G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 59 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 59 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

3 spannende Westernromane lesen und sparen!

G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!

Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2524 bis 2526:

2524: Die Rustler-Ranch
2525: Verlorene Reiter
2526: Der Revolvermann

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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EPUB
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Seitenzahl: 469

Veröffentlichungsjahr: 2023

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G. F. Unger
G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 59

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2021 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Norma/Prieto

ISBN: 978-3-7517-4742-4

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 59

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

G. F. Unger Western-Bestseller 2524 - Western

Einsam im Sattel

G. F. Unger Western-Bestseller 2525 - Western

Eine Kutsche voller Dollars

G. F. Unger Western-Bestseller 2526 - Western

Der wilde Clan

Guide

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Contents

Einsam im Sattel

Bill Timrock ist ein guter Sheriff. Seit rund zwanzig Jahren trägt er den Stern, und er trug ihn während seiner Laufbahn in rauen, wil‍den und höllischen Städten. Er hat all diese Burgen zur Ruhe ge‍bracht.

Und er lebt immer noch!

Diese Tatsache allein beweist, wie gut er in seiner besten Zeit war. Auch jetzt ist er noch gut, wenn auch bedächtiger und überlegter.

Er rückt seinen Gürtel zurecht und geht aus dem Haus.

Auf der Veranda bleibt er stehen und fischt einen Zigarrenstummel aus seiner Westentasche, steckt ihn sich zwischen die Lippen und zündet ihn an.

Dann erst tritt er bis zum Stützbalken des überhängenden Daches, lehnt sich dagegen und späht die Mainstreet entlang.

Last Sun ist noch nicht richtig aufgewacht, aber vor dem Gentlemen Saloon stehen einige Sattelpferde. Und weiter unten, vor dem Red Spring Saloon, sind noch mehr Pferde an der Haltestange angebunden.

Bis zur Mittagszeit ist dieses Nest voller Menschen, so voll wie zum Fest des Unabhängigkeitstages, denkt er bitter ...

Zwei schwere Frachtwagen kommen von der Prärie herein und biegen in den Hof der Frachtfuhrgesellschaft ein. Vom anderen Ende kommt die Morgenpost sechsspännig hereingesaust und hält mit quietschenden Bremsen vor dem Generalstore. Ein paar Leute sammeln sich um die Kutsche.

Bill Timrocks Falkenaugen werden etwas schmaler, als er einen Mann aus der Kutsche steigen sieht. Dann wendet er den Kopf und schaut durch die schmale Hauslücke zum nahen Hügel hinauf. Dort oben liegt das Zuchthaus. Früher war es ein kleines Fort gegen die Indianer – jetzt ist es eine kleine Hölle für Mörder und all jene Schufte, die sich schwer gegen das Gesetz vergangen haben und nun ihre Sünden abbüßen.

Das graue Bauwerk auf dem platten Hügel ist in Luftlinie keine vierhundert Yards vom Sheriff entfernt.

Zur Hölle, denkt er, es könnte tausend Meilen von dieser Stadt entfernt sein. Aber dieser Ort verdankt dem einstigen Fort sein Leben. Ohne das Fort hätten sie damals nicht Last Sun gründen können. Doch als sie das Fort nicht mehr brauchten, da hätten sie es in die Luft sprengen sollen, anstatt dieses verdammte Zuchthaus einzurichten.

Nach diesen bitteren Gedanken wischt er sich müde über den Schnurrbart und setzt sich in Bewegung.

Er erreicht die Schwingtür des Gentlemen Saloons und verhält, um einen raschen Blick auf die Brandzeichen der Sattelpferde zu werfen. Dann tritt er ein.

An den Tischen sitzen ein Dutzend Männer in kleineren Gruppen. In der Ecke findet eine Pokerpartie zu fünft statt. Und die fünfzig Fuß lange Mahagoniholztheke ist leer, bis auf einen einzigen Mann, der einsam davor steht und sich soeben Sodawasser in den Whisky mischt.

Der Barmann hantiert in der Ecke herum und verschwindet in der Küche, nachdem er für den Sheriff eine Flasche und ein Glas hingestellt hat.

Alle Gäste sind scheinbar an anderen Dingen interessiert, nur nicht an ihm und dem anderen Mann am Schanktisch, und doch weiß der Sheriff, dass sie ihn und Jesse Flynn heimlich beobachten. Auch der Barmann wird hinter der angelehnten Küchentür stehen und lauschen.

»Ich habe dich fünf Jahre nicht gesehen, Jesse. Du bist ein Mann geworden.«

Jesse Flynns rauchgraue Augen werden mit einem Mal dunkler und schmaler. Sie richten sich fest auf den Sheriff.

»Ich bin mit der Postkutsche gekommen, Timrock. Ich werde vor dem Zuchthaustor auf Timber warten und – so hoffe ich – mit der Mittagspost meinen Bruder aus der Stadt bringen.«

Bill Timrock nickt nachdenklich. Er hebt seine Hand und legt sie langsam auf die Kante des Schanktisches.

»Dein Bruder Timber wird tot sein, ehe er zehn Schritte aus dem Tor gegangen ist. Du willst es verhindern, Jesse – und du hast dir zu diesem Zweck den alten Colt deines Vaters mitgebracht. Nun, Jesse, dein Bruder wird aus dem Zuchthaus kommen – und in jeder Hand eine Waffe haben. Leider verbieten es die Gesetze nicht, einem entlassenen Zuchthäusler sein bei seiner Festnahme vorhandenes Eigentum wiederzugeben. Und ich kann Roger und Sloan Cannegan auch nicht verbieten, vor dem Gefängnistor zu warten. Ich kann erst eingreifen, wenn sie wirklich zu schießen beginnen. Und wenn du, Jesse, dann auf sie losgehen wirst, so ...«

»Wo sind die Cannegans?«, unterbricht Jesse Flynn ruhig, aber in seiner vollen Stimme schwingt ein harter Ton.

Der Sheriff zuckt etwas müde mit den schmalen Schultern.

»Sie sind in der Stadt – irgendwo. Du weißt, Jesse, dass die Cannegans hier eine Menge Freunde haben – und die Flynns nur Feinde. Diese Stadt und dieses County haben deinem Vater viele Jahre hohen Tribut gezahlt – ihm und der Flynn-Bande. Und dein Bruder Timber wollte in die Fußstapfen deines Vaters treten. Es war ein Glück für das Land, dass ihn mein Vorgänger auf frischer Tat ertappt hatte.«

»Sheriff, Timber war nie ein Bandit! Man hat ihn reingelegt!«

Jesse Flynn tritt mit einem Schritt dicht an den Sheriff heran.

»Die Cannegans und ein paar ihrer Freunde haben vor der Jury gegen Timber geschworen. Die ganze Jury bestand aus Leuten, die alles, was Flynn heißt, mehr als die Hölle hassten – nur, weil unser Vater ein Bandit war. Ich will versuchen, meinen Bruder daran zu hindern, dass er Amok läuft, wenn er aus dem Zuchthaustor kommt und die Cannegans davor warten sieht. Aber ...«

Der Sheriff trinkt sein Glas aus. »Jesse, es wäre gut für deinen Bruder, wenn du ihn schon vorher sprechen könntest. Bring ihn zur Vernunft. Sag ihm, er soll die Cannegans einfach nicht sehen, wenn er herauskommt. Und dann verschwindet still und bescheiden. Ich habe gehört, dass du dir oben in den Horse Mesas eine kleine Pferderanch aufgebaut hast. Gute Arbeit für einen so jungen Burschen. Du warst sechzehn, als sie Timber einsperrten. Well, bring ihn auf deine Ranch. Vielleicht kommt er dort zur Vernunft.«

Er wendet sich ab, schiebt das Glas gegen die Flasche, sodass es leise klirrt, und verlässt den Raum.

Jesse Flynn sieht in den Spiegel, der ihm gegenüber hinter der Theke hängt. Er sieht sich darin – ein großer Bursche mit breiten Schultern, die etwas knochig wirken. Er sieht sein schmales Gesicht, in dem die Backenknochen hervortreten und dessen Wangen etwas hohl sind. Es ist eine gesunde und sehnige Hagerkeit. Das Kinn ist fest und kantig. Die Nase wirkt etwas zu klein, und eine rote, ungebändigte, wilde Haarlocke fällt über seine Stirn bis zur Nasenwurzel.

Jesse Flynn ist genau einundzwanzig Jahre.

Während er in den Spiegel starrt und einen kleinen Schluck aus dem Glas trinkt, denkt er an die Worte des Sheriffs. Und er erkennt, dass der alte Bursche die Sache richtig betrachtet.

Aber Timber Flynn wird wie ein wilder Wolf sein, wenn er aus dem Zuchthaustor kommt.

Er wischt sich über das Gesicht und beendet somit seine Gedankengänge. Mit einer sparsamen Bewegung wirft er einen Dollar auf die Platte, geht auf die Pendeltür zu und erwidert die herausfordernden Blicke der Männer kühl und lässig.

Jesse erreicht die kleine Querstraße und bleibt an der Ecke einen Moment stehen. Er weiß, dass die Straße zum Hügel hinaufführt, auf dem das alte Fort steht, in dem jetzt das Zuchthaus ist.

Der hölzerne Gehsteig endet in dieser Ecke. Auf den Stufen, die abwärts auf die Gasse führen, sitzt ein kleiner Mann. Flynn sieht vorerst nur die schmalen Schultern und den großen Hut. Aber als er langsam weitergeht und die drei Stufen abwärts steigt, hebt der kleine Reiter sein Gesicht und schaut schräg zu Flynn aufwärts.

»He, Flynn, ich wette, dass sie dich nicht einlassen. Du wirst vor dem Tor auf ihn warten müssen. Und es wird kommen, wie es kommen soll – und wie es sich ein paar Leute wünschen. Du bist ein Dummkopf, Flynn, wenn du dich an Timbers Seite in Stücke schießen lässt. Aber auch das ist wohl schon seit vielen Jahren in einem großen Buch aufgeschrieben und muss so kommen.«

Der Kleine grinst seltsam, und seine wasserhellen Augen funkeln. Flynn studiert das unregelmäßige Gesicht des Mannes. Er kennt den Burschen nicht, hat ihn noch nie im Leben gesehen.

Der Cowboy – dafür hält ihn Flynn der Kleidung nach – scheint auch Gedankenleser zu sein.

»Nein, du kennst mich nicht, obwohl ich dich schon zwei- oder dreimal gesehen habe. Nur wenige Leute kennen mich. Ich bin zu unansehnlich, zu unbedeutend. Na, mein Vater hieß Soda – jawohl, Soda! Als ich geboren wurde, war er besoffen – aus diesem Grunde wurde ich wohl ›Whisky‹ getauft. Ich bin also Whisky Soda. Der Name macht mir jedoch keinen Kummer. Jesse Flynn möchte ich auf gar keinen Fall heißen.«

»Sonst noch etwas?«, fragt Jesse ruhig, doch im Hintergrund seiner rauchgrauen Augen beginnen gelbliche Funken zu tanzen.

»Nein, Bruder. Ich wollte dich nur mal sprechen hören und in deine Augen sehen können. Jetzt ist's geschehen. Sonst ist nichts!«

Die letzten Worte stößt Whisky Soda etwas zu scharf hervor. Dann senkt er das Gesicht. Die breite Krempe des Hutes verdeckt seinen Kopf.

Jesse Flynn geht weiter, biegt in die Gasse ein und folgt ihr. Die Gasse wird zu einem Weg, der zwei Windungen macht und auf dem Platz vor dem Zuchthaus endet.

Jesse erreicht das große Tor. Es ist geschlossen. Und auch die kleine Pforte daneben ist geschlossen. Er zieht am Klingelzug und hört leise das blecherne Scheppern jenseits der Mauer. Über ihm öffnet sich eine kleine Klappe. Der Torwächter zeigt sein zerschlagenes und narbiges Bulldoggengesicht.

»Was ist los?«, grollt die Bulldogge in menschlichen Tönen.

»Ich bin Jesse Flynn«, erwidert Jesse ruhig. »Mein Bruder Timber soll in knapp zwei Stunden entlassen werden. Wahrscheinlich weißt du, Freund, was er sich vorgenommen hat und was auf ihn wartet. Well, ich möchte ihn sprechen, bevor ihr ihn durch dieses Tor lasst. Es wird gut sein, wenn ich ihn vorher sprechen und zur Vernunft bringen kann.«

Die menschliche Bulldogge grinst und zeigt ihr gelbes Gebiss.

»Du hast Pech, mein Sohn. Keine Besuchszeit. Und zur Vernunft kannst du ihn ohnehin nicht bringen. Das haben wir hier fünf lange Jahre versucht. Warum, meinst du, hat dein lieber Bruder in diesem verdammten Kasten die volle Strafe absitzen müssen? He, aus welchem Grund haben sie ihm nicht wenigstens ein paar Monate erlassen – oder ihn nach den beiden Bewährungsjahren in 'ne andere Burg gebracht, wo es gewisse Erleichterungen gegeben hätte? He, warum nicht? Na, ich will es dir sagen, Jesse Flynn: Weil er allen Hass der Welt in sich trägt, weil er der wildeste, dickschädeligste, gefährlichste und bösartigste Insasse ist, den wir in den letzten zehn Jahren hier hatten. Also gibt es keine Vergünstigungen für Timber Flynn. Wenn er durch diese Pforte unter mir kommt, dann kannst du ihn haben und mit ihm sprechen. Das ist alles!«

Er grinst böse. Jesse erkennt, dass dieser Aufseher aus irgendwelchen Gründen nicht gut auf Timber zu sprechen ist.

»All right. Dann will ich wenigstens den Direktor sprechen.«

»Der ist erst am Nachmittag zwischen fünfzehn und sechzehn Uhr für Angehörige von Gefangenen zu sprechen. Und da musst du vorher eine Eingabe machen, und der Tag wird dir schriftlich angegeben, an dem du antanzen kannst. Meinst du denn, Sohn, dass unser Direktor für jeden hergelaufenen Cowpuncher so ohne ...«

»Dann will ich den Oberaufseher sprechen«, unterbricht Jesse ihn kurz. In seinen Augen ist jetzt ein gefährliches Funkeln. Er hasst den Aufseher plötzlich – und es ist der erste Mensch, den Jesse mit aller Inbrunst hasst.

»Du hast keine Chance, Boy«, grinst der Wächter. »Und ganz im Vertrauen – weil wir uns doch hier ohne Zeugen unterhalten – will ich dir etwas sagen: Dein Brüderchen Timber hat uns hier drinnen mächtig zu schaffen gemacht. Er hat uns geärgert, verstehst du? Wir haben nämlich auch unseren Ehrgeiz. Bisher konnten wir jeden harten Burschen klein kriegen, sodass er uns die Stiefel ableckte, wenn wir's haben wollten. Dein Bruder tat's nicht. Deshalb lieben wir ihn so. Und wir freuen uns alle mächtig darauf, wenn die Cannegans es ihm geben. Wir freuen uns alle, dass er zehn Sekunden später in die Hölle sausen wird, dieser verdammte Kerl!«

Die letzten Worte bellt der Wächter heiser hinaus, zieht den Kopf zurück und schließt die Klappe.

Jesse Flynn fühlt die böse Wut heiß in sich aufsteigen. Nun begreift er, warum der kleine Sheriff Bill Timrock auch nichts anderes tun kann als warten.

✰✰✰

Als Jesse das Ende der Gasse erreicht, sitzt der kleine Whisky Soda immer noch auf den Stufen des Gehsteiges. Er grinst wie ein Frosch, aber es ist kein spöttisches Grinsen – es ist ernst und irgendwie kameradschaftlich. Jesse spürt plötzlich, dass der kleine Reiter irgendwie sein Freund ist.

Er nickt dem Burschen zu und will an ihm vorbei und die Stufen hinauf.

»Wenn du jetzt zwei Pferde kaufen möchtest, geh nicht in den Mietstall, sondern zum Schmied. Der hat ein paar feine Gäule im Corral. Und ich wette, er wird sie dir billig abgeben.«

Diese Worte murmelt der Kleine.

»Geh weiter, geh weiter!«, zischt er, als Jesse sich umwenden will.

Und er geht weiter und erkennt, dass überall Leute auf den Gehsteigen stehen und ihn scharf beobachten. In der letzten halben Stunde sind noch mehr Menschen in den Ort gekommen. Vor den Lokalen gibt es für Pferde kaum noch einen Platz an den Haltestangen. Längs der Straße stehen einige Wagen.

Als einsamer Mann, von vielen Augen beobachtet, so geht Jesse die Mainstreet entlang. Er fühlt wieder, dass er hier keine Freunde hat.

Sein Vater war ein berüchtigter Bandit und Revolvermann. Jesse versucht sich daran zu erinnern, warum sein Vater die Cannegans so hasste. Und er erkennt ganz plötzlich, dass er es nicht weiß.

Langsam geht er die Main Street hinunter. In den Bergen auf seiner kleinen Pferderanch, da war er nicht so einsam wie hier in diesem überfüllten Ort.

Sie kommen alle, um Timber mit den Cannegans kämpfen zu sehen – und um zu sehen, ob ich mich auf die Seite meines Bruders stelle, denkt er. Aber ich werde jetzt zwei Pferde kaufen, mit ihnen vor das Zuchthaustor reiten und Timber zwingen, aufzusitzen und mit mir zu reiten.

Das ist sein Plan.

Jesse erreicht die Einfahrt zur Schmiede und geht auf das rote Feuer zu, das aus der Dunkelheit der halb offenen Werkstatt leuchtet.

Die Werkstatt eines Schmiedes, jedenfalls die Feuerstelle, darf nicht zu hell sein. Nur im Halbdunkel kann er das glühende Eisen, welches er mit Hammerschlägen formt, zieht und staucht, gut beobachten und erkennen, ob es noch die richtige Wärme hat.

Jesse wartet, bis der Schmied das Stück wieder ins Feuer geschoben hat und der Junge mit seinen langen Armen den Blasebalg zieht.

Der Schmied wischt sich mit seinem behaarten Unterarm über das geschwärzte Gesicht.

»Hallo, Jesse, ich kannte deinen Vater.«

»Dann werden Sie mir sicherlich keine Pferde verkaufen wollen, was?«

»He, warum sollte ich das nicht? Reden wir nicht darüber. Hinter dem Haus ist ein Corral. Sind gute Pferde drin. Das Stück zum Aussuchen fünfzig Dollar. Im Schuppen daneben liegen einige alte Sättel. Die kannst du für zehn Dollar haben. Junge, ich kann mir denken, wozu du die Pferde haben willst. Die ganze Stadt rechnet es sich aus. Well, vielleicht tue ich ein gutes Werk, wenn ich dir ein paar erstklassige Pferde verkaufe.«

»Erstklassige kosten mehr als fünfzig Dollar«, murmelt Jesse bedächtig und sieht ernst in das geschwärzte Gesicht des Schmiedes.

Es zeigt zwei weiße Zahnreihen.

»Ich bin der Verkäufer – und ich setze den Preis fest, Jesse. Nimm sie für fünfzig Dollar oder scher dich zum Teufel!«

Jesse geht zum Corral.

»Es sieht bald so aus«, murmelt er, »als hätte ich doch ein paar Freunde im Ort.«

Sechs Pferde bewegen sich im Corral, und jedes einzelne Tier ist Klasse. Keines wäre mit zweihundert Dollar zu hoch bezahlt. Jesse Flynn überlegt und kommt zu der Erkenntnis, dass der Schmied einen bestimmten und sehr wichtigen Grund haben muss, ihm die Tiere so billig zu geben.

»Ich werde sie mir also für fünfzig Dollar leihen«, murmelt er und nimmt das Lasso vom Corralpfosten. Er schüttelt es aus und taucht unter den Corralstangen durch.

Der Pinto und der weißbestrumpfte Fuchs gefallen ihm.

Er fängt sie sich heraus und sattelt sie.

Als er damit fertig ist, holt er eine billige Nickeluhr aus der Tasche. Es ist viertel nach elf. In fünfundvierzig Minuten wird Timber Flynn entlassen.

Der Schmied kommt um die Ecke.

»Ich hätte darauf gewettet, dass du dir diese beiden Böcke aussuchst«, sagt er ruhig.

»Hier sind einhundertsiebenundfünfzig Dollar«, erwidert Jesse leise und hält ihm das Geld hin.

»Ich bekomme hundertzwanzig, mein Junge, mehr nicht.«

Er nimmt nur diese Summe und lässt das andere Geld in Jesses Hand.

»Warum tust du das, Schmied?«

»Junge, es hat keinen Zweck, dass ich's dir erkläre – gar keinen! Nimm die Pferde und verschwinde. Viel Glück für dich! Ich mochte deinen Vater. Was wissen schon die Leute von ihm. Wenn du dort den Feldweg nimmst und um den halben Hügel herumreitest, so kommst du an einen anderen Weg, der dich von hinten ans Fort führt. Du brauchst dann nur an der Mauer entlang zu reiten und erreichst das Eingangstor.«

Er dreht sich um und stampft davon.

Jesse sitzt auf. Langsam reitet er durch die Felder davon, den Fuchs an der Leine mitziehend.

Eine halbe Stunde später reitet er um die Ecke der Zuchthausmauer und auf den freien Platz vor dem Eingangstor, durch das Timber Flynn in genau sieben Minuten kommen muss.

Der Platz vor dem Tor ist leer.

Aber ringsum stehen Menschen, und sie stehen so, dass sie nicht in der voraussichtlichen Schussrichtung sind. Die Fenster und Türen der Aufseherhäuser sind dicht mit Körpern und Köpfen gefüllt. In den dürftigen Gärten und dazwischen sind überall Menschen, die leise miteinander murmeln und die Köpfe zusammenstecken.

Als Jesse Flynn mit seinen Pferden um die Ecke kommt, wird das Gemurmel lauter.

Er fühlt eine heiße und wilde Wut über diese neugierige und sensationslüsterne Masse in sich aufsteigen.

Er fühlt sich einsam und allein.

Plötzlich sieht er zwei Männer aus einem der Häuser kommen. Er hat sie vor Jahren schon einmal gesehen und erkennt sie sofort wieder.

Sie sind so groß wie er, Jesse, aber etwas schwerer. Sie wirken beide wie zwei riesenhafte Indianer, wild, hart, geschmeidig und stolz. Es sind Zwillinge. Ihr dunkles Haar rollt sich auf ihren Hemdkragen. Ihre dunklen Gesichter sind hager und glatt rasiert.

Sie tragen Maßstiefel, weiche Lederhosen, grüne Stetsons mit flachen Kronen. Sie sind sich vollkommen ähnlich – so wie zwei schwarze Panther. Aber einer hat eine Narbe am Kinn, und das ist Sloan Cannegan. Sie kommen geradewegs auf ihn zu und halten drei Schritte vor ihm an.

»Du bist ein richtiger Mann geworden, Jesse«, beginnt Sloan schleppend.

»Yeah, damit du es auch von uns hörst, Jesse: Wir sind hier, damit deine Bruderliebe nicht nach uns suchen muss. Was hast du vor, Jesse?«, fragt Roger.

»Ich hoffe, dass ich mit Timber in Frieden davonreiten kann«, murmelt Jesse ruhig.

»Wir wetten mit dir, dass er dich gar nicht ansehen, sondern sofort auf uns schießen wird«, sagt Sloan heiser und leckt sich über die schmalen Lippen.

»Und was hast du dann vor, Jesse?«, fragt Roger wieder, und in seinen Augen leuchtet es gierig.

»Er wird mich sehen und wird mich anhören«, erwidert Jesse starrköpfig. Aber seine Rechte spielt unbewusst mit dem Coltkolben. Und als ob er sich erst jetzt darüber klar würde, fügt er hinzu: »Wenn ihr zu zweit gegen ihn kämpft, schicke ich euch zur Hölle.«

»Keine Angst, Jesse, er soll jede Chance haben – jede«, grinst Sloan.

Roger sieht Jesse eine Weile an.

»So groß bist du nicht, Junge – noch längst nicht, obwohl du wie dein Vater aussiehst und auch seinen Colt trägst. Du magst für dein Alter ganz tüchtig sein, aber so groß bist du noch nicht. Vielleicht, wenn wir mit deinem Bruder fertig sind, vielleicht bekomme ich dann Lust, die ganze Flynn-Sippe vom Erdboden zu vertilgen. Dein Bruder ist ein Narr. Die Dummheit scheint in eurer Sippe verbreitet zu sein!«

Er dreht Jesse jäh den Rücken zu und geht davon. Sein Bruder folgt ihm sofort. Sie gehen dreißig Schritte weit, dann wenden sie sich wieder um und bleiben genau vor dem Tor stehen.

In zwei oder drei Minuten muss Black Timber Flynn durch dieses Tor kommen. Er wird die beiden Brüder sofort entdecken.

Jesse sieht sich um. Seine scharfen Augen suchen das Geviert ab, suchen unter den neugierigen Zuschauern.

Dann sieht er den schmächtigen Sheriff Bill Timrock. Er kommt durch die Menge und über den freien Platz. In dieser Minute erscheint der Sheriff noch schmaler. Fast scheint es, als wären die beiden Colts zu schwer für ihn. Die gelblichen Elfenbeingriffe sind etwas nach außen gerichtet.

Er geht hinter den Cannegans vorbei und stellt sich seitwärts hinter ihnen und Jesse Flynn gegenüber auf. So kann er sie alle im Auge behalten. Er sieht sich schnell und scharfäugig um.

»Jungs«, sagt er kurz, »ich bin das Gesetz und verbiete euch, nach der Waffe zu greifen. Ich kann euch nicht verbieten, hier zu stehen. Aber, bei Gott, ich werde die Hand, die zuerst nach der Waffe schnappt, mit einer Kugel zerschmettern. Und dann werde ich diesen Kerl einsperren. Wer zuerst den Colt anfasst, steht gegen das Gesetz!«

Das sind die Worte Bill Timrocks. Damit gibt er zugleich seine Absicht bekannt. Er will schneller sein als der Mann, der zuerst zieht.

Der Torwächter öffnet seinen Fensterladen. Auch Jesse Flynn hebt den Kopf.

»Passt auf!«, ruft das Bulldoggengesicht. »Er kommt jetzt als freier Mann heraus!«

Im selben Moment öffnet sich das Tor.

Black Timber Flynn wird sichtbar.

Jesse hat seinen Bruder fünf Jahre nicht gesehen. Als er ihn jetzt so plötzlich zu Gesicht bekommt, erschrickt er. In derselben Zehntelsekunde begreift er auch, warum sie ihn in diesem Zuchthaus nicht brechen konnten.

Es ist, als hätte Timber Flynn den Hass der ganzen Welt in sich aufgespeichert. Nur der unbeschreibliche Hass hat Timber die Jahre aufrecht gehalten und diese lange Zeit überstehen lassen. Nur auf diesen Tag hat er gewartet.

Klein, gedrungen, ein Muskelbündel, mit seinem schwarzen Vollbart, auf den Fußballen gleitend, vornübergebeugt und mit pendelnden Armen, deren Hände griffbereit geöffnet sind und über den Colts hängen, so kommt er aus der Hölle des Zuchthauses.

Seine dunklen Augen glänzen.

Jesse hat noch nie in seinem Leben Augen so glänzen sehen.

Plötzlich fällt ihm ein, dass er ja etwas unternehmen muss, und stürzt vor.

»Timber! Timber! Sei kein Narr, hör auf mich!«

Er stellt sich vor ihm auf, versperrt ihm den Weg und umfasst seine Oberarme. Er schüttelt ihn, als könnte er dadurch die Gedanken des Bruders in andere Bahnen lenken.

Timber Flynn hebt sein bärtiges Gesicht. Es ist das kantige Gesicht eines grimmigen Nussknackers. Der viereckig gestutzte Vollbart verstärkt diesen Eindruck noch. Und dann lacht er wild und reißt sich mit einem Ruck los.

Er sagt kein Wort, knurrt nur wie ein wilder Wolf, reißt sich los und gibt dem jüngeren Bruder einen jähen Stoß, der Jesse seitwärts taumeln und schmerzhaft gegen den Haltebalken neben dem Tor prallen lässt.

Dabei sieht er Jesse gar nicht an, sondern hält seinen wilden Blick fest auf die Cannegan-Brüder gerichtet.

»Ihr räudigen Schurken! Jetzt bezahlt ihr mir!«

Timbers heisere Stimme überschlägt sich.

Dabei duckt er sich noch tiefer. Seine Hände fahren an die Coltkolben. Die schweren Waffen scheinen ihm wie durch Zauberei in die Hände zu springen. Es ist mit dem Auge kaum zu erkennen, wie schnell er die Waffen hochreißt.

Es ist unwahrscheinlich! Wie kann ein Mann, der fünf Jahre im Zuchthaus saß, so schnell seine Colts ziehen und in Anschlag bringen?

Der Sheriff ist um einen winzigen Sekundenbruchteil schneller. Timber Flynn drückt im selben Moment seinen linken Colt ab, als die Kugel des Sheriffs in seinen Arm schlägt. Er taumelt nicht einmal. Nur sein Arm fällt herunter, und da er immer noch mit dem Daumen den Hammer betätigt, schießt er mit dem linken Colt die beiden nächsten Kugeln in den Sand.

Und mit dem rechten Colt schießt er auf die beiden Cannegans, die sich bisher noch gar nicht bewegt haben, sondern nur grinsend auf dem Fleck standen, als bestünde gar keine Gefahr für sie.

Schießend taumelt Timber Flynn vorwärts. Als die zweite Kugel des Sheriffs in seinen Körper schlägt, taumelt er und stößt einen ärgerlichen Fluch aus. Dabei schießt er aus seinem rechten Colt immer noch auf die Cannegans.

Diese sind scheinbar unverletzlich.

Die Cannegans stehen immer noch. Aber sie ziehen jetzt ganz gemächlich ihre Waffen. Und die dritte Kugel des Sheriffs schlägt in Timbers Bein, bringt ihn zu Fall.

Er fällt auf den Bauch – und liegt am Boden – und schießt seinen Colt leer.

Dann treffen ihn die Kugeln der Cannegans.

»Fahr zur Hölle, Timber Flynn!«, rufen Roger und Sloan Cannegan und feuern ihre Colts ab.

Der kleine, muskulöse Körper Timber Flynns zuckt unter den Einschlägen sichtbar zusammen. Der Sheriff läuft auf ihn zu und brüllt dabei den Cannegans zu, dass sie aufhören sollen und dass sie verhaftet wären.

Dies alles ging innerhalb weniger Sekunden vonstatten.

Jesse Flynn sah dies alles, während er versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Der harte Stoß des vor Hass verrückten Bruders hatte ihn sehr schmerzhaft gegen den Haltebalken geworfen. Eine Sekunde ist Jesses Rücken wie gelähmt. Er stößt einen heiseren Schrei aus, in dem alle Not liegt.

Dann taumelt er vorwärts. Der Bruder wälzt sich vor ihm am Boden auf die Seite und dreht dem herbeilaufenden Sheriff den Rücken zu, auf dem schon das Blut sichtbar wird.

Die beiden Cannegans stehen mit gesenkten Waffen auf ihren Plätzen und warten ab.

Jesse Flynn taumelt auf den Bruder zu.

Und dieser hebt sein verzerrtes Gesicht.

»Halt dich raus!«, ruft Timber Flynn stöhnend. Sein Blick ist voller Not und Qual. In der letzten Sekunde kommt ihm die Erkenntnis, dass Jesse die Sache nun in seine Hände nehmen wird. Und er stirbt mit dem Bewusstsein, dass der Bruder nun bald einsam im Sattel und ohne Glück und Hoffnung ist.

Denn Timber weiß gewisse Dinge, die sein jüngerer Bruder nicht wissen kann.

Er stirbt den schweren Tod eines Mannes, der in letzter Sekunde erkennt, dass er vieles falsch gemacht hat und es nie mehr ändern kann.

Jesse Flynn wird plötzlich von eisiger Wut gepackt.

Geduckt wirbelt er herum.

Sein Colt liegt in seiner Hand und spuckt Feuer.

Roger Cannegan wird halb herumgerissen und torkelt noch ein paar Schritte zur Seite, bevor er aufs Gesicht fällt. Indessen schießt Sloan Cannegan, aber er tut es zu hastig. Die Kugel streift Jesse nur an der Schulter. Der selbst trifft Sloan in die Brust.

Dann springt Sheriff Bill Timrock Jesse von der Seite an. Der kleine, schmächtige Mann ist plötzlich wie eine Wildkatze. Er schlägt Jesse den Colt auf den Kopf und schlägt noch einmal zu, als Jesse vom ersten Schlag nur taumelt und nicht gleich zu Boden geht.

Nacht wird es vor seinen Augen.

Er weiß nichts mehr.

Der Kampf ist aus.

✰✰✰

Bill Timrock hat hart zugeschlagen – Jesse Flynn spürt es, als er erwacht. Er hebt mühsam seine Arme und betastet mit zitternden Fingern seinen Kopf.

Er ist verbunden.

Heiser stöhnt er und ist froh, seine Stimme zu hören.

Neben ihm sagt jemand: »Du Narr! Du konntest deinen Bruder nicht mehr lebendig machen. Warum musstest du auf die beiden Kerle schießen? Nun hast du keine Chance mehr, heil aus der Sache herauszukommen. Du wirst wegen dieser Schießerei vor eine Jury treten müssen. Wahrscheinlich wirst du in dasselbe Zuchthaus kommen, in dem auch dein Bruder war.«

Es ist die Stimme des Sheriffs. Sie klingt bitter. Die Worte sind wie Hammerschläge. Und dennoch ist ein bedauernder Klang in dieser Stimme.

»Die Aufseher des Zuchthauses gehören vor ein Gericht«, stöhnt Jesse. »Timber war nicht mehr normal! Er war verrückt vor Hass! Warum haben sie ihm da drinnen seine Colts gegeben? Das war genau so, als wenn sie einen Mondsüchtigen auf ein steiles Dach geschickt hätten, von dem er mit Sicherheit abstürzen musste! Diese Schufte!«

Heiser stöhnt es Jesse hervor. Die Anstrengung verdoppelt seine Schmerzen. Er wird wieder bewusstlos. Der Sheriff verlässt langsam die Zelle und wirkt noch schwächlicher als zuvor. Er schließt ab und hängt den Schlüssel ans Brett.

»Lass keinen zu ihm, Pat«, knurrt er zum Deputy Sheriff und verlässt das Office.

Ohne sich aufzuhalten, geht er zum Doktorhaus hinüber und lässt sich berichten.

»Roger Cannegan ist tot, Bill. Ob Sloan durchkommt, weiß ich nicht. Timber Flynn ist ebenfalls tot. Aber ich kenne das Kaliber deiner Colts, Bill. An deinen Kugeln ist er nicht gestorben.«

»Ich wollte ihn vom Schießen abhalten«, murmelt Timrock düster. »Ich wollte ihn nicht töten. Dabei konnte ich nicht verhindern, dass er mit der Rechten weiter auf die Cannegans schoss. Und sie schossen zurück. War ihr gutes Recht. Die Frage ist nur, warum er sie nicht getroffen hat. Er hat seinen rechten Colt leer geschossen und hat nicht ein einziges Mal getroffen.«

»Vielleicht war das Pulver in seinen Patronen nicht mehr gut, Bill. Sein Waffengurt hing schließlich fünf Jahre in der Kammer des Zuchthauses.«

Der Doktor murmelt es ernst. Die Augen hinter seiner Brille funkeln seltsam.

»Hölle«, sagt Bill Timrock leise. »Er hat auf sie geschossen, und sie haben ihn angegrinst und ganz gemächlich ihre Kanonen gezogen. Wenn da nicht ...«

Er macht auf dem Absatz kehrt und geht davon.

Im Office nimmt er sich Timber Flynns Waffengürtel aus dem Regal. Den rechten Colt betrachtet er nur kurz und legt ihn zur Seite. Im linken Colt sind noch drei Patronen. Er nimmt sie heraus, setzt sich mit ihnen an den Schreibtisch und löst fachkundig mit der Messerspitze das Blei aus der gelben Messinghülse. Dann schüttet er das Pulver auf ein Stück Papier und nimmt eine seiner eigenen Patronen, die das gleiche Kaliber haben. Er wiederholt die Sache. Als er nun das Pulver neben das erste Häufchen schüttet, sieht er den Unterschied.

»Oha, Pulver wird im Laufe der Zeit nicht weniger! Jemand hat die Pulverfüllung seiner Munition verringert. Er konnte zwar schießen, und die Kugeln kamen auch aus dem Lauf – aber er hätte ebenso gut auch mit kleinen Steinchen auf die Brüder werfen können. Timber Flynn konnte gar nicht treffen! Mit dieser Munition nicht!«

Er denkt lange nach.

»Old Chance Cannegan ist groß – und reich«, murmelt er dann langsam. »Der alte Jesse Flynn und er waren Feinde. Gewisse Leute behaupten heute noch, dass der alte Flynn nur wegen Chance Cannegan Bandit geworden ist. Aber was hat das alles mit Timber Flynn zu tun? Wollte sich Chance Cannegan an den Söhnen Old Jesses rächen?«

Er versinkt wieder in tiefes Nachdenken. Endlich erhebt er sich und holt die Akten seines Vorgängers hervor.

✰✰✰

Als es Abend wird, fühlt sich Jesse Flynn besser. Sein Kopf schmerzt natürlich noch etwas, aber erträglich für einen harten Mann, der eine Menge anderen Kummer hat.

Der Deputy Sheriff reicht ihm das Abendbrot in die Zelle und grinst ihn dabei etwas mitleidig an. Dann geht er selbst zum Essen.

Jesse Flynn und der Sheriff sind allein.

»Morgen tritt die Jury zusammen, Jesse.«

»Ihr habt es eilig, was?«

»Ich nicht, mein Junge, ich nicht. Willst du einen bestimmten Anwalt?«

»Ich kann keinen bezahlen.«

»Was wird aus deiner kleinen Ranch?«

»Sie geht zum Teufel, Timrock, was sonst?«

»Verkaufe sie, dann hast du Geld für einen guten Anwalt.«

»Chance Cannegan wird einen besseren schicken, der die Sache seiner Söhne vertritt. Man sagt im Land, dass der alte Pirat Chance heißt, weil kein Mensch gegen ihn eine Chance hat.«

»Yeah, das stimmt wohl, Jesse. Dein Vater hatte auch keine Chance gegen ihn.«

»Was weißt du über meinen Vater, Timrock? Ich war damals noch zu jung. Und später sprachen die Leute nicht mit mir über diese Dinge. Warum fügte er Chance Cannegan so viel Schaden zu, und warum setzte Chance eine so hohe Belohnung auf seinen Kopf aus?«

»Ich hole dir mal erst was zu rauchen. Dann will ich sagen, was ich aus den alten Akten weiß.«

Der Sheriff ist aufgestanden und bis an die zweite Tür getreten. Er wendet sich in dem Mauerviereck noch einmal halb. Dieser Durchgang führt in die hinteren Räume, in denen der Sheriff seine Küche und das Schlafzimmer hat.

Als sich Bill Timrock umwendet, um noch einen Blick auf Jesse zu werfen, taucht eine dunkle Gestalt hinter ihm im Gang auf. Jesses Bewegung ist schnell und warnend. Der Sheriff begreift sofort, noch bevor er Jesses Schrei hört.

Aber es ist zu spät.

Er fühlt einen höllisch stechenden und brennenden Schmerz im Rücken, taumelt in den Zellenraum hinein und bricht zusammen. Ein maskierter Mann springt ihm nach, wuchtet auf ihn nieder und sticht noch einmal mit dem Dolch zu.

Noch zwei Kerle tauchen auf. Sie sind ebenfalls maskiert. Wie schleichende Wölfe gleiten sie herein. Ihre Colts richten sie auf Jesse.

»Keinen Laut, mein Junge! Wir sind nicht gegen dich!«

Bleich, vor Erregung zitternd, so steht Jesse Flynn hinter der Gittertür und krampft seine Fäuste um die Stäbe.

»Ich pfeife auf euch, ihr Schufte! Warum habt ihr den Sheriff niedergestochen? Aaah, er war ein guter Mann. Geht zur Hölle!«

Gepresst und stöhnend keucht er es heraus. Zugleich beginnen seine Gedanken zu arbeiten. Er wundert sich, wie rasch und schnell sie arbeiten und mit welch wunderbarer Klarheit er die Dinge im Hintergrund ahnt.

Zugleich sagt ihm der Selbsterhaltungstrieb, dass er sich fügen muss.

Einer der Maskierten bringt den Zellenschlüssel. Die Gittertür öffnet sich. Es ist still. Der Sheriff rührt sich nicht.

»Komm, mein Junge! Oder willst du dich hängen lassen?«

Die Stimme klingt spöttisch.

Jesse Flynn fühlt sich wieder sehr einsam – ganz einsam und allein. Da liegt der Sheriff und rührt sich nicht mehr. Jesse ist der einzige Gefangene im Haus. Wenn man den Sheriff findet, wird man seinen Tod mit den Leuten in Verbindung bringen, die Jesse befreit haben.

Und Jesse ist davon überzeugt, dass die Kerle ihn auch mit Gewalt befreien und aus dem Haus schleppen würden.

»Ja, ich komme mit«, keucht er heiser und verlässt die Zelle. Sie nehmen ihn in ihre Mitte und treten in den Gang. Durch das Schlafzimmerfenster des Sheriffs klettern sie in den Hof.

Hinter dem Garten bewegen sich ein paar Pferde im Schutz der Bäume.

»Hier in diesen Sattel, Jesse Flynn«, zischt eine Stimme. Er sitzt schweigend auf. Sie nehmen ihn in ihre Mitte und reiten an.

Es ist dunkel. Nur selten dringt das Mondlicht auf den Boden. Sattelzeug knarrt und scheuert. Die Pferde schnaufen manchmal. Ihre Hufe klingen dumpf auf dem weichen Boden.

Sie reiten in eine tiefe Senke hinunter und verhalten vor einigen Felsen, die fast wie ein kleines Dorf anmuten.

Aber aus diesem gigantischen Trümmerfeld werden sie kurz und scharf angerufen: »He, seid ihr's?«

»All right! Komm heraus, Joe!«, ruft der Anführer des Rudels. Ein Reiter kommt herausgeritten. Er führt ein lediges Pferd neben sich her. Jesse Flynn erkennt im Mondlicht, dass es sich um ein Sattelpferd handelt.

Und erkennt noch mehr!

Das ledige Sattelpferd lahmt auf der linken Hinterhand.

Das ist es! Das ist es, worauf es ankommt, denkt er bitter. Oh, diese Schufte!

Er macht eine rasche Bewegung. Es sieht so aus, als wollte er sein Tier herumreißen und die Flucht ergreifen. Die anderen drängen ihre Tiere dichter an ihn heran, keilen ihn ein und geben ihm nicht die geringste Chance. Er erkennt auch, dass alles zwecklos wäre.

»Nur ruhig, Freundchen«, murmelt eine Stimme.

Er sitzt jetzt still im Sattel und legt seine harten Hände auf das Sattelhorn.

»Steig ab, Jesse Flynn«, ertönt jetzt die scharfe Stimme des Anführers. Jesse weiß genau, dass er die Stimme nicht vergessen wird. Die Kerle mögen gut maskiert sein. Aber diese Stimme wird er erkennen – immer.

Langsam rutscht er aus dem Sattel.

»Du bist frei, Jesse Flynn. Wir haben dich aus dem Kasten geholt. Sheriff Timrock wird einen Nachfolger bekommen. Das Aufgebot sitzt gewiss schon auf deiner Fährte, Jesse Flynn. Na, mach daraus, was zu machen ist! Viel Glück!«

Die Stimme des Anführers klingt voller Spott. Dann gibt er ein kurzes Kommando. Die vier Reiter entfernen sich in vier verschiedenen Richtungen. Sie nehmen auch das Pferd mit, auf dem Jesse bisher ritt. Nur der Gaul bleibt zurück, der, wie Jesse erkannt hat, auf der Hinterhand lahmt.

Die gedämpften Hufschläge verklingen. Er ist mit dem lahmen Pferd allein.

Langsam geht er auf das kranke Tier zu. Es bewegt sich nicht, schnaubt nur leise und hoffnungsvoll. Man hört am Schnauben, dass sich das Tier von dem Menschen Hilfe erhofft.

Es ist ein Schwarzfalbe, ein knochiges und sicherlich ziemlich bejahrtes Tier. Jesse betastet vorsichtig die lahmende Hinterhand. Dann reißt er ein Zündholz an und hebt den Huf. Das Tier gehorcht willig.

»Das dachte ich mir«, murmelt er bitter. »Sie haben es absichtlich falsch beschlagen. Der eine Nagel hier sitzt falsch. Das Tier muss lahmen, weil der verdammte Nagel absichtlich falsch eingeschlagen wurde.«

Das Zündholz verbrennt seine Fingerspitzen. Er lässt den kleinen Rest fallen und stellt auch den Pferdehuf behutsam auf den Boden.

Er lauscht und hört nur die vertrauten Geräusche, die jede Nacht in dieser Wildnis hat. Am Himmel funkeln ein paar Sterne. Der Mond leuchtet.

»Partner«, sagt Jesse zu dem Pferd, »sie haben mich reingelegt. Und zu dir waren sie so gemein, wie es ein Mensch zu einem Tier nur sein kann. Meinetwegen haben sie dich zum Krüppel gemacht. Sie haben den Sheriff getötet und mich aus dem Gefängnis geholt. Ich bin frei – aber jetzt werde ich als Mörder gehetzt. Partner, die wollten den Sheriff umbringen und brauchten dazu einen Mörder. Jetzt ist Bill Timrock tot, und mir hängt man die Sache an. Jemand will, dass ich durch alle Höllen reiten muss. Jemand gab sich nicht damit zufrieden, dass ich im Gefängnis saß und vor eine Jury kommen sollte. Jemand wollte auch den Sheriff erledigen.«

Jesses bittere Worte verklingen in der Stille der Nacht. Es ist jedoch keine wirkliche Stille, denn in der Ferne heult der wilde Chor der Coyoten. Irgendwo klagt ein Nachtvogel. Und von dem nahen Hügel her heult ein Wolf.

Was kann ich tun?, fragt er sich. Und wer ist der Mann im Hintergrund? Oha, wenigstens diese Frage kann ich beantworten. Es kann nur Chance Cannegan sein. Wer sonst hätte Interesse daran, dass es Old Jesse Flynns Söhnen dreckig geht? Es wäre vielleicht gut, wenn ich mich mit Chance Cannegan unter vier Augen über diese Sache unterhalte. Vielleicht finde ich dann einen Grund, ihn ohne Gewissensbisse zu meinem Vater in die Hölle schicken zu können – und zu Timber, meinem Bruder. Yeah, vielleicht verrät mir der alte Pirat, warum ich so in Not gebracht wurde.

Obwohl er nicht die Absicht hat, das hufkranke Tier zu reiten, untersucht und prüft er das Sattelzeug.

Es ist gut.

Und eine weitere Überraschung wartet auf ihn.

Im Sattelschuh steckt ein Winchestergewehr. Auch Munition ist in den Satteltaschen.

Jesse überlegt wieder. Dann nimmt er das Gewehr, überzeugt sich, dass es geladen ist, und drückt ab.

Der Schuss löst sich nicht. Wahrscheinlich haben sie vorher die Spitze des Schlagbolzens abgebrochen.

He, es soll alles echt aussehen, denkt er. Ich bin ein vom Pech verfolgter Ausbrecher. Ein lahmes Pferd – und ein unbrauchbares Gewehr!

Er wirft die Waffe weit in die Felsen hinein, hört sie irgendwo aufschlagen und freut sich, dass er sie vorher ausprobiert hat. Wenn sie ihn nun stellen, so können sie nicht behaupten, dass er sie bedroht hat. Sein alter Colt, die Waffe seines Vaters, befindet sich immer noch im Sheriff's Office.

Ein paar Sekunden denkt er daran, dem Aufgebot entgegenzureiten und den Versuch zu machen, die Sache zu erklären. Aber sofort wird es ihm klar, dass seine Verfolger gewiss von einem Mann geführt werden, der auf Chance Cannegans geheimer Lohnliste steht.

Er nimmt das lahme Pferd am Zügel und führt es zwischen den Felsen hindurch. Hinter den Felsriesen findet er einen Pfad, der zu einem sanft geschwungenen Bergsattel ansteigt.

Jesse Flynn hat ein bestimmtes Ziel. Er will die große Ranch der Cannegans erreichen.

Aber die CC Ranch ist weit. Zu Fuß wird er drei Tage brauchen. Das Land ist riesengroß, wild und unübersichtlich. Aber er will Chance Cannegan unter vier Augen sprechen. Er hat es sich in den Kopf gesetzt.

✰✰✰

Als von Osten her das Licht kommt und die Nacht nach Westen jagt, rastet er auf einem Hügelkamm. Er hat gute Sicht nach Süden und Westen. Nur von dort können seine Verfolger auftauchen. Im Westen dehnt sich die Prärie aus. Busch- und Bauminseln unterbrechen die wellige Weite, und weit hinten steht der Wald wie eine dunkle Mauer. Hinter dem Wald, schon etwas südlicher, da liegt Last Sun.

Der Schwarzfalbe steht auf drei Beinen und knabbert an einigen Zweigen. Manchmal wendet er seinen klugen Kopf und studiert seinen neuen Herrn.

Er erhebt sich und fühlt auch schon den Schmerz in den Muskeln seiner Beine. Von Kind auf ist er ein Reiter und lange Fußmärsche nicht gewöhnt – schon gar nicht mit den hochhackigen Reitstiefeln. Hätte er ein Messer bei sich, so könnte er die hohen Absätze verkürzen.

Die Sonne kommt über die Berge. Ihre Strahlen erhellen das Land und vertreiben die Morgennebel. Jesse Flynn späht noch einmal in die Runde. Und da sieht er weit im Südwesten seine Verfolger über eine Bodenwelle kommen.

Oha, denkt er, es sieht so aus, als wäre ganz Last Sun in die Sättel geklettert. Well, das ist kein Wunder, denn Bill Timrock war sehr beliebt.

Er späht über das wellige Land. Das Aufgebot taucht Reiter für Reiter wieder in eine Bodensenke ein. Jesse Flynn hat scharfe Augen.

»Es sind mindestens fünf Dutzend Reiter«, murmelt er.

Ruhig wendet er sich zum Pferd und sitzt auf. Er lehnt sich weit vor, sodass er mehr die gesunde Vorhand des Tieres belastet, und reitet den Hang hinunter.

Wenn ihn das Aufgebot sichtet, wird es nur eine kurze Jagd geben. Er braucht ein gutes Pferd.

Aber wenn ein Mann in Not ist, gehen seine Wünsche selten in Erfüllung. Wunder geschehen kaum. Und auch dann sind es keine Wunder. Dann stand es schon vorher in dem großen Buch aufgeschrieben.

Was steht wohl auf der Seite des Buches, die Jesse Flynns Namen trägt?

Er reitet den langen Hang hinunter und taucht in den Wald ein. Lange Zeit muss er im Wasser eines seichten Baches reiten. Er tut es aus zwei Gründen gern: Er hofft, damit seine Spur zu verbergen, und stellt sich vor, dass das Wasser für den kranken Huf seines Pferdes gut ist.

Er lenkt das Tier auf das linke Ufer und hält auf eine Lücke zwischen den Hügeln zu. Er schneidet dadurch den Bogen des Creeks ab. Als er die Hügelkette erreicht, hält er an. Von rechts kommt der Creek herbei. Irgendwo rauscht er von der Felswand herunter.

Inmitten einer lichten Baumgruppe gleitet Jesse aus dem Sattel. Nun denkt er endlich daran, sich und dem Pferd einen Trunk zu gönnen.

Das Tier benimmt sich plötzlich sehr nervös und erregt. Es wirft den Kopf hoch, wittert in eine bestimmte Richtung und stößt ein warnendes Schnauben aus.

Jesse duckt sich und erstarrt ebenfalls.

»Ruhig, Partner, ruhig«, flüstert er. Das Tier scheint zu begreifen und benimmt sich wieder vernünftig. Es gibt sich damit zufrieden, dass es den Reiter gewarnt hat und vertraut nun darauf, dass er für beide sorgt.

Im selben Moment hört Jesse auch schon das Knurren. Es ist ein wildes und böses Knurren..

»Heiliger Rauch! Da ist ein Wolf!«

Schnell bückt er sich und ergreift einen armdicken Ast.

Quatsch!, denkt er dabei. Um diese Jahreszeit haben es Wölfe gar nicht nötig, ihr Glück bei Menschen zu versuchen. Der greift mich bestimmt nicht an. Aber warum knurrt er so?

Er gleitet wie ein Schatten zwischen die Bäume, bereit, in Sekundenschnelle mit dem Knüppel zuzuschlagen.

Dann sieht er das Tier.

Es ist ein großer, graugelber Bursche. Bestimmt wiegt er mehr als hundert Pfund. Ein Rüde. Sein Fang ist halb geöffnet, und die Zunge schlappt heraus. Die grüngelben Augen leuchten aus dem Schatten des Unterholzes. Geduckt kauert er auf den Läufen. Seine Rute wischt über das trockene Laub. Sonst bewegt er sich nicht, starrt nur den Menschen an, knurrt und liegt still.

Dann, als Jesse einen gleitenden Schritt macht, springt das Tier steil in die Höhe und heult einen wilden, bösen und zugleich drohenden Ton heraus. Der Wolf wird dabei zu einem Teufel. Er gerät in eine blinde und wahnsinnige Raserei.

Jesse lässt den Knüppel sinken.

Der wilde und vor Wut verrückte Bursche kann ihm gar nicht gefährlich werden.

Sein Hinterlauf steckt in einer Falle.

Jesse sieht die Falle. Es ist ein verrostetes Ding. Mit einer rostigen Kette ist es irgendwo an den Baumwurzeln verankert. Sicherlich liegt es schon Monate hier im tiefen Laub. Bestimmt war gar kein Köder daran. Vielleicht hat der Wolf in der Nacht irgendein Wild gejagt und war auf die gefährliche Stelle gesprungen, bevor er durch den Modergeruch des Laubes das rostige Eisen wittern konnte.

Nachdenklich beobachtet Jesse das wilde Tier und wischt sich erleichtert über das Gesicht. Plötzlich fällt ihm etwas auf.

Das Tier jault und bellt manchmal fast wie ein großer Hund. Wölfe können gar nicht bellen.

»Nanu?«, murmelt Jesse. »Du siehst wie ein großer Bergwolf aus – und du bist vielleicht auch ein halber. Aber zur anderen Hälfte hast du Hundeblut in den Adern. Ja, jetzt sehe ich es noch besser. Dein Schädel ist nicht so breit wie der eines Wolfes – und dein Fang ist nicht so spitz. Oha, die Pfoten sind nicht so groß. Ich möchte fast wetten, Fellow, dass deine Mutter eine Hündin war. Hm, in der Falle sitzt du – ich denke, dass es mir bald nicht besser ergehen wird. Ich werde auch bald in der Falle sitzen. Und ich bin ein verdammter Narr, dass ich mich hier noch aufhalten lasse.«

Indessen Jesse sprach, wurde seine Stimme immer sanfter. Er warf auch den Knüppel weg und näherte sich dem blindwütigen Tier fast bis in Reichweite seines mörderischen Fanges. Einmal schnappten die Kiefer dicht an seinem Knie zusammen.

»Hör mal, Amigo«, sagte Jesse ruhig, und in seiner Stimme liegt ein freundlich zwingender Ton. »Wenn deine Mammi eine Hündin war, bist du bei Menschen aufgewachsen. He, nur ruhig, nur ruhig! Ich habe ja nur noch eine winzige Minute Zeit. Dann muss ich verdammt schnell an mich selbst denken und kann gar nichts für dich tun. Nun, willst du friedlich sein?«

Es sind nicht die Worte – es ist der warme Klang in Jesses Stimme. Das Tier ist plötzlich ruhig. Sicherlich hat es große Schmerzen. Es ist ohnehin ein Wunder, dass der stählerne Bügel der Falle nicht beim Zuschnappen den Hinterlauf gebrochen hat. Wenn Jesse wirklich das Tier befreien kann, so wird es viele Wochen auf drei Läufen herumhinken müssen.

Sie sehen sich beide an, der Wolf und der Mensch. Sie sehen sich an und scheinen dabei ein stummes Zwiegespräch zu halten. Vielleicht besitzt das Tier neben seiner Klugheit einen wunderbaren Instinkt.

Als Jesse die Hand ausstreckt, schnappt das Tier blitzschnell zu und nimmt Jesses Handgelenk in seinen Fang.

Jesse zuckt nicht einmal zusammen, obwohl er ganz genau weiß, dass ihm der gefährliche Bursche glatt das Handgelenk brechen kann.

Er murmelt nur mit sanfter Stimme: »Was soll das, Kamerad? Ich habe ja gar keine Angst vor dir. Ich weiß doch, dass du dir darüber klar geworden bist, dass ich es bestimmt nicht schlecht mit dir meine. Lass schon los, Amigo! Ich werde beide Hände brauchen, um den Bügel der Falle zu öffnen. Na, Bruder, lass los.«

Ganz sanft murmelt er es, indessen der Wolf sein Handgelenk im Fang hält.

Sie sehen sich noch einmal in die Augen. Langsam öffnet sich der gefährliche Fang, dessen blitzschneller Biss wie ein Schwerthieb wirken würde.

»Du bist der klügste Bursche, den ich kenne – ja, du hast eine ganze Menge Verstand im Schädel. Ich wünschte, ich würde auch meine Chance erkennen, wenn sie vor mir steht und ich sie sehen kann. Well, du vertraust mir jetzt wohl, was?«

Jesse muss ziemlich viel Kraft aufwenden, um die Falle zu öffnen. Die verrostete Feder ist stark.

Aber dann ist das Tier frei. Es rollt sich sofort zusammen und beginnt die Wunde zu lecken. Dabei schielt es aber immer noch auf Jesse, der sich langsam erhebt und zurücktritt.

»Ich habe nun gar keine Zeit mehr, Partner. Wahrscheinlich habe ich mich zu lange mit dir aufgehalten. Aber es kommt ja nicht darauf an, ob sie mich zehn Minuten früher oder später zu Gesicht bekommen. Viel Glück, Amigo.«

Er geht zu seinem Pferd, dem die kurze Rastpause gut getan hat. Der Schwarzfalbe steht mit den Hinterhufen im Bach. Als Jesse in den Sattel klettert, kommt ihm der Wolf nachgehumpelt. Dabei winselt er seltsam.

»Verschwinde, Amigo! Verkriech dich im Unterholz! Ich kann dich nicht gebrauchen! Pass auf, gleich kommt eine grimmige Menschenmeute angesaust!«

Er reitet an. Das Pferd trabt humpelnd, aber willig. Trotz der Schmerzen bei jedem Huftritt dient es seinem neuen Herrn willig.

Nach einigen Yards sieht Jesse noch einmal zurück.

Der seltsame Wolf ist verschwunden.

Vielleicht hat er mit seinen feinen Instinkten schon die Erschütterung des Bodens gespürt und weiß, dass sich eine große Reiterkavalkade nähert.

Er benutzt die Baumgruppen als Deckung und reitet auf die Hügellücke zu. Sie erweist sich oben als die Mündung eines flachen Canyons, dessen steile Hänge jedoch immer mehr ansteigen. Nach einer Meile durchbricht eine Schlucht diesen Canyon, so wie eine Mainstreet von einer Gasse durchbrochen wird.

Bevor Jesse in die Schlucht einbiegt, sieht er sich noch einmal um.

Die ersten Verfolger sind im Canyoneingang aufgetaucht. Er sieht, wie sie sich über die Hälse ihrer Pferde beugen und die Tiere antreiben. Sie haben ihn gesehen und setzen zum Endspurt an.

Er reitet in die enge Schlucht und hofft, dass sie nicht in einer Sackgasse endet. Dabei beobachtet er die steilen Felswände zu beiden Seiten. Die Schlucht macht viele Windungen. Sie führt im Zickzack durch ein mächtiges Felsplateau hindurch. Es ist, als hätte vor langer Zeit einmal ein mächtiger Riese dieses Felsplateau in zwei Hälften gebrochen und dann liegen gelassen.

Endlich findet Jesse eine Aufstiegsmöglichkeit. Schnell ist er aus dem Sattel und zieht das Tier auf die Felsleiste zu, die ganz bequem beginnt, aber dann immer steiler und schmaler wird. Jesse glaubt nicht, dass er mit dem lahmenden Tier den Aufstieg schaffen kann, aber er ist gewillt, die Sache zu versuchen. Er will noch nicht aufgeben.

Das Pferd keucht mühsam hinter ihm. Manchmal gleitet es aus. Er stemmt sich fest ein und zieht es fast über die gefährlichen Stellen.

Dann ist die Felsleiste wieder ein paar Yards gut passierbar. Und dann wird es höllisch. Das Pferd bleibt stehen. Nun will es dem Menschen nicht mehr dienen.

»Partner«, knurrt Jesse heiser und außer Atem, »wir beide müssen es schaffen. Bruderherz, komm!«

Der ruhige, warme und zugleich aber auch drängende Klang der Stimme bewirkt endlich, dass sich das Tier schnaubend vorwärts schiebt.

Die Felsleiste wird nun sehr schmal, und überdies fällt sie auch noch zur Kante schräg ab. Ein paar spitze Felsvorsprünge sind vorhanden, um die Jesse das Tier herumbringen muss, ohne dass es abrutscht.

Der Schwarzfalbe schnaubt, spitzt die Ohren, schiebt Hals und Kopf vor und folgt dem Herrn. In diesem Moment verspürt Jesse eine große Liebe zu diesem braven Tier. Er mag alle Tiere, aber von diesem Moment an nimmt dieser tapfere vierbeinige Bursche einen Platz in seinem Herzen ein.

Und sie schaffen es – sie schaffen es wahrhaftig!

Der Schwarzfalbe wird zu einer Katze und biegt seinen Leib um all die Vorsprünge herum. Langsam setzt er die Hufe voreinander. Einige Sekunden sieht es so aus, als würde er abrutschen, weil er sein Gewicht wegen der Vorsprünge zu sehr nach außen legen muss. Und er scheint in diesen gefährlichen Sekunden auch keinen kranken Huf zu haben.

Jesse hält die Zügelleinen ganz locker. Er weiß, dass er das tapfere und treue Tier von selbst und ohne jede Hilfe kommen lassen muss. Er redet ihm auch nicht mehr zu. Er stört es nicht und wartet nur.

Dann haben sie es geschafft. Die gefährliche Stelle liegt hinter ihnen. Sie schnaufen beide. Nun geht es schneller. Die Felsleiste ist zwar noch schmal und gefährlich, aber im Vergleich zu der höllischen Stelle ist sie fast wie ein Pfad.

Jesse kann jetzt wieder an andere Dinge denken. Die Umwelt ist für ihn wieder da. Er denkt auch an das Aufgebot – und hört es im selben Moment. Er wirft einen raschen Blick über die Schulter und sieht den ersten Reiter. Der Mann kommt hart um die scharfe Biegung der Schlucht geritten. Sein schwarzweißer Pinto legt sich scharf in die Kurve. Funken sprühen dabei unter seinen Hufen, die etwas abgleiten. Doch nach zwei Sprüngen richtet sich der Pinto wieder gerade auf und rast näher.

Jesse Flynn erkennt den ersten Reiter des Aufgebotes sofort. Und weil er ihn erkennt, wundert er sich überhaupt nicht mehr darüber, dass die Meute seine Spur gehalten, auf ihr geblieben ist und nicht die Spuren seiner Befreier verfolgt hat.

Clark Higgins ist der beste Fährtenleser im Land. Seine Begabung auf diesem Gebiet – und nicht nur auf diesem! – grenzt ans Wunderbare. Überhaupt ist er Chance Cannegans Wundermann und wusste – so denkt Jesse –, wo ihn seine Befreier hinbringen würden. Wahrscheinlich weiß sonst niemand vom ganzen Aufgebot, dass er, Jesse, sein Pferd wechseln musste. Nur Clark Higgins musste es gewusst haben. Und er folgte der Spur des lahmenden Tieres.

Die ganze Sache ist klug ausgedacht und gut eingefädelt. Jesse wird sich so richtig darüber klar, als er Higgins erkennt. Und wenn er bisher noch schwach auf eine Chance hoffte, so verliert er jetzt vollkommen diese Hoffnung.

Wie ein großer Raubvogel hockt Clark Higgins auf seinem Pinto. Seine Adlernase hackt im Rhythmus des Reitens auf und nieder. Sein Pferd macht nur noch ein ganzes Stück auf der Hinterhand über das Geröll.

Der dunkelhäutige Reiter aber richtete sein scharfes Adlergesicht nach oben. Er sieht Jesse Flynn, der sich mit seinem kranken Pferd im selben Moment über den Rand der Schlucht schwingt. In Higgins' beiden Händen tauchen Colts auf. Er schießt blitzschnell und trifft nur die Schwanzhaare des Schwarzfalben.

Hinter ihm sammelt sich das Aufgebot. Die lange Reihe der zurückgefallenen Reiter wird wieder zu einer geschlossenen Meute.

»Aus den Sätteln, Leute! Versucht euer Glück! Die Scharfschützen zu mir! Wir decken euch! Ihr könnt ohne Sorge hinaufklettern! Wenn er nur seine Nasenspitze über den Rand schiebt, erwischen wir ihn!«

Clark Higgins' Stimme ist beißend scharf. Er ist wahrlich der richtige Reiterboss für diese Meute. Vielleicht ist er für diese Art Arbeit sogar der beste Mann im Land – besser noch als Bill Timrock.

Und sie gehorchen ihm aufs Wort.

Jesse Flynn liegt oben am Schluchtrand. Er kann jedes Wort hören, wagt es aber nicht, seinen Kopf über den Rand zu schieben. Von Higgins und den anderen Scharfschützen bis zum Schluchtrand sind es keine vierzig Yards. Sie würden Jesses Kopf unbedingt treffen – zumindest Clark Higgins würde es schaffen. Jesse Flynn hat sogar schon sehr viel über diesen Mann gehört. Man erzählt sich, dass in Higgins' Adern Indianerblut fließen würde, obwohl er es abstreitet. Vor Jahren hatte sich Chance Cannegan diesen Revolvermann kommen lassen. Damals hatte Chance Cannegan eine Menge solcher Schießer ins Land geholt. Er brauchte sie, um gegen Old Jesse Flynn und dessen Leute einen Schutz zu haben. Als der alte Flynn dann zur Strecke gebracht war, ritten viele Revolvermänner wieder weiter. Clark Higgins blieb auf der CC Ranch. Irgendwie war er für Chance Cannegan unentbehrlich geworden.

Und nun ist dieser gefährliche Mann Reitboss dieses Aufgebots. Wahrscheinlich wird Chance Cannegan dafür sorgen, dass sein Mann für eine bestimmte Zeit den Stern trägt.

Jesse Flynn holt tief Luft. Dann brüllt er scharf und hart: »Higgins! He, Clark Higgins!«

Sofort erklingt dessen Stimme: »He, Leute! Wartet! Er will uns was erzählen! Wir können noch einige Minuten warten, bis wir ihn erschießen! Well, Jesse! Ich höre dich! Und mach dir keine Illusionen. Wenn wir dich lebendig bekommen, dann reiten wir mit dir nur bis zum nächsten Baum.«

In Jesse Flynn steigt wieder eine wilde Wut auf.