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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2521 bis 2523:
2521: Socorro
2522: Ben Quades Stolz
2523: Die Revolvermannschaft
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 478
Veröffentlichungsjahr: 2023
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2021 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2023 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Norma/Prieto
ISBN: 978-3-7517-4741-7
https://www.bastei.de
https://www.sinclair.de
https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Western-Bestseller 2521 - Western
Verlorene Reiter
G. F. Unger Western-Bestseller 2522 - Western
Der Revolvermann
G. F. Unger Western-Bestseller 2523 - Western
Geh nicht, Jesse!
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Contents
Verlorene Reiter
Als Wayne Adams den letzten Mann aus dem Maverick Saloon geworfen hat, hält er schnaufend inne, starrt hoffnungsvoll auf die Schwingtür und hält sich bereit für den nächsten Schlag.
Doch keiner seiner Feinde kommt noch einmal herein. Sie bleiben draußen. Die Rauferei ist beendet. Er hat gewonnen.
Doch was hat er davon? Diese Frage dringt allmählich durch die dumpfen Nebel seiner Trunkenheit.
Der Barmann fragt vorwurfsvoll: »Wayne, warum hast du das getan? Du hast mir die ganzen Gäste vertrieben. Es waren doch gute und nette Jungs. Ihr alle kennt euch schon viele Jahre. Die meisten ritten unter dir, als du noch Vormann auf der Bullskull warst. Warum hast du sie aus meinem Saloon geworfen?«
Wayne Adams grinst zu diesen Worten. »Ach«, sagt er, »ich konnte diese Knallköpfe plötzlich nicht mehr sehen. Und überhaupt – ich bin fertig in dieser Stadt und in diesem Land. Ich haue ab, hörst du, Frank? Was von meiner kleinen Ranch übrig blieb, übernahm die Bank, und die Bank gehört dem alten Piraten Todhunter McGinnes. Ihm gehört alles in diesem Land – alles. Doch ich habe seine Mannschaft verprügelt. Er konnte meine Ranch schlucken, und dafür schlug ich seine Reiter aus diesem Saloon. Kannst du verstehen, warum ich das ganz einfach tun musste, Frank?«
Frank schüttelt den Kopf. »Du bist ein Narr, Wayne Adams«, sagt er. »Ihr habt mir eine Menge Tische, Stühle und Bänke zertrümmert, dazu die vielen Flaschen und Gläser. Ich glaube, dass der Schaden mehr als hundert Dollar beträgt ...«
»Den musst du von den Jungs kassieren, Frank«, unterbricht ihn Wayne Adams. »Die haben noch mehr Spaß gehabt als ich. Sie durften immerzu durch die Luft segeln und Purzelbäume schlagen. Ich leistete die ganze Arbeit. Ich müsste dafür noch ein Honorar bekommen. Oder vielleicht nicht?«, fragt er mit schief zur Seite geneigtem Kopf.
Frank weiß ziemlich genau, was in Wayne Adams vorgeht.
Galgenhumor ist es. Ein tiefer Schmerz, Depression und das Gefühl, ein Versager zu sein.
Vor drei Jahren gab er seinen Job als erster Vormann der mächtigen Bullskull Ranch auf und versuchte sich selbst als Rancher.
Weil er wenig Weideland besaß, das niemals für große Longhornherden ausreichen würde, wollte er eine fleischige Rasse von Rindern züchten. So kaufte er sich für den größten Teil seiner Ersparnisse einen Herefordbullen. Es war der erste Bulle dieser Art im südlichen Teil von Texas. Er musste ihn mehr als fünfhundert Meilen weit transportieren, und er konnte ihn nicht einfach so treiben wie einen Longhornbullen.
Denn die Longhorns stammen von den spanischen Kampfstieren ab.
Ein Bulle aber aus der englischen Grafschaft Hereford – nun, der ist eben von anderer Art.
Deshalb vertrug er auch die Texas-Zecke nicht, gegen die texanische Longhorns völlig immun sind.
Da er aber ständig mit Longhorns zusammen war, bekam er mehrmals das Texasfieber.
Nach einem Jahr war er tot.
Für Wayne Adams war der Verlust des kostbaren Bullen der Anfang vom Untergang.
Bevor seine Schulden den Wert seiner kleinen Ein-Mann-Ranch überstiegen, trat er die Ranch an die Bank ab.
Dann kam er in den Saloon, trank für seine letzten Dollar Whisky und Bier, und danach warf er die Jungs der Bullskull-Mannschaft raus.
Oh, sie wehrten sich dagegen.
Doch es nützte ihnen nichts.
So war das. Frank, der Besitzer und Barmann dieses Saloons, versteht ihn recht gut.
Aber so groß das Verständnis des Saloonbesitzers auch sein mag, so will er doch nicht auf hundert Dollar Schadenersatz verzichten. Deshalb sagt er höflich: »Es tut mir leid, Wayne, doch du hast angefangen. Ich muss hundert Dollar von dir eintreiben, Wayne.«
»Oh«, sagt dieser, »wenn ich hundert Dollar besäße, so hätte ich damit noch länger als ein Jahr durchgehalten. Ich hätte warten können, bis die paar Kälber meines Herefordbullen groß geworden wären. Bei mir gibt es kaum noch Hosenknöpfe zu holen. Also, Frank! Ich gehe jetzt und komme nie wieder.«
Als er sich schwankend umwendet, sieht er den alten Marshal Tate Brown.
Tate Brown hat ein Holzbein, einen Vollbart und etwa siebzig Jahre auf dem Buckel. In Radego braucht man eigentlich gar keinen Marshal.
Tate Brown wurde dennoch von Todhunter McGinnes zum Marshal gemacht. So ein alter Kater wie Tate Brown muss ja auch leben und will nicht das Gefühl haben, das Gnadenbrot zu bekommen.
Tate Brown steht also mit einer Schrotflinte da, als Wayne Adams sich vom Schanktisch und von Frank abwendet.
Er trägt den Marshalstern und stößt Wayne Adams die Doppelmündung der Schrotflinte in die Magengrube.
»So geht das nicht, mein Sohn«, sagt Tate Brown. »Ich habe mich schon gewundert, warum immer wieder die Jungs aus dem Saloon kugelten, als würden sie von einem Maultier getreten. Ich bin ja nicht kleinlich, doch wenn Frank meint, dass der Schaden hundert Dollar beträgt, so musst du wohl zahlen, Wayne, mein Junge. Anders ist das nicht zu machen.«
Er hat ein richtiges Piratengesicht, dieser Tate Brown. Man erzählt sich, dass er in seinen besten Jahren eine tolle Nummer war.
Aber jetzt ist Tate Brown ein alter Mann, ein Opa sozusagen. Er steht längst außerhalb jeder Konkurrenz und ist tabu.
Deshalb kann Wayne Adams gar nichts machen.
»Ich besitze nur noch einen Dollar und sechs Cents«, sagt er. »Vielleicht, wenn ich mal reich werde, schicke ich ...«
»Komm mit in die Zelle, mein Junge«, sagt Tate Brown grimmig. »Es ist kein guter Stil, wenn man eine ganze Salooneinrichtung zu Kleinholz macht und danach mit einem Dollar und sechs Cents bezahlen will. Ich bin enttäuscht von dir, Wayne. Und gerade auf dich hielt ich immer große Stücke.«
»Er ist betrunken, wenn es auch nicht so aussieht«, mischt sich Frank ein. »Wenn er nüchtern ist, werden wir sein Pferd und seinen Sattel verkaufen. Lass ihn erst einmal in der Zelle schmoren.«
»Sicher«, sagt Tate, und er zeigt dann zwei lückenlose braune Zahnreihen.
»Vorwärts, Wayne«, sagt er barsch, doch in seinen alten Falkenaugen funkelt ein Lächeln. Oh, er weiß genau, dass Wayne Adams ihm nichts tun kann – einfach nicht kann.
Ein Mann wie Wayne kann sich doch nicht an einem Opa vergreifen.
Nein! Also muss er gehorchen.
Er stolpert vor Tate zum Office, in dessen Hintergrund zwei Gitterkäfige sind. Er sucht sich einen aus, legt sich auf die Schlafpritsche und ist nach drei Atemzügen eingeschlafen.
Tate Brown schließt die Gittertür ab und hängt den Schlüssel an die gegenüberliegende Wand.
✰✰✰
Wayne Adams schläft lange, sehr lange – etwa zwölf Stunden. Als er erwacht, hat er einen mächtigen Brummschädel.
Ehe er mit dem Marshal ein Wort wechseln kann, kommt jemand ins Office. Es ist Todhunter McGinnes.
»Guten Morgen, Mister McGinnes«, sagt Tate. »Sind Sie gekommen, weil er Ihre Mannschaft verprügelt hat? Nun, ich habe ihn natürlich sofort eingesperrt und ...«
»Lass ihn raus, Tate – schnell!« Todhunter McGinnes ist ein alter Mann, fast so alt wie Tate. Doch er war sein ganzes Leben lang ein Boss, ein Kämpfer und Eroberer.
Deshalb wirkt er auch jetzt als alter Mann noch anders als Tate. Todhunter McGinnes wirkt ledern, hart und zäh, falkenäugig, entschlossen. Er ist ein König.
Tate Brown beeilt sich, die Zellentür zu öffnen.
Wayne Adams setzt sich auf und sagt plötzlich: »Wer glaubt denn eigentlich, dass ich überhaupt raus will?«
Todhunter McGinnes sagt nichts auf diese Frage. Doch er legt fünf Zwanzig-Dollar-Stücke auf Tate Browns Schreibtisch. Dann wendet er sich zur Tür und sagt von dort: »Hol dir dein Pferd und reite nach Süden aus der Stadt. Ich habe dort mein Pferd und warte auf dich, Wayne. Und du, Tate, hältst deinen Mund. Ich war gar nicht hier. Hast du das verstanden, Tate?«
»Genau, Mister McGinnes«, sagt Tate Brown. »Sie waren nicht hier. Wayne Adams hatte die hundert Dollar in Reserve. Ich habe Sie seit voriger Woche gar nicht gesehen, Mister McGinnes.«
Der sagt nichts mehr, sondern verschwindet wortlos.
Wayne Adams sitzt noch einige Augenblicke lang nachdenklich da.
Das muss eine besondere Sache sein, die den eisgrauen König dieses Landes dazu veranlasst hat, nach Radego zu kommen und Adams aus dem Loch zu holen.
Wayne Adams erhebt sich langsam. Seine Neugierde wird immer größer.
»Was mag der alte Pirat von mir wollen?«, fragt er sich.
✰✰✰
Als Wayne Adams aus der Stadt ist, ruft der alte Mann ihn aus einer Baumgruppe hervor an. Wayne Adams reitet hinüber und verschwindet bald ebenfalls in den tiefen Baumschatten.
»Sie waren schon immer ein edler Menschenfreund, Mister McGinnes«, sagt er mit unverkennbarem Spott. »Selbst für einen Regenwurm, den Sie an einem Angelhaken ins Wasser hängen, erwarten Sie einen guten Tausch. Für einen Wurm eine fette Forelle – und was erwarten Sie für mich?«
»Eine ganze Menge«, erwidert der Cattle-King trocken. »Ich erwarte nicht mehr und nicht weniger, als dass du das Leben meines Sohnes rettest, Wayne Adams.«
Adams zuckt zusammen. »Nanu? Was ist los? Ist Gil in Lebensgefahr? Warum kann ihm nicht sein mächtiger Vater helfen? Wo ist der Haken, Mister?«
»Es handelt sich nicht um Gil«, murmelt Todhunter McGinnes gepresst. »Wie du weißt, habe ich noch einen zweiten Sohn. Früher, als junge Burschen, wart ihr einmal Freunde. Ich rede von meinem Sohn Louis.«
Der Zorn presst ihm die Zähne zusammen und lässt seine Worte kaum noch verständlich klingen. Doch Wayne Adams versteht ihn. Er erinnert sich an Louis, gut, sehr gut sogar.
Sie waren wirklich einmal Freunde.
Aber das ist lange her – fast zehn Jahre, und es war vor dem Krieg gegen den Norden.
Louis hat den Krieg nicht als Soldat mitgemacht. Er ist nicht – wie fast alle Texaner – zu den Fahnen der Konföderation geeilt und hat in der Texasbrigade von General Jackson gekämpft. Wahrscheinlich deshalb nicht, weil sein Vater das von ihm verlangt hatte. Louis hat stets versucht, das Gegenteil von dem zu tun, was sein Vater wollte. Sie waren sich sehr ähnlich in ihrem Willen, ihrem Stolz. Keiner von ihnen konnte nachgeben, sich unterordnen.
Louis war eines Tages verschwunden, hatte seinen Vater einfach verlassen. Dann und wann waren Nachrichten über ihn gekommen. Es waren niemals gute Nachrichten gewesen.
Jetzt scheint er in Schwierigkeiten zu stecken.
Wayne Adams ist einen Moment versucht, einfach zu sagen, dass Louis ihn nicht interessiere.
Doch dann erinnert er sich wieder an zwei Dinge: Louis war einmal sein Freund. Er selbst gab seine Stellung als Vormann bei Todhunter McGinnes auf, weil er ihn als Boss nicht mehr länger ertragen konnte. So ähnlich ist es auch Louis ergangen, der seinem harten und unnachsichtigen Vater niemals etwas recht machen konnte.
»Was ist mit Louis?«, fragt er plötzlich.
Todhunter McGinnes sagt leise: »Er ist in Mexiko im Gefängnis. Sie werden ihn hängen. Er hat drüben eine Menge Verdruss verursacht und diesmal keine Chance, davonzukommen. Ich erhielt die Nachricht vor wenigen Stunden und sorgte natürlich sofort dafür, dass er dort die besten Anwälte bekommt. Sie sollen mit allen Mitteln versuchen, die Vollstreckung hinauszuzögern. Länger als vier Wochen wird man das nicht können. Bis dahin musst du ihn rausgeholt haben, Wayne. Ich will nicht, dass einer meiner Söhne gehängt wird. Es darf nicht sein. Ich könnte selbst eine kleine Armee aufstellen und mit ihr über den Rio Grande reiten, die kleine Stadt besetzen und Louis aus dem Gefängnis holen. Doch das würde politische Verwicklungen mit Mexiko geben. Louis hat nämlich einen Angehörigen der mächtigen Connores-Sippe im Zweikampf getötet. Don Estobal Connores aber ist zurzeit Gouverneur dieses Gebietes. Er ist einer meiner alten Feinde. Ich tötete einmal einen seiner Brüder, als wir nach Alamo immer wieder die Mexikaner aus Texas jagen mussten. Wayne, ich bin zu alt, um es selbst mit einigen verwegenen Burschen zu wagen. Es gibt nur wenige Männer im Land, die es fertigbrächten und denen ich vertrauen könnte. Als ich darüber nachdachte, wen ich mit dieser Aufgabe betrauen soll, wurde mir klar, dass du der einzige Mann bist. Deshalb ...«
Er macht eine Pause, und er würgt sichtlich an etwas herum. Es sieht aus, als müsse er unzerkleinerte Nüsse samt ihrer harten Schale schlucken.
Aber dann fährt er fort: »Deshalb bitte ich dich, Louis zu retten. Du kannst den Preis dafür selbst bestimmen. Und du kannst dir zur Hilfe nehmen, wen du willst und was du brauchst. Doch du musst dich beeilen! Er sitzt in Gonzales im Gefängnis.«
McGinnes verstummt. Dann beugt er sich zur Seite und öffnet seine Satteltasche. Er holt einen Geldgürtel hervor.
»Es sind fünftausend Dollar«, sagt er. »Wenn du mehr nötig hast, bekommst du es. Hier!«
Er wirft Wayne Adams das Geld zu. Dieser fängt den schweren Gürtel auf, wirft ihn aber sofort wieder zurück, und Todhunter McGinnes fängt ihn instinktiv.
»Ich bin doch nicht verrückt«, sagt Wayne Adams. »Zwar bin ich jetzt ein armer Hund, der sich gern einige Dollars verdienen würde. Doch nach Mexiko reiten und dort einen Mann aus dem Jail holen, den die Greaser hängen wollen, das ist nicht der Job, den ich suche.«
»Du kannst den Preis selbst bestimmen, Wayne. Natürlich bekommst du deine Ranch schuldenfrei zurück und einen neuen Herefordbullen. Ich bin ein alter Mann, der um Hilfe bitten muss. Ich habe mit Louis eine Menge falsch gemacht.«
»Jetzt fühlen Sie sich mitschuldig daran, dass er Ihnen fortlief, ein verlorener Reiter wurde und nun hängen soll«, murmelt Wayne Adams grimmig. »Jetzt juckt es Sie mächtig, nachdem das Kind längst in den Brunnen fiel. Aber letztlich ist jeder sein eigener Hüter. Das gilt für Louis, für Sie und auch für mich. Die Connores-Sippe jenseits des Rio Grande ist mir zu mächtig. Warum soll ich mich mit ihr anlegen? Nein, Mister!«
Nach diesen Worten reitet er davon.
Und Todhunter McGinnes hält ihn nicht zurück. Sein Stolz ist ihm im Weg, denn er ist ein Mann, der zum ersten Mal in seinem Leben um etwas bat.
Er lässt Wayne Adams reiten.
✰✰✰
Zwölf Stunden später befindet sich Wayne Adams in Santa Rosa, also etwa dreißig Meilen von Radego entfernt, an der Mündung des Pecos Creek in den Rio Grande.
Am Fluss brennt ein Feuer, über dessen Glut an einem Spieß ein prächtiges Ferkel hängt. Die beiden Männer, die gerade mit dem Festessen beginnen wollen, sehen Wayne Adams an.
Dann sagt Cliff Everett: »Der sieht verhungert aus, meinst du nicht auch, Luke?«
Luke Jones kaut schon mit vollen Backen. »Sehr verhungert«, sagt er. »Wenn wir den richtig hier ranlassen, putzt er uns alles weg.«
Sie schweigen nach diesem Dialog und betrachten Wayne Adams kauend.
Cliff Everett sagt nach einer Weile zu seinem Partner: »Er starrt uns an wie ein hungriger Wolf. Ich denke, wir müssen ihn einladen.«
Luke Jones nickt, wobei er mit den Ohren wackelt und sehr betrübt aussieht. »Ich glaube, er hat uns auch schon zwei- oder dreimal eingeladen«, sagt er. »Also setz dich, Satteltramp. Wir hörten schon, dass du restlos pleite bist und aufgegeben hast. Wir werden dich laben mit Speise und Trank wie barmherzige Hirten ein armes Schaf, das aus der Wüste in einen schönen Garten kommt. Steig ab, Amigo, und genieße diesen köstlichen Braten, den nur Könner und Feinschmecker so einmalig zubereiten, dass er wie ein Gedicht ist. Er zergeht auf der Zunge, lässt den Gaumen jubeln und füllt den Magen. Er lässt das Leben und alle Sünden vergessen!«
Nach diesen Worten beißt Luke Jones ein großes Stück ab, als müsste er die durch Reden verlorene Zeit wieder aufholen.
Wayne Adams sitzt ab. Er lässt seinen grauen Wallach zum Wasser laufen, hockt sich selbst zu den beiden Männern und greift ohne Zögern zu.
Er ist nicht weniger hungrig als die beiden Satteltramps.
Sie kennen sich recht gut, denn sie waren zusammen im Krieg, ritten einst einmal für Todhunter McGinnes und machten sich später selbstständig.
Cliff Everett versuchte sich als Rodeo-Kämpfer, und er zog zwei Jahre lang überall herum. Doch jetzt sitzt er hier am Rio Grande.
Und Luke Jones ist bei ihm. Von Luke weiß Wayne, dass er mit einer der ersten Treibherden von Texas nach Kansas zog und über ein Jahr unterwegs war.
Doch auch er kam zurück auf die Heimatweide.
»Was hockt ihr hier herum und verschluckt ein Schwein?«, fragt er nach einer Weile.
Sie grinsen, aber es ist ein Grinsen der Bitterkeit, gemischt mit Galgenhumor.
»Wir waren in Corpus Pablo«, erklärt Luke Jones. »Wir hatten unser Geld zusammengelegt, weil Cliff sich zutraute, mit dem Spieler, der dort den Saloon führt, zurechtzukommen. Nun, es fing recht gut an. Cliff hatte in drei Stunden schon unsere hundertfünfzig Dollar verdreifacht. Da versuchte der Spieler einen schmutzigen Trick, den Cliff sofort durchschaute. Es gab natürlich Ärger. Die erste Kugel bekam der Spieler. Seine Leute mochten das nicht, und so gaben wir es auch einigen von ihnen. Zum Schluss war vom Saloon nicht mehr viel übrig. Wir mussten sehr eilig verschwinden, weil sich der ganze Ort auf die Seite unserer Gegner stellte. Die Leute von Corpus Pablo waren wohl wütend, weil sie nun keinen Saloon mehr hatten. Jemand hatte eine Lampe zerschlagen, und das herauslaufende Öl brannte. Als der Saloon in Flammen aufging, zersprangen die vielen Flaschen und Fässchen. Der hochprozentige Schnaps machte ein Feuerchen wie in der Hölle. Sie waren mit mehr als fünfzig Reitern hinter uns her. Vor zwei Tagen konnten wir sie abschütteln, doch wir trauen der Sache nicht richtig. Deshalb sitzen wir hier am Fluss. Dort drüben ist Mexiko. Man braucht nur hinüberzureiten.«
Nach dieser langen Rede hat Luke Jones wieder Hunger. Schon bald muss er seinen Gürtel um ein Loch weiterschnallen.
Wayne Adams grinst und nickt verständnisvoll. Die beiden Burschen haben aus ähnlichen Gründen wie er einen Kampf gesucht und eine Menge Spaß dabei erlebt. Spaß ist vielleicht nicht das richtige Wort, es sei denn, man hielte es für einen Spaß, wenn man vom Teufel geritten wird.
»Was werdet ihr tun?«, fragt Wayne Adams nach einer Weile.
Sie haben nun endlich genug gegessen. Von dem Ferkel ist nicht mehr viel übrig. Sie hocken satt und etwas schläfrig am Feuer und trinken den starken Kaffee.
Schließlich sagt Cliff Everett: »Oooh, wenn wir erst wissen, dass uns niemand mehr auf der Fährte sitzt, werden wir hinüber nach San Antonio reiten. Dort werden dauernd neue Treibherden nach Kansas in Marsch gesetzt. Man sucht Treiber, die unterwegs auch kämpfen können. Das wäre der Job, der uns vor dem Verhungern schützt. Man könnte aber auch eine Postkutsche anhalten oder eine Bank erleichtern. Wir wissen noch nicht so genau, in welche Richtung wir ...«
Er verstummt, denn in der Ferne – im Norden – zeigt sich eine Staubwolke, die sich schnell nähert. Das Land ist flach, man kann es hier vom Flussufer aus meilenweit übersehen.
»Es ist ein einzelner Reiter«, sagt Wayne Adams ruhig, aber schon nach einer Minute fügt er hinzu: »Hinter diesem Reiter kommen noch andere. Die zweite Staubwolke ist sehr viel größer. Ich würde sagen, dass es fast ein halbes Dutzend Verfolger sind.«
Luke Jones und Cliff Everett spähen noch mit schmalen Augen. Dann nicken sie beipflichtend.
Der Reiter, der offensichtlich auf der Flucht ist, kommt immer näher.
Luke Jones sagt plötzlich: »Wenn mich nicht alles täuscht, ist das Burl Ives. Der hat einen Pinto und sitzt auch so im Sattel. Er könnte es sein.«
Sie warten schweigend.
Bald schon sehen sie, dass der Mann nur mit seinem Unterzeug bekleidet ist und ohne Sattel und Zaumzeug auf dem blanken Pferderücken sitzt. Sein scheckiges Pferd lässt sich von ihm auch so reiten und gehorcht willig seinem Schenkeldruck oder seinen Zurufen.
Das Tier ist jedoch am Ende seiner Kräfte. Es muss zwanzig Meilen galoppiert sein. Es stolpert immer mehr, taumelt und ist völlig am Ende.
Die Verfolger sind nun ebenfalls besser zu sehen. Man kann sie erkennen. Auch Wayne Adams kennt sie, wie er Burl Ives kennt. Alle wurden in diesem Lande geboren und leben im Umkreis von weniger als zweihundert Meilen.
»Das sind die Callaghan-Brüder«, sagt er zu Luke Jones und Cliff Everett. »Es sind die fünf Callaghans mit ihrem Vater Aharon. Sie sind hinter Burl Ives her wie sechs Teufel hinter einer armen Seele. Was mag er ihnen getan haben, der gute Burl Ives, dass er im Unterzeug zum Rio Grande flüchten muss?«
Da lacht Luke Jones plötzlich laut und brüllt, wobei er sich auf die Schenkel klatscht: »Lillibeth! Das ist es! Pass auf, es ist wegen Lillibeth!«
Sie sehen, wie Burl Ives plötzlich von dem stolpernden Pferd springt. Noch während er springt, bricht das Tier zusammen. Er fällt ebenfalls, rollt jedoch geschickt über die Schulter, schnellt auf und beginnt zu laufen.
Selbst ein barfüßiger Cowboy ist ein schlechter Läufer.
Die sechs Reiter holen ihn zehn Yards vom Feuer entfernt ein und umzingeln ihn. Als er erkennt, dass er ihnen nicht mehr entkommen kann, hält er inne, steht keuchend still und wartet ab. Er ist ein hübscher Bursche, blond, blauäugig und prächtig gewachsen. Er ist einer von der Sorte, die es beim weiblichen Geschlecht sehr leicht hat.
Wayne Adams, Luke Jones und Cliff Everett stehen bei ihren Pferden, die sie in den Schatten des großen Baumes gestellt hatten.
Sie halten sich zurück und warten.
Oh, sie brauchen nicht lange zu warten. Der alte Aharon Callaghan spricht laut genug. Seine Worte sind unmissverständlich.
Er hat auch etwas mitgebracht.
Es ist eine Hose. Er wirft sie vor Burl Ives' Füße und sagt: »Zieh sie an! Es ist unanständig, wenn ein Mann in der Unterhose herumläuft, zumindest am hellen Tag.«
»Sie – sie – hahattte eiein Loch, und Lillibeth hat sie geflickt«, stottert Burl Ives. »Lillibeth hat mimir Kuchen gebacken und Kaffee gekocht. Und während ich in der Küche saß und trank, wollte sie mir die Hose flicken. Es war nichts dabei! Es ist alles ehrenwert und ...«
Seine Stimme gewann immer mehr Festigkeit. Er stottert nicht mehr, sondern spricht weiter mit scharfer, empörter Stimme, die beleidigt und immer wütender klingt.
»Zum Teufel, ihr denkt doch nicht etwa, dass ich mit Lillibeth etwas anfangen wollte! Oho, sie backt den besten Kuchen! Gewiss! Doch sonst ist sie nicht gerade eine Augenweide. Wenn man es sich richtig überlegt, wäre es schon schwer, sie unter einer Herde von Kühen zu erkennen. Zum Teufel, warum jagt ihr mich durch das ganze Land?«
Die sechs Callaghans sitzen ab. Sie scheuchen ihre keuchenden Pferde fort und nähern sich Burl Ives, sodass sie ihn wie eine Mauer umgeben.
Es ist bestimmt kein Kinderspiel, das sie mit ihm veranstalten wollen.
Aharon Callaghan sagt schwer: »Lillibeth ist ein gutes Mädchen. Ihre Vorzüge sind mehr innerlich. Wir wissen schon lange, dass du sie immer dann besuchst, wenn wir nicht daheim sind.«
»Ja, weil sie so gut kochen kann!«, brüllt Burl Ives verzweifelt.
»Auch!«, ruft Aharon Callaghan. »Denn die Liebe geht oft genug durch den Magen. Als wir uns unserem Haus näherten, sprangst du im Unterzeug aus dem Fenster. Du wirst mit uns kommen und Lillibeth heiraten. Oder wir machen Salat aus dir! Hast du mich verstanden?«
Burl Ives stöhnt.
»Heiliger Rauch«, ächzt er. »Wie könnt ihr nur auf die Idee kommen, dass jemand, der nicht blind ist, eure Lillibeth für ein weibliches Wesen hält? Sie mag ein gutes Herz haben! Gewiss. Aber heiraten ...«
»Er wird auch noch frech«, sagt Jorge Callaghan, der älteste der fünf Söhne Aharons. »Verprügeln wir ihn erst einmal, damit er vernünftig wird!«
Alle sechs Callaghans sind bullig und gedrungen, voller Kraft und Härte. Sie wiegen zusammen mehr als zehn Zentner, und wenn sie erst einmal in Gang kommen, sind die zehn Zentner nicht mehr zu bremsen.
Nun schließen sie den Kreis um ihn enger. Burl Ives geht es wie einem Wildkater, den sechs Boxerrüden in der Klemme haben.
Aber er versucht es. Er springt auf einen der Callaghans zu, trifft ihn schmetternd unters Kinn, sodass sich der Bursche nach hinten überschlägt. Er will über ihn hinweg durchbrechen, doch die anderen fünf Callaghans greifen nach ihm. Sie haben ihn auch gleich richtig fest, mag er noch so wild kämpfen und sich winden.
Dann machen sie sich daran, ihn windelweich zu klopfen.
»Das kann man ja gar nicht mit ansehen«, sagt Luke Jones heiser.
»Lillibeth versucht es schon seit Jahren auf diese Art«, gibt Cliff Everett bekannt. »Ich denke, wir helfen Burl Ives ein wenig aus der Klemme, nicht wahr?«
Er zieht sich die Hose hoch und setzt sich in Bewegung.
Wayne Adams muss sich beeilen, wenn er hinter Luke Jones und Cliff Everett nicht zu weit zurückbleiben will.
Sie werfen sich entschlossen auf die Callaghans, die diesen Angriff mit Jubelrufen begrüßen. Die Callaghans gehen keinem Kampf aus dem Weg. Burl Ives ist ihnen ohnehin zu wenig.
Jetzt versprechen sie sich etwas mehr Spaß.
Von dem Ort kommen die Einwohner herüber, um sich das Schauspiel anzusehen.
Sie beachten nicht einmal die Postkutsche von San Antonio, die inzwischen herangerollt kommt und nur einen einzigen Fahrgast bringt. Dieser Fahrgast ist groß, hager und dunkel. Er sieht aus wie einer der typischen berufsmäßigen Spieler. Er kommt mit einer Reisetasche zur Fähre herunter, hält jedoch inne und sieht der Prügelei zu.
Die Callaghans sind Experten.
Aber die vier Männer, mit denen sie kämpfen, sind von der haarigen und harten Sorte, die sich überall behaupten kann. Auch sie sind von Anfang an aufeinander eingespielt, wobei Wayne Adams die Hauptarbeit leistet.
Aber im Laufe des Kampfes gewinnen die Callaghans dann doch allmählich die Oberhand. Sie sind zu stark und mit zwei Mann in der Überzahl. Die vier anderen Männer werden im besten Falle ein Unentschieden herausholen können.
Aber da mischt sich der Fremde ein, der mit der Postkutsche kam.
Als Jorge Callaghan in seine Nähe taumelt, bekommt er von dem Fremden einen kurzen, präzisen und trockenen Haken, und als er sich vorbeugt, trifft ihn die Handkante im Nacken.
Da dann nur noch fünf Callaghans übrig bleiben, schaffen es die vier anderen Männer.
Als sie endlich aufhören und sich umsehen, haben die Callaghans genug. Sie hocken oder liegen am Boden und können nicht mehr.
Luke Jones fragt schnaufend: »Wollen wir aufhören, Leute? Oder wollt ihr weitermachen? Sagt uns nur Bescheid! Burl Ives, jetzt wird es Zeit, dass du dir die Hose anziehst. Dein rotes Armeeunterzeug ist wirklich keine Augenweide.«
Die Zuschauer lachen.
Wayne Adams tritt auf den Fremden zu, der mit der Postkutsche kam.
»Danke«, sagt er. »Es war auf Dauer einer zu viel für uns.«
»Ja, das sah ich gleich«, grinst der Fremde. »Um was ging es eigentlich?«
»Die sechs Burschen möchten ihre Lillibeth verheiraten«, erklärt Wayne Adams.
Er und der Fremde sehen dann mit den anderen Leuten zu, wie sich die geschlagenen Callaghans mühsam erheben und zu ihren Pferden schwanken. Nach mehreren Versuchen sitzen sie endlich in den Sätteln.
Sie reiten wortlos davon. Sie wurden geschlagen, und darum schämen sie sich.
✰✰✰
Es wurde Abend, und die fünf Männer, die sich zufällig am Fluss trafen, sind immer noch beisammen.
Der Fremde sagte, als man ihn nach seinem Namen fragte, dass man ihn einfach nur »Cimarron« nenne.
Er ist in den Ort gegangen, hat dort seine elegante Spielertracht verkauft, ein Pferd und die nötige Ausrüstung erworben, die ein Mann braucht, der lange unterwegs und im Freien zu bleiben gedenkt. Er trägt jetzt die Weidetracht eines Cowboys, und er sieht sehr gut und echt darin aus. Bestimmt war er einmal Weidereiter.
Er ist nach seinen Einkäufen nicht im Ort geblieben, sondern wieder zum Fluss an das Feuer gekommen, hat einen Sack voll Vorräte mitgebracht und gefragt, ob jemand einigermaßen kochen könne.
Und das kann Luke Jones. Er macht sich sofort an die Arbeit.
Jetzt sitzen die fünf Männer am Feuer und essen, was Luke Jones' Kochkunst zauberte.
Es herrscht eine lässige Stimmung am Feuer. Fünf Männer fanden hier zusammen, weil der Zufall es so wollte. Burl Ives bekam sogar ein Hemd. Und Cliff Everett gab ihm ein Paar Mokassins.
Nach dem Essen sind sie still. Cimarron verteilt Zigarren, die sie mit Bedacht rauchen. Plötzlich sagt Cimarron langsam: »Da sitzen wir also hier am Feuer – und drüben ist Mexiko, ein anderes Land. Aber selbst, wenn wir hinüberritten, es würde sich nicht viel ändern für uns. Ich glaube, wir gehören alle zur gleichen Sorte.«
Sie geben ihm lange keine Antwort, und es sieht fast so aus, als blieben seine Worte unbeachtet.
Plötzlich fragt Wayne Adams ruhig: »Zu welcher Sorte?«
Cimarron betrachtet seinen Zigarrenstummel, wirft ihn schließlich ins Feuer und wischt sich über das Gesicht.
»Ich glaube«, spricht er dann, »dass keiner von uns einen festen Platz hat. Entweder fand er noch keinen – oder er hat ihn verloren. Wir sitzen hier am Feuer. Wir blieben zusammen, weil keiner von uns diese Nacht allein sein möchte. Jeder weiß, dass es viele Nächte gibt, in denen er mehr oder weniger allein ist. Das Feuer gibt uns Wärme, es ist der Ersatz für vieles andere. Aber morgen wird dieses Feuer kalt sein, wir werden irgendwohin reiten. Wir gehören wohl alle zu der Sorte, die verloren ist, wenn sie nicht endlich ...«
Er verstummt, denn vom Ort kommt ein Reiter herüber. Er hält außerhalb des Feuerscheins an und fragt: »Wayne, bist du dort am Feuer?«
Die wachsam gewordenen Männer staunen.
Sie hörten eine Frauenstimme.
Wayne Adams zuckt bei dem Klang der Stimme leicht zusammen. Er erhebt sich wortlos und geht zu der Reiterin hin. Er nimmt das Pferd am Kopf, dreht es herum und führt es schweigend flussabwärts in die Nacht hinein.
Hinter ihnen am Feuer bleibt es lange still. Dann murmelt Burl Ives nachdenklich: »Das war – wenn ich mich nicht sehr täusche – Jayne McGinnes, die einzige Tochter des großen Todhunter McGinnes. Bei ihm war Wayne Adams erster Vormann. Doch als er Jayne schöne Augen machte, sagte ihm Todhunter McGinnes, dass sein Mädel für einen Kuhtreiber zu schade sei. Da warf Wayne seinen Job hin und machte sich selbstständig.«
»Jetzt ist er pleite«, ergänzt Cliff Everett. »Wir sind wohl alle irgendwie pleite. Auch du, Cimarron, oder?«
»Ja«, sagt Cimarron. »Wer auf dieser Welt keinen festen Platz hat, auf dem er sich behaupten kann, der ist pleite. Der ist verloren.«
Dann schweigen sie. Sie sind neugierig, was das Mädchen von Wayne Adams will.
Irgendwo am Fluss hält Wayne Adams an und wendet sich um. Seine Hand legt sich auf Jayne McGinnes' Knie. Sie sitzt im Herrensitz auf dem Pferd und trägt einen geteilten Rehlederrock.
»Jayne«, sagt er rau, »du weißt doch, dass ich nur ein Kuhtreiber und verkrachter Drei-Kühe-Rancher bin, für den du viel zu gut bist. Was willst du von mir?«
Sie sitzt still im Sattel. Ihr Pferd ist voller Schweiß und erschöpft. Sie muss den ganzen Tag schnell geritten sein.
»Mein Vater ist ein harter, unduldsamer und eigenwilliger Mensch«, sagt sie langsam. »Das trieb schon meinen Bruder Louis fort, und er verlor sein Heim, seinen festen Platz. Er wurde ruhelos. Er war ebenso hart und unduldsam wie sein Vater. Das machte ihn zu einem Revolverhelden. Jetzt haben sie ihn drüben in Mexiko ins Gefängnis gesteckt und wollen ihn aufhängen. Er ist mein Bruder, und ich muss ihm helfen. Ich kann es allein nicht schaffen. Deshalb komme ich zu dir, Wayne. Hilf mir – bitte!«
Er steht da und denkt nach.
»Dein Bruder Louis hasst seinen Vater und seinen Bruder Gilbert, nicht wahr?«, murmelt er bitter. »Dein Vater ist zu alt für die Sache. Warum kümmert sich Gil nicht darum? Warum musst du es tun?«
Das Mädchen ist sattelmüde nach dem langen Ritt und möchte absitzen. Wayne streckt ihr seine Hände entgegen und hebt sie aus dem Sattel.
Als sie vor ihm steht, sind sie sich so nahe wie damals vor vier Jahren, als sie sich küssten und Todhunter McGinnes sie überraschte.
»Warum küsst du mich nicht?«, fragt sie leise.
»Weil du mich um etwas bittest und ich nicht will, dass du auf diese Weise bezahlst, Jayne.« Er lässt sie los und wendet sich zum Fluss, der im Sternenlicht glänzt.
»Ich fragte dich, warum Gil sich nicht darum kümmert. Louis ist sein Bruder. Dein Vater ist zu alt. Er könnte es nur mit einer kleinen Armee schaffen. Warum also, zum Teufel, kümmert sich Gil nicht darum?«
Seine Stimme wurde zuletzt laut und wütend.
»Gil hat Angst«, erwidert sie. »Gil hat Angst vor den Connores. Er behauptet, dass Don Estobal Connores und seine Sippe nur darauf warten, dass noch ein McGinnes seine Nase über den Rio Grande steckt. Mein Vater hat Gil mit der Peitsche geschlagen. Er hat es hingenommen. Zu mir hat er gesagt, dass er nicht so ein Narr wie Louis wäre. Er ginge von der Ranch nicht mehr weg, denn unser Vater wäre ein alter Mann und könnte nicht ewig leben. Also muss ich es wagen. Doch ich kann es nicht ohne Hilfe, Wayne. Ich habe den Geldgürtel mit den fünftausend Dollar bei mir, die mein Vater dir geben wollte, um ...«
»Weiß er, dass du fortgeritten bist, um mich zu suchen? Gab er dir das Geld?«
»Wo denkst du hin«, erwidert sie schnell. »Ich bin ihm ausgerissen und nahm das Geld ohne sein Wissen. Ich fürchte, er wird eine kleine Armee aufstellen. Er wird alle Banditen und Revolverschwinger anwerben, die gewillt sind, für Revolverlohn mit ihm nach Mexiko zu reiten. Und wenn es ihn seinen Besitz und sein Leben kosten sollte, er wird alles tun, um Louis vor dem Galgen zu retten. In seinem Herzen gibt er sich die Schuld, dass es mit Louis so kam. Er machte sich damals die Connores-Sippe zu Feinden. Durch sein unduldsames Verhalten dem ersten und ältesten Sohn gegenüber trieb er diesen aus dem Haus. Er will das alles wieder gutmachen. Doch wenn er mit einem starken Aufgebot nach Mexiko reitet, dann ...«
»Oh, ich kann mir sehr gut vorstellen, was dann sein wird«, unterbricht Wayne Adams das Mädchen. Er blickt ihr in die Augen.
Er weiß, dass er dieses Mädchen immer lieben wird. Ihr Gesicht erschien ihm oft in seinen Träumen. Und er hörte im Geist oft den Klang ihrer Stimme.
»Gib mir das Geld«, sagt er. »Ich will es versuchen. Ich sitze dort am Feuer mit einigen Burschen zusammen, die für tausend Dollar dem Teufel den Bart auszupfen würden. Gib mir das Geld, reite heim und sag deinem Vater, er solle seine Chips auf mich setzen. Das wäre immer noch besser und sicherer für ihn, als mit einer Privatarmee einen Krieg zu beginnen.«
Sie steht einen Augenblick lang still. Dann tritt sie dichter an ihn heran, und sie hebt schon ihre Arme, um sie um seinen Nacken zu legen.
Ja, sie will ihm nahe sein, will ihn küssen. Vielleicht will sie vor lauter Freude und Erleichterung auch an seiner Schulter weinen.
Doch er tritt zurück.
»Lieber nicht, Jayne«, sagt er. »Dein Vater hat recht. Ich kann dir nichts bieten, gar nichts. Ich bin nur einer dieser herumstreunenden Reiter. Geh ins Gasthaus dort drüben und reite morgen heim. Wenn du sagst, wessen Tochter du bist, wirst du im Ort sicher sein und alles bekommen, was du nur willst. Also!«
»Hilf mir aufs Pferd«, sagt sie ernst und knapp.
Er will es tun, doch dann liegen sie sich plötzlich doch in den Armen und küssen sich.
»Warum wolltest du das?«, fragt er.
Sie erwidert schlicht: »Ich bin seit einer Woche mündig. Ich hatte noch keine Gelegenheit, zu dir zu kommen, um dir zu sagen, dass ich mit dir gehen will, wohin du auch willst. Ich hätte meinen Vater verlassen wie mein Bruder Louis. Ich wollte jetzt, dass du das weißt. Ich hoffe, dass du spüren konntest, dass ich dich immer noch liebe und nur darauf gewartet habe, bis ich mich frei entscheiden kann. Jetzt will ich dich nicht länger aufhalten. Ich möchte, dass du meinen Bruder Louis rettest. Dann haben wir beide das Recht, nur noch an uns und unser Glück zu denken.«
Bevor er ihr helfen kann, ist sie allein aufgesessen und reitet davon.
Langsam geht Wayne zum Feuer, wo die vier Männer sitzen und ihn ansehen.
Er lässt den Geldgürtel achtlos vor sich zu Boden fallen und hockt sich dann nach Cowboyart auf die Absätze.
Die vier Männer betrachten den Geldgürtel. Sie erkennen sofort, dass er gefüllt ist.
»Fünftausend Dollar«, sagt Wayne Adams. »Wir sind fünf Burschen, für die ein einziger Dollar so groß wie ein Wagenrad ist. Oder hast du keinen Mangel an Geld, Cimarron?«
»Ich gab das letzte für ein gutes Pferd und den Sattel«, sagt dieser langsam. »Ich könnte tausend Dollar wirklich gut gebrauchen. Doch was müsste man dafür tun? Was möchte das Mädchen für fünftausend Dollar?«
Ja, das ist die Frage.
Sie starren Wayne Adams an.
Dieser zögert einen Moment.
Und dann sagt er es ihnen.
✰✰✰
Noch in der Nacht reiten sie nach Mexiko hinüber. Das ist leicht, denn die Grenze wird nicht bewacht.
Als sie drüben sind, trennen sie sich. Cliff Everett und Luke Jones reiten am Rio Grande entlang nach Osten. Burl Ives und Cimarron reiten nach Westen. Wenn sie weit genug sind, werden die vier Reiter nach Süden abschwenken und aus Osten und Westen nach Gonzales kommen.
Nur Wayne Adams reitet geradewegs nach Süden.
Dort irgendwo in Coahuila liegt die Stadt Gonzales.
Wayne Adams hat das Geld verteilt, und er hat den Männern in Todhunter McGinnes' Namen zugesichert, dass sie nach Erledigung des Auftrages noch einmal zumindest tausend Dollar pro Mann erhalten würden.
Nun fragt er sich, während er durch die Nacht nach Süden reitet, ob sie alle nach Gonzales kommen werden.
Cliff Everett und Luke Jones kommen bestimmt. Diese beiden Burschen kennt er gut genug. Die betrügen ihn nicht.
Und Burl Ives – nun, er scheint ein etwas leichtsinniger Bursche zu sein, der vielleicht mit tausend Dollar zufrieden das Weite sucht. Aber auch er wird wohl zu seinem Wort stehen.
Und Cimarron?
Wird auch er nach Gonzales kommen?
Das ist die Frage, die Wayne Adams nicht beantworten kann.
Wayne Adams fällt nicht so auf, wie man vielleicht denken könnte, zumal er ja ein dunkler, indianerhafter Typ ist, keiner dieser hellhaarigen und hellhäutigen Texaner.
Er reitet von Sonnenaufgang bis zum späten Nachmittag durch ein prächtiges Land mit wunderschönen Tälern und guten Weidegebieten. Immer wieder stößt er in den Bergen auf Minen, Erzmühlen und Schmelzen.
Es wirkt alles ziemlich friedlich. Doch er weiß, dass die Apachen hier oft die Straßen sperren und ganze Ortschaften überfallen. Außerdem gibt es hier genug Banditenbanden. Immer wieder macht irgendein Bursche, der sich für den kommenden Mann hält, eine Revolution. Der Waffen- und Silberschmuggel blüht. Die Revolutionsmacher und Banditen brauchen Waffen und Munition. Und in den Vereinigten Staaten von Amerika zahlt man für einen Silberbarren sehr viel höhere Preise als in Mexiko.
Es ist also ein gefährliches Land, durch das Wayne Adams reitet.
Aber er hat Glück und kommt ohne jeden Verdruss bis nach Gonzales. Er bewundert im letzten Sonnenlicht die Stadt, als er über den Hügelsattel kommt und sie ihm zu Füßen liegt.
Hell leuchten die Adobebauten. Auf dem Marktplatz und in den Gassen ist Gewimmel und Betrieb.
Am Rand der Stadt liegt die Stierkampfarena. Bei großen Kämpfen strömen die Menschen des Landes aus einem Umkreis von über zweihundert Meilen herbei. Wayne Adams ist das alles nur recht. Denn in einer so turbulenten Stadt, in der ständig viele Fremde weilen, wird er nicht so leicht auffallen. Das gilt natürlich auch für seine vier Partner.
Es ist schon Nacht, und alle Lokale, Geschäfte, Häuser und Hütten sind erleuchtet, als er in die Stadt reitet.
Vor einer Cantina hält Wayne Adams an, geht hinein und bestellt sich ein Essen. Es gibt Hammelfleisch und Chili-Bohnen. Dazu trinkt er einen Tequila. Außer ihm essen und trinken viele andere Männer. Er erkennt mit einem einzigen Blick wenigstens ein Dutzend Amerikaner, die wie Cowboys oder Minenleute gekleidet sind.
Später bringt er sein Pferd in einen Mietstall und schlendert durch die Stadt.
Es gibt hier eine Station der mexikanischen Landespolizei. Die uniformierten Reiter werden Rurales genannt. Wayne Adams weiß, dass viele von ihnen genauso schlimm wie echte Banditen sind, die sie nicht selten als Verbündete und Freunde haben.
Auch eine kleine Armee-Einheit ist in der Stadt kaserniert. Es ist kaum mehr als ein Reiterzug unter einem Teniente.
Das alles findet Wayne Adams schon bei seinem ersten Rundgang heraus. Etwas mehr Zeit nimmt er sich, als er das Gerichtsgebäude und das Gefängnis ausfindig gemacht hat. Das Gebäude nimmt mit seinen Nebengebäuden eine Seite des Marktplatzes ein.
Es gibt eine Wachstube der Stadtpolizei. Vor der Tür lümmeln sich zwei der Stadtpolizisten. Sie sind nicht uniformiert, aber ihre mexikanische Tracht mit den geschlitzten Hosen, den vielen Knöpfen, den kurzen Jacken und den mexikanischen Sombreros wirkt uniformähnlich. Alle sind dunkel gekleidet und tragen an den Hüten als Zeichen ihrer Würde Messingspangen.
Sie wirken sehr gelangweilt, doch Wayne Adams spürt, wie sie ihn aus dem Schatten ihrer Hutkrempen hervor scharf betrachten, als er durch den ausfallenden Lichtschein muss. Er weiß, dass er sich verdächtig macht, wenn er in dieser Nacht noch einmal hier vorbeigeht.
Er bleibt unter einem der alten Bäume stehen, dreht sich eine Zigarette und wendet den Kopf zur Seite, als er sie anzündet.
Um ihn herum ist Bewegung und Leben. Die Hitze des Tages ist einer angenehmen Kühle gewichen. Alle Häuser und Hütten sind geöffnet, um diese Kühle einzulassen. Fast alle Bewohner sind auf der Straße oder auf dem Marktplatz. Sie sitzen beim Brunnen, auf den Bänken und Steinstufen. Sie gehen spazieren, und überall klingt Lachen oder Musik, Gesang und Unterhaltung.
Es ist ein friedliches Bild.
Doch es gibt da und dort Männer, die sich wie Wayne Adams im Hintergrund halten, die im Dunkeln warten und beobachten.
Er blickt zum Gefängnis hinüber.
Dort soll also Louis McGinnes als Gefangener sitzen, weil er einen Angehörigen der mächtigen Connores-Sippe getötet hat. Im Zweikampf! Don Estobal Connores will ihn sicher hängen sehen. Deshalb werden die Zeugen so aussagen, dass Louis McGinnes keine Chance hat.
Wayne Adams kennt sich mit den Verhältnissen in Mexiko gut genug aus. Er wuchs ja an der Grenze auf, spricht die Landessprache fließend wie jeder Texaner, der von Kindesbeinen an Umgang mit Mexikanern hatte.
Er denkt daran, dass der Mann dort im Gefängnis Todhunter McGinnes' Sohn ist – und Jaynes Bruder. Louis war früher auch einmal sein Freund.
Wie mag er sich verändert haben?
Was denkt er in der Zelle jetzt?
Es wird schwierig sein, ihn herauszuholen.
Neben Wayne Adams tritt ein Mann, ein nicht sehr großer, untersetzter und drahtiger Bursche mit krummen Beinen.
»Nun, Wayne Adams, was tust du hier?«, fragt der Mann leise. Seine Stimme klingt etwas heiser.
Wayne Adams hält die Zigarette in der Linken. Seine Rechte befindet sich in der Nähe des Revolvergriffs.
Er kramt in seiner Erinnerung nach Anhaltspunkten, die ihm dabei helfen könnten, den Mann zu erkennen. Der lacht leise. Es ist kein gutes Lachen, eher spöttisch und voll kaum verborgener Feindschaft.
»Ich sah dich schon in der Cantina beim Essen«, sagt er. »Und seitdem beobachte ich dich. Du warst einmal Todhunter McGinnes' erster Vormann. Die Gerichtsverhandlung war schon gestern. Die Anwälte, die der alte McGinnes seinem Sohn schickte, wurden von diesem abgelehnt. Louis verzichtete auf jeden Anwalt. Er sagte dem Richter, dass Hernando Connores zuerst auf ihn geschossen hätte. Drei Zeugen behaupteten das Gegenteil. Er nannte sie Lügner und spuckte dem Richter fast ins Gesicht, nannte ihn einen verdammten Greaser, der mit der Connores-Sippe unter einer Decke steckt. Er wurde zwei Stunden später wegen Mordes zum Tode verurteilt. Wenn morgen nicht der große Stierkampf wäre, würden sie ihn wohl schon bei Sonnenaufgang hängen. Aber sie billigen ihm zwei Wochen Frist zu, wie es Gesetz ist. Er soll Zeit für sein Gnadengesuch an den Gouverneur haben. Er soll hoffen dürfen – um dann grausam enttäuscht zu werden. Don Estobal Connores wird schon dafür sorgen, dass man den Sohn des Mannes hängt, der ihm einmal den Bruder aus dem Sattel schoss. Du siehst, Wayne Adams, ich bin gut informiert.«
»Ja«, sagt Wayne langsam. »Und jetzt erkenne ich dich auch. Es ist schon lange her. Du warst einer der Pferdediebe, die über den Rio Grande kamen, um Todhunter McGinnes die kostbaren Zuchtstuten und den Hengst zu stehlen. Ihr habt es damals fast geschafft. Ihr wart nur noch eine Meile vom Rio Grande entfernt, als wir euch erwischten.« Er verstummt nachdenklich.
Der andere Mann jedoch spricht weiter.
»Drei von uns habt ihr damals erschossen. Mich bekamt ihr lebendig. Todhunter McGinnes gab dir den Befehl, mich an den nächsten Ast zu hängen. Die nächsten Bäume waren am Fluss. Du rittest also mit mir zum Fluss und nahmst noch einen Mann mit. Doch ihr führtet den Befehl nicht aus. Ihr habt mich mit Bullpeitschen bearbeitet und in den Fluss gejagt. Zerschlagen wie ich war, wäre ich fast ertrunken. Die Narben deiner Peitschenschläge habe ich immer noch, Wayne Adams.«
»Du bist damit gut weggekommen«, sagt dieser. »Pferdediebe werden nicht nur in Texas aufgeknüpft. Dein Name ist Drango O'Herrea. Bist du immer noch ein Pferdedieb? Oder haben dich die Prügel damals zu einem redlichen Mann gemacht?«
Drango O'Herrea lacht wieder auf die gleiche spöttische und feindselige Art wie zuvor.
»Was tut Todhunter McGinnes' einstiger Vormann hier in der Stadt«, sagt er, doch er sagt es nicht als Frage. Die Frage kommt erst jetzt. Er stellt sie böse. »Wollt ihr Louis McGinnes aus dem Gefängnis holen?«
»Wenn du weißt, dass ich nicht mehr McGinnes' Vormann bin, dann weißt du auch, dass ich mit ihm Streit hatte und nicht mehr in seinem Sattel sitze«, antwortet Wayne ruhig.
Drango O'Herrea lacht.
»Ich arbeite für die Connores-Sippe«, sagt er unumwunden. »Wir wissen alles über Todhunter McGinnes, seine Stadt Radego und die Leute, die dort leben. Ich habe mich auch stets für dich interessiert, wenn unsere Vertrauensleute aus Radego berichteten. Denn ich habe die Peitsche nie vergessen – nie! Ich hoffte immer, dass ich dir die Prügel irgendwann zurückzahlen könnte.«
»Jetzt vielleicht?«, fragt Wayne Adams hart.
Diesmal lacht Drango O'Herrea nicht. Er bleibt ganz ruhig.
»Sie warten hier nur darauf, dass Todhunter McGinnes seinen Sohn herausholen lässt. Außer mir gibt es noch mehr Leute, die schon in Radego waren und dich kennen, Wayne Adams. Du bist in Gefahr.«
»Du aber auch«, brummt Wayne Adams.
Er sieht nun zwei Reiter, die von Süden her über den Marktplatz kommen, beim Brunnen anhalten und die Pferde tränken. Die beiden Reiter mussten mehrmals durch helle Lichtbahnen reiten. Er hat sie allein schon an der Art erkannt, wie sie im Sattel sitzen.
Es sind Luke Jones und Cliff Everett. Sie werden ihre Pferde bald in den Mietstall bringen und dort auch sein Pferd sehen. Irgendwann am Morgen werden sie sich als scheinbar Fremde begegnen. Er wird ihnen dann sagen müssen, wie sie den Gefangenen befreien sollen. Auch Burl Ives und Cimarron werden bald in der Stadt sein.
Während er darüber nachdenkt, hört er Drango O'Herrea neben sich sagen: »Für tausend Dollar sage ich euch genau, wie ihr Louis McGinnes aus dem Gefängnis holen könnt.«
»Ich denke, du arbeitest für die Connores-Sippe«, erwidert Wayne Adams trocken.
»Gewiss.« Drango O'Herrea lacht. »Doch was habe ich davon, wenn sie Louis McGinnes hängen? Nichts! Wenn sie ihn nicht hängen, könnte mir das tausend Dollar einbringen. Und das ist schon was – oder nicht, mein Freund?«
»Fünfhundert«, erwidert Wayne.
»Tausend!«
»Fünfhundert, wenn Louis McGinnes aus dem Gefängnis ist – und weitere fünfhundert, wenn sein Vater ihn hat. Anders kann ich es nicht machen.«
»Ich auch nicht. Tausend, wenn er aus dem Gefängnis ist. Du wirst sehen, dass die tausend Dollar gut angelegt sind. Wenn man nämlich Bescheid weiß – so wie ich –, ist es leicht, ihn aus dem Kasten zu holen, sehr leicht. Wollen wir?«
»Gut«, sagt Wayne Adams langsam. Er sieht, wie Luke Jones und Cliff Everett weiter über den Platz in die Stadt reiten. Sie werden bald den Mietstall finden.
Er tritt dichter an Drango O'Herrea heran und fragt leise: »Also, wie kann es gemacht werden? Wenn du schon tausend Dollar verdienen möchtest, dann muss der Plan erstklassig und absolut sicher sein.«
»Gehen wir über den Platz und durch die Gasse dort«, erwidert Drango O'Herrea. »Du wirst zufrieden sein. Wenn ich dir alles gesagt habe, möchte ich fünfhundert als Anzahlung.«
✰✰✰
Der große Stierkampf beginnt schon am frühen Vormittag mit allen Umständlichkeiten und der ganzen Schau, die zu solch einem Fest nun einmal gehören. Die Stadt selbst ist wie ausgestorben.
Die Bürger, alle Fremden und Besucher von nah und fern sind in der Arena oder dicht dabei. Zwei Musikkapellen lösen sich beim Spielen ab.
Es ist ein Volksfest.
Denn Santos Largos, der berühmteste Stierkämpfer, den es je gab, stellt wieder einmal einen seiner Nachfolger vor, den er drei Jahre lang geschult hatte.
Das muss man sehen. Auch die Toros, die Kampfstiere, will man bewundern. Und man muss die Kapelle hören und – oh, man muss so viel bei einem mexikanischen Volksfest tun – essen und trinken zum Beispiel, den Frauen und Mädchen nachschauen, Freunde treffen, Wetten abschließen, den Kindern Zuckerzeug und Kuchen kaufen und – oh, es gibt tausend Dinge, die man tun muss.
Und die Stadt ist leer. Fast leer! So gut wie leer.
Nur ganz wenige Menschen blieben, weil sie irgendwelche Aufgaben zu erfüllen haben.
Da ist zum Beispiel der Koch des Rosa-Blanca-Hotels. Kurz vor Mittag hat er das Essen für die Stadtpolizisten fertig und ruft den baumlangen Francesco, den Hausburschen.
Er gibt ihm das große Tablett und den Korb und sagt ihm, er möge nicht über seine eigenen Füße stolpern wie gestern und alles verschütten.
Der lange Bursche beteuert, dass ihm gestern ein Hund zwischen die Beine gelaufen wäre, der hinter einer Katze her war.
Eine Weile zanken sich die beiden noch. Dann geht Francesco endlich durch den Seitenausgang der Küche direkt auf die Gasse.
Er kommt nur bis zur ersten Hauslücke. Dort packt eine Hand ihn am Kragen und zieht ihn zwischen zwei Hütten. Er will protestieren, doch da sieht er, dass es zwei Männer sind, von denen einer sogar einen Colt auf ihn richtet.
Sie nehmen ihm das Tablett und den Korb ab. Dann muss er seinen großen Hut und den blauen Leinenkittel hergeben.
Wayne Adams setzt sich den Hut auf und zieht den Kittel an. Cliff Everett gibt ihm das Tablett auf den linken Arm und drückt ihm den schweren Korb in die rechte Hand.
Dann geht Wayne Adams, und er sieht fast genauso aus wie Francesco, den Cliff Everett in einen der Schuppen führt, wo er sich hinlegen muss. Er versucht nicht, sich zu wehren, denn so groß Francesco ist, so winzig ist sein Mut.
Er wird gefesselt und bekommt einen Knebel in den Mund. Er liegt mit geschlossenen Augen da und rührt sich nicht. Cliff Everett sagt trocken zu ihm: »Wenn du Krach machst, komme ich zurück und geb dir was auf die Birne, Amigo mio!«
Davor hat Francesco Angst. Nicht jeder Mann ist ein Held. Francesco hat außerdem nicht allzu viel Verstand mitbekommen.
Cliff Everett macht sich eilig auf den Weg.
Er muss mit Luke Jones und Burl Ives dafür sorgen, dass die Pferde rechtzeitig vor dem Gefängnis stehen.
Inzwischen nähert sich Wayne Adams dem Gefängnis. Er begegnet keinem Menschen. Doch er hält den Kopf gesenkt, damit man sein Gesicht nicht erkennen kann.
So marschiert er dann auch in das Gerichtsgebäude hinein. Der Posten vor der Tür lässt ihn wortlos vorbei, hält ihn also für Francesco, der jeden Tag in diesem blauen Leinenkittel und mit dem großen Hut kommt und ein Tablett und einen großen Korb trägt.
In der Wachstube sitzen zwei Männer beim Kartenspiel.
»Was gibt es heute, Francesco?«, fragt der eine gähnend.
Wayne Adams spricht die Landessprache so gut, dass er glatt und unmissverständlich in dieser Sprache sagen kann: »Blaue, heiße Bohnen, wenn die beiden Señores mir Ärger machen und nicht still sind.«
Er hatte inzwischen Tablett und Korb abgesetzt und unter dem Tuch, das die Schüsseln auf dem Tablett verdeckte, den Revolver hervorgenommen.
Die beiden Stadtpolizisten blicken in seine Revolvermündung.
Einer sagt staunend: »Das ist ja gar nicht Francesco.«
Der andere Mann kaut erst eine Weile an seinem pechschwarzen Schnurrbart. Dann sagt er bitter: »Jetzt holen sie Louis McGinnes heraus.«
»So ist es«, nickt Adams. Er blickt zur Tür. Der Posten kommt von draußen herein. Hinter ihm erscheint Cimarron. Er treibt den Mann mit dem Colt vor sich her.
»Ihr Cabrones«, sagt der Posten wütend, »damit kommt ihr nicht durch. Dieser Gringo fragte mich, ob ich eine Juanita kenne, von der er einem Stadtpolizisten Grüße bestellen solle. Und als ich noch überlegte, wer von uns eine Juanita kennt, drückte er mir auch schon den Revolver gegen den Bauch. Ayayay ...«
Er verstummt und knirscht nur noch mit den Zähnen, dabei läuft sein Gesicht dunkelrot an.
Cimarron nickt Wayne Adams zu und übernimmt die Bewachung der Gefangenen.
Wayne geht in den Zellenraum. Hier gibt es sechs Gitterzellen. Doch nur eine ist belegt.
»Louis!«, ruft er leise. Der Gefangene auf der Schlafpritsche bewegt sich nicht, sagt nur: »Rutscht mir doch alle den ...«
Dann erst wird ihm klar, dass er einen Texaner sprechen hörte.
Vielleicht erinnert er sich sogar schon an Adams' Stimme.
Wayne Adams steht ruhig an der Gittertür, als Louis sich erhebt und näher an die Gitter kommt.
Sie betrachten sich. Sie haben sich viele Jahre nicht gesehen.
Aber sie erkennen sich sofort wieder.
Louis McGinnes ist etwas mehr als mittelgroß, etwa hundertsiebzig Pfund schwer. Früher war er auf eine männliche Art hübsch. Er wirkte stets verwegen und eigenwillig.
Jetzt, da Wayne Adams ihn betrachtet, erkennt er sofort die dunklen, harten Linien in Louis' Gesicht. Es wurde ein hartes Gesicht mit allen Zeichen eines bewegten Lebens.
Louis hat rote Haare und grüne Augen wie seine jüngere Schwester Jayne. Er ist ein Mann, der auf andere Männer stets herausfordernd wirkt.
Nun lächelt er scharf. »Oho, Wayne«, sagt er kühl. »Du arbeitest doch nicht mehr für meinen Vater. Was führt dich denn an diesen Ort?«
»Das ist doch jetzt vollkommen unwichtig«, erwidert Wayne und wendet sich ab, um den Schlüssel vom Wandbrett zu holen.
»Sag nicht, dass es unwichtig ist«, spricht Louis McGinnes hinter ihm hart. »Wenn dich nämlich mein Vater schickt, so kannst du wieder gehen. Ich will es nicht ihm verdanken müssen, wenn ich von hier entkommen kann. Ehe ich mich durch Männer, die er schickte, befreien lasse, will ich lieber hängen.«
In Louis McGinnes' Stimme schwingt eine eiskalte Härte und Verachtung. Wayne Adams wendet sich ihm wieder zu und betrachtet ihn.
»So sehr hasst du deinen Vater?«
»Hassen?«, fragt Louis McGinnes. »Was ist hassen? Ich bin damals fortgegangen, weil ich erwachsen war und ich mich ihm nicht länger unterwerfen konnte. Das kann ich jetzt immer noch nicht. Er soll nicht über mich triumphieren. Er hat mir einmal gesagt, dass ich ohne ihn verloren wäre und vor die Hunde ginge. Und ich habe ihm erwidert, dass ich lieber ohne ihn vor die Hunde ginge, als von seiner Gnade abhängig zu sein. Kannst du das verstehen, Wayne?«
Dieser erwidert nichts. Er holt den Schlüssel, tritt an die Gittertür und öffnet sie.
»Deine Schwester Jayne bat mich, dir zu helfen«, sagt er dann. »Außerdem waren wir einmal Freunde. Dein Vater hatte mich zuvor gebeten, doch ich lehnte es ab. Bei Jayne konnte ich nicht ablehnen, denn ich liebe sie. Kommst du jetzt heraus?«
Louis McGinnes starrt einige Sekunden ins Leere, als könnte er im Geiste irgendwelche Bilder sehen.
Dann kommt er aus der Zelle.
Als sie in den Wächterraum treten, sagt Cimarron trocken: »Ihr nehmt euch Zeit! Wir haben es ja auch gar nicht eilig!«
Er treibt die drei Gefangenen vor sich her in den Zellenraum. Wayne folgt ihm, und sie schließen die Mexikaner in den Zellen ein. Die drei Männer ersticken fast an ihrem Zorn, und sie murmeln Verwünschungen.
»Werdet nur nicht zu laut«, warnt Cimarron.
Als Wayne und Cimarron aus dem Zellenraum kommen, hat sich Louis McGinnes bewaffnet. Er hatte genügend Auswahl. Doch der Revolvergurt mit den beiden Holstern passt ihm so gut, dass es nur sein eigener sein kann.
»Gehen wir«, sagt Wayne Adams.
Er tritt zuerst hinaus. Dann folgen Louis McGinnes und Cimarron.
Draußen wartet Burl Ives mit drei ledigen Sattelpferden.
Cliff Everett und Luke Jones halten zu Pferde rechts und links des Platzes vor den Straßenmündungen. Sie beobachten die Straßen. Die Straße nach Süden führt aus der Stadt zur Stierkampfarena. Von dort tönt das tausendstimmige Gebrüll der Menge.
Wahrscheinlich hat der Matador eben den entscheidenden Stoß getan. An dem Gebrüll der Menge ist zu erkennen, dass es ein guter Stierkampf war.
Bald werden die Menschen in die Stadt strömen.
Die sechs Reiter biegen schnell in eine der kleinen Gassen ein. Sie begegnen keinem Menschen, nur einigen Hunden, Hühnern und Katzen. Aus einer der Adobehütten dringt das Weinen eines Kindes.
Dann haben sie die Gärten und Felder am Stadtrand erreicht und reiten weiter nach Norden.
Es ist ja klar, dass sie so schnell wie möglich über den Rio Grande wollen. Nur jenseits des Rio Grande sind sie in Sicherheit vor den Verfolgern. Sie nehmen den nächsten Weg.
Zwei Stunden später wissen sie, dass sie es nicht schaffen können. Hinter ihnen steigen von den Bergen Rauchsignale zum Himmel. Weit vor ihnen jenseits der Täler und Ebenen – werden diese Rauchsignale von den höchsten Gipfeln und Kämmen aus beantwortet.
Wayne Adams hält an und wartet, bis die anderen Reiter zu ihm aufgeschlossen haben.
»Ich dachte es mir«, sagt er. »Die Rauchsignale bedeuten nichts anderes, als dass jetzt alle Wege und Pfade zum Rio Grande bewacht sind.« Er macht eine Pause und wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht.
»Wir haben nicht nur Verfolger hinter uns. Vor uns ist ebenfalls das ganze Land alarmiert.« Er blickt die Männer der Reihe nach an.