logischerweise hätte er den Toten quer über dessen Pferd zum Sheriff bringen müssen.
Aber er kommt allein. Ließ er den Toten einfach liegen? Und was geschah mit dem guten Rinderpferd?
Aus der Gasse tritt wieder die Gestalt des Sheriffs. Der Reiter hält bei ihm an und beugt sich leicht zur Seite, erstattet offenbar Bericht. Dann aber reitet er weiter zum Saloon, sitzt ab, verharrt noch einige Atemzüge wie lauschend oder witternd und geht dann hinein. Sein Gang ist gleitend, fast schleichend.
Er ist ein zweibeiniger Wolf, denkt Coburne. Was hat er mit dem Toten gemacht?
Die Gestalt des Sheriffs verschwindet wieder in der Gasse. Die dunkle Gassenmündung ist offenbar der bevorzugte Standort des Mannes. Von dort aus hält er alles unter Kontrolle.
Vance Coburne überdenkt noch einmal sein weiteres Vorgehen.
Er hat nur zwei Anhaltspunkte, nämlich jene Frau mit der melodisch-dunklen Stimme – und dann die Tätowierung am Arm eines der Banditen, die wahrscheinlich eine sich um den Arm ringelnde Schlange darstellt, deren Kopf mit der züngelnden Zunge dicht über dem Handrücken endet.
Ich muss dorthin, wohin fast alle Männer dieses Gebietes einmal kommen, denkt er. Ich muss mich in nächster Zeit im Saloon aufhalten und dort auf die Lauer legen. Ich werde einen Spieler mimen.
Wenn die Bande hier aus Lockwood kam und die Beute hierher geschafft hat, muss ich geduldig darauf warten, dass ich irgendwann den Mann mit der Tätowierung erkennen kann. Und dann muss ich herausfinden, mit wem er zusammenkommt oder Geschäfte macht.
Es könnte ein langes Warten und Lauern werden.
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Das Essen ist wirklich gut. Es gibt Hammelbraten, Kartoffeln und grüne Bohnen. Zum Nachtisch bringt sie Apfelkuchen und Kaffee.
Das Hotel hat fünf Hotelgäste, fünf Männer der verschiedensten Sorte. Zwei von ihnen sind Handelsreisende, die weiter in die Minenstädte wollen, um dort ihre Auftragsbücher zu füllen. Die beiden anderen Gäste sind Minenbesitzer, die in Kansas City Maschinen und Geräte einkauften, mit der Postkutsche dann vorausfuhren und hier auf den Wagenzug warten, den sie selbst in die Berge hinaufführen wollen. Alle vier Männer sind offenbar Stammgäste, die mehrmals im Jahr hier übernachten.
Sie sind noch beim Nachtisch, als die dicke Marylin nochmals aus der Küche in den Speiseraum kommt und mit flötender Stimme, so als verspräche sie das Paradies, zu ihnen sagt: »So, meine lieben Gäste, jetzt ist die Küche geschlossen. Ich steige jetzt gleich in die Badewanne. Dann rieche ich nicht mehr nach Braten- und Küchendunst. Ich bade in Fliederwasser.« Nach diesen Worten verschwindet sie wieder.
Einer der beiden Minenbesitzer bringt ein Kartenspiel zum Vorschein und beginnt es zu mischen, breitet es dann fächerförmig auf dem Tisch zwischen den leer gegessenen Tellern aus.
Er sieht Vance Coburne an. »Machen Sie mit bei dem Spiel um eine Nacht an Marylins dicken Brüsten?«
Vance staunt. »Waaas?« So dehnt er ungläubig die Frage.
Sie grinsen alle vier. Dann erwidert der Mann, welcher das Kartenspiel ausbreitete: »Sie ist eine heiße Katze, die jede Nacht einen Mann braucht. Sie nimmt kein Geld dafür. Was ist falsch daran, dass eine Vollblutfrau Zärtlichkeiten haben möchte und diese zurückgibt, mit allem, was sie hat?«
Alle vier Männer starren Coburne nun an.
Er schüttelt den Kopf. »Nichts ist falsch daran«, murmelt er. »Was kann an Ehrlichkeit falsch sein? Wenn sie gibt, kann sie auch nehmen. Das ist fair, denke ich. Und sie macht kein Geschäft daraus.« Er erhebt sich und lächelt die vier Männer an. »Aber ich habe heute Abend leider etwas anderes vor«, sagt er, sich zum Gehen wendend.
»He«, warnt einer der beiden Handelsvertreter. »Wenn Sie jetzt an die schöne Wirtin vom Lockwood Saloon denken und hinüber wollen, dann möchten wir Sie warnen. Die gehört zu einem gewissen Johnny Hackett. Und er macht jeden Narren klein, der sie auch nur begehrlich ansieht. Vorsicht, Freund!«
Coburne verhielt noch einmal.
»Und wie erkenne ich diesen Johnny Hackett?« So fragt er ganz ruhig.
Da beginnen sie wie auf Kommando zu grinsen.
Einer von ihnen sagt dann trocken: »Oh, den erkennen Sie sofort, so wie man in jedem Corral sofort den Bullen erkennt. Johnny Hackett ist Vormann der Lockwood Ranch. Und wenn er will, bringt er fünfzig Mann in die Sättel.«
Coburne nickt und fragt: »Trägt er zwei Revolver im Kreuzgurt und eine Sharps im Sattelfutteral?«
Da schütteln sie die Köpfe. »Nein, dieser Mann heißt Lane, Herb Lane. Der reitet für Johnny Hackett, ist sein Mann für besondere Aufgaben. Und die schwere Sharps mit Zielfernrohr verkaufte ich ihm. Mit diesem Ding schießt er fast vierhundert Yards weit treffsicher, wenn sich das Ziel nicht zu sehr bewegt. Wir haben das ausprobiert. Wollen Sie von mir vielleicht auch so ein Sharps-Gewehr kaufen, Mister? Ich unterhalte hier im Generalstore ein Lager von Waffen jeder Art. Dem Storehalter ist diese Lagerhaltung zu kostspielig. Sie bindet ihm zu viel Kapital. Wollen Sie also so ein Prachtgewehr mit Zielfernrohr?«
Der Mann ist ein typischer Handelsvertreter, der stets ein Geschäft zu machen versucht. Er ist nicht besonders überrascht, als er Coburne nicken sieht und ihn dabei sagen hört: »Morgen früh nach dem Frühstück, Mister. Ja, dann möchte ich mir diese Waffe mal ansehen. Vielleicht kaufe ich sie dann wirklich.«
Nach diesen Worten geht Coburne hinaus.
Draußen verharrt er erst einmal außerhalb der Lichtbahnen, welche aus dem Hotel fallen und wie goldene Barrieren über die Fahrbahnen reichen bis hinüber zum Saloon.
Abermals wittert er die Straße hinauf und hinunter, dann hinüber zum Saloon. Er ist noch nicht lange in dieser Stadt und in diesem mächtigen Tal. Und dennoch weiß er schon eine ganze Menge.
Immer mehr Fragen sind in ihm, zum Beispiel auch, was es mit dem erschossenen Shamrock-Reiter auf sich hat.
Warum wurde dieser Mann getötet? Gehörte er in dieses Tal? Oder war er ein Fremder? Er ritt ein Pferd mit dem Shamrock-Brand. Und es weiden viele Shamrock-Rinder auf der Lockwood-Weide.
Vance Coburne setzt sich endlich in Bewegung und überquert die Fahrbahn. Er ist neugierig auf die schöne und reizvolle Wirtin, die er vor dem Store traf. Und er möchte auch diesen Johnny Hackett kennenlernen, den Boss der Lockwood Ranch, für den ein Mann mit einem Sharps-Gewehr wie dieser Herb Lane reitet.
Als er eintritt und hinter der Schwingtür erst einmal verharrt, bis sich seine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt haben, da wird es still im Saloon, und er spürt all ihre Blicke fast wie einen körperlichen Anprall.
Aber er ist ein Mann, der schon auf vielen Fährten ritt und Menschen jagte und dem oft schon Misstrauen und Feindschaft entgegenströmten. Er kennt das.
Es sind etwa zwei Dutzend Gäste im Raum verteilt. Die beiden Billardtische sind besetzt. Einige Männer stehen an der langen Theke. Und andere sitzen an den Tischen beim Kartenspiel.
Hinter der Theke steht die schöne Wirtin, die er vor dem Store traf. Sie lächelt ihm kühl entgegen, indes er an die Theke tritt.
»Ich dachte mir, dass Sie bald kommen würden«, sagt sie, als er bei ihr an der Theke verhält. Während sie spricht, schenkt sie ihm einen Drink ein. »Dies ist der Begrüßungsdrink, den jeder neue Gast auf Kosten des Hauses erhält«, sagt sie und lächelt.
»Danke«, nickt er. »Übrigens, mein Name ist Coburne. Vance Coburne. Ich trinke auf Sie, Lady, auf Ihre Schönheit. Schade, dass Sie nicht mehr zu haben sind, Lady. Sehr schade für mich.«
Ihr Lächeln wird stärker. Dann lacht sie leise und kehlig. »Wer sagt Ihnen denn, dass ich nicht mehr zu haben sei, wenn ich wollte?«
Er grinst nun breit. »Wer so schön und reizvoll ist mitten in einer Männerwelt, der ist gewiss längst vergeben. Und ich kenne immer noch nicht Ihren Namen, Lady. Dabei wüsste ich ihn so gerne.«
»Amanda, Amanda Lee«, erwidert sie. »Darf ich Ihnen noch mal einschenken? Doch diesmal müssen Sie zahlen.«
Er nickt und bekommt das Glas noch einmal eingeschenkt.
Ihre tiefblauen Augen betrachten ihn dann fest. Er aber denkt über ihre Stimme nach. So hatte ihm Blue Pete in Longhorn City diese Frauenstimme beschrieben. Es ist kaum anzunehmen, dass es noch andere Frauen mit solch einer Stimme hier in Lockwood gibt.
Sie verlässt ihn nun, um weiter unten an der langen Theke Gäste zu bedienen. Er aber nimmt sich das Glas und zieht sich damit zu einem runden Tisch in der Ecke des Raumes zurück, über dem eine Karbidlampe hängt. Es ist ein typischer Pokertisch. Das Lampenlicht fällt fast nur auf den Tisch.
Coburne holt ein Kartenspiel hervor und beginnt eine Patience auszulegen.
Der Anblick, den er bietet, lässt alle erkennen, dass er ein Spieler ist, der auf Mitspieler wartet.
Aber er bleibt lange allein. Immer noch wird er von allen Seiten beobachtet. Besonders jener Herb Lane, den er bei dem erschossenen Reiter traf, starrt immer wieder zu ihm herüber.
Manchmal spürt er die forschenden Blicke der schönen Amanda Lee, die hinter der Theke hantiert. Und dann kommt dieser Herb Lane zu ihm an den Tisch und setzt sich.
»Wollen Sie spielen?« So fragt Coburne kühl.
Aber Herb Lane verzieht nur den schmalen, hartlippigen Mund und schüttelt kurz den Kopf. »Nein«, sagt er schließlich. »Ich will Ihnen nur sagen, warum dieser Bursche draußen auf der Weide erschossen wurde. Er war ein Vieh- und Pferdedieb. Hier macht man mit diesem Gesindel kurzen Prozess. Für Fremde ist dies eine gefährliche Weide. Sollten Sie hier in Lockwood bleiben wollen, dann reiten Sie lieber nicht außerhalb der Stadt herum.«
Nach diesen Worten erhebt er sich und geht wieder an die Theke.
Coburne aber legt weiter seine Patiencen aus. Und die Zeit vergeht.
In dieser Nacht passiert nichts mehr. Nachdem Herb Lane und die anderen Gäste den Saloon verließen und die Anzahl der Sattelpferde vor dem Saloon immer mehr abnahm, geht auch er und steigt im Hotel leise die Treppe zu seinem Zimmer hinauf.
Aus einem der gegenüberliegenden Zimmer tönen die jubelnden Laute einer Frauenstimme.
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Als er ziemlich spät zum Frühstück kommt, erwartet ihn jener Handelsvertreter, der ihm ein Sharps-Gewehr verkaufen möchte.
Der Mann sagt: »Wir haben Zeit bis Mittag. Dann kommt die Postkutsche hier durch. Ich muss sie nehmen, denn sonst sitze ich noch drei Tage hier herum. Haben Sie heute Nacht die Freudenlaute der dicken Marylin gehört? Das muss ein Fest gewesen sein mit meinem Kollegen, der in Musikinstrumenten reist. Der hat sie richtig glücklich gemacht.«
Und so muss es wohl auch gewesen sein, denn als Marylin aus der Köche kommt, um Coburne das Frühstuck zu bringen, da trällert sie ein Liedchen und wirkt wahrhaftig wie eine glückliche Frau. Coburne und der Handelsvertreter gehen dann zum Store.
Jeremy Kilroy empfängt sie zunächst freundlich, dann aber sehr zurückhaltend, als er erfährt, dass Coburne ein Sharps-Gewehr kaufen möchte.
»Sind Sie denn ein Jäger?« So fragt er ziemlich barsch. »Ich hörte, dass Sie ein Spieler sind, der gestern im Saloon keine Mitspieler fand.«
»Man muss warten können«, erwidert Coburne. »Und ich bin auch ein Jäger. Es ist gewiss sicherer, wenn ich mit einem Gewehr ausreite.«
Er prüft wenig später das angebotene Gewehr, setzt auch das Zielfernrohr auf, um damit probeweise zu zielen. Sie gehen durch die Hintertür auf den Hof hinaus von dem sie eine weite Sicht in die Ferne haben.
»Sie dürfen auch zur Probe schießen«, sagt der Handelsvertreter. »Wir müssen nur weit genug aus der Stadt hinaus, zumindest eine Viertelmeile. Soll ich Munition holen? Dann könnten wir ...«
»Sicher, holen Sie eine Handvoll Patronen, Mister«, unterbricht ihn Coburne.
Wenig später gehen sie etwa vierhundert Yards weit von den letzten Häusern der Stadt weg nach Westen, auf einige bewaldete Hügel zu, welche kaum mehr als Bodenwellen sind.
Bei einigen kleinen Felsen halten sie inne.
»Suchen Sie sich ruhig ein weit entferntes Ziel«, sagt der Handelsvertreter. »Das Gewehr schießt genau, wenn Sie das Visier richtig einstellen. Sie haben ja freies Schussfeld bis zu den Hügeln hinüber.«
Coburne nickt nur und macht das Gewehr schussfertig. Er wählt einen roten Felsen in etwa dreihundert Yards Entfernung aus, auf dem einige Büsche wachsen. Er wird durch das Zielfernrohr die Einschläge sehen können.
Das Zielfernrohr hat zehnfache Vergrößerung. Die Entfernung von dreihundert Yards schrumpft also auf dreißig Yards zusammen.
Er hat das Gewehr schussfertig und legt den Lauf auf einen der Felsen, bei denen sie angehalten hatten. Diese roten Felsen sind überall. Sie leuchten zwischen dem Grün der Büsche und Bäume.
Er zieht nun den Hahn durch, und der Schuss donnert mächtig. Er kann durch das Zielfernrohr den Einschlag sehen, indes die Kolbenplatte vom Rückstoß gegen seine Schulter hämmert.
Der Einschlag ist genau dort, wo er hingezielt hat. Er hätte auf diese weite Entfernung auch ein sitzendes Kaninchen treffen können.
Er nickt dem Handelsvertreter zu.
»Wir kommen ins Geschäft«, sagt er.
Er hat kaum ausgesprochen, als es weiter rechts vom langen Hügelrücken aus dem Wald heraus kracht und die Kugel in den Felsen schlägt, auf dem er soeben den Gewehrlauf aufgelegt hatte. Die Steinsplitter fliegen ihm und dem Handelsvertreter um die Ohren. Der Mann brüllt erschrocken auf und wirft sich der Länge nach ins Gras, kriecht dort hinter einen Felsen.
»Sie brauchen sich nicht zu beeilen«, sagt Coburne zu ihm. »Das war ebenfalls eine Sharps, nicht wahr? Und diese einschüssigen Gewehre kann man so schnell nicht laden. Jetzt aber ...«
Er geht nun ebenfalls in Deckung. Im nächsten Moment kracht drüben abermals die schwere Sharps. Und wieder schlägt die Kugel in den Felsen und lässt die Steinsplitter fliegen.
Coburne aber liegt im hohen Gras und sieht sich die ganze Sache durch das Zielfernrohr an.
Doch er kann dort auf dem Hügelkamm zwischen dem Grün der Sträucher und Bäume nur den Pulverdampf sehen, nichts von dem Schützen. Es fällt auch kein weiterer Schuss mehr.
Er erhebt sich langsam und sagt über die Schulter zu dem Handelsvertreter: »Das war nicht ernst gemeint, Mister. Da wollte uns nur jemand zeigen, dass er auf diese Entfernung auch auf einen Felsen schießen kann, dass die Splitter nur so fliegen. Ich denke, wenn der Bursche gewollt hätte, wäre einer von uns jetzt tot. Aber er wollte nicht ernsthaft.«
Sie gehen langsam zur Stadt zurück. Der Handelsvertreter ist noch recht geschockt. Dem Mann hat es die Sprache verschlagen.
Aber auch Coburne schweigt. Doch seine Gedanken beschäftigen sich mit dem, was seit seiner Ankunft alles geschehen ist.
Da war der tote Cowboy, dessen Pferd den Shamrock-Brand trug. Und dann war da dieser Zweirevolvermann Herb Lane, in dessen Sattelfutteral eine Sharps mit Zielfernrohr steckte.
Er denkt auch an die schöne Wirtin des Lockwood Saloon, an Sheriff Lyn Skinner und an den Storehalter Jeremy Kilroy, der in Lockwood Bürgermeister ist.
Eine weitere Frage ist nun plötzlich in ihm, und er ahnt, dass es eine sehr wichtige Frage ist, nämlich: Warum gibt es in diesem Land Rinder mit verschiedenen Brandzeichen?
Denn er sah außer dem LW-Brand und dem Shamrock-Brand noch fast ein halbes Dutzend weiterer Brandzeichen. Er wird sich jetzt dieser Tatsache so richtig bewusst. Denn es gibt nur eine einzige Ranch im Big Valley und all den Nebentälern.
Also muss die Lockwood Ranch ständig ganze Herden gekauft haben.
Dazu war eine Menge Geld nötig, eigentlich eine Riesensumme, da die Eisenbahnstädte gute Preise für Rinder zahlen.
In Texas kosten die Rinder kaum mehr als drei Dollar das Stück. Aber bei den Viehverladebahnhöfen in Kansas zahlt man den vierfachen Preis.
Wenn die Lockwood Ranch der Stadt gehört, woher hat die Stadt dann das viele Geld? Das ist die Frage, die ihn immer wieder beschäftigt.
Sie kehren in den Store zurück.
Jeremy Kilroy starrt ihnen entgegen und sagt mit unfreundlicher Barschheit: »Das Krachen hörte man bis in die Stadt, und mir scheint, dass da draußen zwei Büffelgewehre von zwei verschiedenen Standorten aus geballert haben. Was war das?«
»Aaah, da wollte uns jemand zeigen, dass er mit solch einem Ding ganz gut schießen kann«, erwidert Coburne. »Und Sie, Mister, wissen ja wohl noch besser als ich, wer alles hier eine Sharps besitzt.«
Jeremy Kilroy starrt ihn seltsam an.
Dann murmelt er: »Vielleicht wollte man Sie davor warnen, hier in diesem Tal mit einer Sharps herumzureiten. Vielleicht wollte Ihnen jemand klarmachen, dass es gesünder für Sie ist, bis zu Ihrer Weiterreise in der Stadt zu bleiben.«
»Machen Sie sich wegen mir nur keine unnötigen Gedanken«, erwidert Coburne trocken. »Wenn ich richtig informiert bin, dann ist dieses Tal mit allen Nebentälern freie Weide, ehemaliges Indianer- und Büffelland, das jedem gehört, der es mit Rindern besetzt oder darauf siedelt.«
»Richtig.« Jeremy Kilroy nickt. »Und diese Stadt besetzt es mit Rindern. Dann ist es keine freie Weide mehr. Seien Sie vorsichtig, Mister. Es gibt hier Vieh- und Pferdediebe. Die Lockwood-Reiter schießen auf alles, was nicht zu ihnen oder zu ihrer Ranch gehört. Vorsicht, Mister!«
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Wenig später kauft Vance Coburne beim Sattler einen Sattel und dazu ein Sattelfutteral für das Gewehr und ersteht beim Agenten der Post- und Frachtlinie ein recht gutes Pferd, einen grauen, narbigen Wallach.
»Es ist kein Rinderpferd«, warnt ihn der Stationsmann. »Das ist ein Indianerpferd, gut für die Büffeljagd. Den brachte jemand, der den Indianer erschossen hatte, dem es gehörte. Es gab ja noch vor zwei Jahren hier im Land wilde Kiowas. Die waren wie verrückt, weil um diese Station eine Stadt entstand. Wir mussten sie erst alle abschießen oder vertreiben. Aber jetzt ist Ruhe. Skinner, Kilroy und Hackett haben das vollbracht. Es ist ihre Stadt, denn ohne sie gäbe es Lockwood nicht.«
Immer wieder denkt Coburne an diese Worte, indes er aus der Stadt in das weite Tal reitet. Allmählich beginnt er zu begreifen, wie die Dinge hier liegen.
Er erreicht nach etwa zehn Meilen einen Creek und folgt diesem nach Norden. Überall sieht er Rinderrudel. Die Tiere tragen verschiedene Brandzeichen. Er trifft jetzt aber – je mehr er nach Norden reitet – immer öfter auf die Tiere, die den LW-Brand tragen und deren alte Brandzeichen mit einem Kreuz gelöscht wurden.
Als er einmal auf einen Hügel reitet, um weiten Ausblick in die Runde zu haben, sieht er in einer flachen Senke eine Brennmannschaft bei der Arbeit.
Er erreicht dann einen schmalen Reit- und Fahrweg, der von der Stadt kommt und wahrscheinlich zur Lockwood Ranch führt. Er folgt diesem Weg – und dann sieht er plötzlich in einer Bergfalte eine Ranch, eine Ansammlung von Corrals, Schuppen, Ställen, Werkstätten, dem Schlafhaus der Mannschaft und dem großen Haupthaus. Alles sieht gewaltig aus. Ja, dort entstand eine riesengroße Ranch.
Aber wer hat sie geschaffen? Doch nicht die Städtegründer Kilroy und Skinner mit diesem Hackett, der hier der Vormann sein soll?
Was läuft hier?
Immer wieder stellt sich Coburne diese Frage.
Und er weiß nur eines: Er kam her im Auftrag der Kansas Bank und soll das geraubte Geld zurückbringen. Das hat er schon mehrmals gemacht und dabei stets zehn Prozent der zurückgebrachten Summe kassiert. Für diese zehn Prozent hat er Fährten verfolgt, Banditen gejagt – und auch getötet.
Er wird aus seinen Gedanken gerissen, als er zwei Reiter aus einer Waldinsel auftauchen sieht. Er hält an und erwartet sie.
Noch bevor sie bei ihm sind, wird er sich über ihre Sorte klar.
Es sind Revolverreiter, keine Cowboys. Solche Reiter beschäftigen die großen Ranches als Grenzreiter, die gegen alles vorgehen, was nicht zu ihrer Ranch gehört. Es sind falkenäugige, scharfgesichtige, hagere und ganz sicher hartgesottene Burschen.
Als sie bei ihm sind und ihre Pferde anhalten, fragt einer barsch: »Wo steht die Herde? Sag uns nur, wo sie von euch zur Besichtigung zusammengehalten wird. Wir sagen dann dem Boss Bescheid. Der wird sie sich ansehen und euch die Anweisung ausschreiben. Also, wo ist die Herde?«
Für Vance Coburne ist sofort alles klar.
Man erwartet eine Treibherde, die zum Verkauf hergebracht werden soll. Die Lockwood Ranch kauft also immer noch Rinder, kann offenbar gar nicht genug davon bekommen und will nicht auf die natürliche Vermehrung der Herden warten. Man will möglichst schnell das ganze Tal mitsamt den Nebentälern mit Rindern füllen.
Er sieht die beiden Reiter an und schüttelt den Kopf. »Ich komme von keiner Herde«, erwidert er. »Ich suche nur einen Job und will zu jemandem, der befugt ist, mich einzustellen.«
Nun prallt ihr lauerndes Misstrauen wie ein heißer Atem gegen ihn.
»Und was für einen Job suchst du?« Einer fragt es mit einem fast drohenden Ton in der Stimme, einem lauernden Klang.
Er grinst sie nun böse und herausfordernd an und erwidert: »Vielleicht sollte ich euch einmal zeigen, wie gut ich mit meinem Colt bin. Dann erübrigt sich diese Frage. Oder haltet ihr mich für einen Kuhtreiber?«
Fast fauchen sie vor Grimm. Doch dann erwidert der eine: »Reite weiter zur Ranch hinüber. Es sind ja nur noch drei Meilen bis dorthin. Johnny Hackett ist heute dort anwesend. Er ist der Vormann und wird schnell erkennen, ob er dich zum Teufel jagt oder ob du bleiben darfst. Reite und bleib auf dem Weg! Vielleicht sehen wir uns noch mal, wenn er dich wieder fortschicken sollte.«
Die letzten Worte sind eine Drohung. Irgendwie hat er sie herausgefordert, als er sie fragte, ob er ihnen mal zeigen solle, wie gut er mit dem Colt ist.
Er grinst nur und reitet weiter.
Sein Instinkt sagt ihm, dass ihm ein Besuch auf der Ranch Aufschluss geben wird über so manche Unklarheiten. Vor allen Dingen möchte er diesen Johnny Hackett kennenlernen, der als Vormann dieser riesengroßen Ranch, die fünfzig Reiter in die Sättel bringen kann, der mächtigste Mann im ganzen Land ist.
Es herrscht viel Bewegung auf der Ranch. Schon aus einiger Entfernung hört er die klingenden Hammerschläge eines Schmieds, der mit seinem Handhammer auf dem Amboss dem Zuschläger den Takt angibt.
In den Corrals werden Pferde zugeritten. Es gibt einige kleine Felder und Äcker, auf denen Rauchhelfer arbeiten.
Er reitet quer über den weiten Hof bis vor das Haupthaus, welches als solches sehr leicht zu erkennen ist.
Als er vor der Veranda das Pferd zügelt, umgeben ihn knurrenden Hunde. Sein Pferd ist ständig bereit zum Auskeilen, doch so nahe wagen sich die Hunde nicht heran.
Auf der Veranda erscheint eine Frau.
Vance Coburne hält unwillkürlich den Atem an und staunt.
Heiliger Rauch, denkt er, was ist das für ein Wunder. Seine Bewunderung ist offenkundig, und er zieht den Hut.
Die junge Frau ist grünäugig und hat rotgoldenes Haar, aber das ist es nicht allein. Es ist auch nicht die Schönheit ihres Gesichts, es sind auch nicht die Bewegungen, ihr Schreiten und die Art, wie sie den Kopf auf den Schultern trägt – nein, es ist ihre Ausstrahlung, die wie ein Zauber von ihr ausgeht.
»Ein Fremder?« So fragt sie lächelnd. »Ich sah Sie noch nie hier, Mister. Aber Sie reiten ein Pferd mit dem Brandzeichen der Post- und Frachtlinie. Bringen Sie eilige Post? Ich bin Laura Sheridan.«
»Nein, Lady«, erwidert er, »ich bringe keine Post. Mein Name ist Coburne, Vance Coburne. Ich kam her, um nach Arbeit als Raubzeugjäger zu fragen. Bei wem muss ich vorsprechen?«
»Bei mir«, entgegnet eine harte und präzise klingende Stimme, und ein Mann tritt ein Stück weiter aus einer zweiten Tür auf die Veranda.
Die Hunde waren schon vorher still geworden, als jene Laura Sheridan auf die Veranda trat. Nun ziehen sie sich sogar etwas zurück. Zwei von ihnen lassen ein leises Winseln hören als Zeichen der Unterwürfigkeit.
»Weg mit euch!«, sagt der Mann zu ihnen. Sie gehorchen sofort.
Der Mann betrachtet Vance Coburne von der Veranda her mit einem scharfen Blick, indes er sich das halbe Dutzend Schritte nähert.
»Raubzeugjäger?« So fragt er kritisch. Er wirft einen Blick auf das Gewehr in Coburnes Sattelfutteral. »Na, eine gute Sharps haben Sie ja. Aber sagen Sie, Mann, sind Sie nicht der Spieler, der in der vergangenen Nacht im Lockwood Saloon vergebens auf eine Pokerpartie wartete?« In die präzise Stimme kam zuletzt ein kaum merklicher Klang von Hohn.
Coburne nickt. Und immer noch sitzt er im Sattel. Denn bisher forderte ihn auch dieser Mann nicht auf, abzusitzen.
»Wissen Sie, Mister«, sagt Coburne, »ich verstehe mich auf viele Arten, Geld zu verdienen. Als ich vorgestern in dieses Tal kam, traf ich auf einen Raubzeugjäger, und da dachte ich mir, es täte mir mal ganz gut, eine Weile in der frischen Luft zu leben, statt in einem rauchgeschwängerten Saloon die ganze Nacht am Spieltisch zu hocken. Wollen Sie mich also, Mister? Natürlich können Sie mich erst mal ausprobieren.«
Der Mann ist groß, hager und dunkel, ein Mann mit einem hartlippigen Mund und dunklen Augen. Die Art, wie dieser Mann seinen Revolver trägt, sagt Coburne alles.
Er glaubt, dass dieser Mann jener Johnny Hackett ist, der Vormann der Lockwood Ranch. Es geht etwas von diesem Mann aus, was nicht so leicht zu beschreiben ist. Aber es ist sicherlich der Atem von Gefahr, von rücksichtsloser Autorität, die keinen Widerspruch duldet und jeden Widerstand niedermacht.
Nun hebt der Mann die Hand, um den Daumen in die Westentasche zu hängen. Die andere Hand schiebt er flach hinter seinen Gürtel.
Aber dicht über dem Handrücken jener Hand, deren Daumen nun an der Westentasche hängt, da sieht Coburne etwas. Ein triumphierendes Gefühl steigt in ihm auf. Er gibt sich Mühe, es zu unterdrücken, und senkt auch im selben Sekundenbruchteil seinen Blick, um diesen Triumph nicht in seinen Augen erkennen zu lassen.
Denn am Handgelenk des Mannes, dicht über dem Handrücken endend, ist ein Schlangenkopf tätowiert, der nach oben unter dem Ärmel verschwindet.
Coburne denkt: Das ist der Kerl, der dem jungen Bankangestellten die Messerklinge an den Hals drückte.
Er möchte nun gar nicht mehr länger um Arbeit bitten und wartet eigentlich nur noch auf ablehnende Worte, um sein Pferd herumzuziehen und wieder wegzureiten. Aber da hört er den Mann sagen: »Sie haben Glück, Coburne – das war doch der Name, ja? Also, Sie haben Glück. Ich bin der Vormann hier. Mein Name ist Hackett, Johnny Hackett. Doch dies hat man Ihnen gewiss schon gesagt. Dort kommt unser bisher einziger Raubzeugjäger angeritten. Sie werden zuerst einmal mit ihm zusammen reiten. Er wird Sie einweisen. Sie bekommen doppelten Cowboy-Lohn. Gut so?«
Vance Coburne nickt wortlos und bemüht sich, seine Enttäuschung nicht zu zeigen. Denn seine Frage nach Arbeit war ja nur ein Bluff, um herkommen zu können. Nun begreift er erst richtig, wie schlau und erfahren dieser Johnny Hackett ist und wie gut auch das Nachrichtensystem der Lockwood Ranch sein muss.
Hackett wusste schon von dem Spieler, der nach Lockwood gekommen war und vergeblich auf Mitspieler wartete. Und jetzt lässt Hackett ihn mit diesem Herb Lane reiten. So kann er ihn unter ständiger Kontrolle halten, bis man sich darüber klar geworden ist, ob es sich bei ihm tatsächlich nur um einen Abenteurer handelt, der sich als Spieler und Raubzeugjäger durchschlägt – oder ob er nur schlauer ist als jener Cowboy, dessen Pferd den Shamrock-Brand trug und den wahrscheinlich jener Herb Lane erschoss.